OGH 4Ob113/22d

OGH4Ob113/22d23.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin T* G*, geboren am * 1994, *, gegen den Antragsgegner Mag. R* G*, vertreten durch Brandstetter, Feigl, Pfleger Rechtsanwälte GmbH in Amstetten, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 8. März 2022, GZ 15 R 70/22b‑12, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 4. Jänner 2022, GZ 2 FAM 36/21s‑9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00113.22D.0923.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die Kosten seines Revisionsrekurses selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Die volljährige Antragstellerin begehrte vom Antragsgegner – ihrem Vater – eine Unterhaltserhöhung ab 1. 6. 2021 auf monatlich 600 EUR. Dies müsse sie im Zusammenhang mit einem Antrag auf Mindestsicherung machen. Sie verfüge über kein Einkommen und sei derzeit nicht arbeitsfähig.

[2] Der Antragsgegner sprach sich gegen eine Unterhaltsverpflichtung aus. Seine Heranziehung zum Ersatz von Sozialhilfeaufwendungen sei gesetzlich ausgeschlossen.

[3] Das Erstgericht verpflichtete den Vater mit Teilbeschluss zu monatlichen Unterhaltszahlungen für seine Tochter ab 1. 6. 2021 in Höhe von 320 EUR. Über das Mehrbegehren werde im weiteren Verfahren entschieden. Der Bezug von Sozialhilfe stehe der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs nicht entgegen.

[4] Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und ließ nachträglich den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil lediglich eine vereinzelt gebliebene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zur speziellen Fallkonstellation vorliege. Die Mindestsicherung (nunmehr Sozialhilfe) solle den Unterhaltsverpflichteten jedenfalls nicht entlasten.

[5] Der Vater beantragt mit seinem Revisionsrekurs, ihn von seiner Unterhaltspflicht zu entheben.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der Revisionsrekurs ist in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

[7] 1.1. Der Grundsatz, dass eine Person, deren Unterhaltsbedürfnisse aufgrund einer öffentlichen Verpflichtung zur Gänze von einem Dritten gedeckt werden, schon deswegen keine Unterhaltsansprüche gegen einen zivilrechtlich Unterhaltspflichtigen stellen kann, weil ihr kein Anspruch auf Doppelversorgung zusteht, kann dort nicht angewendet werden, wo der Gesetzgeber durch Anordnung (aufgeschobener) Legalzession ausdrücklich das Weiterbestehen des Anspruchs des Unterhaltsberechtigten vorausgesetzt hat (RS0063121). Nur wenn das jeweilige Sozialhilfegesetz keine den Sozialhilfeempfänger betreffende Rückzahlungsverpflichtung oder keine (aufgeschobene) Legalzession des Unterhaltsanspruchs vorsieht, also die einmal gewährte Sozialhilfe nicht (mehr) zurückgefordert werden kann, ist sie als anrechenbares Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten anzusehen (RS0118565 [T2]).

[8] 1.2. Mittlerweile entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass die dem Unterhaltsberechtigten gewährte Sozialhilfe nur dann als Eigeneinkommen angerechnet werden kann, wenn das jeweilige Sozialhilfegesetz keine Rückzahlungsverpflichtung des Sozialhilfeempfängers und keine „aufgeschobene“ Legalzession oder keine dieser gleichzuhaltende Verpflichtung zur rechtsgeschäftlichen Zession (9 Ob 23/04d; zu letzterem 4 Ob 29/14i) vorsieht und demnach die einmal gewährte Sozialhilfe nicht mehr zurückgefordert werden kann (RS0129380; RS0118565 [insb T2]; RS0063121; 9 Ob 23/04d; 1 Ob 200/05a; 4 Ob 153/06p; 4 Ob 29/14i [bedarfsorientierte Mindestsicherung ist kein Eigeneinkommen]; 3 Ob 155/17s [Legalzession]; 3 Ob 201/20k [zur Verjährung]; 4 Ob 109/21i; vgl auch 2 Ob 62/10x; 1 Ob 202/09a; Stabentheiner/Reiter in Rummel/Lukas, ABGB4 § 231 Rz 82 mwN; vgl auch Limberg in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.06 § 231 Rz 55 mwN; Neuhauser in Schwimann/Neumayr, ABGB TaKom5 § 231 Rz 198).

[9] 1.3. Ist zwar im Gesetz keine Legalzession vorgesehen, die hilfsbedürftige Person aber verpflichtet, Unterhaltsansprüche selbst geltend zu machen oder diese bei sonstiger Einstellung der Mindestsicherung dem zuständigen Rechtsträger auf Verlangen zur Rechtsverfolgung zu übertragen, ist diese unbeschränkte und sanktionsbewehrte Verpflichtung zur rechtsgeschäftlichen Zession der Legalzession gleichzuhalten, weil beide Varianten auf der Wertung beruhen, dass die Mindestsicherung den Unterhaltspflichtigen nicht entlasten soll. Verfolgt das Landesrecht hingegen die Absicht, Unterhaltspflichtige, die behinderte Menschen zu alimentieren haben, mit Eintritt der Volljährigkeit des Unterhaltsberechtigten zu entlasten, sind die Zuwendungen aus einer solchen öffentlichen Versorgung als Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten zu berücksichtigen (Neuhauser in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar5 § 231 Rz 377 mwN).

[10] 2.1. Der Senat führte zu 4 Ob 29/14i aus, dass das Oö Mindestsicherungsrecht (Oö Mindestsicherungsgesetz [Landesgesetz über die bedarfsorientierte Mindestsicherung in Oberösterreich, Oö BMSG]) keine aufgeschobene Legalzession vorsieht; die hilfsbedürftige Person ist lediglich verpflichtet, Unterhaltsansprüche entweder selbst geltend zu machen (§ 7 Abs 2 Z 3 Oö BMSG, nunmehr § 6 Abs 5 Z 3 Oö Sozialhilfe‑Ausführungsgesetz [Oö SOHAG]) oder diese dem zuständigen Rechtsträger auf Verlangen zur Rechtsverfolgung zu übertragen (§ 8 Abs 4 Oö BMSG, nunmehr § 14 Abs 3 Oö SOHAG). Die tatsächlich geleisteten Unterhaltszahlungen sind in der Folge auf die Mindestsicherung anzurechnen (§ 8 Abs 1 Z 2 Oö BMSG, nunmehr § 14 Abs 1 Oö SOHAG). Die Mindestsicherung ist bei Bemessung des Unterhalts nicht als Eigeneinkommen zu berücksichtigen.

[11] 2.2. Die der Entscheidung 4 Ob 29/14i zugrunde liegenden Bestimmungen des Oö BMSG entsprechen inhaltlich jenen des (nunmehr geltenden) Oö SOHAG. Der Gesetzestext ist zwar nicht wortwörtlich gleich geblieben, allerdings seinem wesentlichen Inhalt nach unverändert (vgl dazu die Materialien, insbesondere den Initiativantrag 335/2017 und den Ausschussbericht des Landtags 1180/2019 [S 8 zu § 14 Abs 3 SOHAG; S 9 ff zu § 6 SOHAG; S 18 ff zu § 14 SOHAG).

[12] 2.3. § 31 Abs 1 Satz 1 (Oö SOHAG) sieht vor, dass zum Unterhalt verpflichtete Angehörige im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht Kostenersatz zu leisten haben. Allerdings sind davon nach Abs 2 Z 2 Eltern von Personen, welche nach Erreichen der Volljährigkeit Leistungen bezogen haben, ausgeschlossen. Der Revisionsrekurs übersieht in seinen Ausführungen, dass diese Bestimmung bereits in § 38 Oö BMSG vorgesehen war und daher die Rechtslage nach den Oö Bestimmungen bereits mit der zitierten Entscheidung 4 Ob 29/14i geklärt wurde. Dass durch § 31 Oö SOHAG keine Änderung eintritt, führen auch die Materialien aus (Ausschussbericht des Landtags 1180/2019 S 28), womit auch die zur vorherigen Rechtslage ergangene Ansicht des Gesetzgebers, dass trotz Ausschluss der Kostenersatzpflicht eine Legalzession zulässig und geboten ist, weiterhin aufrecht bleibt (ausführlich AB 434 Blg OöLT 27. GP 59). Die Materialien zum § 38 Oö BMSG führten nämlich aus: Durch Abs 2 Z 1 wird der Kostenersatz gegenüber unterhaltspflichtigen Personen nach den §§ 141 und 143 ABGB ausgeschlossen. Diese Erweiterung gegenüber der bisherigen Rechtslage findet ihre Grundlage im Art 15 Abs 3 der Mindestsicherungs‑Vereinbarung. Abs 2 Z 2 bringt auf der Grundlage der Mindestsicherungs‑Vereinbarung ebenfalls eine Modifikation des Kostenersatzrechts, indem nicht (wie bisher) auf die Erreichung der Selbsterhaltungsfähigkeit abgestellt wird, sondern auf die Erreichung der Volljährigkeit. Klargestellt wird allerdings, dass dies insbesondere bei volljährigen Kindern, die vom Einsatz der Arbeitskraft nach § 11 Abs 3 ausgenommen sind, nicht dazu führen kann, dass sich die Eltern aus der zivilrechtlich sehr wohl gegebenen Unterhaltspflicht nehmen – in diesem Fall wird entweder nach § 7 Abs 2 Z 3 oder nach § 8 Abs 4 diese Unterhaltsverpflichtung einzufordern sein.

[13] 2.4. Das Oö Mindestsicherungsrecht sieht weder eine Rückzahlungsverpflichtung noch eine (aufgeschobene) Legalzession des Unterhaltsanspruchs vor, doch ist die hilfsbedürftige Person bei sonstiger Einstellung der Mindestsicherung verpflichtet, ihre Unterhaltsansprüche dem zuständigen Träger zur Rechtsverfolgung zu übertragen. Die unbeschränkte und sanktionsbewehrte Verpflichtung zur rechtsgeschäftlichen Zession ist der Legalzession gleichzuhalten; beide Lösungen beruhen auf der Wertung, dass die Mindestsicherung (nunmehr Sozialhilfe) den Unterhaltsverpflichteten nicht entlasten soll. Die Mindestsicherung hat nach oberösterreichischem Landesrecht gemäß ausdrücklicher Anordnung (§ 2 Abs 5 Oö BMSG, nunmehr § 3 Abs 3 Oö SOHAG) nur subsidiären Charakter und tatsächlich zur Verfügung stehende Leistungen Dritter sind gemäß § 8 Abs 1 Z 2 Oö BMSG (nunmehr § 14 Abs 1 Oö SOHAG) auf die Mindestsicherung anzurechnen (siehe auch 4 Ob 29/14i; sowie Gitschthaler, Unterhaltsrecht4, Rz 769, wonach der Unterhaltsanspruch des Kindes erst im Zeitpunkt der Geltendmachung des Kostenersatzanspruchs durch den Träger der Mindestsicherung erlischt und davor dem Kind der Unterhaltsanspruch bis zu einer möglichen Legalzession in voller Höhe erhalten bleibt).

[14] 3. Ein Widerspruch der Entscheidung 4 Ob 29/14i zur späteren höchstgerichtlichen Rechtsprechung ist nicht gegeben.

[15] 3.1. Zu 9 Ob 21/17d besteht kein Widerspruch, weil diese Entscheidung zu einer anderen Rechtslage ergangen ist (Tiroler Landesrecht).

[16] 3.2. Der 8. Senat hat zu 8 Ob 137/15b ausgeführt: Die vom Antragsteller zitierte Entscheidung 4 Ob 29/14i betrifft das Oö Mindestsicherungsgesetz. Dessen Regelungen sind – trotz teilweise ähnlichen Wortlauts – nicht vergleichbar, zumal sich der Oö Gesetzgeber in diesem (eine Geldleistung betreffenden) Gesetz – wie gerade aus den im Revisionsrekurs dazu zitierten Gesetzesmaterialien ersichtlich ist – von anderen Überlegungen leiten ließ, als sie – wie eben dargelegt – für das hier zu beurteilende Gesetz maßgebend waren (vgl auch 9 Ob 33/16t; 9 Ob 21/17d; 4 Ob 7/17h; 5 Ob 112/19k). Dem Revisionsrekurs, der diese Entscheidungen unvollständig zitiert, ist es nicht gelungen, einen Widerspruch in der Rechtsprechung aufzuzeigen, zumal der Oberste Gerichtshof in den genannten Entscheidungen eingehend begründet, warum die unterschiedliche Gesetzeslage und der unterschiedliche Gesetzgeberwille zu unterschiedlichen Entscheidungen führen.

[17] 4. Angesichts des Fehlens von uneinheitlicher Rechtsprechung und mangels Abweichens des Rekursgerichts von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iSv § 62 Abs 1 AußStrG zu verneinen. Der Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.

[18] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 AußStrG.

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