OGH 2Ob110/24a

OGH2Ob110/24a25.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende und die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger sowie die Hofrätin Mag. Fitzals weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch Dr. Stephan Duschel ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei G*, vertreten durch Dr. Christian Strobl, Rechtsanwalt in Hartberg, wegen 20.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 24. April 2024, GZ 7 R 68/23h‑42, womit über Berufungen beider Streitteile das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 25. September 2023, GZ 23 Cg 2/22h‑30, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00110.24A.0725.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.000,75 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 166,79 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die 2021 verstorbene Erblasserin hinterließ (unter anderem) zwei Söhne, die nunmehrigen Streitteile. Die Pflichtteilsquote des Klägers beträgt ein Achtel. Die Erblasserin übertrug dem Beklagten am 28. Dezember 2015 eine in ihrem Alleineigentum stehende bebaute Liegenschaft in teilweiser Schenkungsabsicht. Der Beklagte verpflichtete sich im Übergabsvertrag, der Erblasserin ein Wohnungsgebrauchsrecht am Haus einzuräumen und ihr „im Fall von Krankheit und Gebrechlichkeit“ Verpflegung bereitzustellen, für sie Reinigungsarbeiten, Besorgungen und Einkäufe vorzunehmen und ihr die „ordentliche und aufmerksame Pflege und Betreuung“ zukommen zu lassen. Außerdem verpflichtete er sich im Vertrag zur Tragung der Begräbniskosten, die sich – nach Überlassung der vorhandenen Aktiva aus der Verlassenschaft an Zahlungs statt an ihn – aber nur auf 376,30 EUR beliefen. Die Erblasserin war beim Vertragsabschluss nicht pflegebedürftig. Der Wert der Liegenschaft betrug im Zeitpunkt des Einlangens des später bewilligten Grundbuchsgesuchs am 15. Jänner 2016 113.100 EUR, die vereinbarten Pflege- und Betreuungsleistungen entsprachen in eben diesem Zeitpunkt (nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechnet) einem Wert von 69.600 EUR.

[2] Der Kläger begehrt die Zahlung von 20.000 EUR sA bei sonstiger Exekution in die geschenkte Liegenschaft, die aufgewertet auf den Todeszeitpunkt einen Wert von zumindest 160.000 EUR repräsentiere. Die vertraglich vereinbarten Ausgedingeleistungen seien als Einheit mit dem bei der Berechnung des Pflichtteils nicht zu berücksichtigenden Wohnungsgebrauchsrecht der Erblasserin zu sehen, sodass die Schenkungsquote tatsächlich 100 % betrage.

[3] Der Beklagte erwidert, dass eine gemischte Schenkung vorliege, die nur mit ihrem Schenkungsanteil zu berücksichtigen sei.

[4] Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren mit 6.049,61 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren von 13.950,39 EUR sA ab. Es liege eine gemischte Schenkung vor. Die für die Anrechnung relevante Schenkungsquote ergebe sich aus dem Verhältnis des Werts der übergebenen Sache im Zeitpunkt des Einlangens des Grundbuchsgesuchs zum Wert der Gegenleistung. Das der Erblasserin eingeräumte Wohnungsgebrauchsrecht sei nach der Rechtsprechung bei Berechnung der Schenkungsquote nicht zu berücksichtigen. Die Ausgedingeleistungen seien hingegen als Gegenleistung nach versicherungsmathematischen Grundsätzen zu veranschlagen. Unter weiterer Berücksichtigung der geringfügigen, im Ergebnis vom Beklagten getragenen anteiligen Begräbniskosten errechne sich eine Schenkungsquote von 38,13 %. Nach gebotener Aufwertung errechne sich der Pflichtteil des Klägers mit 6.049,61 EUR.

[5] Das von beiden Streitteilen angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die in der Entscheidung 2 Ob 96/16f aufgestellten Grundsätze zur Berücksichtigung von Gegenleistungen bei gemischten Schenkungen seien auch im Anwendungsbereich des ErbRÄG 2015 gültig. Entscheidend für die Bewertung der Gegenleistung sei nicht das tatsächliche Ausmaß der Pflegebedürftigkeit der Erblasserin. Vielmehr seien (versicherungs‑)mathematische Wahrscheinlichkeiten maßgeblich.

[6] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Frage zu, ob Ausgedingeleistungen im Anwendungsbereich des ErbRÄG 2015 für die Bemessung des Pflichtteils deswegen außer Ansatz zu lassen seien, weil bereits im Übergabszeitpunkt sicher festgestanden sei, dass sie im Zeitpunkt der Erbfalls weggefallen sein werden.

[7] Gegen die Abweisung eines Klagebegehrens von 9.816,14 EUR sA richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, dem Klagebegehren im Umfang der Anfechtung stattzugeben. Hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

[8] Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

[10] Der Kläger argumentiert, dass kein sachlicher Grund vorliege, zwischen der Einräumung eines Wohnungsgebrauchsrechts und der Zusage von Ausgedingeleistungen zu differenzieren, weil in beiden Fällen bereits im Zeitpunkt der Übergabe mit Sicherheit feststehe, dass die Belastung im Zeitpunkt des für die Pflichtteilswidrigkeit maßgeblichen Erbanfalls weggefallen sein werde. Eine Berücksichtigung der Ausgedingeleistungen könne daher nicht erfolgen. Maßgeblich für die Bewertung der Ausgedingeleistungen seien im Übrigen nicht versicherungsmathematische Grundsätze, sondern der im Vertragsabschlusszeitpunkt vorhersehbare Gesundheitszustand der Erblasserin.

Dazu hat der Fachsenat erwogen:

[11] 1. Nach der zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 ergangenen Rechtsprechung ist bei der Berücksichtigung von dem Erblasser vorbehaltenen Nutzungsrechten bei der Überlassung von Liegenschaften – insbesondere im Zusammenhang mit gemischten Schenkungen – zwischen zwei Fragen zu unterscheiden: Erstens der Frage, ob überhaupt eine (gemischte) Schenkung vorliegt. Zweitens der Frage, wie im Fall der Bejahung der ersten Frage bei der darauffolgenden Berechnung des (nach der Diktion vor dem ErbRÄG 2015) Schenkungspflichtteils vorzugehen ist (2 Ob 96/16f Punkt 2.1. mwN).

[12] 1.1. Für die erste Frage ist nach der zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 ergangenen Rechtsprechung bedeutsam, ob ein krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt. Diese Frage muss nach den Umständen, insbesondere nach den Wertverhältnissen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt werden (6 Ob 185/04f Punkt II. mwN; vgl RS0019380). Bei der Bewertung der übergebenen Liegenschaft sind alle Belastungen als wertmindernd zu berücksichtigen, die der Übernehmer zu übernehmen hatte (einschließlich der zugunsten des Übergebers bestellten persönlichen Dienstbarkeiten). Als Gegenleistung ist aber nur eine aus dem Vermögen des Übernehmers (allenfalls auch aus dem Vermögen eines Dritten für ihn) erbrachte Leistung zu veranschlagen, nicht etwa auch der Vorbehalt von Nutzungen und sonstigen Befugnissen eines Eigentümers, die dem Übergeber kraft seines Eigentums zustanden und die er sich zum Teil über den Übergabszeitpunkt hinaus, unter Umständen bis zu seinem Ableben für sich vorbehält. Leistungen, zu denen sich der Übernehmer dritten Personen gegenüber verpflichten muss, haben im Verhältnis zum Übergeber Entgeltcharakter (RS0012978).

[13] 1.2. Für die zweite Frage ist nach der zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 ergangenen Rechtsprechung zunächst eine Schenkungsquote zu ermitteln (2 Ob 202/17w Punkt 3.), um beantworten zu können, welcher Teil einer nicht zur Gänze unentgeltlichen Zuwendung tatsächlich als geschenkt angesehen werden kann. Dafür sind Gegenleistungen des Übernehmers vom Wert des übergebenen Vermögens abzuziehen. Das Verhältnis zwischen dem Wert des geschenkten Teils und jenem der gesamten Zuwendung ist die in einem Prozentsatz ausdrückbare Schenkungsquote. Grundlage für die Bemessung des Schenkungspflichtteils ist der dieser Quote entsprechende Teil des Werts des übergebenen Vermögens im Zeitpunkt des Erbanfalls (2 Ob 91/18y Punkt 2.2. mwN). Die zum Zeitpunkt des Erbanfalls gesichert wegfallenden Nutzungsrechte haben nach der Rechtsprechung des Fachsenats zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 schon bei der Ermittlung des Schenkungsanteils unberücksichtigt zu bleiben (2 Ob 96/16f Punkte 2.3. und 3.4.; 2 Ob 8/17s Punkt 3.6.; 2 Ob 91/18y Punkt 2.2.).

[14] 2. Der Fachsenat hat zur hier anzuwendenden Rechtslage nach dem ErbRÄG 2015 bereits wiederholt ausgesprochen, dass der Wert einer vom Erblasser bei der Übergabe einer Liegenschaft vorbehaltenen lebenslangen Personaldienstbarkeit, wiewohl diese Belastung auf den Zeitpunkt des Empfangs bezogen den Liegenschaftswert erheblich verminderte, bei der Schenkungshinzurechnung und der Schenkungsanrechnung für die Bemessung des Pflichtteils außer Ansatz zu lassen ist, weil bereits im Übergabszeitpunkt mit völliger Sicherheit feststand, dass in dem für die Beurteilung der Pflichtteilswidrigkeit maßgebenden Zeitpunkt des Erbanfalls die Belastung weggefallen sein wird (RS0133183).

[15] Aus der Fortschreibung dieser bereits zur alten Rechtslage vertretenen Grundsätze zur Hinzu- und Anrechnung von vorbehaltenen Nutzungsrechten folgt, dass zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auch die in Punkt 1.2. dargestellte Rechtsprechung im Anwendungsbereich des ErbRÄG 2015 in ihren Grundzügen fortzuschreiben ist. Es gilt damit weiterhin, dass die zum Zeitpunkt des Erbanfalls gesichert wegfallenden Nutzungsrechte schon bei der Ermittlung des Schenkungsanteils unberücksichtigt zu bleiben haben (Musger in KBB7 § 788 ABGB Rz 5; idS wohl auch Welser, Erbrechts-Kommentar § 781 ABGB Rz 23).

[16] Ob zur Ausmittlung der Schenkungsquote im Anwendungsbereich des ErbRÄG 2015 – unter Berücksichtigung der soeben gemachten Ausführungen – auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (so Umlauft in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 788 ABGB Rz 25) oder auf jenen Zeitpunkt abzustellen ist, in dem die Schenkung „wirklich gemacht“ wurde (so wohl Welser, Erbrechts-Kommentar § 781 ABGB Rz 23), kann hier dahinstehen, weil zwischen dem Vertragsabschluss und dem Zeitpunkt des Einlangens des später bewilligten Grundbuchsgesuchs, in dem die Schenkung wirklich gemacht wurde (2 Ob 119/20v Rz 41 mwN), nur wenige Wochen liegen und insoweit keine Änderung der festgestellten Werte zu erwarten ist (2 Ob 119/20v Rz 42; vgl auch Umlauft in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 788 ABGB Rz 25).

[17] 3. Die Vorinstanzen ermittelten die Schenkungsquote, indem sie den Verkehrswert(unter Außerachtlassung des der Erblasserin eingeräumten Wohnungsgebrauchsrechts) und die nach versicherungsmathematischen Grundsätzen bewerteten Gegenleistungen (Ausgedingeleistungen) einander zum Zeitpunkt, in dem die (gemischte) Schenkung wirklich gemacht wurde, gegenüberstellten. Dies entspricht der soeben dargelegten Rechtslage.

[18] Die auf eine Gleichbehandlung von Gegenleistungen einerseits und (potenziell) wertmindernden Umständen andererseits abzielende Argumentation des Klägers überzeugt nicht. Die nach den vertraglichen Verpflichtungen geschuldeten Leistungen des Geschenknehmers, deren Erbringung ein aktives Tun voraussetzt und die regelmäßig zu einer Reduktion des Vermögens des Geschenknehmers führen, können nämlich nicht ohne Weiteres mit dem Vorbehalt von Nutzungen und sonstigen Befugnissen eines Eigentümers durch den Geschenkgeber gleichgesetzt werden. Die zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 ergangene Rechtsprechung begegnet damit unter diesem Blickwinkel keinen Bedenken und ist – wie bereits dargestellt – auch im Anwendungsbereich des ErbRÄG 2015 fortzuschreiben.

[19] Die grundbuchsrechtliche Entscheidung 5 Ob 44/15d steht diesem Ergebnis nicht entgegen, ergibt sich doch daraus kein Gebot einheitlicher Beurteilung sämtlicher im Rahmen eines Ausgedinges vereinbarter Rechte im pflichtteilsrechtlichen Zusammenhang.

[20] 4. Bei den im Rahmen einer gemischten Schenkung vertraglich geschuldeten Gegenleistungen kommt es nicht auf die tatsächliche Erfüllung der vertraglichen Pflichten, sondern auf das im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu kalkulierende Ausmaß der vertraglich geschuldeten Gegenleistungen an (RS0012945). Der Wert von Ausgedingeleistungen ist daher nach versicherungsmathematischen Grundsätzen zu berechnen (RS0012965 [T7]). In diesem Rahmen kann auch der Gesundheitszustand Berücksichtigung finden (vgl RS0010077).

[21] Diesen Vorgaben der Rechtsprechung, die auch im Anwendungsbereich des ErbRÄG 2015 zu beachten sind, tragen die Entscheidungen der Vorinstanzen Rechnung. Mit seinem Hinweis, dass nicht auf versicherungsmathematische Grundsätze, sondern stets die Umstände des Einzelfalls abzustellen sei, zielt der Kläger im Ergebnis auf das – rechtlich nicht relevante – Ausmaß der tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen ab.

[22] 5. Der Revision war damit insgesamt nicht Folge zu geben.

[23] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO.

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