OGH 2Ob220/17t

OGH2Ob220/17t17.12.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Musger als Vorsitzenden und den Senatspräsidenten Dr. Veith, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2012 verstorbenen W* H*, wegen Feststellung des Erbrechts zwischen den Antragstellern 1. H* H* und 2. mj M* H*, vertreten durch DUMFAHRT KLAUSBERGER Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Linz, sowie 3. S* T*, vertreten durch Dr. Guido Lepeska, Rechtsanwalt in Salzburg, über den Revisionsrekurs der Erstantragstellerin und des Zweitantragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 27. September 2017, GZ 22 R 221/17g‑85, womit infolge Rekurses der Drittantragstellerin der Beschluss des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 12. Mai 2017, GZ 27 A 4/13x‑80, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E123611

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Drittantragstellerin ist schuldig, der Erstantragstellerin und dem Zweitantragsteller deren mit 508,97 EUR (darin 84,83 EUR USt) bestimmte Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Erstantragstellerin ist die Witwe und der Zweitantragsteller ist der Sohn des am * 2012 im Alter von 47 Jahren verstorbenen Erblassers. Dieser war in seiner ersten Ehe von Juni 1993 bis April 2000 mit der Drittantragstellerin verheiratet.

Während der ersten Ehe des Erblassers gebar die Drittantragstellerin, die bereits einen Sohn (M*) in die Ehe mitgebracht hatte, am 15. 9. 1996 einen weiteren Sohn (P*). Mit Notariatsakt vom 25. 5. 1998 übergab der Vater des Erblassers diesem sein Einzelunternehmen (Gärtnerei und Blumenhandel) sowie eine Liegenschaft. Gleichzeitig errichteten der Erblasser und die Drittantragstellerin– ebenfalls in der Form eines Notariatsakts – eine als „Erbvertrag zugleich Testament“ bezeichnete Urkunde, die auszugsweise lautet:

Erstens: Gleichgültig, ob gesetzlich erbberechtigte Nachkommen vorhanden sind oder nicht, hat der ganze Nachlass des Erstverstorbenen dem überlebenden Ehegatten zuzukommen und beide Teile errichten für diesen Fall miteinander

a) einen Erbvertrag, mit dem sie sich als Vertragsalleinerben zu ihren beiderseitigen Nachlässen einsetzen und diese Erbeinsetzung gegenseitig annehmen sowie

b) ein wechselseitiges Testament, mit dem sie sich zu dem gesetzlich vom Erbvertrag ausgenommenen Vermögensteile wechselseitig als Testamentserben berufen, insoferne eine spätere letztwillige Anordnung nichts anderes verfügt.

Die Noterben in auf- und absteigender Linie werden auf den ihnen nach dem Gesetz gebührenden Pflichtteil beschränkt, soferne nicht darauf verzichtet wurde beziehungsweise verzichtet wird.

Zweitens: In allen Fällen wird dem überlebenden Eheteile vertragsmäßig und letztwillig das Recht eingeräumt, den ganzen Nachlass oder jeden beliebigen Teil desselben in sein Alleineigentum zu übernehmen [...]

[…]

Viertens: Für den Fall, dass wir gleichzeitig oder doch innerhalb eines Zeitraumes von drei Monaten nacheinander versterben sollten, sollen Erben nach uns beiden unsere gemeinsamen diesehelichen Kinder sein.

Nach mir [Drittantragstellerin] soll in jedem Fall meines Ablebens meinen Liegenschaftsbesitz zur Gänze mein Sohn [M*] erhalten.

Auch diesfalls beschränken wir allfällige sonstige Noterben auf den gesetzlichen Pflichtteil.

[...]“

Der Drittantragstellerin wurde erklärt, dass dies (Erbvertrag und Testament) zu ihrer Absicherung notwendig sei. Dass die Übergabe des Unternehmens nur an den Erblasser und nicht auch an sie erfolgte, wurde ihr gegenüber damit begründet, dass dies in der Familie so üblich sei. Auch der Vater des Erblassers sei Alleineigentümer gewesen. Sonstige im Zuge der Vertragsabschlüsse getätigte Äußerungen und Motive der Beteiligten sind nicht feststellbar.

Am 19. 4. 2000 wurde die Ehe zwischen dem Erblasser und der Drittantragstellerin im Einvernehmen geschieden. Ein im Auftrag der Drittantragstellerin am 24. 8. 2001 erstattetes DNA‑Gutachten ergab, dass der Erblasser von der Vaterschaft zu dem in der Ehe geborenen Sohn P* auszuschließen sei. Am 27. 9. 2001 erklärte der von der Drittantragstellerin als Vater Bezeichnete das Anerkenntnis der Vaterschaft zu P*, dem der Jugendwohlfahrtsträger als dessen gesetzlicher Vertreter zustimmte und wogegen der Erblasser keinen Widerspruch erhob.

Wann der Erblasser erstmals den Verdacht gehegt hatte, dass P* nicht von ihm stamme, ist nicht feststellbar. Ebenso ist nicht feststellbar, ob der Drittantragstellerin schon vor der Einholung des DNA‑Gutachtens bewusst war, dass P* nicht vom Erblasser abstamme.

Der Erblasser lernte die Erstantragstellerin im Jahr 2001 kennen, ab 2002 unterhielten sie eine Lebensgemeinschaft. Nach der Geburt des Zweitantragstellers am * 2007 heirateten sie am * 2008. Über die letztwillige Verfügung vom 25. 5. 1998 sprach der Erblasser mit der Erstantragstellerin nie. Er erklärte ihr gegenüber aber mehrmals, dass sie und der Zweitantragsteller im Falle seines Todes „alles bekommen sollen“.

Im Verlassenschaftsverfahren gaben die Erstantragstellerin zu einem Drittel und der Zweitantragsteller – mit pflegschaftsgerichtlicher Genehmigung – zu zwei Dritteln des Nachlasses je aufgrund des Gesetzes die bedingte Erbantrittserklärung ab. Die Drittantragstellerin gab aufgrund des Testaments vom 25. 5. 1998 zu einem Viertel des Nachlasses ebenfalls die bedingte Erbantrittserklärung ab.

Im Verfahren über das Erbrecht bestritten die Erstantragstellerin und der Zweitantragsteller die Wirksamkeit der Erbeinsetzung der Drittantragstellerin. Das Testament habe bei richtiger Auslegung nur bei Fortbestehen der Ehe gelten sollen. Hätte der Erblasser gewusst, dass er nicht der leibliche Vater von P* sei, hätte er die Drittantragstellerin überhaupt nicht zur Erbin eingesetzt. Tatsächlich sei der Erblasser noch kinderlos gewesen, weshalb das Testament gemäß § 778 zweiter Fall ABGB aF unwirksam sei. Die Drittantragstellerin sei erbunwürdig. Das Testament werde ferner wegen List (zumindest dolus eventualis), Geschäftsirrtums, Motivirrtums und Sittenwidrigkeit der Erbeinsetzung angefochten. Auch nach dem (zumindest analog) anzuwendenden § 1266 ABGB sei die testamentarische Verfügung erloschen.

Die Drittantragstellerin steht demgegenüber auf dem Standpunkt, das Testament sei gültig. Sie sei davon überzeugt gewesen, dass der Erblasser der Vater des in der Ehe geborenen Sohnes sei. Den DNA‑Test habe sie aufgrund eines von der Mutter des Erblassers im Jahr 2001 geäußerten Zweifels veranlasst. Sie habe den Erblasser weder in Irrtum geführt noch ihn in einem solchen belassen. Der Notariatsakt sei nicht unter der Bedingung der aufrechten Ehe errichtet worden, es habe auch kein Motivirrtum des Erblassers bestanden. Der Erblasser habe nach der Scheidung der Ehe keine Änderung der letztwilligen Verfügung vorgenommen und eine solche auch nicht gewünscht. Er sei zum Zeitpunkt ihrer Errichtung auch nicht kinderlos, sondern Vater von P* gewesen, weshalb der Tatbestand des § 778 ABGB aF nicht vorliege.

Das Erstgericht stellte aufgrund des Gesetzes das Erbrecht der Erstantragstellerin zu einem Drittel und das Erbrecht des Zweitantragstellers zu zwei Dritteln des Nachlasses fest und wies die Erbantrittserklärung der Drittantragstellerin ab.

Es stützte sich im Wesentlichen auf den eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt und erörterte rechtlich, aus § 778 ABGB aF folge die Unwirksamkeit des Testaments. Der Erblasser sei bei Errichtung des Testaments zwar möglicherweise der Meinung gewesen, der Vater des in der Ehe geborenen Kindes zu sein. Die nachträgliche Feststellung der Vaterschaft eines anderen Mannes wirke aber auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes zurück. Der Erblasser sei daher bei Errichtung des Testaments kinderlos gewesen und habe im Testament nur für (nicht vorhandene) „dieseheliche“ Kinder vorgesorgt. Demnach sei jede Vorsorge für sein Kind aus zweiter Ehe unterblieben, weshalb das Testament unwirksam sei. Das „Setzen auf den Pflichtteil“ bedeute keine „Vorsehung“ iSd § 778 ABGB aF.

Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es aufgrund des Testaments vom 25. 5. 1998 das Erbrecht der Drittantragstellerin zu einem Viertel und aufgrund des Gesetzes das Erbrecht der Erstantragstellerin ebenfalls zu einem Viertel sowie jenes des Zweitantragstellers zur Hälfte feststellte. Die darüber hinausgehenden Erbantrittserklärungen der Erstantragstellerin zu einem Zwölftel und des Zweitantragstellers zu einem Sechstel des Nachlasses wies es ab. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Das Rekursgericht erörterte rechtlich, § 778 zweiter Fall ABGB aF erfordere einen kausalen Irrtum des kinderlosen Erblassers über das künftige Vorhandensein eines Nachkommen, etwa weil er von der Vorstellung ausgehe, er werde keine Kinder mehr bekommen, oder weil er diesen Fall nicht bedacht habe. Kein Irrtum liege demnach vor, wenn es der Testator zumindest für möglich halte, noch ein Kind zu bekommen, und diesen Fall bei der Errichtung des Testaments auch mitbedenke.

Für die künftigen Kinder sei schon im Falle ihrer Erwähnung im Testament „Vorsehung“ getroffen, die auch in der bloßen „Enterbung im untechnischen Sinn“, also dem Setzen auf den Pflichtteil bestehen könne. Beim Begriff der „Kinderlosigkeit“ spreche die Einstufung des § 778 ABGB aF als irrtumsrechtliche Norm dafür, dass auf den subjektiven Eindruck des Testators im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments abzustellen sei. Wenn der Testator also seiner Meinung nach gar nicht kinderlos sei, bleibe kein Platz für die Vermutung, dass der noch kinderlose und zukünftige Kinder nicht bedenkende Testator vermutlich sein zukünftiges Kind zum Erben eingesetzt hätte. Diese Annahme werde von der überwiegenden Ansicht gestützt, wonach ein Irrtum des Testators iSd §§ 777 f ABGB aF auch im Irren über die (gegenwärtige oder zukünftige) familienrechtliche Stellung des Kindes liegen könne. Die – hier vorliegende – Situation, dass der Testator fälschlicherweise glaube, ein eigenes Kind zu haben, sei daher wertungsmäßig dem § 777 ABGB aF zuzuordnen, der von der Übergehung eines von mehreren Kindern handle. Dieses übergangene Kind könne nach herrschender Ansicht auch ein noch nicht geborenes sein.

Im vorliegenden Fall kämen jedoch die §§ 777 f ABGB aF nicht zur Anwendung, weil der Erblasser seinen nachgeborenen leiblichen Sohn (den Zweitantragsteller) nicht irrtümlich übergangen habe. Denn bereits der einleitende Satz der letztwilligen Verfügung vom 25. 5. 1998 („Gleichgültig ob [...]“) zeige, dass der Erblasser die mögliche künftige Geburt weiterer Kinder sehr wohl und sogar ausdrücklich bedacht gehabt habe. Dasselbe gehe auch aus dem letzten Absatz des ersten Punktes der Verfügung hervor.

Der Erblasser habe somit bewusst die „Enterbung im untechnischen Sinn“ verfügt und – aus seiner Sicht – sein einziges Kind und alle weiteren Nachkommen auf den Pflichtteil gesetzt. Das Testament sei daher im Gegensatz zum Erbvertrag (§ 1266 ABGB) als wirksam anzusehen, zumal aufgrund der erstgerichtlichen Negativfeststellungen eine Entkräftung wegen List, Motivirrtums oder Erbunwürdigkeit der Drittantragstellerin nicht in Betracht komme.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, da höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den Fragen fehle, ob ein Erblasser, der ein nicht von ihm stammendes Kind im Zeitpunkt der Testamentserrichtung als sein leibliches Kind ansehe, als „kinderlos“ iSd § 778 ABGB aF gelte, und ob eine Beschränkung der „Noterben“ auf den Pflichtteil sowie eine Erwähnung der „Nachkommen“ im Testament ohne Nennung der schon vorhandenen Noterben/Nachkommen als „Vorsehung“ iSd § 778 ABGB aF anzusehen sei. Obwohl § 778 ABGB aF seit 1. 1. 2017 nicht mehr in Geltung stehe, sei nicht unwahrscheinlich, dass diese Bestimmung auch künftig noch in weiteren Rechtssachen anzuwenden sei.

Gegen diese Rekursentscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Erstantragstellerin und des Zweitantragstellers mit dem Abänderungsantrag, die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen.

Die Drittantragstellerin beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht die, wie zu zeigen sein wird, gebotene Auslegung der letztwilligen Verfügung unterließ. Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Die Erstantragstellerin und der Zweitantragsteller vertreten die Auffassung, der Erblasser habe keine „Vorsehung“ iSd § 778 ABGB aF getroffen, indem er die Noterben allgemein und floskelhaft auf den Pflichtteil gesetzt habe. Auch sei der Erblasser „kinderlos“ gewesen, für den gegenteiligen Standpunkt des Rekursgerichts lasse schon der Wortlaut der Bestimmung keinen Raum. Im Übrigen seien die testamentarischen Bestimmungen der letztwilligen Verfügung mit Scheidung der Ehe in analoger Anwendung des § 1266 ABGB erloschen. Die insoweit bestehende planwidrige Lücke habe der Gesetzgeber durch § 725 ABGB idF ErbRÄG 2015 geschlossen. Schließlich ergebe bereits die Auslegung des Testaments, dass die aufrechte Ehe Bedingung für die Erbberechtigung der Drittantragstellerin sei, werde in der letztwilligen Verfügung doch festgehalten, dass der Nachlass des Erstverstorbenen dem „überlebenden Ehegatten“ zuzukommen habe. Aufgrund der Scheidung der ersten Ehe des Erblassers sei diese Bedingung nicht erfüllt. Weiterhin werde auch die Sittenwidrigkeit der Erbeinsetzung geltend gemacht.

Hiezu wurde erwogen:

1. Vorbemerkungen:

1.1 Im Hinblick auf den Todestag des Erblassers ist die Rechtslage vor Inkrafttreten des ErbRÄG 2015 (§ 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB) maßgeblich.

1.2 Der Erblasser und die Drittantragstellerin verfügten im Notariatsakt vom 25. 5. 1998 durch Erbvertrag (§ 1249 ABGB) und – im Umfang des „freien Viertels“ (§ 1253 ABGB) – durch ein wechselseitiges Testament (§ 1248 ABGB). Zwischen den Parteien ist unstrittig, dass der Erbvertrag mit der Scheidung der Ehe erloschen ist (§ 1217 iVm § 1266 Satz 1 ABGB). Dementsprechend gab die Drittantragstellerin die bedingte Erbantrittserklärung auch nur zu einem Viertel des Nachlasses aufgrund der testamentarischen Verfügung des Erblassers ab.

1.3 Die im Rechtsmittel geforderte analoge Anwendung des § 1266 ABGB auf das wechselseitige Testament kommt nicht in Betracht. Zwar wird in der Rechtsprechung eine analoge Anwendung dieser Bestimmung auf mit dem Zweck von Ehepakten vergleichbare Schenkungen zwischen Ehegatten bejaht, wenn der Schenkung die Erwartung zugrunde lag, dass die Ehe Bestand haben werde (RIS‑Justiz RS0022300). Bei solchen Schenkungen handelt es sich aber ebenso wie bei den Ehepakten um zweiseitige Verträge (§ 1246 ABGB), die in der Regel nicht einseitig aufgelöst werden können (§ 946 ABGB). Demgegenüber sind gemeinschaftliche Testamente keine Ehepakte und wie jede andere letztwillige Verfügung nach den §§ 713 ff ABGB frei und einseitig widerrufbar (6 Ob 167/09s; RIS‑Justiz RS0012770). Von einer planwidrigen Gesetzeslücke kann daher auch bei der hier anzuwendenden Rechtslage keine Rede sein.

1.4 Von den in erster Instanz geltend gemachten Anfechtungsgründen halten die Erstantragstellerin und der Zweitantragsteller im Revisionsrekurs nur mehr die Anfechtung nach § 778 zweiter Fall ABGB aufrecht. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob das Testament des Erblassers nach dieser Bestimmung „gänzlich entkräftet“ ist, wie das Erstgericht, nicht aber das Rekursgericht annahm. Sollte das Testament nach dieser Prüfung Bestand haben, bleibt im Wege von dessen Auslegung zu klären, ob die Erbeinsetzung der Drittantragstellerin trotz der Ehescheidung wirksam ist.

2. Keine „gänzliche Entkräftung“ des Testaments gemäß § 778 zweiter Fall ABGB:

2.1 Bei den §§ 777 f ABGB aF handelt es sich um gegenüber den §§ 570 bis 572 ABGB aF spezielle Irrtumsregeln zugunsten übergangener Kinder (Welser in Rummel/Lukas 4 Vor § 776 Rz 3 und § 778 Rz 1; Nemeth in Schwimann/Kodek 4 §§ 776–778 Rz 4; Apathy in KBB4 § 777 Rz 1). Sie enthalten die widerlegliche Vermutung, dass der Erblasser bei Kenntnis der wahren Sachlage anders testiert hätte. Während § 777 ABGB aF die irrtümliche Übergehung eines von mehreren Kindern erfasst, geht es in § 778 ABGB aF darum, dass der Erblasser sein einziges Kind stillschweigend übergeht.

§ 778 ABGB aF regelt zunächst den Fall, dass der Erblasser sein Kind im Testament irrtümlich nicht erwähnte, etwa weil ihm seine physische oder rechtliche Existenz nicht bekannt war (Präterition). Der zweite Fall des § 778 ABGB aF tritt hingegen ein, wenn ein bei Testamentserrichtung kinderloser Erblasser nach der Erklärung des letzten Willens einen pflichtteilsberechtigten Nachkommen erhält, für den er im Testament keine Vorsorge getroffen hat (Agnation; 3 Ob 541/80 EvBl 1981/1; 6 Ob 584/82 SZ 56/64; 1 Ob 255/99b SZ 73/5; Apathy in KBB4 § 778 Rz 1; zur aktuellen Rechtslage vgl Vidmar, Der Agnationsfall nach dem ErbRÄG 2015, EF‑Z 2017/131). Ist die Anfechtung durch das übergangene Kind erfolgreich, führt dies in beiden Fällendes § 778 ABGB aF – abgesehen von bestimmten Vermächtnissen – zur „gänzlichen Entkräftung“ des letzten Willens, also zum Wegfall der gesamten letztwilligen Verfügung, sodass die gesetzliche Erbfolge eintritt (Welser in Rummel/Lukas 4 § 778 Rz 9).

2.2 Wesentlich für die „gänzliche Entkräftung“ eines letzten Willens ist das Vorliegen eines Irrtums des Erblassers über die Möglichkeit, dass ihm nachträglich Kinder geboren werden. Nach der gesetzlichen Regelung ist ein solcher Irrtum anzunehmen, wenn ein Erblasser, der zum Zeitpunkt der Errichtung seines letzten Willens keine Nachkommen hatte, nachträglich einen pflichtteilsberechtigten Nachkommen erhält und für diesen Fall keine Anordnungen getroffen hat (6 Ob 584/82). Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen steht dann dem Testamentserben der Beweis offen, dass der Erblasser die Verfügung auch bei Kenntnis der geänderten Sachlage getroffen bzw aufrecht erhalten hätte, der Irrtum demnach für das Übergehen des nachgeborenen Noterben nicht kausal gewesen ist (3 Ob 541/80; 2 Ob 210/01y mwN; RIS‑Justiz RS0012890).

2.3 Die Anfechtung scheitert nicht schon am Fehlen der Voraussetzung der Kinderlosigkeit des Erblassers:

2.3.1 Zwar musste der Erblasser zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung kinderlos gewesen sein (6 Ob 584/82; vgl 6 Ob 657/85 SZ 59/71 [Erbvertrag]; Nemeth in Schwimann/Kodek 4 §§ 776–778 Rz 12), was hier (zunächst) nicht zutraf.

2.3.2 Denn zu diesem Zeitpunkt galt der im Jahr 1996 während der Ehe mit der Drittantragstellerin geborene Sohn kraft der gesetzlichen Vermutung des § 138 Abs 1 ABGB in der damaligen Fassung als eheliches Kind des Erblassers, das – ungeachtet seiner Abstammung von einem anderen Mann – gemäß § 762 ABGB aF nach dem Erblasser auch pflichtteilsberechtigt gewesen wäre. Diese Vermutung konnte bis zum Inkrafttreten des KindRÄG 2001, BGBl I 2000/135, am 1. 7. 2001 nur durch eine gerichtliche Entscheidung widerlegt werden, mit der festgestellt wurde, dass das Kind nicht vom Ehemann der Mutter stammt. Erst danach wurde die Widerlegung der Vermutung unter den – im vorliegenden Fall eingehaltenen – Voraussetzungen des § 163e Abs 2 bis 4 ABGB idF BGBl I 2000/135 auch durch ein Vaterschaftsanerkenntnis möglich, womit der „Vätertausch“ rückwirkend auf den Geburtszeitpunkt vollzogen worden ist (vgl RIS‑Justiz RS0123619).

2.3.3 Damit wurde aber auch das ursprüngliche Fehlen des Tatbestandsmerkmals der Kinderlosigkeit zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Anordnung rückwirkend saniert. Tatsächlich war der Erblasser daher im maßgeblichen Zeitpunkt kinderlos. Der zunächst bestehende Irrtum über diese Tatsache steht der Anwendung des § 778 ABGB aF nicht entgegen. Denn die falsche Vorstellung des Erblassers über die Abstammung des ehelichen Kindes änderte nichts an seinem allfälligen – einzig relevanten – Irrtum darüber, dass er noch einen (weiteren) Nachkommen erhält. Wäre zunächst ein Anwendungsfall des § 777 ABGB aF (Übergehung eines von mehreren Kindern; vgl 7 Ob 692/84 SZ 58/141) zu erwägen gewesen, lag nun eben doch ein solcher des § 778 zweiter Fall ABGB aF vor.

2.4 Die Anfechtung scheitert aber an der getroffenen „Vorsehung“ für das nachgeborene Kind:

2.4.1 Nach herrschender Auffassung bedeutet „Vorsehung“ iSd § 778 ABGB aF nicht, dass dem nachgeborenen Kind in der letztwilligen Verfügung etwas zugewendet wird. Auch wenn es vom Erbrecht ausgeschlossen wird, wird es nicht stillschweigend übergangen. Es treten nicht die Rechtsfolgen des § 778 ABGB aF ein, sondern der nachgeborene Noterbe hat einen Pflichtteilsanspruch (vgl Weiß in Klang III² 884; Nemeth in Schwimann/Kodek 4 Vorbemerkungen zu §§ 776–782 Rz 4; Apathy in KBB4 § 778 Rz 2).

2.4.2 In Rechtsprechung und Lehre wird in diesem Zusammenhang allerdings mitunter eine (ausdrückliche) „Erwähnung“ des Noterben gefordert (8 Ob 36/68 SZ 41/22; Apathy in KBB4 § 778 Rz 2; Nemeth in Schwimann/Kodek 4 Vorbemerkungen zu §§ 776–782 Rz 4) und dass diese sich auch auf die Eigenschaft als Noterbe bezieht (7 Ob 75/73 SZ 46/44). Das könnte so verstanden werden, dass eine bloß floskelhafte Setzung aller künftiger Noterben „auf den Pflichtteil“ nicht ausreicht, sondern der mögliche Nachkomme als solcher ausdrückliche Erwähnung finden muss. A. Tschugguel verweist dagegen in seinen an sich kritischen Überlegungen zu der besagten Testamentsfloskel (in EF‑Z 2014/24, 203 [204]) darauf, dass diese doch dem speziellen Zweck dienen könne, der möglichen Behauptung einer irrtümlichen Übergehung von Kindern entgegenzuwirken und damit die Rechtsfolgen des § 777 ABGB aF (und somit wohl auch jene des § 778 ABGB aF) „mit Sicherheit auszuschließen“.

2.4.3 Im vorliegenden Fall geht die Berücksichtigung der Noterben aber ohnedies über eine bloß floskelhafte Erwähnung hinaus. Zwar wurde in der gemeinschaftlichen letztwilligen Verfügung der damaligen Ehegatten nur der erste Sohn der Drittantragstellerin namentlich erwähnt. Die Erbeinsetzung der „gemeinsamen diesehelichen Kinder“ für den Fall des gleichzeitigen oder kurz aufeinander folgenden Todes beider Ehegatten in Punkt Viertens zeigt jedoch hinreichend deutlich, dass nicht nur für den in der Ehe geborenen Sohn, sondern auch für mögliche künftige (wenn auch „dieseheliche“) Nachkommen ausdrücklich Vorsorge getroffen wurde. Damit sind aber die ohne diese Einschränkung getroffenen, allgemein gehaltenen weiteren Anordnungen über „die Noterben“ bzw „die gesetzlich erbberechtigten Nachkommen“ dahin zu verstehen, dass sie auch sämtliche künftige Nachkommen erfassen.

2.5 Zutreffend verneinte das Rekursgericht daher das Eintreten der Rechtsfolgen des § 778 ABGB aF.

3. Bedingung der aufrechten Ehe:

3.1 In der Lehre ist strittig, ob ein gemeinschaftliches (hier wechselseitiges) Testament iSd § 1248 ABGB aF unter der Bedingung des Fortbestands der Ehe geschlossen wurde (vgl M. Bydlinski in Rummel³ II/1 § 1248 Rz 1). Überwiegend wird dies im Zweifel „wegen § 575 ABGB“ zwar verneint (vgl Koch in KBB4 § 1248 Rz 3; Hopf/Kathrein, Eherecht³ [2014] § 1248 ABGB Rz 2; Fischer‑Czermak in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Vermögensnachfolge [2010] § 20 Rz 87), jedoch ist anerkannt, dass die Auflösung der Ehe entweder als Folge eines – hier nicht mehr geltend gemachten – beachtlichen Motivirrtums oder im Wege der Auslegung des Testaments Berücksichtigung finden kann (vgl Fischer‑Czermak, Vermögensnachfolge § 20 Rz 87; Welser/Zöchling‑Jud II14 Rz 2122; Weiß/Likar‑Peer in Ferrari/Likar‑Peer, Erbrecht [2007] 179). Letzteres würde voraussetzen, dass der Fortbestand der Ehe im Zeitpunkt des Ablebens des Erblassers aufgrund Auslegung des Testaments Bedingung für die Zuwendung an den Ehegatten ist (vgl Schauer, Der geschiedene Ehegatte als Testamentserbe, iFamZ 2012, 145 [146 und 149]; A. Tschugguel, EF‑Z 2014/137 [Glosse zu 6 Ob 168/13v]; zur aktuellen Rechtslage vgl § 725 ABGB idF ErbRÄG 2015).

3.2 Bei der Auslegung einer testamentarischen Anordnung ist zunächst vom Wortlaut und zwar von der gewöhnlichen Bedeutung der Worte auszugehen, wobei die Erklärung als Einheit in ihrem Gesamtzusammenhang zu betrachten ist (RIS‑Justiz RS0012371) und auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände aller Art zur Auslegung heranzuziehen sind (2 Ob 41/11k SZ 2012/49; RIS‑Justiz RS0012340). Die Auslegung soll möglichst so erfolgen, dass der vom Erblasser beabsichtigte Erfolg eintritt bzw wenigstens teilweise aufrecht bleibt. Allerdings muss die Auslegung in der letztwilligen Verfügung irgendeinen, wenn auch noch so geringen Anhaltspunkt finden und darf nicht völlig dem unzweideutig ausgedrückten Willen zuwiderlaufen („Andeutungstheorie“). Außerhalb der Urkunde liegende Umstände, die einen Rückschluss auf den wahren Willen des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung der Urkunde erlauben, dürfen daher nicht zur Feststellung eines nicht erklärten Inhalts, wohl aber zur Auslegung des Inhalts der Verfügung herangezogen werden (2 Ob 41/11k mwN; RIS‑Justiz RS0012342, RS0012367, RS0012372). Maßgebend sind dabei grundsätzlich die Verhältnisse im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung (RIS‑Justiz RS0012372 [T11]). Ist ein wirklicher Wille des Erblassers nicht zu ermitteln, weil der eingetretene Fall von ihm nicht bedacht wurde, greift die hypothetische Auslegung Platz, sofern der hypothetische Wille mit dem ausdrücklich erklärten Willen nicht im Widerspruch steht (2 Ob 41/11k mwN; RIS‑Justiz RS0012346).

3.3 Dass der Erblasser den aufrechten Bestand der Ehe mit der Drittantragstellerin ausdrücklich zur Bedingung erklärt hätte, ergibt sich aus dem Text des Notariatsakts vom 25. 5. 1998 zwar nicht. Jedoch wird ausdrücklich festgehalten, dass der ganze Nachlass dem überlebenden Ehegatten zukommen soll.

Nach den erörterten Kriterien kann bei der Auslegung dieser Anordnung nicht unberücksichtigt bleiben, dass der den Erbvertrag und das wechselseitige Testament beinhaltende Notariatsakt in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit einem weiteren Notariatsakt stand, mit dem der Vater des Erblassers diesem ua sein Einzelunternehmen (Gärtnerei und Blumenhandel) übergab. Der Erbvertrag und das Testament sollten, wie der Drittantragstellerin anlässlich der Errichtung beider Notariatsakte erklärt wurde, ihrer „Absicherung“ dienen.

3.4 Diese Begleitumstände legen nahe, dass der Wille des Erblassers bei Errichtung der letztwilligen Verfügung darauf gerichtet war, die „Absicherung“ seiner damaligen Ehefrau jedenfalls auch durch die ungeteilte Übertragung des Unternehmens an sie zu erreichen. Dies wäre jedoch bei einer nicht auf dem alleinigen oder überwiegenden Verschulden des Erblassers erfolgenden Scheidung nicht möglich gewesen:

Würde es, aus wessen Verschulden auch immer, zur Ehescheidung kommen, war das Unternehmen von der nachehelichen Aufteilung ausgenommen (§ 82 Abs 1 Z 3 EheG; RIS‑Justiz RS0057769; Koch in KBB5 § 82 EheG Rz 6), sodass es – abgesehen von einer abweichenden Vereinbarung – im Vermögen des Erblassers verblieben wäre. Der Erbvertrag wäre zwar nach § 1266 ABGB aF in Bezug auf das Unternehmen bei einer Scheidung aus dem alleinigen oder überwiegenden Verschulden des Erblassers möglicherweise aufrecht geblieben (4 Ob 281/00b; ebenso Jesser‑Huß in Schwimann/Kodek 4 § 1266 Rz 7; Fucik in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON 1.04 § 1266 Rz 6; M. Bydlinski in Rummel³ II/1 § 1266 Rz 4; auch Koch in KBB4 § 1266 Rz 6), nicht jedoch bei einer Scheidung im Einvernehmen oder aus anderen Gründen. In diesen Fällen hätte das Außerkrafttreten des Erbvertrags dazu geführt, dass das Unternehmen nur im Umfang des testamentarischen Viertels der Drittantragstellerin zugefallen wäre. Genau das hätte aber dem Willen des Erblassers, das Unternehmen als Einheit zu erhalten, widersprochen. Zudem kann dem Erblasser nicht unterstellt werden, dass er die Drittantragstellerin auch in solchen Fällen (teilweise) „absichern“ wollte, in denen der ebenfalls dieser Absicherung dienende Erbvertrag von Gesetzes wegen erlöschen würde.

3.5 Die Auslegung der testamentarischen Anordnungen des Erblassers im Notariatsakt vom 25. 5. 1998 führt daher zum Ergebnis, dass diese jedenfalls dann nicht mehr gelten sollten, wenn zufolge Scheidung der Ehe der Erbvertrag wegfiele und daher auch eine ungeteilte Weitergabe des Unternehmens nicht mehr möglich wäre. Das trifft hier wegen der Scheidung im Einvernehmen zu. Ein im Sinne der Andeutungstheorie ausreichender Anhaltspunkt für diesen Willen findet sich in der bereits hervorgehobenen Formulierung, dass der Nachlass dem überlebenden Ehegatten zukommen sollte.

4. Ergebnis:

In Stattgebung des berechtigten Revisionsrekurses ist die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf §§ 78, 185 AußStrG.

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