OGH 8Ob105/23h

OGH8Ob105/23h17.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei S* GmbH,*, vertreten durch die Poduschka Partner AnwaltsgesellschaftmbH in Linz, gegen die beklagte Partei A* AG,*, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 16.500 EUR sA und Feststellung, über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 4. Juli 2023, GZ 3 R 71/23s‑39, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 31. März 2023, GZ 2 Cg 90/20t‑33, bestätigt wurde,

I. zu Recht erkannt:

 

Der Revision der klagenden Partei wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung als Teilurteil lautet:

„Das Klagebegehren, es werde mit Wirkung zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei festgestellt, dass die beklagte Partei für jeden Schaden hafte, welcher der klagenden Partei aus dem Softwareupdate des von ihr erworbenen Fahrzeugs Porsche Macan S 3.0 Diesel mit dem darin verbauten Dieselmotor der Type EA897evo zukünftig entstehe, wird abgewiesen.

Die Kostenentscheidung des Teilurteils bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“

II. den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00105.23H.1117.001

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Im vom Teilurteil nicht berührten Umfang – also in Ansehung des Zahlungsbegehrens – wird die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin erwarb am 18. 9. 2010 einen etwa drei Jahre alten Gebrauchtwagen der Type Porsche Macan S 3.0 Diesel zum Preis von 55.000 EUR. Das Fahrzeug war vom sogenannten Abgasskandal betroffen, weshalb am 7. 3. 2019 ein Software‑Update durchgeführt worden war, welches die Abgasrückführung unterhalb von 5 Grad Celsius reduziert, um Verschmutzungen des Motors und den Ausfall der Abgasrückführung zu verhindern, wodurch das Fahrzeug nur mehr im Notlauf mit eingeschränkter Leistung betrieben werden könnte. Im Jahr 2020 betrug die Jahresdurchschnittstemperatur in Österreich 8,2 Grad Celsius.

[2] Die Klägerin begehrt 16.500 EUR sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden, die ihr aus dem Erwerb des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entstehen würden. Die Beklagte habe die Klägerin vorsätzlich darüber getäuscht, dass das Emissionskontrollsystem über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfüge und das Fahrzeug deshalb nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entspreche, sodass sie ein überteuertes Fahrzeug erworben habe, bei dem künftige Schäden an der Abgasrückführung nicht auszuschließen seien.

[3] Die Beklagte wendet ein, dass das Fahrzeug durch das Software‑Update den geltenden Zulassungsvorschriften entspreche, wie dies auch vom Kraftfahrt‑Bundesamt bestätigt worden sei. Die Beklagte sei auch nicht passivlegitimiert, weil allfällige Ansprüche gegenüber dem Fahrzeughersteller geltend zu machen seien.

[4] Das Erstgericht wies die Klage ab, weil das Fahrzeug im Zeitpunkt des Ankaufs durch die Klägerin den geltenden Zulassungsvorschriften entsprochen habe.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Das Fahrzeug habe den geltenden Zulassungsvorschriften entsprochen, weil die Abgasrückführung angesichts der in Österreich herrschenden Temperaturen den überwiegenden Teil des Jahres uneingeschränkt funktioniere und die Reduktion der Abgasrückführung bei niedrigen Temperaturen den Motor vor Beschädigung schütze. Da die Beklagte nicht Fahrzeughersteller sei, hafte sie auch nicht für eine allenfalls unrichtige Übereinstimmungsbescheinigung. Selbst wenn sich die Motorsteuerung auch nach dem Software‑Update als unzulässig erweisen sollte, habe die Beklagte die Klägerin doch nicht vorsätzlich getäuscht.

[6] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf die Frage der Haftung eines Motorenzulieferers, der nicht Fahrzeughersteller ist, zulässig sei.

[7] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Abänderung des Urteils dahin anstrebt, dass der Klage stattgegeben, in eventu die Entscheidung aufgehoben werde.

[8] Die Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision der Klägerin ist zulässig, weil unter Beachtung der neueren Rechtsprechung eine Korrektur der Entscheidung des Berufungsgerichts erforderlich ist; sie ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch teilweise berechtigt.

[10] 1. Aus der Entscheidung des EuGH zu C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen (Rz 80), ergibt sich, dass es sich beim sogenannten Thermofenster um eine Abschalteinrichtung handelt, die nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG allein unter der Voraussetzung zulässig sein kann, dass nachgewiesen wird, dass diese Einrichtung notwendig ist, um eine konkrete Gefahr beim Betrieb des Fahrzeugs durch Beschädigung des Motors oder Unfälle zu vermeiden, weil keine andere technische Lösung diese Gefahr abwenden kann. Den Feststellungen des Erstgericht lässt sich aber nicht entnehmen, ob allfällige Gefahren beim Betrieb des Fahrzeugs, wie sie mit einer uneingeschränkten Abgasrückführung auch unterhalb von 5 Grad Celsius allenfalls verbunden sind, durch andere technische Lösungen vermieden werden könnten, sodass die Zulässigkeit der im Fahrzeug der Klägerin verbauten Abschalteinrichtung noch nicht beurteilt werden kann.

[11] 2. Die VO 715/2007/EG , auf welche sich die Klägerin stützt, regelt die Anforderungen, welche die Hersteller von Neufahrzeugen erfüllen müssen, um eine EG‑Typengenehmigung zu erhalten. Der EuGH hat zu C‑100/21 , QB gegen Mercedes Benz Group AG, ausgesprochen, dass diese Regelungen neben den allgemeinen Rechtsgütern auch die Interessen des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Hersteller des Fahrzeugs schützen, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Dementsprechend hat der Oberste Gerichtshof bereits zu 3 Ob 40/23p darauf hingewiesen, dass eine deliktische Haftung aus Schutzgesetzverletzung wegen Verstoßes gegen Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG ausschließlich den Fahrzeughersteller als Inhaber der EG‑Typengenehmigung und Aussteller der Übereinstimmungsbescheinigung trifft, sodass eine Haftung der Beklagten nur nach § 875 und § 1295 Abs 2 ABGB denkbar ist.

[12] 3. Die Haftung für listiges Verhalten nach § 875 ABGB setzt eine vorsätzliche Täuschung voraus (RIS‑Justiz RS0014790; RS0014805). Auch ein Anspruch wegen sittenwidriger Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB erfordert, dass der Schaden zumindest vom bedingten Vorsatz des Schädigers umfasst ist (RS0026603; RS0132814). Die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Beklagte nicht vorsätzlich gehandelt habe, ist von den Feststellungen des Erstgerichts nicht gedeckt. Ergänzende Feststellungen dürfte das Berufungsgericht nur nach einer Beweiswiederholung oder Beweisergänzung treffen (RS0043026; RS0043057). Damit lässt sich eine Haftung der Beklagten derzeit auch mangels Feststellungen zum Täuschungsvorsatz nicht beurteilen.

[13] 4. Zum Feststellungsbegehren ist auszuführen, dass der Oberste Gerichtshof zu 10 Ob 27/23b ausgesprochen hat, dass das Risiko des Entzugs der Zulassung in die Bemessung des Schadenersatzes für die Wertminderung einfließt und der Käufer dadurch so gestellt wird, als ob ihm die unzulässige Abschalteinrichtung bereits beim Erwerb des Fahrzeugs bekannt gewesen wäre. Entschließt sich der Käufer dazu, keine Rückabwicklung des Vertrags anzustreben, sondern das Fahrzeug gegen Ersatz des Minderwerts weiter zu behalten, so nimmt er das Risiko allfälliger zukünftiger Schäden bewusst in Kauf, sodass er fortan keine weiteren Schadenersatzansprüche mehr stellen kann.

[14] 5. Im Ergebnis ist die Abweisung des Feststellungsbegehrens in der Form eines Teilurteils zu bestätigen, während die Entscheidung über das Begehren auf Ersatz des Minderwerts aufzuheben und die Rechtssache insoweit an das Erstgericht zurückzuverweisen ist. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht feststellen müssen, ob die Beklagte bei der Entwicklung des Software‑Updates mit Täuschungsvorsatz handelte und/oder allfällige mit der Abgasrückführung unterhalb von 5 Grad Celsius verbundene Gefahren durch andere technische Lösungen vermieden werden können.

[15] 6. Der Kostenausspruch im Teilurteil beruht auf § 52 Abs 4 ZPO, der Kostenvorbehalt im Aufhebungsbeschluss auf § 52 Abs 1 ZPO.

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