OGH 9ObA154/21v

OGH9ObA154/21v20.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Alexander Noga (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Stefan Gschwendt (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B*, vertreten durch Dr. Franz Krainer, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Betriebsrat im Betrieb „B*“, gewählt am 12. Dezember 2014, und den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Mag. W*, beide vertreten durch Mag. Markus Tutsch, Rechtsanwalt in Graz, wegen Nichtigkeit einer Betriebsratswahl, über die außerordentlichen Revisionen der beklagten Partei und des Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. November 2021, GZ 6 Ra 44/21v‑85, mit dem den Berufungen der beklagten Partei und des Nebenintervenienten gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 16. April 2021, GZ 24 Cga 11/16a‑80, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00154.21V.1020.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Den Revisionen wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Nebenintervenient war ab 9. 11. 2000 beim klagenden Verband (im Folgenden nur mehr „Kläger“) im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Er wurde zum 31. 5. 2013 gekündigt. Mit Gerichtsurteil wurde festgestellt, dass das Dienstverhältnis vom 1. 6. 2013 bis 17. 11. 2014 aufrecht war. Am 17. 11. 2014 sprach der Kläger die Entlassung aus. Mit Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 12. 3. 2018 wurde das Klagebegehren des Nebenintervenienten festzustellen, dass das Dienstverhältnis vom 18. 11. bis 5. 12. 2014 aufrecht war, (rechtskräftig) abgewiesen. In einem weiteren Verfahren wurde aber mit Urteil vom 26. 4. 2019 die Entlassung für rechtsunwirksam erklärt. Eine weitere Entlassung erfolgte am 6. 12. 2014. Deren Berechtigung ist strittig. Weiters erfolgte eine Eventualkündigung zum 30. 11. 2016.

[2] Am 15. 11. 2011 wurde ein Betriebsrat für den Kläger gewählt. Diese Wahl wurde vom Kläger angefochten. In dem Verfahren wurde ein Vergleich dahingehend geschlossen, dass die Wahl ungültig ist. In einem Folgeverfahren sprachen die Gerichte jedoch aus, dass ein Vergleich nicht die Beendigung der Tätigkeit eines Betriebsrats bewirken könne.

[3] Am 6. 9. 2012 fand beim Kläger eine weitere Betriebsratswahl statt. Diese wurde mit Urteil vom 3. 11. 2014 für nichtig erklärt.

[4] Am 12. 11. 2014 begab sich der Nebenintervenient in die Vereinszentrale des Klägers und brachte dort eine Kundmachung über die Einberufung einer Betriebsversammlung an der im Eingangsbereich befindlichen Magnettafel an. Beim Kläger waren Mag. R*, H*, A*, T*, die in Karenz befindliche Mag. M* und der als Freizeitassistent beschäftigte F* in der Vereinszentrale tätig. Im Gästehaus des Klägers in S* war J* beschäftigt. Mit Ausnahme von F* waren alle Mitarbeiter Angestellte. Obmann desKlägers war J*. Am 12. 11. 2014 überreichte der Nebenintervenient H* und A* ein von ihm verfasstes Informationsschreiben samt der Kundmachung. Der Obmann des Klägers lehnte die Entgegennahme eines schriftlichen Verständigungsschreibens ab. Ihm teilte der Nebenintervenient Tag, Ort und Zeit der Betriebsversammlung mündlich mit. Die Kundmachung inklusive der Aufforderung, ein Arbeitnehmerverzeichnis zu übergeben, warf er in das Postwurffach des Klägers. Eine Liste mit den Arbeitnehmern wurde ihm jedoch in der Folge nicht übermittelt.

[5] Mag. R* und T* gab der Nebenintervenient das Informationsschreiben samt der Kundmachung in ihr jeweils im Betrieb befindliche Postfach. Mag. M* legte er das Schreiben und die Kundmachung in ihr Postfach an ihrer Wohnadresse.

[6] Die Betriebsversammlung wurde für den 26. 11. 2014, 17:00 Uhr, in einer mit Adresse angegebenen Pizzeria angesetzt. Als Tagesordnungspunkte wurden auch die Wahl des Wahlvorstands zur Wahl eines gemeinsamen Betriebsrats und die Diskussion zur Betriebsratswahl genannt. In den darauffolgenden Tagen sandte der Nebenintervenient an sich selbst per Post einen Wahlvorschlag, der ihn als Wahlvorstandsmitglied und A* als Ersatzmitglied nannte. Diese war von ihm weder um ihre Zustimmung gebeten worden, noch war sie in Kenntnis davon, im Wahlvorschlag aufzuscheinen. Sie hätte dem nicht zugestimmt.

[7] Am 26. 11. 2014 hielt der Nebenintervenient die Betriebsversammlung ab. Es gab nur den einen von ihm übermittelten Wahlvorschlag. Eine Abstimmung zur Wahl des Wahlvorstands wurde nicht abgehalten.

[8] Am 1. 12. 2014 versandte der Nebenintervenient ein E‑Mail an Mag. R*, H*, A*, T*, und an die private E‑Mail‑Adresse von Mag. M*. Darin berichtete er über die Betriebsversammlung und machte die Betriebsratswahl am 12. 12. 2014, 13:00 Uhr in *, kund. Im Betrieb wurde die Kundmachung nicht ausgehängt. Zum festgesetzten Termin erschien der Nebenintervenient am angegebenen Ort. Als Wahlzeuge war ein Mitarbeiter der Arbeiterkammer anwesend. Es wurde eine Stimme für den Nebenintervenienten abgegeben, die im Wahlprotokoll als gültig eingetragen wurde. Für die Wahl eines Ersatzmitglieds wurde ebenfalls eine Stimme abgegeben, die jedoch als ungültig vermerkt wurde.

[9] F* und J* wurden weder von der Betriebsversammlung noch von der Betriebsratswahl verständigt.

[10] F* war als Freizeitassistent beschäftigt, der Dienstvertrag wurde als Teilzeitarbeitsvertrag bezeichnet. Der Arbeitsort wurde von ihm selbst mit der jeweils zu assistierenden Person vereinbart, auch die Arbeitszeit konnte er selbst einteilen, er war jedoch zu einer Arbeitsleistung an zwei Tagen pro Woche verpflichtet. In der Folge wurde die monatliche Normalarbeitszeit auf fünf Stunden reduziert. Zwischen November 2014 und Ende Dezember 2014 war er nur drei bis vier Mal in der Vereinszentrale anwesend, um Protokolle abzugeben. Er verwendete keine Betriebsmittel des Klägers. Die Termine vereinbarte er über sein Privathandy.

[11] J* ist als einzige Arbeitnehmerin ganzjährig im Gästehaus des Klägers S* beschäftigt. Dieses ist im Sommer und einige Wochen zu Weihnachten geöffnet und beschäftigt sonst nur Saisonarbeitskräfte. Sämtliche Dienstverträge wurden jedoch mit dem Kläger abgeschlossen. Für das Gästehaus gab es zwar eine Hausleitung, Entscheidungen wurden jedoch immer von der Leitung des Klägers getroffen. Die Hausleitung hatte keine eigenständigen Befugnisse. Post wurde vom Gästehaus an die Zentrale weitergeschickt, ebenso Bewerbungen für Arbeitsverhältnisse. Bewerbungsgespräche wurden im Gästehaus gemeinsam vom Obmann des Klägers und der Hausleitung durchgeführt. Sämtliche Entscheidungen trafen jedoch allein die Mitarbeiter der Zentrale. Auch J* musste bei Anliegen die Zentrale kontaktieren, wo auch darüber entschieden wurde. Das Gästehaus war nie kostendeckend. Über dieses sollte kein Gewinn lukriert werden. Der jährliche Verlust des Gästehauses wurde vom Kläger ausgeglichen.

[12] Der Kläger brachte gegen die Betriebsratswahl vom 12. 12. 2014 eine Anfechtungsklage ein. Mit Urteil vom 11. 4. 2018 wurde der Klage (mittlerweile rechtskräftig) stattgegeben.

[13] Mit der nunmehr vorliegenden Klage ficht derKläger die Betriebsratswahl vom 12. 12. 2014 gemäß § 60 ArbVG an und begehrt die Feststellung 1. ihrer Nichtigkeit und 2. der Nichtigkeit der Wahl des Wahlvorstands, da gegen wesentliche Wahlgrundsätze verstoßen worden sei. Die Mitarbeiter des Klägers hätten keine Betriebsratswahl gewollt. Die Wahl diene ausschließlich dem Zweck, dem Nebenintervenienten die Vorteile als Betriebsrat zukommen zu lassen. Die Betriebsversammlung sei weder ordnungsgemäß kundgemacht noch wirksam durchgeführt worden. Bei der Betriebsversammlung sei lediglich der Nebenintervenient anwesend gewesen, das erforderliche Quorum daher nicht erfüllt worden. Es sei auch nicht auf das Erscheinen von Arbeitnehmern eine halbe Stunde zugewartet worden. Der Beschluss, eine Wahl durchzuführen, basiere auf einer einzigen abgegebenen Stimme. Damit sei auch dieser Beschluss nicht ordnungsgemäß gefasst worden. Die Wählerliste sei mangelhaft, da nicht sämtliche Mitarbeiter aufgeschienen seien. Weiters habe es keinen einheitlich aufgelegten Stimmzettel gegeben. Das Wahllokal sei nicht korrekt bezeichnet worden, sondern nur die Adresse ohne nähere Bezeichnung der Örtlichkeit. Es habe keinen Wahlvorstand gegeben, der aus zumindest drei Mitgliedern und Ersatzmitgliedern bestanden habe. Das Ersatzmitglied sei ohne dessen Einverständnis am Wahlvorschlag angeführt worden. Weder J* noch F* seien von der Wahl verständigt worden. Mag. M* sei in Karenz gewesen und habe ihr aktives Wahlrecht nicht ausüben können, da es keine Möglichkeit zur Briefwahl gegeben habe bzw ihr dies nicht mitgeteilt worden sei. Bei der Wahl sei nur eine Stimme, nämlich die des Nebenintervenienten, abgegeben worden, mit der er sich selbst gewählt habe. Ein Ersatzmitglied sei nicht gewählt worden. Es seien auch keine Wahlzellen bereitgestellt worden, was aber für die Ausübung des geheimen Wahlrechts unabdingbar sei. Der Nebenintervenient sei außerdem am 17. 11. 2014 entlassen worden, sodass ihm keine Arbeitnehmereigenschaft mehr zugekommen sei. Er sei daher weder aktiv noch passiv wahlberechtigt gewesen. Der am 15. 9. 2011 gewählte Betriebsrat sei noch nicht enthoben gewesen, dessen Funktionsperiode habe bis 15. 9. 2015 weiter bestanden, aus diesem Grund sei die Wahl nichtig. Es handle sich jedenfalls um das Zerrbild einer Wahl.

[14] Der beklagte Betriebsrat (im Folgenden nur mehr „Beklagter“) bestritt und brachte vor, im Betrieb seien sechs Arbeitnehmer beschäftigt gewesen, weshalb das vereinfachte Wahlverfahren nach § 58 ArbVG zur Anwendung komme. Es sei nur ein Betriebsratsmitglied zu wählen, Wahlvorschläge seien nicht erforderlich. Der Nebenintervenient sei zur Einberufung einer Betriebsversammlung berechtigt gewesen. Darüber hinaus sei er ebenfalls berechtigt den Vorsitz zu führen. Der Kläger sei von der Betriebsversammlung verständigt und aufgefordert worden, eine Liste der Mitarbeiter zu übergeben, dem habe er jedoch nicht entsprochen. Die Einberufung der Betriebsversammlung sei vorschriftsgemäß kundgemacht worden. F* sei als freier Dienstnehmer zu qualifizieren und daher nicht wahlberechtigt. Mag. M* sei sowohl über E‑Mail als auch SMS verständigt worden. Diese Verständigung habe auch Hinweise zur Möglichkeit der Briefwahl enthalten. Das Wahllokal sei außerdem nur fünf Minuten von ihrem Wohnort entfernt gewesen. J* sei nicht verständigt worden. Ihr Name sei weder auf der Homepage noch auf der Anwesenheitstafel der Vereinszentrale aufgeschienen. Auch bei früheren Wahlen sei sie nicht wahlberechtigt gewesen. Der Kläger gehe selbst davon aus, dass das Gästehaus ein eigenständiger Betrieb sei. Dieser würde in den Jahresabschlüssen und in den Finanzberichten getrennt ausgewiesen. Es habe keine Berührungspunkte zwischen den Mitarbeitern gegeben, die Organisation sei von der Hausleitung des Gästehauses wahrgenommen worden. J* sei daher nicht wahlberechtigt gewesen. Das Wahllokal sei an der in der Kundmachung bekanntgegebenen Adresse entsprechend ausgeschildert gewesen. Zur Rechtmäßigkeit der Wahl bedürfe es einer Stimmenmehrheit, für die eine Stimme ausreiche. Es habe eine Wahlzelle gegeben und die Möglichkeit, unbeobachtet den Stimmzettel auszufüllen und ins Wahlkuvert zu geben. Zum Zeitpunkt der Wahl habe es keinen bestehenden Betriebsrat gegeben. Der frühere Betriebsrat sei ab 10. 4. 2013 funktionsunfähig gewesen, da nur eines der Mitglieder noch im Betrieb beschäftigt gewesen sei.

[15] Mag. W* erklärte seinen Beitritt als Nebenintervenient auf Seiten der Beklagten.

[16] In der Verhandlung vom 7. 12. 2020 stellten der Beklagte und der Nebenintervenient den Zwischenantrag auf Feststellung,

1. die Wahl des Wahlvorstands im Betrieb „B*“ am 26. 11. 2014 als rechtswirksam festzustellen;

in eventu, die Wahl des Wahlvorstands im Betrieb „B*“ hinsichtlich der Wahl des einzigen Mitglieds Mag. W* als rechtswirksam festzustellen; sowie

2. es möge festgestellt werden, dass Mag. W* vom 26. 11. 2014 bis zumindest 15. 1. 2015 Mitglied des am 26. 11. 2014 gewählten Wahlvorstands im Betrieb „B*“ war.

[17] Das rechtliche Interesse an der Feststellung liege darin, dass die wirksame Wahl des Wahlvorstands Voraussetzung für eine wirksame Betriebsratswahl und damit eine Abweisung der Klage sei, woraus sich auch die Unwirksamkeit der Entlassung des Nebenintervenienten ergeben würde.

[18] DerKläger begehrt die Zurückweisung bzw Abweisung des Feststellungsantrags. Die Klage auf Nichtigerklärung der Betriebsratswahl umfasse auch die Feststellung der Nichtigkeit der Wahl des Wahlvorstands. Eine gesonderte Klage sei nicht möglich.

[19] Das Erstgericht wies den Zwischenantrag auf Feststellung zurück. In der Hauptsache erklärte es die durchgeführte Betriebsratswahl im Betrieb „B*“ für nichtig, ebenso die Wahl des Wahlvorstands.

[20] Zum Zwischenantrag auf Feststellung führte es aus, dass im Verfahren zur Berufung des Wahlvorstands unterlaufene Mängel nicht selbständig, sondern nur gelegentlich der Anfechtung der Betriebsratswahl geltend gemacht werden könnten. Erfasse die Nichtigkeit der Betriebsratswahl auch die Bestellung des Wahlvorstands, sei dies festzustellen. Der Zwischenantrag auf Feststellung erfülle daher nicht die formellen Zulässigkeitsvoraussetzungen.

[21] Die Nichtigkeit der Betriebsratswahl könne bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses bei Gericht geltend gemacht werden. Ein solches rechtliches Interesse habe auch der Betriebsinhaber. Die Nichtigkeit umfasse jene Fälle, in denen elementarste Wahlgrundsätze außer Acht gelassen worden seien. Zur Betriebsratswahl seien passiv wahlberechtigt alle Arbeitnehmer, die am Tag der Ausschreibung der Wahl das 18. Lebensjahr vollendet hätten und seit mindestens sechs Monaten beschäftigt seien. Aktiv wahlberechtigt seien alle Arbeitnehmer, die das 16. Lebensjahr vollendet hätten und am Tag der Wahl im Betrieb beschäftigt seien. F* sei als freier Dienstnehmer zu qualifizieren, weshalb ihm kein aktives Wahlrecht zukomme. Hinsichtlich Vereinszentrale und Gästehaus sei dagegen von einem einheitlichen Betrieb auszugehen. Damit sei aber J* als aktiv wahlberechtigt anzusehen. Die Unterlassung ihrer Verständigung von der Wahl begründe die Nichtigkeit der Betriebsratswahl. Sie sei auch nicht von der Betriebsversammlung verständigt worden, weshalb auch die Wahl des Wahlvorstands als nichtig anzusehen sei.

[22] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten und des Nebenintervenienten gegen diese Entscheidung nicht Folge.

[23] Auch das Berufungsgericht ging von einem einheitlichen Betrieb zwischen dem Gästehaus und der Vereinszentrale aus, weshalb J* aktiv wahlberechtigt gewesen sei. Nach der Rechtsprechung führe eine unterbliebene Anfechtung dazu, dass auch die in einem Nichtbetrieb stattgefundene Wahl für die Dauer der gesetzlichen Funktionsperiode saniert und für diese Dauer gleichsam eine Gleichstellung eines Nichtbetriebs mit einem Betrieb erfolge. Bei einer nicht mehr vertretbaren absichtlichen Verkennung des Betriebsbegriffs sei jedoch Nichtigkeit anzunehmen. Darüber hinaus gehöre es – wie in einer älteren Entscheidung festgehalten worden sei – zum Wesen jeder Wahl, dass den Wahlberechtigten die Möglichkeit geboten werde, von der Tatsache, dass die Wahl stattfinde und wann und wo sie durchgeführt werde, Kenntnis zu erhalten. Diese Möglichkeit habe J* nicht gehabt, weil sie weder von der Betriebsversammlung noch von der Wahl selbst Kenntnis erlangt habe. Diese Entscheidung sei bewusst gefallen, weil der Nebenintervenient davon ausgegangen sei, dass das Gästehaus ein eigenständiger Betrieb sei. Die Wahl sei daher nichtig.

[24] Die Revision wurde vom Berufungsgericht nicht zugelassen, weil die Entscheidung von den Umständen des Einzelfalls abhänge.

[25] Gegen diese Entscheidung wenden sich die gleichlautenden Revisionen des Beklagten und des Nebenintervenienten mit dem Antrag, sie dahingehend abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[26] Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[27] Die Revision ist zur Klarstellung zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Zum Verhältnis Anfechtungsklage und Nichtigkeitsklage bei Betriebsratswahlen:

[28] 1.1. Nach § 59 Abs 1 ArbVG sind die einzelnen Wahlberechtigten und jede wahlwerbende Gruppe berechtigt, binnen Monatsfrist vom Tage der Mitteilung des Wahlergebnisses an gerechnet, die Wahl beim Gericht anzufechten, wenn wesentliche Bestimmungen des Wahlverfahrens oder leitende Grundsätze des Wahlrechts verletzt wurden und hiedurch das Wahlergebnis beeinflusst werden konnte.

[29] Nach § 59 Abs 2 ArbVG sind die in Abs 1 genannten Anfechtungsberechtigten sowie der Betriebsinhaber berechtigt, binnen Monatsfrist vom Tag der Mitteilung des Wahlergebnisses an gerechnet, die Wahl beim Gericht anzufechten, wenn die Wahl ihrer Art oder ihrem Umfang nach oder mangels Vorliegens eines Betriebs nicht durchzuführen gewesen wäre.

[30] Die Nichtigkeit einer Wahl kann dagegen nach § 60 ArbVG bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses jederzeit durch Klage auf Feststellung beim Gericht geltend gemacht werden.

[31] 1.2. Bei der Abgrenzung der konkurrierenden Bestimmung der §§ 59 und 60 ArbVG muss darauf Bedacht genommen werden, dass durch die sehr umfassende Konzeption der Anfechtungsgründe, die dazu dienen sollen, auch schwerwiegende Verstöße gegen die Bestimmungen über das Wahlverfahren nach Ablauf der Anfechtungsfrist im Interesse der Rechtssicherheit möglichst zu sanieren, für die Geltendmachung der Nichtigkeit nur mehr ein sehr kleiner Bereich verbleibt. Soll die vom Gesetzgeber verfolgte Absicht, durch eine umfassende Regelung der Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl den Bereich der absoluten Nichtigkeit einer solchen Wahl nach Möglichkeit einzuschränken, nicht vereitelt werden, ist bei der Annahme einer rechtsunwirksamen Wahl besondere Vorsicht geboten (RS0051144 [T1]). Nichtigkeit der Wahl liegt vor, wenn ein derart offensichtlicher und grober Verstoß gegen die wesentlichen gesetzlichen Wahlgrundsätze vorliegt, dass selbst der Anschein einer gesetzmäßigen Wahl fehlt (RS0051176; 8 ObA 224/94); wenn der betreffende Vorgang also „nicht einmal die Merkmale einer Wahl aufweist und deshalb nur als Zerrbild einer Wahl bezeichnet werden kann“ (RS0051176 [T1]; RS0051171 [T1]).

[32] Bei mehreren Verstößen ist eine Gesamtbeurteilung erforderlich (8 ObA 224/94). Aber auch bei einer solchen Gesamtbewertung mehrerer Verstöße beim Wahlvorgang, die bei getrennter Beurteilung nur anfechtbar wären, bei einer Gesamtbeurteilung jedoch das Gewicht einer Nichtigkeit erhalten können, ist die zuvor dargestellte Absicht des Gesetzgebers einer umfassenden Regelung des Anfechtungsbereichs zu berücksichtigen (vgl 9 ObA 110/20x).

[33] 1.3. Liegt eine nichtige Betriebsratswahl vor, ist stets so vorzugehen, als ob die Wahl nie stattgefunden hätte. Rechtshandlungen eines auf nichtige Art und Weise gewählten Betriebsrats gelten damit als nicht gesetzt. Dagegen bewirkt die rechtskräftige Entscheidung des Gerichts, womit der Anfechtung stattgegeben wird, die sofortige Beendigung der Funktionsperiode des fehlerhaft gewählten Betriebsrats. Diese Entscheidung des Gerichts über die Anfechtung wirkt allerdings nicht zurück. Rechtshandlungen, die der Betriebsrat bis zur Entscheidung des Gerichts gesetzt hat, werden in ihrer Gültigkeit nicht berührt (vgl Schneller in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht 26 [2020] § 59 Rz 12).

[34] 1.4. Die Revision macht geltend, dass aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung über die Anfechtung der Betriebsratswahl eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit nicht zulässig sei. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit würden einander ausschließen. Nur eine rechtswirksame, nicht aber eine von vornherein nichtige Betriebsratswahl könne rechtsgestaltend für rechtsunwirksam erklärt werden.

[35] 1.5. Die Rechtsprechung geht von einer Bindungswirkung an eine Vorentscheidung aus, wenn sowohl die Identität der Parteien als auch des rechtserzeugenden Sachverhalts (verbunden mit notwendig gleicher Qualifikation) gegeben sind, aber anstelle der inhaltlichen und wörtlichen Identität der Begehren ein im Gesetz gegründeter Sachzusammenhang zwischen beiden Begehren besteht. Ein solcher ist anzunehmen, wenn die Entscheidung über den neuen Anspruch vom Inhalt der bereits rechtskräftig entschiedenen Streitsache abhängig ist (Präjudizialität der rechtskräftigen Entscheidung) oder wenn das Begehren das begriffliche Gegenteil des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs darstellt (RS0041572). Die in der rechtskräftigen Entscheidung enthaltene Beurteilung von Vorfragen des entschiedenen Anspruchs erwächst demgegenüber nicht in Rechtskraft (vgl RS0041157 [T13 und T15]).

[36] Materielle Nahebeziehungen oder Abhängigkeiten zwischen den Streitgegenständen, Sinnzusammenhänge der Entscheidungsgegenstände oder Rechtsverhältnisse, das Gebot der Entscheidungsharmonie oder das Bedürfnis nach Rechtssicherheit sind keine hinreichenden Gründe für eine Erweiterung der Bindungswirkung (RS0039843 [T42]), sodass im Folgeprozess keine Bindung an die im früheren Prozess erfolgte Vorfragenbeurteilung besteht (vgl RS0041178).

[37] 1.6. Im Fall der Stattgebung eines auf Anfechtung einer Betriebsratswahl gerichteten Klagebegehrens trifft das Gericht eine rechtsgestaltende Entscheidung. Bis zu dieser rechtsgestaltenden Entscheidung bleibt die Funktionsperiode des Betriebsrats – wie dargelegt – weiter aufrecht (vgl RS0051096).

[38] Die Nichtigkeit der Wahl zieht dagegen auch die Rechtsunwirksamkeit aller Handlungen nach sich, die der als Betriebsrat bezeichnete Personenkreis zwischen der „Wahl“ und der Feststellung der Nichtigkeit vorgenommen hat (9 ObA 135/90 ua).

[39] Zwischen dem auf Anfechtung und dem auf Feststellung der Nichtigkeit der Betriebsratswahl gerichteten Klagebegehren besteht daher keine Identität des Streitgegenstands. Die Anfechtbarkeit einer Wahl ist nicht präjudiziell für die Frage ihrer Nichtigkeit. Die Nichtigkeit der Wahl ist im Anfechtungsverfahren wiederum nur eine Vorfrage, die, wenn sie nicht zum Gegenstand eines Zwischenantrags gemacht wurde, Gegenstand einer selbständigen Feststellungsklage werden und dadurch anders entschieden werden kann als im Vorprozess.

[40] Dass die Betriebsratswahl, deren Nichtigerklärung der Kläger begehrt, daher von ihm in einem anderen Verfahren bereits erfolgreich angefochten wurde, steht einer Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht entgegen.

2. Nichtigkeit aufgrund Ausschlusses einzelner Wahlberechtigter:

[41] 2.1. Der Kläger hat sich in erster Instanz darauf berufen, dass die bei ihm beschäftigten und damit für die Betriebsratswahl wahlberechtigten Dienstnehmer F* und J* nicht von der Betriebsversammlung und der Betriebsratswahl verständigt wurden. Hinsichtlich F* sind die Vorinstanzen vom Vorliegen eines freien Dienstvertrags ausgegangen. Dagegen wendet sich im Revisionsverfahren keine der Parteien. Darauf ist daher nicht weiter einzugehen.

[42] Bei J* sind beide Vorinstanzen davon ausgegangen, dass das Gästehaus, in dem diese ihre Arbeit verrichtet und die Zentrale einen einheitlichen Betrieb darstellen, J* daher für die Betriebsratswahl aktiv wahlberechtigt gewesen wäre. Unstrittig wurde sie von dieser Wahl nicht verständigt.

[43] 2.2. Nach § 52 Abs 1 ArbVG sind aktiv wahlberechtigt alle Arbeitnehmer, die am Tage der Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstands das 16. Lebensjahr vollendet haben und an diesem Tag und am Tag der Wahl im Rahmen des Betriebs beschäftigt sind. Ob bei mehreren Arbeitsstätten ein einheitlicher Betrieb vorliegt, richtet sich nach § 34 Abs 1 ArbVG. Wesentliches Merkmal des Betriebsbegriffs ist die organisatorische Einheit, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolgt.

[44] In der „organisatorischen Einheit“ muss die Einheit des Betriebsinhabers, des Betriebszwecks und der Organisation zum Ausdruck kommen. Dieser Einheit muss also ein gewisses Mindestmaß an Selbständigkeit, insbesondere in technischer Hinsicht, eingeräumt sein, und auch dem Ergebnis des Arbeitsvorgangs dieser Einheit muss eine wenn auch beschränkte Abgeschlossenheit oder Unabhängigkeit vor anderen Betriebsvorgängen eigen sein (9 ObA 51/14m; RS0051107; RS0051119). Mehrere Arbeitsstätten zusammen können dann als Betrieb angesehen werden, wenn der Betriebsinhaber in diesen Arbeitsstätten einen einheitlichen Zweck verfolgt (RS0051091 [T1]). Dass der Leiter eines Betriebs nicht berechtigt ist, Arbeitnehmer aufzunehmen und zu kündigen, ist kein entscheidendes Argument gegen die Annahme einer organisatorischen Einheit (RS0051156). Werden hingegen alle wesentlichen Entscheidungen in der Zentrale getroffen, liegt kein selbständiger Betrieb vor (9 ObA 166/99y). Die örtliche Lage einzelner Arbeitsstätten bzw ihre öffentliche Entfernung von einander ist für die Frage des Vorliegens eines Betriebs an sich nicht entscheidend. Dennoch muss zwischen Betriebsteilen eine gewisse räumliche Nähe vorliegen, wenn sie zusammen einen einheitlichen Betrieb bilden sollen (vgl RS0051162; RS0051167 [T1]).

[45] Sind die Kriterien für einen eigenständigen Betrieb nicht gegeben, liegt bloß eine unselbständige Arbeitsstätte vor, in der keine eigenen Vertretungsorgane zu wählen sind. Ein Betriebsrat ist auf der Ebene des Betriebs, den die unselbständige Arbeitsstätte mit anderen bildet, zu wählen (Windisch‑Graetz in Neumayr/Reisner, ZellKomm3 § 34 ArbVG Rz 4).

[46] 2.3. Im konkreten Fall lag die ausschließliche Entscheidungskompetenz auch hinsichtlich des Gästehauses, in dem J* tätig ist, bei der Vereinszentrale. Zugrunde liegt der Tätigkeit der gemeinsame ideelle Zweck zur Förderung sehbehinderter und blinder Menschen durch die Schaffung (auch) von Erholungsmöglichkeiten. Sämtliche Bestellvorgänge und arbeitsrechtlichen Entscheidungen wurden in der Zentrale getroffen, deren Mitarbeiter auch die alleinige wirtschaftliche Verantwortung tragen.

[47] Zu Recht sind die Vorinstanzen von einem einheitlichen Betrieb von Vereinszentrale und Gästehaus ausgegangen. J* war daher für den Betriebsrat der Zentrale aktiv wahlberechtigt.

[48] 2.4. Die Revision macht geltend, dass auch der Ausschluss von J* nur eine Anfechtbarkeit begründet, weil mit § 59 Abs 2 ArbVG von der Wahl in einem Nichtbetrieb (Zentrale ohne Gästehaus) auszugehen sei.

[49] Richtig ist, dass nach § 59 Abs 2 ArbVG das Nichtvorliegen eines Betriebs (nur) einen Anfechtungsgrund darstellt. Allerdings wurde der Betriebsrat nicht für die organisatorische Einheit gewählt, die nicht die Voraussetzungen eines Betriebs erfüllt, vielmehr wurden Arbeitnehmer nicht von der Wahl verständigt, die dieser Einheit organisatorisch angehören. Damit wurden aber Personen, für die der konkrete Betriebsrat gewählt wurde, von der Wahl ausgeschlossen. Auf § 59 Abs 2 ArbVG können sich daher die Revisionswerber nicht berufen.

[50] 2.5. Das Berufungsgericht ging von einer Nichtigkeit der Wahl aus, da J* von der Wahl nicht verständigt wurde. Es berief sich dazu auf die Entscheidung 4 Ob 75/66, in der eine Wahl als nichtig erachtet wurde, in der nicht alle stimmberechtigten Dienstnehmer davon Kenntnis erlangten bzw überhaupt Kenntnis erlangen konnten. Es gehöre zum Wesen jeder Wahl, dass den Wahlberechtigten die Möglichkeit geboten werde, von der Tatsache, dass die Wahl stattfindet und wann und wo sie durchgeführt wird, Kenntnis zu erhalten. Werde dem zuwider gehandelt, dann liege keine Wahl vor. Es fehle nämlich in diesem Fall an der Erfüllung einer Grundvoraussetzung der Wahl, der Beteiligungsmöglichkeit aller Wahlberechtigten.

[51] An der Richtigkeit dieser Ausführungen besteht kein Zweifel. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts lässt sich daraus jedoch nicht der Umkehrschluss ziehen, dass die Nichtkenntnis jedes einzelnen Wahlberechtigten von der Abhaltung einer Wahl die Nichtigkeit der Wahl zur Folge hat. Nach dem der zitierten Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt waren die Arbeitnehmer ohne System mündlich zu einer Betriebsversammlung eingeladen worden, bei der die sofortige Durchführung einer Wahl, ohne Wählerlisten zu verfassen und aufzulegen, beschlossen und ohne Wahlzelle und ohne konsequenter Sicherstellung einer geheimen Wahl eine Abstimmung durchgeführt worden war. Die Möglichkeit zur Beteiligung an der Wahl war daher im Wesentlichen von Zufälligkeiten abhängig.

[52] Tatsächlich sieht das Gesetz eine Vielzahl von Regelungen vor, die die Beteiligung aller Wahlberechtigter sicherstellen soll. Nach § 55 ArbVG hat der Wahlvorstand nach seiner Bestellung die Wahl unverzüglich vorzubereiten und innerhalb von vier Wochen durchzuführen. Er hat die Wählerliste zu verfassen und sie zur Einsicht der Wahlberechtigten im Betrieb aufzulegen. Grundlage für die Erstellung dieser Wählerliste bilden nach der Konzeption des Gesetzes die Verzeichnisse der Arbeitnehmer, die der Betriebsinhaber gemäß § 55 Abs 3 ArbVG dem Wahlvorstand zur Durchführung der Wahl rechtzeitig zur Verfügung zu stellen hat. Nach § 15 Abs 1 der gemäß § 161 Abs 1 ArbVG erlassenen Betriebsratswahlordnung (BRWO in der anzuwendenden Fassung) hat der Wahlvorstand anhand des Verzeichnisses die Wahlberechtigten festzustellen, indem er diejenigen ausscheidet, die am Tag der Wahl das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder aus anderen Gründen vom Wahlrecht ausgeschlossen sind und jene einfügt, die vom Betriebsinhaber zu Unrecht nicht in das Verzeichnis aufgenommen wurden. Aufgrund der Feststellung nach Abs 1 hat der Wahlvorstand gemäß § 15 Abs 2 BRWO binnen drei Tagen nach seiner Wahl die Wählerliste zu erstellen und gleichzeitig mit dem Anschlag der Wahlkundmachung zur Einsicht für alle wahlberechtigten Arbeitnehmer aufzulegen. Binnen einer Woche nach dem Anschlag kann jeder wahlberechtigte Arbeitnehmer beim Vorsitzenden des Wahlvorstands gegen die Aufnahme vermeintlich Nichtwahlberechtigter oder gegen die Nichtaufnahme vermeintlich Wahlberechtigter Einspruch erheben. Verspätet eingebrachte Einwendungen sind nicht zu berücksichtigen. Sind die Einwendungen begründet, hat der Wahlvorstand die Wählerliste richtigzustellen. Offensichtliche Irrtümer wie Schreibfehler können auch ohne Antrag bis zum Wahltag berichtigt werden.

[53] Dessen ungeachtet kann es auch bei Einhaltung dieser Vorschriften dazu kommen, dass einzelne Arbeitnehmer von der Wahl keine Kenntnis erlangen oder an dieser zu Unrecht nicht beteiligt werden. Auch mit dieser Frage war der Oberste Gerichtshof bereits befasst: Werden Personen, die in die Wählerliste aufzunehmen gewesen wären, nicht aufgenommen, werden wesentliche Bestimmungen des Wahlverfahrens verletzt (9 ObA 121/05t). Die Unterlassung eines Einspruchs gegen die Wählerliste ist nicht geeignet, das Anfechtungsrecht nach § 59 ArbVG zu beschränken (9 ObA 22/91; 9 ObA 121/05t). In beiden Entscheidungen wurde die Unterlassung der Aufnahme einzelner Wähler aber als Anfechtungsgrund, nicht aber als Nichtigkeitsgrund beurteilt. Es liegt eben nicht das „Zerrbild“ einer Wahl vor, sondern eine fehlerhafte Wahl.

[54] 2.6. Berücksichtigt man im konkreten Fall, dass jeweils die im ArbVG und in der Betriebsratswahlordnung vorgesehenen formellen Voraussetzungen zur Einbeziehung aller Wahlberechtigten eingehalten wurden (Kundmachung; Aufforderung an den Dienstgeber zur Übermittlung eines Verzeichnisses der Wahlberechtigten, der nicht entsprochen wurde; Auflage einer Wählerliste; Möglichkeit zum Einspruch), jedoch aufgrund einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Wahlberechtigung einer Mitarbeiterin diese nicht in das Wählerverzeichnis aufgenommen wurde, wogegen niemand Einspruch erhoben hat, stellt der Ausschluss dieser Mitarbeiterin von der Wahl für sich allein genommen nur einen Anfechtungs-, keinen Nichtigkeitsgrund dar.

[55] 3. Damit sind aber auch die vom Kläger geltend gemachten übrigen Nichtigkeitsgründe zu prüfen.

[56] 3.1. Gemäß § 12 Abs 4 BRWO kann die Wahl des Wahlvorstands nicht gesondert, sondern nur gemeinsam mit der Wahl des Betriebsrats angefochten werden. Im Verfahren zur Berufung des Wahlvorstands unterlaufene Mängel können nicht selbständig, sondern nur gelegentlich der Anfechtung der Betriebsratswahl geltend gemacht werden. Dies gilt nicht nur für die Geltendmachung von Anfechtungsgründen im Sinne des § 59 ArbVG, sondern auch im Falle einer absoluten Nichtigkeit der Betriebsratswahl gemäß § 60 ArbVG. Auch die Nichtigkeit kann erst nach erfolgter Wahl – jederzeit – festgestellt werden; erfasst die Nichtigkeit auch die Bestellung des Wahlvorstands, wäre dies festzustellen (9 ObA 223/90; vgl Schnellerin Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht 26 [2020] § 54 Rz 18). Daher sind zuerst die für eine Nichtigkeit der Betriebsratswahl vorgebrachten Gründe zu prüfen, erst dann auf die behaupteten Mängel der Berufung des Wahlvorstands einzugehen.

[57] 3.2. Nach § 58 ArbVG gilt in Betrieben, in denen bis zu zwei Betriebsratsmitglieder zu wählen sind, ein vereinfachtes Verfahren: Die Betriebsratsmitglieder und die Ersatzmitglieder werden mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gewählt. Der Wahlvorstand besteht aus einem wahlberechtigten Arbeitnehmer. Es bedarf keiner Einreichung von Wahlvorschlägen. Die Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder richtet sich nach der Anzahl der Arbeitnehmer. Nach § 50 Abs 1 ArbVG sind in Betrieben mit 5 bis 9 Arbeitnehmern ein Betriebsratsmitglied, in Betrieben mit 10 bis 19 Arbeitnehmern zwei Betriebsratsmitglieder zu wählen. Für den Kläger ist daher ein Betriebsratsmitglied zu wählen und gilt das vereinfachte Wahlverfahren.

[58] 3.3. Entgegen dem Vorbringen des Klägers steht fest, dass die in Karenz befindliche Mitarbeiterin Mag. M* von der Wahl verständigt wurde und in der Wahlkundmachung auch auf die Möglichkeit einer Briefwahl hingewiesen wurde (./13).

[59] Der Kläger hat geltend gemacht, dass die Wahlkundmachung den Ort der Wahl nicht eindeutig genug angeführt hat. Dagegen hat die Beklagte vorgebracht, dass an der angegebenen Adresse die Wahl ausgeschildert war. Ebenfalls bestehen unterschiedliche Behauptungen zur Frage, ob Wahlzellen für die Sicherung einer geheimen Wahl vorhanden waren. Diesbezüglich fehlen jeweils Feststellungen. Dass der Wahlvorgang an sich ordnungsgemäß durchgeführt wurde, lässt sich auf Basis der getroffenen Feststellungen daher nicht beurteilen. Waren die Vorkehrungen ausreichend, reichte eine abgegebene Stimme als Mehrheit für die Wahl des Betriebsrats aus.

[60] Dass keine Wahlvorschläge eingebracht wurden, ist für die Gültigkeit der Wahl nicht von Bedeutung, da solche im vereinfachten Verfahren nicht erforderlich sind (§ 58 Z 3 ArbVG; § 36 Abs 4 BRWO). Ob einheitliche Stimmzettel aufgelegt wurden, wurde nicht festgestellt. Von deren Verwendung kann jedoch nach § 36 Abs 6 BRWO im vereinfachten Verfahren, wenn keine Wahlvorschläge erstattet wurden, ohne Weiteres abgesehen werden.

[61] 3.4. Zu berücksichtigen ist weiters, dass der Kläger vorgebracht hat, dass die Funktionsperiode des 2011 gewählten Betriebsrats noch nicht abgelaufen war.

[62] Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 8 Ob 80/00y dargelegt, dass das Repräsentationsprinzip bei mittelbarer Demokratie auch bei Betriebsratswahlen nicht nur in persönlicher, sondern auch in zeitlicher Hinsicht gewahrt werden muss. Dem diene die gesetzliche Festsetzung einer Tätigkeitsdauer des Betriebsrats (§ 61 Abs 1 ArbVG) und die Sollvorschrift des § 10 Abs 2 BRWO, dass der Wahlvorstand nicht früher als 12 Wochen vor Ablauf der Tätigkeitsdauer gewählt werden dürfe. Es entspreche ständiger Rechtsprechung, dass bei Missachtung der Funktionsperiode des bisherigen Betriebsrats durch Wahl eines neuen Betriebsrats diese Wahl als den elementarsten Grundsätzen einer Wahl widersprechend als absolut nichtig zu qualifizieren sei.

[63] Mangels Feststellungen kann weder beurteilt werden, ob eine relevante Verkürzung der Funktionsperiode des vorangehenden Betriebsrats erfolgte, noch, wie von der Beklagten eingewendet, der frühere Betriebsrat funktionsunfähig war, weshalb eine Wahl erforderlich wurde.

[64] 3.5. Weiters hat der Kläger geltend gemacht, dass die Wahl vom Nebenintervenienten nur zur Förderung dessen eigenen Vorteils abgehalten wurde, die Wahl sei entgegen dem ausdrücklichen Willen sämtlicher anderer Arbeitnehmer erfolgt, um dem Nebenintervenienten den Kündigungsschutz eines Betriebsrats zu sichern. Auch mit diesem Vorbringen hat sich das Erstgericht bislang noch nicht auseinandergesetzt.

[65] 4. Zusammengefasst liegt alleine im Ausschluss von J* von der Wahl kein Nichtigkeitsgrund. Ergänzend sind jedoch Feststellungen zum unmittelbaren Wahlvorgang, zu einem möglichen Eingriff in die Funktionsperiode des vorangegangenen Betriebsrats ebenso wie eine nähere Auseinandersetzung mit den behaupteten unlauteren Motiven des Nebenintervenienten für die Abhaltung einer Betriebsratswahl erforderlich, um eine allfällige Nichtigkeit beurteilen zu können.

[66] 5. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben.

[67] Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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