OGH 1Ob149/13p

OGH1Ob149/13p29.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr.

Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin K***** F*****, vertreten durch den Sachwalter Dr. Robert Kugler, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die Antragsgegnerin B***** F*****, vertreten durch Gradischnig & Gradischnig Rechtsanwälte GmbH in Villach, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 15. Mai 2013, GZ 4 R 173/13b‑54, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 25. März 2013, GZ 4 Fam 104/10f‑50, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0010OB00149.13P.0829.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs und die Revisionsrekursbeantwortung werden zurückgewiesen.

Begründung

Die volljährige Antragstellerin begehrte von ihrer Mutter ab 1. 3. 2009 zuletzt monatliche Unterhaltsbeträge von 350 EUR. Das Erstgericht verpflichtete die Mutter für die Zeit vom 1. 3. 2009 bis 31. 12. 2010 zur Zahlung eines rückständigen Unterhalts von 1.690,50 EUR und ab 1. 1. 2011 zu laufenden monatlichen Unterhaltszahlungen von 300 EUR. Das Mehrbegehren wies es unbekämpft ab.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter nicht Folge und ließ den Revisionsrekurs zunächst nicht zu.

Über Zulassungsvorstellung der Mutter änderte es seinen Zulassungsausspruch ab und erklärte den Revisionsrekurs für zulässig, weil der Vater der Antragstellerin, von dem sie ebenfalls Unterhalt begehrt, einen gemäß § 62 Abs 5 AußStrG zulässigen außerordentlichen Revisionsrekurs (8 Ob 82/13m) erhoben habe, sodass es entsprechend dem Grundsatz der Entscheidungsharmonie notwendig sei, zur Vermeidung abweichender Entscheidungen auch der Mutter den Zugang zum Höchstgericht zu ermöglichen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 71 Abs 1 AußStrG) nicht zulässig.

1. Die Mutter wiederholt in ihrem Revisionsrekurs im Wesentlichen die in ihrem Rekurs vorgetragenen Argumente. Mit diesen Ausführungen, vor allem zur Selbsterhaltungsfähigkeit der Antragstellerin, zeigt sie keine erhebliche Rechtsfrage auf.

2.1. Die Zumutbarkeit der Erwerbstätigkeit eines unterhaltsberechtigten Kindes wird im Allgemeinen für die Zeit nach Abschluss einer Berufsausbildung und Zuerkennung eines angemessenen Zeitraums für die zielstrebige Arbeitsplatzsuche bejaht (8 Ob 3/13v mwN). In dieser Entscheidung wurde dazu ausgesprochen, dass der Unterhaltsanspruch eines Kindes (nunmehr nach § 231 ABGB idF BGBl I 2013/15) außerhalb des Pflichtschulalters grundsätzlich erst dann erlischt, wenn das Kind nach Beendigung der Schulausbildung eine zielstrebige Berufsausbildung oder zumutbare Erwerbstätigkeit nach Abschluss der Berufsausbildung unterlässt. Dementsprechend ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Annahme der von der Mutter behaupteten fiktiven Selbsterhaltungsfähigkeit voraussetzt, dass das Kind am Scheitern einer angemessenen Ausbildung oder einer Berufsausübung ein Verschulden trifft. Ein Unterhaltsberechtigter verliert den Unterhaltsanspruch also nur dann, wenn er die Aufnahme einer zumutbaren Erwerbstätigkeit aus Verschulden unterlässt (1 Ob 88/08k; 2 Ob 179/10b, jeweils mwN). Während einer zuzubilligenden Ausbildung ist das Kind nicht verpflichtet, eine damit nicht im Zusammenhang stehende Erwerbstätigkeit auszuüben ( Neuhauser in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 140 Rz 418).

2.2. Nach den Feststellungen absolvierte die Antragstellerin die WIFI‑Berufsausbildung zur Fußpflegerin im Rahmen ihrer sozialpädagogischen Behandlung, somit zu Therapiezwecken. Entgegen der Behauptung der Mutter hat das Rekursgericht im Einklang mit dem festgestellten Sachverhalt festgehalten, dass es nie dem Berufswunsch der Antragstellerin entsprochen habe, ihren Lebensunterhalt als Fußpflegerin zu bestreiten.

Selbst wenn man diese WIFI‑Ausbildung als abgeschlossene Berufsausbildung im Sinn der unterhaltsrechtlichen Judikatur ansähe (grundsätzlich verneinend 2 Ob 126/10h), kann unter den gegebenen Umständen eine Tätigkeit der Antragstellerin als Fußpflegerin nicht als zumutbare Berufsausübung qualifiziert werden. Der von der Mutter in dieser Hinsicht geäußerte Verschuldensvorwurf ist nicht berechtigt.

2.3. Einem Kind kann eine zweite Ausbildung zugebilligt werden, wenn es eine ernsthafte Neigung und besondere Eignung sowie ausreichenden Fleiß für eine derartige weitere Ausbildung erkennen lässt, es weiters für den Unterhaltsschuldner als zumutbar erscheint, dafür Leistungen zu erbringen, und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass dadurch eine nicht unbedeutende Verbesserung des künftigen Fortkommen des Kindes eintreten wird (RIS‑Justiz RS0107722). Die genannten Bestimmungsfaktoren stellen ein bewegliches System dar, das eine den jeweiligen Umständen des Einzelfalls angepasste Ausmittlung der weiterbestehenden Unterhaltspflicht ermöglichen soll. Maßstab für die Belastbarkeit des Geldunterhaltspflichtigen ist die Orientierung an einer intakten Familie (2 Ob 179/10b mwN).

Auch nach diesen Kriterien halten sich die Entscheidungen der Vorinstanzen im Rahmen der Rechtsprechung. Eine fehlende Eignung der Antragstellerin für ihr Bachelorstudium hat die Mutter nicht dargelegt. Die grundsätzliche Eignung ergibt sich im Übrigen aus dem Erlangen der Studienberechtigung (vgl 3 Ob 116/02h; 2 Ob 39/08m, zur Reifeprüfung). Mit einer akademischen Ausbildung sind in der Regel verbesserte Fortkommenschancen verbunden. Da das in Rede stehende Studium dem Berufswunsch und der Neigung der Antragstellerin entspricht, ist mit Rücksicht auf ihre persönliche Situation zu erwarten, dass ihr dieses Studium die Gelegenheit eröffnet, in Zukunft zu ihrem Lebensunterhalt beizutragen. Dass der Mutter nach ihren Einkommens‑ und Vermögensverhältnissen die Beteiligung an den Kosten des Studiums möglich und zumutbar ist, ist nicht strittig (vgl RIS‑Justiz RS0047580).

2.4. Die Mutter weist zutreffend darauf hin, dass ein studierendes Kind nur solange Anspruch auf Unterhalt hat, als das Studium ernsthaft und zielstrebig betrieben wird (RIS‑Justiz RS0110600 [T6]). Allerdings kann auch die Frage, wann ein Kind seinen Unterhaltsanspruch verliert, weil es die Ausbildung nicht zielstrebig verfolgt, nur nach den Umständen des konkreten Einzelfalls beurteilt werden (vgl RIS‑Justiz RS0047580 [T3]; 1 Ob 239/09t; 8 Ob 3/13v mwN). Dabei kommt es nach der Rechtsprechung auf den ex post zu betrachtenden Studienfortgang unter Berücksichtigung der durchschnittlichen bzw angemessenen Studiendauer an (vgl RIS‑Justiz RS0110600).

Ausbildungsunwilligkeit und fehlendes Bemühen wird der Antragstellerin von ihrer Mutter nicht unterstellt. Das Rekursgericht hat in diesem Zusammenhang auf die Belastung der Antragstellerin durch ihr Kleinkind ohne jede familiäre Unterstützung und auf ihre persönliche Entwicklung hingewiesen. Mit Rücksicht auf diese besonderen Umstände würde ihr im Rahmen einer intakten Familie die Absolvierung des gewünschten Studiums in angemessener Zeit zugebilligt werden, und zwar ungeachtet des therapiebedingt abgeschlossenen WIFI‑Kurses.

2.5. Insgesamt erweist sich die Beurteilung des Rekursgerichts, dass die überdurchschnittlichen Lebensverhältnisse der Eltern und die persönliche Lebenssituation der Antragstellerin unterhaltsrechtlich für die Weiterführung der universitären Ausbildung sprechen, als nicht korrekturbedürftig. Das Rekursgericht hat dazu auch darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin nach wie vor auch für sich selbst die Familienbeihilfe bezieht. Dieser Umstand kann zumindest als Indiz für die Zielstrebigkeit der studierenden Unterhaltsberechtigten herangezogen werden (vgl 1 Ob 239/09t).

3.1. Für die Zeit des Aufenthalts in einem Therapiezentrum wurde der Antragstellerin angesichts der Lebensverhältnisse der Eltern ein Taschengeld zuerkannt. Die Mutter beruft sich nicht auf das Vorliegen einer Drittpflege, steht aber auf dem Standpunkt, dass ihrer Tochter auch in dieser Zeit von den Eltern Unterkunft, Nahrung, Bekleidung, Freizeitgestaltung und Urlaub finanziert worden seien.

3.2. Der Gesamtunterhaltsbedarf besteht nicht nur aus der Verpflegung im Sinn einer „Vollversorgung“. Vielmehr gehören dazu auch die zusätzlichen Bedürfnisse des Kindes, wie etwa Kleidung, kulturelle und sportliche Bedürfnisse, Ferienkosten, aber auch Taschengeld zur individuellen Befriedigung höchstpersönlicher Bedürfnisse, das dem Alter des Kindes und den elterlichen Lebensverhältnissen angemessen sein muss (vgl 6 Ob 230/01v; 2 Ob 211/11k, jeweils mwN).

Wie bereits ausgeführt, ist bei der Festsetzung des Geldunterhalts stets auf die Verhältnisse in einer intakten Familie Bedacht zu nehmen (1 Ob 177/02i). Unter dieser Voraussetzung und unter Bedachtnahme auf die hier vorliegenden Verhältnisse weicht das Rekursgericht auch mit seinen Überlegungen zum Taschengeld während des Therapieaufenthalts der Antragstellerin nicht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ab.

4.1. Bei überdurchschnittlichen Einkommensver-hältnissen wird die Berücksichtigung von Luxusbedürfnissen des unterhaltsberechtigten Kindes vor allem aus pädagogischen Gründen abgelehnt. Nach der Rechtsprechung soll es daher nicht zu einer verschwenderischen, vom vernünftigen Bedarf eines Kindes völlig losgelösten Überalimentierung kommen. Die Grenzen einer den Bedürfnissen des Kindes und dem Leistungsvermögen des Unterhaltsschuldners angemessenen Alimentierung lassen sich wiederum nur im Einzelfall bestimmen. Es gibt daher keinen allgemeinen, mit einem bestimmten Vielfachen des Regelbedarfs festgesetzten „Unterhaltsstopp“ (RIS‑Justiz RS0047424 [T2, T5]; RS0007138 [T16, T20]).

4.2. Das Rekursgericht hat im Einklang mit diesen Rechtsgrundsätzen den Standpunkt der Mutter abgelehnt, der Geldunterhaltsanspruch ihrer Tochter (gegenüber beiden Eltern) finde bei 1.300 EUR eine absolute Grenze. Der im Anlassfall mit dem 2,9‑fachen des Regelbedarfsatzes zuerkannte monatliche Unterhaltsbetrag (von beiden Elternteilen) kann nicht als Überalimentierung zur Befriedigung verschwenderischer Luxusbedürfnisse qualifiziert werden. Das Argument der Mutter, die Wünsche der Antragstellerin im Zusammenhang mit ihrer Berufsausbildung legten das Vorliegen einer pädagogisch schädlichen Überalimentierung dar, ist nicht verständlich.

5.1. Anders als das Rekursgericht annimmt, ist auch die Frage der Berücksichtigung von Taggeldern aus einer privaten Krankenversicherung in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs geklärt. Dieselben Überlegungen gelten auch für den von den Vorinstanzen angesprochenen „Vergütungsanspruch“, der daraus resultiert, dass die Antragstellerin anlässlich der Geburt ihres Kindes nicht die Sonderklasse in Anspruch nahm.

In der Entscheidung 8 Ob 1/13z (= RIS‑Justiz RS0128528) wurde dazu ‑ unter Bezugnahme auf die Entscheidung 8 Ob 140/05d ‑ dargelegt, dass der Zweck des Taggeldes aus einer privaten Krankenversicherung darin besteht, die mit dem stationären Aufenthalt in der Krankenanstalt verbundene Unbill auszugleichen. Das Taggeld hat demnach aufgrund der besonderen Zweckwidmung ‑ so wie etwa das Schmerzengeld ‑ keine Entgeltersatzfunktion und ist daher nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen. Außerdem dient das Taggeld der Deckung eines abstrakten Bedarfs, der durch den Spitalsaufenthalt entsteht, nicht aber dem Ausgleich konkreter Krankenkosten. Es handelt sich damit nicht um eine typische Leistung, mit der krankheitsbedingte Mehrausgaben abgedeckt werden. Daraus folgt, dass das Taggeld zur Gänze aus der Bemessungsgrundlage (des Unterhaltspflichtigen) auszuscheiden ist, und nicht nur insoweit, als sich ein bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigender krankheitsbedingter Mehraufwand ergibt.

5.2. Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich, dass ein vom Unterhaltsberechtigten (tatsächlich) bezogenes Taggeld nicht als Eigeneinkommen zu qualifizieren ist. Selbst dann, wenn die Antragstellerin eine derartige Leistung aus der privaten Krankenversicherung ausbezahlt erhalten hätte, was hier jedoch nicht der Fall ist, müsste sie sich diese nicht anrechnen lassen. Die Mutter kann sich somit nicht darauf berufen, ihre Tochter hätte die Versicherungsleistung in Anspruch nehmen müssen, um ihre Geldunterhaltspflicht zu mindern.

6. Mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen.

7. Die Mitteilung des Rekursgerichts, dass der Antragstellerin die Beantwortung des Revisionsrekurses freigestellt wird, wurde ihrem Vertreter am 18. 7. 2013 zugestellt (§ 63 Abs 5, § 68 Abs 3 Z 2 AußStrG). Die Revisionsrekursbeantwortung war beim Rekursgericht einzubringen (§ 68 Abs 4 Z 1 AußStrG). Nachdem die Antragstellerin die Revisionsrekursbeantwortung beim Erstgericht eingebracht hatte, langte diese erst nach Ablauf der für die Überreichung des Schriftsatzes offenstehenden Frist von 14 Tagen (§ 68 Abs 1 AußStrG) ‑ am 2. 8. 2013 ‑ beim Rekursgericht ein. Wird ein Rechtsmittel (eine Rechtsmittelbeantwortung) bei einem funktionell nicht zuständigen Gericht eingebracht, ist für den Zeitpunkt der Rechtzeitigkeit der Zeitpunkt des Einlangens beim zuständigen Gericht maßgebend (RIS‑Justiz RS0043678). Die entgegen § 68 Abs 4 Z 1 AußStrG beim Erstgericht eingebrachte Revisionsrekursbeantwortung ist daher verspätet, weil sie beim Rekursgericht erst nach Ablauf der 14‑tägigen Frist eingelangt ist (vgl zu § 68 Abs 4 Z 2 AußStrG: 6 Ob 221/09g; 3 Ob 241/12f, jeweils mwN) und somit zurückzuweisen.

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