OGH 3Ob116/21m

OGH3Ob116/21m1.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. S* B*, vertreten durch Dr. Andreas Foglar-Deinhardstein, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei J* L*, vertreten durch Dr. Hans Rant & Dr. Kurt Freyler Rechtsanwalt KG in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 19. Mai 2021, GZ 40 R 64/21i‑22, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132913

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt – wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat – nicht vor.

[2] Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass zur Darlegung der Relevanz eines behaupteten Erörterungsmangels im erstinstanzlichen Verfahren in der Berufung ausgeführt werden muss, welches Vorbringen die Partei im Fall der Erörterung erstattet hätte. Wie die Ausführungen in einem Schriftsatz zu verstehen sind und ob sie ausreichend konkretisiert sind, ist eine Frage des Einzelfalls (vgl RS0042828).

[3] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sich der Berufung des Klägers ein konkretes Vorbringen zu der vom Erstgericht erwähnten WKO‑Statistik (zum Bruttojahreseinkommen im Jahr 1974) nicht entnehmen lasse, ist nicht korrekturbedürftig. Auch in der außerordentlichen Revision wird dazu kein konkretes Vorbringen angeführt. Entgegen dem Standpunkt des Klägers lässt sich aus dem für das in Rede stehende mietvertragliche Sonderrecht gezahlten Betrag von 400.000 ATS jedenfalls nicht zwingend ableiten, dass es sich dabei nur um ein Präsentationsrecht gehandelt habe.

[4] 2.1 Inhaltlich hängt die Entscheidung von der Auslegung der Bestimmung über das Sonderrecht in § 11 des Mietvertrags vom 25. 9. 1974 ab. Dabei sind die Vorinstanzen von den zutreffenden Grundsätzen für die Auslegung eines Vertrags ausgegangen. Maßgebend sind der Wortlaut (unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs und der redlichen Verkehrsübung) sowie ein allenfalls festgestellter davon abweichender übereinstimmender Parteiwille (vgl 4 Ob 171/20f und 4 Ob 2/21d mwN). Fragen der Vertragsauslegung kommt in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (vgl RS0042936 [insbesondere T17]).

[5] 2.2 Die Vorinstanzen haben § 11 des Mietvertrags als Vereinbarung eines vertraglichen Weitergaberechts ausgelegt. Dabei haben sie die Grundsätze für die Unterscheidung zwischen einem (hier beschränkten) Weitergaberecht (vgl RS0105786) und einem als bloßen Vorvertrag zu qualifizierenden Präsentationsrecht (vgl RS0032804) zutreffend wiedergegeben. Wenn sie die relevanten Unterscheidungskriterien für ein Weitergaberecht mit Bezug auf den Anlassfall darin erblicken, dass der Vermieter schon im Vorhinein einem allfälligen Mieterwechsel (durch Vertragsübernahme) zustimmt (vgl RS0032700) und dem Mieter das Recht zukommt, nicht nur einen Nachmieter vorzuschlagen, sondern diesem das Mietrecht zu übertragen (vgl RS0105786) und es für den Mietrechtsübergang (anders als beim bloßen Vorvertrag) der Zustimmung durch den Vermieter nicht bedarf (vgl RS0032747; 8 Ob 71/17z), bewegen sie sich im Rahmen der Rechtsprechungsgrundsätze.

[6] Richtig ist zwar, dass die Vertragsbestimmung in Satz 2 „den Abschluss eines Mietvertrags zu den gleichen Bedingungen“ vorsieht. Dies spricht aber noch nicht zwingend gegen ein Weitergaberecht, wenn – wie hier – die Entscheidungs- und Auswahlbefugnis zum Mieterwechsel im Sinn der dargelegten Grundsätze dem Bestandnehmer zukommt, und dieser Vorgang im Vertrag selbst ausdrücklich als „Weitergabe“ bezeichnet wird.

[7] 2.3 Nach den Feststellungen ging die ursprüngliche Mieterin davon aus, dass sie aufgrund des Sonderrechts in § 11 des Mietvertrags über die Weitergabe der Wohnung (frei) verfügen kann. Zudem wurde festgestellt, dass für die Einräumung des Sonderrechts 400.000 ATS gezahlt wurden und die ursprüngliche Vermieterin im Mietvertrag auch ihre Vorwegzustimmung zu allen baulichen Veränderungen der Wohnung erteilt hat.

[8] Wenn die Vorinstanzen unter diesen Umständen bei der Auslegung der fraglichen Vertragsbestimmung deren Wesensgehalt in der „Weitergabe des Mietvertrags zu den gleichen Bedingungen“ erblickten und von einer umfassenden Rechteeinräumung im Sinn der Weitergabe der Wohnung an einen Nachmieter und nicht nur von einem bloßen Präsentationsrecht ausgingen, dann steht dieses Verständnis jedenfalls mit den Auslegungsgrundsätzen nach §§ 914 f ABGB in Einklang. Ob auch eine andere Auslegung denkbar wäre, begründet keine erhebliche Rechtsfrage.

[9] 3. Der Kläger hat sich im erstinstanzlichen Verfahren nur darauf berufen, dass der Bestandgeber bei einem Präsentationsrecht nicht mehr an sein Versprechen gebunden sei, wenn der vereinbarte Mietzins infolge exorbitanter Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse vom nunmehr ortsüblichen Mietzins erheblich abweiche. Das – von den Vorinstanzen im Rahmen geltender Auslegungsgrundsätze angenommene – Weitergaberecht unterliegt aber nach der Rechtsprechung weder in seiner unbeschränkten noch in seiner beschränktenAusgestaltung der Umstandsklausel (3 Ob 104/15p). Die erstmalige Geltendmachung von laesio enormis im Rechtsmittelverfahren verstößt gegen das Neuerungsverbot (7 Ob 80/07a; RS0043573 [T10]).

[10] 4. Der Kläger behauptet Nichtigkeit der Ablöse von 400.000 ATS nach § 17 MG bzw § 27 MRG und leitet daraus auch die Nichtigkeit der Gegenleistung (Einräumung des Sonderrechts) ab, weshalb sich der Beklagte nicht auf ein Weitergaberecht berufen könne.

[11] Dem hat das Berufungsgericht – unabhängig von der im Anlassfall bereits eingetretenen Verjährung des Rückforderungsanspruchs – bereits im Einklang mit bestehenden Rechtsprechungsgrundsätzen entgegengehalten, dass nach erfolgter Begründung des Mietverhältnisses mit dem Nachmieter darauf selbst eine Nichtigkeit der Gegenleistung und die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs durch den Vormieter ohne Einfluss bliebe (vgl 5 Ob 65/94; 5 Ob 124/97i).

[12] 5. Mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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