OGH 1Ob152/24w

OGH1Ob152/24w9.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* KG, FN *, vertreten durch Dr. Eva‑Maria Bachmann‑Lang, Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei „S*“ *gmbH, FN *, vertreten durch die GRAF ISOLA Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 51.843,91 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 3. Juli 2024, GZ 1 R 17/24p‑39, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00152.24W.1009.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens sind Forderungen der Klägerin für der Beklagten in den Jahren 2017 und 2018 gelieferte Waren sowie das Entgelt für von ihr entwickelte und der Beklagten 2017 gelieferte Etiketten.

[2] Bis 2018 verlief die Geschäftsbeziehung reibungslos; die Abrechnungen über die gegenseitigen Lieferungen erfolgten einvernehmlich. Ab dem Jahr 2018 traten Differenzen auf, weswegen die Klägerin im Jahr 2019 nachträglich Lieferscheine über die hier gegenständlichen Positionen ausstellte. Im Zuge weiterer Gespräche äußerte die Beklagte die Bitte um eine spätere, terminlich nicht näher definierte Rechnungslegung. Die Geschäftsbeziehung zwischen den Streitteilen endete endgültig im Sommer 2019. Die Rechnungen über die klagegegenständlichen Forderungen stellte die Klägerin am 23. 1. 2020 aus.

[3] Das Berufungsgericht änderte das der Klage vom 5. 7. 2022 stattgebende Urteil des Erstgerichts ab und wies das Begehren wegen Verjährung ab. Es wertete das auf Bitten der Beklagten erfolgte Zuwarten mit der Ausstellung der Rechnungen durch die Klägerin als (konkludente) Stundungsvereinbarung, die spätestens mit der Beendigung der Geschäftsbeziehung weggefallen sei. Da die Hemmung des Fortlaufs der Verjährung lediglich sechs Monate angedauert habe, seien die Forderungen verjährt.

Rechtliche Beurteilung

[4] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, die keine Rechtsfragen von der Bedeutung gemäß § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen vermag.

[5] 1. Geht das Berufungsgericht von den Feststellungen des Erstgerichts ohne Beweiswiederholung ab, so liegt eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes und damit eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens vor (RS0043057; RS0043461). Das ist aber nur der Fall, wenn das Berufungsgericht seiner Entscheidung Tatsachenannahmen ohne Beweisergänzung oder Beweiswiederholung zugrunde legt, die über jene des Erstgerichts hinausgehen oder von diesen abweichen (1 Ob 2/21g). Hingegen begründet es weder einen Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz noch gegen das Verbot der Überraschungsentscheidung, wenn nur dieselben Tatsachen, die schon der bisher erörterten Rechtslage zugrunde lagen, rechtlich anders gewertet werden (vgl RS0037300 [T44]).

[6] 1.1. Die Klägerin wirft dem Berufungsgericht zwar pauschal vor, dass es „in großem Umfang die Feststellungen des Erstgerichts umgedeutet“ und damit gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz verstoßen habe. Worin jedoch genau das Berufungsgericht von den Sachverhaltsfeststellungen des Erstgerichts abgewichen sein soll, erschließt sich aus ihren Revisionsausführungen nicht. Dazu verweist sie inhaltlich auch nur auf den von ihr vertretenen Standpunkt, dass die Fälligkeit erst mit der Rechnungslegung Anfang des Jahres 2020 (oder allenfalls mit Beendigung der Geschäftsbeziehung im Sommer 2019) eingetreten sei, und wendet sich damit in Wahrheit gegen dessen rechtliche Beurteilung.

[7] 1.2. Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn die vom Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsauffassung vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz von keiner der beiden Parteien ins Treffen geführt und damit der Gegenseite auch keine Gelegenheit zur Stellungnahme geboten wurde (RS0037300 [T16]). Soweit die Klägerin bemängelt, dass ihr das Berufungsgericht keine Gelegenheit gegeben habe, Stellung zu nehmen, und dennoch das „Ersturteil im Ergebnis umgedreht habe“, übergeht sie den Verjährungseinwand der Beklagten im Verfahren erster Instanz. Sie legt auch nicht dar, welches zusätzliche oder andere Vorbringen sie erstattet hätte (RS0037300 [T48]).

[8] 1.3. Die von der Klägerin behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor dem Berufungsgericht liegt damit insgesamt nicht vor.

[9] 2. Der Umstand, dass die Klägerin ihr Rechtsmittel ausschließlich auf den Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit (§ 503 Z 2 ZPO) stützt, schadet nicht, weil ihre Rechtsmittelausführungen auch eine Rechtsrüge nach § 503 Z 4 ZPO erkennen lassen (vgl RS0041851). Eine erhebliche Rechtsfrage spricht sie damit jedoch nicht an:

[10] 2.1. Beginn der Verjährung ist bei Forderungen aus Kaufverträgen deren Fälligkeit (also mit Lieferung und – falls vereinbart – dem Ablauf der Zahlungsfrist). Die Fälligkeit der Kaufpreiszahlungspflicht hängt nach der Rechtsprechung im Regelfall aber nicht von der Zusendung einer Rechnung ab (RS0020047; Apathy/Perner in KBB7 § 1062 Rz 1). Dieser kommt im Allgemeinen nur die deklarative Bedeutung einer Beweisurkunde zu (RS0016134; 1 Ob 231/02f). Nur wenn das Ausmaß des zu leistenden Entgelts nicht von Anfang an feststeht oder für den Zahlungspflichtigen nicht leicht zu ermitteln ist, wird der Entgeltanspruch (erst) fällig, sobald der Berechtigte binnen angemessener Frist Rechnung legt (RS0038058; RS0017592).

[11] 2.2. Ein Vorbringen, dass die Rechnungslegung erforderlich gewesen wäre, weil der Kaufpreis bzw die Forderungen bei Ablieferung nicht feststanden, hat die Klägerin ebenso wenig erstattet wie ein Vorbringen zu einer abweichenden Vereinbarung über die Zahlungsfrist oder zum Vorliegen eines Kontokorrentverhältnisses (§ 355 UGB). Dergleichen behauptet sie auch in ihrer Revision nicht. Damit kann sie allein mit dem Verweis auf die mehrere Jahre andauernde Geschäftsbeziehung und auf die Aussage ihres Geschäftsführers, die Rechnungen seien normalerweise jeden Monat oder jeden zweiten Monat gelegt worden, keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung der Frage nach der Fälligkeit ihrer Forderungen aufzeigen.

[12] 3. Mit der Beurteilung des Berufungsgerichts, das Zuwarten mit der Rechnungslegung durch die Klägerin sei als (konkludente) Vereinbarung der Streitteile über eine „reine“ Stundung anzusehen, die die Fälligkeit einer Forderung unberührt lasse, aber deren Geltendmachung hinausschiebe und damit den Lauf der Verjährungsfrist hemme (vgl dazu RS0017597), und den daraus gezogenen Schlüssen setzt sich die Klägerin in ihrer Revision nicht auseinander. Damit ist dem Obersten Gerichtshof eine Überprüfung dieser Frage mangels gesetzmäßiger Rechtsrüge verwehrt (RS0043603 [T16]).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte