European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00234.22P.0125.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.328,10 EUR (darin enthalten 721,35 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
[2] Die Klägerin ist die Alleinerbin ihrer Mutter, die 2008 an den körperlichen Folgen ihrer über Jahrzehnte bestehenden schweren Alkoholkrankheit verstarb. Die Mutter hielt zu Lebzeiten einen Geschäftsanteil an einer GmbH. Mit Anbot vom 16. 11. 2001 in Form eines Notariatsakts und dem Notariatsakt vom 30. 10. 2003 trat die Mutter einen Teil ihres Geschäftsanteils an der GmbH an die beklagte Mitgesellschafterin zu einem Abtretungspreis von 845.277 EUR ab. Mit einem weiteren Notariatsakt vom 30. 10. 2003 trat die Mutter einen weiteren Geschäftsanteil an der GmbH zu einem Abtretungspreis von 442.140,18 EUR an die Beklagte ab.
[3] Die schwere Alkoholkrankheit der Mutter führte bei dieser zu einem organischen (frontalen) Psychosyndrom mit Einbußen der kognitiven Leistungsfähigkeit, verminderter Kritikfähigkeit, defizitären Problemlösungsstrategien, Defiziten des planenden und vorausschauenden Denkens, mangelnder Umstellungsfähigkeit, Unfähigkeit der Alltagsbewältigung, Vernachlässigung von Aufgaben sowie Antriebs- und Motivationsschwäche. Dieses organische Psychosyndrom, das in einer Hirnatrophie ein morphologisches Substrat fand und die abhängige Persönlichkeit der Verstorbenen überlagerte, bestand in zumindest mittelgradiger Ausprägung bereits am 16. 11. 2001. Eine Hirnatrophie bildet sich nicht zurück.
[4] Aufgrund dieses Gesundheitszustands und dieser Beeinträchtigungen war die Mutter der Klägerin sowohl am 16. 11. 2001 als auch am 30. 10. 2003 nicht in der Lage, die Tragweite und Auswirkungen des Anbots und der Abtretung ihrer Geschäftsanteile abzuschätzen und dieses Rechtsgeschäft mit planender Voraussicht und an logischen Überlegungen orientiert durchzuführen oder Vertretungsschritte eines Bevollmächtigten, konkret ihres Ehemanns, begleitend zu überprüfen oder kritisch zu hinterfragen.
[5] Die Klägerin begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit des Anbots und der Abtretungsverträge. Ihre Mutter sei ab Mitte der 90‑er Jahre geschäftsunfähig gewesen und habe zum Zeitpunkt der Unterfertigung der vorangeführten Notariatsakte die Tragweite der von ihr abgegebenen Willenserklärungen nicht erfassen können.
[6] Die Vorinstanzengaben dem Klagebegehren statt, weil die Mutter der Klägerin im Zeitpunkt des Abschlusses der Rechtsgeschäfte geschäftsunfähig gewesen sei.
[7] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob bei einem von einer geistig beeinträchtigten Person abgeschlossenen Rechtsgeschäft über den Verkauf von Geschäftsanteilen, deren Verkaufspreis nach einem im Gesellschaftsvertrag festgelegten Verfahren zu ermitteln ist und daher diesbezüglich kein (oder nur ein sehr eingeschränkter) Verhandlungsspielraum besteht, die Geschäftsfähigkeit noch bejaht werden könne, wenn die betroffene Person (nur) die simple Aussage verstehe dass sie „mit der notariellen Unterschriftsleistung ihre Anteile verliert“.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Weder in der Zulassungsbegründung noch in der Revision wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt:
[9] 1. Dass Rechtsprechung zu einem (genau) vergleichbaren Sachverhalt fehlt, begründet noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (RS0122015 [T4]) .
[10] 2. Die Fragen, ob ein Sachverständigengutachten – hier zum Geisteszustand der Mutter der Klägerin – schlüssig und nachvollziehbar ist, ob dem Gutachten gefolgt werden kann oder ob ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll, gehören zur Beweiswürdigung und können im Revisionsverfahren nicht mehr überprüft werden (RS0043320 [T1, T12]; RS0043163 [T15, T16]).
[11] 3.1. Nach der Rechtsprechung zu § 865 ABGB, der hier noch in der Fassung vor dem 2. Erwachsenenschutz‑Gesetz, BGBl I Nr 59/2017 anzuwenden ist (§ 1503 Abs 9 ABGB), war bei der Beurteilung der Geschäftsfähigkeit darauf abzustellen, ob eine Person die Tragweite eines konkreten Geschäfts und die Auswirkungen ihres Handelns abschätzen und dieser Einsicht gemäß disponieren kann (2 Ob 91/20a [ErwGr 1.1.]; RS0009075 [T8, T12]). Bei der Prüfung der Geschäftsfähigkeit einer Person, für die kein Sachwalter bestellt war, war entscheidend, ob sie in der Lage war, die Tragweite des konkreten Rechtsgeschäfts zu beurteilen, ihre Wünsche und Vorstellungen zu erwägen und zu formulieren und auch zu beurteilen, inwieweit sie einem Rechtskundigen vertrauen kann, dass dieser ihre Interessen wahren werde (RS0009075). Auch ein Ausschluss der Fähigkeit, entsprechend dieser Einsicht zu disponieren, führte zur Geschäftsunfähigkeit (2 Ob 91/20a [ErwGr 1.2.]). Die Beurteilung, ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist typisch von den Umständen des Einzelfalls abhängig (RS0117658).
[12] 3.2. Entgegen den Ausführungen der Revision haben die Vorinstanzen sowohl in Bezug auf die (Tatsachen‑)Frage der persönlichen Umstände als auch auf die (Rechts‑)Frage (RS0014641) der Geschäftsunfähigkeit auf die konkreten klagsgegenständlichen rechtsgeschäftlichen Erklärungen abgestellt und eine entsprechende konkrete Einzelfallbeurteilung vorgenommen.
[13] Das Berufungsgericht war der Auffassung, die Mutter der Klägerin sei nicht geschäftsfähig gewesen, weil sie tatsächlich überhaupt nicht mehr in der Lage gewesen sei, die Bedeutung und Tragweite der klagsgegenständlichen Vertragsabschlüsse zu überblicken. Selbst bei einem gesellschaftsvertraglich nach einem festgelegten (Bewertungs-)Verfahren zu ermittelnden Abtretungspreis sei die Tragweite des Geschäfts über den Umstand hinausgegangen, dass die Mutter der Klägerin danach nicht mehr Gesellschafterin war, weil bei der Abschätzung, ob eine Veräußerung vorgenommen werden solle, auch auf die künftig möglichen Entwicklungen der einen bedeutenden Vermögenswert darstellenden Beteiligung Bedacht zu nehmen gewesen sei.
[14] 3.3. Diese Beurteilung ist nicht korrekturbedürftig, zumal die Mutter der Klägerin geistig auch nicht in der Lage war, diese Rechtsgeschäfte mit planender Voraussicht und an logischen Überlegungen orientiert durchzuführen. Darüberhinaus stand die Veräußerung der Geschäftsanteile nach den Feststellungen im Zusammenhang mit einem vom Ehemann der Verstorbenen umgesetzten Immobilienprojekt, was ebenfalls in die vom Berufungsgericht genannte Abschätzung einzubeziehen war.
[15] 3.4. Dass Alkoholabusus per se die Annahme einer (konkreten) Geschäftsunfähigkeit rechtfertige, wurde entgegen den Behauptungen der Revision nicht angenommen (vgl zur Spielsucht 4 Ob 28/19z = RS0009075 [T13]). Maßgeblich für die Beurteilung der Vorinstanzen war vielmehr ein aus dem Alkoholabusus resultierendes (hirn‑)organisches Psychosyndrom. Auch nach der von der Revision selbst ins Treffen geführten Entscheidung des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 17. 12. 2009, (2 A 2/08) kann in solchen Fällen Geschäftsunfähigkeit vorliegen.
[16] 4. Mit ihrer Argumentation, die Mutter der Klägerin sei bei Vornahme der Abtretungen in einem lucidum intervallum doch einsichts‑ und urteilsfähig gewesen, entfernt sich die Revision vom festgestellten Sachverhalt.
[17] 5. Nach gefestigter Rechtsprechung – auf die bereits das Berufungsgericht hingewiesen hat – ist ein von einem Geschäftsunfähigen abgeschlossenes Geschäft absolut nichtig und nicht genehmigungsfähig (5 Ob 239/20p [ErwGr 1.1.]; RS0014653). Die Willenserklärung erlangt selbst dann nicht nachträglich Gültigkeit, wenn sie der gesetzliche Vertreter oder der Geschäftsunfähige nach Wiedererlangung der Geschäftsfähigkeit genehmigt (2 Ob 175/21f [ErwGr 2.]; RS0014652). Schon deshalb ist aus der den Feststellungen zu entnehmenden „Generalvollmacht“ des Ehemanns der Mutter der Klägerin, der die Vertragsverhandlungen führte und die Abtretungsverträge befürwortete, nichts zu gewinnen. Mit der Auffassung des Berufungsgerichts, für eine wirksame Vertretung beim Abschluss der Notariatsakte über die Abtretung der GmbH‑Anteile wäre gemäß § 69 Abs 1a NO überdies (zumindest) eine öffentlich beglaubigte Gattungsvollmacht nötig gewesen (vgl zur erforderlichen Art der Vollmacht Hartlieb/Zollner in Rummel/Lukas/Geroldinger,ABGB4 § 1008Rz 54), setzt sich die Revision ohnehin nicht auseinander.
[18] 6. Es wurde bereits dargelegt, dass die Ansicht des Berufungsgerichts nicht korrekturbedürftig ist, der Mutter der Klägerin habe die für die Abschätzung der Tragweite der gegenständlichen Abtretungsverträge erforderliche Einsichtsfähigkeit gefehlt. Geschäftsunfähige stehen unter dem besonderen Schutz der Gesetze (7 Ob 167/21s [ErwGr 2.2.]; RS0009084). Daher wird auch der gute Glaube an die Geschäftsfähigkeit des Vertragspartners von der Rechtsordnung nicht geschützt (1 Ob 574/88; 6 Ob 703/87). Dass der Geschäftsunfähige erst nach Jahren die Geschäftsunfähigkeit geltend macht, während der Vertragspartner auf die Wirksamkeit der Schenkung vertraut haben mag, begründet für sich keinen Rechtsmissbrauch (7 Ob 27/17x [ErwGr 5.]). Es wurde auch weder behauptet noch festgestellt, dass die Klägerin selbst Anlass für ein Vertrauen der Beklagten auf die Gültigkeit des Geschäfts erweckt hätte. Mit dem der Entscheidung 6 Ob 322/65 zugrunde liegenden Sachverhalt ist dergegenständliche Fall nicht vergleichbar, berief sich doch in der dortigen besonderen Konstellation die Vertragspartnerin und gleichzeitige Kuratorin und Mutter einer (nach damaliger Rechtslage) entmündigten Person auf die Nichtigkeit des mit der entmündigten Person geschlossenen Vertrags, was als sittenwidrig erachtet wurde.
[19] Eine – im Übrigen eine Frage des Einzelfalls darstellende (RS0042881 [T6]) – Sittenwidrigkeit des gegenständlichen Klagebegehrens zeigt die Revision daher nicht auf.
[20] 7. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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