European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00042.23I.0912.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt bis zur rechtskräftigen Erledigung der Sache vorbehalten.
Begründung:
[1] Die volljährige Antragstellerin, die eine Höhere Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe besucht und im Haushalt des Vaters lebt, begehrt von ihrer Mutter, der Antragsgegnerin, monatlich 420 EUR Unterhalt sowie die Leistung von rückständigem Unterhalt. Die Mutter leidet an einer Schilddrüsenerkrankung und ihre Leistungsfähigkeit ist massiv herabgesetzt.
[2] Die Antragsgegnerin bestreitet ihre Unterhaltspflicht.
[3] Das Erstgericht gab dem Unterhaltsbegehren teilweise Folge. Dabei ging es von einer Bemessungsgrundlage von monatlich 1.850 EUR für 2020, 1.980 EUR für 2021 und 2.170 EUR für 2022 aus. Jeweils ein Teil von 1.341 EUR davon entfalle auf die Wohnkostenersparnis, zumal die Antragsgegnerin in der ihr und dem Vater der Antragstellerin zur Hälfte gehörenden Wohnung wohnt und dieser ua auch die Betriebskosten trägt.
[4] Das Rekursgericht wies die Unterhaltsanträge ab und ließ nachträglich den Revisionsrekurs zur Frage der Wohnkostenersparnis zu. Dass der Vater sämtliche Kreditrückzahlungen und die Betriebskosten für die Wohnung leiste, sei unbeachtlich, da bloß freiwillig geleistete Zahlungen ohne rechtliche Verpflichtung nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzurechnen seien. Reduziere man die Unterhaltsbemessungsgrundlage um die vom Erstgericht angenommene Wohnkostenersparnis von 1.341 EUR, verbleibe der Antragsgegnerin lediglich ein Einkommen (2020: 509 EUR, 2021: 639 EUR, 2022: 829 EUR monatlich) unterhalb der Belastungsgrenze.
Rechtliche Beurteilung
[5] Entgegen dem Zulassungsausspruch des Rekursgerichts ist der von der Antragstellerin erhobene – und von der Antragsgegnerin beantwortete – Revisionsrekurs wegen Fehlens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (§ 62 Abs 1 AußStrG) unzulässig.
[6] 1. Unterhaltsentscheidungen sind grundsätzlich Ermessensentscheidungen (RS0047419 [T23]). Der Oberste Gerichtshof hat daher regelmäßig nur auszusprechen, auf welche Umstände es bei der Berechnung im Einzelfall ankommt (vgl RS0047419). Da Unterhaltsbemessungen grundsätzlich Einzelfallentscheidungen sind (RS0007204 [T11]), liegt eine erhebliche Rechtsfrage nur dann vor, wenn das Rekursgericht wesentliche Bemessungsfaktoren unberücksichtigt ließ oder bei der Beurteilung gesetzwidrig vorgegangen ist (RS0053263).
[7] 2.1. Nach der Rechtsprechung sind öffentlich‑rechtliche Leistungen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen (RS0047456), aber auch etwa eine vom Dienstgeber zur Verfügung gestellte kostenlose Wohnmöglichkeit im Ausland (3 Ob 109/20f).
[8] 2.2. Bloß freiwillig geleistete, jederzeit widerrufliche Zuwendungen von Familienangehörigen, die ohne rechtliche Verpflichtung aus familiären Gründen erbracht werden, fallen nicht in die Bemessungsgrundlage (RS0107262 [T14]; 6 Ob 5/04k), es sei denn, die Zuwendungen sollen nach dem Willen des Zuwendenden auch dem Unterhaltsberechtigten zugutekommen (vgl 10 Ob 8/07k). Mangels nachgewiesener Absicht, dass sie den Unterhaltsschuldner entlasten sollten, haben Leistungen Dritter daher grundsätzlich keinen Einfluss auf die Unterhaltsverpflichtung des geldunterhaltspflichtigen Elternteils (1 Ob 179/12y mwN). Grundsätzlich erhöhen nur solche Zuwendungen an den Unterhaltspflichtigen die Bemessungsgrundlage, auf die er einen Rechtsanspruch hat. Ohne Rechtsanspruch erbrachte (dh freiwillige) Leistungen kommen ihm allein zugute (RS0107262 [T15]).
[9] 2.3. In der Entscheidung 6 Ob 52/22y wurde ausführlich dargestellt, dass jüngst in der (vor allem zweitinstanzlichen) Rechtsprechung vereinzelt die Berücksichtigung des Wohnvorteils auch beim Unterhaltspflichtigen für sachgerecht erkannt wurde und dies auch in der Literatur vertreten wird. Die Klärung dieser Rechtsfrage wurde jedoch dahingestellt gelassen, weil nicht behauptet und bewiesen war, dass dadurch die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen erhöht wurde.
[10] 3.1. Ähnliches gilt für den hier zu beurteilenden Fall. Die Mutter (Antragsgegnerin) verfügt (anders als in den judizierten Anrechnungsfällen betreffend Wohn- und Mietzinsbeihilfen; vgl 6 Ob 89/01h; 1 Ob 149/16t) über kein ausreichendes Einkommen, von dem sie Unterhaltsleistungen bestreiten könnte. Mit der kostenlosen Benützung der gesamten ehemaligen Ehewohnung ist daher für sie keine unterhaltsrechtlich relevante Ersparnis verbunden, da sie aus ihrem geringen Einkommen keine Wohnung bezahlen könnte. Der Vater leistet die Kreditrückzahlungs‑ und Betriebskosten für diese (ihm zur Hälfte gehörenden) Wohnung offensichtlich zum Zweck, dass diese Leistungen nur der Antragsgegnerin (mit der er in Scheidung lebt) zugutekommen und nicht der unterhaltsberechtigten Tochter (Antragstellerin), die ja in seinem Haushalt lebt. Die Zahlung der Wohnungskosten durch den Vater ist auch vor dem Hintergrund der künftigen vermögensrechtlichen Auseinandersetzung der Eheleute im Zuge der Scheidung zu sehen. Die Leistungen des Vaters, der nach dem Akteninhalt in einem Reihenhaus wohnt, das ebenfalls im Miteigentum mit der Antragsgegnerin steht, sind daher nicht mit einer Miet‑ oder Wohnbeihilfe vergleichbar.
[11] 3.2. Die Nichtanrechnung der Wohnkostenersparnis der Antragsgegnerin auf die Unterhaltsbemessungsgrundlage steht im Einklang mit der oben aufgezeigten Rechtsprechung. Ein Sachverhalt, der eine abweichende Beurteilung nahelegen würde, wurde von der Revisionsrekurswerberin nicht aufgezeigt.
[12] 3.3. Der von der Revisionsrekurswerberin behauptete Mangel des Rekursverfahrens, auch unter dem Titel der „Nichtigkeit“, wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor (§ 71 Abs 3 Satz 3 AußStrG).
[13] 4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 78 Abs 1 zweiter Satz AußStrG. Das Erstgericht hat sich die Kostenentscheidung bis zur rechtskräftigen Erledigung der Sache vorbehalten.
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