VwGH 2012/22/0151

VwGH2012/22/015110.12.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 4. Juli 2012, Zl. 162.005/2-III/4/12, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §52 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §61 idF 2011/I/038;
MRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §41a Abs9 Z2;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
FrPolG 2005 §52 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §61 idF 2011/I/038;
MRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §41a Abs9 Z2;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Devolutionsweg ergangenen angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines indischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 und § 41a Abs. 9 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer am 15. September 2002 unrechtmäßig eingereist sei. Sein am 17. September 2002 gestellter Asylantrag sei letztinstanzlich mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. Mai 2003 abgewiesen worden. Weitere Asylanträge vom 2. Februar 2005 und 12. März 2009 seien wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden.

Mit rechtskräftigem Bescheid vom 11. März 2009 habe die Bundespolizeidirektion Wien eine Ausweisung verfügt.

Am 7. Juli 2009 habe der Beschwerdeführer einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs. 4 NAG gestellt. Dabei habe er vorgebracht, dass er seit über sechs Jahren in Österreich lebte, ein regelmäßiges Einkommen hätte und bei der Wiener Gebietskrankenkasse selbstversichert wäre. Er wäre gut integriert und hätte sich hier seine Existenz und einen großen Freundeskreis aufgebaut.

Am 27. Oktober 2011 habe der Beschwerdeführer diesen Antrag dahin modifiziert, dass er nunmehr einen Aufenthaltstitel gemäß § 41a Abs. 9 NAG beantrage.

Nach Wiedergabe der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen folgerte die belangte Behörde, dass die Abweisung des beantragten Aufenthaltstitels einen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers darstelle. Dieser Aufenthalt beruhe jedoch auf einer illegalen Einreise und auf einem letztlich unbegründeten Asylantrag. In erster Instanz sei der Asylantrag bereits mit Bescheid vom 10. April 2003 abgewiesen worden. Schon in einem frühen Stadium seines Aufenthaltes hätte der Beschwerdeführer von einem nicht gesicherten Aufenthaltsstatus ausgehen müssen. Die integrationsbegründenden Umstände, wie etwa das Ablegen einer Deutschprüfung auf dem Niveau A2, die aktive Teilnahme an einem Vereinsleben, der Abschluss eines Werkvertrages, die Anmietung einer Unterkunft sowie das Vorliegen von Einstellungszusagen seien während eines Aufenthaltes erworben worden, der sich auf letztlich nicht berechtigte Asylanträge gegründet habe. Aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation dürften keine Vorteile gezogen werden. Die im Verfahren vorgebrachten Umstände reichten nicht aus, dass dem Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein Privatleben in Österreich zu ermöglichen wäre. Der Beschwerdeführer sei erst im Erwachsenenalter nach Österreich eingereist und die strafrechtliche Unbescholtenheit bewirke keine relevante Verstärkung seiner persönlichen Interessen. Seit der rechtskräftigen Ausweisung "des AGH mit Erkenntnis vom 27.5.2009" hätte sich der Sachverhalt nicht maßgeblich verändert und es wäre somit auch eine Zurückweisung nach § 44b Abs. 1 Z 1 NAG "anzudenken" gewesen. Im Zweifel sei jedoch eine neuerliche Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK vorgenommen worden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides im Juli 2012 die Bestimmungen des NAG idF BGBl. I Nr. 112/2011 anzuwenden sind.

Der vom Beschwerdeführer begehrte Aufenthaltstitel erfordert u. a., dass dessen Erteilung gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen das Ergebnis dieser behördlichen Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK.

Diesbezüglich berücksichtigte die belangte Behörde zu Recht, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt. Demgegenüber wurde aber in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Ausweisungen nach § 53 Abs. 1 FPG idF vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 (FrÄG 2011) bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden wiederholt von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich und damit von der Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung ausgegangen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden derartige Ausweisungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung hat unverändert bei Rückkehrentscheidungen nach § 52 Abs. 1 FPG (idF des FrÄG 2011) Relevanz (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 2012, 2012/21/0044).

Im vorliegenden Fall hielt sich der Beschwerdeführer (im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides) beinahe zehn Jahre in Österreich auf. Die belangte Behörde billigte dem Beschwerdeführer ausdrücklich zu, dass er die Deutschprüfung auf dem Niveau A2 bestanden habe, sich an einem Vereinsleben aktiv beteilige, einen Werkvertrag (als Zeitungszusteller) abgeschlossen habe, über eine Unterkunft und über Einstellungszusagen verfüge. Weiters trat sie seinem Vorbringen nicht entgegen, dass er ein regelmäßiges Einkommen habe und bei der Wiener Gebietskrankenkasse versichert sei. Somit ist davon auszugehen, dass sein Unterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel sichergestellt ist. Davon ausgehend stellt entgegen der Ansicht der belangten Behörde die Verweigerung eines Aufenthaltstitels einen unzulässigen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers dar.

Demnach war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 10. Dezember 2013

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