OGH 11Os152/15k

OGH11Os152/15k12.1.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Jänner 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Zabl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Philipp W***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Schöffengericht vom 18. März 2015, GZ 16 Hv 45/12i‑93, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00152.15K.0112.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Philipp W***** mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB „idF BGBl 1998/153“ (I), eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB „idF BGBl I Nr 2001/130“ (richtig: idgF) (II), mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB „idF BGBl I Nr 2001/130“ (richtig: idgF) (III) und mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (IV) schuldig erkannt.

Danach hat er

I) von 2004 bis März 2009 in R***** und E***** an der zum Tatzeitpunkt unmündigen Arnika Wa***** mehrmals in der Woche durch Betasten der Vagina und Brüste geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von dieser durch Handverkehr bis zum Samenerguss (US 3) an sich vornehmen lassen;

„II) von 2007 bis März 2009 in E***** mit der zum Tatzeitpunkt unmündigen Arnika Wa***** den Beischlaf unternommen, wobei die Tat eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung der Arnika Wa*****, nämlich eine schwere Persönlichkeitsentwicklungsstörung mit deutlichen Zeichen einer manifesten emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline‑Typus, mithin eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), zur Folge hatte;

III) von 2007 bis März 2009 in E***** mit der zum Tatzeitpunkt unmündigen Arnika Wa***** mehrmals in der Woche den Beischlaf und durch das Einführen von Fingern in die Vagina dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen;“

IV) durch die unter I., II. und III. angeführten Taten mit seiner minderjährigen Stieftochter geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 3, 4, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Die Verfahrensrüge (Z 3) verfehlt den gesetzlichen Bezugspunkt der Anfechtung, indem sie keine Verletzung oder Missachtung einer von § 281 Abs 1 Z 3 StPO geschützten Vorschrift in der Hauptverhandlung, sondern einen Verstoß gegen „§ 159 Abs 1 StPO“ zufolge Verwertung der Aussage der kontradiktorisch vernommenen Zeugin Arnika Wa***** im Urteil behauptet (RIS‑Justiz RS0099128).

Im Übrigen wurde Arnika Wa***** vor ihrer Vernehmung sehr wohl über ihr persönliches Entschlagungsrecht als Angehörige gemäß § 156 Abs 1 Z 1 StPO belehrt (ON 29 S 2 unten) und das Protokoll über die Vernehmung (ON 29) mit ausdrücklicher Zustimmung der Verteidigung vorgetragen (§ 252 Abs 2a StPO; ON 92 S 50).

Der Beschwerde (Z 4) zuwider wurden auch durch die Abweisung des Antrags auf ergänzende Vernehmung der Arnika Wa***** „zum Beweis dafür, dass der Angeklagte die ihm zu Last gelegten strafbaren Handlungen nicht begangen habe, sowie zum Beweis dafür, dass die Zeugin Arnika Wa***** ihre Mutter Sabine Wa***** und deren Lebensgefährten Benedikt A***** in unredlicher Weise strafbarer Handlungen bezichtigt hat und in der Folge zumindest teilweise eingeräumt hat, unrichtige Beschuldigungen erhoben zu haben, woraus Rückschlüsse auf das Verhalten der Zeugin im gegenständlichen Verfahren gegenüber dem hier Angeklagten gezogen werden können“ (ON 92 S 40), keine Verteidigungsrechte des Angeklagten verletzt. Der Beschwerdeführer legte nämlich nicht dar, aus welchem Grund die Zeugin von ihrer bisherigen ‑ einverständlich vorgetragenen ‑ Aussage abweichen sollte, und zielte solcherart auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung ab (RIS‑Justiz RS0118123, RS0118444). Hinzu kommt, dass Arnika Wa***** (ON 29 S 5) bereits unmissverständlich erklärt hatte, von dem ihr zustehenden Entschlagungsrecht (§ 156 Abs 1 Z 2 StPO) Gebrauch zu machen. Es wäre daher Sache des Antragstellers gewesen, begründet darzutun, weshalb dennoch zu erwarten sei, dass sie sich nunmehr zur Aussage bereit finden werde (RIS‑Justiz RS0117928).

Das die Beweisanträge ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende

Neuerungsverbot auf sich zu beruhen.

Die vom Erstgericht festgestellte Ausnützung des

Autoritätsverhältnisses ist kein eigenständiges Element des Tatbestands des § 212 Abs 1 Z 1 StGB und damit auch kein Gegenstand der Mängelrüge (Z 5). Der Missbrauch der besonderen Stellung des Täters zum Opfer wird im Fall des Missbrauchs der Stieftochter vielmehr als typisch vorausgesetzt (RIS‑Justiz RS0108363 [T6]).

Die Beurteilung der Überzeugungskraft von Aussagen kann unter dem Gesichtspunkt einer Unvollständigkeit mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat. Dafür aber müssen die die Aufrichtigkeit von Zeugen angeblich ernsthaft in Frage stellenden, gleichwohl unerörtert gebliebenen Tatumstände deutlich und bestimmt bezeichnet werden (RIS‑Justiz RS0119422).

Solche Umstände zeigt der Beschwerdeführer durch Bezugnahme auf die Angaben der bei den Vorfällen nicht anwesenden Zeugen Andrea W*****, Daniel Wa***** und Sabine Wa*****, mit denen sich die Tatrichter ohnehin auseinandersetzten (vgl dazu US 7, 11, 8 f, 9), nicht auf.

Die Aussage der Psychiaterin Charlotte H*****, Arnika Wa***** ohne Thematisierung der Missbrauchsvorwürfe auf die kontradiktorische Vernehmung vorbereitet zu haben (US 9), steht den entscheidungswesentlichen Feststellungen nicht erörterungsbedürftig entgegen.

Gleiches gilt für die Angaben der Zeugin Melanie W*****, wonach Arnika Wa***** zwar einmal eine Bemerkung über einen Geschlechtsverkehr mit ihrem Stiefvater gemacht, sie diese aber für unglaubwürdig erachtet hatte (RIS‑Justiz RS0097573).

Dass die Zeugin Arnika Wa***** auch andere Strafanzeigen erstattet hatte, wurde vom Erstgericht mitberücksichtigt, die diesbezüglichen Ermittlungsakten wurden verlesen (US 12). Dass aus den Beweismitteln auch andere Schlüsse möglich gewesen wären als die im Urteil gezogenen, stellt keinen Begründungsmangel im Sinne der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO dar (RIS‑Justiz RS0098471).

Soweit die Rüge (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 10) einen Subsumtionsfehler zufolge der Nichtannahme einer tatbestandlichen Handlungseinheit zu II) und III) trotz Verwirklichung des gleichen Tatbestands in „kurzer zeitlicher Abfolge“ behauptet, unterlässt sie den Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts, einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen, mit dem festgestellten Sachverhalt (US 3 f) und verfehlt solcherart den Bezugspunkt einer erfolgreichen Anfechtung (RIS‑Justiz RS0099810).

Die Behauptung, der festgestellte gleichartige Missbrauch der unmündigen Arnika Wa***** an mehreren Tagen in der Woche in einem Zeitraum von mehr als einem Jahr stelle lediglich eine strafbare Handlung dar, entbehrt auch der gebotenen Ableitung aus dem Gesetz (RIS‑Justiz RS0116565).

Inwiefern die zu I) angelastete strafbare Handlung des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB von jener des (mehrere Jahre danach begonnenen) schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB im Tatzeitraum vor 2007 verdrängt werden könnte, erklärt die Rüge nicht (vgl RIS‑Justiz

RS0115643).

Hinzugefügt sei, dass die Annahme eines kürzeren Tatzeitraums, mit anderen Worten eine Reduktion der (vorliegend gar nicht konkret bestimmten) Anzahl der deliktischen Übergriffe den Schuldspruch I) oder die Subsumtion nicht in Frage stellen würde (RIS‑Justiz RS0116736).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufung kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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