European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0050OB00164.13Y.0920.000
Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluss des Rekursgerichts wird aufgehoben und diesem die inhaltliche Entscheidung über die Rechtsmittel aufgetragen.
Begründung
Der Revisionsrekurswerber ist Eigentümer von mehreren Wohnungseigentumsobjekten und Liegenschaftsanteilen. Er verfügt über zahlreiche Goldmünzen, Konten, Sparbücher, Bausparverträge, Wertpapierdepots und Lebens- sowie Rentenversicherungen. Bei einigen Konten und Banksafes wurde dessen Ehefrau als Mitinhaberin geführt.
Mit Beschluss vom 19. 4. 2011 wurde für den Revisionsrekurswerber ein einstweiliger Sachwalter zur Besorgung aller finanziellen Angelegenheiten, den Abschluss aller Rechtsgeschäfte, die Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten sowie für die Zustimmung in medizinischen Angelegenheitenbestellt (ON 4 in Band I).Laut einer Mitteilung des einstweiligen Sachwalters an das Erstgericht soll der Revisionsrekurswerber bekanntgegeben haben, dass die Veranlagungen und das Gold zwischen ihm und seiner Frau zu teilen seien. Aufgrund dieser Information trug das Erstgericht dem einstweiligen Sachwalter mit den Beschlüssen ON 63 und ON 64 (jeweils vom 6. 10. 2011) und ON 65 (vom 7. 10. 2011) auf, die darin jeweils genannten Vermögenswerte gemeinsam mit dem Betroffenen und dessen Ehefrau im Verhältnis 50 : 50 zu teilen, den Anteil des Revisionsrekurswerbers an Gold in den Safes zu verwahren und das ihm zukommende Geldrealisat mündelsicher zu veranlagen. Diese Beschlüsse wurden dem Revisionsrekurswerber erst am 3. 5. 2012 zugestellt (ON 127 in Band II).
Mit Beschluss vom 6. 2. 2013 (ON 212 in Band III) stellte das Erstgericht das für den Revisionsrekurswerber eingeleitete Sachwalterbestellungsverfahren wegen der Besserung seines Zustands ein und enthob den einstweiligen Sachwalter.
Das Rekursgericht wies die erst am 18. 3. 2013 (ON 222‑225 in Band III) vorgelegten Rechtsmittel des (ehemaligen) Betroffenen gegen die Beschlüsse vom 6. und 7. 10. 2011 als unzulässig zurück. Die Trennung der Vermögenswerte sei bereits vor längerer Zeit faktisch durchgeführt worden. Dass der Revisionsrekurswerber rechtzeitig davon verständigt werden hätte müssen, um wirksam gegen die Beschlüsse vorgehen zu können, ändere nichts daran, dass die Herausgabe von Vermögenswerten einer pflegebefohlenen Person, die in den Besitz Dritter gelangt seien, auf dem streitigen Rechtsweg durchgesetzt werden müsse. Einem solchen Herausgabebegehren stünden die formal aufrechten Beschlüsse des Erstgerichts nicht entgegen, weil dadurch keine Titel für einen Eigentumserwerb geschaffen worden seien. Es mangle dem Rechtsmittelwerber daher an der erforderlichen Beschwer. Das Rekursgericht sprach weiters aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Der gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revisionsrekurs des (ehemals) Betroffenen ist zulässig und im Sinne des darin enthaltenen Eventualantrags auf Aufhebung auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1.
Spricht das Rekursgericht nach § 59 Abs 1 Z 2 AußStrG aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig ist, so hat es bei Entscheidungsgegenständen rein vermögensrechtlicher Natur, die nicht ausschließlich in einem Geldbetrag bestehen, auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR übersteigt. Das Rekursgericht hat über alle drei Rechtsmittel des Revisionsrekurswerbers in einer Entscheidung abgesprochen und über deren Zurückweisung einen einheitlichen Ausspruch gefasst. Damit ist der Bewertungsausspruch der Rekursgerichts dahin aufzufassen, dass er für jede der dadurch erfassten Zurückweisungen Geltung hat.
2. Das Rekursgericht vertrat die Auffassung, dass die vom Erstgericht in den angefochtenen Beschlüssen aufgetragenen Trennungen der Vermögenswerte lange vor Erhebung der Rechtsmittel „faktisch durchgeführt“ gewesen seien und die Herausgabe von Vermögenswerten einer pflegebefohlenen Person, die ‑ aus welchem Grund auch immer ‑ in den Besitz Dritter gelangt seien (hier der Ehefrau des Einschreiters, gegen die der Genannte zwischenzeitlich Scheidungsklage eingebracht hat), nur im streitigen Rechtsweg durchgesetzt werden könnte, weswegen der Rechtsmittelwerber durch diese Entscheidungen nicht (mehr) beschwert sei.
3. Auch im Verfahren außer Streitsachen muss ein Rechtsschutzinteresse an der inhaltlichen Behandlung des Rechtsmittels bestehen. Fehlt ein solches Anfechtungsinteresse, die Beschwer, ist ein dennoch erhobenes Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0006880, RS0006598).
4. Bei der Beschwer unterscheidet man die formelle Beschwer und die materielle Beschwer (RIS‑Justiz RS0041868). Nach ganz herrschender Auffassung muss der Rechtsmittelwerber jedenfalls formell beschwert sein (E. Kodek in Rechberger , ZPO³ Vor § 461 Rz 10). Die formelle Beschwer liegt vor, wenn die gefällte Entscheidung zum Nachteil des Rechtsmittelwerbers abweicht. Maßgeblich ist hier regelmäßig der Vergleich zwischen Umfang und Inhalt der Entscheidung und dem Antrag über den sie ergangen ist (RIS‑Justiz RS0041868 [T5]; Fasching in Fasching/Konecny² IV/1 Einleitung Rz 98; Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 vor §§ 514 ff ZPO Rz 58 mwN; G. Kodek/Mayr, Zivilprozessrecht [2011] Rz 887 ff; für das Außerstreitverfahren: Mayr/Fucik, Verfahren außer Streitsachen [2013] Rz 259 ff). Dieser Maßstab muss versagen, wenn die Entscheidung ohne Parteienantrag ergangen ist oder ohne Anhörung des Gegners gefällt wurde. In einem solchen Fall ist vom Rechtsmittelantrag auszugehen, der insoweit regelmäßig den hypothetischen (Gegen-)Antrag des Rechtsmittelwerbers wiederspiegeln wird, wäre diesem im Verfahren erster Instanz Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden (vgl Fasching aaO Rz 108).
5. Die formelle Beschwer allein reicht für das geforderte Rechtschutzinteresse aber nicht immer aus. Wird die Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers durch die (angefochtene) Entscheidung nicht beeinträchtigt, ist die materielle Beschwer nicht gegeben, und das Rechtsmittel ist (ebenfalls) zurückzuweisen (10 Ob 61/10h; 5 Ob 81/10p uva). Dabei kommt es darauf an, dass die Entscheidung ihrem Inhalt nach für den Rechtsmittelwerber keine nachteiligen Folgen hat, für ihn also nicht ungünstig ist ( Fasching aaO Rz 99; E . Kodek aaO Rz 10).
Materielle Beschwer bedeutet daher, dass derjenige ein Rechtsmittel erheben kann, der behauptet, dass seine rechtlich geschützten Interessen durch den angefochtenen Beschluss unmittelbar beeinträchtigt werden, das heißt in dessen Rechtssphäre nachteilig eingegriffen wird (3 Ob 226/08v; RIS‑Justiz RS0118925).
Bei der Prüfung, ob rechtliche Interessen eines Beteiligten beeinträchtigt werden könnten, ist allerdings kein kleinlicher Maßstab anzulegen (8 Ob 32/04w).
6. Nach § 133 AußStrG, der auch in Sachwaltschaftssachen anzuwenden ist, hat das Pflegschaftsgericht zum Wohl des Betroffenen gegebenenfalls Maßnahmen zur Sicherung der Vermögenswerte zu setzen und den Sachwalter bei der Verwaltung des Vermögens zu überwachen (vgl dazu RIS‑Justiz RS0126331). Solche Anordnungen sind, wie generell im Verfahren außer Streit ergangene Entscheidungen, der materiellen und formellen Rechtskraft fähig (RIS‑Justiz RS0007171); sie binden die Betroffenen und die Gerichte (vgl 2 Ob 204/09b). Die mit den genannten Beschlüssen angeordnete Aufteilung von Teilen des Vermögens wirkt in der Rechtssphäre des ehemals Betroffenen nachteilig fort, zumal sie den Anschein einer materiellen Berechtigung der anteiligen Vermögensempfängerin für sich hat. Dessen Beschwer kann daher nicht schon damit verneint werden, dass der Vollzug dieser Anordnungen bereits „faktisch“ erfolgt sei. Dem Revisionsrekurswerber kann damit ein Interesse an einer inhaltlichen Erledigung seiner Rechtsmittel nicht abgesprochen werden, mag auch ein allfälliger Herausgabeanspruch auf dem streitigen Rechtsweg zu verfolgen sein.
7. Dem außerordentlichen Revisionsrekurs ist daher Folge zu geben. Da es dem Obersten Gerichtshof verwehrt ist, nach Aufhebung eines Zurückweisungsbeschlusses des Rekursgerichts eine Sachentscheidung über den Rekurs gegen den erstgerichtlichen Beschluss zu fassen (RIS‑Justiz RS0007037), ist dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung über die Rekurse aufzutragen. Dieses wird über den Bestand der Beschlüsse abzusprechen haben.
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