OGH 11Os68/17k

OGH11Os68/17k8.8.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. August 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Rechtshörerin cand. iur. Schwarzer als Schriftführerin in der Strafsache gegen M***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 17. März 2017, GZ 42 Hv 68/16z‑35, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0110OS00068.17K.0808.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen (wegen Strafe) werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde M***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./) und des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er am 17. Februar 2016 in W*****

I./ an der am 8. ***** geborenen, sohin unmündigen E***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er sie digital penetrierte;

II./ die unter I./ genannte geschlechtliche Handlung an der minderjährigen E***** unter Ausnützung der ihm von den Eltern anvertrauten Erziehungsaufsicht vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die „Nicht-Zulassung der Frage“ (vgl ON 27 S 26 f)– ersichtlich gemeint: der an Pia D***** gerichteten Frage, ob es stimme, dass sie am 8. März [2016] in einem Telefonat mit dem Angeklagten sagte, dass „nichts“ sei, „die Kleine das ... zurückgezogen hat, weil nichts war“ und ihr es nunmehr „furchtbar leid“ tue, sie aber nichts mehr machen könne, weil „es schon im Laufen“ sei – Verteidigungsrechte nicht verletzt. Die Zeugin hatte diese Frage bereits eindeutig beantwortet (ON 27 S 22); es wäre daher Sache des Angeklagten gewesen, begründet darzutun, weshalb dennoch zu erwarten sei, dass die Zeugin von ihrer bisherigen Aussage abweichen sollte (RIS-Justiz RS0118123; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 331).

Der Antrag auf Einholung eines gynäkologischen Gutachtens (ON 34 S 15) verfiel schon deshalb zu Recht der Abweisung, weil nicht dargelegt wurde, warum anzunehmen sei, dass sich das – zur Mitwirkung an einer entsprechenden Befundaufnahme nicht verpflichtete – (mj) Opfer bzw dessen gesetzliche Vertreter zur Befundaufnahme bereit finden werden (RIS-Justiz RS0118956; Ratz, WK-StPO § 281

Rz 350). Dem Antrag war weiters nicht zu entnehmen, weshalb die begehrte Beweisaufnahme das spekulativ behauptete Ergebnis (dass nämlich das Verletzungsbild auf eine andere Ursache als die inkriminierte Tathandlung einer digitalen Penetration zurückgehen könne) erwarten lasse; solcherart zielte dieser Beweisantrag auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung ab (RIS-Justiz RS0118123; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327, 330).

Auch durch die Abweisung des Antrags auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens über die Glaubhaftigkeit der Angaben der mj Zeugin E*****(ON 27 S 33, ON 34 S 16 iVm ON 25) wurden Verteidigungsrechte nicht verletzt, weil nicht einmal behauptet wurde, dass die genannte Zeugin bzw deren gesetzliche Vertreter die erforderliche Zustimmung zu einer Exploration erteilt hätten oder erteilen würden (RIS-Justiz RS0097584, RS0118956, RS0108614; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 350).

Dem Gebot zu gedrängter Darstellung in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO; RIS-Justiz RS0106642, Ratz, WK-StPO § 281 Rz 428) folgend war das Erstgericht nicht dazu verhalten, sich mit jenem Detail aus der Aussage der Pia D*****, wonach „sich E***** beim Duschen öfters im Intimbereich berührt hat“ (ON 10 S 13), auseinanderzusetzen, weil dieser Umstand – der Behauptung der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider – den getroffenen Feststellungen nicht erörterungsbedürftig entgegensteht (RIS‑Justiz RS0098495; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 424).

Im Weiteren wendet sich die Mängelrüge (Z 5) gegen „die erhebliche Tatsache 'Glaubwürdigkeit der Zeugin'“ E*****, indem sie releviert, das Erstgericht habe aus den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen, die bloß die Aussagetüchtigkeit (und nicht die Glaubwürdigkeit) der Zeugin E***** geprüft hätte, (auch) Schlüsse auf die Glaubwürdigkeit dieser Zeugin abgeleitet, sodass der „saltus in concludendo“ zu gewagt und die Begründung als offenbar unzureichend zu erachten sei. Damit wird aber kein formeller Begründungsmangel, sondern lediglich die tatrichterliche Beweiswürdigung in Bezug auf die für gegeben erachtete Glaubwürdigkeit des Opfers nach Art einer Schuldberufung kritisiert, wobei im Übrigen nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe Maß genommen wird (US 6 f; vgl zum Ganzen RIS-Justiz RS0098297, RS0097733, RS0115823).

Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) liegt vor, wenn nicht für alle Adressaten (also den Beschwerdeführer und das Rechtsmittelgericht) unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache (sowohl auf der objektiven als auch auf der subjektiven Tatseite) in den Entscheidungsgründen festgestellt wurde und aus welchen Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist; dazu ist stets die Gesamtheit der Entscheidungsgründe und das Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) in den Blick zu nehmen (RIS-Justiz RS0117995, RS0099425, RS0089983; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 419).

Bei einer solchen Betrachtung sind die Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite zu I./ (US 5 iVm US 9) – der Behauptung der Mängelrüge (Z 5 erster Fall), wonach die Formulierung „… Gerade diesen Umstand nützte er bewusst und gewollt aus, um einen Finger in die Vagina von E***** einzuführen“ keinen Aufschluss über den Vorsatz auf Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung gäbe, zumal die Bezeichnung „um“ nicht geeignet sei, diesen Umstand deutlich darzulegen, zuwider – keineswegs undeutlich.

Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der Beweiswerterwägungen des Erstgerichts) verhindern (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 470 ff, 490).

Mit Hinweisen auf Ungenauigkeiten bzw Widersprüchlichkeiten in den Aussagen der Zeugin E***** werden von der Beschwerde qualifizierte Bedenken im aufgezeigten Sinn nicht erweckt. Der Beschwerdeführer unternimmt erneut bloß den Versuch, die Beweiswürdigung der erkennenden Richter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen Schuldberufung zu bekämpfen.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS-Justiz http://193.58.211.1/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0099810&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ).

Weshalb die Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite (US 5 iVm US 9) als Tatsachengrundlage für die vorgenommene Subsumtion zu Punkt I./ ungenügend sein sollen und es weiterer Feststellungen dazu bedurft hätte, dass sich der Vorsatz des Angeklagten darauf bezog, „dass er an der zum Tatzeitpunkt vierjährigen Zeugin ... eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vornahm, indem er ihr einen Finger vaginal einführte“, wird von der Rüge nicht prozessordnungsgemäß aus dem Gesetz abgeleitet (RIS-Justiz RS0099620, RS0118429, RS0116569).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – ebenso wie die (angemeldete; ON 34 S 20) Berufung wegen Schuld (§§ 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO) – bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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