OGH 2Ob83/24f

OGH2Ob83/24f28.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Dr. Johannes Mayrhofer, LL.B., MBA, Rechtsanwalt in Steyr, gegen die beklagte Partei E*, vertreten durch Wetzl Pfeil & Partner Rechtsanwälte GmbH in Steyr, wegen 22.043,40 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 22. Jänner 2024, GZ 12 R 33/23v‑32, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 28. September 2023, GZ 3 Cg 63/22y‑24, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00083.24F.0528.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.032,90 EUR (darin enthalten 172,15 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin rutschte an ihrem Arbeitsplatz auf dem Weg zur Toilette auf dem feuchten, zuvor von einer Mitarbeiterin der Beklagten gewischten Linoleumboden aus und brach sich die rechte Kniescheibe.

[2] Das Berufungsgericht bejahte einen Sorgfaltsverstoß der Mitarbeiterin der Beklagten, weil diese keinen Warnhinweis aufgestellt habe. Der Klägerin lastete es ein gleichteiliges Mitverschulden an. Sie habe Kenntnis von den täglichen Reinigungsarbeiten gehabt. Auch wenn diese nicht jeden Tag die feuchte Bodenreinigung mitumfasst hätten, hätte sie dies mit ins Kalkül ziehen und auf den Boden vor ihr achten müssen. Dann hätte sie die Feuchtigkeit rechtzeitig erkennen können. Schmerzengeld sei in Höhe von 7.500 EUR angemessen. Der Ersatz der Kosten der verletzungsbedingt notwendigen Haushaltshilfe sei orientiert an den Mindestbruttolöhnen von im Haushalt Beschäftigten mit 18 EUR pro Stunde anzusetzen. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und ließ die Revision über Antrag der Klägerin nachträglich zu, weil nicht auszuschließen sei, dass der festgesetzte Stundenlohn bei Berücksichtigung der Urlaubs- und Weihnachtsremuneration zu gering bemessen sei. Überdies stelle sich die Rechtsfrage, ob für die Klägerin als Arbeitnehmerin bei einem Sturz am Arbeitsplatz der gleiche Sorgfaltsmaßstab wie an Fußgänger im Allgemeinen anzulegen sei.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die Revision der Klägerin ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

[4] 1. Auf die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage, ob für die Klägerin als Arbeitnehmerin im Hinblick auf Fürsorgepflichten ihres Arbeitnehmers bei einem Sturz am Arbeitsplatz andere (geringere) Sorgfaltsmaßstäbe gelten als für Fußgänger im Allgemeinen, geht die Revision nicht ein, sodass insoweit schon mangels inhaltlicher Auseinandersetzung keine erhebliche Rechtsfrage releviert wird (vgl Lovrek in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 502 ZPO Rz 125).

[5] Auch sonst zeigt die Revision keine Rechtsfragen der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.

2. Mitverschulden

[6] 2.1 Nach ständiger Rechtsprechung bildet die Frage, ob und in welchem Umfang den Geschädigten ein Mitverschulden an dem von ihm geltend gemachten Schaden trifft, wegen seiner Einzelfallbezogenheit regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0044088 [T30]; RS0022681 [T10, T11]).

[7] Bei Schadenersatzpflichten wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten liegt ein Mitverschulden dann vor, wenn ein sorgfältiger Mensch rechtzeitig erkennen konnte, dass Anhaltspunkte für eine solche Verletzung bestehen, und die Möglichkeit hatte, sich darauf einzustellen (RS0023704). Von einem Fußgänger ist nicht nur zu verlangen, beim Gehen vor die Füße zu schauen und der eingeschlagenen Wegstrecke Aufmerksamkeit zuzuwenden (RS0023787 [T3]), sondern auch, einem auftauchenden Hindernis oder einer gefährlichen Stelle möglichst auszuweichen (RS0027447 [T14]).

[8] 2.2 Wenn das Berufungsgericht unter Hinweis auf die der Klägerin bekannten, wenn auch nicht täglich mit einer Feuchtreinigung des Bodens verbundenen Reinigungsarbeiten in der unzureichenden Beachtung der Wegstrecke eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten erblickt hat, die gleich schwer wiegt, wie das unterlassene Aufstellen eines Hinweisschildes, ist dies zumindest vertretbar (vgl RS0027447 [T3: Ausrutschen einer Begleitperson in einer Krankenanstalt auf dem noch „sichtbar feuchten Boden“]).

[9] Auch der Hinweis der Klägerin auf 4 Ob 7/23t vermag mangels vergleichbarer Sachverhaltsgrundlage keine aufzugreifende Fehlbeurteilung aufzuzeigen. Im dort zu beurteilenden Fall blickte die Klägerin deshalb nicht zu Boden, weil sie sich durch andere Personen, die sie ansprachen, kurz ablenken ließ und den Kopf ihnen zuwandte. Sie rutschte dann auf einer für sie erkennbaren eisigen Stelle aus. Der Oberste Gerichtshof ging im Hinblick auf eine eklatante Räumpflichtverletzung der Beklagten von einem Mitverschulden von nur einem Viertel aus.

3. Ersatz der Kosten für Haushaltshilfe

[10] 3.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist der Anspruch auf Ersatz von Kosten einer verletzungsbedingt erforderlichen Haushaltshilfe in der Regel unter Bedachtnahme auf die Bruttokosten einschließlich der Lohnnebenkosten einer Ersatzkraft nach § 273 ZPO zu bemessen (vgl RS0031691 [T6, T7]; 2 Ob 171/19i Pkt 1. mwN).

[11] 3.2 Von dieser Rechtsprechung sind die Vorinstanzen nicht abgewichen. Die Mindestlohntarife für im Haushalt Beschäftigte, bei denen es sich um Brutto-Tarife handelt, die auch Ansprüche auf ein 13. und 14. Monatsgehalt vorsehen (2 Ob 63/21k Rz 100), hat das Berufungsgericht lediglich als Orientierungshilfe herangezogen und ausgehend davon die Bruttolohnkosten nach § 273 ZPO ausgemittelt.

[12] Eine Ermessensentscheidung nach § 273 Abs 1 ZPO ist aber nicht revisibel, solange dem Berufungsgericht kein an die Grenze des Missbrauchs gehender Fehler unterlief oder der Ermessensspielraum eklatant überschritten wurde (RS0007104 [T4]). Derartiges zeigt die Revision schon deshalb nicht auf, weil sich auch ausgehend von ihren „Berechnungen“ bei Berücksichtigung des 13. und 14 Monatsgehalts eine Bandbreite von 15,42 bis 23,77 EUR ergibt und sie letztlich nur einen um 2 EUR höheren Stundensatz begehrt.

4. Schmerzengeld

[13] 4.1 Das Schmerzengeld soll grundsätzlich eine einmalige Abfindung für Ungemach sein, das der Verletzte voraussichtlich zu erdulden hat. Es soll den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen, auch so weit es für die Zukunft beurteilt werden kann, erfassen (RS0031307). Es kann nur nach § 273 ZPO unter Berücksichtigung aller Umstände des einzelnen Falls, der körperlichen und seelischen Schmerzen sowie der Art und Schwere der Verletzung festgesetzt werden (RS0031415 [T12]). Schmerzperioden können dabei zur Orientierung als Bemessungshilfe herangezogen werden (RS0125618 [T2]), stellen jedoch keine Berechnungsmethode dar.

[14] Die Beurteilung der Höhe des angemessenen Schmerzengeldes ist eine Frage des Einzelfalls, die in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO begründet. Dies gilt nur nicht im Fall einer eklatanten Fehlbemessung, die aus dem Rahmen der oberstgerichtlichen Rechtsprechung fällt (RS0042887 [T10]). Eine solche Fehlbemessung durch das Berufungsgericht zeigt die Klägerin, die damit argumentiert, das Berufungsgericht habe eine Valorisierung der in den genannten Vergleichsentscheidungen zugesprochenen Schmerzengeldsätze unterlassen, nicht auf:

[15] Weder in der von der Klägerin (2 Ob 70/11z) noch der vom Berufungsgericht (2 Ob 52/21t) genannten Entscheidung hatte der Oberste Gerichtshof die Angemessenheit des Schmerzengeldes im Zusammenhang mit einer Kniescheibenfraktur zu prüfen, sodass die Klägerin mit ihrem Hinweis auf die dort begehrten Schmerzengeldbeträge und deren angeblich nicht vorgenommene Aufwertung keine zu korrigierende Fehlbeurteilung aufzeigt. Die Zuerkennung höherer Beträge im Vergleich zu früheren Schmerzengeldzusprüchen ist zwar einerseits aufgrund der inflationsbedingten Geldentwertung und andererseits aufgrund der Rechtsprechung, wonach das Schmerzengeld tendenziell nicht zu knapp zu bemessen ist, gerechtfertigt (RS0031075 [T10]). Einen vergleichbaren Fall, bei dem die Valorisierung des als angemessen erachteten Schmerzengeldes zum von der Klägerin gewünschten Ergebnis führen würde, zeigt die Revision aber nicht auf. Orientiert an den festgestellten Schmerzperioden ist der Schmerzengeldzuspruch von 7.500 EUR auch unter Bedachtnahme auf die Geldentwertung vertretbar.

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