OGH 6Ob235/11v

OGH6Ob235/11v21.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Handelsgerichts Wien zu FN ***** eingetragenen N***** GmbH mit dem Sitz in Wien über den Revisionsrekurs der Gesellschaft und des Geschäftsführers C***** M*****, beide vertreten durch Dr. Lothar Hofmann, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 26. September 2011, GZ 4 R 380/11y, 4 R 381/11w, 4 R 382/11t und 4 R 383/11i-4d, mit dem die Beschlüsse des Handelsgerichts Wien vom 6. Juni 2011, GZ 75 Fr 9179/11v-3 und 4, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 15 FBG iVm § 71 Abs 1 AußStrG) - Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig:

Das Rekursgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle - im Spannungsfeld zwischen der Behauptungslast des Bestraften im Einspruch gegen eine Zwangsstrafverfügung (§ 283 Abs 2 UGB), der Amtswegigkeit des Verfahrens außer Streitsachen und der strafrechtlichen Unschuldsvermutung - eine Klarstellung des Obersten Gerichtshofs zur Anleitungspflicht des Firmenbuchgerichts einerseits und der Behauptungslast des Einspruchswerbers, dessen Angaben im Einspruch unzureichend sind, andererseits.

1. Die Revisionsrekurswerber haben in ihrem Rekurs gegen die erstinstanzlichen Strafbeschlüsse die Unterlassung der Aufnahme von in ihren Einsprüchen angebotenen Bescheinigungsmitteln als Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens gerügt. Das Rekursgericht hat das Vorliegen dieses Mangels verneint. Damit ist diese Frage der Kognition des Obersten Gerichtshofs jedoch entzogen.

2. In Erledigung dieser Mängelrüge hat das Rekursgericht außerdem die Frage geprüft, ob das Erstgericht die Revisionsrekurswerber zur Ergänzung ihres unvollständigen Einspruchsvorbringens hätte anleiten müssen. Das Unterbleiben eines Verbesserungsverfahrens kann im Rekursverfahren gegen die Entscheidung über die Sache als Mangelhaftigkeit geltend gemacht werden (vgl G. Kodek in Fasching/Konecny, ZPO² [2003] §§ 84, 85 Rz 286; Gitschthaler in Rechberger, ZPO³ [2006] §§ 84, 85 Rz 26, beide zur Rechtslage nach §§ 84, 85 ZPO, der jedoch der gemäß § 15 FBG auch im Firmenbuchverfahren anzuwendende § 10 Abs 4 AußStrG nachgebildet ist [ErläutRV zum AußStrG 2003, zit bei Fucik/Kloiber, AußStrG S 79]). Da das Rekursgericht auch diese Frage verneint hat, ist dem Obersten Gerichtshof ein weiteres Eingehen darauf verwehrt.

Daran vermag auch die Argumentation der Revisionsrekurswerber nichts zu ändern, durch Unterlassung einer entsprechenden Anleitung sei (auch) das Rekursverfahren mangelhaft. Sie versuchen damit lediglich, eine unrichtige Erledigung der Mängelrüge durch das Rekursgericht darzutun; gerade dies ist ihnen jedoch - wie dargestellt - verwehrt.

3.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs haben die Einspruchswerber im Hinblick auf den auch im Zwangsstrafverfahren anzuwendenden § 16 Abs 2 AußStrG vollständig und wahrheitsgemäß alle ihnen bekannten, für die Entscheidung des Gerichts maßgebenden Tatsachen und Beweise vorzubringen bzw anzubieten (6 Ob 129/11f RdW 2011/561; dazu Rauter, JAP 2011/2012, 37). Eine amtswegige Ermittlungspflicht des Firmenbuchgerichts besteht hingegen nicht; dieses ist also nicht verpflichtet, Erhebungen zu den möglichen Hinderungsgründen anzustellen (6 Ob 246/07f ZIK 2008/54 [Fraberger/Riel, 41] = GesRZ 2008, 108 [Fraberger]); 6 Ob 134/11s GES 2011, 394; G. Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FBG [2005] § 24 Rz 109; Fraberger/Riel, ZIK 2008, 41 [Entscheidungsanmerkung]), vielmehr liegt es am Einspruchswerber selbst, schon im Einspruch die der Erfüllung seiner Offenlegungspflicht entgegenstehenden Hindernisse darzutun (6 Ob 246/07f; 6 Ob 134/11s). Daran ändert auch die vom Rekursgericht ins Spiel gebrachte „Unschuldsvermutung“ nichts; § 283 Abs 1 UGB setzt für eine zwingende Bestrafung (6 Ob 129/11f) lediglich das Verstreichen der Offenlegungsfrist von neun Monaten voraus.

3.2. Im Übrigen gilt die Vermutung des Art 6 Abs 2 EMRK nur für Strafverfahren. Der Zweck der Vorschrift ist es zu verhindern, dass jemandem eine Handlung als Wertverletzung durch das in der Bestrafung zum Ausdruck kommende sozialethische Unwerturteil vorgeworfen wird, bevor seine Schuld gesetzlich nachgewiesen ist. Deshalb ist die Unschuldsvermutung grundsätzlich nur im Strafverfahren und nicht in Verfahren vor den Zivilgerichten beachtlich (Kühne in Karl, EMRK [2009] Art 6 Rz 417; vgl auch Szczekalla in Heselhaus/Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte [2006] § 52 Rz 6).

3.3. Ihrer Verpflichtung zur Dartuung von Hinderungsgründen sind die Revisionsrekurswerber mit ihrem nicht weiter substanziierten Hinweis auf „entsprechende Bemühungen“ sowohl in ihren Einsprüchen als auch in den Rekursen gegen die Strafbeschlüsse nicht nachgekommen, was das Rekursgericht zutreffend erkannt hat. Dass die Erstellung des Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 2009/2010 überhaupt unmöglich sein soll, wird erstmals im Revisionsrekurs behauptet; dem steht damit das Neuerungsverbot des § 49 AußStrG entgegen.

4.1. Weiters ist den rekursgerichtlichen Ausführungen Folgendes zu erwidern: Inwiefern durch die Einfügung des Wortes „zeitgerechten“ vor „Befolgung“ in § 283 Abs 1 Satz 1 UGB durch das Budgetbegleitgesetz 2011 (BGBl I 2011/111; BBG 2011) der vom Gesetzgeber schon bisher beabsichtigte repressive Charakter der firmenbuchrechtlichen Zwangsstrafen weiter betont wird, ist nicht nachvollziehbar. Nicht nur die endgültige Nichteinreichung ist rechtswidrig, sondern auch die verspätete. Das galt auch schon vor der Novelle durch das BBG 2011. Nunmehr wird lediglich etwas deutlicher betont, dass nicht nur die Offenlegung an sich, sondern auch deren Rechtzeitigkeit erzwungen werden soll.

4.2. Auch der Gesetzeswortlaut von § 283 UGB idF des BBG 2011 zwingt - entgegen den Gesetzesmaterialien, die keine Gesetzeskraft haben (vgl RIS-Justiz RS0008799 [T3]; RS0008776) - keineswegs dazu, einen repressiven Charakter der Zwangsstrafen gemäß § 283 UGB anzunehmen.

Der Gesetzeswortlaut von § 283 UGB indiziert den willensbeugenden Charakter der Zwangsstrafen. Dies ergibt sich einerseits aus § 283 Abs 1 erster Satz UGB, wonach die Organwalter zur zeitgerechten Befolgung „anzuhalten“ sind, und andererseits aus der Wendung „- sofern die Offenlegung nicht bis zum Tag vor Erlassung der Zwangsstrafverfügung bei Gericht eingelangt ist -“ in Abs 2 erster Satz.

4.3. Dagegen kann ein repressiver Charakter des Zwangsstrafverfahrens nach § 283 UGB nicht zwingend aus dem Gesetz abgeleitet werden. Schon zu § 283 UGB idF des Publizitätsrichtlinien-Gesetzes (PuG, BGBl I 2006/103; wonach die Zwangsstrafen auch dann zu vollstrecken sind, wenn die Bestraften ihrer Pflicht nachkommen oder deren Erfüllung unmöglich geworden ist) hat der erkennende Senat ausgesprochen, auch dann, wenn man die Zwangsstrafen als bloßes Beugemittel ansehe, erfordere der Strafzweck, dass eine angedrohte Strafe bei nicht rechtzeitiger Befolgung des erteilten Auftrags auch tatsächlich verhängt (und in der Folge vollstreckt) werde, weil nur dann die Androhung glaubwürdig sei (6 Ob 8/08g = RIS-Justiz RS0115894 [T8]). In diesem Sinn führt Zib in Zib/Dellinger, Großkomm UGB, § 24 FBG, Rz 2 aus, eine später - nach Verhängung der Zwangsstrafe - vorgenommene Anmeldung, Einreichung etc mache die Beugemaßnahme nicht gegenstandslos, sondern sei regelmäßig ihr Erfolg.

4.4. Entgegen der Auffassung des Rekursgerichts wird mit der Erlassung einer Zwangsstrafverfügung nicht der gesamte bis dahin andauernde Verstoß gegen die Offenlegungspflicht verfolgt, sondern nur derjenige für die betreffende Zweimonatsfrist gemäß § 283 Abs 1 letzter Satz und Abs 4 UGB (so auch Dokalik/Birnbauer, GesRZ 2011, 22 [25]). Der Hinweis im Einspruch auf eine mittlerweile nach Erlassung der Zwangsstrafverfügung erfolgte Offenlegung hindert nicht die Verhängung der Zwangsstrafe im ordentlichen Verfahren, sondern allenfalls die Verhängung einer weiteren Strafe nach § 283 Abs 4 UGB (so auch Dokalik/Birnbauer, GesRZ 2011, 22 [24]). Der Einspruch dient somit dazu, dem Bestraften das rechtliche Gehör zu wahren, führt aber nicht dazu, nach Erlassung der Zwangsstrafverfügung eingetretene entlastende nova producta zu berücksichtigen. Daran kann auch die vom Rekursgericht zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zum Verwaltungsstrafrecht nichts ändern, zumal den im zitierten Erkenntnis relevanten Verwaltungsstrafnormen eine dem § 283 UGB vergleichbare wiederholte Bestrafung nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums für einen neuen Zeitraum fremd ist.

4.5. Auch dieser Umstand, dass im ordentlichen Verfahren eine Zwangsstrafe verhängt werden kann, obwohl nach der Zwangsstrafverfügung der Jahresabschluss offengelegt wurde, zwingt nicht dazu, einen repressiven Charakter der Zwangsstrafe im ordentlichen Verfahren anzunehmen: Könnte diesfalls nicht gestraft werden, verlöre die Zwangsstrafverfügung insofern ihren willensbeugenden Charakter, als jeder darauf vertrauen könnte, dass er den Jahresabschluss ohnehin noch nach der Zwangsstrafverfügung mit der Folge der Einstellung des Verfahrens einreichen könnte und somit de facto eine Nachfrist hätte. Dadurch würde es aber an einer „geeigneten Maßnahme“ zur Erzwingung der rechtzeitigen Einreichung fehlen: Nur wer weiß, dass er schon am ersten Tag der Säumnis wirksam und endgültig bestraft werden kann, fühlt sich veranlasst, spätestens am letzten Tag der Neunmonatsfrist einzureichen.

4.6. Die jeweils zweimonatigen Strafperioden gemäß § 283 Abs 1 letzter Satz und Abs 4 UGB richten sich ausschließlich nach dem objektiven Kriterium des Jahresabschlussstichtags und des letzten Tags der Offenlegungsfrist neun Monate später. Beim Jahresabschlussstichtag 31. 12. ergeben sich somit die Bestrafungszeiträume mit 1. 10. bis einschließlich 30. 11. des Folgejahres, 1. 12. des Folgejahres bis einschließlich 31. 1. des darauf folgenden Jahres usw. Auf subjektive Umstände wie etwa die Dauer eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses kommt es nicht an, weil ein solches allenfalls mangels Verschuldens des Organwalters dessen Bestrafung ausschließt, aber nichts an der Rechtswidrigkeit der nicht erfolgten Offenlegung ändert (vgl § 283 Abs 1 letzter Satz UGB: „ihren Pflichten … nicht nachgekommen sind.“).

4.7. Aus diesen Erwägungen bestehen entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts auch keine Bedenken gegen die gleichzeitige Verhängung mehrerer Zwangsstrafverfügungen für verschiedene (jeweils zweimonatige) Bestrafungszeiträume (im Ergebnis so auch Dokalik/Birnbauer, GesRZ 2011, 22 [26]). Im Spruch jeder einzelnen Zwangsstrafverfügung ist aber der Bestrafungszeitraum eindeutig auszudrücken.

5. Der Verweis der Revisionsrekurswerber auf das - zwischenzeitig eingestellte - Verfahren zur Löschung der Gesellschaft nach § 40 Abs 1 FBG ist nicht nachvollziehbar, behauptete doch dort die Gesellschaft bereits am 18. 4. 2011, dass „der Jahresabschluss voraussichtlich kurzfristig vorgelegt werden“ würde; es seien „nur mehr einige Abklärungen erforderlich“. Aus dem „offenen Firmenbuch“, auf das sich der Revisionsrekurs ebenfalls beruft, ist jedoch nach wie vor das Fehlen des Jahresabschlusses 2009/2010 ersichtlich.

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