OGH 2Ob62/10x

OGH2Ob62/10x29.3.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Nowotny und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christine M*****, vertreten durch Dr. Ingrid Schaffernack, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Leopold M*****, vertreten durch Dr. Christoph Naske, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 24. August 2009, GZ 45 R 360/09p-94, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 30. März 2009, GZ 6 C 124/05a-87, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 447,98 EUR (darin 74,66 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die im Jahr 1983 geschlossene Ehe der Streitteile wurde mit Urteil vom 30. 6. 2004 aus deren gleichteiligem Verschulden geschieden. Die häusliche Gemeinschaft wurde bereits im Oktober 2002 aufgehoben. Der Ehe entstammen zwei Kinder, wobei dem Beklagten nach der Trennung von der Klägerin die alleinige Obsorge übertragen wurde. Der 1988 geborene Sohn zog im August 2004 zu seiner Großmutter, die 1992 geborene Tochter lebt weiterhin beim Beklagten.

Die Klägerin war bis zur Geburt der Tochter berufstätig, widmete sich danach aber im Einvernehmen mit dem Beklagten nur noch dem Haushalt und den Kindern. In dieser Phase „schlitterte“ sie in eine Alkoholabhängigkeit, die ab dem Jahr 1998 auch für den Beklagten erkennbar war. Die daraus resultierenden schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden hatten neben ihrer langen Berufskarenz und der Situation am Arbeitsmarkt zur Folge, dass sie nicht mehr erwerbsfähig ist. Nach Absolvierung einer Therapie in den Jahren 2002/2003 ist die Klägerin nach eigenen Angaben abstinent. Sie hält sich an die ärztlichen Anweisungen und nimmt die Kontrolltermine wahr. Während der Beklagte mit der gemeinsamen Tochter wieder in die Ehewohnung zurückgekehrt ist, lebt die Klägerin seit dem Jahr 2004 in einer Sozialwohnung. Sie bezieht eine Wohnbeihilfe von ca 90 EUR sowie Sozialhilfe von zuletzt rund 770 EUR, zu deren Rückzahlung an den Sozialhilfeträger sie sich für den Fall des Erhalts von Unterhaltsbeiträgen regelmäßig zu verpflichten hat. Über weitere Einkünfte verfügt die Klägerin nicht.

Der Beklagte leidet an einer Krebserkrankung, die im August 2004 diagnostiziert worden ist. Seit Beginn des Jahres 2006 hat sich sein physischer Zustand verschlechtert. Obwohl er weiterhin berufstätig ist, bedarf er aus gesundheitlichen Gründen diverser Pflegeleistungen und der Hilfe im Haushalt. Seit 1. 8. 2007 erhält er Pflegegeld der Stufe 1. Der Beklagte ist nicht mehr in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und daher auf ein eigenes Kraftfahrzeug angewiesen. Zu den damit verbundenen Kosten sowie den Wohn- und Lebenshaltungskosten kommen solche für Heilbehelfe, therapeutische Behandlungen und aus Selbstbehalten, wobei er die Therapien mittlerweile aus Kostengründen abgebrochen hat. Er ist zur Leistung von Geldunterhalt an den Sohn verpflichtet (zuletzt 113 EUR monatlich), für die Tochter leistet er Naturalunterhalt. Ihm wurden auch Unterhaltsvorschüsse bewilligt, weil die Klägerin ihren Geldunterhaltspflichten für die Tochter nicht nachkommt.

Die Klägerin begehrte zuletzt noch monatlichen Unterhalt von 400 EUR ab 1. 8. 2005. Sie sei auf Wunsch des Beklagten seit 1992 nicht mehr berufstätig gewesen, mittlerweile erwerbsunfähig, lebe von Sozialunterstützungen und begehre aufgrund ihres Mitverschuldens an der Zerrüttung der Ehe 20 % des monatlichen Durchschnittseinkommens des Beklagten.

Der Beklagte wandte ein, er sei infolge seiner Sorgepflichten, dem krankheitsbedingten Mehraufwand, seiner monatlichen Fixkosten und sonstigen Verbindlichkeiten nicht in der Lage, der Klägerin Unterhalt zu bezahlen. Diese habe ihren derzeitigen Gesundheitszustand durch lang anhaltenden Missbrauch von Alkohol selbst herbeigeführt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf über den zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt hinaus detaillierte Feststellungen zu den Lebensumständen und Bedürfnissen der Streitteile sowie deren Vermögens- und Erwerbsverhältnissen und prüfte den Anspruch der Klägerin nach § 68a Abs 2 EheG. Dabei ging es vom grundsätzlichen Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen aus, wobei die von der Klägerin bezogene Sozialhilfe nicht anzurechnen sei. Der Beklagte sei jedoch infolge seiner eigenen finanziellen Belastungen zur (auch nur teilweisen) Deckung des Lebensbedarfs der Klägerin nicht imstande, verbleibe ihm doch nicht einmal das Existenzminimum.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Ein nach Billigkeit zu gewährender Unterhalt gemäß § 68 EheG komme schon deswegen nicht in Betracht, weil die Klägerin aus der Sozialhilfe und der Wohnbeihilfe über ausreichende eigene Einkünfte verfüge. Für eine Anwendung des § 68a Abs 2 EheG bestehe kein Raum, weil die Erwerbsunfähigkeit der Klägerin nicht durch die einvernehmliche Lebensgestaltung, sondern den Alkoholmissbrauch und diverse Erkrankungen ausgelöst worden sei.

Über Antrag der Klägerin erklärte das Berufungsgericht entgegen seinem ursprünglichen Ausspruch die ordentliche Revision doch für zulässig. Mit dem Hinweis auf das im Unterhaltsrecht geltende Nachrangprinzip der Sozialhilfe zeige die Klägerin eine revisible Rechtsfrage auf.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin erhobene Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen, für die Entscheidung auch präjudiziellen (vgl RIS-Justiz RS0088931 [T2, T4 und T7]) Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Das Berufungsgericht ist zwar von ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen, dem kommt aber keine für die Entscheidung relevante Bedeutung zu. Im Einzelnen ist auszuführen:

1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die dem Unterhaltsberechtigten gewährte Sozialhilfe nur dann als Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten auf den Unterhaltsanspruch angerechnet werden kann, wenn das jeweilige Sozialhilfegesetz keine Rückzahlungsverpflichtung des Sozialhilfeempfängers und keine „aufgeschobene“ Legalzession des Unterhaltsanspruchs vorsieht und demnach die gewährte Sozialhilfe nicht mehr zurückgefordert werden kann. Damit wird einerseits eine Doppelversorgung des Unterhaltsberechtigten vermieden und andererseits dem Grundsatz Rechnung getragen, dass der Unterhaltspflichtige durch die Gewährung von Sozialhilfe nicht zu Lasten des Sozialhilfeträgers von seiner Verpflichtung entlastet werden kann (4 Ob 153/06p mwN; 8 Ob 164/06k; 7 Ob 151/06s; 3 Ob 25/07h; 1 Ob 202/09a; RIS-Justiz RS0118565 [T2], RS0063121 [T2]). Diese Rechtsprechung wird auch auf den nur nach Billigkeit zustehenden Unterhaltsanspruch nach § 68 EheG angewandt (8 Ob 550/89; 8 Ob 63/02a; 8 Ob 126/03t; 1 Ob 200/05a; Koch in KBB³ § 68 EheG Rz 3; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, EheG § 68 Rz 5 mwN). Ebenso gilt sie für Unterhaltsansprüche nach § 68a EheG (vgl 1 Ob 200/05a; Gitschthaler aaO § 68a Rz 15).

2. Im gegebenen Zusammenhang hatten schon mehrere Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs Sozialhilfebezüge des Unterhaltsberechtigten nach dem hier maßgeblichen Wiener Sozialhilfegesetz (WSHG) zum Gegenstand (vgl 6 Ob 629/95; 1 Ob 200/05a; 7 Ob 151/06s). Gemäß § 1 Abs 2 WSHG umfasst die Sozialhilfe die Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfs (§§ 8 ff), die Hilfe in besonderen Lebenslagen (§§ 20 f) und die sozialen Dienste (§§ 22 ff). In seinem sechsten Abschnitt (§§ 25 ff) enthält das Gesetz Regelungen über die Ersatzpflicht des Leistungsempfängers (§ 26) und die „aufgeschobene“ Legalzession (§ 27). Die Ersatzpflicht beschränkt sich allerdings nur auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfs, während sonstige Leistungen nicht zurückgezahlt werden müssen (7 Ob 151/06s; vgl zuletzt auch 2 Ob 207/09v). Nach § 29 Abs 1 WSHG dürfen Ersatzansprüche gegen den Leistungsempfänger nicht mehr geltend gemacht werden, wenn seit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem Hilfe gewährt worden ist, mehr als drei Jahre vergangen sind. Ersatzansprüche nach § 27 WSHG können hingegen innerhalb einer Frist von zehn Jahren geltend gemacht werden (2 Ob 207/09v).

3. Die Vorinstanzen haben zwar nicht festgestellt, aus welchem Titel der Klägerin Sozialhilfe gewährt worden ist (vgl allerdings die in ihrer Richtigkeit nicht bestrittenen Beilagen ./E, ./N und ./O, aus denen sich die - zum Teil neben einer Mietbeihilfe - gewährte Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfs ergibt). Der Beklagte hat aber die behauptete (und auch festgestellte) Rückersatzpflicht der Klägerin ohnedies nie substantiiert bestritten. Dafür, dass dem Beklagten der Übergang von Ansprüchen auf den Sozialhilfeträger angezeigt worden wäre (§ 27 WSHG), sodass es der Klägerin an der Legitimation zur Geltendmachung dieser Ansprüche mangeln würde, fehlt im Übrigen jeglicher Anhaltspunkt.

Dies hätte dazu führen müssen, dass die von der Klägerin bezogene Sozialhilfe, soweit sie zur Sicherung des Lebensbedarfs gewährt wurde, bei der Beurteilung ihrer Unterhaltsansprüche als anrechenbares Eigeneinkommen außer Betracht zu bleiben hat.

4. Einem (auch schuldig) geschiedenen Ehegatten kann in bestimmten „Härtefällen“ nach § 68a Abs 2 EheG ein Unterhaltsanspruch zustehen, wenn ihm aus den dort genannten Gründen nicht zugemutet werden kann, sich ganz oder zum Teil selbst zu erhalten. In der von der Klägerin in ihrem Rechtsmittel zitierten Entscheidung 7 Ob 2/04a (= RIS-Justiz RS0118901) vertrat der Oberste Gerichtshof die Ansicht, dass die (im damaligen Anlassfall) auf dem schlechten Gesundheitszustand der Unterhaltsberechtigten beruhende Unzumutbarkeit zwar ihre Wurzeln in der einvernehmlichen ehebedingten Lebensgestaltung haben müsse, ein Kausalzusammenhang zwischen dem Gesundheitszustand und der Ehe aber nicht erforderlich sei (Stabentheiner in Rummel, ABGB³ II/4 § 68a EheG Rz 6; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht5 221; auf die Kausalität der „ehelichen Erwerbsabstinenz“ abstellend Schwimann in Schwimann, ABGB-TaKomm § 68a EheG Rz 5; vgl ferner die abweichende Auslegung von Zankl in Schwimann, ABGB³ I § 68a EheG Rz 27; krit auch Gitschthaler aaO § 68a Rz 4 und 12).

Im vorliegenden Fall beruht der zur Erwerbsunfähigkeit führende Gesundheitszustand der Klägerin auf ihrer Suchtkrankheit, in die sie nach der einvernehmlichen Aufgabe ihrer Berufstätigkeit „hineingeschlittert“ ist.

Selbst wenn aber den Argumenten der Klägerin (auch) in diesem Punkt beizupflichten wäre, zeigt sie in ihrer Revision die Unrichtigkeit der vorinstanzlichen Entscheidungen nicht auf:

5. Bei Scheidung der Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden der Ehepartner stehen den Ehegatten zwar prinzipiell gegeneinander keine Unterhaltsansprüche zu; § 68 EheG gewährt aber einen Unterhaltsanspruch, wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des anderen Ehegatten der Billigkeit entspricht. Ein Anspruchskriterium ist demnach, dass der eigene angemessene Unterhalt des Verpflichteten nicht gefährdet werden darf (5 Ob 620/88; Koch aaO § 68 EheG Rz 1; Gitschthaler aaO § 68 Rz 11; Zankl aaO § 68 EheG Rz 6; Stabentheiner aaO § 68 EheG Rz 1; Hirsch, Der Billigkeitsbegriff im nachehelichen Unterhaltsrecht, JBl 2008, 545 [548]).

Beim Unterhalt nach § 68a EheG sieht dessen Abs 4 die entsprechende Anwendung des § 67 Abs 1 EheG vor. Damit kann der Unterhalt, der gemäß Abs 1 oder Abs 2 gewährt wird oder auch aufgrund von Billigkeitserwägungen iSd Abs 3 gemindert wurde, nach Abs 4 (noch einmal) gemindert werden, wenn der verpflichtete Ehegatte bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen seinen eigenen angemessenen Unterhalt gefährden würde. In diesem Fall müsste er nur soviel an Unterhalt leisten, wie es mit Rücksicht auf die Bedürftigkeit und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des berechtigten Ehegatten der Billigkeit entspricht. Die Bedürfnisse und wirtschaftlichen Verhältnisse von unterhaltsberechtigten Kindern und/oder eines neuen Ehegatten sind ebenfalls zu berücksichtigen (Hirsch aaO 551; vgl auch Koch aaO § 68a EheG Rz 7; Gitschthaler aaO § 67 Rz 2 und 3 iVm § 68a Rz 2). Nach herrschender Auffassung soll der „angemessene Unterhalt“ höher als der notdürftige Unterhalt (das Existenzminimum) sein (vgl Koch aaO § 67 EheG Rz 1; Gitschthaler aaO § 67 Rz 2 [Existenzminimum unter Miteinbeziehung der Steigerungsbeträge] mit Überblick über den Meinungsstand). Erscheint aus Billigkeitsgründen eine Reduktion geboten, so kann diese unter Umständen sogar bis hin zum gänzlichen Entfall der Unterhaltsverpflichtung führen (Hirsch aaO 547 f; Zankl aaO § 67 Rz 12).

6. Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage ist im vorliegenden Fall bereits das Erstgericht nach Abwägung der maßgeblichen Kriterien zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Beklagten mit Rücksicht auf seine eigenen Bedürfnisse und diejenigen der unterhaltsberechtigten Kinder die Leistung von Unterhalt an die Klägerin nicht zugemutet werden kann. Gegen die Richtigkeit dieser ausführlich begründeten, auch vom Berufungsgericht nicht korrigierten Rechtsansicht enthält die Revision kein einziges Argument. Damit fehlt es aber den als erheblich erachteten Rechtsfragen an der erforderlichen Präjudizialität.

Die Revision ist daher als unzulässig zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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