Normen
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3 Z9;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §32;
NAG 2005 §33;
NAG 2005 §41a Abs9;
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
2.1. Mit den angefochtenen Erkenntnissen gab das Verwaltungsgericht den Beschwerden der revisionswerbenden Parteien (im Folgenden: Revisionswerber) gegen die Bescheide des Landeshauptmanns von Wien (im Folgenden: Behörde) vom 10. April 2015, mit denen die Anträge der seit dem Jahr 1999 miteinander verheirateten Revisionswerber, beide nepalesische Staatsangehörige, vom 20. August 2012 jeweils auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a Abs. 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) in der anzuwendenden Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 87/2012 (vgl. § 81 Abs. 23 NAG) abgewiesen worden waren, keine Folge. Das Verwaltungsgericht führte begründend im Wesentlichen aus, bei gewichtender Gegenüberstellung der berührten öffentlichen und privaten Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung sei die Erteilung der beantragten Aufenthaltstitel nicht gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht gemäß § 25a Abs. 1 VwGG für nicht zulässig.
2.2. Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision, in der ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behauptet wird. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird von den Revisionswerbern jedoch trotz weitläufiger Erörterungen nicht aufgezeigt.
3. Voranzustellen ist, dass die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. Juli 2015, Ra 2014/22/0055).
Vorliegend zeigen die Revisionswerber - wie im Folgenden näher erörtert wird - keine stichhältigen Gründe auf, aus denen die vom Verwaltungsgericht durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK nicht auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgt wäre.
4.1. Das Verwaltungsgericht erkannte im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass vor allem der langjährige unrechtmäßige Aufenthalt in Österreich für die Versagung der beantragten Aufenthaltstitel entscheidungswesentlich ist. Der Aufenthalt der Revisionswerber - seit ihrer illegalen Einreise im November 2007 bzw. im Jänner 2008 (bei der sie zudem widersprüchliche Angaben über die Hintergründe ihrer behaupteten Flucht machten und zum Teil auch einen falschen Namen und ein unrichtiges Geburtsdatum verwendeten) - war nämlich nur auf Grund einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung für die Dauer ihrer Asylverfahren erlaubt, wobei die Revisionswerber jedenfalls bereits seit der Abweisung ihrer Asylanträge in erster Instanz im Februar 2008 bzw. im Februar 2009 nicht (mehr) damit rechnen durften, dauerhaft in Österreich bleiben zu können (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 9. September 2014, 2013/22/0350, und vom 7. Mai 2014, 2013/22/0027). Nach Abweisung ihrer Asylanträge durch den Asylgerichtshof im Dezember 2009, rechtskräftig seit Jänner 2010, und ihrer gleichzeitigen Ausweisung aus Österreich hätten die Revisionswerber das Bundesgebiet ungesäumt verlassen und den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise wieder herstellen müssen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2013, 2012/22/0272). Indem sie die behördlichen bzw. gerichtlichen Entscheidungen über die Verweigerung eines Asyl- bzw. Aufenthaltsrechts ignoriert haben und widerrechtlich in Österreich geblieben sind, haben sie das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens, dem im Hinblick auf die Wahrung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukommt, stark beeinträchtigt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Juni 2015, Ra 2015/22/0026).
4.2. Die Revisionswerber wenden dagegen ein, ihr Aufenthalt sei auch nach Abschluss der Asylverfahren im Hinblick auf § 46a Fremdenpolizeigesetz geduldet gewesen, weil sie seit ihrer behaupteten Flucht über keine Reisedokumente verfügt hätten und diese auch nicht hätten besorgen können. Diesem Vorbringen ist schon deshalb nicht zu folgen, weil die Revisionswerber - nachdem ihnen die Behörde im Zuge der Bearbeitung ihrer gegenständlichen Anträge die Vorlage (unter anderem) der Reisedokumente aufgetragen hatte - die Ausstellung neuer Dokumente durch den Herkunftsstaat innerhalb kurzer Zeit erwirken konnten. Die Revisionswerber haben aber nicht behauptet, dass eine frühere Erlangung der Dokumente nicht möglich gewesen wäre, weil ein diesbezüglicher Hinderungsgrund erst im Zuge der Bearbeitung ihrer hier gegenständlichen Anträge durch die Behörde weggefallen sei. Es kann daher - auch im Hinblick darauf, dass die Revisionswerber die Ausstellung einer Karte für Geduldete niemals beantragt haben - davon ausgegangen werden, dass sie an einer (bereits früher möglichen) Erlangung der Dokumente von ihrem Herkunftsstaat nicht in der notwendigen Weise mitgewirkt haben.
4.3. Die Revisionswerber machen ferner geltend, die Dauer des unrechtmäßigen Aufenthalts dürfe ihnen nicht vorgehalten werden, weil über die gegenständlichen Anträge durch die Behörde nicht ungesäumt entschieden worden sei. Dieses Vorbringen ist zwar insofern zutreffend, als die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthalts in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist, ein gesetzliches Kriterium darstellt, das in die Abwägung nach § 11 Abs. 3 NAG einzubeziehen ist. Nicht gefolgt werden kann jedoch der Auffassung, dass die gegenständlichen Verfahren von einer überlangen Dauer im Sinn des § 11 Abs. 3 Z 9 NAG geprägt gewesen wären, wiesen doch die - immerhin zwei Rechtsgänge mit mündlichen Verhandlungen durch das Verwaltungsgericht umfassenden - Verfahren eine Gesamtdauer von (lediglich) etwas über drei Jahren auf (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 17. April 2013, 2013/22/0033, wo - bei nur einem Rechtsgang - eine Verfahrensdauer von mehr als zweieinhalb Jahren als nicht überlang erachtet wurde).
4.4. Was die gesamte Dauer des inländischen Aufenthalts der Revisionswerber betrifft, so beläuft sich diese - bezogen auf den maßgebenden Zeitpunkt der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht (vgl. den hg. Beschluss vom 13. September 2016, Ra 2016/22/0041 ua.) - auf knapp acht Jahre. Eine derartige Aufenthaltsdauer ist aber - wie das Verwaltungsgericht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs folgerte (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 10. Dezember 2013, 2012/22/0151, und vom 14. April 2016, Ra 2016/21/0029) - für sich betrachtet noch nicht dermaßen lang, um von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib im Inland bzw. von der Unverhältnismäßigkeit einer Ausweisung auszugehen (vgl. zu einer etwa achtjährigen Aufenthaltsdauer das hg. Erkenntnis vom 21. März 2013, 2011/23/0360). Die Aufenthaltsdauer ist auch nicht derart beschaffen, dass die Revisionswerber dadurch gehindert sein könnten, sich wieder eine existenzielle Grundlage im Herkunftsstaat aufzubauen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 2013, 2013/22/0273).
5.1. Das Verwaltungsgericht ist ferner im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zum Ergebnis gelangt, dass die Revisionswerber durch ihre selbständige Erwerbstätigkeit - jedenfalls seit Abschluss der Asylverfahren und dem Ende der damit verbundenen vorläufigen Aufenthaltsberechtigung - keine nachhaltige Integration in den heimischen Arbeitsmarkt mehr erlangt haben, weil es an einem dafür notwendigen Aufenthaltstitel fehlte (vgl. § 32 NAG). Das Vorliegen von Werkverträgen bzw. einer Gewerbeberechtigung konnte daran nichts ändern (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 2012, 2012/18/0174). Im Hinblick darauf begegnet die Würdigung des Verwaltungsgerichts, dass die selbständige Erwerbstätigkeit der Revisionswerber jedenfalls aus fremdenrechtlicher Sicht überwiegend als unrechtmäßig einzustufen ist, keinen Bedenken (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 2012, 2012/18/0168). Wie das Verwaltungsgericht ergänzend festhielt, verfügten die Revisionswerber auch über keine Berechtigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, die sie für die allfällige Aufnahme einer unselbständigen Beschäftigung im Anwendungsbereich jenes Gesetzes benötigt hätten (vgl. § 33 NAG), sodass auch insofern eine Integration in den Arbeitsmarkt nicht anzunehmen ist.
5.2. Wie das Verwaltungsgericht ohne Rechtsirrtum erkannte, ist aus den vom Erstrevisionswerber vorgelegten Arbeitsvorverträgen (jeweils über eine Vollzeitbeschäftigung als Küchenhilfe), der Bestätigung über die "Reservierung" eines Arbeitsplatzes in einem Lebensmittelhandel und der Absolvierung einer Ausbildung zum Pizzakoch gleichfalls keine erhebliche berufliche Integration abzuleiten. Diese Umstände stellen sich vielmehr als (bloße) Vorbereitung einer künftigen Berufstätigkeit nach einem länger dauernden Inlandsaufenthalt dar, der im Rahmen der Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK kein entscheidendes Gewicht beizumessen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. April 2012, 2011/21/0014).
6.1. Was den im September 2013 in Österreich geborenen Sohn der Revisionswerber (im Folgenden nur: Sohn) anbelangt, so wurde mit Bescheid vom 28. Oktober 2014 einerseits dessen Asylantrag abgewiesen, andererseits wurde der von ihm beantragte Aufenthaltstitel nach den §§ 57, 55 AsylG nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung erlassen. Nach der Aktenlage hat der Sohn gegen die Abweisung des Asylantrags kein Rechtsmittel erhoben, sodass ihm eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung im Rahmen des Asylverfahrens nicht mehr zukommt, die ausschließliche Bekämpfung der Versagung des beantragten Aufenthaltstitels und der Rückkehrentscheidung kann daran nichts ändern. Hat aber der Sohn - im für die Beurteilung maßgebenden Zeitpunkt der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht - über ein Aufenthaltsrecht nicht mehr verfügt, so ist auch ein diesbezüglicher Eingriff in das Familienleben der Revisionswerber nicht gegeben (anders bei einer noch nicht rechtskräftigen Beendigung der Asylverfahren von Familienangehörigen; vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 2014, 2013/22/0166), kann doch - selbst wenn über den Sohn noch keine rechtskräftige Rückkehrentscheidung erlassen wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Juli 2009, 2009/21/0078) - eine gemeinsame Rückkehr in den Heimatstaat unterstellt werden (vgl. neuerlich das hg. Erkenntnis 2011/23/0360). Dem steht auch der mit einer Rückkehr in den Herkunftsstaat verbundene Eingriff in das Privatleben des Sohnes nicht entgegen, zumal dieser - im für die Beurteilung maßgebenden Zeitpunkt - erst zwei Jahre alt war, sodass seine Sozialisation außerhalb des engen Familienkreises noch gar nicht begonnen hatte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. April 2002, 2001/18/0176).
6.2. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannte, bestehen immer noch starke familiäre Bindungen der Revisionswerber zu ihrem Heimatland, zumal dort die im Jahr 2005 geborene gemeinsame Tochter sowie die Eltern und mehrere Geschwister des Erstrevisionswerbers leben, wohingegen in Wien lediglich ein Bruder des Erstrevisionswerbers lebt. Zudem haben die Revisionswerber den Herkunftsstaat erst im Erwachsenenalter verlassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2012, 2010/21/0124), sodass sie dort unbestritten sozialisiert sind.
7.1. Auf die von den Revisionswerbern während ihres Aufenthalts in Österreich erlangten Deutschkenntnisse hat das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Interessenabwägung Bedacht genommen. Die im Revisionsverfahren nachgereichten Sprachzertifikate B1 sind auf Grund des Neuerungsverbots unbeachtlich.
Ansonsten verweisen die Revisionswerber vor allem auf ihre Unbescholtenheit, ihre Selbsterhaltungsfähigkeit und ihre soziale Integration (großer Freundes- und Bekanntenkreis, Mitwirkung in Vereinen und im Rahmen der Flüchtlingshilfe) sowie ausgesprochene Empfehlungen, wobei das Verwaltungsgericht auch diese Umstände auf nicht zu beanstandende Weise in seine abwägende Gesamtbetrachtung einbezogen hat.
Das vor einiger Zeit stattgefundene Erdbeben und die dabei entstandenen Schäden an Wohngebäuden und Infrastruktur stehen einer Rückkehr der Revisionswerber nach Nepal ebensowenig entgegen. Es wurde jedenfalls nicht konkret vorgebracht, dass es für die Revisionswerber allein aus diesem Grund ausgeschlossen wäre, sich im Herkunftsstaat eine neue Existenzgrundlage zu schaffen.
7.2. Dem Revisionsvorbringen kann auch insoweit nicht gefolgt werden, als behauptet wird, das Verwaltungsgericht habe bloß die "inhaltsleeren und unbegründeten Schablonentexte" der Behörde mit "all den sattsam bekannten Musterfloskeln" verwendet und vielfach eine veraltete Rechtsprechung herangezogen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die angefochtenen Erkenntnisse ausführlich und schlüssig begründet und seine Erörterungen mit entsprechenden Belegstellen aus dem Gesetz und der (aktuellen) Rechtsprechung versehen.
8. Insgesamt werden daher in der maßgeblichen Zulassungsbegründung (vgl. den hg. Beschluss vom 22. Jänner 2016, Ra 2015/20/0167) keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - zurückzuweisen.
Wien, am 23. November 2017
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