OGH 4Ob75/66

OGH4Ob75/6629.11.1966

SZ 39/203

Normen

Betriebsrätegesetz §5
Betriebsratswahlordnung §13
Betriebsrätegesetz §5
Betriebsratswahlordnung §13

 

Spruch:

Absolute Nichtigkeit einer Betriebsratswahl. Eine Zusammenkunft von Betriebsangehörigen, die nicht von dem hiefür zuständigen Organ einberufen wurde, ist keine Betriebsversammlung im Sinne des § 5

BRG.

Entscheidung vom 29. November 1966, 4 Ob 75/66

I. Instanz: Arbeitsgericht Vöcklabruck; II. Instanz: Kreisgericht Wels

Text

Der Kläger, der seit 4. März 1962 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt gewesen war, wurde am 9. März 1965 gekundigt. Nach Ablauf der 14tägigen Kündigungsfrist wurde er am 23. März 1965 vom Lohnbüro der Beklagten abgefertigt; mit diesem Tag stellte er die Arbeit für die Beklagte ein. Am 30. März 1965 begann er die Arbeit bei einem anderen Arbeitgeber. Seine Lohnansprüche gegen die Beklagte hätten bis zur Klagseinbringung nach Abzug des in seinem neuen Arbeitsverhältnis in diesem Zeitraum erzielten Entgelts die Höhe von 1410.75 S erreicht. Mit der Behauptung, die am 9. März 1965 ausgesprochene Kündigung sei unwirksam, weil von dieser der am 25. Februar 1965 gewählte Betriebsrat nicht verständigt worden sei (§ 25 BRG.), begehrt er, a) die Beklagte zur Zahlung des oben genannten Unterschiedsbetrages von 1410.75 S s. A. zu verurteilen, b) festzustellen, daß die am 9. März 1965 ausgesprochene Kündigung unwirksam und das Dienstverhältnis noch immer aufrecht sei.

Die Beklagte beantragt, das Begehren abzuweisen. Sie gibt zu, den am 25. Februar 1965 gewählten Betriebsrat von der Kündigungsabsicht nicht verständigt zu haben, doch sei die am genannten Tag durchgeführte Betriebsratswahl absolut nichtig gewesen. Der Betriebsrat sei nur von einem Teil der Arbeitnehmer in einem Gasthaus gewählt worden, es habe keine ordnungsgemäß einberufene Betriebsversammlung und keine ordnungsgemäße Kundmachung der Wahl stattgefunden, es sei auch die Auflegung eines Wählerverzeichnisses unterblieben, und schließlich habe im Wahllokal keine Wahlzelle bestanden. Auf Grund der Vorstellungen des Personalsachbearbeiters der Beklagten sei in der Folge am 4. März 1965 eine neue Betriebsratswahl kundgemacht und später auch durchgeführt worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte zwar zahlreiche Mängel des Wahlvorgangs fest, doch hätten diese nach seiner Rechtsauffassung keine absolute Nichtigkeit der Wahl zur Folge. Die Mängel seien durch die Unterlassung der Anfechtung saniert worden.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es führte gemäß § 25 ArbGerG. die Verhandlung neu durch und stellte folgendes fest: Im Betrieb der Beklagten, der zur Zeit der Betriebsratswahl über 50 Arbeiter und 6 Angestellte umfaßt habe, habe bis dahin noch kein Betriebsrat bestanden. Im Jänner 1965 sei die betriebliche Kinderzulage auf eine andere Berechnungsgrundlage gestellt worden, was zu Unruhe im Betrieb geführt habe. Einige jüngere Arbeitnehmer hätten darufhin beschlossen, sich zu organisieren. In diesem Zusammenhang sei teils von der Gründung einer Gewerkschaft, teils von der Wahl eines Betriebsrates gesprochen worden. Schließlich habe man mit dem Gewerkschaftssekretär M. aus Linz die Abhaltung einer Betriebsversammlung unter dessen Teilnahme für 25. Februar 1965, 16 Uhr, im Gasthaus K. in B., vereinbart. Zugleich sei beschlossen worden, die Bekanntmachung dieser Betriebsversammlung in der Art durchzuführen, daß jeder der Anreger mündlich und kurz vor dem Termin, also hauptsächlich am 25. Februar 1965, die Arbeitskameraden, mit welchen er an seinem Arbeitsplatz Berührung habe, verständigen sollte. Diese Mitteilungen seien einem zahlenmäßig nicht erfaßbaren Teil der Belegschaft gemacht worden, wobei teils von einer zu grundenden Gewerkschaft, teils von einem zu grundenden bzw. zu wählenden Betriebsrat gesprochen worden sei. Ein schriftlicher Anschlag über die Betriebsversammlung sei nicht angebracht worden. Auch sei der älteste der Arbeitnehmer mit der Einberufung nicht befaßt worden, auch nicht der zweit- oder drittälteste. Die mündliche Durchsage habe jedenfalls nicht alle Betriebsangehörigen erreicht, dies sei insbesondere hinsichtlich der im Krankenstand oder im Urlaub befindlichen Arbeitnehmer und der an diesem Tag auswärts weilenden Betriebsfahrer nicht möglich gewesen. Auch habe diese Durchsage nicht die Angestellten des Betriebes erreicht, zumindest nicht in dem Sinn, daß es sich um eine Versammlung handle, in der auch ihre Interessen berührt würden. Zum vorgesehenen Termin am 25. Februar 1965 seien nach 16 Uhr in einem Nebenzimmer des Gasthauses K. etwa 36 Arbeitnehmer der Beklagten erschienen, unter welchen sich auch einige Jugendliche befunden hätten. Eine Dienstnehmerliste sei nicht beigeschafft worden. Gewerkschaftssekretär M. habe zu einem "Schnellverfahren" geraten und zuerst die Bestellung eines Wahlvorstandes angeregt. Unter seiner Anleitung seien daraufhin die Arbeitnehmer W., E. und L. durch Handaufhebung einstimmig als Wahlvorstandsmitglieder gewählt worden. M. habe dann durch Befragung der Anwesenden festgestellt, daß sich die Mehrheit für folgenden Wahlvorschlag entschieden habe:

W., Wa., L. und E. als Betriebsratsmitglieder und R. (Kläger), B., G, und N. als Ersatzmitglieder. Unter Anleitung des Gewerkschaftssekretärs M. habe nun der Wahlvorstand die sofortige Durchführung der Wahl verfügt, ohne Wählerlisten zu verfassen oder aufzulegen, ohne Anschlag einer Wahlkundmachung und ohne Festsetzung einer bestimmten Wahlzeit. Die Mitglieder des Wahlvorstandes hätten sich in einen anderen Raum des Gasthauses an einen Tisch gesetzt, auf dem eine Schachtel mit einem Schlitz aufgestellt gewesen sei, die als Wahlurne dienen sollte. Eine Wahlzelle habe nicht bestanden. M. habe an die Versammlungsteilnehmer im ursprünglichen Versammlungszimmer Stimmzettel mit dem Aufdruck "Liste freier Gewerkschaften" und undurchsichtige Umschläge verteilt. Er habe sie belehrt, daß diejenigen, die den verlesenen Wahlvorschlag billigen, den Stimmzettel in den Umschlag geben und diesen im Nebenzimmer in die dort aufgestellte Schachtel werfen sollten; wer gegen den Wahlvorschlag sei, solle einen leeren Umschlag einwerfen. Er habe ferner erklärt, die Wahl solle geheim sein, weshalb jeder Wähler die Möglichkeit habe, in einen kleinen Nebenraum zu gehen, um dort den Umschlag zu füllen und auf die Rückseite des Stimmzettels den Namen desjenigen zu schreiben, den er als Betriebsratsobmann wünsche. Ein Teil habe den kleinen Raum zu diesem Zweck benützt, ein anderer Teil habe sich der im Versammlungsraum stehenden leeren Tische bedient. Sodann seien die Versammlungsteilnehmer nacheinander in das Zimmer, in dem der Wahlvorstand saß, gegangen und hätten den verschlossenen Umschlag in die Wahlurne geworfen. Nach der Wahl sei festgestellt worden, daß 28 Stimmen abgegeben wurden, daß kein Umschlag leer gewesen sei und daß 18 Stimmen für Wa. als Betriebsratsobmann, 9 Stimmen für W., 1 für E. und keine für L. abgegeben worden seien. M. habe als Ergebnis bekanntgegeben, daß somit Wa. Betriebsratsobmann sei, W. sein Stellvertreter und E. und L. einfache Mitglieder des Betriebsrates. Sodann habe er die Anwesenden über die Anfechtungsmöglichkeiten belehrt und den gewählten Betriebsratsmitgliedern empfohlen, sich alsbald beim Betriebsinhaber vorzustellen. Einen von M. vorbereiteten Anschlag im Betrieb habe der Kläger am nächsten Tag um 3.30 Uhr angebracht. Bei Arbeitsbeginn sei dieser noch gesehen worden, später aber nicht mehr. Der Personalsachbearbeiter H., der von der Wahl nur gerüchtweise erfahren hatte, habe den Arbeitnehmern Wa., W., L. und E., als sie sich am 26. Februar 1965 als gewählte Betriebsräte vorstellen wollten, erklärt, er anerkenne die Wahl aus formellen Gründen nicht. In der Folge habe M. den Betriebsratsmitgliedern mit Rücksicht auf die Stimmung im Betrieb geraten, die Wahl formgerecht zu wiederholen und für den Zeitpunkt, in dem ein neuer Betriebsrat gewählt sein werde, ihren Rücktritt zu beschließen, was von den Betriebsratsmitgliedern auch beschlossen worden sei. Am 4. März 1965 sei dann die Einberufung einer Betriebsversammlung für 8. März 1965 zur Wahl eines Wahlvorstandes an der Anschlagtafel ausgehängt worden und die Betriebsratswahl für den 22. März 1965 ausgeschrieben worden, bei der dann dieselben Personen zu Betriebsratsmitgliedern gewählt worden seien, jedoch in der Reihung Wa., L., W. und E. Der Kläger sei wieder zum Ersatzmitglied gewählt worden. Weder die erste noch die zweite Wahl sei angefochten worden.

Das Berufungsgericht beurteilte die Betriebsratswahl vom 25. Februar 1965 als nichtig, weil die Betriebsversammlung nicht von dem nach § 5 (2) BRG. hiefür allein zuständigen, an Lebensjahren ältesten stimmberechtigten Dienstnehmer einberufen worden sei. Mangels der Einberufung durch diesen müsse im Zusammenhalt mit dem Mangel der vorgeschriebenen Bekanntmachung die Versammlung nur als "wilde" Betriebsversammlung angesehen werden, deren Beschlüssen keine Gültigkeit zukomme. Daß sich der gewählte Betriebsrat selbst nicht für funktionsfähig gehalten habe, gehe auch daraus hervor, daß er die Einberufung der zur zweiten Wahl führenden Betriebsversammlung dem ältesten Dienstnehmer überlassen, seine Funktion also nicht ausgeübt habe. Da im Zeitpunkt der Kündigung am 9. März 1965 ein funktionsfähiger Betriebsrat nicht bestanden habe, stehe die Unterlassung der Verständigung desselben von der beabsichtigten Kündigung deren Wirksamkeit nicht entgegen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Eine Aktenwidrigkeit erblickt der Kläger in der Annahme des Berufungsgerichtes, im Zeitpunkt der Kündigung habe kein funktionsfähiger Betriebsrat mehr bestanden. Diese Feststellung stehe in Widerspruch zum Inhalt der Akten, wonach der Betriebsrat seine Funktion erst mit Wirkung der neuen Wahl zurückgelegt habe.

Der Kläger mißversteht das Wesen der Aktenwidrigkeit. Eine solche liegt nur dann vor, wenn Feststellungen auf einem bei der Darstellung der Beweisergebnisse unterlaufenen Irrtum beruhen, sie liegt aber nicht in rechtlichen Schlußfolgerungen. Die Annahme des Berufungsgerichtes, der Betriebsrat sei nicht funktionsfähig gewesen, stellt sich nicht als Tatsachenfeststellung, sondern als eine rechtliche Schlußfolgerung dar. Somit liegt Aktenwidrigkeit nicht vor.

In rechtlicher Hinsicht bekämpft die Revision vor allem die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, die Einberufung der Betriebsversammlung durch andere Personen als den ältesten stimmberechtigten Dienstnehmer sei ein zur absoluten Nichtigkeit führender Formverstoß. Nach Ansicht der Revision könnte dieser Formverstoß lediglich zur Ungültigkeit der Wahl führen, dies aber auch nur im Fall ihrer Anfechtung.

Eine Zusammenkunft von Betriebsangehörigen, die nicht von dem hiefür zuständigen Organ einberufen wurde, ist keine Betriebsversammlung im Sinn des Gesetzes. Die in ihr gefaßten Beschlüsse sind ungültig, es mangeln ihnen die für ihre Wirksamkeit und Verbindlichkeit erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen. Diese Meinung vertreten mit Recht Floretta - Straßer, Kommentar zum BRG., S. 79; auch der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 8. Jänner 1952, Arb. 5351, dem Gedanken Ausdruck verliehen, daß Beschlüsse, die in einer nicht ordnungsgemäß einberufenen Betriebsversammlung gefaßt werden, wirkungslos bleiben müssen.

Darüber hinaus ist aber sowohl die Betriebsversammlung selbst, als auch in ihr beschlossene und durchgeführte Wahl aus einem weiteren, vom Berufungsgericht allerdings nur angedeuteten Grund absolut nichtig. Die Rechtsprechung geht, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, davon aus, daß eine absolut nichtige Wahl, besser gesagt eine Nichtwahl, dann anzunehmen ist, wenn der Sachverhalt, der von den Beteiligten als Betriebsratswahl bezeichnet oder angesehen wird, so beschaffen ist, daß über die Verletzung wesentlicher Bestimmungen des Wahlverfahrens hinaus (§ 9 (9) BRG.) die elementarsten Grundsätze einer Wahl im allgemeinen und der Betriebsratswahl im besonderen außer acht gelassen wurden (so auch Floretta - Straßer, a. a. O., S. 143, Oberster Gerichtshof vom 6. November 1962, Arb. 7656, vgl. etwa auch Verwaltungsgerichtshof vom 5. Oktober 1961, Slg. NF. Nr. 5640). Der Oberste Gerichtshof führt in der genannten Entscheidung zwei Beispiele für die Verletzung elementarer Grundsätze einer Wahl an, nämlich eine Wahl ohne Wahlvorschlag oder mit einer öffentlichen Abstimmung an Stelle einer geheimen Wahl. Die Intensität dieser beiden Verstöße gegen die elementaren Grundsätze einer Wahl wird in dem Fall zumindest erreicht, wenn die Einberufung zur Betriebsversammlung, in der die Wahl beschlossen und auch durchgeführt werden soll, in einer Weise vor sich geht, daß nicht alle stimmberechtigten Dienstnehmer davon Kenntnis erlangen und daß einige von ihnen überhaupt keine Kenntnis erlangen können. Es gehört zum Wesen jeder Wahl, daß den Wahlberechtigten die Möglichkeit geboten wird, von der Tatsache, daß die Wahl stattfindet, und wann und wo sie durchgeführt wird, Kenntnis zu erhalten. Wird dem zuwidergehandelt, dann liegt keine Wahl vor; es fehlt nämlich in diesem Fall an der Erfüllung einer Grundvoraussetzung der Wahl, der Beteiligungsmöglichkeit aller Wahlberechtigten. Aus diesem Grund sieht die Betriebsratswahlordnung vom 24. Juli 1947, BGBl. Nr. 211, im § 13 (3) vor, daß die Wahlkundmachung im Betrieb derart anzuschlagen ist, daß alle Wahlberechtigten bis zur Beendigung der Wahlhandlung leicht von ihrem Inhalt Kenntnis nehmen können.

Nicht nur dieser Vorgang wurde nicht eingehalten, sondern es wurde auch keine andere Art der Verständigung gewählt, die Gewähr dafür geboten hätte, daß die Absicht, eine Betriebsratswahl durchzuführen, allen Stimmberechtigten zur Kenntnis gelangte. Es war mehr oder weniger dem Zufall überlassen, wen die mündliche Verständigung erreichte. Es war nicht einmal dafür Gewähr geboten, daß wenigstens die von der Betriebsversammlung mündlich Verständigten eindeutig wußten, daß eine Betriebsratswahl durchgeführt werden solle. Nach den Feststellungen der Untergerichte wurden nicht alle Betriebsratsangehörigen verständigt, darunter auch nicht die im Krankenstand oder auf Urlaub befindlichen oder die gerade ortsabwesenden Dienstnehmer und auch nicht die Angestellten.

Diese Unterlassungen nehmen dem von einigen Dienstnehmern beabsichtigten Vorgang der Einberufung einer Betriebsversammlung, der Wahl des Wahlvorstandes und der Wahl von Betriebsräten jede Wirksamkeit. Es liegt nicht ein durch Unterlassung der Anfechtung sanierbarer Verstoß gegen wesentliche Bestimmungen, sondern die Nichtbeachtung elementarer Grundsätze einer Wahl vor, die die Unwirksamkeit der gefaßten Beschlüsse und damit die absolute Nichtigkeit der Wahl zur Folge hat.

Geht man davon aus, daß der am 25. Februar 1965 durchgeführten Wahl des Betriebsrates keine Wirksamkeit zukam, dann erübrigt sich eine Erörterung der Frage, ob die bei dieser Wahl gewählten Personen auf die Ausübung ihrer Funktionen zum Zeitpunkt der Einleitung der neuen Wahl verzichtet haben. Ob die nach Klagseinbringung dem Personalsachbearbeiter gegenüber abgegebene Erklärung des Klägers, die anderen hätten ihn in die Sache hineingetrieben, in dem Sinn aufgefaßt werden könnte, daß er selbst das Arbeitsverhältnis nicht mehr aufrechterhalten wolle, spielt bei dieser Rechtslage keine Rolle.

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