VwGH Ro 2019/01/0014

VwGHRo 2019/01/001429.6.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. September 2019, Zl. W255 1433492‑2/5E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: M S in L, vertreten durch Mag. Kurt Kulac, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 27/IV), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs4a
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §34 Abs1 Z1
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §7
AsylG 2005 §7 Abs1
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs1 Z3
AsylG 2005 §7 Abs2a
AsylG 2005 §9
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs2
EURallg
FlKonv Art1 AbschnA Z2
FlKonv Art1 AbschnC
FlKonv Art1 AbschnC Z5
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28
VwRallg
32011L0095 Status-RL Art11 Abs1 lite
32011L0095 Status-RL Art15
32011L0095 Status-RL Art16
62008CJ0175 Salahadin Abdulla VORAB
62016CJ0391 M VORAB
62017CJ0720 Bilali VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RO2019010014.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Vorgeschichte

1 Der Mitbeteiligte, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 11. Juli 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Nachdem dieser Antrag zunächst mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19. Februar 2013 vollinhaltlich abgewiesen und der Mitbeteiligte aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen worden war, gab das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde mit dem am 8. Juni 2015 mündlich verkündeten und am 10. Juli 2015 schriftlich ausgefertigten, rechtskräftigen Erkenntnis Folge und erkannte dem Mitbeteiligten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 den Status eines Asylberechtigten zu.

3 Ausgehend vom Vorbringen des Mitbeteiligten, dass er sich nach Verlassen Afghanistans während seines Aufenthalts im Iran sehr für den christlichen Glauben interessiert habe, führte das Verwaltungsgericht begründend aus, dass sich der Mitbeteiligte zu den „Zeugen Jehovas“, einer in Österreich anerkannten, christlichen Religionsgemeinschaft, bekenne; er ein „ungetaufter Verkünder“ sei, sich ernsthaft dem christlichen Glauben zugewandt habe und sich dazu entschlossen habe, auf Grund innerer Überzeugung vom Islam zum Christentum zu wechseln und sich taufen zu lassen. Als Person mit innerer christlicher Überzeugung, die er nicht verleugnen, sondern offen ausleben wolle, sei der Mitbeteiligte im Fall der Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner religiösen Überzeugung einem erheblichen Verfolgungsrisiko sowohl von privater als auch von staatlicher Seite ausgesetzt.

4 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (Amtsrevisionswerberin) vom 3. Juli 2019 wurde dem Mitbeteiligten der Status des Asylberechtigten gemäß „§ 7 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005“ aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Zudem wurde dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan festgestellt (Spruchpunkt V.) und eine Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

5 Begründend führte die Amtsrevisionswerberin ‑ soweit im Revisionsverfahren wesentlich ‑ aus, der Mitbeteiligte habe kürzlich seine Frau im Iran nach islamischem Recht geheiratet. Er sei nicht mehr aus innerer Überzeugung Zeuge Jehovas. Die Gründe für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten lägen nicht mehr vor. Die subjektive Lage des Mitbeteiligten habe sich im Vergleich zum Zeitpunkt der Asylgewährung geändert. Wohlbegründete Furcht aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Grund bestehe nicht. Eine aktuelle Gefährdung des Mitbeteiligten in seinem Heimatstaat sei nicht anzunehmen. Dem Mitbeteiligten sei daher gemäß § 7 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten abzuerkennen.

Angefochtenes Erkenntnis

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der gegen den Aberkennungsbescheid der Amtsrevisionswerberin erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten statt und behob den Bescheid ersatzlos. Zudem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision zulässig sei.

7 Nach Wiedergabe des Gangs des Verfahrens über den Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz sowie des Aberkennungsverfahrens stellte das Verwaltungsgericht ‑ soweit für das Revisionsverfahren wesentlich ‑ fest, dass der Mitbeteiligte vom 24. Jänner 2018 bis 14. März 2018 in den Iran gereist sei, um dort eine ihm bis dahin nur telefonisch bekannte Frau, die er über seine in Afghanistan lebende Schwester kennengelernt habe, zu heiraten. Bei der Hochzeit vor dem Mullah habe er angegeben, dass er sunnitischer Muslim sei. Aus dem Islam sei er bisher nicht ausgetreten.

Seit der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sei es „zu keiner grundlegenden (objektiven) generellen ‑ von der Person“ des Mitbeteiligten „losgelösten/unabhängigen ‑ Verbesserung der Sicherheits‑ und Versorgungslage im Herkunftsstaat“ des Mitbeteiligten gekommen, „auf Grund derer man annehmen könnte, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung“ nicht mehr bestehe.

8 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, soweit die Amtsrevisionswerberin die Aberkennung des Asylstatus auf § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gestützt habe, liege ein für diesen Aberkennungstatbestand erforderlicher Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG 2005 nicht vor. Aus der Begründung des Bescheides ergebe sich jedoch, dass die Amtsrevisionswerberin für die Aberkennung des Asylstatus den Tatbestand des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 in Verbindung mit Artikel 1 Abschnitt C Ziffer 5 GFK geprüft und bejaht habe.

Demnach käme eine Asylaberkennung in Betracht, wenn es der Mitbeteiligte nach Wegfall der Umstände, auf Grund derer er als Flüchtling anerkannt worden sei, nicht mehr ablehnen könne, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitze. Nach dem UNHCR beziehe sich der Begriff „Umstände“ auf grundlegende Veränderungen in dem Land, auf Grund derer man annehmen könne, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht mehr länger bestehe. Das Abstellen auf „(objektive)“ Veränderungen im Herkunftsstaat entspreche auch der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 2. März 2010 in der Rechtssache Abdulla ua, C‑175/08 ua, wonach die Flüchtlingseigenschaft erlösche, wenn in Anbetrachteiner erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände in dem fraglichen Drittland diejenigen Umstände, auf Grund deren der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 lit. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten Gründe gehabt habe und als Flüchtling anerkannt worden sei, weggefallen seien und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinnes des Art. 2 lit. c der Richtlinie haben müsse. Auch nach näher dargelegter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei für eine Aberkennung des Asylstatus nach obiger Bestimmung entscheidend, dass es zu (objektiven) Veränderungen im Herkunftsstaat des Mitbeteiligten gekommen sei.

Im Unterschied zu den Fällen nach Art. 1 Abschnitt C Z 1 bis 4 GFK, bei denen es sich um „subjektive“ Beendigungstatbestände handle, die auf Grund des individuellen Verhaltens der betreffenden Person eintreten würden, ende die Flüchtlingseigenschaft in den Fällen nach Art. 1 Abschnitt C Z 5 und 6 GFK wegen (nicht im Verhalten des Flüchtlings gelegener) objektiver Umstände. Es werde somit auf grundlegend geänderte Umstände im Herkunftsstaat abgestellt.

Grundlegende Veränderungen im Herkunftsstaat des Mitbeteiligten seien von der Amtsrevisionswerberin nicht behauptet worden und es gäbe auch sonst keine Hinweise darauf. Die Amtsrevisionswerberin habe sich vielmehr auf eine Veränderung der subjektiven Lage des Mitbeteiligten bezogen. Damit fehle es an einer der in Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK normierten Voraussetzungen, weshalb der Beschwerde stattzugeben und der Aberkennungsbescheid ersatzlos zu beheben sei.

9 Die Zulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur hier maßgeblichen Rechtsfrage, ob eine auf Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK gegründete Aberkennung des Asylstatus auch auf eine insofern geänderte (subjektive) Lage des Mitbeteiligten gestützt werden könne, als der angenommene Nachfluchtgrund (Konversion zu den Zeugen Jehovas während anhängigem Asylverfahren in Österreich) nicht mehr vorliege, ohne dass sich die (objektive) Lage im Herkunftsstaat geändert habe.

Amtsrevision

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis „wegen Rechtswidrigkeit“ aufzuheben. Der Mitbeteiligte beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision „zu verwerfen“.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zulässigkeit

11 Die Amtsrevision ist aus den vom Verwaltungsgericht dargelegten Gründen zulässig. Sie ist auch berechtigt.

Rechtslage

12 § 3 Abs. 1, 2 und 4a AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, sowie § 7 Abs. 1 sowie 2a bis 4 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018, lauten (auszugsweise):

Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

...

(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (§ 5 BFA‑G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist.

...

§ 7. Aberkennung des Status des Asylberechtigten

(1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;

2. einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder

3. ...

(2a) Ungeachtet der in § 3 Abs. 4 genannten Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung ist ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten jedenfalls einzuleiten, wenn sich aus der Analyse gemäß § 3 Abs. 4a ergibt, dass es im Herkunftsstaat des Asylberechtigten zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist. Das Bundesamt hat von Amts wegen dem Asylberechtigten die Einleitung des Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten formlos mitzuteilen.

(3) Das Bundesamt kann einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt ‑ wenn auch nicht rechtskräftig ‑ nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem Bundesamt mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden.

(4) Die Aberkennung nach Abs. 1 Z 1 und 2 ist mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen.“

13 Art. 11 und Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9, in der Fassung der Berichtigung (des Art. 15 lit. a) ABl. L 167 vom 30.6.2017, S. 58 (Statusrichtlinie) ‑ mit Ausnahme von Art. 11 Abs. 3 inhaltsgleich mit der Vorgängerrichtlinie 2004/83/EG (vgl. Anhang II der Richtlinie) ‑ lauten (auszugsweise) wie folgt:

„Artikel 11

Erlöschen

(1) Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist nicht mehr Flüchtling, wenn er

...

e) nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder

f) als Staatenloser nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren er als Flüchtling anerkannt wurde, in der Lage ist, in das Land zurückzukehren, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

(2) Bei der Prüfung von Absatz 1 Buchstaben e und f haben die Mitgliedstaaten zu untersuchen, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann.

(3) Absatz 1 Buchstaben e und f finden keine Anwendung auf einen Flüchtling, der sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Inanspruchnahme des Schutzes des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder wenn er staatenlos ist, des Landes, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, abzulehnen.

...

Artikel 14 Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung der Flüchtlingseigenschaft

(1) Bei Anträgen auf internationalen Schutz, die nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG gestellt wurden, erkennen die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen die von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannte Flüchtlingseigenschaft ab, beenden diese oder lehnen ihre Verlängerung ab, wenn er gemäß Artikel 11 nicht länger Flüchtling ist.“

14 Artikel 1 Abschnitt C Ziffer 5 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), BGBl. Nr. 55/1955, lautet:

„Dieses Abkommen wird auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr angewendet werden, wenn die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen.

Hierbei wird jedoch unterstellt, dass die Bestimmung dieser Ziffer auf keinen Flüchtling im Sinne der Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels Anwendung findet, der sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhenden Gründe berufen kann, um die Inanspruchnahme des Schutzes des Landes abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.“

Sache des Beschwerdeverfahrens

15 In der Revisionsbeantwortung macht der Mitbeteiligte geltend, die Amtsrevisionswerberin habe die Aberkennung des Status des Asylberechtigten ausschließlich auf § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gestützt. Da ein Ausschlussgrund nach § 6 leg. cit. nicht vorliege und von der Amtsrevisionswerberin im Aberkennungsbescheid nicht einmal behauptet worden sei, sei die Aufhebung dieses Bescheides bereits deshalb zu Recht erfolgt. Damit unterstellt der Mitbeteiligte, dass ausschließlich die Aberkennung des Asylstatus nach § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 Sache des Beschwerdeverfahrens gewesen sei und somit vom Verwaltungsgericht zu prüfen gewesen wäre.

16 Der Verwaltungsgerichtshof judiziert in mittlerweile ständiger Rechtsprechung, dass das Verwaltungsgericht prinzipiell nicht nur die gegen einen verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen hat, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war. Eine Auslegung des § 27 VwGVG dahingehend, dass die Prüfbefugnis der Verwaltungsgerichte stark eingeschränkt zu verstehen wäre, ist demnach unzutreffend. Allerdings stellt die „Sache“ des bekämpften Bescheides den äußersten Rahmen für die Prüfbefugnis des Verwaltungsgerichts dar. „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl. zu allem VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005, Rn. 23, mwN).

17 Im zitierten Erkenntnis vom 17. Oktober 2019 hat der Verwaltungsgerichtshof zum Aberkennungsverfahren nach § 9 AsylG 2005 festgehalten, dass aufgrund der historischen Entwicklung dieser Bestimmung, der gesetzlich vorgesehenen Verpflichtung, bei Straffälligkeit des subsidiär Schutzberechtigten jedenfalls ein Aberkennungsverfahren einzuleiten und den in den § 9 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 festgelegten Prüfschritten, die dabei vorzunehmen sind, die vom BFA zu entscheidende Angelegenheit die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus an sich und damit sämtliche in § 9 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 vorgesehenen Prüfschritte und Aussprüche sind. Dementsprechend ist die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht nicht nur die Klärung der Frage, ob die vom BFA angenommene Änderung der Umstände nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 tatsächlich vorlag, sondern sie umfasst sämtliche Prüfschritte und Aussprüche, die im Verfahren zur Aberkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 9 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 vorzunehmen sind. Es ist dem Verwaltungsgericht daher auch nicht verwehrt, bei Verneinung der Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 zu prüfen (vgl. zu allem VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005, Rn. 24 bis 26).

18 Gleiches gilt auch für das Aberkennungsverfahren nach § 7 AsylG 2005: So normiert § 7 Abs. 2a AsylG 2005 die gesetzlich vorgesehene Verpflichtung, bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen („wenn sich aus der Analyse gemäß § 3 Abs. 4a ergibt, dass es im Herkunftsstaat des Asylberechtigten zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist“) jedenfalls ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten einzuleiten. Auch hier stellt der Gesetzgeber wie in § 9 AsylG 2005 auf das Aberkennungsverfahren an sich ab (arg.: „ein Verfahren zur Aberkennung“; vgl. auch die Erläuterungen zur Änderung des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 24/2016, in RV 996 BlgNR 25. GP , 3, wonach „diese Neuregelungen bedeuten, dass vom Bundesamt systematisch zu prüfen ist, ob im Einzelfall Gründe für die Aberkennung des Status vorliegen, da gegebenenfalls ein Aberkennungsverfahren einzuleiten ist“ und „bei Vorliegen von Aberkennungsgründen ... ein Aberkennungsverfahren wie bisher jederzeit einzuleiten“ ist).

19 Daher ist die nach § 7 AsylG 2005 vom BFA zu entscheidende Angelegenheit die Aberkennung des Status des Asylberechtigten als solches und umfasst damit sämtliche in § 7 AsylG 2005 vorgesehene Aberkennungsgründe. Dementsprechend ist die „Sache“ des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens nicht nur die Klärung der Frage, ob der vom BFA angenommene Aberkennungsgrund (nach § 7 Abs. 1 Z 1 bis 3 AsylG 2005) tatsächlich vorlag, sondern sie umfasst sämtliche in § 7 AsylG 2005 vorgesehene Aberkennungsgründe. Es ist dem Verwaltungsgericht daher nicht verwehrt, bei Verneinung einer der Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 die anderen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 zu prüfen.

20 Somit hat das Verwaltungsgericht zu Recht das Vorliegen des Aberkennungstatbestandes nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 geprüft.

Wegfall der in der Person des Asylberechtigten gelegenen und für die Anerkennung als Flüchtling maßgeblichen Umstände als Asylaberkennungsgrund gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005

21 Vorliegend ist die Rechtsfrage wesentlich, ob die Aberkennung des Status des Asylberechtigten auf Grund des Endigungsgrundes des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK zwingend eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Veränderung der Umstände im Herkunftsstaat des Asylberechtigten, auf Grund deren der Status des Asylberechtigten anerkannt wurde, voraussetzt, oder unabhängig davon bereits eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Veränderung der in der Person des Asylberechtigten gelegenen und für die Anerkennung des Asylstatus maßgeblichen Umstände ausreicht.

22 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seiner Rechtsprechung schon mehrfach mit dem Endigungsgrund des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK beschäftigt:

23 Ausgehend von Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK können nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings darf es sich dabei nicht nur um vorübergehende Veränderungen handeln. Ob eine die Anwendung des Endigungsgrundes des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK rechtfertigende relevante Änderung der Verhältnisse im Herkunftsstaat eingetreten ist, hat die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht von Amts wegen zu ermitteln und unter Berücksichtigung der Fluchtgeschichte bzw. der Fluchtgründe eines Asylwerbers zu prüfen, ob diese noch immer einen asylrechtlich relevanten Aspekt haben könnten (vgl. VwGH 31.1.2019, Ra 2018/14/0121 ‑ 0126, Rn. 26 und 27, mwN auf Vorjudikatur).

24 Bei den „Umständen“ im Sinne der zitierten Bestimmung muss es sich insbesondere um solche handeln, die sich auf grundlegende, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention angeführten Fluchtgründe betreffende (objektive) Veränderungen im Heimatstaat des Flüchtlings beziehen, auf Grund deren angenommen werden kann, dass der Anlass für die ‑ begründete ‑ Furcht vor Verfolgung nicht mehr länger besteht (vgl. nochmals VwGH 31.1.2019, Ra 2018/14/0121 ‑ 0126, Rn. 30, mwN auf Vorjudikatur). Nach dieser Rechtsprechung können somit neben (objektiven) Veränderungen im Heimatstaat des Flüchtlings auch weitere „Umstände“ den Beendigungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK begründen (vgl. jüngst in diesem Sinn VwGH 25.5.2020, Ra 2019/19/0116, Rn. 21).

25 Die Beendigungsklauseln des Art. 1 Abschnitt C GFK beruhen auf der Überlegung, dass internationaler Schutz nicht mehr gewährt werden sollte, wo er nicht mehr erforderlich oder nicht mehr gerechtfertigt ist. Bei der „Wegfall der Umstände“‑Klausel ist dies dann der Fall, wenn die Gründe, die dazu führten, dass eine Person ein Flüchtling wurde, nicht mehr bestehen (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0059, Rn. 28, mwN ua auf UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß dem Abkommen von 1951 und dem Protokoll von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 1979, Rn. 111, 115).

26 Daran anknüpfend führte der Verwaltungsgerichtshofim Zusammenhang mit dem Familienverfahren (nach § 34 AsylG 2005) aus: „Bestehen jene Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr, und kann es die Bezugsperson daher nicht weiterhin ablehnen, sich unter den Schutz ihres Heimatstaates zu stellen, besteht weder nach dem Zweck des internationalen Flüchtlingsschutzes noch nach jenem des Familienverfahrens nach dem AsylG 2005 eine Rechtfertigung dafür, den Asylstatus des Familienangehörigen, der diesen Status von der Bezugsperson nur abgeleitet hat, aufrecht zu erhalten“ (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0059, Rn. 28, mwH auf Nedwed, Familienverfahren ‑ Schutz des Einzelnen oder des Kollektivs, in Filzwieser/Taucher, Asyl‑ und Fremdenrecht. Jahrbuch 2019 (2019) 231 f). Der Verwaltungsgerichtshof geht somit davon aus, dass es der Flüchtling nach Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatstaates zu stellen, wenn jene Umstände, auf Grund deren er als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen.

27 Diese Auslegung steht auch nicht im Widerspruch zu den Ausführungen des UNHCR zum Endigungsgrund des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK im Handbuch und Richtlinien über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß dem Abkommen von 1951 und dem Protokoll von 1967 über die Rechtstellung der Flüchtlinge, 2011, Rn. 135, wonach sich der Begriff „Umstände“ auf grundlegende Veränderungen in dem Land bezieht, auf Grund derer man annehmen kann, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht mehr länger besteht. So weist UNHCR einleitend zu den Bestimmungen über die Beendigung des Flüchtlingsstatus allgemein darauf hin (Rn. 111), dass die sogenannten „Beendigungsklauseln“ des Art. 1 Abschnitt C Z 1 bis 6 GFK die Umstände definieren, unter denen ein Flüchtling aufhört, ein Flüchtling zu sein, wobei diese Klauseln auf der Überlegung beruhen, dass internationaler Schutz nicht mehr gewährt werden sollte, wo er nicht mehr erforderlich oder nicht mehr gerechtfertigt ist.

28 Letztlich geht auch UNHCR in den Richtlinien zum Internationen Schutz Nr. 3: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Artikels 1 C(5) und (6) des Abkommens von 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge („Wegfall der Umstände“‑Klauseln), in: UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß dem Abkommen von 1951 und dem Protokoll von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Neuauflage Genf, Dezember 2011 (deutsche Version 2013), 115 (englische Originalfassung Guidelinie on International Protection: Cessation of Refugee Status under Article 1C(5) and (6) of the1951 Convention relating to the Status of Refugees [the “Ceased Circumstances" Clauses], HCR/GIP/03/03 vom 10. Februar 2003) davon aus, dass der Wortlaut von Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK eine einzelfallbezogene Anwendung zulässt (Rn. 18: „A strict interpretation of Article 1C(5) and (6) would allow their application on an individual basis.“). UNHCR betont dabei aber, dass die Anwendung der Beendigungsklauseln auf Einzelfälle jedenfalls nicht zum Zweck einer erneuten Anhörung erfolgen darf (vgl. UNHCR, aaO, Rn. 18). Dem entspricht die oben angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Anwendung des Endigungsgrundes des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK von der Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht von Amts wegen zu ermitteln und zu prüfen ist (vgl. VwGH 31.1.2019, Ra 2018/14/0121 ‑ 0126, Rn. 27, mwN auf Vorjudikatur).

29 Somit ist nach Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK entscheidend, dass die Gründe, die dazu führten, dass eine Person ein Flüchtling wurde, nicht mehr bestehen. Bereits dann kann der Asylberechtigte nicht weiterhin ablehnen, sich unter den Schutz ihres Heimatstaates zu stellen.

30 Dies entspricht im Übrigen auch dem unionsrechtlichen Hintergrund der Statusrichtlinie:

31 Nach der Rechtsprechung des EuGH „ergibt sich aus den Erwägungsgründen 4, 23 und 24 der Richtlinie 2011/95 , dass das Genfer Abkommen einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen darstellt und dass die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und über deren Inhalt erlassen wurden, um die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Anwendung des Abkommens auf der Grundlage gemeinsamer Konzepte und Kriterien für die Anerkennung von Asylbewerbern als Flüchtlinge im Sinne von Art. 1 dieses Abkommens zu leiten“ (vgl. EuGH 14.5.2019, M gegen Ministerstvo vnitra (C-391/16 ) und X (C‑77/17), X (C‑78/17) gegen Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides, Rn. 81). Die Bestimmungen der Statusrichtlinie sind „daher im Licht ihrer allgemeinen Systematik und ihres Zwecks unter Beachtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der in Art. 78 Abs. 1 AEUV angesprochenen anderen einschlägigen Verträge auszulegen“ (vgl. EuGH 13.9.2018, C‑369/17, Ahmed, Rn. 41, mwN auf die Rechtsprechung des EuGH). Dies gilt entsprechend auch für die mit Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK wortidente Bestimmung des Art. 11 Abs. 1 lit. e der Statusrichtlinie (2011/95/EU ) ‑ unverändert übernommen von der Vorgängerrichtlinie 2004/83/EG (vgl. EuGH 2.3.2010, C‑175/08 ua, Abdulla ua, Rn. 53)

32 Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung betont, „dass es der allgemeinen Systematik und den Zielen der Richtlinie 2011/95 widersprechen würde, die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechtsstellungen Drittstaatsangehörigen zuzuerkennen, die sich in Situationen befinden, die keinen Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes aufweisen“ (EuGH 23.5.2019, C‑720/17, Bilali, Rn. 44). Daran anschließend hat der EuGH zur Änderung der Umstände nach Art. 16 der Statusrichtlinie festgehalten: „Zwar ergibt sich eine solche Änderung im Allgemeinen daraus, dass sich die tatsächlichen Umstände im Drittland geändert haben und durch diese Änderung die Ursachen, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt haben, beseitigt worden sind, jedoch sieht zum einen Art. 16 der Richtlinie 2011/95 nicht ausdrücklich vor, dass sein Anwendungsbereich auf einen solchen Fall beschränkt ist, und zum anderen kann eine Änderung des Kenntnisstands des Aufnahmemitgliedstaats hinsichtlich der persönlichen Situation der betroffenen Person in gleicher Weise dazu führen, dass die ursprüngliche Befürchtung, dass Letztere einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 dieser Richtlinie erleidet, im Licht der neuen Informationen, die diesem Mitgliedstaat zur Verfügung stehen, nicht mehr begründet erscheint“ (vgl. EuGH 23.5.2019, C‑720/17, Bilali, Rn. 49, mwN; dem folgend VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153, Rn. 100). Dabei betont der EuGH, „dass diese Auslegung durch eine Betrachtung der Richtlinie 2011/95 im Licht der Genfer Flüchtlingskonvention bestätigt wird“ (vgl. EuGH 23.5.2019, C‑720/17, Bilali, Rn. 53).

33 Auch zu Art. 11 Abs. 1 lit. e der Statusrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG  ‑ Statusrichtlinie aF) hat der EuGH festgehalten, ein „solches Erlöschen impliziert [...], dass durch die Änderung der Umstände die Ursachen, die zu der Anerkennung als Flüchtling führten, beseitigt worden sind“ (vgl. EuGH 2.3.2010, C‑175/08 ua, Abdulla ua, Rn. 69).

34 Letztlich gehen auch die Literatur und EASO davon aus, dass der Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 lit. e der Statusrichtlinie „Wegfall der Umstände, aufgrund deren er als Flüchtling anerkannt worden ist“ nicht zwischen den in der Person des Flüchtlings gelegenen, für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft maßgeblichen, Umstände und jenen die Lage im Herkunftsstaat betreffenden Umstände unterscheidet. Eine entsprechende Änderung der Umstände muss sich somit nicht zwangsläufig nur auf eine (objektive) Veränderung der Situation im Herkunftsstaat beziehen, sondern umfasst auch eine allfällige erhebliche und nicht nur vorübergehende Veränderung jener persönlichen Umstände des anerkannten Flüchtlings, auf Grund derer er als Flüchtling anerkannt wurde, wie etwa die Abkehr von einer im Heimatland verfolgten Religion oder politischen Gesinnung, sofern damit nach den objektiven Umständen im Herkunftsstaat eine gefahrlose Rückkehr möglich ist (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Kommentar zum Asyl‑ und Fremdenrecht (2016), 955, K9; EASO, Richterliche Analyse, Beendigung des internationalen Schutzes: Artikel 11, 14, 16 und 19 der Anerkennungsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU ), S 35). Der bloße Wegfall subjektiv empfundener Furcht reicht hingegen nicht für den Eintritt des Endigungsgrunds des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK (vgl. nochmals VwGH 31.1.2019, Ra 2018/14/0121 ‑ 0126, Rn. 30). Schließlich bedeutet eine solche erhebliche, die gefahrlose Rückkehr ermöglichende Änderung der in der Person des Asylberechtigten gelegenen Umstände auch eine grundlegende Änderung der objektiven Umstände für seine Verfolgungsgefahr im Herkunftsland. Auf Grund der in der Person des Asylberechtigten gelegenen Veränderung erscheint dieser in seinem Herkunftsland nicht mehr Umständen ausgesetzt, die die Unfähigkeit dieses Landes belegen, seinen Schutz vor Verfolgungshandlungen sicherzustellen, die aus Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe gegen seine Person gerichtet würden und nach dem oben zitierten Urteil des EuGH vom 2. März 2010, C‑175/08 ua, Abdulla ua, Rn. 69, folglich die Flüchtlingseigenschaft erlischt, weil durch diese Änderung der Umstände die Ursachen, die zu der Anerkennung als Flüchtling führten, beseitigt worden sind.

35 Wie angeführt, beruhen die Beendigungsklauseln des Art. 1 Abschnitt C GFK auf der Überlegung, dass internationaler Schutz nicht mehr gewährt werden sollte, wo er nicht mehr erforderlich oder nicht mehr gerechtfertigt ist (vgl. nochmals VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0059, Rn. 28, mwN ua auf UNHCR).

36 Gerade dies würde jedoch die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, wonach der Endigungsgrund des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK zwingend eine grundlegende Veränderung der Lage im Herkunftsstaat des Asylberechtigten voraussetzt, betreffend Personen bedeuten, denen die Flüchtlingseigenschaft insbesondere erst nach Verlassen ihres Heimatstaats ausschließlich auf Grund in ihrer Person gelegener Änderungen ohne zwischenzeitige Veränderung der Lage im Herkunftsland zukam, und in der Folge die für die Zuerkennung des Asylstatus ursächlichen, in der Person gelegenen Umstände ohne (erheblicher) Änderung der Lage im Herkunftsland (wieder) weggefallen sind.

37 Im Übrigen bewirkt eine für die Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft erhebliche und nicht nur vorübergehende Veränderung der persönlichen Umstände eines Asylberechtigten auch eine grundlegende Änderung der Lage in seinem Herkunftsland in Bezug auf seine dortige Verfolgungsgefahr.

38 Der Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, soweit er sich auf den Endigungsgrund des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK bezieht, ist somit auch dann erfüllt, wenn sich (bloß) die für die Zuerkennung des Asylstatus wesentlichen in der Person des Asylberechtigten gelegenen Umstände nachträglich derart erheblich und nicht nur vorübergehend verändern, sodass für den Asylberechtigten in seinem Heimatstaat keine Verfolgungsgefahr mehr besteht, obwohl sich die dortige Lage seit Zuerkennung des Asylstatus nicht (erheblich) verändert hat.

Einzelfallbezogene Beurteilung

39 Die Amtsrevisionswerberin gründete vorliegend die Aberkennung des Asylstatus darauf, dass der Mitbeteiligte nach Zuerkennung des Asylstatus nicht mehr aus innerer Überzeugung der christlichen Glaubensgemeinschaft angehöre und nicht vom islamischen Glauben abgefallen sei, weshalb ihm in Afghanistan nunmehr keine asylrechtlich relevante Verfolgung aus religiösen Gründen drohe.

40 Entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts vermag allein die Hinwendung zu seinem ursprünglichen islamischen Glauben den Wegfall der Umstände, auf Grund deren er als Flüchtling anerkannt wurde, und er es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz seines Heimatlandes zu stellen, die Aberkennung des Asylstatus gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 zu begründen.

41 Indem das Verwaltungsgericht das Vorliegen des Endigungsgrundes Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK bereits mangels grundlegender Veränderungen im Herkunftsstaat des Mitbeteiligten verneinte, ohne die von der Amtsrevisionswerberin festgestellte und für die Aberkennung des Asylstatus gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 maßgebliche Änderung der Glaubenseinstellung des Erstmitbeteiligten zu prüfen, hat es die angefochtene Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Ergebnis

42 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 29. Juni 2020

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