European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00226.23Y.0827.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.
Der Beschluss des Berufungsgerichts wird im Umfang des Feststellungsbegehrens aufgehoben und das Begehren, es werde mit Wirkung zwischen den Streitteilen festgestellt, dass die beklagte Partei für jeden Schaden hafte, welcher der klagenden Partei aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung im Motortyp EA189 des Audi Q3, Fahrzeugidentifikationsnummer * zukünftig entstehe, abgewiesen. Die Entscheidung über die diesbezüglichen Verfahrenskosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Im Übrigen, sohin hinsichtlich des Begehrens auf Zahlung von 6.000 EUR sA, wird dem Rekurs nicht Folge gegeben.
Die diesbezüglichen Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin kaufte am 30. 6. 2018 bei einem Händler um 20.000 EUR einen Audi Q3 mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor Typ EA189 mit Abgasmanipulationssoftware und Software‑Update samt Thermofenster zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius. Die Klägerin hatte vor dem Kauf vom „Dieselskandal“ gehört. Darüber, ob dieser auch ihr Fahrzeug betreffen könnte, machte sie sich beim Kauf keine Gedanken. Etwa im August 2021 wies sie ein Bekannter darauf hin, dass auch ihr Fahrzeug davon betroffen sein dürfte, woraufhin sie Erkundigungen einholte. Hätte sie gewusst, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung im Auto vorliegt, hätte sie es nicht um 20.000 EUR gekauft.
[2] Die Klägerin begehrte wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung mit der am 20. 10. 2021 eingebrachten Klage die Zahlung von 6.000 EUR an Wertminderungsschaden von 30 % des Kaufpreises sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden Schaden, der ihr aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung im Fahrzeug entstehe. Sie stützte ihre Ansprüche im Wesentlichen auf Haftung aus Schutzgesetzverletzung (VO [EG] 715/2007), aus arglistiger Täuschung (§ 874 ABGB) und aus absichtlich sittenwidriger Schädigung (§ 1295 Abs 2 ABGB).
[3] Die Beklagte bestritt das Vorliegen eines Mangels und wendete Verjährung ein.
[4] Das Erstgericht gab der Klage statt. Aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung hafte die Beklagte der Klägerin gegenüber wegen Schutzgesetzverletzung für den im Minderwert des Fahrzeugs gelegenen Schaden.
[5] Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Der Entwickler des Motors könne nicht wegen Schutzgesetzverletzung in Anspruch genommen werden. Für die Beurteilung der weiteren Klagegründe vermisste das Berufungsgericht erkennbar die erforderlichen Feststellungen. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ es unter Verweis auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Linz zu.
[6] Die Beklagte beantragt mit ihrem – vom Kläger beantworteten – Rekurs, die Klage vollständig abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
[7] Der Rekurs ist wegen eines Abweichens des Berufungsgerichts von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zulässig und – in Bezug auf das Feststellungsbegehren – teilweise berechtigt.
1. Zur Verjährung
[8] 1.1. Der Oberste Gerichtshof hat zu vergleichbaren Konstellationen im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal bereits mehrfach ausgesprochen, dass die dreijährige Verjährungsfrist ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Käufer davon Kenntnis erlangt, dass trotz eines vermeintlich erfolgreichen Software-Updates nach wie vor vom Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen ist (ua 9 Ob 33/23b; 6 Ob 122/23v; 10 Ob 31/23s; 7 Ob 169/23p; 8 Ob 76/23v; 1 Ob 34/24t).
[9] 1.2. Nach den Feststellungen hat die Klägerin erst im August 2021 erfahren, dass ihr (bereits über ein Software-Update verfügendes) Fahrzeug von der Abgasmanipulation betroffen sein dürfte. Das Erstgericht (das Berufungsgericht hat sich mit dieser Frage nicht auseinandergesetzt) hat daher die Verjährung der am 20. 10. 2021 eingebrachten Klage zutreffend verneint.
2. Zum Leistungsbegehren
[10] 2.1. Es entspricht der mittlerweile gesicherten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass eine deliktische Haftung aus der vom EuGH beurteilten Schutzgesetzverletzung wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung (nur) den Fahrzeughersteller, der Inhaber der EG‑Typengenehmigung ist und die Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat, trifft (3 Ob 40/23p Rz 33; RS0134616).
[11] 2.2. Dessen ungeachtet ist jedoch eine (unmittelbare) Haftung der Beklagten als Herstellerin des Motors nach § 874, § 1295 Abs 2 ABGB denkbar (3 Ob 40/23p Rz 34; 6 Ob 161/22b Rz 30 ff; konkret zur Marke Audi: 6 Ob 149/23i; 10 Ob 31/23s; 2 Ob 158/23h Rz 16).
[12] 2.3. List iSd § 870 ABGB ist rechtswidrige, vorsätzliche Täuschung (RS0014821), wobei dolus eventualis ausreicht (RS0014837). Das Verhalten des Täuschenden und damit der Irrtum muss für den Vertragsabschluss kausal sein (RS0014790): Der Vertragsschließende wird durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen in Irrtum geführt oder durch Unterdrückung wahrer Tatsachen in seinem Irrtum belassen oder bestärkt und dadurch zum Vertragsabschluss bestimmt (RS0014827 [T4, T5]). Nach § 1295 Abs 2 ABGB ist schadenersatzpflichtig, wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise absichtlich Schaden zufügt. Auch dafür genügt bedingter Vorsatz (6 Ob 161/22b Rz 35; RS0026603). Eine Haftung der Beklagten setzt somit voraus (vgl 10 Ob 31/23s Rz 53 f), dass ihr zurechenbare Personen es zumindest für möglich hielten und sich damit abfanden, dass sie bewirkten oder dazu beitrugen, dass der gegenständliche Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung an Fahrzeugkäufer wie der Klägerin verkauft wird, die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Fahrzeuge ohne unzulässige Abschalteinrichtung erwerben wollten und ohne diesen Irrtum keinen (oder zumindest einen inhaltlich anderen) Kaufvertrag schließen würden. Wäre Ergebnis des Verfahrens, dass der Beklagten hinsichtlich der Umschaltlogik ein arglistig herbeigeführter Irrtum oder eine absichtliche Schadenszufügung in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise nachgewiesen werden würde, entfiele ihre Haftung zudem nicht bei fehlendem Verschulden (oder einem Mangel von Arglist oder Schädigungsabsicht) zum Thermofenster (6 Ob 149/23i Rz 16; 2 Ob 158/23h mwN).
[13] 2.4. Ob dies – wie die Klägerin im Verfahren behauptete – der Fall ist, kann aber mangels diesbezüglicher Feststellungen der Tatsacheninstanzen derzeit noch nicht beurteilt werden. Die Feststellungen reichen bloß hin, um die Kausalität einer allfälligen Irreführung oder absichtlichen Schadenszufügung zu bejahen; insbesondere zum Tatsachenkomplex zur Beurteilung des Verschuldens der Beklagten fehlen hingegen jegliche Feststellungen. Der angefochtene Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts ist daher bezüglich des Leistungsbegehrens zu bestätigen.
3. Zum Feststellungsbegehren
[14] 3.1. Der Beklagten ist darin beizutreten, dass das Feststellungsbegehren spruchreif ist und nicht zu Recht besteht.
[15] 3.2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass das Risiko des Entzugs der Zulassung in die Bemessung des Schadenersatzes für die Wertminderung einfließt und der Käufer dadurch so gestellt wird, als ob ihm die unzulässige Abschalteinrichtung bereits beim Erwerb des Fahrzeugs bekannt gewesen wäre (10 Ob 27/23b; 8 Ob 105/23h; 8 Ob 109/23x; 8 Ob 70/23m ua). Entschließt sich der Käufer dazu, keine Rückabwicklung des Vertrags anzustreben, sondern das Fahrzeug gegen Ersatz des Minderwerts weiter zu behalten, so nimmt er das Risiko allfälliger zukünftiger Schäden bewusst in Kauf, sodass er fortan keine weiteren Schadenersatzansprüche mehr stellen kann (vgl 8 Ob 105/23h; 9 Ob 10/23w; 4 Ob 38/24b Rz 19 mwN).
[16] 3.3. Das Feststellungsbegehren ist daher mangels Feststellungsinteresses mittels Teilurteils abzuweisen.
[17] 4. Der Kostenvorbehalt beruht hinsichtlich des Teilurteils auf § 52 Abs 4 ZPO und im Übrigen auf § 52 Abs 1 letzter Satz ZPO.
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