OGH 2Ob37/19h

OGH2Ob37/19h17.12.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach A* R*, verstorben am * 2018, zuletzt wohnhaft in *, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin M* S*, vertreten durch Dr. Harald Bösch, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 7. Dezember 2018, GZ 1 R 272/18k‑22, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Bezau vom 24. Oktober 2018, GZ 2 A 152/18g‑18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E127021

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Antragstellerin die Auskunft erteilt wird, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz keine Erbantrittserklärung oder Ausschlagung der Erbschaft sowie kein Erbverzicht des Sohnes, P* R*, aktenkundig waren.

Das Mehrbegehren auf uneingeschränkte Akteneinsicht wird abgewiesen.

Die Antragstellerin hat ihre Verfahrenskosten selbst zu tragen.

 

Begründung:

Der am * 2018 verstorbene Erblasser hinterließ eine Witwe, einen Sohn und eine Tochter sowie zwei Enkeltöchter nach einem vorverstorbenen weiteren Sohn, der 1983 mit seinen Eltern für sich und seine Nachkommen einen Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag abgeschlossen hatte.

Der verbliebene Sohn lebt in Mexiko. Er hat seiner Schwester eine Spezialvollmacht für das Verlassenschaftsverfahren erteilt. Bisher wurden weder Erbantrittserklärungen noch diesbezügliche Interessenbekundungen abgegeben.

Die Antragstellerin beantragte am 17. 10. 2018 die Gewährung von Akteneinsicht. Sie sei eine Gläubigerin des in Mexiko lebenden Sohnes und wolle ihre gerichtlich titulierte Forderung von 58.138,27 EUR sA gegen den Sohn in Exekution ziehen, was am Aufenthaltsort des Sohnes in Mexiko nicht möglich sei. Deshalb beabsichtige sie, seine erbrechtlichen Ansprüche zu pfänden. Ohne Einsicht in den Verlassenschaftsakt könne sie nicht abschließend beurteilen, „ob und welches“ Nachlassvermögen sie in Exekution ziehen könne.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Die Antragstellerin behaupte nur ein wirtschaftliches Interesse. Selbst wenn ein rechtliches Interesse zu bejahen wäre, würden die Geheimhaltungsinteressen der anderen möglichen gesetzlichen Erben überwiegen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Das Rekursgericht erörterte, derzeit bestehe kein rechtliches Interesse, weil voraussichtlich die gesetzliche Erbfolge eintreten und kein Pflichtteilsanspruch des Sohnes bestehen werde. Bisher seien noch keine Erbantrittserklärungen abgegeben worden, weshalb (noch) kein Schuldnervermögen existiere, auf das ein rechtliches Interesse gegründet sein könnte. Soweit die Antragstellerin im Rekurs ihr rechtliches Interesse auf die für die Gläubigeranfechtung erforderliche Kenntnis von einer allfälligen Ausschlagung der Erbschaft stütze, liege eine unzulässige Neuerung vor. Sollte dennoch eine Interessenabwägung stattzufinden haben, würde das Geheimhaltungsinteresse der übrigen Erben „jedenfalls vor Abgabe einer Erbantrittserklärung durch den Sohn“ überwiegen, auch wenn eine Erzwingung von Informationen über das Schuldnervermögen im Wege der §§ 47, 48 EO hier nicht möglich sei.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil keine „gefestigte Rechtsprechung“ zum rechtlichen Interesse an der Ermittlung von Schuldnervermögen bei Vorhandensein eines vollstreckbaren Titels vor Abgabe einer Erbantrittserklärung und der Unmöglichkeit exekutiver Schritte nach den §§ 47, 48 EO existiere.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass ihrem Einsichtsbegehren stattgegeben, in eventu dieses nur im Umfang der vom Erb- und/oder Pflichtteilsrecht des Sohnes umfassten Vermögenswerte gewährt werde. Hilfsweise stellt sie Aufhebungsanträge.

Der Revisionsrekurs ist zulässig im Sinne der Ausführungen des Rekursgerichts; er ist auch berechtigt.

Die Antragstellerin macht geltend, das Rekursgericht habe zu Unrecht eine Verletzung des Neuerungsverbots angenommen und unberücksichtigt gelassen, dass der Sohn in Mexiko wohne, wo mit einem österreichischen Titel nicht Exekution geführt werden könne. Nur bei rechtzeitiger Kenntnis von Inhalt und Umfang der Erb- bzw Pflichtteilsansprüche ihres Schuldners könne die Antragstellerin ihre titulierten Rechte wahren, deren Schutz gemäß Art 6 EMRK und Art 47 GRC effektiv auszugestalten sei.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

1. Nach § 219 Abs 2 ZPO, der nach § 22 AußStrG im Außerstreitverfahren sinngemäß anzuwenden ist (2 Ob 9/17p; 6 Ob 197/14k), steht mangels Zustimmung der Parteien einem Dritten Akteneinsicht und Abschriftnahme nur insoweit zu, als er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht.

In diesem Fall ist eine zweistufige Prüfung vorzunehmen (2 Ob 9/17p; 9 Ob 87/08x): Im ersten Schritt ist das Bestehen des behaupteten rechtlichen Interesses zu prüfen. Dieses rechtliche Interesse muss ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse oder über Interessen der Information, der Pietät, des Anstands oder der Ethik hinausreicht (RS0079198).

Im zweiten Schritt ist, selbst bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses, die Einsicht dennoch im Rahmen einer Interessenabwägung zu versagen, soweit ihr überwiegende gegenläufige Interessen anderer Beteiligter entgegenstehen. Gerade im Außerstreitverfahren werden vielfach Familien- und Vermögensverhältnisse offengelegt, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Aus dem Grundrecht auf Datenschutz ergibt sich, dass jedermann Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten hat, soweit er daran ein schutzwürdiges Interesse, insbesondere im Hinblick auf Achtung seines Privat- und Familienlebens hat (4 Ob 208/02w; 1 Ob 97/06f; Fucik/Kloiber, AußStrG § 22 Rz 4).

2. Die Antragstellerin stützt ihr rechtliches Interesse auf ihre Absicht, aufgrund ihrer titulierten Forderung die erbrechtlichen Ansprüche des Sohnes zu pfänden.

Nach herrschender Ansicht kann die Rechtsstellung eines Erben zwar nicht gepfändet werden, ist also das Erbrecht als Ganzes unpfändbar (2 Ob 156/00f mwN; Oberhammer in Angst/Oberhammer, EO³ § 331 Rz 65). Taugliches Exekutionsobjekt sind aber die Vermögensrechte des Erben, die dieser mit der Abgabe seiner Erbantrittserklärung gemäß § 157 AußStrG erwirbt (Oberhammer in Angst/Oberhammer, EO³ § 331 Rz 65 mwN). Das heißt, dass erst der sich im Zuge der Verlassenschaftsabhandlung ergebende Anspruch des Erben gemäß § 331 EO pfändbar sein kann (vgl RS0113646). Pflichtteilsforderungen sind hingegen Geldforderungen und nur als solche pfändbar (3 Ob 218/00f).

3. Zu damit in Zusammenhang stehenden Anträgen auf Akteneinsicht durch titulierte Erbengläubiger hatte der Oberste Gerichtshof insbesondere in den Entscheidungen 1 Ob 97/06f und 2 Ob 9/17p Stellung zu nehmen. In beiden Fällen konnte die Frage des rechtlichen Interesses letztlich offen gelassen werden, weil eine Interessenabwägung jeweils ohnehin zum Nachteil des Gläubigers ausgeschlagen hätte. Das Akteneinsichtsrecht tritt nämlich zurück, wenn dem Gläubiger andere Mittel zur Verfügung stehen, seine als Begründung für den Antrag auf Einsichtnahme angegebenen Interessen durchzusetzen. Dieses andere Mittel wurde in den genannten Entscheidungen in der Möglichkeit, die Abgabe eines Vermögensverzeichnisses nach §§ 47, 48 EO zu erzwingen, gesehen.

4. In der Entscheidung 2 Ob 9/17p hat der erkennende Senat aber auch aus der den Bestimmungen der §§ 47, 48 EO und § 6 Abs 2 Z 1a GUG zugrundeliegenden Wertung geschlossen, dass es nahe liege, das Interesse an der Ermittlung von Schuldnervermögen bei Vorliegen eines vollstreckbaren Titels im Rahmen des § 219 ZPO als rechtliches Interesse zu qualifizieren. Zwar habe dieses Interesse einen wirtschaftlichen Hintergrund, nämlich die Befriedigung einer Forderung; es sei jedoch in der Rechtsordnung begründet und wird von ihr gebilligt.

In Anknüpfung an diese Erwägungen, an denen der Senat festhält, ist im vorliegenden Fall, in dem der Antragstellerin die Möglichkeit einer Fahrnisexekution und bei deren Scheitern ein Vorgehen nach den §§ 47, 48 EO aufgrund des Wohnorts des Sohnes in Mexiko verwehrt ist, ein rechtliches Interesse an der Ermittlung von Schuldnervermögen zu bejahen. Die Antragstellerin hat jedenfalls ein vorrangiges Interesse zu wissen, ob der Schuldner eine Erbantrittserklärung abgegeben hat oder nicht. Erlangt sie von einer Erbantrittserklärung Kenntnis, kann sie Exekution auf die Gesamtrechte des Erben führen.

5. Dem steht nicht entgegen, dass einzelne konkrete Vermögensgegenstände aus der Erbschaft erst nach der Einantwortung (bei Liegenschaften nach Einverleibung des Eigentumsrechts) in Exekution gezogen werden können (3 Ob 98/84 = RS0004268; Oberhammer in Angst/Oberhammer, EO³ § 331 Rz 65), weil hier nach der Antragsbegründung nicht einzelne Vermögensgegenstände, sondern die Gesamtrechte des Erben Exekutionsobjekt sein sollen. Die Summe der Vermögensrechte des Erben ist aber, wie dargelegt, nach § 331 EO pfändbar (Oberhammer in Angst/Oberhammer, EO³ § 331 Rz 65 mwN).

6. Auch ist in Bezug auf die Kenntnisnahme von einer allfälligen Ausschlagung der Erbschaft oder von einem Erbverzicht ein rechtliches Interesse des Gläubigers deshalb anzunehmen, weil sich dann Exekutionsschritte nach § 331 EO erübrigen würden (vgl 2 Ob 156/00f). Da die Antragstellerin das Interesse an der Akteneinsicht bereits im Antrag damit begründet hat, dass sie wissen müsse, „ob und welches Nachlassvermögen“ sie in Exekution ziehen könne, handelt es sich beim diesbezüglichen Vorbringen in ihrem Rekurs um keine Neuerung, sondern – wie sie im Revisionsrekurs zutreffend ausführt – um einen von der erstinstanzlichen Antragsbegründung ohnehin bereits umfassten Teilaspekt des rechtlichen Interesses, dessen Nichtbeachtung durch das Rekursgericht daher keinen Verfahrensmangel auslöste (vgl RS0006820), sondern zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung führt.

7. Der Antragstellerin ist deshalb im Ergebnis in Bezug auf das intendierte Exekutionsobjekt der allfälligen erbrechtlichen Gesamtansprüche ihres Schuldners ein rechtliches Interesse daran zuzubilligen, zu wissen, ob der Sohn bereits eine Erbantrittserklärung abgegeben, die Erbschaft ausgeschlagen oder auf sein Erbe verzichtet hat. Die Kenntnis des Werts des Nachlasses begründet dagegen bloß ein wirtschaftliches Interesse.

8. Damit wären im zweiten Schritt allfällige gegenläufige Interessen der Parteien oder dritter Beteiligter zu prüfen. Im vorliegenden Fall hat mangels Abgabe einer Erbantrittserklärung bzw diesbezüglicher Interessenbekundung noch niemand Parteistellung erlangt (vgl RS0007926 [T16]; RS0006398 [T17]; RS0006544), sodass derzeit keine abzuwägenden Geheimhaltungsinteressen von Parteien oder beteiligten Dritten bestehen. Auch ob im Zweifel schon grundsätzlich das Interesse der Parteien oder sonstiger Beteiligter am Unterbleiben des Eingriffs in ihre Privatsphäre als überwiegend und einer Akteneinsicht entgegenstehend anzusehen wäre (so Gitschthaler in Rechberger,ZPO5§ 219 Rz 3/2; ders in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 22 Rz 45 mwN) oder nicht (16 Ok 10/14b; 16 Ok 9/14f; 8 Ob 4/03a; Rassi in Fasching/Konecny³, § 219 ZPO Rz 5), muss hier – auch unter dem Aspekt der DSGVO (vgl dazu jüngst 6 Ob 45/19i) – schon mangels zu berücksichtigender Beteiligteninteressen nicht vertieft werden. Ein Fall eigener Geheimhaltungsinteressen der Verlassenschaft, wie sie in der Entscheidung 2 Ob 53/18k zu berücksichtigen waren, liegt ebenfalls nicht vor.

9. Zusammenfassend ist daher davon auszugehen, dass ein rechtliches Interesse der Antragstellerin iSd § 219 Abs 2 ZPO iVm § 22 AußStrG an der Kenntnis besteht, ob ihr Schuldner eine Erbantrittserklärung abgegeben, die Erbschaft ausgeschlagen oder auf sein Erbe verzichtet hat. Dieses Interesse kann auch darin liegen, Auskunft über das Nichtvorliegen von Aktenstücken mit solchen Erklärungen des Erbanwärters zu erhalten. Da keine entgegenstehenden Geheimhaltungsinteressen vorliegen, ist in Abänderung der Beschlüsse der Vorinstanzen dem Antrag teilweise stattzugeben. Der Antragstellerin sind – mangels Vorhandenseins von von ihrem rechtlichen Interesse umfassten Aktenstücken – die erwähnten Auskünfte zu erteilen.

10. Abschließend sei darauf verwiesen, dass es sich bei der Akteneinsicht, also der Informationsaufnahme aus dem Gerichtsakt, schon begrifflich um einen einmaligen Vorgang und um kein unbefristetes Recht handelt, welches– einmal bewilligt – nach Belieben des (einmal) Einsichtsberechtigten immer wiederholt werden könnte. Vielmehr müsste eine neuerliche Akteneinsicht erneut beantragt und darüber neuerlich entschieden werden, können sich doch zwischenzeitig die Bewilligungsvoraussetzungen geändert haben (16 Ok 9/14f; RS0079198 [T8]).

11. Ein Kostenersatz kommt im Verlassenschaftsverfahren – außer im hier nicht vorliegenden Fall des Verfahrens über das Erbrecht – gemäß § 185 AußStrG nicht in Betracht.

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