OGH 1Ob2/21g

OGH1Ob2/21g22.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** T*****, vertreten durch die Korp Rechtsanwalts GmbH, Arndorf, gegen die beklagte Partei G***** T*****, vertreten durch Dr. Franz Xaver Berndorfer, Rechtsanwalt in Linz, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 22. September 2020, GZ 6 R 56/20g‑28, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Schärding vom 27. Februar 2020, GZ 1 C 12/19v‑22, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00002.21G.0622.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Streitteile haben am 14. 11. 1987 die Ehe geschlossen. Bis zur Geburt der Tochter im Jahr 2001 verlief die Ehe ohne besondere Vorkommnisse. Danach entwickelten sich Unstimmigkeiten, die insbesondere darauf zurückzuführen waren, dass die Klägerin ihre Bereitschaft zum Geschlechtsverkehr reduzierte. Ab dem Jahr 2007 unternahm der Beklagte mit seinem Auto an den Wochenenden regelmäßig Ausflüge, an welchen die Klägerin wegen dessen rasanten Fahrstils nur selten teilnahm. Wenn sie ihn fragte, wo er gewesen ist, gab er ihr keine konkrete Antwort. Im Jahr 2015 verschlechterte sich das Verhältnis zwischen den Streitteilen. Nachdem sich der Beklagte beschwert hatte, dass es zwischen ihnen zu wenig Geschlechtsverkehr gäbe, führte die Klägerin einen Kalender, in welchen sie eintrug, wann es Geschlechtsverkehr gegeben hatte, und jene Tage bezeichnete, an denen der Beklagte Alkohol getrunken hatte. Weil seiner Meinung nach die Kalendereintragungen der Klägerin über den Geschlechtsverkehr teilweise unrichtig waren, begann der Beklagte einen eigenen Kalender zu führen. Der Beklagte war eifersüchtig. Es war ihm wichtig, stets zu wissen, wo sich die Klägerin aufhält. Wenn er sie nicht zuhause antraf, telefonierte er oder fuhr mit seinem Auto die Gegend ab, um die Klägerin zu finden.

[2] Die Klägerin versteht sich sehr gut mit einem benachbarten Ehepaar. Als sie am Abend des 4. 12. 2017 Licht in der Gartenhütte am Nachbargrund sah, suchte sie den darin aufhältigen Nachbarn auf, der die Tür nach ihrem Eintreten versperrte. Als der Beklagte auf der Suche nach der Klägerin das Licht in der Gartenhütte bemerkte, vermutete er, dass sie sich dort aufhalten würde, musste jedoch feststellen, dass die Tür verschlossen war. Später beschimpfte er die Klägerin; der Nachbar beteuerte, dass sie nur geredet hätten und er die Gartenhütte versehentlich abgeschlossen hätte. Wenige Monate später installierte der Beklagte Wildkameras im Bereich des zur Liegenschaft der Nachbarn führenden Gartentores, die die Klägerin aber wieder abmontierte und entsorgte. Eine außereheliche Beziehung der Klägerin zu ihrem Nachbarn konnte nicht festgestellt werden.

[3] Ab einem nicht exakt feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2018 traf sich der Beklagte mehrmals mit einer Frau und verbrachte Zeit mit ihr, ohne die Klägerin davon in Kenntnis zu setzen. Der Beklagte montierte bei dieser Frau unentgeltlich eine Markise und entsorgte ihre Gartenmöbel. Er ging mit ihr essen; die beiden fotografierten einander. Ob der Beklagte und diese Frau gemeinsam einen Urlaub in Venedig verbrachten oder er mit ihr eine geschlechtliche Beziehung führte, konnte nicht festgestellt werden.

[4] Für die Klägerin ist die Ehe seit Mitte 2018 endgültig zerstört. Am Morgen des 20. 10. 2018 kam es zu einem Streit, weil die Klägerin einen Betrag von 15.000 EUR an sich genommen und versteckt hatte. Es kam zu einer verbalen und körperlichen Auseinandersetzung, die darin mündete, dass die Polizei gegen den Beklagten ein Betretungsverbot aussprach. Damit gab es auch aus seiner Sicht keine Aussicht mehr, die eheliche Gemeinschaft wiederherzustellen. Ob der Beklagte gegen die Klägerin Gewalt, insbesondere während der sexuellen Kontakte ausübte, konnte nicht festgestellt werden.

[5] Die Klägerin begehrte die Scheidung aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten, der ihr gegenüber immer wieder gewalttätig geworden sei, was am 7. 11. 2018 zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung geführt habe, mit der ihm die Rückkehr in die zuletzt gemeinsam bewohnte Wohnung und in deren unmittelbare Umgebung verboten worden sei. Der krankhaft eifersüchtige Beklagte unterhalte seit längerer Zeit eine ehebrecherische Beziehung zu einer anderen Frau, mit der er auch schon einen Urlaub in Venedig verbracht habe. Die letzten zwölf Jahre habe er die Wochenenden vor allem alleine verbracht, ohne sie zu informieren, sie immer wieder zu Sex gezwungen und sich ihr gegenüber lieblos verhalten.

[6] Der Beklagte bestritt das Klagebegehren und erhob für den Fall der Scheidung einen Mitverschuldenseinwand nach § 61 Abs 3 EheG. Die Klägerin habe ihn in der Anzeige vom 20. 10. 2018 durch die unrichtigen Behauptungen, sie jahrelang zu sexuellen Handlungen genötigt sowie vergewaltigt zu haben, verleumdet. Sie habe ihn als „faule Sau“ beschimpft und ihn aufgefordert, sich „in die Arbeit zu schleichen“, gegenüber der Verwandtschaft herabgewürdigt, über ihn geschimpft und gegen ihn gestichelt, während sie immer dann zu ihm freundlich gewesen sei und ihn hofiert habe, wenn sie etwas von ihm gewollt habe. Im April 2018 habe sie geäußert, sich einen anderen Mann zu suchen und dass er ihr einen Gefallen machen könne, indem er in den Keller gehe und sich einen Strick hole. Die Klägerin habe mehrmals ihre Zeit bei ihrem Nachbarn in dessen Gartenhütte verbracht und im Oktober 2018 den im Safe befindlichen Geldbetrag von 15.000 EUR entnommen.

[7] Am Tag vor der letzten mündlichen Streitverhandlung brachte der Beklagte beim Erstgericht eine auf Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden der Frau gerichtete Widerklage ein.

[8] Das Erstgericht schied die Ehe gemäß § 49 EheG aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten. Es lastete ihm eine Verletzung des sich aus der Ehe ergebenden Treue- und Vertrauensverhältnisses an, weil er der Klägerin grundlos den Einblick in seine Freizeitgestaltung an den Wochenenden verschwiegen und durch den Umgang mit seiner Bekannten jedenfalls objektiv den Schein einer ehewidrigen Beziehung erweckt habe. Außerdem sei ihm sein Kontrollzwang und der Umstand, dass er ohne Wissen der Klägerin zwecks Überwachung ihres Verhaltens Wildkameras montiert habe, vorzuwerfen. Dem stehe insbesondere das Sticheln gegenüber dem Beklagten in Anwesenheit der Verwandten gegenüber sowie, dass die Klägerin vor der für den Beklagten eingetretenen gänzlichen Zerrüttung der Ehe 15.000 EUR an sich genommen und versteckt habe. Das Verhalten im Zusammenhang mit dem Thema „Geschlechtsverkehr“ sei keinem der Streiteile als Eheverfehlung anzulasten, weil beide nicht auf die Wünsche des jeweils anderen eingegangen seien. Insgesamt wiege das Verschulden des Beklagten erheblich schwerer, weswegen sein überwiegendes Verschulden an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen sei.

[9] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es verneinte eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens durch die Unterlassung, das über die Widerklage des Beklagten eingeleitete Verfahren mit dem Verfahren wegen Scheidung der Frau zu verbinden, erachtete die vom Beklagten behauptete mangelhafte Auseinandersetzung mit seinem Vorbringen, wonach die Klägerin ihn aufgefordert habe, sich einen Strick zu nehmen, als nicht von Relevanz, weil auch die dazu vorliegenden Beweisergebnisse ohne Auswirkungen auf die Verschuldensteilung bleiben müssten, und verneinte den vom Beklagten in diesem Zusammenhang geltend gemachten Feststellungsmangel. Da von den erwiesenen Eheverfehlungen gerade die Verhaltensweisen des Beklagten (Verschweigen des Aufenthaltsorts an den allein verbrachten Wochenenden sowie der – auf seine Eifersucht zurückgehende – Kontrollzwang während der Ehe) den der Klägerin zur Last gelegten Eheverfehlungen weitgehend zeitlich vorgelagert seien, sei die Annahme eines überwiegenden Verschuldens des Beklagten nicht zu beanstanden.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die dagegen vom Beklagten erhobene und von der Klägerin beantwortete Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt, weil die Feststellungen keine ausreichend verlässliche Beurteilung des wechselseitigen Verschuldens erlauben.

[11] 1.1 Voraussetzung einer Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung (§ 404 Abs 2 ZPO) ist nach § 187 Abs 1 ZPO zunächst, dass mehrere Rechtsstreite bei einem Gericht anhängig sind (vgl Höllwerth in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ II/3 § 187 ZPO Rz 2). Die Rechtsanhängigkeit einer Streitsache (Streitanhängigkeit) wird gemäß § 232 Abs 1 ZPO durch Zustellung der Klageschrift an den Beklagten begründet. Das gilt auch für die Widerklage ( Mayr in Fasching / Konecny , Zivilprozessgesetze³ III/1 § 232 ZPO Rz 3).

[12] 1.2 Der Beklagte hat in der letzten mündlichen Streitverhandlung vorgebracht, dass er am Tag davor eine auf § 49 EheG gestützte Widerklage eingebracht habe, die „auch am heutigen Tag bei Gericht vor der Verhandlung eingelaufen“ sei, und moniert deren fehlende Verbindung mit dem Verfahren über die Scheidung. Mit dem Einbringen einer Klage wird zwar die Gerichtsanhängigkeit als (vorläufig) zweiseitiges Prozessrechtsverhältnis zwischen Kläger und Gericht begründet ( Geroldinger in Fasching / Konecny , Zivilprozessgesetze³ III/1 § 226 ZPO Rz 8). Da der widerbeklagten Klägerin die Widerklage bei Schluss der mündlichen Verhandlung noch nicht zugestellt war, lag aber noch keine Streitanhängigkeit vor, sodass die Voraussetzungen für eine Verbindung des Verfahrens über diese Klage mit dem Scheidungsverfahren nicht gegeben waren (vgl dazu auch Roth, Zivilprozessrecht3 [2020], 16). Die Beurteilung dieser Frage durch das Berufungsgericht, das die vom Beklagten aus der unterlassenen Verbindung abgeleiteten Verfahrensmängel verneinte, entspricht dem Gesetz; erhebliche Rechtsfragen kann der Beklagte in diesem Zusammenhang mit seinen weitwendigen Ausführungen nicht aufzeigen.

[13] 1.3 Es trifft zu, dass nach § 233 Abs 2 ZPO der Beklagte bei dem Gericht der Klage so lange eine Widerklage anbringen kann, als nicht die mündliche Verhandlung in erster Instanz geschlossen ist. Als selbständige Klage kann die Widerklage (bzw deren Zustellung an den Gegner) weder durch mündliche Erklärung in der Verhandlung noch durch eine darüber erfolgte Protokollierung ersetzt werden (vgl Simotta in Fasching / Konecny , Zivilprozessgesetze³ I § 96 JN Rz 3). Soweit der Beklagte daher meint, er müsse im Verfahren dritter Instanz nicht darlegen, inwieweit es von Relevanz ist, dass sich die Vorinstanzen mit dem Vorbringen seines in der letzten mündlichen Verhandlung verlesenen Schriftsatzes nicht auseinandergesetzt haben, weil schon die fehlende Verbindung der Verfahren beachtlich sei, führt er den Revisionsgrund nach § 503 Z 2 ZPO nicht gesetzesgemäß aus.

[14] 2. Geht das Berufungsgericht von den Feststellungen des Erstgerichts ohne Beweiswiederholung ab, so liegt eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch das Berufungsgericht und damit eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens vor (RIS‑Justiz RS0043057; RS0043461). Das ist aber nur der Fall, wenn das Berufungsgericht seiner Entscheidung Tatsachenannahmen ohne Beweisergänzung oder Beweiswiederholung zugrunde legt, die über jene des Erstgerichts hinausgehen oder von diesen abweichen (Lovrek in Fasching/Konecny Zivilprozessgesetze³ IV/1 § 503 ZPO Rz 64), nicht aber schon dann, wenn das Berufungsgericht – wie hier – einer vom Beklagten aus der Aussage der Klägerin abgeleiteten (weiteren) Sachverhaltselement keine Relevanz beimisst, weil es die Ansicht vertritt, dieses würde nichts am Verschuldensausspruch des Erstgerichts ändern.

[15] 3.1 Nach § 49 EheG kann die Ehe wegen eines schuldhaften, schweren Fehlverhaltens des anderen Ehepartners geschieden werden, wenn diese Eheverfehlung zu einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe geführt hat. Die Eheverfehlungen müssen für die unheilbare Zerrüttung der Ehe kausal gewesen sein (RS0056921 [T3]), also auch subjektiv als ehezerstörend empfunden werden (RS0056366). Beiderseitige Eheverfehlungen müssen in ihrem Zusammenhang gesehen werden. Bei Gewichtung der beiderseitigen Verfehlungen kommt es nicht nur auf den Grad der Verwerflichkeit der einzelnen Ehewidrigkeiten an, sondern auch darauf, wie weit sie einander bedingen und welchen ursächlichen Anteil sie am Scheitern der Ehe haben (RS0057223; RS0056751). Maßgeblich ist vor allem, wer den ersten Anlass zur Zerrüttung der Ehe gegeben hat und wodurch sie in erster Linie zu einer unheilbaren wurde (RS0057361). Es kommt auf das Gesamtverhalten der Ehegatten, soweit darin Eheverfehlungen erblickt werden, an und nicht auf das zahlenmäßige Überwiegen einzelner Verfehlungen (vgl RS0056171; RS0057303 ua).

[16] 3.2 Unheilbare Ehezerrüttung ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (RS0056832). Eheverfehlungen, die nach der Zerrüttung der Ehe gesetzt werden, haben bei der Verschuldensabwägung kein entscheidendes Gewicht (RS0057338), weil im Allgemeinen der ursächliche Zusammenhang zwischen der neuen Eheverfehlung und der Zerrüttung fehlt (RS0056921; RS0056939). Sie können nur dann noch von Bedeutung sein, wenn die Ehe noch nicht unheilbar zerrüttet war und der verletzte Ehegatte bei verständiger Würdigung die weitere Eheverfehlung noch als zerrüttend empfinden durfte (RS0056887).

[17] 3.3 Nach ständiger Rechtsprechung (RS0057057) muss bei beiderseitigem

Verschulden ein sehr erheblicher Unterschied im Grad des Verschuldens gegeben sein, um ein

überwiegendes Verschulden eines Teils annehmen zu können. Es ist dabei nicht nur zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften

Zerrüttung der Ehe begonnen hat, sondern auch, wer entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Ehe unheilbar zerrüttet wurde. Ein

überwiegendes Verschulden ist nur dort anzunehmen und auszusprechen, wo der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (RS0057821). Weil das überwiegend

e Verschulden – insbesondere bei den Scheidungsfolgen – dem alleinigen

Verschulden gleichgestellt wird, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Anders als im allgemeinen Sprachgebrauch ist ein

überwiegendes Verschulden daher nicht schon bei mehr als 50 % Überwiegen anzunehmen (5 Ob 70/18g mwN). Das mindere

Verschulden müsste fast völlig in den Hintergrund treten, was nicht allein nach der Schwere der Verfehlungen, sondern danach zu beurteilen ist, in welchem Umfang diese Verfehlungen zur

Zerrüttung der Ehe beigetragen haben (RS0057858 [T17]).

[18] 4. Aus den Feststellungen des Erstgerichts folgt, dass die Ehe der Streitteile aus Sicht der Klägerin ab Mitte des Jahres 2018 unheilbar zerrüttet war. Zur Rechtsfrage (dazu RS0043432; RS0043423), wann die eheliche Gemeinschaft objektiv zerrüttet gewesen ist, sind die Vorinstanzen übereinstimmend erkennbar von Oktober 2018 ausgegangen, als die eheliche Gemeinschaft auch für den Beklagten endgültig zu bestehen aufgehört hat, weil sie sonst den Umstand, dass die Klägerin einen Bargeldbetrag an sich genommen hat, nicht in die Verschuldensabwägung einfließen lassen hätten können. Legt man zugrunde, dass sich nach den Feststellungen das Verhältnis der Streitteile ab 2015 verschlechterte, ist deren Verhalten bis Oktober 2018 von entscheidender Bedeutung. Ausgehend davon bieten die Feststellungen aber keine ausreichende Grundlage für eine abschließende Klärung des Beitrags der Verfehlungen des Beklagten zur Zerrüttung.

[19] 4.1 Die Negativfeststellung des Erstgerichts zu der von der Klägerin behaupteten Gewaltanwendung durch den Beklagten, insbesondere im Zusammenhang mit ihren sexuellen Kontakten bedeutet, dass ihr der Nachweis einer solchen Eheverfehlung nicht gelungen ist.

[20] 4.2 Grundsätzlich richtig ist, dass nach der Judikatur auch rein „freundschaftliche“ Beziehungen zu einem Dritten eine

Eheverfehlung sein können, wenn sie gegen den Willen des anderen Ehegatten gepflogen werden (RS0056290 [T2; T3]) oder wenn ein Ehegatte sie dem anderen trotz ihrer über das Übliche hinausgehenden Intensität verheimlicht (vgl 1 Ob 224/01z). Die Vorinstanzen haben dem Beklagten eine solche Beziehung als schwere Eheverfehlung angelastet. Dazu steht aber lediglich fest, dass sich der Beklagte ab einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahr 2018 mit einer anderen Frau getroffen hat, mit dieser Freizeit verbrachte und ihr bei zwei Gelegenheiten behilflich war. Zwar erfolgten die Kontakte ohne Wissen der Klägerin; aber auch wenn sie sich gegenseitig fotografiert haben mögen, ergeben sich allein daraus weder ausreichende Anhaltspunkte für die Intensität der Beziehung des Beklagten zu dieser Frau (nicht festgestellt werden konnte, dass er mit ihr auf Urlaub war oder eine geschlechtliche Beziehung führte), noch lassen sich Rückschlüsse ziehen, ob der Beklagte diese Beziehung bereits aufgenommen hatte, bevor die Ehe aus Sicht der Klägerin endgültig zerrüttet war und sie damit ein solches Verhalten des Beklagten noch als ehestörend empfunden hat. Insoweit bedürfen die Feststellungen des Erstgerichts daher einer Konkretisierung.

[21] 4.3 Abgesehen davon bleibt von den Vorwürfen der Vorinstanzen gegenüber dem Beklagten nur, dass er verschwiegen hat, wo er seine Wochenenden verbrachte, sowie der ihm angelastete Kontrollzwang und damit zusammenhängend, dass er nach dem Vorfall vom 4. 12. 2017 Wildkameras installierte, die aber bald danach von der Klägerin entfernt und entsorgt wurden. Auch dazu erweisen sich die Feststellungen des Erstgerichts als wenig aussagekräftig. Danach hat der Beklagte ab 2007 zwar regelmäßig an den Wochenenden alleine Ausflüge mit seinem Auto gemacht und der Klägerin auf ihr Nachfragen, wo er gewesen sei, keine konkrete Antwort gegeben. Zugleich steht aber fest, dass sich das Verhältnis der Streitteile erst im Jahr 2015 verschlechterte, ohne dass ein Bezug zu dieser Art der Wochenendgestaltung des Beklagten erkennbar wäre, was daran zweifeln lässt, ob die Klägerin die Ausfahrten des Beklagten überhaupt als Eheverfehlung empfunden hat.

[22] 4.4 Wiederholte Beschimpfungen stellen in der Regel eine schwere

Eheverfehlung dar (RS0056711). Hier steht lediglich fest, dass der Beklagte die Klägerin, nachdem er sie in der versperrten Gartenhütte ihres Nachbarn vorgefunden hatte, mit den Worten „schleich dich nach Hause, du falsches Luder“ beschimpfte. Eine solche Wortwahl widerspricht zwar dem Gebot zur anständigen Begegnung, rechtfertigt aber weder für sich genommen, noch in Zusammenschau mit dem von den Vorinstanzen als Kontrollzwang bezeichneten Verhalten des Beklagten die Annahme seines überwiegenden Verschuldens an der Zerrüttung der Ehe. Auch zum Vorwurf der Eifersucht erweisen sich die Feststellungen des Erstgerichts nämlich als nicht ausreichend ergiebig. Danach war es ihm wichtig, stets zu wissen, wo sich die Klägerin aufhält; er hat ihr „nachtelefoniert“ oder ist mit dem Auto die Gegend abgefahren, um sie zu finden. Ohne nähere zeitliche Einordnung sowie konkretere Angaben, welches Verhalten der Beklagte in diesem Zusammenhang an den Tag legte, und Feststellungen dazu, inwieweit die Klägerin dieses Verhalten des Klägers als störend empfunden hat oder gar vom Beklagten eine Änderung seines Verhaltens begehrte, lassen sich daraus auch keine gesicherten Rückschlüsse auf das Gewicht einer solchen Eheverfehlung ziehen.

[23] 4.5 Der Beklagte zielt mit seinem Rechtsmittel – wie schon im Berufungsverfahren – auf eine Abweisung des Begehrens auf Scheidung und damit auf ein Alleinverschulden der Klägerin an der von den Vorinstanzen festgestellten Zerrüttung ab. Dazu hat er in erster Instanz – verkürzt – auch vorgebracht, die Klägerin habe ihn bzw seine Verwandten zum Selbstmord aufgefordert. Das Berufungsgericht hat eine Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen und den dazu vorliegenden Beweisergebnissen für nicht erheblich erachtet, weil die vom Beklagten erhobenen Vorwürfe seiner Ansicht nach bei der Abwägung des Verschuldens nicht ins Gewicht fielen. Das trifft schon deshalb nicht zu, weil zur Klärung der Verschuldensfrage auf das Gesamtverhalten der Ehegatten, soweit darin Eheverfehlungen liegen, abzustellen ist. Derartige Äußerungen – so sie stattgefunden haben – widersprechen zweifellos dem Gebot zur anständigen Begegnung. Zur Klärung der Frage, ob es sich dabei um verständliche Reaktionen der Klägerin gehandelt hat, wie das Berufungsgericht meint, bedarf es einer gesicherten Tatsachengrundlage.

[24] 5. Im fortzusetzenden Verfahren wird das Erstgericht – ausgehend vom Vorbringen der Parteien – daher wesentlich umfassendere, möglichst präzise und chronologisch geordnete Feststellungen über die Ehe der Streitteile ab 2015 bis zur Zerrüttung zu treffen und damit die Tatsachengrundlage zu schaffen haben, die die Beurteilung der Ursachen der unheilbaren Zerrüttung der Ehe der Streitteile und damit des Verschuldens daran im Sinn der dargestellten Rechtslage ermöglicht.

[25] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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