OGH 1Ob97/06f

OGH1Ob97/06f16.5.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach Prof. Mag. Walter G*****, über den Revisionsrekurs des Antragstellers Dr. Heinz W*****, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 16. März 2006, GZ 48 R 64/06a-32, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 10. Februar 2006, GZ 1 A 231/03a-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der Antragsteller beantragte die Einsicht in den Verlassenschaftsakt. Er brachte dazu unter Anschluss von Bescheinigungsmitteln im Wesentlichen vor, er habe auf Grund eines gerichtlichen Vergleichs gegen eine Tochter des Erblassers im Wesentlichen erfolglos Exekution geführt; es seien noch rund EUR 6.400 offen. Die Verpflichtete sei Erbin; die Verlassenschaft sei ihr bereits eingeantwortet worden. Sie habe viele weitere Gläubiger. Das rechtliche Interesse des Antragstellers an der Akteneinsicht bestehe darin, dass er möglichst schnell wissen müsse, was die Verpflichtete im Erbweg erworben habe, um möglichst rasch und schneller als die anderen Gläubiger Exekutionsschritte setzen zu können.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Gemäß § 22 AußStrG iVm § 219 Abs 2 ZPO könne einem Dritten ohne Zustimmung der Parteien die Einsichtnahme in den „Prozessakt" nur gestattet werden, soweit er ein rechtliches Interesse glaubhaft mache. Hier liege nur ein wirtschaftliches Interesse des Antragstellers vor, das über ein bloßes Informationsbedürfnis nicht hinausginge.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den (ordentlichen) Revisionsrekurs für zulässig. Auch wenn § 22 AußStrG auf die Bestimmungen der ZPO über Protokolle, Akten ua, und damit auch auf § 219 ZPO verweise, erfahre das Recht des am Verfahren nicht Beteiligten auf Akteneinsicht im Außerstreitverfahren insoweit eine Modifikation, als auf das Wesen und den Zweck des Verfahrens Bedacht zu nehmen sei. In diesem Verfahren würden vielfach Familien- oder Vermögensverhältnisse offen gelegt werden, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und daher schützenswert seien, was sich auch zwanglos aus dem Grundrecht auf Datenschutz ergebe. Danach habe jedermann Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit er daran ein schutzwürdiges Interesse - insbesondere im Hinblick auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens - habe. Einem Dritten könne Einsichtnahme in und Abschriftnahme von Prozessakten gestattet werden, wenn er ein rechtliches Interesse glaubhaft mache, wobei ein allgemeines öffentliches Interesse an Information sowie ein reines Informationsbedürfnis des Einsichtsbegehrenden selbst nicht ausreiche. Das rechtliche Interesse müsse ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse oder über Interessen der Information, der Pietät, des Anstands oder der Ethik hinausreiche. Die Einsichtnahme müsse Bedeutung für die rechtlichen Verhältnisse des Dritten haben; die Kenntnis des betreffenden Akteninhalts müsse sich auf die privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse des Dritten günstig auswirken, sei es auch nur dadurch, dass er instandgesetzt werde, die Beweislage für sich günstiger zu gestalten. Ein derartiges rechtliches Interesse habe der Antragsteller nicht bescheinigt. Mit seiner Berufung darauf, er müsse möglichst bald wissen, was die Verpflichtete ererbt habe, um möglichst rasch und schneller als die anderen Gläubiger weitere Exekutionsschritte setzen zu können, habe er ein rein wirtschaftliches Interesse dargetan. Auch wenn er - erst im Rekurs - sein rechtliches Interesse damit begründet habe, dass die Akteneinsicht für einen richtigen Antrag auf Pfändung der Rechte der Erbin auf die ererbte Liegenschaft erforderlich sei, könne darin lediglich ein wirtschaftliches Interesse (zeitliches Zuvorkommen) erblickt werden. Die Akteneinsicht in den Verlassenschaftsakt sei auch nicht notwendig, um die Interessen eines Gläubigers in einem Exekutionsverfahren gegen einen potenziellen Erben wahren zu können. Dafür gebe es ein Exekutionsverfahren, das einem Gläubiger ausreichend Möglichkeiten schaffe, seine Interessen zu wahren. Nach Erfolglosigkeit einer bereits erfolgten Exekution könne er etwa nach einem Vermögenszuwachs neuerlich Exekution beantragen. Im Zuge einer solchen Exekution habe der Verpflichtete gemäß § 47 EO ein Vermögensbekenntnis abzugeben, sodass die Erbin und Verpflichtete spätestens zu diesem Zeitpunkt einen allfällig ererbten, jedoch noch nicht verbücherten Liegenschaftsanteil „unter Androhung des § 292a StGB" zu Protokoll geben müsste. Insbesondere sei auch auf die Verfassungsbestimmung des § 1 DSG Bedacht zu nehmen. Eine Möglichkeit zur Akteneinsicht für potenzielle Gläubiger würde einen unzulässigen Eingriff in das Recht anderer Erben auf Geheimhaltung der diese betreffenden personenbezogenen Daten begründen. Auch unter Abwägung der Interessen der Erben mit den Interessen der Gläubiger könne somit einem Gläubiger eines Erben die Akteneinsicht nicht gewährt werden. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Frage der Gewährung von Akteneinsicht für Gläubiger der an einem Verlassenschaftsverfahren beteiligten Parteien und möglichen Erben, insbesondere ob ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht bestehe, unbeantwortet sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs erweist sich ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs des Rekursgerichts als unzulässig, weil die - für sich durchaus erhebliche - Rechtsfrage, ob einem titulierten Gläubiger, der sich für ein Exekutionsverfahren Kenntnisse über das Vermögen des Verpflichteten verschaffen will, ein rechtliches Interesse zuzubilligen ist, nicht abschließend beantwortet werden muss. Die vorzunehmende Interessenabwägung ist einer generalisierenden Lösung nicht zugänglich, da es hier stets auf Umfang und Intensität der widerstreitenden Interessen der Betroffenen ankommt. Ein erhebliche Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit korrigiert werden müsste, ist dem Rekursgericht nicht vorzuwerfen. Dieses hat zutreffend darauf hingewiesen, dass dem Interesse des Antragstellers gegenläufige Interessen anderer Verfahrensbeteiligter entgegenstehen, die durch das Grundrecht auf Datenschutz geschützt sind. Insoweit kann grundsätzlich auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses verwiesen werden. Auch der Oberste Gerichtshof hat in mehreren Entscheidungen (vgl nur 4 Ob 208/02w = EvBl 2003/29 mwN) betont, dass im Außerstreitverfahren vielfach Familien- und Vermögensverhältnisse offen gelegt werden, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, und dass sich aus dem Grundrecht auf Datenschutz ergibt, dass jedermann Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten habe, soweit er daran ein schutzwürdiges Interesse, insbesondere im Hinblick auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens habe (ebenso etwa Fucik/Kloiber, Kommentar zum AußStrG § 22 Rz 4). Nach § 1 Abs 2 DSG sind Beschränkungen des Anspruchs auf Geheimhaltung nur zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen eines anderen zulässig.

Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass die Verpflichtete nicht die einzige Erbin ist, der ein Teil des Nachlasses eingeantwortet wurde. Damit ist das Interesse des/der übrigen Erben an einer Geheimhaltung ihrer Vermögensverhältnisse gemäß § 1 Abs 1 DSG zu beachten. Bei der Frage, welches Interesse überwiegt, ist insbesondere nicht außer Acht zu lassen, ob der die Akteneinsicht Beantragende zumutbarerweise auch auf andere Art Kenntnis von den für ihn bedeutsamen Tatsachen - hier des im Erbweg von der Verpflichteten erworbenen Vermögens - erlangen kann. Zu dieser Frage hat bereits das Rekursgericht richtig auf die einschlägigen exekutionsrechtlichen Vorschriften hingewiesen, nach denen der Verpflichtete gemäß § 47 EO ein Vermögensverzeichnis vorzulegen hat (vgl insbesondere auch dessen Abs 4), das gemäß § 48 EO auch erzwungen werden kann. Das (wirtschaftliche) Interesse, vor den übrigen Gläubigern zum Zug zu kommen, ist nicht zu schützen.

Wenn das Rekursgericht unter Berücksichtigung der dargelegten Erwägungen zur Auffassung gelangt ist, auch bei Annahme eines rechtlichen Interesses des Antragstellers falle die in § 1 Abs 2 DSG angeordnete Interessenabwägung zu seinen Lasten aus, kann darin eine erhebliche Fehlbeurteilung nicht erblickt werden. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob einem titulierten Gläubiger in der Lage des Antragstellers ein rechtliches Interesses iSd § 219 Abs 2 ZPO zuzubilligen ist (vgl dazu etwa die veröffentlichte zweitinstanzliche Judikatur zur vergleichbaren Bestimmung des § 5 Abs 4 GUG: KG Leoben, NZ 1984, 239; LG Feldkirch, RPflgSlg G 2163), oder ob mit dem Bestreben, Vermögen des Verpflichteten in Erfahrung bringen zu wollen, lediglich wirtschaftliche Interessen verfolgt werden. Dass eine (beschränkte) Akteneinsicht möglich sein könnte, die zwar das von der Verpflichteten erworbene Vermögen offen legen, jedoch die Geheimhaltungsinteressen des/der Miterben nicht verletzen würde, wird vom Revisionsrekurswerber nicht geltend gemacht und erscheint auch schon allein angesichts des Umstandes, dass den Miterben regelmäßig ideelle Quoten am gesamten Nachlass zugewiesen werden, nicht denkbar.

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