Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass er zu lauten hat:
Die dem Kind mit Beschluss des Bezirksgerichts Judenburg vom 30. 11. 2007, GZ 6 P 127/96x-U-40, gewährten Unterhaltsvorschüsse werden mit Ablauf des September 2008 eingestellt.
Das Mehrbegehren des Kindes, die Vorschüsse bereits mit Ablauf des Mai 2008 einzustellen, wird abgewiesen.
Text
Begründung
Die am 13. Dezember 2002 geborene D***** D***** L***** ist die Tochter von Petra L***** und Karl Mario G*****; sie ist die Schwester des am 22. 8. 1995 geborenen Lukas Mario L*****. Die Obsorge für D***** D***** kommt allein der Mutter zu, in deren Haushalt sie auch lebt. Der Hauptaufenthalt ihres Bruders Lukas befindet sich beim Vater. Die Obsorge für Lukas kommt aufgrund des von den Eltern am 28. 5. 2008 geschlossenen Vergleichs beiden Eltern zu.
Auf der Grundlage des Beschlusses des Erstgerichts vom 4. 6. 2007 (ON U 37), wonach der Vater seiner Tochter D***** D***** ab 1. 9. 2007 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 153 EUR zu leisten hat, gewährte ihr das Erstgericht mit Beschluss vom 30. November 2007 für die Zeit vom 1. 11. 2007 bis 30. 10. 2010 Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe (153 EUR monatlich).
Mit einer vor dem Jugendwohlfahrtsträger abgeschlossenen Vereinbarung vom 28. 1. 2009 erklärten die Eltern, auf die Geltendmachung und/oder Einhebung von Unterhaltsleistungen zugunsten „des in ihrer Obsorge befindlichen Kindes" mit Wirksamkeit ab 1. 6. 2008 ausdrücklich zu verzichten. Festgehalten wurde, dass diese Vereinbarung auf dem Wunsch der Eltern beruhe, allfällige gegenseitige Unterhaltszahlungen nicht stattfinden zu lassen.
Nachdem im 4. Quartal 2008 mehrfach die Innehaltung der Auszahlung der Vorschüsse angeordnet und wieder aufgehoben worden war, stellte das Erstgericht mit Beschluss vom 20. 2. 2009 über Antrag des Kindes (ON U 62) die Unterhaltsvorschüsse mit Ablauf des Mai 2008 mit der Begründung ein, dass die Eltern am 28. 1. 2009 vereinbart hätten, aufgrund der geänderten Obsorgeverhältnisse solle wechselseitig kein Unterhalt mehr geleistet werden.
Das Rekursgericht gab dem vom Bund erhobenen, auf Einstellung der Vorschüsse erst mit Ablauf des September 2008 gerichteten Rekurs nicht Folge. Zwar sei die Rekurslegitimation des Präsidenten des Oberlandesgerichts zu bejahen, wenn seine Rückforderungs- bzw Rückersatzmöglichkeiten - wie hier - tangiert würden, doch sei der Rekurs inhaltlich nicht berechtigt, weil die Einstellung rückwirkend mit dem Eintritt des Einstellungsgrundes wirksam werden solle. Im konkreten Fall sei der Einstellungsantrag vom Kind in Bezug auf die ab 1. 6. 2008 gewährten Vorschüsse gestellt worden; er habe seine Grundlage in dem als sachgerecht anzusehenden „Verzicht der Eltern auf die wechselseitige Geltendmachung von Unterhaltsleistungen". Es habe daher kein Grund bestanden, die beantragte Einstellung der Vorschüsse per Ende Mai 2008 zu verweigern bzw die Einstellung erst zu einem späteren Zeitpunkt anzuordnen.
Der Revisionsrekurs wurde nachträglich mit der Begründung zugelassen, dass zur Frage der Zulässigkeit der rückwirkenden Einstellung gewährter Unterhaltsvorschüsse divergierende zweitinstanzliche Entscheidungen vorlägen.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes mit dem Antrag auf Abänderung der Beschlüsse der Vorinstanzen dahin, dass die dem Kind gewährten Vorschüsse erst mit Ablauf des Monats September eingestellt werden. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil dem Rekursgericht eine erhebliche Fehlbeurteilung unterlaufen ist, die aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifen ist; er ist auch berechtigt.
Die Revisionsrekursausführungen des Bundes lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass die von den Eltern getroffene Vereinbarung, rückwirkend auf die Geltendmachung bzw Einhebung der Kindesunterhaltsleistungen zu verzichten, unabhängig von der Notwendigkeit einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung jedenfalls zu Lasten des Bundes gehe, weil die im betreffenden Zeitraum bereits zu Recht gewährten und ausgezahlten Unterhaltsvorschüsse infolge der getroffenen Vereinbarung rückwirkend eingestellt worden seien. Da diese Vorschüsse infolge der Einstellung weder gemäß §§ 26, 27 UVG durch den Jugendwohlfahrtsträger noch gemäß § 30 UVG durch den Bund hereingebracht werden könnten, würden die Regressinteressen des Bundes, der der Vereinbarung nicht zugestimmt habe, verletzt. Würde man die gegenteilige Auffassung vertreten, wäre jederzeit die missbräuchliche Inanspruchnahme von Unterhaltsvorschussleistungen zu Lasten des Bundes möglich.
Dazu wurde erwogen:
1. Nach der dem UVG zugrunde liegenden Konstruktion bleibt das Kind ungeachtet der Gewährung von Vorschüssen vorerst Gläubiger des Unterhaltsanspruchs und Schuldner gegenüber dem Bund (RIS-Justiz RS0076924). Erst mit Beendigung der gesetzlichen Vertretung des Jugendwohlfahrtsträgers gehen die noch nicht eingebrachten Unterhaltsforderungen des Kindes gemäß § 30 UVG auf den Bund über, sodass der Unterhaltspflichtige Schuldner des Bundes wird (2 Ob 575/95 = RIS-Justiz RS0076924). Bis zum Eintritt der Legalzession hat der Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter des Kindes für die Eintreibung des Unterhalts beim Unterhaltsschuldner zu sorgen; dabei hat er im Interesse des Kindes unter Berücksichtigung der Regressinteressen des die Vorschüsse auszahlenden Bundes vorzugehen (2 Ob 575/95).
2. Verzichtet das Kind im Rahmen einer Vereinbarung auf seinen Unterhaltsanspruch, ist dafür eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung erforderlich (6 Ob 2362/96p; RIS-Justiz RS0074966), selbst wenn die Vereinbarung vom Jugendwohlfahrtsträger beurkundet wird (Nademleinsky in Schwimann, ABGB3 I § 154 Rz 14, 26).
3. Durch einen Verzicht des Kindes auf einen Teil seiner bevorschussten Unterhaltsforderung werden aber auch finanzielle Interessen des Bundes tangiert, was seine Beschwer nach sich zieht.
3.1. Im Rahmen der ihm im UVG zugewiesenen Rechtsposition hat der Bund eine ihn beschwerende unrechtmäßige Gewährung von Unterhaltsvorschüssen hintanzuhalten (2 Ob 508/94; 10 Ob 28/09d = RIS-Justiz RS0076559 [T1]). Der Bund ist auch dann beschwert, wenn durch eine gerichtliche Maßnahme die Möglichkeit der Rückforderung beschränkt wird, etwa bei der Umstellung von Titelvorschüssen auf Haftvorschüsse im Hinblick auf die nur beschränkte Beschränkung der Rückforderbarkeit nach § 29 UVG (8 Ob 654/90 = RIS-Justiz RS0076934) oder der rückwirkenden Einstellung von Richtsatzvorschüssen wegen der Beseitigung der Rückforderungsmöglichkeit nach § 28 UVG (2 Ob 508/94 = RIS-Justiz RS0076163) oder der rückwirkenden Einstellung von Titelvorschüssen (Neumayr in Schwimann, ABGB3 I § 15 UVG Rz 20 mwN aus der zweitinstanzlichen Rsp in FN 53). Daraus ist allgemein der Schluss zu ziehen, dass in die Beurteilung der Beschwer auch künftige Beeinträchtigungen der Rückforderungs- bzw Rückersatzmöglichkeiten einzubeziehen sind, insbesondere bei rückwirkender Vorschusseinstellung (Neumayr in Schwimann3 § 15 UVG Rz 20).
3.2. Es unterliegt im vorliegenden Fall keinem Zweifel, dass durch die rückwirkende Einstellung der Titelvorschüsse die Rückforderungsmöglichkeiten des Bundes beeinträchtigt sind, weil bei einer berechtigten rückwirkenden Einstellung keine Rückforderung nach § 26 UVG, sondern nur mehr ein Rückersatz nach §§ 22, 23 UVG in Betracht kommt.
4. Nach § 20 Abs 1 Z 1 UVG sind Vorschüsse auf Antrag des Kindes einzustellen. Dies ist für die Zukunft betrachtet unproblematisch, weil Vorschüsse nicht gegen den Willen des Kindes gewährt werden dürfen. An sich ist auch ein Antrag des Kindes auf rückwirkende Einstellung möglich, allerdings nur im Zusammenhang mit dem Eintritt eines Einstellungsgrundes (§ 20 Abs 2 UVG; vgl Knoll, UVG in ÖA, § 20 Rz 2), weil es das durch den Jugendwohlfahrtsträger vertretene Kind ansonsten in der Hand hätte, die Rechtsposition des Bundes durch einen Antrag auf rückwirkende Einstellung zu beeinträchtigen. Dies würde im Übrigen der unter 1. genannten Aufgabe des Jugendwohlfahrtsträgers widersprechen. In diesem Sinn hat eine Hereinbringung der Unterhaltsforderung gegen den Unterhaltsschuldner gemäß § 26 UVG Vorrang vor einem Rückersatzverfahren nach den §§ 22, 23 UVG.
Ein - allein in Betracht kommender - Einstellungsgrund nach § 20 Abs 1 Z 4 lit a und b UVG ist aber nicht erkennbar: Nach dem Akteninhalt ist weder eine Gewährungsvoraussetzung weggefallen noch ein Versagungsgrund nach § 7 Abs 1 UVG eingetreten. Vielmehr ist allein ein wegen fehlender pflegschaftsgerichtlicher Genehmigung für das Kind unwirksamer rückwirkender Unterhaltsverzicht erklärt worden.
5. Dementsprechend haben die Vorinstanzen die Titelvorschüsse zu Unrecht rückwirkend eingestellt; im Sinne des Rechtsmittelantrags des Bundes ist die Einstellung erst mit Ablauf des September 2008 anzuordnen.
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