OGH 11Os146/15b

OGH11Os146/15b20.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. November 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wüstner als Schriftführer in der Strafsache gegen Özkan K***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB, AZ 3 St 186/15m der Staatsanwaltschaft St. Pölten, AZ 12 HR 230/15f des Landesgerichts St. Pölten, über die Grundrechtsbeschwerde des Veysel S***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 20. Oktober 2015, AZ 22 Bs 258/15z (ON 69 der Ermittlungsakten) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0110OS00146.15B.1120.000

 

Spruch:

Veysel S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Dem Bund wird der Ersatz der Beschwerdekosten von 800 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.

Gründe:

Mit Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 24. September 2015 wurde in dem von der Staatsanwaltschaft St. Pölten gegen Özkan K*****, Marta Kr***** und Veysel S***** wegen des Verdachts des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 15, 142 Abs 1, 143 zwiter Fall; 12 StGB geführten Ermittlungsverfahren die über Veysel S***** am 10. September 2015 (ON 26 S 7; ON 27) verhängte Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2, Z 3 lit a, lit b StPO fortgesetzt (ON 52).

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Wien der Beschwerde des Veysel S***** gegen die Entscheidung des Landesgerichts St. Pölten vom 24. September 2015 nicht Folge und ordnete (unter Hinweis auf das Ende der Möglichkeit der Annahme von Verdunkelungsgefahr am 10. November 2015) aus denselben Gründen die Fortsetzung der Haft an.

In der Sache erachtete das Oberlandesgericht Veysel S***** aufgrund der Ermittlungen der Kriminalpolizei und der Aussagen der Beschuldigten K*****, Kr***** und Kra***** (BS 4 f) ‑ zusammengefasst ‑ dringend verdächtig, die Verhaltensweisen des Opfers in mehreren Etappen ausgekundschaftet und mit dem daran mitwirkenden Özkan K***** verabredet zu haben, den Tankstellenbesitzer Ko***** im gemeinsamen Zusammenwirken zu berauben (BS 6 iVm 3 f). Hinreichend deutlich ging das Beschwerdegericht davon aus, dass die Wegnahme des Geldes entweder durch den Einsatz von Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Ko***** erfolgen sollte (vgl insbesondere BS 3).

In rechtlicher Hinsicht bejahte das Beschwerdegericht den dringenden Verdacht des verbrecherischen Komplotts nach § 277 Abs 1 StGB (vgl für die weitere Subsumtion allerdings die bei Eder‑Rieder in WK² StGB § 142 Rz 46 angeführten Beispiele aus der Judikatur).

Den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2 StPO leitete das Oberlandesgericht aus den widersprüchlichen Angaben der Beteiligten, aus noch ausständigen Ermittlungen und dem Erfordernis weiterer Vernehmungen ab (BS 7 f).

Tatbegehungsgefahr sei nach Auffassung des Beschwerdegerichts deshalb anzunehmen, weil Veysel S***** „nach eigenen Angaben wegen einer Körperverletzung zu Lasten eines Cousins in Deutschland eine gerichtliche Haftstrafe verbüßte und somit angesichts der von ihm wegen seiner prekären finanziellen Situation initiierten Planung eines Raubes befürchtet werden muss, er werde auf freiem Fuß ungeachtet des wegen einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten Straftat gegen ihn geführten Strafverfahrens eine strafbare Handlung mit schweren oder nicht bloß leichten Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist, wie die ihm angelastete strafbare Handlung, derentwegen er bereits einmal verurteilt wurde“ (BS 8).

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Annahme dringenden Tatverdachts und das Vorliegen von Haftgründen richtet sich die fristgerecht erhobene Grundrechtsbeschwerde des Veysel S*****, der überdies eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes behauptet und die Nichtanwendung gelinderer Mittel rügt.

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Grundrechtsbeschwerde ist die Erschöpfung des Instanzenzugs (§ 1 GRBG). Demzufolge können Haftvoraussetzungen, die nicht Gegenstand der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Beschluss (hier ON 62) waren, kein Gegenstand der Grundrechtsbeschwerde sein (RIS‑Justiz RS0114487). Die weder die Verdachtslage noch die Haftgründe betreffenden Einwände haben daher auf sich zu beruhen.

Die Begründung dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren in sinngemäßer Anwendung der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden (RIS‑Justiz RS0110146).

Diesem Erfordernis wird die Beschwerde weder durch den Hinweis auf von der Staatsanwaltschaft und den Ermittlungsbehörden vorgenommene Einschätzungen noch dadurch gerecht, dass sie auf Basis eigenständiger Beweiswerterwägungen aus den Verfahrensergebnissen günstigere Schlüsse für den Beschwerdeführer ableitet.

Die Bewertung des Inhalts einer Aussage kann nicht

als „aktenwidrig“ bekämpft werden (RIS‑Justiz RS0099547).

Entgegen dem Vorwurf der Unvollständigkeit (§ 10 GRBG iVm § 2 Abs 1 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall) bedurften die in der Grundrechtsbeschwerde zitierten Depositionen der Kr*****, nicht zu wissen, was zwischen K***** und S***** ausgemacht gewesen sei, keiner gesonderten Erörterung.

Der Einwand des Fehlens von Feststellungen zum objektiven Tatbestand (§ 10 GRBG iVm § 2 Abs 1 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) entzieht sich bereits mangels einer Orientierung an der Gesamtheit der im angefochtenen Beschluss getroffenen Sachverhaltsannahmen einer meritorischen Erwiderung (BS 3, 4 und 6; Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 33).

Die

rechtliche Annahme einer

der von § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren wird vom Obersten Gerichtshof im Grundrechtsbeschwerdeverfahren dahin überprüft, ob sie aus den in

der angefochtenen Entscheidung angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich angesehen werden müsste. Sachverhaltsannahmen zu einem Haftgrund müssen zufolge § 173 Abs 2 StPO auf „bestimmte Tatsachen“ gegründet sein (RIS‑Justiz RS0117806; Kier in WK² GRBG § 2 Rz 49).

Im Ergebnis zu Recht zeigt die

Grundrechtsbeschwerde ‑ wie bereits die Generalprokuratur zutreffend äußerte ‑ auf, dass der angefochtenen Entscheidung keine solchen zu entnehmen sind.

Der Hinweis auf noch ausstehende Ermittlungen, die im Beschluss nicht näher konkretisiert werden, genügt zur Begründung des Haftgrundes der Verabredungs‑ oder Verdunkelungsgefahr ebensowenig wie die Bezugnahme des Oberlandesgerichts auf Widersprüche in den Aussagen der (bereits mehrfach von der Kriminalpolizei und vom Gericht vernommenen) zum Teil in Strafhaft befindlichen Beteiligten (RIS‑Justiz RS0118185 [T2 und T3]; ON 13 S 21 ff, 53 ff, 75 ff und 101 ff; ON 25 und 26). Gleiches gilt für das Argument, wonach die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts „massiv davon abhänge, wie es um den Tatplan und die innere Tatseite bestellt war“.

Der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO setzt eine Anlasstat mit schweren Folgen und eine eben solche ‑ gegen dasselbe Rechtsgut gerichtete ‑ Prognosetat voraus. Die im Beschluss des Oberlandesgerichts dargelegte Befürchtung, der Beschuldigte werde auf freiem Fuß eine strafbare Handlung mit schweren oder mit nicht bloß leichten Folgen begehen, reicht zur Annahme des Haftgrundes nicht hin. Eine Prognosetat mit nicht bloß leichten Folgen genügt hiefür nicht, abgesehen davon lässt die Entscheidung den gebotenen Sachverhaltsbezug vermissen.

Welche strafbaren Handlungen konkret zu befürchten seien, lässt der angefochtene Beschluss auch bei der Begründung der Annahme der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO offen. Überdies wurde die Haftvoraussetzung der einschlägigen Verurteilung des Beschwerdeführers willkürlich angenommen. Diese leiteten die Beschwerderichter nämlich ausschließlich aus der (nicht durch eine Strafregisterauskunft objektivierten) Verantwortung des S***** ab, wegen im Jahr 2007 begangener Tätlichkeiten im Jahr 2011 in Deutschland eine Haftstrafe von vier Monaten verbüßt zu haben (BS 8 ‑ ON 26 S 7). Damit lässt sicher aber nicht begründen, dass eine Verurteilung wegen einer Tat mit nicht bloß leichten Folgen erfolgt ist. Ebensowenig trägt diese Begründung die (implizite) Annahme, diese Verurteilung sei noch nicht getilgt, weil sie keine Angaben zur Rechtskraft des ausländischen Urteils enthält (vgl § 7 Abs 1 und 2 iVm § 3 Abs 2 Z 2 TilgG).

Die Tilgungsfrist ausländischer Verurteilung beginnt nämlich abweichend von § 2 Abs 1 TilgG nicht mit dem Vollzug, sondern mit dem Tag der Rechtskraft der Verurteilung, dem die Dauer der mit ihr ausgesprochenen Freiheitsstrafe hinzugerechnet wird (vgl Kert,WK‑StPO TilgG § 7 Rz 11 f).

Aus Anlass der Grundrechtsbeschwerde war - wiederum in Übereinstimmung mit dem Croquis ‑ zu Gunsten des Beschuldigten gemäß § 10 GRBG iVm §§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall, 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO auch der Umstand aufzugreifen, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts in subjektiver Hinsicht keine Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht enthält (RIS‑Justiz RS0119859).

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat der Fortsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichts die erstinstanzliche Entscheidung nicht bloß zu beurteilen, sondern zu ersetzen und solcherart eine neue ‑ reformatorische ‑ Entscheidung darzustellen (§ 174 Abs 4 zweiter Satz StPO; RIS‑Justiz RS0116421). Das bedeutet, dass mit Bestimmtheit anzugeben ist, welcher ‑ in Hinsicht auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit als begründet anzusehenden strafbaren Handlungen rechtlich entscheidend beurteilte ‑ Sachverhalt sowohl auf der objektiven als auch der subjektiven Tatseite angenommen wurde (Feststellungsebene) und dass überdies klarzustellen ist, auf welchen bestimmten Tatumständen (Beweisergebnissen) diese Sachverhaltsannahmen über die entscheidenden Tatsachen beruhen (Begründungsebene; RIS‑Justiz RS0120817). Geschieht dies nicht, liegt eine Grundrechtsverletzung vor.

Zur Verwirklichung von § 277 Abs 1 StGB muss sich der Vorsatz auf die gemeinsame Ausführung eines Komplottdelikts beziehen, die wesentlichen Elemente der geplanten Tat und auch all jene Umstände umfassen, die diese als Komplottdelikt erscheinen lassen (Plöchl in WK2 StGB § 277 Rz 12).

Der gegenständliche Beschluss trifft dazu aber keine Verdachtsannahmen, sondern erschöpft sich darin, darauf hinzuweisen, dass aufgrund der Aussagen der Beschuldigten Kra*****, K***** und Kr***** vom Vorliegen der jeweils subjektiven Tatseite auszugehen sei (BS 7).

Die angeführten Defizite der angefochtenen Entscheidung erfordern die unverzügliche Klärung der Haftvoraussetzungen im Rahmen einer Haftverhandlung, nicht jedoch die Aufhebung des Beschlusses, weil eine grundrechtskonforme Entscheidung nach der Aktenlage grundsätzlich getroffen werden könnte (§ 7 Abs 1 GRBG; RIS‑Justiz RS0119858).

Bleibt hinzuzufügen, dass der Rechtsfehler mangels Feststellungen auch der Marta Kr***** betreffenden Beschwerdeentscheidung anhaftet, die selbst keine Grundrechtsbeschwerde erhoben hat. Die sich aus § 7 Abs 2 GRBG ergebende Pflicht des Gerichts zur unverzüglichen Herstellung des der Rechtsanschauung des Obersten Gerichtshofs entsprechenden Rechtszustands mit dem ihm zu Gebot stehenden rechtlichen Mitteln erstreckt sich auch auf diese Beschuldigte (11 Os 125/15i; RIS‑Justiz RS0060960 [T3]).

Im Übrigen sei drauf hingewiesen, dass nach § 277 Abs 1 StGB zu bestrafen ist, wer mit einem anderen die gemeinsame Ausführung einer der in dieser Bestimmung genannten strafbaren Handlungen verabredet. Eine Verabredung zu einem nicht in jeweils unmittelbarer Täterschaft (§ 12 erster Fall StGB) bestehenden Zusammenwirken genügt im Hinblick auf die Voraussetzung gemeinsamer Ausführung nicht. Lautet die Absprache dahin, dass der eine die Tat ausführen, der andere hiezu aber nur auf sonstige Weise beitragen soll, kommt kein

Komplott zustande (15 Os 36/05s; Plöchl in WK² StGB § 277 Rz 5; vgl weiters Eder, Die Strafbarkeit des Anwerbens von Raubkomplizen, JBl 2000, 69).

Klargestellt sei mit Blick auf die Sachverhaltsannahmen des Oberlandesgerichts von einer durch die Beschuldigten K***** und S***** „in mehreren Etappen“ (sohin vor dem 6. September 2015 offenkundig noch nicht abschließend) erfolgten Besprechung und Planung des Raubes zum Nachteil des Ko***** weiters, dass ein Komplott nach § 277 Abs 1 StGB bereits vollendet ist, wenn die Komplottanten in voller Tatbereitschaft entschlossen zusammentreffen, um die Einzelheiten ihres verbrecherischen Beginnens fördernd zu erörtern (RIS‑Justiz RS0088249, RS0095730 [T1]). Ein sonstiger Tatbeitrag im Sinne des dritten Falles des § 12 StGB kann (zeitlich) bis zur Deliktsvollendung geleistet werden (RIS‑Justiz RS0090346) und muss zur Tat in ihrer individuellen Erscheinungsform in einer kausalen Beziehung stehen (RIS‑Justiz RS0089562). Ein nach der Vollendung geleisteter Beitrag kann nur noch unter dem Aspekt der Beteiligung an der avisierten Komplotttat von Bedeutung sein (Plöchl in WK² StGB § 277 Rz 14).

Solange die Tat des unmittelbaren Täters nicht zumindest (objektiv) das Versuchsstadium erreicht hat, ist die bis dahin geleistete Unterstützung als versuchte Förderung der Tat (§ 12 dritter Fall StGB) straflos. Hat die Tat des unmittelbaren Täters aber (objektiv) das Versuchsstadium erreicht, stellt die fördernde Tat einen vollendeten sonstigen Tatbeitrag dar (RIS‑Justiz RS0090016).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 8 GRBG.

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