Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
B e g r ü n d u n g :
Die minderjährigen Zwillinge sind die außer der Ehe geborenen Kinder der Anna Maria H***** und des Peter M*****. Sie leben im Haushalt der Mutter. Der Vater war zuletzt aufgrund einer Entscheidung des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 23. 7. 2004 (rechtskräftig) zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von 200 EUR je Kind verpflichtet. Das Erstgericht bewilligte über Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers mit Beschlüssen vom 18. 5. 2007 den Minderjährigen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe vom 1. 1. 2007 bis 31. 12. 2009. Mit Beschlüssen vom 2. 12. 2009 wurden die Vorschüsse in gleicher Höhe bis zum 31. 12. 2012 weiter gewährt.
Am 13. 4. 2010 beantragte der Vater die rückwirkende Herabsetzung seiner Unterhaltspflicht auf monatlich 100 EUR je Kind ab 1. 5. 2007. Mit Beschlüssen vom 13. 4. 2010 hielt das Erstgericht mit den Unterhaltsvorschüssen beider Minderjähriger mit dem 150 EUR übersteigenden Betrag inne. Nachfolgend schränkte der Vater nach Erörterung von Erhebungsergebnissen seinen Unterhaltsherabsetzungsantrag auf 150 EUR je Kind ab 1. 5. 2007 ein.
Das Erstgericht setzte die vom Vater zu leistenden monatlichen Unterhaltsbeiträgen auf 150 EUR je Kind, rückwirkend ab 1. 5. 2007, herab und begründete dies ausschließlich damit, dass der Vertreter der Kinder im Unterhaltsverfahren (der Jugendwohlfahrtsträger) und die Mutter zum eingeschränkten Herabsetzungsantrag ihre Zustimmung gegeben hätten.
Das Rekursgericht wies den Rekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, mangels Rechtsmittellegitimation als unzulässig zurück. Dem Bund komme nur im Unterhaltsvorschussverfahren, nicht aber im Unterhaltsfestsetzungsverfahren Parteistellung zu. Für die Beteiligtenstellung sei entscheidend, ob die rechtlich geschützte Stellung der betreffenden Person durch die gerichtliche Entscheidung beeinflusst werde. Dabei komme es auf das konkrete Verfahren und dessen Zweck an. Der Schutz des Bundes vor erschwerten Bedingungen bei der Einforderung ausgezahlter Vorschüsse sei nicht Zweck des Unterhaltsfestsetzungsverfahrens. Bloße Reflex- und Tatbestandswirkungen reichten nicht aus. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil eine aktuelle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage fehle, ob nach der geltenden Rechtslage eine Rekurslegitimation des Bundes im Unterhaltsfestsetzungsverfahren in jenen Fällen bestehe, in denen der Bund seine Rechtsposition auf andere Weise nicht zu wahren vermag.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass der Beschluss des Erstgerichts ersatzlos behoben wird; in eventu die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
Eine Revisionsrekursbeantwortung wurde nicht erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zur Klarstellung zulässig, aber nicht berechtigt.
Der Rechtsmittelwerber nimmt den Standpunkt ein, die rückwirkende Herabsetzung der Unterhaltsverpflichtung sei ohne inhaltliche Rechtfertigung erfolgt. Im Ergebnis hätten die Kinder (vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger) rechtsgrundlos einen teilweisen Unterhaltsverzicht abgegeben. Infolge der Zustimmung zur rückwirkenden Herabsetzung der Unterhaltsverpflichtung seien die Regressinteressen des Bundes in Ansehung der bereits ausgezahlten Vorschüsse betroffen, weil die Differenz zwischen den angewiesenen und den nunmehr herabgesetzten Vorschüssen vom Unterhaltsschuldner nicht mehr einforderbar sei. Es liege deshalb einer jener besonderen Fälle vor, in denen die Beschwer des Bundes zu bejahen sei.
Dem ist Folgendes entgegenzuhalten:
1. Im außerstreitigen Verfahren ist Partei im materiellen Sinn jede Person, soweit ihre rechtlich geschützte Stellung durch die begehrte oder vom Gericht in Aussicht genommene Entscheidung oder durch eine sonstige gerichtliche Tätigkeit unmittelbar beeinflusst würde (§ 2 Abs 1 Z 3 AußStrG). Der möglicherweise gegebene Eingriff muss zu einer unmittelbaren Beeinflussung der rechtlichen Stellung führen, ohne dass noch eine andere Entscheidung gefällt werden muss. Eine bloße Reflex- oder Tatbestandswirkung reicht nicht aus (RIS-Justiz RS0123028; RS0120841). Im Kern geht es darum, dass nicht jedes rechtlich geschützte Interesse Parteistellung im konkreten Verfahren vermittelt, sondern nur jenes, dessen Schutz das konkrete Verfahren dient. Entscheidend ist, wer bzw wessen Stellung durch das jeweilige Verfahren (und die dort anzuwendenden Normen) geschützt werden soll (RIS-Justiz RS0123028 [T2]; Fucik/Kloiber, AußStrG § 2 Rz 2; Klicka/Oberhammer/Domej, Außerstreitverfahren, Rz 82). Die Bestimmung des § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG ist eng auszulegen (RIS-Justiz RS0123029).
2. Gemäß § 2 Abs 1 Z 4 AußStrG kommt im außerstreitigen Verfahren weiters jeder Person oder Stelle Parteistellung zu, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften in das Verfahren einzubeziehen ist (§ 2 Abs 1 Z 4 AußStrG). So übt gemäß § 15 Abs 1 UVG der Bund im Verfahren über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen sein Rekursrecht durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts aus. Diese Rekursbefugnis des Bundes, vertreten durch den örtlich zuständigen Präsidenten des Oberlandesgerichts als gesetzlichen Vertreter, wurde explizit durch die UVG-Novelle 1980 BGBl 1980/278 normiert. Wie aus den Gesetzesmaterialien hervorgeht (RV 276 BlgNR 15.GP 13), sollte der zuvor in der Praxis in divergierenden Entscheidungen zum Ausdruck kommenden Unsicherheit begegnet werden. Der Zweck des Rekursrechts des Bundes liege in der Wahrung der Zweiseitigkeit des Verfahrens und der Hintanhaltung der unrechtmäßigen Gewährung von Unterhaltsvorschüssen (RIS-Justiz RS0076559).
3. Wie weit der Präsident des Oberlandesgerichts in anderen Fällen als der Gewährung von Vorschüssen rekursberechtigt ist, ist im Sinne der Ausführungen zu Pkt 1 im jeweiligen Fall zu beurteilen, wobei es auf das konkrete Verfahren und dessen Zweck ankommt. So wurde etwa eine Beschwer des Bundes bei einem Rekurs gegen die rückwirkende Änderung des Typs ausgezahlter Vorschüsse (Umstellung von Titelvorschüssen auf Haftvorschüsse) oder gegen die rückwirkende Einstellung von Vorschüssen bejaht, wenn dadurch die Möglichkeit zur Rückforderung beeinträchtigt wird (10 Ob 71/09b mwN; RIS-Justiz RS0076934). Kommt es zu einer rückwirkenden Einstellung der Unterhaltsverpflichtung kann nämlich der Differenzbetrag vom Unterhaltspflichtigen nicht mehr hereingebracht werden, weil dieser dem Kind gegenüber zu Unterhaltsleistungen für die fragliche Zeit nicht verpflichtet ist. Für das Vorschussverfahren sind demnach in die Beurteilung der Beschwer auch künftige Beeinträchtigungen der Rückforderungs- und Rückersatzmöglichkeiten - insbesondere bei rückwirkender Vorschusseinstellung - einzubeziehen (RIS-Justiz RS0125542; Neumayr in Schwimann, ABGB3, § 15 UVG Rz 20). Weiters wurde eine Beschwer des Bundes bejaht, wenn er weiter zu Vorschusszahlungen verpflichtet ist, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für eine (weitergehende) Herabsetzung oder die Einstellung der Unterhaltsvorschüsse vorliegen (10 Ob 28/09d mwN = RIS-Justiz RS0076559 [T2]).
4. Die Frage, ob dem Bund vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts auch in einem Verfahren zur Festsetzung des Unterhalts („Titelverfahren“) materielle Parteistellung zwecks Wahrung der Rückforderungs- und Rückersatzmöglichkeiten der Unterhaltsvorschüsse zukommt, war bereits Gegenstand der Entscheidung 6 Ob 779/79 = RZ 1981, 178). Noch zu der Rechtslage vor der UVG-Novelle 1980 wurde in dieser Entscheidung ausgesprochen, dass dem Präsidenten des Oberlandesgerichts im Unterhaltsfestsetzungsverfahren nach dem Verfahrensgegenstand keine Beteiligtenstellung zukommt, weil die Bestimmung der dem Unterhaltsschuldner gegenüber dem unterhaltsberechtigten Kind geschuldeten Unterhaltsbeträge die vom Präsidenten des Oberlandesgerichts zu wahrende Rechtsstellung des Bundes nicht berührt (RIS-Justiz RS0006828). Im Unterhaltsfestsetzungsverfahren werde vom Standpunkt der Bevorschussung aus öffentlichen Mitteln nur eine Tatbestandsvoraussetzung für die Bewilligung des Unterhaltsvorschusses geschaffen, weshalb die Parteistellung und das Rekursrecht des Oberlandesgerichts-Präsidenten zu verneinen sei.
5. Diese Entscheidung verlor durch den mit der UVG-Novellen 1980 geschaffenen § 15 Abs 1 UVG nicht ihre Gültigkeit, weil diese Bestimmung lediglich die Stellung des Präsidenten des Oberlandesgerichts als Amtspartei im Verfahren zur Gewährung von Unterhaltsvorschüssen begründete, jedoch keine Aussage zu dessen Rekurslegitimation im Unterhaltsfestsetzungsverfahren trifft. Auch das Inkrafttreten des AußStrG 2005 gibt keinen Anlass, von der Entscheidung 6 Ob 779/79 abzugehen. Wenngleich durch § 2 des AußStrG 2005 die Frage des Parteibegriffs im Außerstreitverfahren einer Neuregelung unterzogen wurde, ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien, dass die bisherige zum Parteibegriff (§ 9 AußStrG aF) ergangene Rechtsprechung aufrechterhalten werden kann (Fucik/Kloiber, AußStrG § 2 Rz 2).
6. Keine anderen Schlussfolgerungen sind auch aus der vom Rekursgericht angesprochenen Entscheidung 1 Ob 105/02a = ÖA 2002, 262) ableitbar. In dieser Entscheidung wurde die Rechtsmittellegitimation des Präsidenten des Oberlandesgerichts in einem Verfahren verneint, das die pflegschaftsbehördliche Genehmigung einer die Rechtssphäre eines Kindes betreffenden Unterhaltsvereinbarung zum Gegenstand hatte. Dies wurde damit begründet, dass es sich dabei nicht um einen Beschluss iSd § 15 Abs 1 UVG („Beschlüsse im Verfahren über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen“) handle und auch nicht einer jener besonderen Fälle vorliege, in denen die bisherige Rechtsprechung ein Rechtsschutzinteresse - und damit die Rechtsmittellegitimation des Bundes - bejaht habe. Die generelle Aussage, dass der Bund vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts auch in anderen Verfahren als dem Unterhaltsvorschussverfahren immer dann rechtsmittellegitimiert ist, wenn er seine sich aus dem UVG ergebende Rechtsposition auf andere Weise nicht wahren könnte, ergibt sich aus dieser Entscheidung hingegen nicht.
7. Die in der Entscheidung 6 Ob 779/79 enthaltene Aussage, in einem Unterhaltsfestsetzungsverfahren sei die Rechtsmittellegitimation des Präsidenten des Oberlandesgerichts zu verneinen, hat auch im Hinblick auf die geltende Rechtslage weiterhin Gültigkeit (vgl Neumayr in Schwimann, ABGB3 § 15 UVG Rz 21). Wesentlich ist, dass nicht jedes schützenswerte Interesse Parteistellung im konkreten Verfahren vermittelt, sondern nur jenes, dessen Schutz das konkrete Verfahren dient. Der Zweck des Unterhaltsfestsetzungsverfahrens liegt aber nicht darin, die rechtliche Stellung des Bundes im Hinblick auf die Rückforderung allenfalls zu viel gewährter Unterhaltsvorschüsse zu schützen, sondern darin, einen Ausgleich der Interessen zwischen Unterhaltsschuldner und unterhaltsberechtigtem Kind zu finden.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es sich bei dem im Verfahren zur Festsetzung des gesetzlichen Unterhalts eines minderjährigen Kindes ergangenen (rückwirkenden) Herabsetzungsbeschluss nicht um einen „im Verfahren über die Gewährung von Vorschüssen“ ergangenen Beschluss iSd § 15 Abs 1 UVG, sondern um einen solchen mit „Reflexwirkung“ handelt, bei dem ein Rechtsschutzinteresse - und damit die Rechtsmittellegitimation - des Bundes zu verneinen ist.
Der Revisionsrekurs erweist sich daher als erfolglos.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)