VwGH Ra 2021/20/0372

VwGHRa 2021/20/037215.12.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel sowie die Hofräte Mag. Cede und Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, über die Revision des E M in W, vertreten durch die RIHS Rechtsanwalt GmbH in 1010 Wien, Kramergasse 9/3/13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. August 2021, I422 1423669‑2/13E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §17 Abs2
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §2 Abs3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §7
AsylG 2005 §7 Abs1
AsylG 2005 §7 Abs3
BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs1
BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z9
BFA-VG 2014 §9 Abs5
BFA-VG 2014 §9 Abs6
EURallg
FlKonv Art1 AbschnC
FrPolG 2005 §52
FrPolG 2005 §52 Abs2
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z3
FrPolG 2005 §52 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs5
MRK Art8
NAG 2005 §1 Abs2 Z1
NAG 2005 §2 Abs2
NAG 2005 §45 Abs12
NAG 2005 §45 Abs8
VwGG §34 Abs1
VwGG §42 Abs1
VwRallg
32011L0051 Daueraufenthalt-RL
32011L0051 Daueraufenthalt-RL Art12 Abs1
32011L0051 Daueraufenthalt-RL Art14
32011L0051 Daueraufenthalt-RL Art8
32011L0095 Status-RL Art13
32011L0095 Status-RL Art24
32011L0095 Status-RL Art24 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200372.L00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Kamerun, reiste am 5. Mai 2011 unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein. Er stellte am 7. Mai 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Dieser Antrag wurde vom (damaligen) Bundesasylamt mit Bescheid vom 12. Dezember 2011 abgewiesen. Unter einem wurde gegen den Revisionswerber (nach den damals geltenden Bestimmungen des AsylG 2005) eine Ausweisung nach Kamerun erlassen.

3 Dieser Bescheid wurde vom ‑ mit 1. Jänner 2014 zur Entscheidung über die vom Revisionswerber dagegen erhobene Beschwerde zuständig gewordenen ‑ Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 8. April 2015 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Rechtssache zur Erlassung eines neuen Bescheides an das (dafür zuständig gewordene) Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

4 Mit Bescheid vom 21. April 2015 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass dem Revisionswerber gemäß § 3 (Abs. 1) AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt werde, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Aus dem im Verwaltungsakt einliegenden Aktenvermerk vom selben Tag ergibt sich, dass die Behörde davon ausging, das Vorbringen des Revisionswerbers sei nicht widerlegbar, weshalb es als glaubhaft gemacht einzustufen sei. Er sei in Kamerun Mitglied der Organisation SCNC gewesen. Er liefe aufgrund seiner oppositionellen politischen Aktivitäten Gefahr, im Heimatland in Untersuchungshaft genommen zu werden. Es drohe ihm dort wegen seiner politischen Gesinnung und der bisherigen Aktivitäten Verfolgung. Da die Verfolgung vom (Herkunfts‑)Staat ausgehe, sei keine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben.

5 Am 30. Juni 2015 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Mitteilung des Bundesministeriums für Inneres ein, aus der sich ergibt, dass im Zuge einer Grenzkontrolle durch das Stadtpolizeikommando Schwechat festgestellt worden sei, dass der Revisionswerber, der auf dem Luftweg mit dem Reiseziel Lagos (Nigeria) ausgereist sei, neben einem österreichischen Konventionsreisepass auch über einen für ihn am 1. August 2013 in Berlin von Kamerun ausgestellten Reisepass verfügt habe.

6 Der Revisionswerber wurde in Österreich straffällig. Das Landesgericht Linz verurteilte ihn am 8. Jänner 2016 wegen des (im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem weiteren Täter begangenen) Vergehens der Geldwäsche nach § 165 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, wobei ein Teil von sechs Monaten bedingt nachgesehen wurde.

7 Mit Schreiben vom 7. August 2017 leitete die Landespolizeidirektion Niederösterreich eine ihr von der Grenzpolizei Schiphol (Niederlande) zugegangene Mitteilung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl weiter. Dieser Mitteilung zufolge sei der Revisionswerber an diesem Tag am Flughafen Schiphol angekommen. Er sei von Lagos zunächst nach Amsterdam geflogen und habe nach Österreich weiterreisen wollen. Er sei im Besitz eines österreichischen Konventionsreisepasses gewesen. Da sich darin aber kein „Stempel von Lagos“ befunden habe, sei der Revisionswerber gefragt worden, ob er noch einen anderen Pass habe. Daraufhin habe der Revisionswerber dem Grenzkontrollbeamten einen Reisepass von Kamerun ausgehändigt. In diesem Reisepass hätten sich ‑ neben diversen Stempeln zu Einreisen und Ausreisen in und aus Lagos ‑ auch Stempel betreffend die Einreise (vom 25. Juli 2017) in und die Ausreise (vom 5. August 2017) aus Kamerun befunden. Über Befragen habe der Revisionswerber angegeben, nicht in Kamerun gewesen zu sein. Sein Bruder hätte ihn gezwungen, ihm den Reisepass zu geben. Der Bruder hätte dann den Reisepass für die Reise nach Kamerun zur Mutter benutzt.

8 Am 18. Jänner 2018 wurde der Revisionswerber vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das ein Verfahren zur Prüfung, ob dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten abzuerkennen sei, eingeleitet hatte, vernommen. Er gab an, er habe sich den kamerunischen Reisepass nach Erhalt des „ersten Negativbescheides“ über Anraten seines Rechtsanwaltes ausstellen lassen. Der Anwalt habe gemeint, es werde schwer sein, eine positive Entscheidung (gemeint: im Asylverfahren) zu erlangen. Wenn der Revisionswerber aber vier bis fünf Jahre „bleiben“ würde, könnte er „um einen ‚Stay‘ ansuchen“. Dafür brauche der Revisionswerber aber einen Reisepass von Kamerun. Daher habe der Revisionswerber die Ausstellung eines solchen beantragt, als der Botschafter (von Kamerun) in Wien gewesen sei. Mittlerweile habe er den Reisepass an die in Berlin ansässige Botschaft von Kamerun zurückgeschickt. Er habe den Reisepass nicht verwendet, um nach Kamerun zu reisen. Er habe den Reisepass einem Freund, der in Nigeria wohne und selbst keinen Reisepass gehabt habe, überlassen. Dieser Freund sei damit zur Ehefrau nach Kamerun gereist. Im Zuge dieser Vernehmung legte der Revisionswerber auch eine für ihn von der Botschaft von Kamerun in Berlin am 4. August 2014 ausgestellte Identitätskarte vor. Zu dieser gab der Revisionswerber an, er habe die Karte „mit der Post bekommen“. Er habe die Ausstellung einer solchen aber nie beantragt.

9 Nach weiteren (unter anderem auch zur aktuellen Situation in Kamerun von Mitgliedern der SCNC im Weg der Staatendokumentation getätigten) Ermittlungen und Einräumung von Parteiengehör erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Bescheid vom 25. Juli 2018, mit dem dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt wurde, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Unter einem wurde von der Behörde ausgesprochen, dass dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht zuerkannt, ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen ihn gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 und § 9 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) eine Rückkehrentscheidung sowie gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung nach Kamerun zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde nach § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

10 Die Behörde ging in ihrer Begründung davon aus, dass sich der Revisionswerber am 1. August 2013 einen Reisepass von Kamerun habe ausstellen lassen. Er sei auch im Besitz einer Identitätskarte der Republik Kamerun. In der Zeit von 25. Juli 2017 bis 5. August 2017 habe er sich in diesem Staat aufgehalten. Er habe sich freiwillig wieder unter den Schutz seines Heimatlandes gestellt. Zudem gebe es in der Republik Kamerun keine „spezifische“ Verfolgung von Mitgliedern der SCNC. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sei aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zulässig. Die Angehörigen des Revisionswerbers ‑ Ehefrau, Kinder und Mutter ‑ lebten in Kamerun. In Österreich bestehe kein Familienleben. Der Revisionswerber lebe seit 5. Mai 2011 in Österreich. Die Dauer seines Aufenthalts in Österreich sei in Relation zu seinem Lebensalter als „eher kurzzeitig“ anzusehen. Die Schutzwürdigkeit seines Privatlebens ‑ er gehe in Österreich einer Erwerbstätigkeit nach ‑ sei daher als gering einzustufen. Der Revisionswerber habe erhebliche Zeit seines Lebens in Kamerun verbracht. Er beherrsche eine der dortigen Landessprachen. Er könne sich im Fall der Rückkehr wieder in die dortige Gesellschaft integrieren.

11 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

12 Mit Urteil vom 4. Juni 2019 wurde der Revisionswerber vom Landesgericht Linz rechtskräftig wegen der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs. 3 zweiter Satz und Abs. 1 Z 2 StGB (wegen Besitzes und Zugänglichmachen für eine andere Person) zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.

13 Das Bundesverwaltungsgericht wies die vom Revisionswerber gegen den Bescheid vom 25. Juli 2018 erhobene Beschwerde nach Durchführung einer Verhandlung mit dem Erkenntnis vom 9. August 2021 im Wesentlichen als unbegründet ab. Den Ausspruch betreffend die Aberkennung des Status des Asylberechtigten korrigierte das Verwaltungsgericht dahingehend, dass er auf § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 gestützt wurde. Die für die Erlassung der Rückkehrentscheidung herangezogenen Rechtsgrundlagen des AsylG 2005 und des FPG wurden mit § 52 Abs. 2 Z 3 FPG und § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 bestimmt. Die Dauer des Einreiseverbotes setzte das Bundesverwaltungsgericht mit drei Jahren fest. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

14 Wie zuvor die Behörde ging auch das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass sich der Revisionswerber wieder unter den Schutz seines Heimatlandes gestellt habe. Das leitete es daraus ab, dass er sich einen Reisepass von Kamerun habe ausstellen lassen und diesen auch für die Einreise ins und den Aufenthalt im Heimatland benutzt habe. Das Vorbringen, der Reisepass sei für die Reise nach Kamerun nicht von ihm, sondern von jemand anderem benutzt worden, stufte das Verwaltungsgericht als unglaubwürdig ein. Dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl im Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde erfüllt wären, habe der Revisionswerber ebenfalls nicht glaubhaft machen können.

15 Gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG sei gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt werde, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten komme und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukomme. Die Erlassung einer solchen sei, wenn in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen werde, gemäß § 9 Abs. 1 BFA‑VG nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei.

16 Der Revisionswerber verfüge über kein im Sinn des Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben in Österreich oder auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Es sei daher zu prüfen, ob ein Eingriff in sein Privatleben gegeben sei.

17 Dabei sei zu beachten, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei einem mehr als zehn Jahre andauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet auszugehen sein werde, es sei denn, er habe die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt, um sich sozial und beruflich zu integrieren. Ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale könnten jedoch gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen und für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels oder an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden. Dazu zählten etwa das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung, Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften, eine zweifache Asylantragstellung, unrichtige Angaben zur Identität, sofern diese für die lange Aufenthaltsdauer kausal gewesen wären, sowie die Missachtung melderechtlicher Vorschriften.

18 Der Revisionswerber halte sich im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts seit etwa zehn Jahren und drei Monaten in Österreich auf. Er sei unrechtmäßig eingereist. Ab 7. Mai 2011 sei ihm ein „temporäres“ Aufenthaltsrecht als Asylwerber und in weiterer Folge ‑ ab Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ‑ eine „unbefristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter“ zugekommen, sodass der überwiegende Teil seines Aufenthaltes in Österreich rechtmäßig gewesen sei. Es seien „auch diverse Integrationsbemühungen“ des Revisionswerbers anzuerkennen. Er könne sich „in eingeschränktem Umfang auf Deutsch verständigen“. Weiters habe er diverse, wenngleich nicht unbedingt allzu enge Bekanntschaften in Österreich geschlossen. Er sei hier „immerhin für insgesamt knapp vier Jahre“ ‑ zuletzt laufend seit 1. März 2021 ‑ „angemeldeten Erwerbstätigkeiten“ als Arbeiter nachgegangen.

19 Zu Lasten des Revisionswerbers sei zu berücksichtigen, dass er zweimal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt worden sei. In der Folge befasste sich das Bundesverwaltungsgericht näher mit den vom Revisionswerber gesetzten Straftaten. Wenn der Revisionswerber ‑ so das Verwaltungsgericht weiter ‑ vorbringe, dass er sich nach seiner Verurteilung wegen Geldwäsche nachweislich nichts zu Schulden habe kommen lassen, werde von ihm „gänzlich negiert“, dass er mit Urteil des Landesgerichts Linz vom 4. Juni 2019 wegen zweier Vergehen im Zusammenhang mit pornographischer Darstellungen Minderjähriger zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt worden sei, wobei die Tathandlungen sogar noch innerhalb der mit der ersten Verurteilung festgelegten Probezeit verwirklicht worden seien.

20 Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bestünden sowohl an der Verhinderung strafbarer Handlungen im Bereich der Eigentumskriminalität als auch an der Hintanhaltung der Begehung strafbarer Handlungen gegen die Sittlichkeit ein großes öffentliches Interesse. Den persönlichen Interessen des Revisionswerbers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stünden somit die gewichtigen öffentlichen Interessen an der Verhinderung von solchen strafbaren Handlungen und auch am Schutz der ungestörten sexuellen und allgemeinen psychischen Entwicklung von Minderjährigen gegenüber. Der Revisionswerber weise angesichts der Dauer seines über zehn Jahre währenden Aufenthalts und seiner „persönlichen Historie auf dem österreichischen Arbeitsmarkt“ ohne Zweifel ein Privatleben im Bundesgebiet auf, an dessen Aufrechterhaltung er ein Interesse habe. Jedoch vermögen diese Aspekte im Rahmen einer Gesamtschau nicht zu einem Überwiegen seiner privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich zu führen. Es sei im Besonderen angesichts seiner erneuten Straffälligkeit während der Anhängigkeit des Beschwerdeverfahrens davon auszugehen, dass die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib im Bundesgebiet überwögen. Der damit verbundene Eingriff in sein Privatleben sei ‑ auch vor dem Hintergrund, dass die Angehörigen des Revisionswerbers, mit denen er „beinahe täglich in Kontakt“ stehe, in Kamerun lebten ‑ als verhältnismäßig zu qualifizieren.

21 Im Weiteren legte das Bundesverwaltungsgericht dar, weshalb davon auszugehen sei, dass vom Revisionswerber aufgrund seines strafbaren Verhaltens eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Sinn des § 53 Abs. 3 FPG ausgehe, sodass die Erlassung eines Einreiseverbotes gerechtfertigt sei. In diesem Zusammenhang hob das Verwaltungsgericht auch hervor, dass der Revisionswerber kein Unrechtsbewusstsein aufweise, worauf schon das Strafgericht in seinem Urteil vom 4. Juni 2019 hingewiesen habe. Es sei seit der letzten Tatbegehung keine derart lange Phase des Wohlverhaltens gegeben, die nahe gelegt hätte, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet keine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit mehr darstellen werde. Lediglich die von der Behörde festgelegte Dauer des Einreiseverbotes erscheine unter Bedachtnahme auf die Umstände des Einzelfalles als nicht angemessen und sei auf drei Jahre herabzusetzen.

22 Die Erhebung einer Revision sei ‑ so das Bundesverwaltungsgericht abschließend ‑ nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig, weil es sich „mit der Thematik der Asylaberkennung und damit [v]erbunden mit der Frage des Status des subsidiär Schutzberechtigen bzw. der Erlassung einer Rückkehrentscheidung bei einem langjährigen Aufenthalt sowie der Verhängung eines Einreiseverbotes auseinander“ gesetzt und an der höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientiert habe.

23 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorverfahren eingeleitet. Es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

24 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

25 Der Revisionswerber wendet sich sowohl gegen die Aberkennung des ihm früher zuerkannten Status des Asylberechtigten als auch gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes.

26 Die Revision ist mit Blick auf das ihn ihr enthaltene Vorbringen zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist aber nicht begründet.

27 § 2, § 7 und § 10 AsylG 2005 lauten (auszugsweise und samt Überschrift):

„Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

1. ...

...

15.der Status des Asylberechtigten: das zunächst befristete und schließlich dauernde Einreise- und Aufenthaltsrecht, das Österreich Fremden nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gewährt;

16. ...

...

(3) Ein Fremder ist im Sinne dieses Bundesgesetzes straffällig geworden, wenn er

1. wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes fällt, oder

2. mehr als einmal wegen einer sonstigen vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist

rechtskräftig verurteilt worden ist.

(4) ...

...

Aberkennung des Status des Asylberechtigten

§ 7. (1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. ...

2. einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder

3. ...

(2) ...

...

(3) Das Bundesamt kann einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt ‑ wenn auch nicht rechtskräftig ‑ nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem Bundesamt mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden.

(4) Die Aberkennung nach Abs. 1 Z 1 und 2 ist mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen.

...

Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. ...

...

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5. ...

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

(2) ...

...“

28 § 52 und § 53 FPG sehen (auszugsweise und samt Überschrift) vor:

„Rückkehrentscheidung

§ 52. (1) ...

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) ...

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,

1a. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,

2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“ verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) ...

...

Einreiseverbot

§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige

1. ...

...

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. ...

...

(4) ...

...“

29 § 9 BFA‑VG hat folgenden Wortlaut (samt Überschrift):

„Schutz des Privat- und Familienlebens

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat‑ oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

30 § 2 und § 45 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) legen (auszugsweise und samt Überschrift) fest:

„Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) ...

(2) Niederlassung ist der tatsächliche oder zukünftig beabsichtigte Aufenthalt im Bundesgebiet zum Zweck

1. der Begründung eines Wohnsitzes, der länger als sechs Monate im Jahr tatsächlich besteht;

2. der Begründung eines Mittelpunktes der Lebensinteressen oder

3. der Aufnahme einer nicht bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit.

(3) Der rechtmäßige Aufenthalt eines Fremden auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung (§ 8 Abs. 1 Z 12) gilt nicht als Niederlassung im Sinne des Abs. 2.

(4) ...

...

Aufenthaltstitel ‚Daueraufenthalt ‑ EU‘

§ 45. (1) Drittstaatsangehörigen, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen tatsächlich niedergelassen waren, kann ein Aufenthaltstitel ‚Daueraufenthalt ‑ EU‘ erteilt werden, wenn sie

1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

2. das Modul 2 der Integrationsvereinbarung (§ 10 IntG) erfüllt haben.

(2) ...

...

(8) Liegt eine Verständigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl oder des Bundesverwaltungsgerichtes gemäß § 7 Abs. 3 AsylG 2005 vor, ist dem betreffenden Fremden ein Aufenthaltstitel ‚Daueraufenthalt ‑ EU‘ von Amts wegen zu erteilen. Diese Amtshandlungen unterliegen nicht der Gebührenpflicht. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl oder das Bundesverwaltungsgericht ist von der rechtskräftigen Erteilung des Aufenthaltstitels zu verständigen.

(9) ...

...

(12) Asylberechtigten, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen über den Status des Asylberechtigten (§ 3 AsylG 2005) verfügten und subsidiär Schutzberechtigten, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter (§ 8 Abs. 4 AsylG 2005) rechtmäßig aufhältig waren, kann ein Aufenthaltstitel ‚Daueraufenthalt ‑ EU‘ erteilt werden, wenn sie

1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

2. das Modul 2 der Integrationsvereinbarung (§ 10 IntG) erfüllt haben.

Der Zeitraum zwischen Einbringung des Antrages auf internationalen Schutz (§ 17 Abs. 2 AsylG 2005) und Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten ist zur Hälfte, sofern dieser Zeitraum 18 Monate übersteigt zur Gänze, auf die Fünfjahresfrist anzurechnen.“

31 Eingangs ist festzuhalten, dass jenem Vorbringen des Revisionswerbers, das sich gegen die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts richtet, wonach in seinem Fall in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) angeführte Endigungsgründe eingetreten seien (insbesondere er sich wieder unter Schutz seines Heimatlandes gestellt habe) und daher die in § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 genannten Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten vorlägen (vgl. aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den in Art. 1 Abschnitt C GFK enthaltenen Endigungsgründen VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0059; 23.10.2019 Ra 2019/19/0046, dort im Besonderen zur Z 1; weiters im Besonderen zur Z 5 VwGH 29.6.2020, Ro 2019/01/0014), keine Berechtigung zukommt. Er macht dazu geltend, dass dies vom Verwaltungsgericht nicht ordnungsgemäß geprüft worden wäre, was aber am Boden des Inhalts der angefochtenen Entscheidung nicht zutrifft. Es wird zwar auch die Richtigkeit der von diesem Gericht aus dem Verhalten des Revisionswerbers gezogenen Schlüsse bestritten und in diesem Zusammenhang vorgebracht, die dazu getroffenen Feststellungen seien unvollständig. Jedoch wird nicht einmal ansatzweise dargestellt, welche anderen oder zusätzlichen Feststellungen vom Verwaltungsgericht zu treffen gewesen wären und warum es anhand dieser zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können. Dass die vom Bundesverwaltungsgericht anhand des festgestellten Sachverhalts, von dem sohin auszugehen war (§ 41 VwGG), vorgenommene Beurteilung nicht dem Gesetz entspräche, ist nicht zu sehen.

32 Der Sache nach macht der Revisionswerber, der seinen über zehn Jahre dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet in den Vordergrund seiner Argumentation rückt, in erster Linie geltend, dass wegen der Dauer seines überwiegend rechtmäßigen Aufenthalts die Aberkennung des Status des Asylberechtigten sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unzulässig seien. Es dürfe seiner Ansicht nach nur in besonderen Fällen und bei Vorliegen schwerwiegender öffentlicher Interessen nach so langem Aufenthalt eine „Rückkehrentscheidung/Einreiseverbot“ erlassen werden. Es gebe in seinem Fall aber keine schwerwiegenden öffentlichen Interessen, die die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes rechtfertigen könnten.

33 Zur Zulässigkeit der Aberkennung des Status des Asylberechtigten aus den in Art. 1 Abschnitt C GFK angeführten Endigungsgründen nach langem Aufenthalt im Bundesgebiet

34 Bereits die Stammfassung des AsylG 2005 (erlassen mit dem Fremdenrechtspaket 2005, BGBl. I Nr. 100) sah in seinem damaligen § 7 Abs. 2 vor, dass die Behörde einem Fremden den Status eines Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht aberkennen konnte, wenn die Aberkennung durch das (damals zuständige) Bundesasylamt ‑ wenn auch nicht rechtskräftig ‑ nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgte und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hatte. War dies gegeben, hatte die Behörde die nach dem NAG zuständige Behörde vom Sachverhalt zu verständigen. Hatte diese der Behörde mitgeteilt, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, konnte auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt werden. Im NAG war in der Stammfassung (ebenfalls erlassen mit dem Fremdenrechtspaket 2005) in § 45 Abs. 5 vorgesehen, dass bei Vorliegen einer nach § 7 Abs. 2 AsylG 2005 erfolgten Verständigung der Asylbehörde dem Fremden von Amts wegen einer der in § 45 Abs. 5 NAG angeführten Aufenthaltstitel („Daueraufenthalt ‑ EG“ oder „Daueraufenthalt ‑ Familienangehöriger“) zu erteilen war.

35 Der Gesetzgeber führte zu dieser Regelung in den Materialien aus, dass die „soziale Verfestigung“ nach einer Dauer von fünf Jahren ‑ sofern eine Aberkennung nicht erstinstanzlich ausgesprochen worden sei ‑ unwiderleglich vermutet werde, was der Verfestigung im Niederlassungswesen entspreche (RV 952 BlgNR 22. GP , 36). Eine Überleitung von Asylberechtigten in das Regime des NAG sei aber dann nicht möglich, wenn der Fremde den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat habe und ihm dort Schutz vor Verfolgung im Sinn der GFK gewährt worden sei, wenn der Fremde aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstelle oder er von einem Gericht rechtskräftig wegen eines besonders schweren Verbrechens verurteilt eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeute (RV 952 BlgNR 22. GP , 37). Damit wurden die weiteren in § 7 AsylG 2005 vorgesehenen Gründe für Aberkennung des Status des Asylberechtigten angesprochen.

36 Mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 (FrÄG 2009, BGBl. I Nr. 122) erhielt der Absatz 3 des § 7 AsylG 2005 ‑ soweit hier relevant ‑ die aktuell geltende Fassung durch Einfügung der Wortfolge „ ,der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3),“.

37 Dazu führte der Gesetzgeber in den Erläuterungen wörtlich aus (RV 330 BlgNR 24. GP , 8f.):

„Der bisherige § 7 Abs. 2 erhält die Absatzbezeichnung Abs. 3 und soll künftig nur mehr für Fremde anwendbar sein, die nicht straffällig im Sinne des § 2 Abs. 3 geworden sind. Das bedeutet, dass straffälligen Asylberechtigten ihr Status auch aus den in Art. 1 Abschnitt C GFK angeführten Gründen (also insbesondere geänderte Umstände im Herkunftsstaat, freiwillige Heimkehr) nach mehr als fünf Jahren aberkannt werden kann. Die unwiderlegliche Vermutung, dass sich der Fremde in dieser Zeit sozial verfestigt hat, gilt in diesen Fällen nicht. Selbstverständlich kann der Fremde, dem der Status des Asylberechtigten aberkannt wurde, einen Aufenthaltstitel nach dem NAG beantragen.“

38 Aus diesen Regelungen geht somit unzweifelhaft hervor, dass der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, in jenem Fall, in dem ein Fremder, dem früher der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, der aber aus den in Art. 1 Abschnitt C GFK angeführten Gründen den Schutz Österreichs nicht mehr benötigt, den Status des Asylberechtigten nicht zu belassen. Die bisherige Dauer des Aufenthalts ist lediglich für die Beurteilung maßgeblich, ob der betreffende Fremde in Bezug auf sein Aufenthaltsrecht in das Regime des NAG übergeführt werden soll.

39 Wurde der Fremde nicht straffällig, ist eine Aberkennung des Status des Asylberechtigten aus den in Art. 1 Abschnitt C GFK angeführten Gründen gemäß § 7 Abs. 3 AsylG 2005 allerdings erst nach Erteilung eines Aufenthaltstitels zulässig. Gemäß § 45 Abs. 8 NAG ist dem Fremden ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“ zu erteilen. Die Erteilung dieses Aufenthaltstitels hat von Amts wegen zu erfolgen und setzt lediglich eine Verständigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl oder des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 7 Abs. 3 AsylG 2005 voraus. Anders als in jenen Fällen, in denen dieser Aufenthaltstitel vom Fremden angestrebt wird, hat nach § 45 Abs. 8 NAG eine Prüfung, ob die sonst zu erfüllenden allgemeinen und besonderen Voraussetzungen für die Erteilung dieses Aufenthaltstitels vorliegen, nicht stattzufinden.

40 Einem Fremden, der im Sinn des § 2 Abs. 3 AsylG 2005 straffällig geworden ist, darf jedoch nach § 7 Abs. 3 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten auch aus den in Art. 1 Abschnitt C GFK angeführten Gründen ohne zeitliche Einschränkung aberkannt werden. Der Gesetzgeber hat dazu in den Materialien angemerkt, dass es einem solchen Fremden dennoch frei stehe, sich um ein Aufenthaltsrecht nach dem NAG zu bemühen; jedoch soll seine soziale Verfestigung nicht unwiderlegbar (gesetzlich) vermutet werden.

41 Der Revisionswerber wurde zweimal vom Landesgericht Linz wegen vorsätzlich begangener und von Amts wegen zu verfolgender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt. Dass er im Sinn des § 2 Abs. 3 AsylG 2005 straffällig geworden war, wird in der Revision nicht bestritten. Sohin stand schon deswegen die Dauer des bisherigen Aufenthalts des Revisionswerbers der Aberkennung des Status des Asylberechtigten aus den in Art. 1 Abschnitt C GFK angeführten Gründen nicht entgegen.

42 Zudem hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Bescheid vom 25. Juli 2018, womit die Aberkennung des Status des Asylberechtigten ausgesprochen wurde, durch Zustellung an die rechtsfreundliche Vertreterin des Revisionswerbers am 27. Juli 2018 erlassen. Somit ist die Aberkennung durch die Behörde im vorliegenden Fall innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt, sodass sie sich auch deswegen nach § 7 Abs. 3 AsylG 2005 als zulässig darstellte, zumal es nach dieser Bestimmung auf den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft der Entscheidung über die Aberkennung nicht ankommt.

43 Zur Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach langem Aufenthalt im Bundesgebiet

44 Das Bundesverwaltungsgericht ging davon aus, es sei im vorliegenden Fall für die Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung ‑ dem Grunde nach und abgesehen von der nach § 9 BFA‑VG vorzunehmenden Interessenabwägung ‑ gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG lediglich Voraussetzung, dass dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten aberkannt und der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt werde (und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen ‑ gemeint ist damit evident nicht „nach anderen Bundesgesetzen als dem FPG“, sondern „nach anderen Bundesgesetzen als dem AsylG 2005“; vgl. des Näheren zum mit § 52 Abs. 2 FPG verfolgten Zweck VwGH 14.11.2017, Ra 2017/20/0274 ‑ zukomme).

45 Bei der Prüfung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung im Sinn des Art. 8 EMRK als verhältnismäßig anzusehen sei, zog das Bundesverwaltungsgericht die nachstehende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als maßgeblich heran.

46 Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen.

47 Allerdings führt auch ein mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend zu einem Überwiegen des persönlichen Interesses, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren.

48 Insbesondere strafrechtliche Verurteilungen stellen derartige Umstände dar, die die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland und eine erfolgte Integration relativieren können, wobei in dem Zusammenhang auch länger zurückliegende Straftaten berücksichtigt werden können. Auch eine bereits erfolgte Tilgung von Straftaten führt nicht dazu, dass die Straffälligkeit eines Fremden bei der Abwägung gemäß Art. 8 EMRK nicht berücksichtigt werden dürfe (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 26.2.2021, Ra 2021/14/0005, mwN).

49 Diese Judikaturlinie wurde allerdings zur Frage entwickelt, ob einem unrechtmäßig aufhältigen Fremden ein aus Art. 8 EMRK ableitbares Aufenthaltsrecht zuzugestehen ist. In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof jüngst betont, dass diese Judikatur insbesondere in Fällen, in denen es um eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen einen aufgrund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen wegen dessen Straffälligkeit geht, schon von vornherein nicht einschlägig ist (vgl. VwGH 7.10.2021, Ra 2020/21/0192).

50 Dies bezieht sich auf jenen Teil dieser Rechtsprechungslinie, wonach bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist und nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, die Aufenthaltsbeendigung ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden kann. Damit wird nämlich im Besonderen der gesetzlichen Anordnung des § 9 Abs. 2 Z 9 BFA‑VG Rechnung getragen. Nach dieser Bestimmung ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen (regelmäßig im Rahmen von Asylverfahren) begründet ist. Es liegt nämlich in der Verantwortung des Staates, die Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass ‑ ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass dem Fremden die lange Dauer von Verfahren anzulasten wäre ‑ nicht eine solche übermäßig lange Zeit verstreicht, sodass beim Fremden die Erwartung geweckt werden könnte, dass nicht zwangsläufig mit einer für ihn negativen Entscheidung zu rechnen sei (vgl. VfGH 7.10.2010, B 950/10 u.a.). Eine solche von den Behörden zu verantwortende Situation soll sohin einem Fremden, der (kein sonstiges Fehlverhalten ‑ wie etwa strafbares Verhalten ‑ gesetzt und) die Zeit seines langen Aufenthalts genutzt hat, um Integrationsschritte zu setzen, nicht zum Nachteil gereichen (vgl. etwa zur Maßgeblichkeit des Unterbleibens von effektiven Schritten der Behörde, die einem Fremden auferlegte Ausreiseverpflichtung durchzusetzen, sowie des Umstandes, dass behördliche Verfahren von jahrelangem, nicht vom Fremden verschuldeten Verfahrensstillstand gekennzeichnet sind, VwGH 6.4.2020, Ra 2020/20/0055, mwN). Andererseits wurde in der Rechtsprechung bei maßgeblichem (Fehl‑)Verhalten des Fremden, das dazu geführt hatte, dass es der Behörde nicht möglich war, gegen einen unrechtmäßig aufhältigen Fremden eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu erlassen oder zu effektuieren, auch nach einem langen Zeitraum des Aufenthalts im Bundesgebiet die Aufenthaltsbeendigung für zulässig angesehen (vgl. aus der Rechtsprechung etwa VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0197: Täuschungshandlungen durch den Gebrauch einer falschen Identität; VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0183; 22.8.2019, Ra 2019/21/0098; 12.11.2019, Ra 2019/21/0077: sich im Verborgenen halten; VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0340: beharrliches jahrelanges Verletzen einer bereits rechtskräftig auferlegten Ausreiseverpflichtung; VwGH 1.7.2021, Ra 2021/21/0034: absichtliches Verzögern des Asylverfahrens durch Vorgabe psychischer Probleme sowie Gebrauch einer Alias‑Identität zur Verhinderung der Abschiebung; vgl. auch die beispielhafte Darstellung in VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005, Rn. 13, mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung, auch zu anderem, die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung verstärkenden Fehlverhalten).

51 Diese Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof auch für jene Konstellationen als maßgeblich erachtet, in denen sich der Aufenthalt zwar ‑ allenfalls: zum Teil ‑ als rechtmäßig dargestellt hat, jedoch der bisherige Aufenthaltsstatus als unsicher einzustufen war. Das betraf in erster Linie jene Fremden, denen als Asylwerber ein bloß für die Dauer des Asylverfahrens zukommendes, vorübergehendes Aufenthaltsrecht eingeräumt war (vgl. zu einem solchen Fall etwa VwGH 6.4.2020, Ra 2020/20/0055, mwN).

52 Hingegen wurde diese Rechtsprechung dann nicht herangezogen, wenn sich die Ausgangssituation eines Fremden deutlich von den soeben geschilderten unterschied; insbesondere wenn sich der Fremde überwiegend aufgrund ihm erteilter Aufenthaltstitel rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte (vgl. etwa zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach 14‑jährigem Aufenthalt, der sich im Wesentlichen auf eine Aneinanderreihung befristeter Aufenthaltstitel als Schülerin und Studierende gegründet hatte, ohne dass die diesen zugrunde liegenden Aufenthaltszwecke auch nur ansatzweise erreicht wurden, VwGH 16.7.2020, Ra 2020/21/0243, 0244).

53 In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, in § 52 Abs. 4 FPG (und wenn er allenfalls über einen bestimmten Aufenthaltstitel verfügt, in dessen Abs. 5) eigene Gründe ‑ mit denen im Wesentlichen auf das Fehlen von Erteilungsvoraussetzungen für einen Einreisetitel oder Aufenthaltstitel (mitunter in einer besonders qualifizierten Weise) abgestellt wird ‑ festgelegt hat.

54 Um Missverständnisse zu vermeiden, sei aber bereits an dieser Stelle festgehalten, dass im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 9 Abs. 2 Z 1 BFA‑VG stets auf die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, Bedacht zu nehmen ist.

55 Der Sache nach beruft sich der Revisionswerber, der vorbringt, es dürfe nach so langer Zeit des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet, wie er in seinem Fall vorliege, nur „in besonderen Fällen“ und bei „schwerwiegenden öffentlichen Interessen“ eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot erlassen werden, auf die Bestimmungen des § 9 Abs. 6 BFA‑VG und des § 52 Abs. 5 FPG.

56 Im vorliegenden Fall hat sich das Bundesverwaltungsgericht als Grundlage für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu Recht auf § 52 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 gestützt. Danach ist gegen einen Drittstaatsangehörigen (außer einem begünstigten Drittstaatsangehörigen) eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen (als dem AsylG 2005) zukommt. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall erfüllt.

57 Nach § 9 Abs. 6 erster Satz BFA‑VG darf gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen.

58 Die Anwendung des § 52 Abs. 5 FPG, wonach die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nur unter besonderen Voraussetzungen („wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde“) zulässig ist, setzt voraus, dass der betreffende Drittstaatsangehörige vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“ verfügt.

59 Gemäß § 3 Abs. 4 erster und zweiter Satz AsylG 2005 kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich mit unbefristeter Gültigkeit, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird.

60 Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber das mit der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten von Gesetzes wegen einhergehende Aufenthaltsrecht (sh. § 2 Abs. 1 Z 15 AsylG 2005, wonach im Sinn des AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten das zunächst befristete und schließlich dauernde Einreise- und Aufenthaltsrecht, das Österreich Fremden nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gewährt, ist; vgl. dazu, dass das Aufenthaltsrecht im Fall der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten unmittelbar kraft Gesetzes bestimmt ist und die Erteilung einer separaten Aufenthaltsberechtigung durch die Behörde nicht zu erfolgen hat, VwGH 30.10.2019, Ro 2019/14/0007, mwN) zunächst auf drei Jahre befristet hat. Dieses Aufenthaltsrecht verlängert sich ‑ sofern nicht eine Aberkennung dieses Status stattzufinden hat ‑ nach Ablauf dieser drei Jahre ohne weiteres Zutun des Asylberechtigten ‑ ebenfalls von Gesetzes wegen ‑ auf eine unbefristete Gültigkeit (vgl. dazu auch die Materialien zu BGBl. I Nr. 24/2016, RV 996 BlgNR 25. GP , 2f und AB 1097 BlgNR 25. GP , 5, wonach Asylberechtigte im Fall der Zuerkennung dieses Status „ex lege eine Aufenthaltsberechtigung, die zunächst auf drei Jahre befristet ist“, erhalten und nach Ablauf der Gültigkeitsdauer dieser Aufenthaltsberechtigung „ex lege eine Verlängerung der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung, sofern nicht die Voraussetzungen für die Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten vorliegen“, eintritt).

61 Es ist aber auch davon auszugehen, dass ein Fremder, dem der Status des Asylberechtigten mit einem von Gesetzes wegen einhergehenden Aufenthaltsrecht zuerkannt wird und der weiterhin den Schutz Österreichs in Anspruch nehmen möchte, regelmäßig ein dauerhaftes Recht zum Verbleib in Österreich, vergleichbar der Erteilung eines ‑ letztlich ‑ unbefristeten Aufenthaltstitels nach dem NAG anstrebt (vgl. zu einem Fall des Familiennachzuges nach dem AsylG 2005, VwGH 15.12.2021, Ra 2021/20/0105).

62 Das aufgrund der Stellung als Asylberechtigter einhergehende Aufenthaltsrecht stellt nun aber auch ein solches dar, das einen Aufenthalt für die in § 2 Abs. 2 NAG genannten Zwecke erlaubt. Sohin entspricht der Aufenthalt aufgrund des von Gesetzes wegen bestehenden Aufenthaltsrechts als Asylberechtigter inhaltlich auch den Kriterien einer Niederlassung im Sinn des § 2 Abs. 2 NAG.

63 Davon geht erkennbar auch der Gesetzgeber aus, indem er vorgesehen hat, dass nach einem fünfjährigen Aufenthalt nach Zuerkennung des Status des Asylberechtigten jenem Fremden, der nicht straffällig geworden ist, aber aus den in Art. 1 Abschnitt C GFK angeführten Gründen des Schutzes Österreichs nicht mehr bedarf, der ‑ zum unbefristeten Aufenthalt berechtigende ‑ Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“ zu erteilen ist. Zudem hat ein Asylberechtigter gemäß § 45 Abs. 12 NAG die Möglichkeit, aus eigenem den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“ schon vor Ablauf einer fünfjährigen Aufenthaltsdauer als Asylberechtiger zu erlangen, weil nach dieser Bestimmung der Zeitraum zwischen Einbringung des Antrages auf internationalen Schutz (im Sinn des § 17 Abs. 2 AsylG 2005) und Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zur Hälfte, sofern dieser Zeitraum 18 Monate übersteigt zur Gänze, auf die Fünfjahresfrist anzurechnen ist.

64 Das führt dann aber auch dazu, dass ein solcher Fremder im Sinn des (fallbezogen im Besonderen in den Blick zu nehmenden) § 9 Abs. 6 BFA‑VG und des § 52 Abs. 5 FPG als (auf Dauer) rechtmäßig niedergelassen anzusehen ist.

65 § 9 Abs. 6 BFA‑VG stellt allerdings (ebenso wie § 9 Abs. 5 BFA‑VG) auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 4 FPG ‑ also den Fall eines aufgrund eines Einreisetitels oder Aufenthaltstitels rechtmäßig aufhältigen Fremden ‑ ab.

66 Die Anwendung des § 52 Abs. 5 FPG verlangt zudem, dass der Fremde über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“ verfügt.

67 Insoweit ist der Wortlaut dieser Bestimmungen eindeutig. Dass das als Asylberechtigter von Gesetzes wegen zustehende Aufenthaltsrecht vom Wortlaut dieser Bestimmungen erfasst wäre, ist nicht zu sehen.

68 Dies bedeutet zunächst, dass eine direkte Anwendung dieser Bestimmungen bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen einen Fremden, dessen Aufenthaltsrecht aus dem Status als Asylberechtigter herrührt und infolge der Aberkennung dieses Status wegfällt, nicht in Betracht kommt.

69 Dennoch sind die sich aus diesen Bestimmungen ergebenden Wertungen des Gesetzgebers ‑ unter Bedachtnahme auf jene, die er in § 3 Abs. 4 AsylG 2005 zum Ausdruck gebracht hat ‑ auch bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 3 FPG ‑ im Rahmen der dabei vorzunehmenden Beurteilung nach § 9 Abs. 1 BFA‑VG ‑ zu beachten.

70 Sowohl im FPG als auch im BFA‑VG sind Konstellationen festgelegt, in denen es der Behörde untersagt ist, gegen einen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältigen Fremden eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu erlassen, obgleich er nicht (mehr) alle Voraussetzungen für einen weiteren Aufenthalt erfüllt, oder in denen die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme an bestimmte Kriterien geknüpft wird. Diesen ‑ zum Teil als Aufenthaltsverfestigungstatbestände bezeichneten ‑ Regelungen ist gemeinsam, dass sie an eine bestimmte Zeit des qualifiziert rechtmäßigen Aufenthalts („Niederlassung“; sh. § 9 Abs. 5 und Abs. 6 BFA‑VG, § 52 Abs. 5 FPG) und zuweilen zusätzlich darauf abstellen, dass der Fremde über einen bestimmten Aufenthaltstitel verfügt (vgl. § 52 Abs. 5 FPG: „Daueraufenthalt ‑ EU“). Dabei wird mitunter gefordert, dass der Fremde jenes (Fehl-)Verhalten, das für die Beurteilung zulässigerweise herangezogen wird, ob der nach diesen Bestimmungen erhöhte Maßstab für die Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung erfüllt ist, erst nach einer bestimmten Zeit des qualifiziert rechtmäßigen Aufenthalts gesetzt hat (vgl. etwa § 9 Abs. 6 BFA‑VG: „Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, ...“).

71 Dass aber auch jenen Fremden, die über ein Aufenthaltsrecht als Asylberechtigte verfügen, ein Schutz vor Aufenthaltsbeendigung infolge einer „Aufenthaltsverfestigung“ zusteht, hat der Gesetzgeber in den oben angeführten Materialien zum Fremdenrechtspaket 2005, in denen davon gesprochen wurde, dass eine „soziale Verfestigung nach einer Dauer von fünf Jahren unwiderleglich vermutet“ werde, „was der Verfestigung im Niederlassungswesen“ entspreche, ausdrücklich festgehalten.

72 Anlässlich der Änderung des § 7 AsylG 2005 mit dem FrÄG 2009, mit dem ‑ im Fall des Vorliegens von aus den in Art. 1 Abschnitt C GFK angeführten Gründen ‑ der absolute Schutz eines straffällig gewordenen Asylberechtigten vor einer Aufenthaltsbeendigung eingeschränkt wurde, hat der Gesetzgeber in den Materialien ausgeführt, dass es bei Straffälligkeit nach fünf Jahren „nicht mehr zu einer unwiderleglichen Aufenthaltsverfestigung“ komme (RV 330 BlgNR 24. GP , 4 und 9), es aber dem Fremden frei stehe, einen Aufenthaltstitel zu beantragen (RV 330 BlgNR 24. GP , 9).

73 Somit ging der Gesetzgeber nicht davon aus, dass die Aberkennung des Status des Asylberechtigten jedenfalls immer auch zur Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung führen könnte. In diesem Zusammenhang ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass eine von Amts wegen unter einem vorzunehmende Prüfung, ob infolge der Unzulässigkeit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein Aufenthaltstitel zu erteilen wäre, damals gesetzlich nicht vorgesehen war (eine solche Regelung wäre aufgrund der zu dieser Zeit geltenden verfassungsgesetzlich vorgesehenen Grundlagen auch nicht möglich gewesen; diese wurden erst durch die Änderung des Art. 102 Abs. 2 B‑VG mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits‑Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51, geschaffen).

74 Zu beachten ist ferner, dass ‑ wie bereits oben dargelegt ‑ sich das inhaltlich einer Niederlassung entsprechende Aufenthaltsrecht eines Asylberechtigten nach Zuerkennung des diesbezüglichen Status aus dem Gesetz selbst ergibt. Da zum Weiterbestehen dieses Aufenthaltsrechts weder der Fremde noch die Behörde aktiv Handlungen setzen muss, bedarf es regelmäßig anderer ‑ mitunter vom Fremden nicht beeinflussbarer ‑ Umstände, die eine Mitteilung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl nach § 7 Abs. 3 AsylG 2005 an die Niederlassungsbehörde auslösen. Die sodann von Amts wegen vorzunehmende Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 45 Abs. 8 NAG ‑ im Besonderen der diesbezügliche Zeitpunkt ‑ hängt wiederum maßgeblich auch vom Tätigwerden der Niederlassungsbehörde ab. Dann aber ist es regelmäßig dem Einflussbereich des Asylberechtigten entzogen, ob er in jenem Zeitpunkt, in dem die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zur Prüfung heransteht, bereits (allenfalls: „nur noch“) über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“ oder ‑ trotz eines bereits früher eingetretenen Endigungsgrundes nach Art. 1 Abschnitt C GFK ‑ immer noch über den Status des Asylberechtigten verfügt.

75 Bei der hier anzustellenden Betrachtung ist auch einzubeziehen, dass sich aus unionsrechtlichen Vorschriften ein anderes System der Regelung des Aufenthaltsrechts eines Asylberechtigten ergibt.

76 Nach Art. 24 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (im Weiteren: Statusrichtlinie) stellen die Mitgliedstaaten so bald wie möglich nach Zuerkennung des internationalen Schutzes und unbeschadet des Art. 21 Abs. 3 dieser Richtlinie Personen, denen der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden ist, einen Aufenthaltstitel aus, der mindestens drei Jahre gültig und verlängerbar sein muss, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

77 Mit der Richtlinie 2011/51/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2011 wurde die Richtlinie 2003/109/EG („Daueraufenthaltsrichtlinie“) in ihrem Anwendungsbereich auf Personen, die internationalen Schutz genießen, erweitert. Dafür war ‑ wie sich aus den Erwägungsgründen ergibt ‑ ausschlaggebend, dass die Aussicht, nach einer bestimmten Zeit in einem Mitgliedstaat die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zu erlangen, für die vollständige Integration im Aufenthaltsmitgliedstaat von Personen, die internationalen Schutz genießen, von großer Bedeutung ist (Erwägungsgrund 2). Personen, die internationalen Schutz genießen, sollten deshalb in dem Mitgliedstaat, der ihnen internationalen Schutz gewährt hat, zu denselben Bedingungen wie andere Drittstaatsangehörige ein langfristiges Aufenthaltsrecht erlangen dürfen (Erwägungsgrund 4).

78 Somit stellen die unionsrechtlichen Vorgaben darauf ab, dass die Mitgliedstaaten einerseits zu prüfen haben, ob einem Fremden der Status des Asylberechtigten zusteht (in den Worten der Statusrichtlinie: ob ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, vgl. Art. 13), anderseits haben sie ‑ wenn dies bejaht wurde ‑ zu prüfen, ob und in welcher Dauer ihm infolgedessen ein Aufenthaltstitel zu gewähren ist (vgl. Art. 24 Statusrichtlinie: mindestens drei Jahre gültig und verlängerbar; Art. 8 Daueraufenthaltsrichtlinie: Rechtsstellung dauerhaft [Abs. 1], an dem mindestens fünf Jahre gültigen und ohne weiteres verlängerbaren Aufenthaltstitel [Abs. 2] ist der Hinweis „Durch [Name des Mitgliedstaats] am [Datum] internationaler Schutz gewährt“ anzubringen [Abs. 4]).

79 Eine solche Trennung ist allerdings nach dem AsylG 2005 nicht vorgesehen. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, von Gesetzes wegen zunächst eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigten zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich ‑ ebenfalls von Gesetzes wegen ‑ um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Demnach erlangt ein Asylberechtigter im Regelfall nach Ablauf von drei Jahren von Gesetzes wegen ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht.

80 Es besteht damit aber aus dem Blickwinkel des Fremden zwecks Erlangung eines unbefristeten Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet kein Anlass, über das aus § 3 Abs. 4 AsylG 2005 bestehende Aufenthaltsrecht hinaus auch ein sich aus dem NAG ergebendes dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Form eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt ‑ EU“ zu erlangen, zumal sich die daraus ergebende Rechtsstellung in den für ihn wesentlichen Belangen nicht maßgeblich von jener unterscheidet, über die der Fremde verfügt, wenn er den Status des Asylberechtigten innehat. Ein Interesse, ein solches Aufenthaltsrecht nach § 45 Abs. 12 NAG zu erlangen, bestünde für einen Asylberechtigten evident nur dann, wenn er die nach der Daueraufenthaltsrichtlinie vorgesehenen Begünstigungen (sh. deren Art. 14 ff) für einen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch nehmen wollte.

81 Das gilt umso mehr, als jener Asylberechtigte, der (sei es zutreffend oder irrtümlich) davon ausgeht, es seien keine in Art. 1 Abschnitt C GFK angeführten Endigungsgründe eingetreten, (auch) im Fall einer nach § 45 Abs. 12 NAG über Antrag erfolgten Erteilung des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt ‑ EU“ ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten zu gewärtigen hätte.

§ 7 Abs. 3 letzter Satz AsylG 2005 stellt nämlich lediglich auf die Mitteilung der Niederlassungsbehörde über die rechtskräftige Erteilung eines Aufenthaltstitels ab. In dieser Bestimmung wird weder auf eine amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels noch auf die Erteilung eines bestimmten Aufenthaltstitels Bezug genommen. Zwar könnte angenommen werden, dass sich der Gesetzgeber bloß auf jenen Aufenthaltstitel bezogen haben könnte, der dem Asylberechtigten aufgrund der im vorangehenden Satz in § 7 Abs. 3 Asyl 2005 vorgesehenen Mitteilung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl erteilt wird. Allerdings ergibt sich aus den Materialien, dass der Gesetzgeber eine solche Einschränkung bewusst nicht vorsehen wollte. Schon in den Erläuterungen zur Stammfassung des § 7 AsylG 2005 ist allgemein von einer „Überleitung des Asylberechtigten in das Regime des NAG“ die Rede (RV 952 BlgNR 22. GP , 37). § 45 Abs. 12 NAG wurde mit dem FNG‑Anpassungsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2013, erlassen. In den diesbezüglichen Erläuterungen wurde festgehalten, dass damit die Möglichkeit geschaffen werde, dass Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte „in das Regime des NAG wechseln können“ (RV 2144 BlgNR 24. GP , 28).

Eine solche Sichtweise entspricht zudem jener, die mit der Festlegung des Anwendungsbereiches des NAG zum Ausdruck gebracht wird. Gemäß § 1 Abs. 2 Z 1 NAG gilt das NAG (u.a.) nicht für Fremde, die nach dem AsylG 2005 oder nach vorigen asylgesetzlichen Bestimmungen zum Aufenthalt berechtigt sind. Davon ausgenommen sind nach dieser Bestimmung lediglich jene Fälle, in denen das NAG anderes bestimmt. Auch daraus ergibt sich, dass das gleichzeitige Bestehen eines aus dem AsylG 2005 und dem NAG herrührenden Aufenthaltsrechts zwar nicht gänzlich ausgeschlossen ist, aber die Ausnahme sein soll. Vor diesem Hintergrund und jenem des vom Gesetzgeber mit § 7 Abs. 3 AsylG 2005 verfolgten Zieles, einem Fremden den Status des Asylberechtigten nicht zu belassen, wenn er des damit verbundenen Schutzes nicht mehr bedarf, ist eine einschränkende Auslegung des § 7 Abs. 3 letzter Satz AsylG 2005 dahingehend, dass dort nur auf einen gemäß § 45 Abs. 8 NAG von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel ‑ mag dies auch der Hauptanwendungsfall sein ‑ abgestellt würde, nicht vorzunehmen.

82 Demgegenüber legen ‑ wie bereits dargelegt ‑ die unionsrechtlichen Vorgaben fest, dass dem Fremden, dem der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde, nach dem Art. 24 Abs. 1 Statusrichtlinie (zunächst) ein (verlängerbarer) befristeter (mindestens drei Jahre gültiger) Aufenthaltstitel zu erteilen und (später) nach den Regeln der Daueraufenthaltsrichtlinie ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht einzuräumen ist. Dass im Rahmen der Erteilung eines dauerhaften Aufenthaltsrechts oder unmittelbar nach Erteilung desselben zu prüfen wäre, ob dem Fremden der ihm zuerkannte Flüchtlingsstatus abzuerkennen wäre, ist darin nicht vorgesehen.

83 Verfügt ein Fremder über die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten nach der Daueraufenthaltsrichtlinie, kommt ihm der in dieser Richtlinie festgelegte Ausweisungsschutz zu. Die Mitgliedstaaten können gemäß Art. 12 Abs. 1 Daueraufenthaltsrichtlinie nur dann gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung verfügen, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt.

84 Der in § 52 Abs. 5 FPG enthaltene Maßstab entspricht jenem des Art. 12 Abs. 1 Daueraufenthaltsrichtlinie (vgl. VwGH 7.10.2021, Ra 2020/21/0363). Diese Bestimmung dient somit auch der Umsetzung der sich aus der genannten Richtlinie ergebenden Vorgaben.

85 Vor dem Hintergrund der in der nationalen Rechtslage gewählten Systematik, die die unionsrechtlichen Normen nicht korrekt abbildet und der zudem die Eignung nicht abzusprechen ist, dass Asylberechtigte davon abgehalten werden, von sich aus die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten nach der Daueraufenthaltsrichtlinie anzustreben, ist somit bei der Auslegung der hier in Rede stehenden Bestimmungen auch auf die von den genannten Richtlinien verfolgten Ziele Bedacht zu nehmen, um einen Widerspruch zu den unionsrechtlichen Vorgaben zu vermeiden.

86 Fremden, die über einen qualifiziert rechtmäßigen langjährigen Aufenthalt verfügen, kommt also sowohl nach den nationalen Vorschriften als auch den unionsrechtlichen Vorgaben ein erhöhter Schutz vor Aufenthaltsbeendigung zu. Es ist nun vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen kein sachlicher Grund erkennbar, jene langjährig im Bundesgebiet aufhältigen Fremden, die aufgrund des ihnen zuerkannten Status des Asylberechtigten von Gesetzes wegen von seinem Inhalt her gleichfalls über einen solchen qualifiziert rechtmäßigen Aufenthalt verfügen, von diesem erhöhten Schutz vor Aufenthaltsbeendigung gänzlich auszuschließen.

87 Sohin ist bei Erlassung einer auf § 52 Abs. 2 Z 3 FPG gestützten Rückkehrentscheidung gegen einen Fremden, dem bis dahin von Gesetzes wegen ein Aufenthaltsrecht aufgrund des ihm zuvor zuerkannten Status als Asylberechtigten zugekommen ist, im Rahmen der nach § 9 Abs. 1 BFA‑VG vorzunehmenden Beurteilung auch auf die Wertungen Bedacht zu nehmen, die sich aus jenen Vorschriften ergeben, nach denen eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nach langjähriger rechtmäßiger Niederlassung in Österreich für nicht zulässig erklärt oder an besondere Voraussetzungen geknüpft wird. Dabei kann auf die dazu ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden.

88 Dabei ist zu beachten, dass § 7 Abs. 3 AsylG 2005 zufolge solche Gründe von vornherein nur dann maßgeblich sein können, wenn die Aberkennung des Status des Asylberechtigten durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ‑ wenn auch nicht rechtskräftig ‑ nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt. Es soll demnach nämlich frühestens nach Ablauf dieser Zeit ein Asylberechtigter, der nicht straffällig geworden ist, in den Genuss einer Aufenthaltsverfestigung kommen und erst dann wäre ihm ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“ zu erteilen, ohne dass es auf das Ergebnis einer Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ankäme.

89 Dies steht mit dem sich in § 52 Abs. 5 FPG manifestierenden Gedanken in Einklang, wonach im Fall der Innehabung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt ‑ EU“ nur dann, wenn vom Fremden eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im dort genannten Maß ausgeht (vgl. zu diesem Maßstab sowie dessen Einordung in Bezug auf andere im FPG enthaltene Gefährdungsmaßstäbe VwGH 7.10.2021, Ra 2020/21/0363), eine Rückkehrentscheidung erlassen werden darf. Im Regelfall kann nämlich gemäß § 45 Abs. 1 NAG der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“ (ebenfalls) erst dann erteilt werden, wenn der Drittstaatsangehörige in den letzten fünf Jahren ununterbrochen tatsächlich niedergelassen war.

90 Der Verwaltungsgerichtshof vermag dabei in dem Umstand, dass in § 7 Abs. 3 AsylG 2005 auf den Zeitpunkt der Erlassung des behördlichen Bescheides abgestellt wird, keine unsachliche Ungleichbehandlung von Asylberechtigten zu sehen. Der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“ darf im Regelfall ‑ wie soeben erwähnt ‑ erst nach einer fünfjährigen rechtmäßigen Niederlassung erteilt werden. Gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 NAG setzt die Erteilung dieses Aufenthaltstitels aber auch die Erfüllung der Voraussetzungen des 1. Teiles des NAG voraus. Sähe die Behörde ‑ insbesondere nach Antragstellung auf Erteilung eines solchen Titels ‑ die Voraussetzungen als nicht gegeben (etwa wenn im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG der Aufenthalt des Fremden den öffentlichen Interessen widerstreitet, was gemäß § 11 Abs. 4 NAG dann der Fall ist, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde [Z 1] oder der Fremde ‑ unter weitergehenden Voraussetzungen ‑ ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat [Z 2]) und würde aus diesem Grund ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung eingeleitet, hätte (auch) in diesem Verfahren eine Beurteilung nach § 52 Abs. 5 FPG nicht Platz zu greifen, weil der Fremde zu dieser Zeit noch nicht über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“ verfügt hat (vgl. zu einem Fall, in dem eine Drittstaatsangehörige die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt ‑ EU“ beantragt hatte und dies zum Anlass genommen wurde, gegen sie eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 4 FPG zu erlassen, VwGH 1.6.2021, Ra 2021/21/0133).

91 Auch ein Konflikt mit § 9 Abs. 6 BFA‑VG ist nicht zu sehen, weil ‑ wie bereits oben erwähnt ‑ die Erfüllung der danach für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorgesehenen Voraussetzung („darf ... nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen“) nur dann in Betracht kommt, wenn der Fremde „vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war“.

92 Der Revisionswerber vertritt die Ansicht, gegen ihn dürfe nur bei Vorliegen schwerwiegender öffentlicher Interessen und eines „besonderen Falles“ eine Rückkehrentscheidung erlassen werden. Das sei hier nicht gegeben.

93 Im vorliegenden Fall liegen allerdings keine Konstellationen vor, die der Sache nach jenen entsprächen, die von § 9 Abs. 6 BFA‑VG oder § 52 Abs. 5 FPG erfasst werden.

94 Im vorliegenden Fall ist nämlich zu beachten, dass der Revisionswerber zwar bereits im Mai 2011 in das Bundesgebiet eingereist ist, ihm der Status des Asylberechtigten aber erst im April 2015 zuerkannt wurde.

95 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat seine Entscheidung über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten mit Bescheid vom 25. Juli 2018 getroffen. Dieser Bescheid wurde am 27. Juli 2018 durch Zustellung an die rechtsfreundliche Vertreterin des Revisionswerbers erlassen.

96 Im vorliegenden Fall hätte somit selbst dann, wenn der Revisionswerber nicht straffällig geworden wäre, gemäß § 7 Abs. 3 AsylG 2005 eine Aufenthaltsverfestigung nicht eintreten können. Eine amtswegige Erteilung des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt ‑ EU“ wäre jedenfalls unterblieben, weil das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl infolge der innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ‑ wenn auch nicht rechtskräftig ‑ erfolgten Aberkennung die Niederlassungsbehörde keinesfalls ‑ also auch dann nicht, wenn der Revisionswerber nicht straffällig geworden wäre ‑ gemäß dem dritten Satz des § 7 Abs. 3 AsylG 2005 zu verständigen gehabt hätte.

97 Somit liegt dann aber auch keine Konstellation vor, die der Sache nach mit einem Aufenthalt aufgrund des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt ‑ EU“ im Sinn des § 52 Abs. 5 FPG vergleichbar wäre.

98 Was nun die strafbaren Handlungen betrifft, hat sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner Begründung für die Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung (im Rahmen der Interessenabwägung), im Besonderen aber auch eines Einreiseverbotes (im Rahmen der Beurteilung, ob der weitere Aufenthalt des Revisionswerbers eine maßgebliche Gefahr darstelle), auf die vom Revisionswerber begangenen strafbaren Handlungen und die deswegen erfolgten Verurteilungen gestützt. Es hat zu den vom Revisionswerber gesetzten Verhaltensweisen ausführliche ‑ und mithin auch für die nach den oben gemachten Ausführungen vorzunehmende Beurteilung hinreichende ‑ Feststellungen getroffen.

99 Nach den Feststellungen zu den vom Bundesverwaltungsgericht als maßgeblich eingestuften Verhaltensweisen setzte der Revisionswerber die ersten strafbaren Handlungen in der Zeit von 13. August 2015 bis 2. September 2015, somit (kurz) nachdem ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden war. Er war somit zu dieser Zeit (also auch insoweit vor „Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes“) zwar bereits als rechtmäßig niedergelassen anzusehen. Das bis dahin bestehende Ausmaß der Dauer dieser Niederlassung hatte aber (im Sinn des § 9 Abs. 6 BFA‑VG) acht Jahre nicht erreicht.

100 Der Revisionswerber kann sich daher nicht darauf berufen, dass im Rahmen der gemäß § 9 Abs. 1 BFA‑VG vorzunehmenden Interessenabwägung auch jene besonderen vom Gesetzgeber festgelegten Gründe (der Sache nach) zu prüfen wären, die dazu führten, dass nach langjähriger rechtmäßiger Niederlassung in Österreich die Zulässigkeit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verneinen oder an besondere Voraussetzungen geknüpft wäre.

101 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (dies gilt gleichermaßen für die Fälle des unrechtmäßigen und des rechtmäßigen Aufenthalts, vgl. zu unrechtmäßigem Aufenthalt etwa VwGH 14.7.2021, Ra 2021/14/0158, mwN; und zum aufgrund eines Aufenthaltstitels rechtmäßigen Aufenthalt etwa VwGH 1.6.2021, Ra 2021/21/0133; 15.2.2021, Ra 2020/21/0301).

102 Dabei war gemäß § 9 Abs. 2 Z 1 BFA‑VG auch einzubeziehen, dass sich der Revisionswerber bereits mehr als zehn Jahre ‑ und davon zu einem nicht unerheblichen Teil rechtmäßig niedergelassen ‑ im Bundesgebiet aufhält. Einem solcherart langen Aufenthalt kommt bei der Interessenabwägung durchaus bedeutendes Gewicht zu. Es kommt aber nach dem oben Gesagten in einem Fall wie dem vorliegenden nicht entscheidungswesentlich darauf an, ob der Fremde bloß irgendeine, nur in geringer Intensität vorhandene Integration im Bundesgebiet aufweist.

103 Bei der fallbezogenen Beurteilung, ob sich gemäß § 9 Abs. 1 BFA‑VG die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber im Sinn des Art. 8 EMRK als verhältnismäßig darstellt, hat das Bundesverwaltungsgericht sämtliche entscheidungswesentlichen Umstände berücksichtigt. Den Erwägungen des Verwaltungsgerichts setzt der Revisionswerber im Wesentlichen nur die Gesamtdauer seines bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet entgegen. Darauf wurde aber in der angefochtenen Entscheidung ausreichend Bedacht genommen. Das Vorbringen, die letzte strafgerichtliche Verurteilung des Revisionswerbers liege „bereits viele Jahre zurück“, trifft am Boden der Feststellungen nicht zu. Im Zusammenhang mit den strafbaren Handlungen, mit denen sich das Verwaltungsgericht näher auseinandergesetzt hat, durfte auch berücksichtigt werden, dass der Revisionswerber sogleich nach Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gravierend straffällig wurde und ihn die erste Verurteilung ‑ überdies trotz offener Probezeit und bereits anhängigen Verfahrens (auch) zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung ‑ nicht davon abgehalten hat, neuerlich strafbare Handlungen zu begehen. Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zu den familiären Bindungen und dem nach wie vor bestehenden engen Kontakt zu den im Heimatland lebenden Angehörigen werden vom Revisionswerber nicht bekämpft. Es ist somit nicht zu erkennen, dass die unter Bedachtnahme auf die in der Revision angesprochenen Umstände erfolgte Interessenabwägung zu beanstanden wäre.

104 Das gilt sinngemäß auch für die Erlassung des Einreiseverbotes, zu dem in der Revision kein eigenständiges Vorbringen enthalten ist.

105 Das Bundesverwaltungsgericht, das das Einreiseverbot mit den strafbaren Handlungen des Revisionswerbers begründet hat, hat die Dauer desselben auf drei Jahre befristet, weshalb es sich schon auf § 53 Abs. 2 FPG stützen konnte (vgl. etwa VwGH 24.5.2018, Ra 2017/19/0311). Die Prüfung, ob zudem jene in § 53 Abs. 3 FPG genannten Kriterien („schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit“) erfüllt waren, die es ermöglicht hätten, die Dauer des Einreiseverbotes mit mehr als fünf Jahren (hier: bis zu zehn Jahre) festzulegen, war daher gesetzlich nicht geboten (da die in § 53 Abs. 3 FPG demonstrativ enthaltenen Tatbestände das Vorliegen einer vom Fremden ausgehenden erhöhten Gefahr indizieren, hat dies umso mehr für den in § 53 Abs. 2 FPG enthaltenen geringeren Gefährdungsmaßstab zu gelten, vgl. dazu auch die Erläuterungen zur Neufassung des § 53 FPG mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, BGBl. I Nr. 38, RV 1078 BlgNR 24. GP , 30: „Abs. 3 bestimmt, dass ein Einreiseverbot auch für Dauer bis zu zehn Jahren oder für unbestimmte Zeit verhängt werden kann, wenn der Drittstaatsangehörige durch seinen Aufenthalt eine schwerwiegende, d.h. in der Intensität eine über Abs. 2 hinausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.“).

106 Dass aber ‑ auch im Rahmen der Interessenabwägung ‑ der Blick nicht auf den in § 53 Abs. 3 FPG enthaltenen Maßstab zu richten war (weil fallbezogen keine Konstellation vorliegt, der der Sache nach jener des § 9 Abs. 6 BFA‑VG entspräche), wurde bereits ‑ im Zusammenhang mit der Frage der Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung ‑ dargelegt.

107 Es sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt, dass das Bundesverwaltungsgericht bei der Erlassung des Einreiseverbotes (ohnedies geprüft und auch) bejaht hat, dass im vorliegenden Fall der in § 53 Abs. 3 FPG enthaltene Maßstab erfüllt sei.

108 Ergebnis

109 Nach dem Gesagten liegen die behaupteten Rechtsverletzungen nicht vor. Zu den nicht im Einzelnen behandelten, von der Aberkennung des Status des Asylberechtigten sowie der Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtlich abhängenden Aussprüchen enthält die Revision kein substantiiertes Vorbringen. Dass diese Aussprüche nicht dem Gesetz entsprächen, ist nicht zu sehen. Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

110 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil der Revisionswerber schon Gelegenheit hatte, seinen Standpunkt im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vorzutragen (vgl. VwGH 27.3.2019, Ro 2018/10/0040; 30.4.2019, Ro 2019/04/0013, jeweils mwN).

Wien, am 15. Dezember 2021

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