OGH 2Ob51/14k

OGH2Ob51/14k11.9.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

 Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj J***** J*****, geboren am ***** 2009, vertreten durch das Land Wien, Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, (nunmehr) Rechtsvertretung Bezirke 17, 18, 19, Gatterburggasse 14, 1190 Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 14. Jänner 2014, GZ 45 R 546/13x‑10, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 16. Oktober 2013, GZ 6 Pu 117/11i‑4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0020OB00051.14K.0911.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der Vater verpflichtete sich am 12. 8. 2013 vor dem Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Jugendwohlfahrtsträger) mit einer Unterhaltsvereinbarung gemäß § 210 Abs 2 ABGB gegenüber dem durch den Kinder‑ und Jugendhilfeträger vertretenen Minderjährigen, ab 1. 6. 2013 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 470 EUR zu zahlen. Dabei wurde ein monatliches Einkommen des Vaters von 4.300 EUR, sein erhöhter Betreuungsaufwand (offenbar im Zusammenhang mit der überdurchschnittlichen Ausübung des Kontaktrechts) und der Bezug der Familienbeihilfe durch die Mutter berücksichtigt.

Mit Antrag vom 23. 9. 2013 beantragte der Minderjährige, den Vater ab 1. 5. 2013 zu einer erhöhten monatlichen Unterhaltsleistung in Höhe von 590 EUR zu verpflichten. Seit Mai 2013 betreue der Vater das Kind nicht mehr im erhöhten Ausmaß und verdiene 4.300 EUR. Die Überschreitung des doppelten Durchschnittsbedarfs sei im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation beider Elternteile angemessen.

Dem hielt der Vater im Wesentlichen entgegen, dass der bisher vereinbarte monatliche Unterhaltsbetrag in Höhe von 470 EUR unter Berücksichtigung aller Umstände ohnehin bereits der Luxusgrenze entspreche.

Das Erstgericht wies den Erhöhungsantrag des Kindes ab, stellte ein monatliches Einkommen des Vaters inklusive Sonderzahlungen in der Höhe von 3.836,20 EUR fest und ging vom unstrittigen Umstand aus, dass das überdurchschnittliche Kontaktrecht des Vaters bereits seit Mai 2013 (also vor Abschluss des Unterhaltsvergleichs) nicht mehr ausgeübt wurde. Unter Berücksichtigung der Familienbeihilfe ergebe sich jedoch auch bei Außerachtlassung des überdurchschnittlichen Kontaktrechts des Vaters der bisher festgesetzte Unterhaltsbetrag. Dieser entspreche den Kriterien des § 231 ABGB. Seit der letzten Unterhaltsvereinbarung im August 2013 seien keine Änderungen in den Verhältnissen eingetreten.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kindes keine Folge. Es bejahte die Anwendung des § 190 Abs 3 ABGB auch für Vergleiche vor dem Kinder‑ und Jugendhilfeträger und vertrat die Ansicht, dass der Unterhalt demnach ohne Änderung der Verhältnisse und auch losgelöst von den im Vergleich festgesetzten Prämissen (neu) zu bemessen sei. Unter Berücksichtigung der Transferleistungen und der (wegen des überdurchschnittlichen Einkommens des Vaters) herangezogenen „Luxusgrenze“ ging es davon aus, dass der bisher vereinbarte monatliche Unterhaltsbetrag von 470 EUR ohnedies den maßgeblichen Kriterien zu § 231 ABGB entspreche. Es erachtete unter Rücksicht auf das Alter des vierjährigen Kindes die Zuerkennung des Doppelten des Durchschnittsbedarfs als Unterhalt als angemessen.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil noch ungeklärt sei, ob bei einem Erhöhungsantrag nach Abschluss einer Unterhaltsvereinbarung gemäß § 190 Abs 3 ABGB für das Kind die seinerzeit festgelegten Prämissen bindend sind oder nicht, wobei das Rekursgericht bei der Begründung der Zulässigkeit auch darauf hinwies, dass der Unterhalt hier nach Abschluss einer Vereinbarung gemäß § 210 Abs 2 ABGB iVm § 190 Abs 3 ABGB zu bemessen sei.

Der vom Kind erhobene Revisionsrekurs ist entgegen diesem Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Die in der angefochtenen Entscheidung als erheblich iSd § 62 Abs 1 AußStrG erachtete Rechtsfrage, ob aus der Bestimmung des § 190 Abs 3 ABGB folgt, dass die im Vergleich festgelegten Prämissen für das Kind bindend sind oder nicht, ist für die Entscheidung nicht präjudiziell.

2.1 Geht man ‑ wie das Rekursgericht ‑ davon aus, dass § 190 Abs 3 ABGB hier anzuwenden und der Unterhalt ohne Rücksicht auf die Vergleichsgrundlagen jedenfalls neu zu bemessen ist, wäre zur Höhe des Unterhalts an die jedenfalls vertretbare Rekursentscheidung anzuknüpfen.

2.2 Bei einem überdurchschnittlichen Einkommen des Unterhaltspflichtigen ist die Prozentkomponente nicht voll auszuschöpfen; es sind einem Kind Unterhaltsbeträge zuzusprechen, die zur Deckung seiner ‑ an den Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen orientierten ‑ Lebensbedürfnisse erforderlich sind. Ob jedoch ein „Unterhaltsstopp“ im Einzelfall bei einem Kind beim Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs oder schon beim (rund) Zweifachen davon liegt, ist keine erhebliche Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0007138; zuletzt zB 1 Ob 149/13p; 8 Ob 82/13m; 1 Ob 15/14h). Das erkennt auch der Revisionsrekurswerber, der ausdrücklich die „Berücksichtigung der Einzelfallumstände“ postuliert.

Wo die Grenzen einer den Bedürfnissen des Kindes und dem Leistungsvermögen des Unterhaltspflichtigen angemessenen Alimentierung zu ziehen sind, ist im Einzelfall zu beurteilen; als Richtwerte können aber das Zweifache (bei Kindern unter 10 Jahren) bzw das Zweieinhalbfache (bei älteren Kindern) des jeweiligen Durchschnittsbedarfssatzes gelten (vgl zB 6 Ob 15/09p mwN).

Das Rekursgericht hat sich daran orientiert. Es ist daher die Frage, ob dem Minderjährigen ein höherer Unterhalt als rund das Zweifache des Regelbedarfs einer Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof entzogen (8 Ob 602/91; 1 Ob 579/93 [jedenfalls bei einem Kind bis zum sechsten Lebensjahr]), zumal das Rekursgericht diese Rechtsfrage jedenfalls vertretbar gelöst hat (vgl 6 Ob 15/09p, 6 Ob 127/10k).

3.1 Auch bei Annahme „bindender Prämissen“ im Fall einer Anwendung des § 190 Abs 3 ABGB wäre für das Kind nichts gewonnen. Weicht eine Unterhaltsvereinbarung vom gesetzlichen Unterhalt ab und sind die von den Parteien zugrundegelegten Bemessungsfaktoren („Vergleichsrelationen“) erkennbar, dann sind diese Bemessungsfaktoren auch bei der Anpassung der Unterhaltsvereinbarung an die geänderten Verhältnisse vorrangig zu berücksichtigen (2 Ob 33/99p; 2 Ob 253/08g; RIS‑Justiz RS0019018 [T15]).

3.2 Aus der Vereinbarung vom 12. 8. 2013 kann aber gerade keine deutlich erkennbare Prämisse dahin abgeleitet werden, dass dem Kind das Zweieinhalbfache des Regelbedarfs nur wegen des erhöhten Betreuungsaufwands des Vaters nicht zugebilligt wurde. Der allgemein gehaltene Hinweis auf den erhöhten Betreuungsaufwand reicht für eine derartige Annahme nicht aus. Es ist aus der Vereinbarung auch nicht ableitbar, dass dem Kind das Zweieinhalbfache des Regelbedarfs in der Zukunft gesichert werden sollte, sobald der erhöhte Betreuungsaufwand wegfällt.

Derartiges hat der Revisionsrekurswerber im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren auch nicht behauptet. In seinem Antrag vor dem Erstgericht stützt er die Überschreitung des doppelten Durchschnittsbedarfs auf die wirtschaftliche Situation der Eltern. Mit dem (behaupteten) Wegfall des Betreuungsaufwands wird vielmehr im Zusammenhang mit der Änderung der Verhältnisse argumentiert (vgl Rekurs ON 5).

3.3 Schließlich könnte der „Wegfall“ des erhöhten Betreuungsaufwands eine Überschreitung des von den Vorinstanzen angenommenen doppelten Regelbedarfs auch deshalb nicht rechtfertigen, weil der Vater das überdurchschnittliche Kontaktrecht bereits vor der Vereinbarung nicht mehr ausgeübt hat.

Wohl kann das Hervorkommen von neuen Umständen, die eine andere Sachlage ergeben als jene, die dem Vergleich zugrunde lag, bei der Neufestsetzung berücksichtigt werden (vgl 6 Ob 81/00f; 7 Ob 293/06y; 4 Ob 37/06d; RIS‑Justiz RS0107667). Das setzt aber voraus, dass zumindest einer der Parteien irrtümlich von falschen Bemessungsvoraussetzungen ausgegangen ist (vgl RIS‑Justiz RS0032543). So kann zB der Unterhalt bei unrichtigen Angaben des Verpflichteten über seine Einkommensverhältnisse nach Feststellung der wahren Verhältnisse erhöht werden (7 Ob 1610/91). Im Verfahren wurden aber keine Umstände behauptet oder sind sonst hervorgekommen, die einen Irrtum der Parteien über die tatsächlichen Grundlagen der Unterhaltsbemessung, insbesondere über den Betreuungsaufwand des Vaters, nahelegen (vgl auch 6 Ob 81/00f).

3.4 Erkennbare Vergleichsrelationen ließen sich hier nur aus dem der Vereinbarung zugrundegelegten monatlichen Einkommen des Vaters (4.300 EUR) und dem Unterhaltsbetrag (470 EUR) ableiten (vgl 6 Ob 81/00f; 6 Ob 57/03f; 2 Ob 58/13p; RIS‑Justiz RS0019018), worauf sich der Minderjährige im Ergebnis aber nicht stützen kann, weil ein (nun geringeres) Einkommen des Vaters in der Höhe von 3.836,20 EUR festgestellt wurde.

4. Das Ergebnis hängt somit nicht davon ab, ob man die Bemessung des Unterhaltsanspruchs von den Prämissen des Vergleichs abhängig macht oder nicht. Bei dieser Sachlage käme somit der Lösung der vom Rekursgericht als erheblich angesehenen Rechtsfrage nur theoretische Bedeutung zu. Die Anrufung des Obersten Gerichtshofs ist aber nach § 62 Abs 1 AußStrG (wie nach § 528 Abs 1 ZPO und § 502 Abs 1 ZPO) nur zulässig, wenn die Entscheidung gerade von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, die angeschnittene Rechtsfrage also für die Entscheidung präjudiziell ist (RIS‑Justiz RS0088931; Schramm in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 62 Rz 33; Zechner in Fasching/Konecny 2 IV/1 § 502 ZPO Rz 60). Fehlende Relevanz für die Entscheidung des zu beurteilenden Falls schließt aber das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage aus.

5. Auch der Revisionsrekurs zeigt keine (sonstige) erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 AußStrG auf.

6. Da somit keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu lösen sind, ist der Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen.

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