OGH 6Ob45/19i

OGH6Ob45/19i24.7.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M*, 2. K*, vertreten durch Dr. Karin Prutsch, Mag. Michael Franz Damitner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei K* GmbH, *, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner Rechtsanwälte in Linz, wegen 60.455,25 EUR sA und Feststellung, hier wegen Akteneinsicht, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 17. Jänner 2019, GZ 7 R 47/18p‑84, mit dem infolge Rekurses der beklagten Partei der Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 24. Juli 2018, GZ 7 Cg 95/15x‑75, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E125753

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Einschreiterin M* hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

Die Kläger begehrten von der beklagten Spitalserhalterin Schadenersatz wegen medizinischen Behandlungsfehlern an der Klägerin und ihrem verstorbenen Kind im Zuge der Entbindung.

Mit Schriftsatz vom 18. 6. 2018 stellte die Einschreiterin M* den Antrag auf Akteneinsicht und Übermittlung des Urteils sowie der Beschlüsse, Protokolle und Gutachten gegen Kostenbekanntgabe. Sie begründete ihr rechtliches Interesse mit einem gegen sie als diensthabender Hebamme geführten Strafverfahren im Zusammenhang mit der Entbindung des Kindes der Klägerin.

Die Kläger und die Beklagte sprachen sich gegen die Gewährung von Akteneinsicht aus.

Die Kläger begründen ihre Ablehnung damit, dass die im Verfahren vorliegenden Beweisergebnisse und der abgeschlossene Vergleich für die Antragstellerin ohne Relevanz seien. Hingegen hätten die Kläger ein Interesse an der Achtung ihres Privat- und Familienlebens.

Die Beklagte hält dem Antrag entgegen, sie werde im Strafverfahren ebenfalls (nach dem VbVG) belangt; die Gewährung von Akteneinsicht an die mitangeklagte Antragstellerin verschlechtere ihre eigene Position im Strafverfahren. Rechtlich habe die DSGVO dem § 219 Abs 2 ZPO derogiert. Nach Art 9 DSGVO sei jede Weitergabe personenbezogener Daten unzulässig; eine Einschränkung dieses Rechts gemäß Art 23 sei nicht möglich, sodass eine Akteneinsicht Dritter nur mit Zustimmung der Parteien zulässig sei.

Das Erstgericht gab dem Antrag im Umfang der Gutachten der Sachverständigen Dr. H* und Univ.‑Prof. Dr. G* sowie der Protokolle der Verhandlungen vom 8. 11. 2016 und vom 20. 12. 2017 statt. Den darüber hinausgehenden Antrag wies es erkennbar ab.

Es bejahte ein aus dem Strafverfahren resultierendes rechtliches Interesse der Antragstellerin an der Einsicht in die Sachverständigengutachten und die Gutachtenserörterungen, da diese ebenso wie das Strafverfahren die Beurteilung ihrer Vorgangsweise als Hebamme zum Gegenstand hätten. § 219 Abs 2 ZPO stehe mit Art 9 Abs 2 DSGVO im Einklang. Dem rechtlichen Interesse der Antragstellerin stünden keine überwiegenden Interessen der Parteien auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie auf Datenschutz und keine öffentlichen Interessen entgegen. Zwar beträfen die Daten einen äußerst sensiblen Bereich des Privat- und Familienlebens der Kläger, dies relativiere sich aber dadurch, dass die Klägerin bei der Geburt anwesend und tätig gewesen sei.

Das Rekursgericht gab dem nur von der Beklagten erhobenen Rekurs teilweise Folge. Es schränkte die vom Erstgericht zugesprochene Akteneinsicht um die Äußerung des Sachverständigen Dr. H* vom 20. 3. 2017 sowie um jene Abschnitte der Verhandlungsprotokolle vom 8. 11. 2016 und vom 20. 12. 2017 ein, die nicht die Gutachtenserörterung enthalten. Darüber hinaus gab es dem Rekurs nicht Folge.

Es ließ den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, es liege keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Akteneinsicht Dritter ohne Einwilligung der Parteien im Zusammenhang mit § 9 DSGVO vor.

Rechtlich führte es aus, Art 9 Abs 2 lit f DSGVO ermögliche die Verarbeitung sensibler Daten bei der Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen. Dies erfasse auch die Wahrung der Interessen der Antragstellerin in einem gegen sie geführten Strafverfahren. Die Tatbestände des Art 23 Abs 1 DSGVO seien nicht zu prüfen, weil eine dort geregelte Einschränkung der Betroffenenrechte nicht zu beurteilen sei.

Das rechtliche Interesse der Antragstellerin sei gegeben, weil die Beurteilung eines allfälligen fahrlässigen Verhaltens bei der Entbindung ein wesentlicher Bestandteil der Gutachten, aber auch Gegenstand des Strafverfahrens sei. Es sei davon auszugehen, dass der Antragstellerin, die bei der Entbindung als Hebamme tätig gewesen sei und deren Bericht in die Sachverständigengutachten eingeflossen sei, der Sachverhalt und die sensiblen Daten der Betroffenen im Wesentlichen bekannt seien. Darüber hinaus sei im Prozess ein Obergutachten eingeholt worden, um Widersprüche zwischen den Gutachten im Straf- und im Zivilverfahren zu klären. Das Informationsinteresse der Antragstellerin überwiege daher gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Kläger und der sonstigen am Verfahren beteiligten Personen. Ein Geheimhaltungsinteresse der Beklagten sei schlechthin nicht ersichtlich und werde auch nicht durch die behauptete Beeinträchtigung ihrer Verteidigungsstrategie im Straf-verfahren begründet. Die Geheimhaltungsinteressen der Kläger seien ebenfalls nicht höher zu bewerten als das Informationsinteresse der Antragstellerin. Nicht erforderlich zur Verfolgung des rechtlichen Interesses der Antragstellerin seien lediglich die Stellungnahme des Sachverständigen vom 20. 3. 2017, bei der es sich nicht um eine Gutachtensergänzung handle, sowie die Protokollinhalte, die nicht die Gutachtenserörterung beträfen.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten, mit dem sie die gänzliche Antragsabweisung anstrebt; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

1.1. Das Recht auf Akteneinsicht im Zivilprozess ist in § 219 ZPO geregelt. Die Gewährung von Akteneinsicht durch das Gericht ist allerdings gleichzeitig als Verarbeitung im Sinn der Legaldefinition des Art 4 Z 2 DSGVO zu qualifizieren („Offenlegung durch Übermittlung“), sofern sie im Zusammenhang mit „personenbezogenen Daten“ im Sinn des Art 4 Z 1 DSGVO steht.

Die DSGVO ist daher auf die Gewährung von Akteneinsicht durch ein österreichisches Gericht anzuwenden, wenn die Akteneinsicht Informationen umfasst, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen (vgl Art 4 Z 1 DSGVO).

1.2. Dies bedeutet aber nicht, dass der Bestimmung des § 219 ZPO materiell derogiert wäre oder dass sie im Anwendungsbereich der DSGVO schlechthin unanwendbar wäre. Nur dann, wenn § 219 ZPO nicht unionsrechtskonform dahin ausgelegt werden könnte, dass ein mit der DSGVO im Einklang stehendes Ergebnis erzielbar wäre, hätte diese Bestimmung des nationalen Rechts insofern unangewendet zu bleiben (vgl RS0075866 [T4]).

2.1. Gemäß § 219 Abs 2 ZPO können dritte Personen in gleicher Weise wie Parteien Einsicht in die Prozessakten nehmen und auf ihre Kosten Abschriften und Auszüge erhalten, soweit dem nicht überwiegende berechtigte Interessen eines anderen oder überwiegende öffentliche Interessen im Sinn des Art 23 Abs 1 DSGVO entgegenstehen. Fehlt eine solche Zustimmung, so steht einem Dritten die Einsicht und Abschriftnahme nur insoweit zu, als er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht.

2.2. Das rechtliche Interesse des Dritten an der Akteneinsicht muss nach der Rechtsprechung zu § 219 ZPO konkret gegeben sein (RS0037263), das heißt, die Einsichtnahme muss sich auf seine privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse günstig auswirken, sei es auch nur dadurch, dass er in die Lage versetzt wird, die Beweislage für sich günstiger zu gestalten (RS0037263 [T4]; vgl RS0079198 [T1]). Ein bloß wirtschaftliches Interesse oder Interesse an der Information reicht nicht aus (RS0079198).

2.3. Ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht gemäß § 219 Abs 2 ZPO kann durch die Verfolgung oder Abwehr von Ansprüchen (2 Ob 53/18k mwN), aber auch in der Verteidigung in einer Strafsache begründet sein (Rassi in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ § 219 ZPO Rz 46). In diesem Zusammenhang kann der Dritte auch ein rechtliches Interesse daran haben, für ihn ungünstige Umstände zu erkennen (Rassi in Fasching/Konecny³ § 219 ZPO Rz 48).

2.4. Liegt ein rechtliches Interesse des Dritten vor, ist in einem nächsten Schritt die Abwägung vorzunehmen, ob das Interesse des Antragstellers gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse eines anderen – auch einer nicht als Partei beteiligten Person (Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 219 Rz 3/1) – bzw gegenüber öffentlichen Interessen überwiegt (vgl RS0079198 [T6]).

Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 219 Abs 2 ZPO allgemein das Recht auf Datenschutz, Familien- und Privatleben schützt (Rassi in Fasching/Konecny³ § 219 ZPO Rz 54). Das Recht auf Datenschutz ist daher bei der Beurteilung gemäß § 219 ZPO zu beachten. Ist der Schutz personenbezogener Daten einer natürlichen Person betroffen, ist konkret auf den von der DSGVO gewährten Schutzumfang abzustellen.

3.1. Die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten ist in Art 6 DSGVO geregelt; Art 9 DSGVO regelt die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten, darunter Gesundheitsdaten (Art 9 Abs 1 DSGVO).

3.2. Es ist nicht zweifelhaft, dass die vom Rekursgericht gewährte Akteneinsicht Gesundheitsdaten der Erstklägerin betrifft.

3.3. Gemäß Art 9 Abs 1 DSGVO ist die Verarbeitung von Gesundheitsdaten grundsätzlich untersagt. Gemäß Art 9 Abs 2 lit f DSGVO gilt das Verarbeitungsverbot des Abs 1 jedoch in jenen Fällen nicht, in denen die Verarbeitung zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich ist.

4.1. Der Erlaubnistatbestand des Art 9 Abs 2 lit f DSGVO stellt für sensible Daten einen Sonderfall des allgemeinen Erlaubnistatbestands des berechtigten Interesses iSd Art 6 Abs 1 lit f DSGVO dar (Schiff in Ehmann/Selmayr, DS‑GVO² Art 9 Rz 47).

Er dient der Gewährleistung des Grundrechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht gemäß Art 47 GRC (Petri in Simitis/Hornung/Spiecker, Datenschutzrecht [2019] Art 9 DSGVO Rz 63).

4.2. Der Begriff Rechtsansprüche ist weit zu verstehen und umfasst Ansprüche des öffentlichen wie des Privatrechts (Schiff in Ehmann/Selmayr, DS‑GVO² Art 9 Rz 48; Petri in Simitis/Hornung/Spiecker, Art 9 DSGVO Rz 64; Greve in Eßer/Kramer/von Lewinski, DSGVO, BDSG6, Art 9 DSGVO Rz 26). Entscheidend ist, dass ein rechtlicher Konflikt besteht (Schiff in Ehmann/Selmayr, Art 9 DSGVO Rz 48; vgl Weichert in Kühling/Weichert, DSGVO/BDSG², Art 9 DSGVO Rz 84: Konflikt, der den Anspruchsinhaber zwingt, prozedural tätig zu werden). Auf die Art des beschrittenen Rechtswegs kommt es hingegen nicht an (Kampert in Sydow, Europäische Datenschutz-grundverordnung, Art 9 DSGVO Rz 34).

So werden auch die Vorbereitungen der verletzten Person zur Erhebung einer Nebenklage gemäß §§ 395 ff dStPO, die in einem im Einzelnen geregelten Umfang die Verfolgung des Strafanspruchs auch durch den Verletzten ermöglicht (vgl § 397 Abs 2 dStPO: Zuziehung und Anhörung des Verletzten grundsätzlich im selben Umfang wie die Staatsanwaltschaft; § 400 Abs 2 dStPO: Beschwerde gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens und gegen bestimmte Einstellungsbeschlüsse), unter Art 9 Abs 2 lit f DSGVO subsumiert.

4.3. „Erforderlich“ bedeutet, dass ohne die Daten die Geltendmachung des Anspruchs bzw eine Verteidigung dagegen nicht möglich oder wesentlich erschwert wäre (Kampert in Sydow, Art 9 DSGVO Rz 34).

Die Grenze der „Erforderlichkeit“ im Sinn des Art 9 Abs 2 lit f DSGVO ist aufgrund ihrer Bedeutung für die rechtsstaatliche Durchsetzung von Ansprüchen nicht allzu streng zu handhaben (Schiff in Ehmann/Selmayr, Art 9 DSGVO Rz 49). Etwa im Fall von Prozessvorbringen ist der Tatbestand der Ausnahmeklausel erst bei einer willkürlichen, bewussten Offenlegung von sensiblen Daten, die mit dem Streitstoff in keinerlei Verbindung stehen, nicht mehr gegeben (Schiff in Ehmann/Selmayr, Art 9 DSGVO Rz 49).

4.4. Die Ausnahmetatbestände des Art 9 Abs 2 DSGVO gestatten eine Verarbeitung nur unter Einhaltung der sonstigen Vorgaben der DSGVO, was eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im jeweiligen Einzelfall mit einschließt, sofern die Ausnahmetatbestände dies explizit vorsehen (Korge in Gierschmann/Schlender/Stentzel/Veil, Kommentar Datenschutzgrundverordnung, Art 9 Rz 19). Die Voraussetzungen des Art 9 Abs 2 DSGVO sind zusätzlich zu den allgemeinen Verarbeitungsvoraussetzungen des Art 6 Abs 1 DSGVO zu beachten (Petri in Simitis/Hornung/Spiecker, Art 9 DSGVO Rz 2).

5.1. Im vorliegenden Fall, in dem die strittige Akteneinsicht Gesundheitsdaten der Erstklägerin betrifft, hängt die Berechtigung des Einsichtsbegehrens daher davon ab, ob sich die Antragstellerin auf ein rechtliches Interesse stützt, das einem der Tatbestände des § 9 Abs 2 DSGVO entspricht, konkret, ob die begehrte Einsicht „zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen [der Antragstellerin] erforderlich“ ist. Ist diese Frage zu bejahen, ist das Interesse der Antragstellerin gegen die Geheimhaltungsinteressen der Erstklägerin abzuwägen (Art 6 Abs 1 lit f DSGVO).

5.2. Hier ist die Einsicht der Antragstellerin in die im Zivilprozess erstatteten medizinischen Sachverständigengutachten sowie in die darauf bezüglichen Erörterungen für ihre Verteidigung in dem infolge der Entbindung des Kindes der Erstklägerin gegen die Antragstellerin geführten Strafverfahren erforderlich.

5.3. Die Abwehr des staatlichen (öffentlich-rechtlichen) Strafanspruchs durch die Verteidigung in einem Strafverfahren ist von Art 9 Abs 2 lit f DSGVO erfasst, liegt einer solchen Abwehr doch ein rechtlicher Konflikt zugrunde (vgl Schiff in Ehmann/Selmayr, Art 9 DSGVO Rz 48), in dem in einem rechtsförmigen Verfahren unmittelbar über eine rechtserhebliche Eigenschaft der Antragstellerin – ihre Unbescholtenheit bzw strafgerichtliche Verurteilung – entschieden wird.

5.4. Es liegt auf der Hand, dass die Verteidigung des Rechtsguts der Unbescholtenheit zumindest ebenso schwer wiegt wie die Verteidigung gegen allfällige vermögensrechtliche Ansprüche. Schon aus diesem Grund kann Art 9 Abs 2 lit f DSGVO nicht dahin ausgelegt werden, dass zwar die Abwehr von Schadenersatzansprüchen aus Behandlungsfehlern als Hebamme als „Abwehr von Rechtsansprüchen“ eine Ausnahme vom Verbot der Bearbeitung der Gesundheitsdaten der Erstklägerin rechtfertigen könnte (zur Erfassung von Schadenersatzansprüchen etwa Weichert in Kühling/Weichert, Art 9 DSGVO Rz 84), nicht aber die Verteidigung in einem auf dasselbe Fehlverhalten gestützten Strafverfahren.

5.5. Gegen ein derartiges Ergebnis spricht auch, dass die Vorbereitung des Anschlusses an ein Strafverfahren als Nebenkläger iSd §§ 395 ff dStPO sehr wohl ausreicht, um gemäß Art 9 Abs 2 lit f DSGVO zur Verarbeitung von Gesundheitsdaten zu berechtigen. Das gleiche muss auch für die Abwehr des Strafanspruchs, also die Verteidigung im Strafverfahren, gelten.

5.6. Die Rechtsansicht der Revisionsrekurs-werberin, die Verteidigung in einem Strafverfahren erfülle die Voraussetzung der „Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen“ im vorliegenden Fall nicht, vermag daher nicht zu überzeugen.

6.1. Die vom Rekursgericht zuerkannte Akteneinsicht ist auch im Sinn des Art 9 Abs 2 lit f DSGVO „erforderlich“. Die Verteidigung der Antragstellerin im Strafverfahren ist nämlich dadurch wesentlich erschwert, dass sie die – allenfalls von der sachverständigen Beurteilung im Strafverfahren abweichenden – im Zivilprozess eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten, die ihr Tätigwerden als Hebamme bei derselben Entbindung zum Gegenstand haben, nicht kennt; aus der vorhandenen sachverständigen Beurteilung ihres Verhaltens daher weder Schlüsse ziehen noch in ihrer Verantwortung und Verteidigung darauf abstellen kann.

6.2. Das Vorbringen der Revisions-rekurswerberin, es handle sich um (bloße) Privatgutachten, deren Verwertung im Strafverfahren unzulässig sei, überzeugt nicht. Gegenstand der Akteneinsicht sind die im Zivilprozess eingeholten gerichtlichen Gutachten. Auf die Modalitäten deren Einbringung in den Strafprozess muss nicht im Einzelnen eingegangen werden, weil bereits das Interesse der Antragstellerin an der Berücksichtigung der Gutachten im Rahmen der Vorbereitung ihrer Verteidigung die Voraussetzungen des Erlaubnistatbestands des Art 9 Abs 2 lit f DSGVO erfüllt.

6.3. Umstände, aufgrund derer das Geheimhaltungsinteresse der Erstklägerin an ihren Gesundheitsdaten und den ihr Privat- und Familienleben betreffenden Daten, sowie des Zweitklägers an den sein Privat- und Familienleben betreffenden Daten gegenüber dem Interesse der Antragstellerin an der Verteidigung im Strafverfahren überwiegen würden, liegen nicht vor. Vielmehr kann dazu auf die zutreffende Interessenabwägung des Rekursgerichts verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO).

6.4. Die Revisionsrekurswerberin leitet ein (eigenes) rechtliches Interesse aus ihrer in § 19 Abs 1, Abs 2 Z 3 iVm § 35 Abs 1 Stmk Krankenanstaltengesetz verankerten Verschwiegenheitspflicht betreffend alle den Gesundheitszustand sowie die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnisse ihrer Patienten und Patientinnen betreffenden Umstände ab. Damit sind aber wiederum die Geheimhaltungsinteressen der Erstklägerin angesprochen, sodass auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann.

6.5. Die behauptete Umgehung der Opferrechte der Kläger im Strafverfahren durch Gewährung der Akteneinsicht ist nicht ersichtlich.

6.6. Die Revisionsrekurswerberin steht auf dem Standpunkt, der vom Rekursgericht gewährten Akteneinsicht stünden überwiegende öffentliche Interessen im Sinn des Art 23 Abs 1 DSGVO entgegen. Worin diese Interessen konkret bestehen sollen, ist nicht ersichtlich und wird im Revisionsrekurs auch nicht ausgeführt.

6.7. Mit dem auch in dritter Instanz aufrecht erhaltenen Vorbringen, die Antragstellerin werde in Kenntnis der im Zivilprozess eingeholten Gutachten „kontraproduktive“ Beweisanträge im Strafverfahren stellen, wird nicht nachvollziehbar dargetan, inwiefern ein von der Rechtsordnung gebilligtes (vgl RS0079198) Interesse der Revisionsrekurswerberin berührt sein soll.

7. Eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nach Art 267 AEUV einzuholen, ist angesichts der klaren Wertung, wonach der Verteidigung im Strafverfahren kein geringeres Gewicht zukommen kann als der Abwehr vermögensrechtlicher Ansprüche, die auf denselben Sachverhalt gegründet sind, nicht geboten; hier besteht vielmehr kein Raum für vernünftige Zweifel an der richtigen Auslegung des Unionsrechts (RS0075861; RS0123074).

8. Im Ergebnis ist daher dem Revisionsrekurs der Beklagten nicht Folge zu geben.

9. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 40, 50 ZPO. Ein Anspruch auf Kostenersatz besteht im Zivilprozess grundsätzlich nur zwischen den Parteien; eine Kostenersatzpflicht oder ein Kostenersatzanspruch Dritter wird nur ausnahmsweise angeordnet (M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 § 40 ZPO Rz 9 sowie § 41 Rz 15). Für die Akteneinsicht besteht keine solche Sonderregelung (2 Ob 90/15x). Ein Kostenersatzanspruch der Einschreiterin besteht daher nicht.

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