OGH 6Ob67/24g

OGH6Ob67/24g26.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. A*, vertreten durch Dr. Alexander Amann, LL.M., Rechtsanwalt in Gamprin‑Bendern, Fürstentum Liechtenstein (Einvernehmensanwalt Dr. Maximilian Maier, Rechtsanwalt in Feldkirch), wider die beklagte Partei V* AG, *, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 36.100 EUR sA, über die Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 1. Juni 2023, GZ 1 R 44/23f‑34, womit das Urteil des Landesgerichts Wels vom 31. Jänner 2023, GZ 36 Cg 60/22h‑28, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00067.24G.0426.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

I.: Das mit Beschluss vom 23. 10. 2023, 6 Ob 178/23d, unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.

II.: Die Rekurse werden zurückgewiesen.

Die Parteien tragen die Kosten der Rekursbeantwortungen selbst.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb am 20. 11. 2015 ein Fahrzeug S* TDI von einer nicht am Verfahren beteiligten Händlerin. In diesem Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs EA288 der Abgasnorm Euro6 verbaut.

[2] Der Kläger begehrt Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückstellung des Fahrzeugs, in eventu Zahlung von 9.025 EUR sowie Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen „nachteiligen Folgen der Fahrzeugmanipulation“. Er stützte sein Begehren auf §§ 874, 1295 Abs 2 und § 1311 ABGB iVm § 146 StGB. Sein Fahrzeug sei vom „Abgasskandal“ betroffen. Darin seien mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut worden, insbesondere „eine Fahrkurvenerkennung“ („Precon“), ein „Thermofenster“ sowie eine „Zykluserkennung/SCR‑Dosierstrategie“. Er hätte – wäre er in Kenntnis der Manipulationen und der damit verbundenen minderwertigen Eigenschaften des Fahrzeugs gewesen – dieses nicht, jedenfalls nicht zum tatsächlich bezahlten, überhöhten Preis erworben. Er sei von der Beklagten getäuscht und in die Irre geführt worden. Das Fahrzeug sei „mit dem Makel eines Betrugsprodukts“ behaftet, weshalb ein merkantiler Minderwert von 25 % des Kaufpreises anzunehmen sei.

[3] Die Beklagte bestritt das Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen und damit in Verbindung stehende List oder Täuschung ihrerseits. Das Fahrzeug sei auch nicht von einem Rückruf des Kraftfahrt‑Bundesamts (KBA) erfasst worden. Sowohl die EG‑Typengenehmigung als auch die Zulassung seien weiterhin aufrecht und nicht gefährdet.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es seien im Fahrzeug keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut worden. Die zuständige Behörde gehe von „Gesetzes‑ und Zulassungsfähigkeit“ des Fahrzeugs aus.

[5] Das Berufungsgericht hob das erstinstanzliche Urteil auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Auf Basis der bisherigen Feststellungen könne noch nicht abschließend beurteilt werden, ob dem Kläger ein ersatzfähiger Schaden entstanden sei. Das Erstgericht habe keine (aussagekräftigen) Feststellungen zur Abschalteinrichtung (etwa zum Temperaturbereich des Thermofensters) getroffen. Es werde zu beachten sein, dass das Fahrzeug nicht nur über einen „NSK, sondern auch über einen SCR‑Katalysator“ verfüge. Abhängig vom weiteren Verfahrensgang werde zu beurteilen sein, ob es sich bei den weiteren behaupteten Steuerungslogiken (Fahrkurvenerkennung und SCR‑Dosierung) um Abschalteinrichtungen handle, wofür die zum derzeitigen Verfahrensstand getroffenen Feststellungen nicht ausreichten. Zudem ging das Berufungsgericht davon aus, dass es unstrittig sein „dürfte“, dass die Beklagte lediglich Herstellerin des Motors sei.

[6] Die Zulässigkeit des Rekurses begründete das Berufungsgericht mit dem Fehlen von Rechtsprechung zu den Haftungsgrundlagen gegen einen Hersteller einer Fahrzeugkomponente (Hersteller des Motors).

[7] Gegen diese Entscheidung erhoben beide Parteien Rekurs.

[8] Mit Beschluss vom 15. 10. 2022, 6 Ob 178/23d‑44, unterbrach der Senat das Rekursverfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über den vom Obersten Gerichtshof am 6. 9. 2023 zu 3 Ob 33/23h gestellten Antrag auf Vorabentscheidung. Mit diesem soll geklärt werden, ob es sich bei dem in einem Motor des Typs EA288 (EU‑6 NSK) implementierten Steuerungsprogramm („Precon“ [Vorkonditionierung] mit Fahrkurvenerkennung) um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt.

Rechtliche Beurteilung

Zu I.: Zur Fortsetzung

[9] Der Kläger hatte in der Klage – unter Bezugnahme auf eine Beilage, die sich mit einer Vorkonditionierung („Precon“) beim NSK befasst – behauptet, es werde durch die im Fahrzeug verbaute Fahrkurvenerkennung (Vorkonditionierung; „Precon“) die Messung auf dem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) erkannt. Diesen Vorwurf hielt er auch in der Berufung aufrecht. Dass das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrundelegte, es verfüge das Fahrzeug nicht nur über „einen NSK“, sondern auch über einen „SCR‑Katalysator“, wurde im Rekurs vom Kläger nicht kritisiert. Er hob dort vielmehr hervor, es habe das Erstgericht richtigerweise festgestellt, dass im Fahrzeug eine „Prüfstandserkennung bzw Fahkurvenerkennung“ verbaut sei. Das Berufungsgericht habe dazu ausgeführt, dass sich die Fahrkurvenerkennung („Precondition“) auf den NOx‑Speicherkatalysator (NSK) beziehe. Aufgrund dessen Ausführungen zur Funktionsweise der Fahrkurvenerkennung und weil er selbst umfangreiches Vorbringen dazu erstattet habe, hielt der Kläger in seinem Rekurs die Rechtssache schon wegen des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form der Fahrkurvenerkennung für entscheidungsreif.

[10] Nach der dargestellten Unterbrechung des Rekursverfahrens, beantragte der Kläger jedoch die Fortsetzung des Rekursverfahrens und legte dar, es bestünden mittlerweile Erfahrungswerte für den verbauten Motor dahin, dass darin entweder (nur) ein NSK‑ oder ein SCR‑Katalysator verbaut sei. Er stelle nun außer Streit, dass im „streitgegenständlichen Fahrzeug“ „kein NSK verbaut ist“. Die Beklagte stimmte der Fortsetzung des Verfahrens zu.

[11] Für das weitere Verfahren wird damit zu Grunde zu legen sein, dass im Fahrzeug des Klägers keine solche Einrichtung implementiert ist, wie sie in dem zu 3 Ob 33/23h zu entscheidenden Fall zu Grunde gelegt wurde, nämlich eine Vorkonditionierung („Precon“) in Bezug auf einen NOx‑Speicherkatalysator (NSK). Der Ausgang des vorgenannten Vorabentscheidungsersuchens ist damit nicht präjudiziell für die Lösung des vorliegenden Rechtsstreits, weswegen das Rekursverfahren fortgesetzt wird.

Zu II.: Zur fehlenden Zulässigkeit der Rekurse

[12] Die Rekurse beider Parteien, in denen sie behaupten, die Rechtssache sei schon jetzt (im Sinne einer Klagsstattgebung bzw Klagsabweisung) entscheidungsreif, sind nicht zulässig. Die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage zu den Haftungsgrundlagen eines Herstellers einer Fahrzeugkomponente (Motorenhersteller) wurden vom Obersten Gerichtshof in der Zwischenzeit in anderen Verfahren bereits beantwortet (vgl RS0112921 [T5]). Da die Rekurse auch im Übrigen keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigen können, kann sich die Zurückweisung der Rechtsmittel auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO; RS0043691):

[13] 1.1. Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung kann ein Fahrzeugkäufer nur die Person oder Stelle für einen deliktischen Schadenersatzanspruch aus der (bloß schuldhaften) Verletzung des Schutzgesetzes zu qualifizierenden Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG in Anspruch nehmen, die im Typengenehmigungsverfahren als Herstellerin des Fahrzeugs auftrat und die Übereinstimmungsbescheinigung ausstellte (RS0031143 [T46]; vgl auch EuGH C‑100/21 , Mercedes‑Benz Group AG). Die Behauptung einer Schutzgesetzverletzung nach dieser Bestimmung ist als Anspruchsgrundlage gegenüber der (bloßen) Motorenherstellerin, die die Übereinstimmungsbescheinigung nicht ausgestellt hat, untauglich (6 Ob 161/22b [Rz 20 ff]; RS0134616).

[14] Die Herstellerin des Motors kann aber nach § 874 und § 1295 Abs 2 ABGB (vgl dazu 6 Ob 161/22b [Rz 33 ff]; 3 Ob 40/23p [Rz 33]; 2 Ob 139/23i [Rz 14]; 6 Ob 114/23t [Rz 16]) in Anspruch genommen werden.

[15] 1.2. Ob die Beklagte nur Herstellerin des Motors ist oder ob sie auch als Fahrzeugherstellerin auftrat und insbesondere ob sie die Übereinstimmungsbescheinigung für das Fahrzeug ausstellte, wurde im Verfahren erster Instanz nicht thematisiert. Der Kläger nahm in seinem erstinstanzlichen Vorbringen zur Haftung der Beklagten ganz allgemein auf die Bedeutung der Übereinstimmungsbescheinigung nach der Rechtsprechung des EuGH Bezug und stützte eine Haftung der Beklagten (auch) auf § 1311 ABGB, womit er sich auf eine Schutzgesetzverletzung durch die Beklagte stützte. Darüber hinaus relevierte er aber von Beginn an auch deren Haftung nach §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB iVm § 146 StGB. Wenn er nun im Rekurs einräumt, die Beklagte sei nur Motorenherstellerin, wird mit ihm – wie schon vom Berufungsgericht zutreffend aufgezeigt – im weiteren Verfahren ausdrücklich zu erörtern sein, ob er behauptet, die Beklagte habe die Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt und (verneinendenfalls) auch ob (und warum) er (trotzdem) meint, er könne sie (weiterhin) aufgrund einer Schutzgesetzverletzung in Anspruch nehmen (siehe zur bereits ergangenen Rechtsprechung, wonach die Haftung nicht auf die bloße Stellung einer Beklagten als Muttergesellschaft der Fahrzeugherstellerin gegründet werden kann, 6 Ob 114/23t [Rz 15]).

[16] 2. Zur Beurteilung des Berufungsgerichts, es sei das Verfahren zum Umfang des – derzeit nicht feststehenden – Thermofensters zu verbreitern, können die Rekurse keinerlei Fehlbeurteilung aufzeigen, was auch für das SCR‑System und dessen näher festzustellende Wirkungsweisegilt. Wenn das Erstgericht – so das Berufungsgericht zutreffend – keine aussagekräftigen Feststellungen über den Temperaturbereich des Thermofensters getroffen hat, obwohl die Parteien dazu widerstreitendes Vorbringen erstattet haben, ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, es liege ein Feststellungsmangel vor, nicht zu beanstanden (vgl RS0043304; RS0042179; zur Beweislastverteilung für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung siehe die Ausführungen in 6 Ob 177/22g [ErwGr II.2.3.]). Der Kläger wird – nachdem er nun darlegt, es sei im Fahrzeug des Klägers kein „NSK“ verbaut – klarzustellen haben, von welchen Abschalteinrichtungen unter Bezugnahme auf welche im Fahrzeug verbauten Systeme er (weiterhin) ausgeht.

[17] 3. Abseits des Fehlens von ausreichenden Feststellungen, anhand derer sich beurteilen ließe, ob eine oder mehrere (unzulässige) Abschalteinrichtungen, wie sie der Kläger behauptet, in seinem Fahrzeug vorhanden sind, liegt die von beiden Seiten behauptete Entscheidungsreife im Sinn einer Klagsstattgabe bzw Klagsabweisung zweifelsohne schon deshalb nicht vor, weil ein festgestellter Sachverhalt, aus dem sich eine – vom Kläger zu behauptende und zu beweisende – Haftung der Beklagten nach §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB ableiten ließe, zur Gänze fehlt (zu den Voraussetzungen für eine solche Haftung siehe 10 Ob 31/23p; 4 Ob 204/23p). Der Kläger, der bisher weder konkrete Personen nannte noch deren Handeln oder Wissen in Bezug auf die unterschiedlichen Abschalteinrichtungen umriss, wird sein allgemein gehaltenes Vorbringen zu „planmäßige[m], systematische[m], weltweite[m] und jahrelange[m] Vorgehen hinsichtlich Manipulationen, Verschleierungen und Täuschungen“ näher zu umschreiben haben.

[18] Auch die Beklagte kann mit dem pauschalen Verweis auf die Prüfung durch das KBA (und im Jahr 2022 erteilte Bestätigungen) nicht ansatzweise darlegen, warum ohne Feststellungen – insbesondere auch zu den Behauptungen des Klägers zu Arglist und Täuschung – schon jetzt der Schluss gezogen werden könnte, es mangle der Beklagten an Verschulden (zu den konkret darzulegenden Voraussetzungen für fehlendes Verschulden siehe die Erläuterungen in 4 Ob 171/23k [Rz 41 f]).

[19] 4. Die Aufhebung der Abweisung des Feststellungsbegehrens wird in den Rekursen nicht angesprochen, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist. Im fortgesetzten Verfahren werden jedoch die Entscheidungen 10 Ob 17/23g und 8 Ob 90/22a zu erörtern sein.

[20] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 Abs 1 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist kein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO anzuordnen (vgl RS0123222). Der Kläger hat in seiner Rekursbeantwortung lediglich beantragt, dem Rekurs der Gegenseite nicht Folge zu geben. Die Beklagte beantragte in der Rekursbeantwortung zwar die Zurückweisung des Rekurses des Klägers. Sie stand darin (aber bloß) auf dem (unrichtigen) Standpunkt, die Sache sei bereits im Sinne einer Klagsabweisung spruchreif und legte darüber hinaus in keiner Weise dar, warum das Rechtsmittel des Klägers nicht zulässig ist (vgl RS0035979 [T12, T25]).

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