European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E122193
Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es einschließlich der bereits in Rechtskraft erwachsenen Teile lautet:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 24.198,22 EUR samt 4 % Zinsen aus 94.198,22 EUR vom 16. 2. 2016 bis 7. 4. 2016 und aus 24.198,22 EUR ab 8. 4. 2016 zu zahlen. Das Mehrbegehren auf Zahlung von 119.244,28 EUR samt Zinsen wird abgewiesen.“
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen einen mit 14.438,64 EUR bestimmten Anteil an den Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz (darin 2.406,44 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen einen mit 1.768,33 EUR bestimmten Anteil an den Barauslagen des Verfahrens erster und zweiter Instanz und die mit 1.216,91 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 715 EUR Barauslagen und 83,65 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Mutter der Parteien starb am 3. November 2011. Ihr Nachlass war mit 40.273,78 EUR überschuldet. Sie hatte der Beklagten mit Vertrag vom 1. Dezember 1993 Liegenschaften mit einem Wert von damals 568.380 EUR übergeben. Im Gegenzug übernahm die Beklagte Schulden von 290.700 EUR und räumte der Übergeberin ein Wohnrecht ein. Im Todeszeitpunkt hatten die Liegenschaften einen Wert von 853.770 EUR. Die Beklagte leistete auf den zunächst außergerichtlich geltend gemachten Pflichtteilsanspruch der Klägerin 70.000 EUR.
Die Klägerin begehrt zuletzt 143.442,50 EUR samt Zinsen. Die Beklagte schulde ihr den Schenkungspflichtteil nach § 785 iVm § 951 ABGB idF vor dem ErbRÄG 2015. Der Pflichtteil betrage ein Viertel, Verbindlichkeiten seien nicht zu berücksichtigen.
Die Beklagte wendet, soweit noch relevant, ein, dass die Verbindlichkeiten und die Überschuldung des Nachlasses zu berücksichtigen seien.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit einer rechnerisch nicht nachvollziehbaren Begründung ab.
Das Berufungsgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 19.240,31 EUR samt Zinsen, bestätigte die Abweisung des Mehrbegehrens und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Der Übergabevertrag sei eine gemischte Schenkung gewesen. Bei der Ermittlung der Schenkungsquote seien sowohl die übernommenen Verbindlichkeiten als auch die Überschuldung des Nachlasses zu berücksichtigen, nicht jedoch das Wohnrecht. Auf dieser Grundlage betrage die Schenkungsquote 41,81 %. Bemessungsgrundlage für den Pflichtteil seien daher 41,81 % des Werts der Liegenschaften im Zeitpunkt des Erbfalls, also 356.961,24 EUR. Ein Viertel davon seien 89.240,31 EUR, sodass sich abzüglich der Teilzahlung von 70.000 EUR ein Zuspruch von 19.240,31 EUR ergebe.
Mit ihrer außerordentlichen Revision begehrt die Klägerin den Zuspruch von weiteren 4.957,91 EUR. Zwar seien die Verbindlichkeiten bei der Ermittlung der Schenkungsquote zu berücksichtigen. Die Überschuldung des Nachlasses sei demgegenüber erst für die Bemessung des Pflichtteils relevant. Sie sei daher nicht vom Wert der Liegenschaften im Schenkungszeitpunkt, sondern erst vom Wert des Schenkungsanteils im Todeszeitpunkt abzuziehen.
Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision nicht zuzulassen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben. Die Entscheidung des Berufungsgerichts treffe zu.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist auch berechtigt.
1. Im Revisionsverfahren ist – auch aufgrund der insofern überzeugenden Begründung des Berufungsgerichts – nicht strittig, dass
- der Anspruch wegen des Todes der Erblasserin vor dem 1. Jänner 2017 nach den erbrechtlichen Regelungen vor dem ErbRÄG 2015 zu beurteilen ist (§ 1503 Abs 7 Z 2 ABGB idF des ErbRÄG 2015),
- der Anspruch der Klägerin dem Grunde nach zu Recht besteht und die Pflichtteilsquote ein Viertel beträgt,
- eine gemischte Schenkung vorlag,
- für die Ermittlung der Schenkungsquote jedenfalls die übernommenen Verbindlichkeiten vom damaligen Wert der Liegenschaften abzuziehen sind (2 Ob 96/16f mwN),
- der Wert des Wohnrechts für die Schenkungsquote unerheblich ist, weil dieses Recht mit dem Tod der Erblasserin erlischt (2 Ob 96/16f, 2 Ob 8/17s),
- für die Bemessung des Pflichtteils der Wert des Schenkungsanteils im Todeszeitpunkt maßgebend ist (RIS-Justiz RS0012984),
- die Überschuldung des Nachlasses für die Bemessung des Pflichtteils grundsätzlich zu berücksichtigen ist.
Gegenstand des Verfahrens ist daher ausschließlich die Frage, wie diese Überschuldung in die Ermittlung des Pflichtteils einzufließen hat. Nach der nicht weiter begründeten Auffassung des Berufungsgerichts vermindert sie schon die Schenkungsquote, nach Auffassung der Klägerin ist sie erst vom Wert des Schenkungsanteils im Zeitpunkt des Erbanfalls abzuziehen.
2. Die Auffassung der Klägerin trifft zu.
2.1. Zweck der §§ 785, 951 ABGB ist es, den Pflichtteilsberechtigten so zu stellen, wie er stünde, wenn die Schenkung unterblieben wäre (1 Ob 525/92 SZ 65/39, RIS‑Justiz RS0012936). In diesem Fall wäre die geschenkte Sache noch im Nachlass und erhöhte so die Bemessungsgrundlage für den Pflichtteil. Bei Überschuldung des Nachlasses führt diese Sichtweise dazu, dass nicht der gesamte Wert der geschenkten Sache als Bemessungsgrundlage für den Pflichtteil dienen kann, sondern nur jener Teil, der auch unter Berücksichtigung der Überschuldung einen positiven Nachlasswert gebildet hätte. Die Überschuldung ist daher vom Wert der Schenkung abzuziehen, was bei hoher Überschuldung dazu führen kann, dass trotz hinzuzurechnender Schenkungen – mangels positiver Bemessungsgrundlage – überhaupt kein Pflichtteilsanspruch besteht (1 Ob 525/92 SZ 65/39; RIS‑Justiz RS0012960).
2.2. Hingegen geht es bei der Ermittlung der Schenkungsquote um die Frage, welcher Teil einer nicht zur Gänze unentgeltlichen Zuwendung tatsächlich als geschenkt iSv § 785 ABGB aF angesehen werden kann (2 Ob 202/17w mwN). Dafür sind Gegenleistungen des Übernehmers – nicht jedoch mit dem Tod des Übergebers erlöschende Lasten (2 Ob 96/16f, 2 Ob 8/17s) – vom Wert des übergebenen Vermögens abzuziehen. Das Verhältnis zwischen dem Wert des geschenkten Teils und jenem der gesamten Zuwendung ist die in einem Prozentsatz ausdrückbare Schenkungsquote. Grundlage für die Bemessung des Schenkungspflichtteils ist der dieser Quote entsprechende Teil des Werts des übergebenen Vermögens im Zeitpunkt des Erbanfalls (2 Ob 96/16f mwN).
2.3. Aus diesen Erwägungen folgt, dass die Überschuldung des Nachlasses erst bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen ist. Denn bei der Bestimmung der Schenkungsquote geht es um die Frage, welcher Teil des übergebenen Vermögens aufgrund des konkreten Vertrags als geschenkt anzusehen ist. Dafür kann zwar eine im Vertrag begründete Verpflichtung zur Zahlung von Begräbniskosten relevant sein (2 Ob 96/16f), nicht aber eine zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbare und vor allem mit dem Vertrag in keinem Zusammenhang stehende Überschuldung des Nachlasses. Diese ist vielmehr vom Wert des Schenkungsanteils im Zeitpunkt des Erbanfalls abzuziehen. Denn nur dadurch kann der Pflichtteilsberechtigte so gestellt werden, wie er stünde, wenn der Schenkungsanteil des übergebenen Vermögens zu diesem Zeitpunkt noch im Nachlass gewesen wäre.
3. Auf dieser Grundlage ist der Anspruch der Klägerin wie folgt zu berechnen: Vom Wert der Liegenschaften im Übergabezeitpunkt (568.380 EUR) sind die übernommenen Verbindlichkeiten (290.700 EUR) abzuziehen, was einen Wert des Schenkungsanteils von 277.680 EUR ergibt. Die Schenkungsquote (das Verhältnis des Schenkungsanteils zum Gesamtwert) beträgt somit 48,85 %. Der für die Pflichtteilsbemessung maßgebende Wert des Schenkungsanteils errechnet sich daher mit 48,85 % des Werts der Liegenschaften im Zeitpunkt des Erbanfalls (853.770 EUR), das sind 417.066,65 EUR. Davon ist die Überschuldung des Nachlasses von 40.273,78 EUR abzuziehen, was eine Bemessungsgrundlage für den Pflichtteil von 376.792,87 EUR ergibt. Ein Viertel davon sind 94.198,22 EUR, woraus sich nach Abzug der Teilzahlung von 70.000 EUR ein offener Anspruch von 24.198,22 EUR ergibt.
4. Aus diesen Gründen hat die Revision der Klägerin Erfolg. Das Berufungsurteil ist dahin abzuändern, dass der Klägerin zusätzlich zum bereits rechtskräftigen Zuspruch von 19.240,31 EUR ein weiterer Betrag von 4.957,91 EUR zuerkannt wird.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich für das Verfahren erster Instanz auf § 43 Abs 1 ZPO, für das Berufungsverfahren auf § 43 Abs 1 ZPO iVm § 50 ZPO und für das Revisionsverfahren auf § 41 ZPO iVm § 50 ZPO.
Die Klägerin hat in erster und zweiter Instanz mit etwa einem Sechstel ihres Begehrens obsiegt; die Klageeinschränkung von 155.000 EUR auf 143.442,50 EUR fällt für die Ermittlung der Obsiegensquote nicht ins Gewicht. Daher hat die Beklagte für diesen Teil des Verfahrens Anspruch auf zwei Drittel ihrer Kosten, die Klägerin hingegen auf ein Sechstel der allein von ihr getragenen Pauschalgebühren für Klage und Berufung. In dritter Instanz hat die Klägerin zur Gänze obsiegt, weswegen die Beklagte die gesamten Revisionskosten zu ersetzen hat.
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