OGH 3Ob201/20k

OGH3Ob201/20k20.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Dr. Nader Karl Mahdi, Rechtsanwalt in Wattens, gegen die beklagte Partei R*****, vertreten durch Mag. Johannes Aigner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unzulässigkeit der Exekution (§ 35 EO), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 13. August 2020, GZ 4 R 1/20f‑51, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 8. November 2019, GZ 5 C 494/16s‑47, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0030OB00201.20K.0520.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Das Berufungsgericht ließ die Revision gegen seine Entscheidung über Abänderungsantrag des Klägers nachträglich mit der sinngemäßen Begründung zu, dass Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die infolge Subsidiarität nicht vorzunehmende Anrechnung der Mindestsicherung als Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten dann anders zu beurteilen sei, wenn die Rückforderbarkeit der Sozialleistungen durch den Sozialhilfeträger während eines laufenden Unterhaltsstreits durch Verjährung des Ersatzanspruchs wegfalle.

[2] Der Kläger macht in seiner Revision keine erhebliche Rechtsfrage geltend. Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

[3] 1. Mit den Argumenten des Berufungsgerichts zur Eventualmaxime und zur Bindungswirkung des Vorprozesses über die erste Oppositionsklage setzt sich der Revisionswerber nicht auseinander, sondern behauptet nur, eine Verletzung der Eventualmaxime sei „tatsächlich und rechtlich nicht gegeben“. Damit ist die Rechtsrüge insoweit nicht gesetzmäßig ausgeführt (RS0043605; RS0043603 [T9]). Auf inhaltlich nicht aufgeworfene Rechtsfragen zur Eventualmaxime ist somit nicht einzugehen (RS0043603 [T10]) und der vom Berufungsgericht daraus abgeleitete– selbständige – Abweisungsgrund ist daher unüberprüft zugrundezulegen (vgl RS0043352 [insb T25, T30 und T31]).

[4] 2. Sein Vorbringen zum Oppositionsgrund einer Aufrechnung mit einem durch „das Verhalten der Beklagten“ angeblich verursachten „Schaden“, bestehend in seinen „dadurch höheren“ Rückzahlungsverbindlichkeiten für die dem Sohn gewährten Unterhaltsvorschüsse, hat der Kläger im Rechtsmittelverfahren nicht weiter verfolgt, weshalb sich auch dazu Ausführungen erübrigen (vgl RS0043338 [T15]).

[5] 3. Zu der – in der Zulassungsbegründung relevierten – Frage der Anrechenbarkeit der von der unterhaltsberechtigten Beklagten bezogenen Mindestsicherung genügen folgende, auf bereits vorliegender Rechtsprechung beruhende Ausführungen:

[6] 3.1 Soweit die Unterhaltsbedürfnisse einer Person infolge einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung von einem Dritten gedeckt werden, bestehen keine Unterhaltsansprüche gegen einen nach Privatrecht Unterhaltspflichtigen, weil es keinen Anspruch auf Doppelversorgung gibt (RS0080395). Allerdings wird dieser Grundsatz unter anderem dort nicht angewendet, wo der Gesetzgeber durch Anordnung aufgeschobener (also erst mit Verständigung des Unterhaltsverpflichteten durch den Sozialhilfeträger bewirkter) Legalzession ausdrücklich das Weiterbestehen des Anspruchs des Unterhaltsberechtigten vorausgesetzt hat (RS0063121; vgl auch RS0009583 [T7]; RS0118565). Nur wenn das jeweilige Sozialhilfegesetz keine den Sozialhilfeempfänger betreffende Rückzahlungsverpflichtung oder keine (aufgeschobene) Legalzession des Unterhaltsanspruchs vorsieht, also die einmal gewährte Sozialhilfe nicht zurückgefordert werden kann, ist sie als anrechenbares Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten anzusehen (vgl RS0118565 [T2]; vgl auch RS0047347 [T3]; RS0063121 [T2]). In den übrigen Fällen bleibt der volle Unterhaltsanspruch bestehen (vgl 1 Ob 29/16w; 3 Ob 155/17s; RS0129380 [T1]). Insoweit ist nämlich nach ständiger Rechtsprechung davon auszugehen, dass der Unterhaltspflichtige durch die Gewährung solcher Leistungen nicht entlastet werden soll (RS0063121 [T5]).

[7] 3.2 Die früheren Bestimmungen des Tiroler Sozialhilfegesetzes, LGBl Nr 103/1973, und des Tiroler Grundsicherungsgesetzes, LGBl Nr 20/2006, enthielten eine solche aufgeschobene Legalzession der Unterhaltsansprüche (vgl RS0118565 [T4] und RS0063121 [T3]).

[8] 3.3 Auch das Tiroler Mindestsicherungsgesetz (TMSG), LGBl 2010/99 idF LGBl 2020/161, ist vom Grundsatz der Subsidiarität geprägt (ErläutRV zu LGBl 2010/99, insb 4 und 32 f): Nach den §§ 15 und 16 TMSG hat der Hilfesuchende vor der Gewährung von Mindestsicherung sein eigenes Einkommen und Vermögen einzusetzen und seine Bereitschaft zum Einsatz seiner Arbeitskraft zu zeigen. Gemäß § 17 TMSG hat der Antragsteller außerdem vor der Gewährung von Mindestsicherung – soweit zumutbar und nicht offensichtlich aussichtslos – alle öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Ansprüche auf bedarfsdeckende oder bedarfsmindernde Leistungen gegen Dritte zu verfolgen (Abs 1), wenngleich jedem Anspruchsberechtigten die Mindestsicherung als Vorausleistung zu gewähren ist (Abs 2).

[9] 3.4 Der Bezieher von Mindestsicherung ist gemäß § 22 Abs 1 TMSG unter anderem dann zum Ersatz der für ihn aufgewendeten Kosten verpflichtet, wenn und soweit er nach dem Bezug zu Vermögen gelangt, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit erwirtschaftet wurde. Dritte sind zum Ersatz dieser Kosten verpflichtet, wenn der Mindestsicherungsbezieher ihnen gegenüber im Bezugszeitraum Ansprüche auf Leistungen nach § 17 Abs 1 TMSG hatte (§ 23 Abs 1 TMSG), also insbesondere Unterhaltsansprüche. Den Übergang der Rechtsansprüche des Mindestsicherungsbeziehers auf das für die Gewährung der Mindestsicherung zuständige Organ (Legalzession) regelt § 24 TMSG; eine schriftliche Anzeige bewirkt mit dem Einlangen beim Dritten den Übergang des Anspruchs. In der Zusammenschau zeigen die dargestellten Regelungen des TMSG, namentlich jene zur Ersatzpflicht Dritten, dass durch die Gewährung von Mindestsicherung grundsätzlich keine Entlastung des Unterhaltspflichtigen bewirkt werden soll. Eine generelle Anrechnungspflicht wird in der Revision auch nicht (mehr) behauptet.

[10] 3.5 Gemäß § 25 Abs 1 TMSG verjähren (nicht grundbücherlich sichergestellte) Ersatzansprüche nach den §§ 22 und 23 TMSG drei Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die betreffenden Leistungen erbracht wurden. Für die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung gelten gemäß § 25 Abs 1 TMSG die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts; die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens zur Rückforderung ist gemäß § 25 Abs 2 TMSG einer Klage gleichzuhalten.

[11] 3.6 Nach allgemeinen Grundsätzen ist derjenige, der sich (wenngleich im Regelfall als Beklagter) auf Verjährung stützt, auch für die entsprechenden Tatsachen behauptungs- und beweispflichtig (vgl RS0034198 [T2]; RS0034456 [T4]; RS0037797; RS0034326 [T7]; zur Oppositionsklage vgl 3 Ob 207/98g). Gerade im Oppositionsverfahren sind an die Behauptungs- und Beweispflicht des Klägers hohe Anforderungen zu stellen (RS0048064 [T2]). Diesem Maßstab hat der Kläger zur Verjährungsfrage im vorliegenden Einzelfall nicht entsprochen, weil er sich nie auf bestimmte Zeiträume bezogen, sondern – obwohl er als möglicher Ersatzpflichtiger davon unmittelbar informiert sein müsste – immer nur pauschal auf „§ 25 TMSG“ berufen und (wiewohl im zweiten Rechtsgang) nicht einmal in der Revision klargestellt hat, ob verjährungsrelevante Anzeigen (§ 24 Abs 2 TMSG) und Verwaltungsverfahren betreffend den Kostenersatz durch Dritte ([hier: namentlich den Kläger]; § 27 Abs 1 lit c TMSG) stattgefunden haben. Schon aus diesem Grund war auf die Zulassungsfrage nicht näher einzugehen.

[12] 4.1 Der Kläger macht somit insgesamt keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO geltend. Die Revision ist daher nicht zulässig und demnach zurückzuweisen.

[13] 4.2 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision hingewiesen. Die Kostenbemessungsgrundlage beträgt richtig 2.184 EUR.

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