OGH 6Ob127/10k

OGH6Ob127/10k1.9.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache des 1. J***** B*****, geboren am 24. April 1992, und 2. der mj A***** B*****, geboren am 28. Jänner 1994, beide vertreten durch Dr. Klaus E. Mitzner und Dr. Michael Krautzer, Rechtsanwälte in Villach, über deren Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 24. März 2010, GZ 2 R 34/10t-16, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom 26. November 2009, GZ 2 P 126/09a-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts unter Einschluss des in Rechtskraft erwachsenen Teils zu lauten hat:

I.

Der vom Vater Dipl.-BW W***** B*****, bisher für J***** B***** zu leistende monatliche Unterhalt von 730 EUR wird

a) vom 1. 5. 2007 bis 31. 1. 2009 um 180 EUR auf monatlich 910 EUR, und

b) beginnend ab 1. 2. 2009 um 220 EUR auf monatlich 950 EUR erhöht.

Dipl.-BW W***** B***** ist schuldig, die bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses fällig gewordenen Erhöhungsbeträge binnen 14 Tagen, die in Hinkunft fällig werdenden Unterhaltsleistungen jeweils bis zum 5. eines jeden Monats im Vorhinein zu bezahlen.

II.

Der vom Vater Dipl.-BW W***** B***** bisher für die mj A***** B***** zu leistende monatliche Unterhalt von 730 EUR wird

a) vom 1. 7. 2007 bis 31. 1. 2009 um 50 EUR auf 780 EUR und

b) ab 1. 2. 2009 um 220 EUR auf 950 EUR erhöht.

Dipl.-BW W***** B***** ist schuldig, die bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses fällig gewordenen Erhöhungsbeträge binnen 14 Tagen, die in Hinkunft fällig werdenden Unterhaltsleistungen jeweils bis zum 5. eines jeden Monats im Vorhinein zu Handen der Mutter C***** S***** B***** zu bezahlen.

III.

Das auf Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 950 EUR je Kind ab 1. 8. 2006 gerichtete Erhöhungsbegehren wird, soweit es die in den Spruchpunkten I. und II. ersichtlichen Beträge und Zeiträume übersteigt, abgewiesen.

IV.

Die Parteien haben ihre Kosten selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Kinder - J***** ist mittlerweile volljährig - lebten in gemeinsamer Obsorge ihrer Mutter und ihres Vaters. Sie halten sich überwiegend bei der Mutter auf. Aufgrund des am 1. 12. 2004 vor dem Erstgericht abgeschlossenen Scheidungsfolgenvergleichs war der Vater seit 1. 1. 2005 zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 730 EUR je Kind verpflichtet.

Am 28. 7. 2009 beantragten die von ihrer Mutter vertretenen Kinder zuletzt die Erhöhung des vom Vater je Kind zu leistenden Unterhalts auf 950 EUR ab 1. 8. 2006. Seit dem Unterhaltsvergleich hätten sich die Verhältnisse insofern geändert, als die Kinder aufgrund ihres höheren Alters auch steigende Bedürfnisse hätten und es darüber hinaus seit dem Jahr 2004 zu einer entsprechenden Geldentwertung gekommen sei.

Der Vater sprach sich gegen den Unterhaltserhöhungsantrag aus, weil die begehrte Erhöhung das Zweifache des Regelbedarfs überschreite und auch der Bezug der Familienbeihilfe durch die Mutter zu berücksichtigen sei.

Das Erstgericht erhöhte den vom Vater für seinen Sohn zu leistenden Unterhalt auf monatlich 785 EUR vom 1. 5. 2007 bis 31. 12. 2007, auf 815 EUR vom 1. 1. 2008 bis 31. 12. 2008 und auf 820 EUR ab 1. 1. 2009; den für die Tochter zu leistenden monatlichen Unterhalt erhöhte es auf 820 EUR ab 1. 2. 2009. Das Mehrbegehren wies es ab.

Es ging von folgenden Feststellungen aus:

Der Vater ist seit 15. 5. 2001 bei der K***** W***** beschäftigt. Er hat als Geschäftsführer im Jahr 2008 netto 108.216,84 EUR, einschließlich eines Sachbezugs (PKW) von monatlich 600 EUR, verdient. Dies ergibt ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 9.018 EUR. Die für die Anrechnung der Familienbeihilfe maßgeblichen steuerpflichtigen Bezüge des Vaters betrugen im Jahr 2008 51.776,46 EUR. Der Vater hat keine weiteren Sorgepflichten. Die Kinder leben im Haushalt ihrer Mutter, die auch die Familienbeihilfe bezieht.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass im Hinblick auf das Durchschnittseinkommen des Vaters jedenfalls der Unterhaltsstopp in Höhe des Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs greife. Auch ein Vater, dessen Unterhaltsleistung durch den Unterhaltsstopp bereits limitiert sei, habe Anspruch, durch Anrechnung eines Teils der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrags steuerlich entlastet zu werden. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Unterhaltsvergleichs sei J***** 12 Jahre und A***** knapp 11 Jahre alt gewesen. Berücksichtige man die nach den in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entwickelten Kriterien berechnete steuerliche Entlastung des Vaters, so ergebe sich, dass bis zum Eintritt der Kinder in die nächste Altersklasse, somit ab Beginn des 15. Lebensjahrs, der bisher festgesetzte monatliche Unterhalt von 730 EUR eine angemessene und auch maximale Unterhaltsleistung darstelle. Mit den zugesprochenen Beträgen nähmen die Kinder in den festgesetzten Zeiträumen angemessen an den Lebensverhältnissen ihres Vaters teil.

Das Rekursgericht gab den von den Kindern und vom Vater gegen diesen Beschluss erhobenen Rekursen nicht Folge. Die zuerkannten Beträge erreichten zwar nicht die in der Rechtsprechung immer wieder herangezogene „Grenze“ des Zweieinhalbfachen der Regelbedarfssätze, sie seien jedoch für Kinder im Alter der Antragsteller insbesondere deshalb angemessen, weil der monatliche Unterhaltsbetrag nicht schon im Kindes- bzw Jugendalter einem (zu Beginn einer beruflichen Tätigkeit erzielbaren) Arbeitseinkommen bzw dem die Selbsterhaltungsfähigkeit herstellenden Einkommen eines Vollerwerbstätigen gleichkommen solle. Die Bedürfnisse der Kinder könnten auch in Anbetracht der ausgezeichneten Einkommensverhältnisse des Vaters in einer diesen Lebensverhältnissen angemessenen Weise gedeckt werden. Ein spezieller sonstiger Bedarf oder besondere Lebensumstände, die eine noch höhere Bemessung angebracht erscheinen ließen, seien in erster Instanz nicht behauptet worden.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil das Rekursgericht von der vom Obersten Gerichtshof für den Durchschnittsfall aufgestellten Regel, die beim etwa Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs die „Luxusgrenze“ bzw den Beginn einer „Überalimentierung“ annehme, nach unten abgewichen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der von den Kindern dagegen erhobene Revisionsrekurs, der eine Abänderung im Sinn eines Zuspruchs von 950 EUR je Kind ab 1. 8. 2006 anstrebt, ist zulässig und teilweise auch berechtigt.

1. Der Vater macht in seiner Revisionsrekursbeantwortung geltend, der Revisionsrekurs seines Sohnes J***** sei zurück- oder abzuweisen, weil davon auszugehen sei, dass im Zeitpunkt der Rechtsmittelerhebung die einschreitenden Rechtsanwälte keine Prozessvollmacht des am ***** volljährig gewordenen J***** gehabt hätten, beriefen sie sich doch nicht auf eine von diesem, sondern von der Mutter erteilte Prozessvollmacht.

Dem ist zu erwidern, dass die vom gesetzlichen Vertreter eines Minderjährigen erteilte Prozessvollmacht gemäß dem - im Außerstreitverfahren sinngemäß anzuwendenden (§ 6 Abs 4 AußStrG) - § 35 Abs 1 ZPO nicht bei Erreichen der Volljährigkeit, sondern erst durch Widerruf des nunmehr volljährigen Machtgebers erlischt (RIS-Justiz RS0035654 [T1]; Zib in Fasching² § 35 ZPO Rz 29 mwN). Im Übrigen wurde der Revisionsrekurs vor J*****s 18. Geburtstag erhoben.

2. Hohes Einkommen des Unterhaltspflichtigen darf nicht dazu führen, den Unterhaltsberechtigten über die Angemessenheitsgrenze des § 140 ABGB hinaus zu alimentieren. Bei einem überdurchschnittlichen Einkommen des Unterhaltspflichtigen ist die Prozentkomponente daher nicht voll auszuschöpfen. Wo die Grenzen einer den Bedürfnissen des Kindes und dem Leistungsvermögen des Unterhaltspflichtigen angemessenen Alimentierung zu ziehen sind, lässt sich nur im Einzelfall beurteilen. Maßgebend ist hierbei die Verhinderung einer pädagogisch schädlichen Überalimentierung. Jede (deutliche) Abweichung vom Ergebnis der Prozentsatzmethode bedarf einer besonderen Rechtfertigung. Einer Begründung bedarf dann aber auch die Setzung des Unterhaltsstopps im jeweiligen Einzelfall; die bloße Angabe eines bestimmten Vielfachen des Regelbedarfs als starre Rechengröße genügt hingegen nicht (1 Ob 209/08t; RIS-Justiz RS0007138; RS0047424). Den Unterhaltspflichtigen trifft die Beweislast für die seine Unterhaltsverpflichtung aufhebenden oder vermindernden Umstände (RIS-Justiz RS0006261).

Wenngleich sich die Grenzen einer den Bedürfnissen des Kindes und dem Leistungsvermögen des Unterhaltspflichtigen angemessenen Alimentierung nur im Einzelfall ziehen lassen, können aber nach gefestigter Rechtsprechung als Richtwerte das Zweifache (bei Kindern unter 10 Jahren) bzw das Zweieinhalbfache (bei älteren Kindern) des Regelbedarfs gelten (6 Ob 15/09p mwN). Die Auffassung, als Regel für den Durchschnittsfall könne gelten, dass wegen des pädagogisch wichtigen Leistungsanreizes vermieden werden solle, die Unterhaltsleistung an das die Selbsterhaltungsfähigkeit herstellende Einkommen eines voll Erwerbstätigen heranzuführen (5 Ob 526/94), ist vereinzelt geblieben. Eine so zu bestimmende Obergrenze des Unterhalts ist wegen ihrer sozialen Variabilität kaum praktikabel (Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht4 89).

Im vorliegenden Fall ging das Erstgericht im Sinn einer starren Begrenzung vom Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs aus, ohne eine individuelle Bewertung der Angemessenheitsgrenze vorzunehmen. Es hat lediglich entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach dem Unterhaltspflichtigen die verfassungsmäßig gebotene steuerliche Entlastung durch Anrechnung von Transferleistungen auch dann zugute kommt, wenn seine Leistungsfähigkeit aufgrund eines infolge Erreichens der Luxusgrenze angenommenen Unterhaltsstopps nicht zur Gänze ausgeschöpft wird, den mit dem Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs berechneten Geldunterhaltsanspruch gekürzt. Es fand Folgendes keinerlei Beachtung: Der Vater hat sich im Unterhaltsvergleich zu einer Unterhaltsleistung verpflichtet, die dem rund 2,42-fachen des damals in der Altersklasse seiner Kinder gegebenen Regelbedarfs (302 EUR) entsprach, nicht aber dem um anzurechnende Transferleistungen gekürzten Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs. Der Unterhaltsvergleich hält auch ausdrücklich fest, dass sich die Unterhaltsbeträge exklusive Familienbeihilfe verstehen. Der Vater hat also jahrelang höhere Unterhaltsbeiträge als im Durchschnittsfall geleistet und damit einen „Standard“ geschaffen, der nun - auch aufgrund des höheren Alters der Kinder - beträchtlich unterschritten würde, folgte man der Auffassung der Vorinstanzen. Der Vater hat nicht behauptet, dass sich seine Einkommensverhältnisse seit dem Unterhaltsvergleich verschlechtert hätten und sein Einkommen in den Jahren 2007 und 2009 wesentlich von jenem für das Jahr 2008 festgestellten abwich. Es besteht daher kein Anlass, von der dem Unterhaltsvergleich zugrundeliegende Relation zwischen Unterhaltsleistung und Regelbedarf zu Lasten der Kinder abzuweichen.

3. Gesetzliche Unterhaltsansprüche unterliegen der Umstandsklausel. Der Anspruch kann daher im Fall einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse neu festgelegt werden (RIS-Justiz RS0007161). Eine allgemein gültige Regel, ab wann von einer solchen Änderung der Verhältnisse auszugehen ist oder nicht, lässt sich nicht aufstellen (6 Ob 57/09i; RIS-Justiz RS0047529), weil die Umstände des Einzelfalls von wesentlicher Bedeutung sind. Die Kinder haben ihr Erhöhungsbegehren auf ihre aufgrund des höheren Alters auch gestiegenen Bedürfnisse und die Geldentwertung gestützt. Weder der Änderung der Regelbedarfssätze, die das Erstgericht herangezogen hat, noch dem Wechsel der Altersgruppe kommt aber für sich genommen die Bedeutung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse zu (2 Ob 67/09f; RIS-Justiz RS0106742).

Unter Berücksichtigung der seit dem Abschluss des Unterhaltsvergleichs (seit der wesentlichen Änderung der Verhältnisse) verstrichenen Zeit und der seitdem eingetretenen Steigerung der Lebenshaltungskosten ist für J***** eine wesentliche Änderung der Verhältnisse zunächst mit der Vollendung des 15. Lebensjahrs im April 2007 und danach mit 1. 2. 2009 gegeben. Der Regelbedarfssatz für Kinder zwischen 15 und 19 Jahren betrug im Mai 2007 377 EUR und im Februar 2009 391 EUR. Nach Maßgabe der im Anlassfall nach den obigen Ausführungen anwendbaren Relation zwischen Unterhaltsleistung und Regelsbedarfssatz bemisst sich der monatliche Unterhaltsbeitrag gerundet mit 910 EUR vom 1. 5. 2007 bis 31. 1. 2009 und ab 1. 2. 2009 mit 950 EUR.

Für A***** ist unter Zugrundelegung der seit dem Abschluss des Unterhaltsvergleichs zurückgelegten Zeit und der Steigerung der Lebenshaltungskosten die erste wesentliche Änderung der Verhältnisse mit 1. 7. 2007 anzunehmen. Im Juli betrug der Regelbedarfssatz für Kinder bis 15 Jahre 321 EUR. Die nächste wesentliche Änderung der Verhältnisse ist mit der Vollendung des 15. Lebensjahres im Jänner 2009 eingetreten, wenn man auf die seit der letzten wesentlichen Änderung vergangene Zeit Bedacht nimmt. Entsprechend der Vorgangsweise bei J***** ist für A***** der monatliche Unterhaltsbeitrag vom 1. 7. 2007 bis 31. 1. 2009 mit 780 EUR und ab 1. 2. 2009 mit 950 EUR zu bemessen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 101 Abs 2 AußStrG. Nach der Rechtsprechung besteht im Verfahren wegen Kindesunterhalts für nach Erreichen der Volljährigkeit entstandene Vertretungskosten gemäß § 78 AußStrG ein Kostenersatzanspruch bzw eine Kostenersatzverpflichtung (RIS-Justiz RS0123811). Der Anlassfall ist aber besonders gelagert. Der Revisionsrekurs wurde erhoben, bevor J***** volljährig wurde. Die Revisionsrekursbeantwortung wurde nach dem Eintritt der Volljährigkeit erstattet. Es würde dem Zweck der Vorschrift des § 101 Abs 2 AußStrG, die auf die Kosten des Antragstellers anwendbar ist, widersprechen, in dieser Situation dem Antragsgegner die Möglichkeit eines Kostenersatzes gemäß § 78 AußStrG zu eröffnen.

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