European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00136.21Z.0914.000
Spruch:
1. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
2. Soweit die Vorinstanzen den Antrag, die Exekutionsverfahren 9 E 958/14f, 10 E 359/17d, 10 E 216/18a, 10 E 325/19g und 10 E 378/19a, jeweils des Bezirksgerichts Bregenz, einzustellen, abgewiesen haben, werden die Entscheidungen der Vorinstanzen mit der Maßgabe bestätigt, dass der Antrag zurückgewiesen wird.
3. Der an den Obersten Gerichtshof gerichtete Antrag auszusprechen, dass die Exekutionsverfahren 9 E 958/14f, 10 E 359/17d, 10 E 216/18a, 10 E 325/19g und 10 E 378/19a, jeweils des Bezirksgerichts Bregenz, eingestellt und sämtliche bereits vollzogenen Exekutionshandlungen aufgehoben werden sowie geleistete Sicherheitsleistungen zurückzuzahlen seien, wird zurückgewiesen.
4. Der Antrag, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, wird abgewiesen.
Begründung:
[1] Über die Rechtsvorgängerin der Erstantragstellerin und über die Zweitantragstellerin wurden rechtskräftig zahlreiche Zwangsstrafen gemäß § 283 UGB wegen nicht erfolgter Offenlegung von Jahresabschlüssen im Firmenbuch verhängt. Zur Hereinbringung dieser Zwangsstrafen laufen beim Bezirksgericht Bregenz die im Spruch bezeichneten fünf Exekutionsverfahren aufgrund der im Verwaltungsverfahren ergangenen Zahlungsaufträge (Bescheide) als Exekutionstitel, die auf den Zwangsstrafen basieren.
[2] Die genannten Antragstellerinnen erhoben beim Bezirksgericht Bregenz Klage gegen die Republik Österreich mit dem Begehren auf Feststellung, „dass sämtliche von der beklagten Partei in den [näher bezeichneten fünf Exekutions-] Verfahren […] geltend gemachte Exekutionstitel und sämtliche Rechtshandlungen zu ihrer Durchsetzung wie zB Exekutionsbewilligungen wegen Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht nichtig sind“.
[3] Das Bezirksgericht Bregenz wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs nach § 35 Abs 2 letzter Satz EO a limine zurück. Das Landesgericht Feldkirch gab dem Rekurs der (dort) Klägerinnen nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs wegen bestehender Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht zu. Der Oberste Gerichtshof gab dem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs nicht Folge (3 Ob 82/20k). Er billigte die Beurteilung des Rekursgerichts und verwies auf die Rechtsprechung des 6. Senats, wonach zur Vermeidung einer unerträglichen Rechtsschutzlücke eine Befugnis des Firmenbuchgerichts anzunehmen ist, von der Einbringung einer verhängten Zwangsstrafe abzusehen 6 Ob 78/09b = RS0115862 [T3] = RS0125148); damit könnten die (dort) Klägerinnen anspruchsvernichtende Einwendungen gegen den Zwangsstrafenbeschluss, die bei Vorliegen eines gerichtlichen Exekutionstitels einen Oppositionsgrund iSd § 35 EO verwirklichten, mit Sachantrag im Außerstreitverfahren beim Firmenbuchgericht geltend machen.
[4] In der Folge brachten die Antragsteller beim Firmenbuchgericht Oppositionsgesuche ein, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind.
Rechtliche Beurteilung
Zu 1.
[5] 1.1. Der vom Rekursgericht gegen die Gesellschaften erhobene Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Verhaltens ist zwar nicht berechtigt:
[6] Die Gesellschaften vertreten im Wesentlichen die Ansicht, sie seien für ihre durchgehende Weigerung, die Offenlegungsvorschriften einzuhalten, bei wertender Gesamtbetrachtung unverhältnismäßig hart bestraft worden bzw hätten aufgrund ihrer Weigerung der Offenlegung ein und desselben Jahresabschlusses jeweils nur mit einer Zwangsstrafe belegt werden dürfen.
[7] Darin liegt noch keine „Scheinrechtsausübung“ im Sinn der Rechtsprechung des EuGH zum Missbrauchsverbot (vgl nur EuGH 26. 2. 2019, C‑115/16, N Luxembourg 1, Rn 96 ff mwN). Auch das Beharren auf dem Rechtsstandpunkt, die von ihnen geforderte Offenlegung verletze sie in ihrem Grundrecht auf Datenschutz nach Art 8 GRC, macht ihren Sachantrag nicht illegitim.
[8] 1.2. Diese Fragen eines allfälligen Rechtsmissbrauchs sind aber nicht präjudiziell, weil die Hilfsbegründung des Rekursgerichts, der von den Gesellschaften geltend gemachte Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot des Art 50 GRC bzw eine unzulässige Strafenkumulation liege nicht vor, selbstständig tragfähig ist.
[9] 1.2.1. Zum behaupteten Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot
[10] 1.2.1.1. Fallen Zwangsstrafen nach § 283 UGB unter den materiellen Strafbegriff der Art 48 ff GRC?
[11] Ein Problem in Zusammenhang mit dem in Art 50 GRC normierten Doppelbestrafungsverbot kann sich naturgemäß nur dann ergeben, wenn der Anwendungsbereich der Bestimmung eröffnet ist, also die in Frage stehenden Zwangsstrafen auch als „Strafe“ im Sinn der Art 48 ff GRC zu qualifizieren sind. Diese Regelungen bauen im Wesentlichen auf dem materiellen Strafbegriff der Art 6 und 7 EMRK und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf (vgl dazu Kröll in Holoubek/Lienbacher, GRC2 Art 49 [Stand 1. 4. 2019, rdb.at] Rz 7).
[12] Der VfGH hat im Erkenntnis vom 7. 10. 2015, G 224/2015, G 229–230/2015, dazu ausgesprochen, Zwangsstrafen nach § 283 UGB seien keine Strafen im Sinn des Art 6 EMRK und des Art 92 B‑VG; vielmehr handle es sich um Vollstreckungsmaßnahmen, das heißt um Maßnahmen zur effektiven Durchsetzung der (auch unionsrechtlich gebotenen) Pflicht zur Vorlage von Jahresabschlüssen. Daran ändere auch die Regelung des § 283 Abs 6 UGB nichts, wonach die Zwangsstrafen auch dann zu vollstrecken sind, wenn die Bestraften ihrer Pflicht nachgekommen sind oder deren Erfüllung unmöglich geworden ist (so schon 6 Ob 41/08k mwN). Die regelmäßig rechtzeitige Vorlage unter anderem des Jahresabschlusses liege wesentlich im Interesse des geregelten Geschäftsverkehrs. Die Vollstreckung der Zwangsstrafe auch in den in § 283 Abs 6 UGB genannten Fällen führe daher nicht dazu, dass diese zu einer (vom Rechtspfleger verhängten) „Kriminalstrafe“ wird, sondern vielmehr dazu, dass sie als Beugemittel nicht völlig ins Leere läuft.
[13] Auch nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind Zwangsstrafen nach § 283 UGB keine Strafen im Sinn des Art 6 EMRK (RS0115894 [T11, T12, T13]; zuletzt 6 Ob 37/16h und 6 Ob 66/17z [ErwGr 2]). Unter den Begriff der „strafrechtlichen Anklage“ im Sinn dieser Konventionsbestimmung fallen nämlich jedenfalls keine Maßnahmen, die nicht der Ahndung rechtswidrigen Verhaltens oder präventiven Zwecken dienen, sondern dazu, die Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung zu erzwingen (Art 5 lit b EMRK), wie dies der VfGH in ständiger Rechtsprechung (vgl VfSlg 10.840/1986 mwN) vertritt, der auch Judikatur des EGMR nicht entgegensteht (vgl EGMR 2. 6. 1993, K gegen Österreich, Nr 16002/90, Rz 38 f; näher Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 24 Rz 21).
[14] Entsprechendes wird im Grundsatz auch zu dem Art 48 ff GRC zugrunde liegenden Strafbegriff vertreten: Erfasst werde jede Verhängung repressiver Sanktionen gegen natürliche wie gegen juristische Personen wegen der Verantwortlichkeit bzw Vorwerfbarkeit für einen Rechtsverstoß (statt vieler Jarass in Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union4 [2021] Art 48 Rz 8; idS auch M. Berger/Pelzl, Das Verwaltungsstrafrecht in der Rechtsprechung des EuGH, ZÖR 2018, 559 [562]).
[15] Zwar spricht sich ein Teil der Lehre (wie auch die Privatgutachterin im vorliegenden Verfahren) für den Strafcharakter von Zwangsgeldern aus, dies allerdings jeweils ohne nähere Auseinandersetzung mit der Frage, ob diese Sanktionen tatsächlich im Einzelfall (auch) der Repression dienen oder lediglich pro futuro Beugewirkung entfalten sollen (vgl Jarass in Jarass aaO Rz 9; Kröll in Holoubek/Lienbacher, GRC2 Art 49 [Stand 1. 4. 2019, rdb.at] Rz 10; Lemke in von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht7 [2015] Art 49 GRC Rz 6).
[16] 1.2.1.2. Zum fraglichen „idem“
[17] Letztlich bedarf es jedoch einer abschließenden Beurteilung, ob infolge des materiellen Strafcharakters der Zwangsstrafen nach § 283 UGB der Anwendungsbereich des Doppelbestrafungsverbots gemäß Art 50 GRG eröffnet ist, hier ohnehin nicht:
[18] Das Rekursgericht hat nämlich unter Verweis auf die Erwägungen von Generalanwalt Paolo Mengozzi (in seinen Schlussanträgen vom 31. 1. 2012 zu C‑418/11, Texdata Software, Rn 106) und die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (6 Ob 235/11v; RS0127331 [T1]) zutreffend ausgeführt, dass die Verhängung von Zwangsstrafen in Abständen von zwei Monaten von vornherein nicht gegen den Grundsatz ne bis in idem verstoßen könne, liege doch keine Identität des Sachverhalts vor, weil die bestraften Handlungen verschieden sind. Die erste Zwangsstrafe wird nämlich für die Unterlassung der Offenlegung des Jahresabschlusses innerhalb der Frist von neun Monaten nach dem Bilanzstichtag verhängt, während in den folgenden Fällen die unterlassene Offenlegung dieser Unterlagen binnen der weiteren vom Gesetz vorgesehenen Zweimonatsfristen bestraft wird. Die aufeinanderfolgenden Strafen ahnden daher unterschiedliche Verstöße, die zu unterschiedlichen Zeiten stattfinden.
[19] Tatsächlich geht es nicht primär um eine Bestrafung eines in der Vergangenheit liegenden Fehlverhaltens, sondern vielmehr um wiederkehrende Maßnahmen, um den (weiterhin) säumigen Offenlegungspflichtigen zu einem vorschriftsgemäßen Verhalten zu veranlassen (Beugemittel).
[20] 1.2.2. Zur behaupteten Unverhältnismäßigkeit
[21] 1.2.2.1. Die Gesellschaften stützen sich auf mehrere (nach der Entscheidung in der Rs Texdata Software ergangene) Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) jüngeren Datums zur Frage der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen (insbesondere Rs C‑64/18, C‑140/18, C‑146/18 und C‑148/18, Maksimovic; Rs C‑140/19, C‑141/19 und C‑492/19 bis C‑494/19, EX ua; Rs C‑870/19 und C‑871/19, Prefettura Ufficio territoriale del governo di Firenze; weiters Rs C‑210/10, Urbán; Rs C‑497/15 und C‑498/15, Euro‑Team; Rs C‑384/17, Link Logistik N&N), aus denen in wertender Gesamtschau hervorgehen soll, dass der EuGH eine sachgerechte Kumulierung von Sanktionen zwar nicht generell ablehnt, wohl aber könne eine solche Kumulierungsregelung in Kombination mit fehlenden Höchstgrenzen und pauschalen Mindeststrafen, die unterschiedslos auf schwere und weniger schwere Verstöße anzuwenden seien, die solcherart auszumessenden Strafen insgesamt als unverhältnismäßig erscheinen lassen, wenn die Sanktion letztlich nicht in angemessenem Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße steht; maßgeblich sei dabei insbesondere auch, ob die Regelung dem nationalen Richter bei der Strafzumessung einen Spielraum belasse, der es ihm ermögliche, auf die Umstände des Einzelfalls einzugehen, namentlich auf die Schwere des konkreten Verstoßes und die individuelle Leistungsfähigkeit desjenigen, über den die Strafe zu verhängen ist.
[22] 1.2.2.2. Aus diesen Kriterien für die Verhältnismäßigkeitsprüfung lässt sich aber gerade nicht ableiten, dass die über die Gesellschaften verhängten Zwangsstrafen bei wertender Gesamtbetrachtung unverhältnismäßig sind: Weder fehlt es im Sanktionensystem des § 283 UGB an einer Höchstgrenze der zu verhängenden Einzelstrafe (Abs 3 und 4), noch bestehen unionsrechtliche Bedenken gegenüber der Höhe der Mindeststrafe von 700 EUR oder einem allenfalls fehlenden Ermessensspielraum des nationalen Richters bei der Strafausmessung (s EuGH Rs Texdata Software [Rn 57 f]). Auch wenn die Ausmessung der Zwangsstrafe durch das Firmenbuchgericht typischerweise eher schematisch sowie aufgrund objektiver Kriterien erfolgt und es etwa nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs keiner Feststellungen über die Vermögenslage der Geschäftsführer bedarf (RS0115833 [T6, T8]), sind bei der Strafverhängung die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Dabei ist darauf Bedacht zu nehmen, dass die einzelne Zwangsstrafe nicht zu niedrig angesetzt werden darf, weil sie sonst dem Zweck eines Druckmittels für die Erfüllung der Offenlegungsverpflichtung nicht mehr dienen könnte (vgl 6 Ob 144/07f; 6 Ob 152/12i [ErwGr 8]; RS0115833 [T7]). Die Anknüpfung des § 283 Abs 3 UGB an auch sonst das Rechnungslegungsrecht prägende Größenkriterien in Bezug auf die verschiedenen offenlegungspflichtigen Gesellschaften schafft eine sachgerechte Differenzierung.
[23] Wieso es bedenklich sein soll, bei Nichtvorlage von Jahresabschlüssen und Unterlassung der Bekanntgabe der Größenmerkmale im Sinn des § 282 Abs 2 UGB vom Vorliegen einer großen Gesellschaft auszugehen und die Strafe danach zu bemessen, wenn auch aus dem Firmenbuchakt die Größenklassen nicht verlässlich beurteilt werden können, ist nicht ersichtlich (vgl dazu 6 Ob 119/07d; RS0113285 [T9]).
[24] Dass sich durch die Kumulierung periodisch verhängter Zwangsstrafen dann, wenn sich die säumigen Offenlegungspflichtigen – wie hier – über rund zwei Jahrzehnte hinweg ungeachtet der wiederkehrenden Strafen zu keiner Verhaltensänderung bewegen lassen, aufgrund der letztlich angewachsenen Summe an Strafbeträgen eine hohe Gesamtbelastung ergeben kann, liegt auf der Hand. Die Beugemaßnahmen müssen aber, will man die intendierte Beugewirkung rasch und effektiv herbeiführen, nicht nur in regelmäßigen, kurzen Abständen getroffen werden, sondern jeweils im Einzelnen auch eine spürbare Sanktion mit sich bringen. Eine absolute Höchstgrenze bezogen auf die Gesamtstrafsumme, nach deren Erreichen weitere Zwangsstrafen trotz der anhaltenden Nichtbeachtung des Gebots der Offenlegung nicht mehr verhängt werden dürften, würde der Effektivität des Sanktionensystems als solchen zuwiderlaufen. Desgleichen darf es auch nicht bloß deshalb, weil die zunächst verletzte Offenlegungspflicht letztlich doch erfüllt wird oder aber – wie im Fall der Erstrevisionsrekurswerberin – nachträglich wegfällt, zu einem Entfall der bereits zuvor verhängten Zwangsstrafen kommen, wäre dies doch der Glaubwürdigkeit der Androhung von vornherein abträglich (idS bereits 6 Ob 8/08g; 6 Ob 235/11v; vgl weiters 6 Ob 152/12i [ErwGr 5.], zum Einwand, die offenzulegenden Daten seien mittlerweile „obsolet“ geworden). Darauf, dass sich die Gesellschaften aufgrund des Eingreifens der Ablaufhemmung nach § 212 Abs 1 HS 2 UGB auch nicht auf den Ablauf der siebenjährigen Aufbewahrungsfrist nach HS 1 berufen können, hat schon das Rekursgericht zutreffend hingewiesen.
[25] Auch die neuere Judikatur des EuGH bietet somit keinen Anlass, von der gefestigten – nicht zuletzt durch die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rs Texdata Software untermauerten – Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abzugehen, wonach gegen § 283 UGB (idF Budgetbegleitgesetz 2011) keine unions- oder verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (RS0113089; RS0113282 [T20]; vgl weiters RS0126979) und die Offenlegungspflicht auch nach Inkrafttreten der Grundrechte-Charta keinen Verstoß gegen Unions-(Grund-)Recht(e) bildet (RS0113089 [T11, T20]; vgl dazu auch 6 Ob 152/12i).
[26] 1.3. Datenschutzrechtliche Bedenken
[27] Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass gegen die Verfassungsgemäßheit der Umsetzung der Publizitätsrichtlinie RL 68/151/EWG , der Bilanzrichtlinie RL 78/660/EWG und der Änderungsrichtlinie zur Publizitätsrichtlinie RL 2003/58/EG auch unter Bedachtnahme auf § 1 DSG keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (6 Ob 307/99m; RS0113089 [T21]). Nach Inkrafttreten der Grundrechte-Charta hat er in den beiden Entscheidungen 6 Ob 63/11z (ErwGr 3.) und
6 Ob 64/11x (ErwGr 2.3.) mit näherer Begründung die Vereinbarkeit der Offenlegungspflichten gemäß §§ 277 ff UGB mit dem nunmehr auch primärrechtlich in Art 8 GRC verankerten Grundrecht auf Datenschutz ausdrücklich bejaht.
[28] Der Verweis der Antragsteller auf eine Verschärfung der inhaltlichen Anforderungen an den vorzulegenden Lagebericht in den vergangenen Jahren, insbesondere auf die mittlerweile gebotenen Angaben zum besonders sensiblen Themenbereich „Forschung und Entwicklung“ (vgl § 243 Abs 3 Z 2 UGB), kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass vom Offenlegungspflichtigen unter diesem Gesichtspunkt ohnedies keine Angaben gefordert werden, die die berechtigten Geheimhaltungsinteressen der Gesellschaft verletzen könnten; insbesondere ist eine Offenlegung konkreter Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkte und die Aufteilung des Aufwands auf diese ebenso wenig geboten wie die Darlegung konkreter Ergebnisse (vgl nur Ch. Nowotny in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG3 § 243 [Stand 1. 2. 2018, rdb.at] Rz 40 mwN). Warum sich aus den Angaben im Lagebericht Rückschlüsse auf ihre Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ergeben sollten, vermögen die Rechtsmittelwerberinnen in ihren unsubstanziierten Rechtsmittelausführungen nicht nachvollziehbar darzutun.
Zu 2.
[29] Wie schon das Erstgericht zutreffend erkannt hat, fällt die Einstellung von bewilligten Exekutionen nicht in die Zuständigkeit des Firmenbuchgerichts, weshalb dieses dafür funktionell unzuständig ist. Da die Vorinstanzen diesen Antrag abgewiesen haben, waren ihre Entscheidungen mit der Maßgabe zu bestätigen, dass der Antrag zurückzuweisen war.
Zu 3.
[30] Dazu wird auf die Begründung zu 2. verwiesen. Überdies ist der Oberste Gerichtshof funktionell auch nicht erste Instanz.
Zu 4.
[31] Die beantragte Durchführung einer Revisionsrekursverhandlung ist schon deshalb abzulehnen, weil der Oberste Gerichtshof auch im Außerstreitverfahren nicht als Tatsacheninstanz, sondern als Rechtsinstanz nur über Rechtsfragen zu entscheiden hat und daher Beweisaufnahmen oder -ergänzungen nicht in Betracht kommen. Die Antragsteller hatten in ihrem Rechtsmittel ausreichend Gelegenheit zur Darlegung ihres Rechtsstandpunkts (vgl RS0043689 [T4]; zum Zwangsstrafenverfahren 6 Ob 126/00y = RS0043689 [T1, T2, T3]).
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