OGH 4Ob109/21i

OGH4Ob109/21i22.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, Dr. Parzmayr sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers M* M*, vertreten durch den Erwachsenenvertreter Mag. Kurt Schick, Rechtsanwalt in Mistelbach, gegen die Beklagte S* M*, vertreten durch Dr. Georg Uher, Rechtsanwalt in Mistelbach, wegen Unterhalt, über die Revision der Beklagten (Revisionsinteresse 6.000 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 14. Jänner 2021, GZ 20 R 282/20s‑21, womit das Urteil des Bezirksgerichts Mistelbach vom 27. Juli 2020, GZ 24 C 8/20z-9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E133005

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die zwischen den Streitteilen 1992 geschlossene Ehe wurde aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers geschieden. Das Scheidungsurteil ist seit 13. 7. 2019 rechtskräftig. Während der Ehe verrichtete der 1962 geborene Kläger einvernehmlich den Haushalt, während die Beklagte berufstätig war. Der Kläger leidet unter körperlichen und psychischen Problemen, sodass er gegenüber Ämtern, Behörden und privaten Vertragspartnern sowie in der Einkommensverwaltung von einem Erwachsenenvertreter vertreten wird und in einem Pflegeheim wohnt, wo er auch mit Essen versorgt wird. Er ist nicht in der Lage, einer Arbeitstätigkeit nachzugehen und dadurch seinen Lebensbedarf zu decken. Gegen Ende der Ehe erhielt der Kläger von seiner Mutter einen Geldbetrag von 23.000 EUR, den er seit der Trennung von der Beklagten bis auf 12.000 EUR für seinen Lebensunterhalt aufwendete. Die Beklagte erzielte zuletzt ein monatliches Nettoeinkommen (Jahreszwölftel) von 3.315,17 EUR.

[2] Der Kläger begehrt nachehelichen Unterhalt nach Billigkeit gemäß § 68a EheG in Höhe von monatlich 850 EUR, beginnend ab 1. 8. 2019. Dies entspreche 25 % des Einkommens der Beklagten. Eine Doppelversorgung bestehe nicht, weil das NÖ Sozialhilfegesetz eine Legalzession vorsehe.

[3] Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, dass keine Vereinbarung über die Haushaltstätigkeit ihres damaligen Ehemanns bestanden habe; er sei vielmehr arbeitsscheu gewesen. Er könne den Lebensunterhalt aus seinem Barvermögen bestreiten und sei im Übrigen im Pflegeheim wohn‑ und essensversorgt.

[4] Das Erstgericht sprach dem Kläger einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 500 EUR zu. Der Kläger habe im Rahmen der einvernehmlichen Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft 25 Jahre lang den gemeinsamen Haushalt geführt und sei aufgrund seines gesundheitlichen und psychischen Zustands nicht in der Lage, sich selbst zu erhalten. Der zuerkannte Unterhaltsbetrag im Ausmaß von 15 % des Nettoeinkommens der Beklagten liege unter Berücksichtigung der schweren Eheverfehlungen des Klägers (wiederholte körperliche Gewalt in Form von Ohrfeigen, an den Haaren Reißen, Tritte uä) am unteren Rand des Spielraums. Die Sozialleistungen des Landes Niederösterreich minderten die Unterhaltspflicht der Beklagten nicht, da die Beklagte nicht (mehr) Angehörige des Klägers sei und der Sozialhilfeträger im Wege einer Legalzession auf Unterhaltsansprüche des Klägers zugreifen könne. Der Vermögensstamm von 12.000 EUR sei nicht ausreichend, um den Lebensbedarf zu decken.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und ließ nachträglich die Revision zur Frage zu, ob mangels entsprechenden Parteienvorbringens der Ausgleichszulagenrichtsatz als Mindestbedarf anzusetzen sei, wenn der Unterhaltswerber über kein Eigeneinkommen verfüge.

[6] Die Beklagte beantragt mit ihrer – vom Kläger beantworteten – Revision, die Klage abzuweisen; in eventu stellt sie ein Aufhebungsbegehren.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig und daher zurückzuweisen.

[8] 1. Unterhaltsbemessungen sind grundsätzlich Einzelfallentscheidungen (RIS‑Justiz RS0007204 [T12]). Eine erhebliche Rechtsfrage liegt nur dann vor, wenn das Gericht zweiter Instanz erkennbar gesetzliche Bemessungsfaktoren unbeachtet gelassen oder bei ihrer Beurteilung gegen den Willen des Gesetzgebers verstoßen hat (RS0053263 [T3]).

[9] 2.1. Durch § 68a Abs 2 EheG soll der Ehegatte bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen unterhaltsberechtigt sein, wenn ihm aufgrund des Mangels an Erwerbsmöglichkeit oder der Dauer der ehelichen Gemeinschaft oder seines Alters oder seiner Gesundheit eine Selbsterhaltung nicht zugemutet werden kann (RS0118900).

[10] 2.2. Der Unterhaltsanspruch nach § 68a EheG ist nach dem konkreten Bedarf des Unterhaltsberechtigten in einem Zwischenbereich der nach der bisherigen Rechtsprechung geltenden Prozentsätze nach § 68 EheG (Billigkeitsunterhalt) und § 66 EheG (Unterhalt bei zumindest überwiegendem Verschulden des unterhaltspflichtigen Ehegatten an der Zerrüttung der Ehe) von 15 bis 33 % des Einkommens des Unterhaltspflichtigen auszumitteln, wobei der angemessene Unterhalt nach § 66 EheG tunlichst nicht erreicht werden soll; von dem so ermittelten Grundbetrag sind allenfalls im Hinblick auf die in der Billigkeitsklausel des § 68a Abs 3 EheG genannten Kriterien Abschläge nach der Lage des Einzelfalls zu machen (RS0117322; 4 Ob 278/02i; 3 Ob 246/03b).

[11] 3.1. Die Revisionswerberin wendet sich gegen die Heranziehung des Ausgleichszulagenrichtsatzes zur Ermittlung der Höhe des Unterhalts nach § 68a EheG. Die Heranziehung dieses Richtwerts durch das Berufungsgericht ist allerdings nicht zu beanstanden, entspricht es doch der ständigen Rechtsprechung, (sogar) zur Bemessung des notdürftigen oder billigen Unterhalts nach § 73 EheG diesen Richtsatz heranzuziehen (RS0109823; 6 Ob 212/08g), zumal dieser ohnehin nur zur Deckung des Existenzminimums reicht (vgl 4 Ob 51/06p). Es ist daher von einem „notdürftigen Unterhalt“ des Klägers von (derzeit) monatlich rund 1.000 EUR auszugehen.

[12] 3.2. Der Kläger lebt im Pflegeheim, wird dort mit Wohnraum und Essen versorgt und muss sich selbst Toiletteartikel, Rauchwaren, Kleidung, Friseurbesuche, Bücher, Zeitschriften oder jegliche Einkäufe und Aktivitäten außerhalb des Heimbetriebs kaufen bzw bezahlen. Dass die Vorinstanzen diese Sozialhilfe (Wohnen, Essen) nicht unterhaltsmindernd berücksichtigt haben, ist nicht zu beanstanden:

[13] 3.3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die dem Unterhaltsberechtigten gewährte Sozialhilfe nur dann als sein Eigeneinkommen auf den Unterhaltsanspruch anzurechnen ist, wenn das jeweilige Sozialhilfegesetz weder eine Rückzahlungsverpflichtung des Sozialhilfeempfängers noch eine „aufgeschobene“ Legalzession des Unterhaltsanspruchs vorsieht (RS0118565 [T2]; RS0063121 [T2]). Dies gilt auch für Unterhaltsansprüche nach § 68a EheG (2 Ob 62/10x; 1 Ob 200/11k).

[14] 3.4. Nach der klaren Regelung des § 38 Abs 1 NÖ Sozialhilfegesetz ist unter bestimmten Voraussetzungen eine Rückzahlungsverpflichtung des Hilfeempfängers vorgesehen. Dass die im Rahmen der Betreuung des Klägers im Pflegeheim erbrachten Leistungen von den Vorinstanzen nicht auf dessen Eigeneinkommen unterhaltsmindernd angerechnet wurden, findet damit Deckung in der aufgezeigten Rechtsprechung.

[15] 4. Wenn der Unterhaltsanspruch nach § 68a EheG gemäß der Rechtsprechung (siehe oben 2.2.) in einem Bereich von 15 bis 33 % des Einkommens des Unterhaltspflichtigen auszumitteln ist und die Vorinstanzen im konkreten Einzelfall dem Kläger einen Unterhaltsbeitrag im Ausmaß von rund 15 % des Nettoeinkommens der Beklagten zuerkannten, so liegt darin in Gesamtbetrachtung der vorliegenden Umstände keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

[16] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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