VwGH 2011/21/0014

VwGH2011/21/001419.4.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des D in G, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, und Dr. Franz Unterasinger, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Radetzkystraße 8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 29. November 2010, Zl. E1/9799/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
NAG 2005 §44 Abs4;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
NAG 2005 §44 Abs4;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 23. Dezember 2000 nach Österreich ein und beantragte am 17. Mai 2001 die Gewährung von Asyl. Dieser Antrag wurde erstinstanzlich am 26. Juli 2001, zweitinstanzlich am 30. Juli 2009 abgewiesen.

Am 21. August 2009 beantragte der Beschwerdeführer die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" nach § 44 Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG. Mit Bescheid vom 19. Mai 2010 wies der Landeshauptmann von Steiermark diesen Antrag gemäß § 44 Abs. 4 sowie § 11 Abs. 2 Z. 4 NAG ab. Eine dagegen erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Erkenntnis vom 20. März 2012, Zl. 2010/21/0236, dem die Einzelheiten dieses Verfahrens entnommen werden können, als unbegründet abgewiesen.

Mit dem vorliegend bekämpften, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 29. November 2010 wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (die belangte Behörde) den Beschwerdeführer gemäß den §§ 31, 53 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus.

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass sich der Beschwerdeführer seit rechtskräftiger Beendigung seines Asylverfahrens im Juli 2009 rechtswidrig in Österreich aufhalte. Dadurch sei die öffentliche Ordnung nicht nur geringfügig beeinträchtigt.

Er befinde sich zwar seit rund neun Jahren und zehn Monaten im Bundesgebiet, doch könne nicht von einer "besonders zu berücksichtigungswürdigen Integration" ausgegangen werden. Er sei bislang in Österreich nicht erwerbstätig und somit auch nicht in der Lage gewesen, seinen Lebensunterhalt selbst zu finanzieren. Vielmehr habe er zunächst finanzielle Leistungen im Rahmen der Grundversorgung für Asylwerber und danach verschiedene Unterstützungszahlungen, etwa von Landsleuten und Freunden, bezogen, worauf jedoch kein Rechtsanspruch bestehe und welche daher nicht ausreichten, seine Selbsterhaltungsfähigkeit zu dokumentieren. Auch seine Kenntnisse der deutschen Sprache seien lediglich "mit Level A2 (Grundstufe/Deutsch) ausgewiesen". Private oder familiäre Bindungen zu in Österreich aufhältigen Personen bestünden nicht, die Kernfamilie (Ehegattin sowie drei minderjährige Kinder) seien in der Türkei verblieben. In Österreich hielten sich lediglich eine Tante sowie deren Gatte und vier Kinder und ein "entfernter Verwandter" namens M. in Graz auf. Zwar habe dieser für den Beschwerdeführer eine Patenschaftserklärung abgegeben, die laut dessen Ausführungen "einer Einkommenskomponente von rund EUR 500,-- (monatlich) entspreche". Auch diese vermöge jedoch die fehlende berufliche und soziale Integration im Bundesgebiet nicht zu ersetzen.

Das geringe Gewicht der im Wesentlichen aus der bloßen Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration werde noch weiter dadurch gemindert, dass die vorübergehende Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes nur auf einen letztlich als unbegründet abgewiesenen Asylantrag zurückzuführen gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe demnach nicht mit einem langfristigen Aufenthalt in Österreich rechnen dürfen.

Aus der Gesamtsituation des Einzelfalles seien keine besonders stark ausgeprägten persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich zu erkennen, auf Grund derer akzeptiert werden müsste, dass der Beschwerdeführer durch seine illegale Einreise und den unrechtmäßigen Verbleib "nach negativer Beendigung des Asylverfahrens" im Ergebnis versuchte, vollendete Tatsachen zu schaffen. Auch dem Aufbau eines Freundeskreises, dem Erwerb der dargestellten Kenntnisse der deutschen Sprache sowie der Unbescholtenheit des Beschwerdeführers komme kein entscheidendes Gewicht zu. Auf Grund des Aufenthalts der Kernfamilie, eines Bruders und von drei Schwestern des Beschwerdeführers in der Türkei erscheine auch seine dortige Reintegration unproblematisch.

Insgesamt seien die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib in Österreich nicht so stark ausgeprägt, dass sie schwerer zu gewichten wären als das hohe öffentliche Interesse an der Einhaltung eines geordneten Fremdenwesens (Art. 8 Abs. 2 EMRK). Unter Berücksichtigung der erheblichen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung durch den Beschwerdeführer bestünde auch keine Grundlage dafür, im Rahmen des der Behörde eingeräumten Ermessens von der Ausweisung Abstand zu nehmen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer hält sich seit rechtskräftiger Beendigung seines Asylverfahrens unbestritten unrechtmäßig in Österreich auf. Der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG (in der hier noch anzuwendenden Fassung vor dem FrÄG 2011) ist daher erfüllt.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG (in der genannten Fassung) aber nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Der Beschwerdeführer verweist insoweit zunächst auf seinen am 21. August 2009 gestellten Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" nach § 44 Abs. 4 NAG, der mit Bescheid vom 19. Mai 2010 abgewiesen worden war. Dagegen habe er (die eingangs erwähnte) Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben, über die noch nicht entschieden worden sei. Eine Ausweisung vor Einlangen der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die Beschwerde wäre "daher nicht nur unzweckmäßig, sondern wäre darüber hinaus auch davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer durch die Ausweisung massive und nicht wieder gut zu machende Schäden entstehen würden, sodass angesichts dieser Umstände die Interessen des Beschwerdeführers tatsächlich bei weitem die öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthaltes überwiegen". Mit dieser Argumentation übersieht der Beschwerdeführer jedoch, dass selbst ein noch vor der Behörde anhängiges Verfahren nach § 44 Abs. 4 NAG erst in der Phase des Vollzuges einer Ausweisung (allenfalls) Bedeutung erlangen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2010/21/0214). Im Übrigen war von der rechtskräftigen Abweisung seines Antrages auszugehen. Im dagegen erhobenen Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof war die Erteilung aufschiebender Wirkung weder beantragt noch bewilligt worden.

Anzumerken ist in diesem Zusammenhang schließlich, dass das den Antrag nach § 44 Abs. 4 NAG betreffende Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof mittlerweile erledigt ist (vgl. dazu das zitierte hg. Erkenntnis vom 20. März 2012).

Im Übrigen wiederholt der Beschwerdeführer seine bereits im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Argumente. Er verweist dabei auf die Patenschaftserklärung des M., die "einer Einkommenskomponente von rund EUR 500,--" entspreche, sodass von seiner Selbsterhaltungsfähigkeit auszugehen sei. Künftig habe er die Möglichkeit, in einem näher bezeichneten Unternehmen für einen Bruttomonatsverdienst von EUR 1.545,-- beschäftigt zu werden, sodass er auch sozialversichert wäre. Er habe während seines langjährigen großteils rechtmäßigen - "bereits über 10 Jahre" währenden - Aufenthalts im Bundesgebiet Deutschkenntnisse erworben, "einen Vorbereitungskurs für das Modul 2 besucht" (3. August bis 3. September 2009, sechs Wochenstunden) und "eine Probeprüfung abgelegt", woraus gute Deutschkenntnisse und eine entsprechende Integration ableitbar seien. Dass er seine Familie nicht nach Österreich nachgeholt habe, solange er nur vorläufig zum Aufenthalt berechtigt sei, könne ihm nicht zur Last gelegt werden. Da er integriert und unbescholten sei und sich auch "außerordentlich" darum bemühe, seine Existenz "auf eine solide und legale Basis zu gründen und jedenfalls seine Selbsterhaltungsfähigkeit zu sichern", erweise sich die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 2 FPG als unzulässig. Die dargestellten öffentlichen Interessen an der Beendigung seines Aufenthalts könnten seine privaten "und familiären" Interessen keinesfalls überwiegen.

Die unter Berücksichtigung der aufgezeigten Argumente bereits von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung ist allerdings im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zunächst ist dem Beschwerdeführer zu entgegnen, dass familiäre Bindungen in Österreich weder geltend gemacht wurden noch im Verfahren hervorgekommen sind. Dazu kommt, dass er die in Österreich verbrachte Zeit praktisch nicht dazu genutzt hat, um sich nennenswert sozial und vor allem beruflich zu integrieren, sodass sich die Ausweisung trotz der Länge des Inlandsaufenthaltes auf Grund des hohen Interesses an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - noch als verhältnismäßig erweist (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2008/21/0605, mwN).

Der Aufbau eines nicht näher umschriebenen Freundes- und Bekanntenkreises, der Erwerb von (nicht durch entsprechende Prüfungen nachgewiesenen) Kenntnissen der deutschen Sprache, die Unbescholtenheit und die (bloße) Vorbereitung einer künftigen Berufstätigkeit nach knapp zehnjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet sind insgesamt nicht von einem solchen Gewicht, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen ("fait accompli") zu schaffen.

Bei der Bewertung des Interesses des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich durfte die belangte Behörde iSd § 66 Abs. 2 Z. 8 FPG (in der genannten Fassung) auch berücksichtigen, dass er auf der Grundlage der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung, die ihm während des Asylverfahrens zugekommen war, nicht damit rechnen durfte, er werde dauernd in Österreich verbleiben können. Diesbezüglich war auch die Annahme der belangten Behörde gerechtfertigt, spätestens nach der Erlassung der erstinstanzlichen, den Asylantrag abweisenden Entscheidung vom 26. Juli 2001 habe sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein müssen. Daran vermag auch die lange Dauer des asylrechtlichen Berufungsverfahrens nichts zu ändern.

Zusammenfassend ist es somit insgesamt fallbezogen nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die Ausweisung des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht als unzulässigen Eingriff in sein Privatleben angesehen hat. Auch die Ermessensübung durch die belangte Behörde begegnet keinen Bedenken.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 19. April 2012

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