OGH 6Ob584/82

OGH6Ob584/8214.4.1983

SZ 56/64

Normen

ABGB §778
ABGB §778

 

Spruch:

Der Erblasser, der bei der Erklärung seines letzten Willens die Existenz eines von ihm gezeugten Kindes voraussetzt, erhält nicht nachträglich dadurch einen Noterben iS des § 778 zweiter Fall ABGB, daß seine Vaterschaft zu diesem Kinde festgestellt wird; ein unter Übergehung des Kindes erklärter letzter Wille bleibt aufrecht

OGH 14. 4. 1983, 6 Ob 584/82 (OLG Innsbruck 1 R 43/82; LG Feldkirch 7 Cg 3639/80)

Text

Dipl.-Ing. August A ist am 3. 1. 1974 gestorben. Er war verwitwet. Mit dem seit 6. 6. 1978 rechtskräftigen Urteil des Bezirksgerichtes Montafon vom 3. 2. 1978 wurde in dem gegen die Verlassenschaft mit der am 25. 11. 1974 überreichten Klage eingeleiteten Rechtsstreit die Vaterschaft des Erblassers zu dem am 21. 11. 1969 geborenen Wolfgang und dem am 14. 9. 1973 geborenen Peter, den beiden Klägern, festgestellt. Die Beklagten sind Seitenverwandte des Erblasser, der Erstbeklagte ist sein Bruder, die Zweitbeklagte seine Schwester, der Dritt- und der Viertbeklagte sind Söhne einer nachverstorbenen Schwester des Erblassers. Der Erblasser hatte seine drei Geschwister in seiner letztwilligen Verfügung vom 5. 11. 1973 mit den wesentlichen Teilen seines Nachlasses bedacht und verschiedenen weiteren Personen Bilder vermacht. In einer weiteren letztwilligen Verfügung vom 8. 1. 1973 hatte er ein Vermächtnis zugunsten der Mutter der beiden Kläger angeordnet. Beide letztwilligen Verfügungen wurden am 15. 1. 1974 kundgemacht. Die Beklagten gaben auf Grund der letztwilligen Verfügung vom 5. 11. 1973 Erbserklärungen ab, die beiden Kläger hatten bereits im November 1974 (einen Tag nach der Einbringung ihrer Vaterschaftsklage) unter Geltendmachung der Entkräftung der letztwilligen Verfügung gemäß § 778 ABGB Erbserklärungen zum gesamten Nachlaß abgegeben. Das Abhandlungsgericht nahm die Erbserklärungen der Beklagten und der Kläger an und wies den Klägern gemäß § 125 AußStrG die Klägerrolle zu.

Mit der am 28. 1. 1980 eingebrachten Klage begehrten die Kläger den Ausspruch, daß das Testament vom 5. 11. 1973, aus welchem die Beklagten ihr Erbrecht ableiten, unwirksam sei. Die Kläger erachteten das Testament des Erblassers, dessen Vaterschaft zu ihnen posthum festgestellt wurde, gemäß § 778 ABGB für entkräftet, weil der Erblasser zur Zeit der Errichtung seines letzten Willens - von den Klägern abgesehen - kinderlos gewesen sei, sie, obgleich der Erblasser den Erstkläger stets als seinen leiblichen Sohn angesehen habe, erst durch die spätere Vaterschaftsfeststellung seine Nacherben geworden seien, der Erblasser sie aber letztwillig nicht bedacht habe. Der Erblasser habe gewußt, daß die Kläger als eheliche Kinder des Ehemannes ihrer Mutter gegolten hätten (auch die Ehelichkeitsbestreitung erfolgte erst nach dem Tode des Erblassers). Der Erblasser sei von der Vorstellung ausgegangen, daß den Klägern zumindest ein Pflichtteilanspruch nach dem Ehemann ihrer Mutter zustehen werde, anderenfalls hätte er sein Testament geändert.

Die Beklagten machten geltend, daß auch die Mutter der Kläger mit einem Vermächtnis bedacht worden sei und alle mit der angeblich entkräfteten letztwilligen Verfügung Bedachten gemeinsam als notwendige Streitgenossen geklagt werden müßten. Die Beklagten wendeten Verjährung ein, weil die Klage erst nach dem Verstreichen einer dreijährigen Frist ab der Testamentskundmachung eingebracht worden sei. Vor allem brachten die Beklagten vor, der Erblasser habe die Kläger immer als seine leiblichen Söhne angesehen, im Bewußtsein dieser leiblichen Vaterschaft den Klägern zu Handen ihrer Mutter regelmäßig Zuwendungen geleistet, die Kinder in seiner letztwilligen Verfügung aber bewußt übergangen. Er habe am 8. 11. 1973 "für die beiden Kläger" deren Mutter 40 000 sfr zugewendet.

Der Verjährungseinwendung hielten die Kläger entgegen, daß sie vor dem Eintritt der Rechtskraft des Vaterschaftsfeststellungsurteiles nicht mit Aussicht auf Erfolg hätten Klage erheben können. Überdies hätten die Beklagten erst am 25. 10. 1979 Erbserklärungen abgegeben.

Das Erstgericht erklärte das Testament für unwirksam. Es stellte folgenden Sachverhalt fest: Der Erblasser unterhielt durch Jahre intime Beziehungen zur Mutter der Kläger. Diese war zur Zeit der Geburt der beiden Kinder und ist nach wie vor verheiratet. Der Erblasser zweifelte selbst während der Schwangerschaft zu den beiden Kindern nie an seiner leiblichen Vaterschaft, äußerte sich seiner Nichte und anderen Personen gegenüber mit Stolz in diesem Sinne, besprach mit der Mutter der beiden Kinder deren schulische Ausbildung, erbrachte für den älteren Sohn zu Handen seiner Mutter monatliche Leistungen von wenigstens 2000 S und machte diese Leistungen in einer Berufung gegen einen Steuerbescheid als Sonderausgaben geltend. Im Oktober 1973 wurde der Erblasser in stationäre Krankenhauspflege aufgenommen. Als er im Spital am 5. 11. 1973 seine von fremder Hand geschriebene letztwillige Verfügung errichtete und am 8. 11. 1973 mündlich ein Vermächtnis zugunsten der Mutter der Kläger anordnete, war er von der leiblichen Vaterschaft zu beiden Klägern überzeugt. Dem Schreiber des Testamentes gegenüber erklärte er seine Absicht, auch den beiden Klägern etwas zukommen lassen zu wollen, um deren Versorgung sicherzustellen. Er scheute sich jedoch, diese Absicht seinen Geschwistern mitzuteilen. Es mag sein, konnte aber nicht verläßlich festgestellt werden, daß der Erblasser nur wegen dieser Scheu die beiden Kläger in der letztwilligen Verfügung vom 5. 11. 1973 überhaupt nicht erwähnt und der Mutter der Kläger nur ein Bild vermacht hatte. Ebensowenig ließ sich "verläßlich beurteilen", ob der Erblasser andere letztwillige Verfügungen getroffen hätte, wenn er gewußt oder auch nur geahnt hätte, daß die Ehelichkeit der Kläger bestritten und seine Vaterschaft zu ihnen festgestellt werden würde. Der Erblasser wollte die in einer Schweizer Bank deponierten Werte der Mutter der Klägerin zukommen lassen, übergab deshalb dem Testamentsschreiber Depotscheine, ordnete aber dann auf den Rat eines Notars hin mit der mündlichen letztwilligen Verfügung vom 8. 11. 1973 diesbezüglich ein Vermächtnis an und brachte dabei dem Testamentsschreiber und -zeugen Alois N gegenüber zum Ausdruck, daß er seinen Liegenschaftsbesitz seinen Geschwistern, seine Wertpapiere in der Schweiz aber der Mutter der Kläger zukommen lassen wolle. Sein Beweggrund, die beiden Kläger in seiner letztwilligen Verfügung nicht zu erwähnen, konnte nicht mehr zuverlässig festgestellt werden. Die Kläger sind die einzigen Kinder des Erblassers.

Nachdem mit Urteil vom 14. 11. 1974 dem Ehelichkeitsbestreitungsbegehren des Ehemannes der Mutter stattgegeben worden war, brachten die Kinder am 25. 11. 1974 gegen die Verlassenschaft die Klage auf Feststellung der Vaterschaft des Erblassers ein und erwirkten das seit 6. Juni 1978 rechtskräftige klagstattgebende Urteil vom 3. 2. 1978.

Das Erstgericht folgerte in rechtlicher Beurteilung: Alle erbrechtlichen Vorschriften knüpften an ein rechtlich anerkanntes Eltern- Kind-Verhältnis an. Im Zeitpunkt der Testamentserrichtung im November 1973 hätten die Kläger als eheliche Kinder des Ehemannes ihrer Mutter gegolten, während der Erblasser im Rechtssinn kinderlos gewesen sei. Erst mit dem Eintritt der Rechtskraft der Vaterschaftsfeststellung habe der Erblasser pflichtteilsberechtigte Kinder erhalten. Das zugunsten der Mutter der Kläger angeordnete Vermächtnis von Bankdepositen sei keinesfalls eine direkte Zuwendung an die Kläger, auch wenn dadurch zu ihrer Versorgung hätte beigetragen werden sollen, und deshalb keine "Vorsehung" gemäß § 778 ABGB. IS dieser Bestimmung seien die letztwilligen Verfügungen des Erblassers vom November 1973 entkräftet. Die Ansprüche der Kläger nach § 778 ABGB seien nicht verjährt, weil die Kläger wegen der einander widersprechenden Erbserklärungen der Streitteile erst mit dem abhandlungsgerichtlichen Beschluß vom 13. 12. 1979 auf den Rechtsweg verwiesen worden seien und erst dies die Verjährungsfrist in Gang gesetzt habe. Vor dem Eintritt der Rechtskraft des Vaterschaftsfeststellungsurteiles hätte den Klägern überdies die Klageberechtigung gemangelt. Die Mutter der Kläger sei Vermächtnisnehmerin, deren Ansprüche gegenüber den Erben vom Bestand der letztwilligen Verfügung abhingen. Es genüge, gemäß § 778 ABGB eine Klage gegen die (Testaments-)Erben einzubringen; einer Klage gegen Vermächtnisnehmer bedürfe es nicht, weil eine Entkräftung der Erbseinsetzung auch eine Entkräftung der diese Erben belastenden Vermächtnisse zur Folge habe.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab.

Die letztwillige Verfügung vom 5. 11. 1973 sei ungeachtet des Fehlens von ausdrücklichen Erbseinsetzungen nach dem Inhalt der Anordnungen als Testament zugunsten der Geschwister des Erblassers zu werten. In diesem Testament habe der Erblasser in Ansehung der Kläger keine "Vorsehung" iS des § 778 ABGB getroffen. Die Kläger hätten zur Zeit der Testamentserrichtung und auch noch im Zeitpunkt des Todesfalles als eheliche Kinder des Ehemannes ihrer Mutter gegolten. Erst nach dem Todesfall hätten sie nach dem Erblasser ein gesetzliches Erbrecht gemäß § 754 Abs. 2 ABGB und damit auch die Stellung von Noterben erlangt. Dennoch sei das Testament vom November 1973 nicht nach dem zweiten Fall des § 778 ABGB entkräftet, weil der Erblasser zur Zeit der Testamentserrichtung nicht in einem Irrtum über das Vorhandensein seiner leiblichen Nachkommen verhaftet, sondern vielmehr davon überzeugt gewesen sei, daß die Kläger seine leiblichen Kinder seien, wie dies dann auch im Vaterschaftsfeststellungsurteil seinen Ausdruck gefunden habe. Unter diesen Umständen könne auch nicht gesagt werden, der Erblasser hätte die Kläger bedacht, wenn er gewußt hätte, daß deren Ehelichkeit erfolgreich bestritten und seine Vaterschaft mit bindender Wirkung festgestellt werden würde. Der Erblasser habe die Kläger ungeachtet der damals noch nicht widerlegten Vermutung nach § 138 Abs. 1 ABGB als seine leiblichen Kinder angesehen und dennoch in seinem Testament nicht bedacht. Es müsse als wahrscheinlich, jedenfalls aber als möglich angesehen werden, daß der Erblasser nicht anders verfügt hätte, wäre die Feststellung seiner Vaterschaft noch zu seinen Lebzeiten erfolgt. Es sei nicht erwiesen worden, daß der Erblasser die Kläger zu Erben eingesetzt hätte, wäre seine Vaterschaft zu ihnen schon festgestellt gewesen. Dieser Beweis wäre aber den Klägern oblegen. Der Erblasser habe die Kläger aus Absicht und nicht irrtümlich übergangen. Dies schließe eine Entkräftung nach § 778 ABGB aus.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach dem Tode einer natürlichen Person soll sich die Rechtsnachfolge nach dem Erbrechtssystem des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches grundsätzlich nach den privatautonom getroffenen Regelungen des Erblassers richten. Soweit dieser sich nicht erbvertraglich gebunden hat, ist er in seinen letztwilligen Anordnungen, deren Wirksamkeit nur durch das Pflichtteilsrecht beschränkt wird, frei. Der Funktion, die Rechtsnachfolge im Todesfall zu regeln, gemäß, ist eine letztwillige Anordnung bis zum Erbfall abänderbar (§ 716 ABGB), soll sie doch, wenn auch notwendigerweise früher errichtet, stets den "letzten Willen" des Erblassers ausdrücken. Eine nicht genützte Widerrufsmöglichkeit indiziert im Regelfall, daß der in einer letztwilligen Verfügung zum Ausdruck gebrachte Regelungswille für den zukünftigen Erbfall unverändert aufrecht besteht. Für den Fall und in dem Umfang, daß es an einer wirksamen letztwilligen Anordnung fehlt, vollzieht sich die Rechtsnachfolge nach der gesetzlichen Ordnung. Diese beruft in erster Linie mit der Nachkommenschaft des Erblassers Personen, von denen nach der natürlichen Geschlechterfolge angenommen wird, daß sie ein Erblasser typischerweise zunächst zu Erben berufen würde. Diesen ersten Teil der gesetzlichen Erbfolgeregelung erachtet der Gesetzgeber als eine für jeden Erblasser derart naheliegende Regelungsvariante, daß von ihr keinesfalls unbedacht abgewichen würde, auch wenn ein Erblasser nicht verhalten ist, eine abweichende letztwillige Anordnung zu begrunden.

Die gesetzlichen Bestimmungen der §§ 777 ff. ABGB treffen Anordnungen für Fälle, in denen - im Gegensatz zu dem im § 776 ABGB geregelten Fall - bezweifelt werden muß, daß die Erklärung und Aufrechterhaltung eines erst im Todesfall aktuell werdenden Rechtsnachfolgewillens in voller Kenntnis aller von einem Erblasser typischerweise bedachten Umstände erfolgte. So wird auch im zweiten Fall des § 778 ABGB vom Gesetzgeber eine Regelungslücke der letztwilligen Verfügung unterstellt und - ebenso wie in den Übergehungsfällen - mit einer dem mutmaßlichen Willen des Erblassers entsprechenden gesetzlichen Anordnung gefüllt. Das Pflichtteilsrecht dient den Interessen der Noterben, die Regelungen der §§ 777 ff. ABGB aber dem Schutz des Erblassers vor der Bindung an eine ohne vollen Bedacht auf seine Nachkommenschaft abgegebene Erklärung.

Wesentlich für die Entkräftung eines letzten Willens nach dem zweiten Fall des § 778 ABGB ist das Vorliegen eines "Irrtums" des Erblassers. Die noch in der Entscheidung SZ 47/77 vertretene gegenteilige Ansicht, daß ein kausaler Irrtum des Testators keine Tatbestandsvoraussetzung des zweiten im § 778 ABGB geregelten Falles bilde, wird im Hinblick auf den dargelegten Regelungszweck nicht aufrechterhalten. Die hier vertretene Auslegung findet insbesondere eine Stütze in den bereits vom Berufungsgericht zitierten Lehrmeinungen von Zeiller, Komm. II/2, 794 und 795 in den Anm. 5 und 7 zu § 778, und von Ehrenzweig - Kralik, Erbrecht[3] 111 ff.; sie wird im wesentlichen auch von Koziol - Welser[6] II 266 geteilt; vgl. nunmehr Welser in Rummel, ABGB, Rdz. 7 zu § 77. Nach der gesetzlichen Regelung ist ein solcher Irrtum anzunehmen, wenn ein Erblasser, der zum Zeitpunkt der Errichtung seines letzten Willens keine Nachkommen hatte, nachträglich einen pflichtteilsberechtigten Nachkommen erhält und für diesen Fall keine Anordnungen getroffen hat.

Die Entscheidung des vorliegenden Falles hängt im wesentlichen von der Beurteilung der Frage ab, ob ein Erblasser, der bei der Erklärung seines letzten Willens die physische Existenz eines oder mehrerer von ihm gezeugten Kinder als gegeben vorausgesetzt hat, dadurch nachträglich "Noterben erhält", daß seine Vaterschaft zu diesen Kindern festgestellt und damit erst nach deren Erbrecht und deren Pflichtteilsrecht begrundet wird.

Für die erbrechtlich erhebliche Motivation zur Erbseinsetzung (oder Übergehung) eines leiblichen Nachkommen ist diesem gegenüber nach der Ansicht des erkennenden Senates die Überzeugung des Erblassers von der leiblichen Abstammung einer oder mehrerer vorhandener Personen von ihm wesentlich, nicht aber auch darüber hinaus das tatsächliche oder vorgestellte gesetzlich anerkannte Familienrechtsverhältnis zu diesen Abkömmlingen. In diesem Punkt hat und hätte sich gegenüber dem Zeitpunkt der Testamentserrichtung nach dem festgestellten Sachverhalt durch die spätere Vaterschaftsfeststellung nichts geändert. Entgegen den Revisionsausführungen ist im zweiten Fall des § 778 ABGB nur die objektiv unrichtige Vorstellung des Testators erheblich, "kinderlos" zu sterben, während unter dem Gesichtspunkt des § 778 ABGB Vorstellungen des Erblassers über eine (sonstige, nicht von ihm stammende) "Versorgung" der Nachkommen, deren Vorhandensein ihm bekannt war, unerheblich bleiben.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte