European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00044.24F.0911.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde die strafrechtliche Unterbringung des * S* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet.
[2] Danach hat er von jedenfalls Mitte September 2022 bis zum 15. Oktober 2023, somit über einen ein Jahr übersteigenden Zeitraum, in P* und andernorts unter dem maßgeblichen Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, und zwar einer paranoiden schizophrenen Störung beruht, die minderjährige L* E* widerrechtlich beharrlich verfolgt, indem er in einer Weise, die geeignet war, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt, und zwar zumindest zwei Mal pro Woche (US 4), im Raum einer Glaubensgemeinschaft, an ihrer Wohnadresse und in ihrem Schulbus ihre räumliche Nähe aufsuchte und über Dritte Kontakt zu ihr herstellte, und dadurch das Vergehen der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1, Abs 2 Z 1 und Abs 3 erster Fall StGB begangen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen.
[4] Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung (ON 78 S 31) des Antrags auf Vernehmung der * A* als Zeugin zum Beweis dafür, dass der Tatzeitraum der beharrlichen Verfolgung ein Jahr nicht übersteige (ON 78 S 30), keine Verteidigungsrechte verletzt, weil dem Antrag nicht zu entnehmen war, auf welcher Wahrnehmungsgrundlage es * A* möglich sein sollte, das behauptete Ergebnis zu erweisen. Solcherart lief das Antragsvorbringen auf einen bloßen Erkundungsbeweis hinaus (siehe aber RIS‑Justiz RS0099453 [T1] und Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 330).
[5] Im Rechtsmittel nachgetragenes, den Antrag ergänzendes Vorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (RIS‑Justiz RS0099618).
[6] Die bei rechtlichen Schlüssen allfällige Fehler befürchtende Kritik der Mängelrüge (Z 5), wonach die zeitliche Abfolge der Verfolgungshandlungen in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO), nicht aber im Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) umfassend dargestellt worden sei (siehe dazu im Übrigen RIS‑Justiz RS0116587), übersieht, dass der Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO das Ergebnis der in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck kommenden Entscheidungsfindung formell und resümierend hervorhebt, ohne solcherart eine von den Entscheidungsgründen losgelöste Willenserklärung zum Ausdruck zu bringen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 266). Für die rechtliche Überprüfung des (hier) Vorliegens einer Anlasstat im Sinn des § 21 Abs 1 StGB (Z 9 lit a) sind allein die (von der Beschwerde insoweit nicht relevierten) Feststellungen in den Entscheidungsgründen maßgeblich.
[7] Die Ableitung der Konstatierungen zum Beginn der Tathandlungen spätestens Mitte September 2022 aus den– jeweils für zuverlässig befundenen – Angaben der Zeugin L* E*, wonach der Betroffene mit seinen Annäherungsversuchen am 4. Juni 2022 begonnen habe und sie ihn im Herbst 2022 mehrfach darauf hingewiesen habe, dass sein Verhalten unerwünscht sei (US 9), sowie jenen der Zeugin M* E*, wonach sie der Betroffene am 15. September 2022 gefragt habe, ob er ihre Tochter heiraten dürfe (US 10), ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) keineswegs zu beanstanden.
[8] Die Behauptung, das Erstgericht sei davon ausgegangen, dass der Betroffene L* E* bereits seit September 2022 auch zu Hause oder im Schulbus aufgelauert hätte, ist urteilsfremd, womit sich das darauf abstellende Vorbringen einer inhaltlichen Erwiderung entzieht.
[9] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a, nominell verfehlt auch Z 10 [dazu RIS‑Justiz RS0132762]) die Tatbestandsmäßigkeit der vor Jänner 2023 gesetzten Handlungen des Betroffenen in Abrede stellt, leitet sie nicht aus dem Gesetz ab (RIS‑Justiz RS0116565 und RS0116569), weshalb die erstgerichtlichen Konstatierungen zum zumindest zweimal wöchentlich gegen der erklärten Willen der minderjährigen L* E* jeweils anlässlich des Gottesdienstbesuchs erfolgten Anbieten von (stets zurückgewiesenen) Geschenken, Herbeiführen von Gesprächskontakten und Aussprechen von Komplimenten im deklarierten Bestreben eine Ehe mit L* E* herbeizuführen (US 4 f), für die Bejahung der als Rechtsfrage zu beurteilenden Eignung der gesetzten Verfolgungshandlungen, die Lebensführung der zum Tatzeitpunkt minderjährigen L* E* unzumutbar zu beeinträchtigen (vgl dazu auch Schwaighofer in WK2 § 107a Rz 13), nicht ausreichen sollte.
[10] Die Behauptung eines Rechtsfehlers mangels Festellungen zum Tatbestandselement der beharrlichen Verfolgung über ein Jahr (§ 107a Abs 3 erster Fall StGB) wird nicht auf der Basis der Gesamtheit der Entscheidungsgründe des Erstgerichts entwickelt, wonach der Betroffene spätestens ab Mitte September 2022 bis zum 15. Oktober 2023 zumindest zwei Mal pro Woche die räumliche Nähe der minderjährigen L* E* aufsuchte und sich bemühte, über Dritte Kontakt zu ihr herzustellen (US 4 bis 7), und verfehlt solcherart den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).
[11] Gleiches gilt, soweit die Rechtsrüge die Feststellungen in Bezug auf den während des Tatzeitraums gegebenen Vorsatz des Betroffenen, L* E* widerrechtlich beharrlich zu verfolgen (US 7 f), bestreitet, weil die erfolgreiche Geltendmachung materieller Nichtigkeit striktes Festhalten am Urteilssachverhalt zur Voraussetzung hat (RIS‑Justiz RS0099810).
[12] Weshalb nach Maßgabe der Feststellungen zu Dauer, Dichte und Intensität der Verfolgungshandlungen während des konstatierten Tatzeitraums bei einer – durch die zwangsweise Unterbringung des Betroffenen in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses bedingten – Unterbrechung von einem Monat die für die rechtliche Annahme eines über eine längere Zeit fortgesetzten Verhaltens erforderliche Regelmäßigkeit der Verfolgungshandlungen (vgl dazu Schwaighofer in WK2 StGB § 107a Rz 8 sowie zur insoweit vergleichbaren Bestimmung des § 107b StGB Schwaighofer in WK2 StGB § 107b Rz 23; RIS‑Justiz RS0129716 [T5]) nicht mehr vorliegen sollte, entbehrt der Ableitung aus dem Gesetz (erneut RIS‑Justiz RS0116565). Der Hinweis auf zwei Kommentarstellen (Schwaighofer in WK2 StGB § 107a Rz 8 und § 107b Rz 52) ist unverständlich, weil die von der Beschwerde vertretene Rechtsauffassung darin keine Deckung findet.
[13] Nichtigkeit in Bezug auf die Gefährlichkeitsprognose (Z 11 zweiter Fall) liegt vor, wenn eine der in § 21 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person und Zustand des Rechtsbrechers sowie Art der Tat) vernachlässigt wird oder die aus diesen Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Prognoseentscheidung als willkürlich erscheinen lässt (RIS‑Justiz RS0113980 und RS0118581).
[14] Mit dem Einwand, die Befürchtung der Begehung der vom Erstgericht angenommenen Prognosetaten mit schweren Folgen (US 8, 17 und 20) sei aus der – vom Erstgericht sehr wohl in die Prognose einbezogenen (US 17 und 20) – Art der Anlasstat bloß ein Berufungsvorbringen erstattet (vgl erneut RIS‑Justiz RS0118581 [insb T11]).
[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[16] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)