AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §18
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:L518.2159295.1.00
Spruch:
L518 2159301-1/38EL518 2159297-1/21EL518 2159292-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , XXXX (alias XXXX ) , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , alle StA. ASERBAIDSCHAN, die minderjährigen bP vertreten durch XXXX , alle vertreten durch RA Mag. Nadja LORENZ, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.05.2017, Zl. XXXX , Zl. XXXX , Zl. XXXX und Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.10.2021 zu Recht erkannt:
A) I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , alle StA. ASERBAIDSCHAN, die minderjährigen bP vertreten durch XXXX , alle vertreten durch RA Mag. Nadja LORENZ, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.05.2017, Zl. XXXX , Zl. XXXX , Zl. XXXX und Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.10.2021 den Beschluss gefasst:
A) II. Der Antrag, den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
I.1. Die beschwerdeführenden Parteien (in weiterer Folge gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch kurz als „bP1“ bis „bP4“ bezeichnet), sind Staatsangehörige der Republik Aserbaidschan und brachten nach rechtswidriger Einreise in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich am 02.09.2015 bei der belangten Behörde (in weiterer Folge „bB“) Anträge auf internationalen Schutz ein.
Die männliche bP1 und die weibliche bP2 sind Ehegatten und Eltern der minderjährigen bP 3 und 4.
Da die bP 1 sich am XXXX .2015 bei der Deutschen Botschaft in Baku ein Visum-C ausstellen hat lassen, wurde am XXXX .2015 im Rahmen der Dublin-Verordnung eine Konsultation mit Deutschland durchgeführt, am XXXX .2015 aber die Verfahren mit dem Vermerk „Kein Dublin-Verfahren möglich“ zugelassen. Im Fall der bP 2-4 konnten wegen der falschen Identitätsangaben (Geburtsdaten bzw. leicht veränderte Namen) vorerst keine Visa gefunden werden, wobei tatsächlich später festgestellt werden konnte, dass die bP 2-4 ebenfalls über Schengen Visa der deutschen Botschaft vom XXXX .2018 verfügten.
I.2.1. Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte die bP 1 im Wesentlichen Folgendes vor:
„Ich bin Anhänger der Oppositionspartei namens Musavat. Meine Freunde, die auch Anhänger dieser Partei waren, wurden verhaftet. Als ich mit meinen Freunden an Demonstrationen teilnahm, wurden wir geschlagen. Meine Kinder durften nicht zur Schule, mein jüngster Sohn ging gar nicht zur Schule. Er weinte, weil er nicht durfte. Mein Bruder XXXX ist nach einem Abendessen in einem Lokal ins Krankenhaus gekommen. Er hatte starke Magenschmerzen, wir vermuten, dass er vom Staat vergiftet wurde. Er war 1 Monat stationär in Behandlung, da sich sein Zustand nicht besserte, ließen wir ihn in die Türkei verlegen, dort wurde behauptet, dass er mit falschen Medikamenten versorgt und unnötig operiert wurde. Er wurde am XXXX 2015 in die Türkei verlegt. Das Krankenhaus hieß XXXX ). Am XXXX .2015 ist er dann verstorben. Mein Bruder hat unsere Partei finanziell unterstützt. Ich wurde von Staatsmännern mit dem Umbringen meiner Kinder bedroht. Ich hatte einen Grund im Wert von 120.000 Euro. Ein Mann namens XXXX baute eine Mauer auf meinem Grundstück und behauptete, dass diese Fläche XXXX , dem Bruder des XXXX , gehöre. Diese Vorfälle begannen vor fast 1 Jahr. Unser Haus wurde gestürmt und durchsucht. Das Grundbuch wurde mir weggenommen. Ich wurde geschlagen, sodass Folterspuren an meinem Körper noch sichtbar sind. Sie wollten mich zu einer Unterschrift für die Schenkung des Grundes nötigen. Ich habe aber nicht unterschrieben. Ich konnte diese Zustände nicht mehr ertragen, außerdem hätten sie meine Kinder umgebracht. Das sind meine Fluchtgründe.“
Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte die bP 2 befragt zu den Fluchtgründen Folgendes vor:
„Aufgrund der politischen Probleme meines Gatten. Er nahm an Meetings und Demonstrationen teil. Daraufhin wurde er geschlagen. Wir wurden auch genötigt, dass wir unseren Grund herschenken. Sie nötigten meinen Gatten, damit er die Schenkung des Grundes unterschreibt. Es hieß, dass unser Grund XXXX gehört, seine Männer haben auf uns Druck ausgeübt. Wir wurden wegen der Unterschrift mit dem Umbringen bedroht. Wir versteckten uns bei meiner Schwester für 1 Woche. Wir wurden auch mit dem Umbringen meiner Kinder bedroht. Wir können in Aserbaidschan nicht mehr in Frieden leben, deshalb sind wir geflüchtet. Ich konnte meine Kinder nicht in den Kindergarten oder in die Schule schicken, es wurde uns verboten.
I.2.2. Vor der belangten Behörde brachte die bP 1 zum Fluchtgrund im Wesentlichen Folgendes vor:
(…)
LA: Wie verstehen Sie die anwesende Dolmetscherin?
VP: Sehr gut (auf Deutsch).
LA: Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert?
VP: Ja.
LA: Sind Sie oder Ihre mitgereisten Angehörigen je von einer gerichtlichen Untersuchung oder einem Gerichtsverfahren oder einer (einstweiligen) gerichtlichen Verfügung in Österreich betroffen gewesen?
VP: Nein weder noch. Ich hatte außer in Zusammenhang mit meinem Asylverfahren weder mit der Polizei noch den Gerichten bzw. noch mit anderen Behörden zu tun.
LA: Sie haben bis dato keine Identitätsdokumente vorgelegt und hätten durchaus welche mitnehmen können oder sich beschaffen! Können Sie nun Beweismittel zu Ihrer Identität vorlegen? ANM.: VP wird aufgefordert ihre Beweismittel vorzulegen.
VP: Ich habe meine Heiratsurkunde ( XXXX , Standesamt), Geburtsurkunde (ohne Bild), Wehrdienstbuch mit Einlage des Militärkrankenhaus-Protokolls über Verletzung ( XXXX in Russisch), und einen Parteiausweis mit (zum Akt). Meinen Führerschein habe ich in Aserbaidschan gelassen.
LA: Nennen Sie Ihren vollständigen Namen, Ihr Geburtsdatum und Ihren Geburtsort und Ihre Staatszugehörigkeit (VP wird auch aufgefordert, diese Angaben auf ein Blatt Papier zu schreiben, dieses wird zum Akt genommen).
VP: Mein Name XXXX geboren und Staatsangehöriger von Aserbaidschan.
LA: Woher haben Sie jetzt Ihre Dokumente?
VP: Ich habe mich mit meiner Partei in Verbindung gesetzt, und sie haben sie mir vor 2 Tagen mit einem Touristen mitgeschickt.
LA: Welcher Volksgruppe und welcher Religionsgemeinschaft gehören Sie an?
VP: Ich bin Azeri und Moslem.
LA: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?
VP: Ich habe Rückenschmerzen durch Nervenprobleme. Weiter habe ich Kopfschmerzen und schwitze sehr oft an Händen und Kopf. Ich habe Gedächtnisprobleme. Wenn ich aggressiv werde, kann ich mich eine Stunde später nicht mehr an den Grund erinnern. Das kommt alles von dem Schädel-Hirn-Trauma während meiner Militärzeit. Ich habe eine Arztbestätigung für den XXXX mit ( XXXX .1993 im Militärkrankenhaus stationär behandelt). Die Rückenprobleme kommen vom Geschlagenwerden mit Gummiknüppeln. Ich wurde lange Zeit im Kofferraum eines Fahrzeuges angehalten. Seit 20 Tagen habe ich an den linken Zehen kein Gefühl, ich muss einen Stützgurt um den Rücken tragen).
LA: Sind Sie in ärztlicher Behandlung, nehmen Sie irgendwelche Medikamente?
VP: Ich war ich am 08.12.2015 und am 20.12.2015 in der Orthopädie-Notaufnahme in XXXX . Am 01.03.2016 hatte ich eine CT- der Wirbelsäule (zum Akt), aufgrund dessen bekomme ich physikalische Behandlungen.
LA: Haben Sie in Österreich andere Verwandte als Ihre mitgereiste Frau und die Kinder?
VP: Nein.
LA: Sprechen Sie Deutsch?
VP: Ich verstehe es.
ANM: Die VP wird vom Dolmetscher nach Namen/Geburtsdatum der Eltern und Geschwister befragt. Die Angaben werden mit jenen der Erstbefragung verglichen.
Es ergaben sich folgende geringfügige Änderungen bzw. Ergänzungen: Vater XXXX 2012 verstorben.
LA: Wo genau halten sich Ihre Angehörigen aktuell auf?
VP: Meine Mutter wohnt mit meinem Bruder XXXX und seiner Familie in meinem Haus im Dorf XXXX .
LA: Haben Sie noch andere Kinder außer XXXX ? Wenn ja, wie viele?
VP: Nein.
LA: Haben Sie noch eine Zweitfrau?
VP: Nein.
LA: Haben Sie Halbgeschwister?
VP: Nein.
LA: Wo haben Sie im Heimatland gelebt? Nennen Sie die Adresse.
VP: Ich habe einige Jahre von 2002 – zur Ausreise in Baku gelebt und bin fünfmal umgezogen. Die letzte Adresse war XXXX , da lebte ich ein paar Jahre. Vor 2002 lebte ich in dem Haus, wo jetzt meine Mutter lebt. 6 Jahre lang war ich bei meinen Brüdern in Kasachstan. Nachgefragt – 01 1994 – Winter 1999.
LA: Wann hatten Sie zuletzt mit jemand aus Ihrem Herkunftsland Kontakt?
VP: Gestern mit einem Parteikollegen, telefonisch. Nachgefragt – ich habe aufgrund der Parteizugehörigkeit keinen Kontakt zu meinen Brüdern. Mit meiner Mutter habe ich vor ca. 6 Monaten Kontakt gehabt. Sie ist ca. 80 Jahre alt, ich kann sie aber nicht anrufen, weil es erstens sehr teuer ist und ich zweitens Angst habe, dass die Telefone abgehört werden. Mein Bruder Faik ist Lehrer und würde dann sofort entlassen werden.
LA: Welche Ausbildung haben Sie im Detail absolviert? Welchen Beruf?
VP: 10 Jahre Schule, gleichzeitig habe ich eine Mechanikerausbildung genossen. Danach hatte ich 2 Autowerkstätten, zuerst eine in XXXX , danach diese geschlossen und 2 in Baku eröffnet. Zusätzlich habe ich auch noch mit Autos gehandelt.
LA: Haben Sie im Herkunftsland oder hier Strafrechtsdelikte begangen?
VP: Nein.
LA: Besteht ein offizieller Haftbefehl gegen Sie im Heimatland?
VP: Ja. Nachgefragt – ich habe zwei Vorladungen von der Polizei (zum Akt).
LA: Waren Sie in Ihrem Heimatland politisch tätig?
VP: Ja. Nachgefragt – 2000 – 2003 war ich Sympathisant der Musavat Partei, aber kein eingetragenes Mitglied. 1993 – 1994 habe ich die Oppositionelle Volksfront unterstützt. 2003 bis jetzt war bzw. bin ich registriertes Mitglied der Aserbaidschanischen Demokratischen Partei, ich bin ein sehr aktives Mitglied. Ich habe Demonstrationen organisiert, habe versucht für meine Partei Propaganda zu machen, um mehr Leute anzuwerben.
LA: Wie konnten Sie die Reise nach Europa finanzieren?
VP: Ich hatte Ersparnisse.
LA: Warum haben Sie nicht in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt? Sie waren ja bereits in der Ukraine und in Polen sicher! Warum sind Sie weiter gereist?
VP: Mir wurde Österreich durch einige Parteikollegen empfohlen. Außerdem wussten wir am Anfang nicht, in welchem Land wir angekommen waren.
LA: Würden Sie nun bitte alle Ihre Gründe für die Asylantragstellung hier in Österreich ausführlich darlegen? Versuchen Sie Ihre Gründe nach Möglichkeit so zu erzählen, dass diese für eine unbeteiligte Person auch zu verstehen sind. Was ist alles passiert? Was haben Sie alles erlebt, gesehen, gedacht, befürchtet usw.? Warum konnten oder wollten Sie nicht mehr in der Heimat bleiben?
VP: Erstens einmal möchte ich angeben, dass wir ein als einfaches Volk und Parteiangehörige die heutigen Machthaber nicht akzeptieren. Es gibt neben der Korruption noch sehr viele Ungerechtigkeiten. Am XXXX .2003 gab es eine Demonstration in Baku. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon aktives Mitglied. Der Gründer und damalige Vorsitzende Resul GULIYEV (1991 in Nachtschewan gegründet) der Demokratischen Partei Aserbaidschan lebt jetzt in den USA als Flüchtling. Bereits zu diesem Zeitpunkt war GULIYEV in den USA, das Motto der Demo war die Wahrung der Rechte von GULIYEV. Wie immer wurde diese Demo von der Polizei in barbarischer Art und Weise gestürmt. Ich wurde mit mehreren anderen von der Polizei mitgenommen und wurde 7 Tage lang bei der Polizeidienststelle angehalten. Während dieser Zeit wurde ich zum ersten Mal gefoltert. Im August 2003 haben wir aus demselben Grund wieder in Baku eine Demonstration, wieder am XXXX -Platz, veranstaltet. Die Demo wurde wieder gestürmt. Dieses Mal wurde ich 10 Tage bei der Polizei festgehalten und gefoltert. Von dieser Anhaltung habe ich mehrere Narben an beiden Unterarmen. Es wurden daran Zigaretten ausgedämpft. Mir wurde immer wieder gesagt, Du wirst den Namen Resul GULIYEV nicht mehr in den Mund nehmen. Im Oktober 2003 waren die Präsidentschaftswahlen. Wir als Partei haben den neuen Vorsitzenden der Partei mit dem Vornamen Serdar (VP denkt nach), Familienname MEMMEDOV, als Präsidentschaftskandidaten nominiert. Die Wahlen hat natürlich Ilham ALIYEV gewonnen. Es war wie immer wieder Wahlbetrug. Die Wahlen waren am 15.10. Am 16.10.2003 gab es eine große Demonstration. Der Freiheitsplatz in Baku war voll mit Demonstranten, weil diese Demo von allen oppositionellen Parteien zusammen veranstaltet wurde. Normalerweise hätte der Vorsitzende der größten oppositionellen Partei MUSAVAT mit ca. 47% die Wahlen gewonnen, Ilham hatte nur ca. 27% der Stimmen. Ein Fernsehkanal ANS hat irrtümlich einmal die normalen Wahlergebnisse gleich nach den Wahlen durchgegeben. Anschließend hat der Fernsehkanal gesagt, das war ein Irrtum, hat die Ergebnisse zurückgenommen und neue veröffentlicht. Bei der Demonstration habe ich mich zum ersten Mal geschämt ein Aserbaidschaner zu sein. Ich wurde – so wie auch viele andere Demonstranten – noch am Freiheitsplatz sehr stark verprügelt. Es war nicht nur die Polizei im Einsatz, sondern auch die Streitkräfte, und auch zivile Kräfte. Es wurden sogar Menschen, die ohnmächtig am Boden lagen, mit Gummiknüppel geschlagen. Dort wurde mir ein Zahn ausgeschlagen. Man sieht an der linken Seite der Oberlippe eine Narbe. Auch an diesem Tag wurde ich mitgenommen und 10 Tage lang festgehalten. 2014 und 2015 gab es Demonstrationen unserer Partei gegen „Plünderung des Landes“. 2014 war ich 15 Tage lang und 2015 20 Tage lang festgenommen, wenn ich mich nicht irre. Bei beiden Malen wurde ich gefoltert. 2014 wurde ich 10 Tage davon in einem Raum festgehalten, in dem ungefähr 10 cm Wasser am Boden war. Nachgefragt – ich weiß nicht, ob das Sommer war – nein, es war Winter, weil das Wasser auch sehr kalt war. Auch 2015 wurde ich während der 20tägigen Anhaltung beschimpft, erniedrigt und auch geschlagen, das war im Mai 2015. Das stimmt nicht, sie haben es falsch geschrieben. Das erste Mal wurde ich von der Straße aus mitgenommen, beim zweiten Mal – das war im April 2015 – wurde ich von der Demo aus mitgenommen und musste 20 Tage lang in Haft sein. 2014 war das Motto „Freiheit für politische Gefangene“. Das Motto 2015 bei beiden Demos war gegen „Plünderung des Landes“. Bei einer Demonstration im Mai 2015 stürmte wieder die Polizei. Die Demonstranten und auch ich darunter wurden von der Polizei und auch Zivilen zu Polizeidienststelle mitgenommen. Dort haben sie uns nach russischer KGB-Methode gefoltert. Dort wurde mir mit einer langen Haftzeit gedroht. Auch drohten sie mir, sie setzen mich auf Flaschen und nehmen das Ganze auf und veröffentlichen es in YouTube, wenn ich nicht den Kontakt zu meiner Partei abbreche. Sie auch haben auch auf meinen Kopf gepinkelt. Wenn wir durstig waren, gaben sie uns ihren Harn zu trinken (VP hat Tränen in den Augen). Sie haben uns beschimpft und erniedrigt, die Beschimpfungen waren auch gegen Frau und Mutter. Freigelassen wurde ich jedes Mal (auch schon 2003) so, dass es spät in der Nacht oder den frühen Morgenstunden war. Sie haben mich geschlagen und aus dem Fahrzeug gestoßen. Nachgefragt – von zivilen Personen. Ich musste während meiner Anhaltung im Mai 2015, das waren nur einige Stunden, eine Blanko-Unterschrift leisten. Sie haben gesagt, es würden Vorfälle in Verbindung mit Nardaran passieren. Ich solle dabei sein und demolieren. Nachgefragt – Nardaran ist ein Dorf, ca. 8 km von Baku entfernt. Dort gibt es eine Moschee. Ich sollte mich verpflichten diese Moschee zu demolieren. Der Geistliche heißt Haci Talih, er ist ein religiöser Oppositioneller der heutigen Regierung. Das ganze Dorf Nardaran steht hinter ihm. Diese Vorfälle fanden zwar statt, aber ich war nicht mehr in Aserbaidschan. Ich bin vorher geflüchtet. Ich sollte in dieser Moschee auch eine Bombe legen. Weil ich mich nicht an mein Versprechen hielt, kamen sie sehr oft zu uns nach Hause. Wir waren aber bereits untergetaucht. Meine Frau und die Kinder waren zu Hause und es kamen zwei Ladungen der Polizei. Nachdem diese gekommen waren, kam ich gar nicht mehr nach Hause. Auch meine Frau hat sich danach bei ihrer Schwester und an anderen Adressen versteckt. Am XXXX .2015 sind wir von Baku nach Nachtschewan geflogen. Ich habe mich in meinem Elternhaus, meine Frau sich in ihrem Elternhaus, versteckt. Die Kinder waren meistens bei meiner Frau. Es gibt mit der Türkei schon seit den 40er Jahren ein Abkommen, dass alle, die mit Haftbefehl gesucht werden, an Aserbaidschan ausgeliefert werden müssen. Aus diesem Grund mussten wir die Türkei meiden. Wir kehrten nach Baku zurück und flüchteten über Russland nach Europa.
LA: Was haben Sie da noch mit?
VP: Ich habe gemeinsam mit den Dokumenten auch 2 Gerichtsurteile geschickt bekommen (Anm.: zum Akt).
Kurze Pause 11:40 – 11:45
LA: Warum sollten gerade Sie in Nardaran demolieren?
VP: Haci Talih spricht immer gegen den Staat, der Staat mag ihn nicht. Ich sollte dort mit einer Bombe oder in anderer Weise die Moschee demolieren, sollte Waffen in der Moschee verstecken, damit der Staat einen Grund hat den Haci Talih festzunehmen. Nachgefragt – bei der letzten Festnahme hat man mir vorgeschlagen, an der Seite der Regierung zu stehen. Dafür boten sie mir auch Geld an und versprachen mir, dass ich auch keine Probleme mehr mit dem Staat haben würde. Sie haben auch versprochen, dass meine Kinder auch den Kindergarten besuchen würden, meine Frau wieder als Juristin arbeiten könnte. Und ich habe mich mit der Blankounterschrift damit einverstanden erklärt.
LA: Wie hätten Sie zu einer Bombe oder Waffen kommen sollen?
VP: Nicht ich hätte diese finden müssen, sondern sie hätten sie mir gegeben. Nachgefragt – Zeitpunkt war noch keiner vereinbart, aber nachdem ich freigelassen worden war, konnten sie mich nicht finden. Sie haben gesagt, sie würden sich bei mir melden.
LA: Wann und wie kamen Sie in Kontakt mit der Partei?
VP: Die demokratische Partei ist die Partei von Nachtschewan, den Gründer schätzte ich sehr. Ich hatte einen Freund namens XXXX , durch den ich zu dieser Partei kam. Er wurde 2008 vom Staat entführt. Er war 20 Tage lang verschwunden. Als er wieder auftauchte, musste er alle Kontakte zur Partei abbrechen, weil er auch – so wie ich auch – eine Blankounterschrift geleistet hatte. XXXX und auch andere haben mich zur Partei gebracht. Ich habe immer ferngesehen. Ich kannte GULIYEV vom Sehen seit meiner Kindheit. Die Dokumente habe ich auch mithilfe von XXXX bekommen.
LA: Wie wurden Sie Mitglied bei der Partei?
VP: Ich musste meinen Personalausweis vorlegen. Detailliert weiß ich nicht, weil Faik alles für mich erledigt hat. Anfang 2003 füllte ich ein Formular aus und stellte einen Antrag an die Partei. 4 Fotos gab ich ab, obwohl ich glaube, dass man nur 2 benötigt hätte. Ich habe 5 – 7 Monate gewartet. In der Zwischenzeit war ich immer mit Faik in Kontakt. Er sagte mir dann, dass mein Parteiausweis vorliegt und brachte mir dann persönlich den Ausweis. Nachgefragt – der Schlepper hat uns alle Dokumente und auch den Goldring und die Ohrringe meiner Frau weggenommen.
LA: Was war Ihre Aufgabe als Mitglied der Partei?
VP: Vor den Demonstrationen habe ich vor den Schulen an die Eltern Flugblätter verteilt. Vor den Präsidentschaftswahlen habe ich von unserem Kandidaten Bilder aufgehängt. Einmal wurde ich dabei sogar geschlagen von Zivilgekleideten, sie haben auch die Plakate zerrissen. Ich habe den Demonstranten gesagt, welche Parolen wir rufen. Ich habe sie ermutigt, an der Demonstration teilzunehmen und keine Angst vor der Polizei zu haben. Es gibt ein Stadion im XXXX . Dort haben wir viele Demonstrationen veranstaltet. Nach 2003 hat uns der Staat nicht erlaubt, dort Demonstrationen zu veranstalten. Ich habe jedes Mal dafür gesorgt, dass die Demonstranten nicht zu schnell aus Angst vor der Polizei die Demo verlassen, und dass unser Demonstration ihr ziel erreicht.
LA: Wo befindet sich das Parteilokal in Bezug auf Ihr Haus?
VP: Die Partei wurde in Nachtschewan gegründet, zurzeit gibt es aber dort kein Lokal. Ich kenne nur das Parteilokal in Baku. Die Adresse ist Esref Elizade Str. 13. Ein zweistöckiges Haus. Nachgefragt – ich bin immer mit dem Auto gefahren. Mein Bezirk ist XXXX . Die Mietwohnung war 200 Meter von der XXXX entfernt. Von mir fuhr ich 2 Minuten über eine Brücke geradeaus. Vor der Brücke gibt es rechts eine XXXX Tankstelle. Nach der Tankstelle nach rechts, über die Brücke, unten weiter in die XXXX Straße. Geradeaus, ein bisschen rechts, eine Unterführung, dann 100 – 150 m geradeaus, dann nach links, dann ist der XXXX , ein Marktplatz. Hinter diesem ist das Parteigebäude.
LA: Wann und wo haben Sie 2015 genau demonstriert?
VP: Die erste war im Stadion, das war im April, ich glaube am XXXX .2015 war sie auch im Stadion. Nachgefragt – ich meinte vorher, es wird NUR mehr im Stadion erlaubt zu demonstrieren.
LA: Wie viele Leute waren bei diesen Demonstrationen?
VP: Das weiß ich nicht. Nachgefragt – 1500, 3000, ich weiß es nicht. Es könnten auch 5000 gewesen sein. Aber beide Demos waren sehr gut besucht.
LA: Mit wem gingen Sie zu den Demonstrationen?
VP: Ich ging mit Freunden hin, ich will aber deren Namen nicht sagen. Nachgefragt – sowohl enge Freunde als auch nur Parteikollegen.
Kurze Pause von 12:35 – 12:45
LA: Wie kamen die Demonstrationen zustande, wie erfuhren die Leute davon?
VP: Über Facebook und durch heimliche Telefonate. Es gibt da keine Probleme, weil das alles erlaubte Demonstrationen sind. Wir haben auch die Leute öffentlich verständigt. Nachgefragt – meine Freunde und ich haben uns gegenseitig verständigt.
LA: Wo wurden Sie während der Anhaltungen hingebracht?
VP: Bei der ersten zur Polizeidienststelle in XXXX , beim zweiten Mal zur Polizeidienststelle im XXXX . Es kann aber sein, dass ich mich irre. Es kann sein, dass es umgekehrt ist.
LA: Wann war der Vorfall, wo Sie längere Zeit in einem „Kofferraum“ angehalten worden waren?
VP: Das war bei der Demonstration im April 2015. Man hat mich in den Kofferraum von zivilen Sicherheitsbeamten hineingesteckt und dann den Deckel zugeworfen. Bei diesen Sicherheitsbeamten geht es um verurteilte, kriminelle Straftäter, die vom Staat für solche Aufgaben eingesetzt werden. Zwei haben mich an den Armen gepackt und hineingeworfen.
LA: Wie ging es dann weiter?
VP: Sie brachten mich zu einem Gebäude. Das war bei dem letzten Mal. Nachgefragt – Nein, das war doch beim vorletzten Mal im April. Sie brachten mich zur Polizeidienststelle in XXXX . Dort haben sie mich gefoltert und 20 Tage lang festgehalten. Nachgefragt – das waren alles die Zivilen. Die Polizisten beschimpfen einen dort, die Zivilen foltern.
LA: Erzählen Sie, was Ihnen bei diesem Vorfall geschah?
VP: Ich wurde geschlagen, beschimpft und erniedrigt. Nachgefragt – beschimpft und mit Fußtritten wurde ich einmal ins Gebäude gebracht. Dann haben sie mich geschlagen und währenddessen immer wieder gefragt, warum wir Demonstrationen veranstalten, warum wir gegen Alyev vorgehen usw. Nachgefragt – 3 Tage wird man geschlagen, dann wieder einen Tag Pause, das ist willkürlich. Nachgefragt – wenn man mich 20 Tage durchgehend geschlagen hätte, wäre ich jetzt tot. Ich wurde aber sehr viel geschlagen.
LA: Sie sollen bitte genau erzählen, was Ihnen dabei geschah. Nicht irgendjemandem, sondern Ihnen. Und bitte so, wie es passierte!
VP: Sie sind jedes Mal zu zweit oder zu dritt in die Zelle, nachgefragt – Einzelzelle, gekommen. Sie haben mich mit Gummiknüppeln geschlagen. Jedes Mal, wenn ich nach Wasser verlangte, wurde ich auch wieder geschlagen. Wenn sie Wasser brachten, spuckten sie hinein. Wenn ich nach Essen verlangte, haben sie mich beschimpft. Sie sagten, ob ich auch Kot essen würde, wenn sie ihn mir servierten. Ab und zu habe ich etwas zu essen bekommen, das wie Hundefutter aussah. Als ich eingeschlafen war, kamen sie hinein und gaben mir Fußtritte und fragten mich, warum ich schlafe. Sie haben mir nicht erlaubt auf die Toilette zu gehen. Ich musste meine Notdurft in der Zelle verrichten. Sie haben mich gezwungen mit meiner Kleidung bzw. meinem Unterhemd den Harn oder Kot am Boden zu reinigen. Ich durfte mich nicht waschen. Sie haben mir einen Eimer für die Notdurft gegeben. Eine Woche lang musste der volle Eimer neben mir stehen, ich durfte ihn nicht ausleeren. Nachgefragt – es war Willkür, wann sie mir den Eimer brachten. Manchmal musste ich am Boden in der Zelle machen, manchmal in den Eimer. Nachgefragt – am 5. oder 6. Tag brachten sie ihn und ließen ihn 1 Woche stehen. Ganz am Anfang gab es den Eimer. Nachdem ich einige Male meine Notdurft in den Eimer verrichtet habe, haben sie mir befohlen diesen wegzubringen und diesen zu reinigen. Dann haben sie mir einige Zeit nicht mehr erlaubt den Eimer mitzunehmen, ich musste die Notdurft am Boden verrichten. Nachgefragt – meine Zelle befand sich im Keller, dort gab es auch eine Toilette am Ende des Ganges.
LA: Wie oft durften bzw. mussten Sie in dieser Zeit die Zelle verlassen?
VP: 3 – 4 Mal, um den Eimer zu leeren. Nachgefragt – sonst nicht, auch nicht zu Verhören.
LA: Wie lange dauerte die Fahrt, bei der sie im Kofferraum waren?
VP: Ca. 20 Minuten, halbe Stunde.
LA: Wie lange waren Sie bei der Anhaltung nach der Demo am XXXX .2015 inhaftiert?
VP: Damals wurde ich nicht für längere Zeit inhaftiert, das war kein Tag. Nachgefragt – man hat mich in den Abendstunden festgenommen. Bei uns geht die Sonne um 21 Uhr unter, und gegen 4 Uhr in der Früh haben sie mich wieder freigelassen.
LA: Wurde (nach Ihrer Ausreise) nach Ihnen gesucht?
VP: Ja. Nachgefragt – ich habe von der Partei davon gehört. Nachgefragt – Vor einer Woche oder 10 Tage habe ich erfahren, dass die Polizei immer wieder nach mir fragt. Sie haben gehört, dass die Polizei an meiner letzten Adresse gewesen ist.
LA: Aus welchem Grund suchte die Polizei ausgerechnet nach Ihnen und nicht auch nach Ihren Parteikollegen?
VP: Das weiß ich nicht. Nachgefragt – ich weiß das wirklich nicht, das muss man die Polizei fragen.
LA: Hatten Ihre Geschwister und Ihre Mutter Ihretwegen irgendwelche Probleme?
VP: Nein, weil ich aufgrund meiner Parteiangehörigkeit mit meinen Brüdern keinen Kontakt mehr habe. Meine Brüder haben mir vorgeworfen, dass ich der Grund dafür bin, dass ihre Kinder keine Arbeit finden und die Zukunft ihrer Kinder meinetwegen beeinträchtigt ist. Das ist das System. Nachgefragt – die Kinder haben nach wie vor Probleme, sowohl meinetwegen als auch wegen der Korruption eine Arbeit zu finden.
LA: Wofür brauchten Sie es und wie kamen Sie zu Ihrem Schengener-Staaten-Visum?
VP: Das ist schon lange her. Weil ich Autohändler war habe ich aus Deutschland einige Male Autos geholt. 2004, 2005 und 2013 oder 2014. Nachgefragt – das Visum vom XXXX .2015 war, um nach Österreich zu flüchten. Ich habe es selbst beantragt. Nachgefragt – ich habe das über andere Personen gemacht.
LA: Erzählen Sie, wie Sie dazu kamen!
VP: Ich bin selber zum deutschen Konsulat gegangen, habe einen Antrag gestellt. Ich weiß nicht, wie lange ich darauf warten musste, aber ich habe ein Visum bekommen. Nachgefragt – ich weiß auch nicht mehr, wann ich auf die Botschaft ging. Ich habe Gedächtnisprobleme. Nachgefragt – ich habe nur für mich eines beantragt. Für Frau und Kinder weiß ich nichts.
LA: Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot aufmerksam gemacht und darauf hingewiesen, dass Sie die Wahrheit sagen müssen. Es ist nicht von Vorteil, wenn Sie irgendwelche Geschichten vorbringen, die Sie nicht persönlich erlebt haben. Ich frage Sie daher jetzt nochmals ob Sie noch etwas Asylrelevantes oder etwas sonst Bedeutendes angeben möchten, das Ihnen wichtig erscheint, jedoch bislang nicht gefragt wurde?
VP: Ich bin im Moment sehr durcheinander, kann mich nicht mehr konzentrieren. Ich habe Magen- und Kopfschmerzen, mir fällt nichts mehr ein. In unseren Gefängnissen werden mehrere Häftlinge getötete, indem sie geschlagen werden. Sie haben mir öfter gedroht, mich und meine Kinder umzubringen. Sie haben auch meine Frau geschlagen. Meine Frau erlitt eine Fehlgeburt. Zivile Männer waren bei uns zu Hause, als ich nicht mehr zu Hause war. Meine Frau wollte den Müll raustragen. In diesem Moment kamen zwei Männer in die Wohnung und durchsuchten alles. In der Nacht, als ich nach Hause kam, erzählte mir meine Frau davon. Sie rief mich zwar vorher an und sagte, ich solle schnell nach Hause kommen, erzählte mir aber erst am Abend davon. Sie hatte noch am selben Tag Blutungen. Einige Tage später ging sie in die Klinik in unserer Gegend und bekam eine Curettage. Einmal wurde mir in mein Ohrläppchen geschnitten. Meiner Frau brachen sie mir die Nase. Nachgefragt – 2012 war das mit meinem Ohr, 2008 wurde meiner Frau die Nase gebrochen, unser ältester Sohn war 3 – 3,5 Monate alt.
LA: Theoretisch, was würden Sie im Falle einer Rückkehr in Ihren Heimatstaat befürchten?
VP: Es geht um mein Leben und auch das Leben meiner Kinder ist in Gefahr. Man würde mich nicht am Leben lassen.
LA: Hätten Sie die Möglichkeit gehabt, sich im Heimatland wo anders – z.B. in ein anderes Gebiet – hinzubegeben, um sich den angegebenen Übergriffen / Problemen / Schwierigkeiten zu entziehen, bzw. haben Sie das schon erwogen / versucht oder bestünde diese Möglichkeit jetzt?
VP: Sie würden mich überall in Aserbaidschan finden, und das würde meinen Tod bedeuten.
LA: Auf die Vertraulichkeit der von Ihnen angegebenen Daten wird nochmals hingewiesen. Sind Sie damit einverstanden, dass Erhebungen zum Sachverhalt in Ihrem Heimatland durchgeführt werden? Es werden keine persönlichen Daten an die Behörden Ihres Heimatlandes weitergegeben.
VP: Keine Einwände.
LÄNDERFESTSTELLUNGEN:
Anmerkung: Mit Ihnen wird nunmehr erörtert, auf welcher Basis und unter Zugrundelegung welcher Länderfeststellungen das BFA in Ihrem Fall zur Entscheidung gelangen wird. Sie haben die Möglichkeit, im Anschluss dazu Stellung zu nehmen. Diese Feststellungen werden Ihnen ausgefolgt und Sie haben die Möglichkeit binnen einer Frist von einer Woche eine Stellungnahme einbringen. Die auf die allgemeine Situation im Herkunftsstaat stützenden Aussagen basieren auf einer Zusammenstellung der Staatendokumentation des BFA. Diese ist gemäß § 5 Abs. 2 BFA-G zur Objektivität verpflichtet und unterliegt der Beobachtung eines Beirates. Diese Quellen berufen sich vorwiegend unter anderem auf Berichte von EU-Behörden von Behörde von EU-Ländern aber auch Behörden anderer Länder, aber auch Quellen aus Ihrer Heimat wie auch zahlreichen NGOs und auch Botschaftsberichten, die im Einzelnen auch eingesehen werden können.
VP: Ich möchte das und bestätige hiermit die Übernahme der genannten Feststellungen und die mir eingeräumte Frist von 1 Woche.
LA: Ich beende jetzt die Befragung. Möchten Sie noch weitere Angaben machen? Konnten Sie zum Verfahren alles umfassend vorbringen oder gibt es zur Einvernahme selbst irgendwelche Einwände?
VP: Ich bin im Moment so verwirrt, dass ich nicht weiß, ob ich alles gesagt habe. Ich habe sehr starke Nervenschmerzen am Rücken. Gegen die Einvernahme habe ich keine Einwände. Ich habe auch noch eine Bestätigung der demokratischen Partei mit (zum Akt).
LA: Wie haben Sie die Dolmetscherin verstanden?
VP: Ich hatte zwar eine Schwierigkeit, bei der Wegbeschreibung konnte ich die Strecke nicht gut angeben. Es lag aber nicht an der Sprache. Nachgefragt – ich habe die Dolmetscherin sehr gut verstanden.
(…)
Vor der belangten Behörde brachte die bP 2 zum Fluchtgrund im Wesentlichen Folgendes vor:
(…)
LA: Wie verstehen Sie die anwesende Dolmetscherin?
VP: Sehr gut (auf Deutsch).
LA: Sie vertreten Ihre Kinder. Haben die Kinder eigene Fluchtgründe, besteht für sie eine eigene Gefährdung bei einer eventuellen Rückkehr, oder dieselbe wie für Sie?
VP: Meine Kinder haben dieselben Fluchtgründe wie ich, ebenso besteht für sie dieselbe Rückkehrgefährdung.
LA: Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert?
VP: Ja, bis auf mein Geburtsdatum.
LA: Sind Sie oder Ihre mitgereisten Angehörigen je von einer gerichtlichen Untersuchung oder einem Gerichtsverfahren oder einer (einstweiligen) gerichtlichen Verfügung in Österreich betroffen gewesen?
VP: Nein weder noch. Ich hatte außer in Zusammenhang mit meinem Asylverfahren weder mit der Polizei noch den Gerichten bzw. noch mit anderen Behörden zu tun.
LA: Sie haben bis dato keine Identitätsdokumente vorgelegt und hätten durchaus welche mitnehmen können oder sich beschaffen! Können Sie nun Beweismittel zu Ihrer Identität vorlegen? ANM.: VP wird aufgefordert ihre Beweismittel vorzulegen.
VP: Ich habe jetzt die Geburtsurkunden der Kinder und mein Universitätsdiplom mit (zum Akt).
LA: Nennen Sie Ihren vollständigen Namen, Ihr Geburtsdatum und Ihren Geburtsort und Ihre Staatszugehörigkeit (VP wird auch aufgefordert, diese Angaben auf ein Blatt Papier zu schreiben, dieses wird zum Akt genommen).
VP: Mein Name ist XXXX .1988 in XXXX , Dorf XXXX , geboren und Staatsangehörige von Aserbaidschan. (Anm.: Daten werden in IFA ausgebessert, Karte bestellt, wird zugesandt).
LA: Woher haben Sie jetzt Ihre Dokumente?
VP: Die Geburtsurkunden der Kinder wurden per Post geschickt, ich weiß nicht von wem, mein Diplom kam mit einem Touristen. Nachgefragt – Kuvert haben wir nicht mehr.
LA: Welcher Volksgruppe und welcher Religionsgemeinschaft gehören Sie an?
VP: Azeri und Moslem.
LA: Wie geht es Ihnen und den Kindern gesundheitlich?
VP: Ich bin nur sehr nervös, den Kindern geht es gut.
LA: Sind Sie in ärztlicher Behandlung, nehmen Sie irgendwelche Medikamente?
VP: Ich wollte ein paar Mal zum Psychologen gehen, habe es aber nicht geschafft. Mein Mann hat mir in der Apotheke Antistress-Kapseln gekauft.
LA: Haben Sie in Österreich andere Verwandte als Ihren mitgereisten Mann und die Kinder?
VP: Nein.
ANM: Die VP wird vom Dolmetscher nach Namen/Geburtsdatum der Eltern und Geschwister befragt. Die Angaben werden mit jenen der Erstbefragung verglichen.
Es ergaben sich folgende geringfügige Änderungen bzw. Ergänzungen: Mutter XXXX , Schwester XXXX .
LA: Wo genau halten sich Ihre Angehörigen aktuell auf?
VP: Meine Eltern in XXXX . Nachgefragt – das ist ca. ½ Stunde zu Fuß vom Haus meines Mannes weg, gleich neben der Schule Nr. 1.
LA: Hat Ihr Mann eine Zweitfrau?
VP: Nein.
LA: Haben Sie oder Ihr Mann noch andere Kinder außer XXXX ? Wenn ja, wie viele?
VP: Nein.
LA: Wie lauten die Daten (Name, Geburtsdatum) Ihrer Kinder?
VP: XXXX (Namen in IFA geändert, Karten bestellt, werden zugesandt)
LA: Haben Sie Halbgeschwister?
VP: Nein.
LA: Wo haben Sie im Heimatland gelebt? Nennen Sie die Adresse.
VP: Bis zu meinem 16. Lebensjahr in XXXX , danach in Baku. Bis ich geheiratet habe im Jahr 2007 habe ich bei meinem Onkel mütterlicherseits gewohnt und in Baku studiert. Unsere letzte Adresse in Baku ist XXXX , dort haben wir 3 oder 4 Jahre bis zur Ausreise gelebt, auch die letzte Nacht dort verbracht. Das ist unsere 5. Mietwohnung in Baku, seitdem wir geheiratet haben.
LA: Wann hatten Sie zuletzt mit jemand aus Ihrem Herkunftsland Kontakt?
VP: Vor einer Woche mit meiner Schwester über Internet.
LA: Welche Ausbildung haben Sie im Detail absolviert? Welchen Beruf?
VP: Ich bin Juristin, 4 Jahre habe ich studiert. Mit 15 Jahren habe ich einen 6monatigen Krankenschwesternkurs besucht.
LA: Womit haben Sie in Ihrem Heimatland bisher Ihren Lebensunterhalt bestritten?
VP: Ich habe 6 Monate eine Praktikum gemacht, aber danach nicht gearbeitet.
LA: Haben Sie im Herkunftsland oder hier Strafrechtsdelikte begangen?
VP: Nein.
LA: Besteht ein offizieller Haftbefehl gegen Sie im Heimatland?
VP: Nein.
LA: Waren Sie in Ihrem Heimatland politisch tätig?
VP: Nein.
LA: Warum haben Sie nicht in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt? Sie waren ja bereits in der Ukraine und in Polen sicher! Warum sind Sie weiter gereist?
VP: Wir wollten in ein europäisches Land kommen. Österreich ist ein demokratisches Land. Sie hätten uns sowohl in der Ukraine als auch in Polen finden können.
LA: Würden Sie nun bitte alle Ihre Gründe für die Asylantragstellung hier in Österreich ausführlich darlegen? Versuchen Sie Ihre Gründe nach Möglichkeit so zu erzählen, dass diese für eine unbeteiligte Person auch zu verstehen sind. Was ist alles passiert? Was haben Sie alles erlebt, gesehen, gedacht, befürchtet usw.? Warum konnten oder wollten Sie nicht mehr in der Heimat bleiben?
VP: Mein eigentlicher Fluchtgrund ist aufgrund meines Mannes. Ich hatte niemals eine politzische Aktivität. Mein Mann gehört einer oppositionellen, politischen Partei an. Deswegen ist mein Leben, und das Leben meiner Kinder in Gefahr geraten. Ich war immer dagegen, dass er politisch aktiv ist. Es fällt mir sehr schwer, dass ich nicht mehr in meiner Heimat bin. Ich vermisse meine Eltern. Ich durfte wegen ihm in Aserbaidschan nicht arbeiten, obwohl ich fertigstudiert habe. Ich habe im Jahr 2008 erst von den politischen Problemen meines Mannes erfahren. Als mein erstes Kind erst ca. 3 Monate alt war, klopfte es in den frühen Morgenstunden an der Tür. Ich machte auf. Zwei zivilbekleidete mir unbekannte Männer drangen in die Wohnung ein. Mein Mann war zu Hause. Sie packten meinen Mann an den Armen. Ich wollte meinem Mann helfen und habe laut gefragt, was sie von meinem Mann wollten. Der eine versetzte mir mit dem Ellbogen einen Schlag gegen die Nase, ich erlitt einen Nasenbeinbruch. Sie nahmen meinen Mann an dem Tag mit, aber am selben Abend kam er wieder zurück. Ich konnte nicht einmal atmen, meine Nase war geschwollen. Mein Mann hat mir erzählt, dass er geschlagen wurde und sehr starke Rückenschmerzen hatte. Am nächsten Tag in der Früh musste ich ins Krankenhaus, weil ich nicht atmen konnte. Der Arzt dort rief die Polizei. Die Polizei hat meinen Mann und mich mündlich als Zeugen einvernommen, es wurde aber kein Protokoll aufgenommen, und die Polizei ermittelte nicht in der Sache. Anschließend fing es an, dass ich immer wieder Drohanrufe am Festnetz bekam. Man sagte mir am Telefon, dass mein Mann von diesen Dingen abkommen solle, sonst würden sie mich und die Kinder umbringen. In meinem ganzen Eheleben habe ich aus Angst wie eine Gefangene leben müssen. 2012 geschah noch ein Vorfall. Ich hatte bereits die beiden Kinder. Ich war im 2. Monat schwanger. 2 Männer kamen – wieder in der Früh – zu uns. Ich wusste bereits, dass ich niemandem die Türe aufmachen darf. Ich habe aber die Tür kurz aufgemacht, den Mist in den Container gebracht, und als ich wieder in die Wohnung hinein wollte, kamen mir zwei Männer nach und mit mir in die Wohnung. Mein Mann war zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause. Sie schauten in die Zimmer und suchten nach meinem Mann. Ich sagte zu den Männern, dass sie meine Wohnung sofort verlassen sollen und drohte ihnen mit einer Anzeige. Sie lachten mich aus. Der eine stieß mich weg, dabei sagte er, dass sie meinen Mann – egal wo er sich versteckt – finden werden, und danach gingen beide weg. Ich fiel nach dem Stoß zu Boden. Einige Stunden später hatte ich Unterleibsschmerzen, bekam eine Blutung. Ich konnte meinen Mann nicht erreichen, deswegen ging ich am selben Tag nicht zum Arzt. Mein Mann kam gegen 3 Uhr in der Früh nach Hause. Ich möchte anmerken, dass er immer wieder so spät nach Hause kam, weil er Angst hatte. Ich konnte ihn nicht fragen, sonst wurde er zornig. Am Tag verließ er kaum noch die Wohnung. Am nächsten Tag in der Früh bekam ich sehr starke Blutungen. Ich ging dann zum Arzt und bekam eine Curettage. Die Drohanrufe gingen bis zur Ausreise weiter. In der letzten Zeit hat sich mein Mann wo anders versteckt, und ich ging mit den Kindern zu meiner Schwester. Wir haben ein Flugticket für den XXXX .2015 nach Nachtschewan gekauft. Mein Mann ging zu seiner Mutter und ich zu meiner. Zunächst hatte mein Mann vor, dass wir in die Türkei flüchten und dort weiterleben. Ich weiß aber nicht, warum das nicht geklappt hat und wir nicht dorthin fuhren. Einen Monat später flogen wir wieder nach Baku zurück, das war am XXXX .2015. Mein Mann sagte zu mir, dass ich mit den Kindern bei meiner Schwester, die in einem Dorf in Baku lebt, untertauchen soll. Ich habe 20 Tage lang nicht gewusst, wo sich mein Mann versteckt hatte. Erst am 20. Tag bekam ich von ihm einen Anruf, dass ich mich vorbereiten soll, dass wir aus Aserbaidschan flüchten werden.
LA: Was bekamen Sie selbst von den Problemen Ihres Mannes mit?
VP: Durch die Drohanrufe hatte ich Angst meine Kinder sogar in den Hof zum Spielen zu schicken. Nachgefragt – nur die beiden Vorfälle und die Drohanrufe.
LA: Hat Ihnen Ihr Mann nichts erzählt solange Sie noch in Aserbaidschan waren?
VP: Bis 2008 nicht, dann hat er angefangen mir langsam zu erzählen, weil ich gesehen habe, dass er in einem „geschlagenen“ Zustand nach Hause kam. Nachgefragt – er kam sehr oft so nach Hause. Immer wieder. Manchmal zweimal im Monat, manchmal war ein Monat Pause. Ich habe gesehen, dass er eine Schnittwunde am Ohrläppchen hatte. Er hatte blaue Flecken am Fuß und am Rücken.
LA: Wieso sagten Sie dann zuerst, dass Sie nichts von seinen Problemen mitbekamen?
VP: Ich meinte damit, ich wusste zunächst einmal nichts von seinen Problemen, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich ihn nicht geheiratet. Bei uns in den muslimischen Familien ist es traditionell so, dass die Männer ihren Ehefrauen nichts erzählen.
LA: Dann noch einmal: Was bekamen Sie selbst von den Problemen Ihres Mannes mit?
VP: Ich habe gesehen, dass er oft geschlagen wurde. Er ist manchmal für 10, 15, sogar 20 Tage verschwunden. Dann anschließend musste er mir zugeben, dass er dreimal angehalten wurde. Manchmal habe ich gesehen, dass er für 2 Tage verschwunden war, und ich konnte ihn nicht einmal fragen, dass er nicht zornig wurde. Meine beiden Kinder habe ich alleine erzogen, und ich hätte mich scheiden lassen sollen. Ich selbst bin ohne Vater aufgewachsen und wollte daher aber nicht, dass meine Kinder ohne Vater aufwachsen. (VP weint).
LA: Wann bzw. wie haben Sie Ihrem Mann von dem Vorfall erzählt, nach dem Sie das Kind verloren?
VP: Noch am selben Tag. Er war in der Nacht zu Hause. Er hat dann in der Früh auf die Kinder aufgepasst und ich ging zum Arzt.
LA: Wenn Ihr Mann aber – wie Sie sagen – oft so lange gar nicht nach Hause kam, war es da nicht sehr gefährlich auf ihn zu warten, bis Sie zum Arzt gehen?
VP: Ich hätte zum Arzt gehen könne, hätte im Notfall meine Nachbarin bitten können. Aber mein Mann kam an dem Tag in der Nacht nach Hause. Aufgrund der Probleme meines Mannes konnte ich nicht meinen Magister machen, weil wir immer umziehen mussten, ich die Kinder bekam. Mich hat niemand angestellt, weil mein Mann in der Opposition war. Ich wollte meine Kinder in den Kindergarten geben, sie wurden aber wegen der Probleme meines Mannes nirgendwo aufgenommen. Unser ältester Sohn konnte zwar einige Monate in die erste Klasse gehen, weil wir dann aber untertauchen mussten, musste er die Schule abbrechen.
LA: Wie war das, dass Ihre Kinder im Kindergarten abgelehnt wurden? Was wurde gesagt?
VP: Sie hatten immer einen Vorwand. Dass sie keinen Platz haben. Und sehr oft nannten sie nicht einmal einen Grund. Zwei Jahre habe ich mich an jeden Kindergarten in der Kreisstadt XXXX gewendet und überall eine negative Antwort bekommen. Einmal wurde gesagt, dass wir der Opposition angehören und deshalb unser Kind nicht aufgenommen wird. Dem Direktor drohte ich mit einer Beschwerde, er sagte er habe keine Angst davor. Es gibt keine Frauenrechte und Menschenrecht in Aserbaidschan. Nachgefragt – das war für XXXX , der Kindergarten XXXX .
LA: Sie sagten vorher, Sie konnten Ihren Mann nicht erreichen. Wieso?
VP: Ich wusste nicht, wo er sich aufhielt und konnte ihn nicht erreichen. In der Nacht kam er aber mit Schmerzen nach Hause. Ich habe ihn zwar gefragt, er hat mir aber nicht gesagt, ob er wieder geschlagen wurde.
LA: Wo waren bei diesem Vorfall Ihre Kinder?
VP: Sie haben noch geschlafen. Die Männer wollten zwar ins Kinderzimmer gehen, machten die Tür auf, wieder zu und gingen wieder hinaus.
LA: Hatten die Verwandten Probleme wegen Ihres Mannes?
VP: Meine Verwandten hatten keine Probleme. Aber die Brüder meines Mannes hatten wegen meines Mannes berufliche Probleme bekommen. Sie haben den Kontakt mit uns abgebrochen. Ich nehme an, dass sie Angst hatten.
LA: Wurde (nach Ihrer Ausreise) nach Ihnen oder Ihrem Mann gesucht?
VP: Nach mir nicht, bei meinem Mann weiß ich das nicht. Nachgefragt – Im Jahr 2012 war mein Mann 10 Tage festgenommen, 2014 15 Tage, im April 2015 20 Tage. Er war von der Polizei verhaftete. Als mein Mann schon untergetaucht war habe ich zwei Ladungen übernommen.
LA: Gab es konkret gegen Sie gerichtete Verfolgungshandlungen?
VP: Nein.
LA: Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot aufmerksam gemacht und darauf hingewiesen, dass Sie die Wahrheit sagen müssen. Es ist nicht von Vorteil, wenn Sie irgendwelche Geschichten vorbringen, die Sie nicht persönlich erlebt haben. Ich frage Sie daher jetzt nochmals ob Sie noch etwas Asylrelevantes oder etwas sonst Bedeutendes angeben möchten, das Ihnen wichtig erscheint, jedoch bislang nicht gefragt wurde?
VP: Ich glaube, dass ich alles erzählt habe und nichts ausgelassen habe.
LA: Theoretisch, was würden Sie im Falle einer Rückkehr in Ihren Heimatstaat befürchten?
VP: Das alles wird weitergehen. Wenn ich alleine mit den Kindern zurückkehren sollte, werde ich dort belästigt, weil sie wissen wollen, wo sich mein Mann aufhält.
LA: Hätten Sie damals die Möglichkeit gehabt, sich im Heimatland wo anders – z.B. in ein anderes Gebiet – hinzubegeben, um sich den angegebenen Übergriffen / Problemen / Schwierigkeiten zu entziehen, bzw. haben Sie das schon erwogen / versucht oder bestünde diese Möglichkeit jetzt?
VP: Wir sind ständig umgezogen, sie haben uns überall gefunden. Sie haben lange Arme.
LA: Wann kam der letzte Drohanruf?
VP: In den letzten Monaten, bevor wir untertauchten, ich nehme an, im Mai.
LA: Auf die Vertraulichkeit der von Ihnen angegebenen Daten wird nochmals hingewiesen. Sind Sie damit einverstanden, dass Erhebungen zum Sachverhalt in Ihrem Heimatland durchgeführt werden? Es werden keine persönlichen Daten an die Behörden Ihres Heimatlandes weitergegeben.
VP: Keine Einwände.
LA: Ich beende jetzt die Befragung. Möchten Sie noch weitere Angaben machen? Konnten Sie zum Verfahren alles umfassend vorbringen oder gibt es zur Einvernahme irgendwelche Einwände?
VP: Ich habe nichts mehr zu sagen, es war alles in Ordnung. Die Einvernahme war sehr angenehm.
LA: Wie haben Sie die Dolmetscherin verstanden?
VP: Vielen Dank, sehr gut.
(…)
I.2.3. bP2 – bP4 beriefen sich auf die Gründe der bP1 und auf den gemeinsamen Familienverband.
Vorgelegt vor dem BFA wurde von den bP:
Geburtsurkunden der bP
Heiratsurkunde bP 1 und 2
Diplom für Völkerrecht der bP 2
Militärbuch
Partei-Mitgliedsausweis der Demokratischen Partei Aserbaidschans der bP 1
Bestätigungsschreiben der Demokratischen Partei Aserbaidschans
2 Urteile wegen Verwaltungsübertretung vom XXXX .2014 und XXXX .2015.
Zwei Polizei-Ladungen für XXXX .2015 und für XXXX .2015 wegen Untersuchungen in Sachen eines Mordfalles
Medizinische Berichte aus Aserbaidschan und Österreich
I.3. Die Anträge der bP auf internationalen Schutz wurden folglich mit im Spruch genannten Bescheiden der bB gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Aserbaidschan nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Aserbaidschan gemäß § 46 FPG zulässig sei.
Eine Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit 14 Tagen gewährt.
In Bezug auf sämtliche bP wurde ein im Spruch inhaltlich gleichlautender Bescheid erlassen, weshalb sich aus dem Titel des Familienverfahrens gem. § 34 AsylG ebenfalls kein anderslautender Bescheid ergab.
I.3.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die bB das Vorbringen der bP in Bezug auf die Existenz einer aktuellen Gefahr einer Verfolgung als nicht glaubhaft und führte hierzu Folgendes aus (Wiedergabe aus dem angefochtenen Bescheid in Bezug auf bP1) :
- Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:
Vorweg ist festzuhalten, dass Glaubhaftmachung bedeutet, die Behörde davon zu überzeugen, dass ein behaupteter Sachverhalt wahrscheinlich verwirklicht oder nicht verwirklicht worden ist. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (UBAS, 14.10.1998, 203.604/0-IX/26/98).
Unzweifelhaft ist im Asylverfahren die niederschriftliche Aussage eines Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle. Deshalb obliegt es dem Asylwerber alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung darzulegen und müssen seine Angaben von der Behörde auf ihre Glaubwürdigkeit überprüft werden.
Auch wenn für eine Glaubhaftmachung im Gegensatz zu einer Beweisführung der Nachweis der Wahrscheinlichkeit ausreicht, müssen aber die für die Annahme eines Sachverhaltes sprechenden Gründe die gegenteiligen Gründe jedenfalls überwiegen, wobei der Aussage des Asylwerbers selbst wesentliche Bedeutung zukommt (AsylGH 15.6.2009, D11 260.145-0/2008/8E).
Grundsätzlich ist eine Aussage dann als glaubhaft einzustufen, wenn das Vorbringen des Asylwerbers genügend substantiiert ist und der Asylwerber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Zudem muss das Vorbringen in sich schlüssig und plausibel sein, was voraussetzt, dass der Asylwerber sich nicht in wesentlichen Aussagen widerspricht bzw. dass sein Vorbringen mit den Tatsachen oder der allgemeinen Lebenserfahrung übereinstimmt. Weiters muss der Asylwerber persönlich glaubwürdig sein, was z.B. nicht anzunehmen ist, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens auswechselt oder steigert.
Ihre Angaben zum Ausreisegrund waren – wie nachstehend ausgeführt – nicht nachvollziehbar und daher auch nicht glaubwürdig.
Allem voran wechselten sowohl Sie als auch Ihre Frau Ihr Fluchtvorbringen aus.
So gaben Sie bei der Erstbefragung am 03.09.2015 an Anhänger der Musavat-Partei zu sein. Ihr Bruder XXXX , der „unsere“ Partei finanziell unterstützt habe, wäre bei einem Abendessen in einem Lokal vermutlich „vom Staat vergiftet“ worden. Er wäre am XXXX .2015 in die Türkei in ein Krankenhaus verlegt worden und am XXXX .2015 verstorben. Sie selbst wären von „Staatsmännern mit dem Umbringen Ihrer Kinder bedroht“ worden. Zudem erklärten sie und Ihre Gattin, man habe Ihnen ein Grundstück im Wert von 120.000 Euro weggenommen und dem Bruder XXXX zugeschrieben. Dafür wäre Ihr Haus gestürmt, das Grundbuch weggenommen und Sie gefoltert worden, um Sie zu einer Unterschrift für die Schenkung des Grundes zu nötigen. Sie hätten nicht unterschrieben diese Zustände aber nicht mehr ertragen, weshalb Sie geflüchtet seien (AS 23).
In der Einvernahme vom 30.03.2016 erwähnten Sie davon NICHTS mehr. Da legten Sie abweichend dazu dar, dass Sie 1993 – 1994 die Oppositionelle Volksfront unterstützt hätten, (nur) von 2000 – 2003 Sympathisant der Musavat-Partei gewesen seien und seit 2003 registriertes Mitglied der Aserbaidschanischen Demokratischen Partei (AS 77). Zum ersten Mal wären Sie nach Demonstrationen im Jahr 2003 gefoltert worden. 2014 und 2015 wären Sie nach Demonstrationen gegen Plünderung des Landes 15 bzw. 20 Tage lang festgehalten und gefoltert worden (AS 79). Dazu legten Sie auch entsprechende „Urteile in Bezug mit einer Verwaltungsübertretung“ XXXX (AS 141 und AS 145 – 147) und XXXX (AS 137 – AS 141) vor. Während einer letzten Anhaltung im Mai 2015, die nur wenige Stunden gedauert habe, hätten Sie eine Blanko-Unterschrift leisten müssen, und man habe Sie dazu verpflichtet in Nadaran die Moschee zu demolieren, Sie hätten auch eine Bombe legen und Waffen dort verstecken sollen. Dafür habe man Ihnen auch Geld geboten und Ihnen versprochen, dass Sie keine Probleme mehr mit dem Staat haben würden (AS 81). Bei der Demonstration im April 2015 hätten Zivile Sie in einen Kofferraum gesteckt und 20 – 30 Minuten lang zur Polizeidienststelle in Yasamal gefahren, wo Sie dann 20 Tage lang festgehalten und gefoltert und erniedrigt worden seien (AS 87). Ihre Mutter und Ihre Geschwister hätten keine Probleme, weil Sie aufgrund Ihrer Parteiangehörigkeit keinen Kontakt mehr zu Ihren Brüdern hätten (AS 89).
Ihre Angaben zum Fluchtgrund waren aber auch in Hinblick auf die Aussagen Ihrer Gattin, der Asylwerberin XXXX , IFA 1085424107, widersprüchlich.
So führten Sie einen Vorfall im Jahr 2008 an, als Ihr ältester Sohn 3 – 3,5 Monate alt gewesen sei, bei dem Ihrer Frau die Nase gebrochen wurde und bei dem sie ein Kind verloren habe. Zivile Männer hätten da bei Ihnen zu Hause Ihre Frau geschlagen und alles durchsucht, als Sie nicht zu Hause gewesen wären. Ihre Frau hätte Ihnen das erst in der Nacht, als Sie nach Hause gekommen wären, erzählt, obwohl sie Sie vorher schon angerufen und Ihnen gesagt hätte, Sie sollten schnell nach Hause kommen. Am selben Tag habe Ihre Frau Blutungen bekommen. Einige Tage später wäre Ihre Frau dann zum Arzt gegangen und habe eine Curettage bekommen (AS 91).
Ihre Gattin schilderte hingegen, dass an diesem Tag im Jahr 2008, als Ihr erstes Kind gerade 3 Monate alt war, Sie zu Hause gewesen wären, als zwei unbekannte zivile Männer eingedrungen seien. Diese hätten Sie gepackt, und als Ihre Frau Ihnen habe helfen wollen, hätte einer der beiden Ihrer Gattin mit dem Ellbogen einen Schlag versetzt, worauf sie einen Nasenbeinbruch erlitten habe. Die Männer hätten Sie mitgenommen, Sie wären aber am Abend wieder zurückgekommen. Am nächsten Tag in der Früh wäre Ihre Frau ins Krankenhaus gegangen, die Polizei wäre dazu gerufen worden und habe Sie und Ihre Frau einvernommen, es wäre aber kein Protokoll aufgenommen und auch nicht ermittelt worden (AS 59). Bei einem zweiten Vorfall im Jahr 2012, als sie bereits beide Kinder gehabt habe und im zweiten Monat schwanger gewesen sei, wären wieder zwei Männer in der Früh zu Ihnen gekommen. Damals wären Sie nicht zu Hause gewesen. Die Männer hätten nach Ihnen gesucht, und als Ihre Frau sie zum Verlassen der Wohnung aufgefordert habe, hätte einer sie weggestoßen, worauf Ihre Gattin zu Boden gefallen sei. Einige Stunden später habe Ihre Frau Unterleibsschmerzen und Blutungen bekommen. Sie konnte Sie nicht erreichen und ging daher nicht zum Arzt. Am nächsten Tag in der Früh wären die Blutungen sehr stark geworden und Ihre Frau wäre zum Arzt gegangen, wo sie eine Curettage erhalten habe (AS 61), während Sie selbst auf die Kinder aufgepasst hätten (AS 63).
Die Abweichungen der Erzählungen in wesentlichen / entscheidenden Details lassen sich nicht durch individuelle Betrachtungsweise von Mann und Frau erklären, denn es ist ein Unterschied, ob man durch einem einzigen Vorfall die Nase gebrochen bekommt und das Kind verliert oder ob es zwei Vorfälle gewesen seien. Dies lässt sich auch nicht durch die angeführten Gedächtnisprobleme erklären und macht Ihren Fluchtgrund unglaubhaft.
Darüber hinaus entstanden erhebliche Zweifel an den von Ihnen angegebenen (aktuellen) Inhaftierungen im November 2014 und April 2015.
Laut Ihrer Angaben bei der Einvernahme am 30.03.2016 wären Sie im Winter 2014 „von der Straße aus“ mitgenommen worden und wären 15 Tage lang angehalten worden, davon 10 Tage in einem Raum, in dem 10 cm kaltes Wasser am Boden stand, und gefoltert worden (AS 79). Bei dieser ersten Anhaltung wären Sie zur Polizeidienststelle in XXXX gebracht worden (AS 85). Dazu legten Sie ein Gerichtsurteil des Bezirksgerichtes XXXX vor, das besagt, Sie hätten nach einer Demonstration im XXXX Slogans gegen die Staatsmacht gerufen, wären verwarnt und verhaftet worden und würden zu einer Haftstrafe von 15 Tagen ab dem XXXX .2014 verurteilt (AS 141 und 145-147).
Im April 2015, Sie glaubten am XXXX .2015 (AS 85), wären Sie von der Demonstration aus mitgenommen worden und hätten 20 Tage lang in Haft sein müssen (AS 79). Sie wären in einem Kofferraum von Zivilen zur Polizeidienststelle in XXXX gebracht, geschlagen und mit Fußtritten ins Gebäude gebracht worden. In der Einzelzelle dort wären Sie von den zivilen Männern mit Gummiknüppeln geschlagen worden, in Ihr Wasser habe man gespuckt und man habe Sie jedes Mal mit Fußtritten geweckt, wenn Sie einmal eingeschlafen wären Zudem hätten Sie nur sporadisch einen Eimer für die Notdurft bekommen, Sie wären gezwungen worden mit Ihrer Kleidung Harn und Kot vom Boden aufzuwischen (AS 87). Zur Untermauerung dieser Geschichte legten Sie ein Gerichtsurteil des Bezirksgerichtes XXXX vor, mit dem Inhalt, dass Sie sich auf der Straße gegenüber einer Polizeipatrouille verdächtig verhalten hätten und zu einer Haftstrafe von 20 Tagen ab dem XXXX .2015 verurteilt wären (AS 137 – 143).
Diese Widersprüche weisen auf nicht tatsächlich erlebte Geschehnisse hin, vor allem auch in Anbetracht dessen, dass in Aserbaidschan - wie auch die Länderinformation besagt - echte oder verfälschte Vorladungen, Haftbefehle und Strafurteile gegen Zahlung eines Bestechungsgeldes erteilt werden.
Zudem ergibt sich auch noch eine Diskrepanz zwischen diesen vorgeblichen Verhaftungen mit Folter und Ihrer Internettätigkeit.
So ist Ihrem Odnoklassniki-Account unter „Notizen“ (AS 191 - 197) zu entnehmen, dass Sie während der Zeit, als Sie in einem Raum, wo 10 cm Wasser stand, gefoltert worden sein wollen, ohne Problem Zugang zum Internet hatten und am 15.11.2014 ein Video teilen konnten. Und am 06. April 2015, als Sie bereits den zweiten Tag nach Ihrer Fahrt im Kofferraum inhaftiert gewesen und geschlagen worden sein wollen, teilten Sie sogar zwei „witzige“ Videos (einmal wird verschiedenen Personen mit Krachern in der Nähe Angst gemacht) ohne Probleme aus Ihrer Einzelzelle, in der Sie nicht einmal schlafen durften (Quelle: XXXX ).
Im Teil „Newsfeed“ (AS 199 – 205) erfährt man, was Sie wann mit „gefällt mir“ markiert haben. Damit ist unter anderem Ihr uneingeschränkter Online-Zugang vom 13.11.2014 – 17.11.2014 nachweisbar – sowie auch, dass Sie nach der Erkrankung und dem Tod Ihres Bruders XXXX bis in den Juli 2015 nicht mehr aktiv waren (Quelle: XXXX ).
Es ist nicht plausibel, dass während einer Inhaftierung, bei der der Gefangene gefoltert, erniedrigt und terrorisiert wird, ein Internetzugang zur Verfügung gestellt wird, bzw. dem Gefangenen erlaubt wird sein Handy in die Zelle mitzunehmen.
Hierzu soll noch angemerkt werden, dass Sie selbst angaben, dass nach 2003 nur noch im Stadion in XXXX erlaubt war zu Demonstrieren und die Demonstrationen 2015 auch alle dort stattgefunden hätten. Zudem erklärten Sie, es habe kein Probleme dabei gegeben, dass die Demonstrationen zustande kommen bzw. die Leute davon erfahren, „weil das alles erlaubte Demonstrationen sind“ (AS 85). Und zu Ihrer Aufgabe als Mitglied der Oppositionspartei ADP zählten Sie auf, Sie hätten vor Schulen an Eltern Flugblätter verteilt, vor der Präsidentenwahl Plakate aufgehängt und bei den (erlaubten) Demonstrationen die Parolen weitergegeben sowie die Leute dazu ermutigt bei den Demonstrationen zu bleiben (AS 83). Auch konnten Sie keinen Grund dafür nennen, warum gerade Sie von der Polizei gesucht werden sollten und nicht auch Ihre Parteikollegen, bei denen angeblich nach Ihrer Ausreise immer wieder nach Ihnen gefragt worden sei, etwa dass Sie in einer herausragenden Weise für die Aserbaidschanische Demokratische Partei tätig gewesen wären oder eine hohe Position gehabt hätten (AS 89). Nach der Auskunftslage ist es unwahrscheinlich, dass eine Person allein aufgrund ihrer („normalen“) Aktivitäten für eine legale Oppositionspartei respektive bei legalen Demonstrationen in Aserbaidschan Repressalien seitens der Behörden oder Sicherheitskräfte ausgesetzt ist.
Fazit aus all diesen Umständen ist, dass Ihre Fluchtgeschichte insgesamt konstruiert und somit nicht glaubhaft wirkt.
Ergänzend sei noch erwähnt, dass Verhaftungen und Misshandlungen bei Demonstrationsauflösungen im Jahr 2003 sowie „Sympathie“ für die Musavat-Partei in den Jahren 2000 – 2003 (ohne dort eingetragenes Mitglied gewesen zu sein) keinen zeitlichen Zusammenhang mit Ihrer Ausreise (erst) im August 2015 aufweisen, und somit nicht asylrelevant sind.
Zudem gelang es Ihnen danach – nach der behaupteten Inhaftierung mit Folter im November 2014! – problemlos am XXXX .2015 einen Reisepass zu erhalten, wie aus dem Schengener-Visum vom 24.08.2015 hervorgeht. Und ebenfalls konnten Sie als Autohändler „aus Deutschland einige Male Autos“ holen, wie Sie erklärten in den Jahren 2004, 2005 und 2013 oder 2014 (AS 89), wofür Sie ebenfalls Visa beantragt hatten und somit auch im Besitz eines (von den aserbaidschanischen Behörden ausgestellten) Reisedokuments gewesen sein müssen. Auch daraus lässt sich ableiten, dass Sie in dieser Zeit keiner Verfolgung durch die Behörden ausgesetzt waren.
Zur in der Erstbefragung (und später nicht mehr) vorgebrachten Abnahme Ihres Grundstückes sei angemerkt, dass Sie dies in der Einvernahme am 30.03.2016 nicht mehr für erwähnenswert hielten, obwohl Sie ausdrücklich dazu aufgefordert wurden alle Gründe für das Verlassen des Heimatlandes zu schildern und nach der Einvernahme noch einmal danach gefragt wurden, ob es noch etwas Asylrelevantes oder sonst Bedeutendes gibt (wo Sie dann die Misshandlung Ihrer Gattin nannten) und damit einerseits nicht glaubhaft machten, und es – selbst bei Wahrheitsunterstellung Ihres Vorbringens – jedenfalls keine Furcht vor Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten asylrelevanten Gründen darstellt, die von staatlichen Organen ausgehen würde oder dem Herkunftsstaat sonst zurechenbar wäre. Bei einer Verfolgung durch Privatpersonen handelt es sich weder um eine von einer staatliche Behörde ausgehende noch um eine dem Herkunftsstaat zurechenbare Verfolgung, die von den staatlichen Einrichtungen geduldet würde. Vielmehr handelt es sich dabei um eine private Auseinandersetzung, deren Ursache auch nicht im Zusammenhang mit einem der in der GFK abschließend angeführten Verfolgungsgründe steht, sondern aus anderen Beweggründen besteht, insbesondere aus kriminellen Motiven.
Zudem bestünde jetzt, da Ihnen das Grundstück nicht mehr gehört, auch keinerlei Gefahr einer weiteren Nötigung wegen dieses Grundes.
Der bei der Erstbefragung erwähnte Tod Ihres Bruders XXXX am XXXX .2015, der zufolge Ihrer Angaben laut dem Türkischen Spital in Aserbaidschan mit falschen Medikamenten versorgt und unnötig operiert worden sein soll, und von dem Sie vermuteten, er wäre vom Staat vergiftet worden (AS 23) lässt nicht auf eine persönliche Verfolgung Sie selbst betreffend schließen. Abgesehen davon ist gibt es keine Hinweise auf eine derartige Vorgehensweise der aserbaidschanischen Behörden gegen einen finanziellen Unterstützer einer legalen Oppositionspartei.
Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass es sich bei Ihrem Vorbringen um Umstände handelt, die einerseits keine Asylrelevanz aufweisen und die andererseits nicht glaubhaft sind.
Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:
Wie oben unter dem Punkt betreffend Ihre Gründe für das Verlassen des Herkunftslandes bereits ausgeführt, ergibt sich für Sie keine Gefährdung durch Polizei, staatliche Organe oder Private. Da Sie eine diesbezüglich begründete, objektiv nachvollziehbare Furcht als Fluchtgrund nicht glaubhaft machen konnten, ergibt sich auch für die Zukunft keine daraus resultierende Gefahr.
In Aserbaidschan besteht keine exzeptionelle Gefährdungslage, die praktisch jeden (und damit auch Sie) treffen könnte. Aus den Feststellungen der Staatendokumentation sind keine Umstände bekannt, dass in ganz Aserbaidschan eine solche extreme Gefährdungslage besteht, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehre, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre.
Die Feststellung, dass Sie grundsätzlich am Erwerbsleben teilnehmen können, ergab sich aus Ihren Angaben während der Einvernahmen.
Weiters konnte anhand Ihrer gleichbleibenden Aussagen festgestellt werden, dass Sie Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat haben. Sie wurden in Aserbaidschan geboren, sind dort aufgewachsen, haben fast immer dort gelebt und gearbeitet und haben dort auch den gesamten Freundes- und Bekanntenkreis sowie auch Ihre Mutter, drei Brüder und zwei Schwestern.
Sie besitzen ein Grundstück mit Haus, in dem jetzt Ihre Mutter und Ihr Bruder XXXX wohnen. Aufgrund Ihrer Angaben im Verfahren sowie aus den allgemeinen Länderfeststellungen zu Aserbaidschan ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte, dass angenommen werden müsste, Ihnen würde im Falle der Rückkehr jegliche Lebensgrundlage entzogen sein.
Weiter ist anzunehmen, dass Sie in Aserbaidschan in der Lage sein werden, sich – notfalls mit Hilfstätigkeiten – wie bisher ein ausreichendes Auskommen zu sichern und daher nicht in eine hoffnungslose Lage geraten.
Ihre Rückkehr nach Aserbaidschan ist durchaus möglich und zumutbar. Zudem besteht die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass Sie auch Ihr Leben in XXXX und später in Baku und Umgebung verbracht haben und mit den dortigen örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten vertraut sind.
Wie bereits unter dem Punkt Beweiswürdigung betreffend die Feststellungen zu Ihrer Person angeführt, ist bei Ihnen lediglich ein Bandscheibenvorfall diagnostiziert worden. Als Therapie wurde Novalgin gegen die Schmerzen verordnet sowie eine Physiotherapie um schmerzfrei Bewegungsabläufe zu erlernen. Laut Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 04.05.2012 sind Novalgin unter dem Namen Metamizol und auch alternative Schmerzmittel in Aserbaidschan erhältlich (AS 189). Zudem geht aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation hervor, dass in Aserbaidschan die medizinische Versorgung gewährleistet ist. Physiotherapeuten gibt es unter anderem beim Azerbaijan Physiotherapy Association Center oder im Customs Hospital in Baku (Quelle: http://www.baku.diplo.de/contentblob/4133728/Daten/6365661/ArztelisteundKrankenhauser.pdf , Zugriff am 02.05.2017). Somit ist eine eventuell notwendige Behandlung auch in Aserbaidschan gewährleistet.
Wie aus dem zugrunde gelegten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation ersichtlich ist, müssen rückgeführte und freiwillig zurückreisende aserbaidschanische Staatsangehörige wegen ihrer Asylanträge im Ausland bei ihrer Rückkehr nicht mit staatlichen Zwangsmaßnahmen rechnen.
In Bezug auf die weitern bP wurde in sinngemäßer Weise argumentiert.
I.3.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Aserbaidschan traf die belangte Behörde ausführliche und schlüssige Feststellungen
I.3.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar, weshalb Rückehrentscheidung und Abschiebung in Bezug auf Aserbaidschan zulässig sind.
I.4. Gegen die im Spruch genannten Bescheide wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Zudem wurde ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt.
Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass die bP 1 1994 / 1995 Anhänger der oppositionellen Volksfront, von 2000 – 2003 Sympathisant und seit 2003 Mitglied der aserbaidschanisch-demokratischen Partei gewesen sei, wobei sie diverse Demonstrationen organisiert und versucht hätte, Personen für die Partei anzuwerben. Die bP 1 habe die Misshandlungen beispielsweise am 16.10.2003, 2008, 2014 und 2015 genau geschildert und habe zwei Gerichtsurteile betreffend Verwaltungsübertretungen im Zusammenhang von politischen Aktivitäten vorgelegt. Es sei von der bB zugesichert worden, diese überprüfen zu lassen, was jedoch nicht geschehen sei. Auch die Angaben der bP 1 zum Parteilokal seien nicht überprüft worden.
Vielmehr sei die Nutzung des Handys der bP 1 geprüft worden, wobei bei der Einrichtung von Accounts keine Personenidentität überprüft werde. Die Feststellung der bB, die bP 1 habe während der angegeben Zeit der Inhaftierung offensichtlich Handy und Internet genutzt, sei unplausibel, da eine Vielzahl von Personen den Account der bP 1 genutzt haben könnten. Tatsächlich hätten Exekutivbeamte während der Inhaftierung der bP 1 ihr das Handy abgenommen.
Auch sei der ärztliche Befund aus 1993 nicht berücksichtigt worden, wonach die bP 1 im Zuge der Ableistung des Militärdienstes im Rahmen einer Misshandlung ein Schädel-Hirn- Trauma erlitten habe. Seitdem leide sie unter Gedächtnisstörungen. Weiters habe die bP 1 nach Hinweis auf das Neuerungsverbot in der Einvernahme angegeben, dass sie im Moment sehr durcheinander sei und sich nicht konzentrieren könne. Sie hätte Magen- und Kopfschmerzen und falle ihr nichts mehr ein. Die bP 1 sei daher zu diesem Zeitpunkt nicht einvernahmefähig gewesen und hätte die Einvernahme vertagt werden müssen. Auch vor diesem Hintergrund hätte die bB nicht von einer Unglaubwürdigkeit der Angaben der bP 1 ausgehen dürfen.
Weiters sei eine armenischstämmige Dolmetscherin beigezogen worden, was vor dem Hintergrund der Konfliktsituation zwischen Armenien und Aserbaidschan unzulässig sei. Eine Sterbeurkunde zum Bruder, welcher vergiftet worden sei sowie eine Aufenthaltsbestätigung der bP 1 wurden vorgelegt. Schließlich sei auch die bP 2 misshandelt worden, wobei der Nasenbeinbruch nach wie vor erkennbar sei, was sich aus dem vorgelegten Befund ableiten lasse.
Vorgelegt mit der Beschwerde wurde von den bP:
Schreiben über Passnummer der bP 1 von einem Hotel
Armenische Geburtsurkunden
Totenschein
Ambulanzkarte betreffend bP 2 vom Mai 2017 (Nasenbeinprellung; bekam Ellenbogen eines Kindes auf die Nase; Nase äußerlich etwas schiefstehend, jedoch lt. Patientin vorbestehend. Die Patientin machte Angaben über eine möglicherweise vorangegangene Fraktur im Jahr 2008, welche im Röntgen nicht mehr nachvollziehbar war)
I.5. Mit Schreiben vom 17.08.2017 und 16.08.2017 wurde der Vollmachtswechsel zur nunmehrigen Vertretung angezeigt.
I.6. In der ergänzenden Stellungnahme vom 27.10.2017 wurde neben Wiederholung des bisherigen Vorbringens ausgeführt, dass die bB die Parteimitgliedschaft der bP 1 nicht festgestellt habe und sei nicht ersichtlich, warum die bB die dazu vorgelegten Unterlagen nicht überprüft bzw. die daraus ersichtlichen Daten festgestellt habe. Die bB habe das Parteiengehör verletzt, da die Recherchen zur Onlinetätigkeit der bP 1 nicht vorgehalten worden wären. Bei entspechendem Parteiengehör hätte die bP 1 ausführen können, dass ihr Odnoklaaniki-Account von ihr kaum verwendet werde und sie auch das Passwort nicht auswendig kenne. Beim Computer zu Hause sei sie automatisch eingeloggt worden, weshalb jeder diesen Account verwendet haben könnte. Es könne leicht sein, dass der oftmals während der Inhaftierung der bP 1 bei der Familie zu Besuch gewesene Neffe den Account benutzt und die Onlineaktivitäten gesetzt habe.
Es wären auch keine Ermittlungen dazu gesetzt worden, ob auch einfache Aktivitäten für Oppositionsparteien zu einer Verfolgung führen, was sich jedoch aus Internetquellen entnehmen ließe. Die Berichte von Amnesty International von März 2014, „Hartes Vorgehen gegen Oppositionsparteien“ und von August 2013, „Welle von Verhaftungen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen“, würde die Angaben der bP 1 untermauern.
Die Widersprüche ließen sich mit den von der bP 1 angegebenen gesundheitlichen Problemen erklären, und seien auch Ungenauigkeiten im Protokoll aufgefallen. So habe die bP 1 sicher von Rückenschmerzen anstatt von Magenschmerzen berichtet.
Vorgelegt wurden Schulbesuchsbestätigungen der bP 3 und 4 und ein Empfehlungsschreiben der Unterkunftgeberin der bP zwischen Juli und Oktober 2016.
I.7. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 16.10.2018 wurden die gegenständlichen Rechtssachen der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugeteilt.
I.8. Mit Schreiben vom 19.07.2017, 03.01.2018, 19.01.2018, 14.03.2019, 23.05.2019, 14.03.2019, 22.02.2019 wurden ÖSD Deutsch-Zertifikate der bP 1 und bP 2, Unterlagen zum Schulbesuch der Kinder, eine Einstellungszusage für die bP 1 vom 13.02.2019 als Forstarbeiter, eine Bestätigung der Diakonie über die ehrenamtliche Tätigkeit der bP 1 und 2, diverse Deutschkursbestätigungen der bP 1 und 2, ein Dienstleistungsscheck der bP und Unterstützungsschreiben von Lehrern und einer Bekannten aus 2017 und 2018, vorgelegt.
I.9. Mit Schreiben vom 23.10.2019 wurde ein Zwischenbericht betreffend des Verdachts auf Körperverletzung durch die bP 1 und 2 zum Nachteil einer dritten Person bzw. betreffend die bP 2 (Verdacht auf Verletzungen der bP 2 und der dritten Person im Zuge eines Nachbarschaftsstreites im Bereich des Wohnhauses der bP, beide verletzen Personen begaben sich nicht zum Amtsarzt) übermittelt.
I.10. Mit Schreiben vom 13.07.2020 wurden vorgelegt:
ÖSD C1 Zertifikat der bP 2
Studienausweis bP 2
Bescheid der Universität Wien vom 28.01.2020 zur Nostrifizierung des Studiums in Aserbaidschan (die Ablegung von 10 Prüfungen in Österreich wurde für die Nostrifizierung vorgeschrieben)
Zuerkennung der Eignung für die AHS für die bP 3
Schulplatzzuweisung für bP 4 in einem Realgymnasium
I.11. Mit Schreiben vom 01.09.2020 wurde das Zeugnis zur Integrationsprüfung B 1 der bP 1 vorgelegt.
I.12. Mit Schreiben vom 18.06.2021 wurde über Anfrage durch das BVwG eine Zustimmungserklärung der bP 1 zu Recherchen im Herkunftsstaat übermittelt.
In der Folge langten die in den Feststellungen wiedergegebenen Anfragebeantwortungen über entsprechende Aufträge beim BVwG ein.
I.13. Für den 04.10.2021 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.
Gemeinsam mit der Ladung wurden Feststellungen zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat, insbesondere die Anfragebeantwortungen zugestellt. Ebenso wurde – in Ergänzung bzw. Wiederholung zu den bereits bei der belangten Behörde stattgefundenen Belehrungen - ua. hinsichtlich der Obliegenheit zur Mitwirkung im Verfahren manuduziert und wurden die bP aufgefordert, Bescheinigungsmittel vorzulegen.
Die bP brachte mit Schriftsatz vom 29.09.2021 Folgendes vor:
Die Länderinformationen würden das Vorbrigen der bP untermauern und gehe aus diesen auch hervor, dass verfassungsrechtlich garantierte Rechte wie die Pressefreiheit nicht eingehalten werden würden. Die Betätigung der Opposition sei stark eingeschränkt und wären Aktivistinen Übergriffen ausgesetzt. Schließlich wären die bP sehr gut integriert und wurden Unterlagen zur Integration, welche großteils bereits vorgelegt wurden, vorgelegt.
Der wesentliche Verlauf der Beschwerdeverhandlung wird wie folgt wiedergegeben:
(…)
RI beginnt mit der Befragung der P1.
RI: Wann sind Sie wie aus dem Heimatland ausgereist und in Österreich eingereist? (legal/illegal)
P: Im August 2015 bin ich ausgereist. Meine Frau ist erst später mit den Kindern ausgereist. Es war der 24 oder 25 August, ich kann mich nicht erinnern. Sie ist nur einen Tag nach mir ausgereist. Eineinhalb Tage hielt ich mich in Georgien auf. Ich wartete auf meine Frau mit den Kindern dann fuhren wir gemeinsam mit dem Bus nach Istanbul. Ich bin mit dem privat PKW eines Freundes ausgereist. Ich wollte nicht mit dem Bus fahren. Meine Frau und die Kinder sind mit Hilfe der Freunde ausgereist auch mit dem Auto. Ich hatte eine Grenzkontrolle und es gab keine Probleme.
RI: Besitzen oder besaßen Sie jemals einen Reisepass? Wann wurde dieser von welcher Behörde ausgestellt?
P: In den Sommermonaten im Jahr 2015 in Baku wurden uns die Reisepässe ausgestellt und wurden in Österreich diese abgenommen und nicht mehr ausgehändigt.
RI: Hat es bei der Ausstellung irgendwelche Probleme gegeben?
P: Nein.
RI: Warum haben Sie sich in Österreich nicht um ein Duplikat bemüht?
P: Das wäre nicht möglich gewesen. Wenn man nicht persönlich erscheint, wird mir keines gegeben.
RI: Haben Sie in Georgien einen Asylantrag eingebracht?
P: Nein.
RI: Warum nicht?
P: Das wäre nicht möglich gewesen, da zwischen Georgien und Aserbaidschan, der Türkei, und Russland es einen Vertrag gibt, und die Antragsteller werden in ihr Heimatland zurückgeschickt.
RI: Welcher Volksgruppe und Religion gehören Sie an?
P: Ich bin Aserbaidschaner und Muslim, jedoch nicht praktizierend.
RI: Durch was für Staaten sind Sie nach Österreich gereist?
P: Bulgarien und von dort sind wir hierher geflogen.
RI: Haben Sie in Bulgarien einen Asylantrag gestellt?
P: Nein.
RI: Warum nicht?
P: Weil davor Freunde in Österreich kamen und wir aufgrund dessen nach Österreich wollten.
RI: Wenn Sie nach Bulgarien nach Österreich geflogen sind müssten Sie ein Visum gehabt haben?
P: Ja, ein deutsches Visum.
RI: Warum sind Sie dann nicht gleich nach Baku oder Berlin geflogen?
P: Ja, das wäre möglich, aber es wurde uns in dieser Form empfohlen.
RI: Wo haben Sie gelebt? Wo sind Sie geboren und aufgewachsen?
P: Ich bin in XXXX . Ich war bis 1993 dort, dann hat der Krieg begonnen. Ich musste zur Armee. Dort wurde ich gefoltert. Bevor der Kampf beendet war bin ich nach Kasachstan. Nachgefragt, gebe ich an, dass ich im Winter 1999 wieder nach Aserbaidschan ging. Bis zu einem Jahr lebte ich in Baku und dann ging ich wieder nach meinem Geburtsort.
RI: Haben Sie oder Ihre Familie Eigentum im Heimatland?
P: Ja. Wir besitzen viele Grundstücke. Zwei bis drei Hektar, vielleicht auch mehr. Auf 8000 qm besitzen wir ein 280 qm großes Haus. Nachgefragt, gebe ich an, dass mein Name und mein älterer Bruder die Eigentümer des Grundstückes und des Hauses sind.
RI: Haben Sie noch Familie im Heimatland? Wo?
P: Ja, meine Mutter, drei Brüder und zwei Schwestern. Meine Brüder und meine Schwestern leben in deren Heimatland mit ihren Familien. Nachgefragt, gebe ich an, dass ich noch 100 Verwandte im Heimatland habe (Tanten, Cousinen, Onkel, Cousins).
RI: Haben Sie zu diesen Familienangehörigen im Heimatland Kontakt?
P: Nur mit meiner Mutter und meinen älteren Bruder.
RI: Wovon lebt Ihre Familie im Heimatland?
P: Mein Bruder ist Lehrer und meine Mutter in Pension.
RI: Haben Ihre Kinder auch Kontakt zu deren Großmutter?
P: Ja, dank uns ist das möglich. Nachgefragt, gebe ich an, dass wir uns in der Sprache Aseri unterhalten.
RI: Haben Sie noch Freunde oder Bekannte im Heimatland? Haben Sie zu diesen Kontakt?
P: Ja. Ziemlich viele, die mir z.B. auf den Weg hierher geholfen haben. Nachgefragt, gebe ich an, dass ich Mitglied in der Partei bin und es wurde mir geschrieben. Ich habe mit zwei, drei Freunden auch noch telefonischen Kontakt. Nachgefragt, mit meinem Bruder habe ich über WhatsApp Kontakt.
RI: Haben Sie vor Ihrer Ausreise gearbeitet?
P: Ja.
RI: Welche Schul- bzw. Berufsausbildung haben Sie im Herkunftsland genossen?
P: Die Grundschule dauert in Aserbaidschan 10 Jahre und ich habe dort eine Automechaniker-Lehre gemacht. Ich war Automechaniker in Baku und im Heimatdorf.
RI: Haben Sie Familienangehörige in Österreich/im Ausland?
P: Nur die zwei Brüder in Kasachstan ansonsten Tanten und Cousins.
RI: Wovon leben Sie in Österreich, gehen Sie einer Arbeit nach?
P: Wir arbeiten nicht. Meine Frau macht freiwillig Putzarbeiten. Wir leben in einer Vereinswohnung und die gehen auch auf unsere Grundbedürfnisse ein. Damit meine ich wir bekommen pro Tag 6 Euro. Die Miete kostet 720 Euro und das zahlt der Verein.
RI: Haben Sie sich jemals beim AMS um eine Arbeit beworben und einen abschlägigen Bescheid erhalten?
P: Natürlich, ich war zwei Mal beim AMS, denn diese Männer wollen mich aufnehmen.
RI: Wie kommen Sie zu der Einstellungszusage mit der Firma XXXX ?
P: Diese Firma zwar nicht, aber in St. Pölten und Wien gibt es eine Automechanikerfirma, die sich für mich an das AMS gewandt hat, aber diese Anfragen wurden abgelehnt. Nachgefragt, gebe ich an, dass ich zwei Mal beim AMS war und Freunde, die mich einstellen wollten, haben zwei Mal beim AMS angerufen.
RI: Wie kommen Sie zu dieser Einstellungszusage?
P: Der Manager ist ein Freund von mir.
RI: Wie kommen Sie zu der Einstellungszusage Auto XXXX ?
P: Das ist eine türkische Firma. Die für eine aserbaidschanische Tankstelle XXXX arbeitet. Den kenne ich schon länger und ich fragte ihn nach Arbeit.
RI: Wie viel Angestellte hat die Auto XXXX Werkstaat?
P: Ich glaube zwei.
RI: XXXX ?
P: Das ist eine große Firma.
RI: Wie gestaltet sich Ihr Alltag in Österreich?
P: Ganz normal, niemand erniedrigt uns und tut uns etwas an. So wie man in einem demokratischen Land lebt und ich bedanke mich dafür.
RI: Wie setzt sich Ihr Freundeskreis zusammen?
P: Ich habe einen sehr guten Freundeskreis. Ich habe sehr gute, nette, österreichische Freunde, namens XXXX , er ist der Besitzer eines Kaffeehauses.
RI: Sind Sie in Österreich ein Mitglied eines Vereines?
P: Ja. Gegenüber dem Hbf, es gibt einen großen Saal, der Name fällt mir jedoch derzeit nicht ein. Die Asylantragsteller sammeln sich dort zusammen, um an Muttertagen, und Vatertag, Kindertag zu feiern. Wir besuchen wöchentlich drei Mal einen Deutschkurs, erster, dritten und fünfter Tag (Montag, Mittwoch, Freitag).
RI: Sind Sie in Österreich bisher straffällig geworden?
P: Nein.
RI: Wer ist die Familie XXXX ?
P: Diese Familie hilft meiner Frau. Die Frau ist im Rollstuhl, es ist eine sehr nette Familie und hilft mir.
Folgende Frage wird auf Deutsch gestellt.
RI: Wie gut sprechen Sie Deutsch?
P: Ich glaube mittel, oder normal. Ich habe B1 Zertifikat. A2 und B1 hab schon gemacht.
Die Befragung wird auf Türkisch fortgesetzt.
RI: Wenn Sie hypothetisch in Österreich verbleiben dürften, wie würden Sie für Ihren Lebensunterhalt bzw. den Ihrer Familie aufkommen?
P: Natürlich würde ich arbeiten gehen, ich kenne mich gut mit Maschinen aus, wie z.B. Kaffeemaschinen. Herr XXXX hat eine kleine Werkstatt für Elektrohaushaltsgeräten, und er lernt mir viel und da könnte ich anfangen.
RI: Haben Sie sonstige, bislang nicht zur Sprache gelangte integrationsverfestigende Maßnahmen ergriffen? (Der P wird die Frage erläutert)
P: Wir haben der Johanneskirche geholfen und auch einen Flohmarkt organisiert und Deutschkurse gemacht. Da nur Afghanen und Araber Deutschkurse gewährt werden müssen wir selber schauen wie wir zu solchen Kursen kommen.
RV: Sie sind ehrenamtlichen Tätigkeiten in Österreich nachgegangen?
P: Ich habe viele ehrenamtliche Tätigkeiten gemacht, aber leider weiß ich die Namen der Herren nicht mehr. In XXXX hatte von einem Pfarrer das Auto einen technischen Defekt, Herr XXXX rief mich an, dieser Pfarrer hatte nur einen Arm. Ich brachte sein Auto bis XXXX zu XXXX Werkstatt. Ich habe auch die Telefonnummer des Herrens. Im Frauenhaus repariere ich alle Fahrräder. In XXXX machte ich Haustechnikerarbeiten. Dort waren ca. 100 Migranten deren Fahrräder ich reparierte.
RV: Betreiben Sie regelmäßigen Sport?
P: Ich habe in XXXX 10 bis 15 Kinder Sportunterricht gegeben. Ich bin Volleyballspieler und habe den zweiten Grad Champion errungen in XXXX . Ich spiele mit meinen Kindern am See oft Volleyball. In NÖ bekam ich von der Volleyballföderation ein Angebot, ich könnte dort Kinder bis zum 13 Lebensjahr unterrichten. Nachgefragt, gebe ich an, dass ich keine Trainerausbildung habe. Der Sohn meiner Schwester ist in der Türkei als Coach tätig, den ich bereits trainiert hatte.
RV: Was haben Sie denn bei der Diakonie gearbeitet?
P: Für die Diakonie mache ich Russisch, Türkisch und Deutsch Dolmetschertätigkeiten z.B. im Krankenhaus.
RV: Warum haben Sie das Angebot nicht angenommen als Trainer zu arbeiten?
P: Ich habe das Angebot angenommen, aber ich warte wegen der Covid- 19 Situation.
RV: Die Einstellungszusage von 2019 ist die noch aufrecht, von XXXX ?
P: Ich habe sie nicht mehr gefragt, aber ich denke schon. Nachgefragt, ich habe einen aserbaidschanischen jugendlichen kennengelernt, der Salz streut und Schneearbeiten in XXXX macht. Ich sagte ihm, dass ich bei Reparaturarbeiten auskenne und er hat mir diese Arbeit vorgeschlagen.
RI: Was war der Grund warum Sie ihr Heimatland verlassen haben? Bitte schildern Sie den Sachverhalt, der Sie dazu bewogen hat, das Heimatland zu verlassen konkret und detailliert.
P: Weil ich Mitglied dieser ADP Partei war.
RI: Welche Aufgaben haben Sie für die Partei erfüllt bzw. Welche Funktion hatten Sie inne?
P: Stimmen zu gewinnen, Mitglieder und vor den Wahlen Broschuren verteilt. Nachgefragt, gebe ich an, dass ich im Freundeskreis die Stimmen gewonnen habe. Wir präsentierten unsere Partei.
RI: Überzeugen Sie mich, dass ich die Partei wähle.
P: Ich war noch jung.
RI wiederholt die Frage.
P: Es ist eine völlig demokratische Partei gegen jegliche Art von Korruption, die gegen das derzeitige Regime ist. Diese Partei wurde von Resul Ursade geführt. Er war der Gründer dieser Partei und ist jetzt Asylwerber.
RI: Bislang haben Sie mich noch nicht so richtig überzeugt, ich erwarte mir mehr Enthusiasmus und Information warum ich die Partei wählen soll.
P: Wir wollen ein demokratisches Land daraus machen. Das derzeitige Regime hat keine Kinderbeihilfe, keine Sozialhilfe. Wir wollen die Bestechlichkeit und die Korruption abschaffen. Unser Ziel ist es, dass wir den Studierenden Arbeit erschaffen ohne eine Bestechung dahinter. Im unseren Land läuft das leider nur mit Bestechung. Es gibt hunderte politische Häftlinge. Sie werde nicht freigelassen. Ihr Verschulden ist es, die freie Meinung geäußert zu haben.
RI: Hatten Sie ein eigenes Büro bei der Partei? Wenn ja, wo befand sich dieses?
P: Nein. Es gibt ein Parteibüro, aber ich hatte keines. Nachgefragt, dieses Parteibüro ist im Zentrum von Baku, XXXX .
RI: Wurden Sie persönlich jemals tätlich angegriffen? Wann? Wie oft? Wie?
P: Natürlich mehrmals. Eine Anzahl kann ich ihnen nicht nennen, aber es war mehrmals bei Meetings, sechs bis sieben Mal.
RI: Wann war das?
P: Als ich Mitglied der Partei wurde von 2003 bis 2015. Nachgefragt, ich wurde festgenommen dabei. Nachgefragt, das erste Mal war im Jahr 2003.
RI: Wann war der letzte Übergriff oder die letzte Festnahme?
P: Ich glaube das war im Jahr 2015.
RI: Geht das ein wenig genauer.
P: Ich glaube im Mai, in dem Monat als mein Bruder verstorben ist.
RI: Schildern Sie bitte die Festnahme.
P: Wir machten ein Meeting. Es nennt sich XXXX , die Polizei stürmte diese Veranstaltung und löste sie auf. Ich wurde mitgenommen.
RI: Wie viele Personen waren bei diesem Meeting anwesend?
P: 2000 bis 3000 Personen. Nachgefragt, ich weiß nicht wie viele Personen festgenommen wurden.
RI: Wo waren Sie bei der Veranstaltung?
P: Ich stand in der Menschenmenge, hinten.
RI: Haben Sie eine Ansprache gehalten oder wurden Ansprachen gehalten?
P: Ich persönlich hielt keine Ansprache, aber es gab Ansprachen.
RI: Wissen Sie ob diese Personen, die die Ansprachen gehalten haben, festgenommen wurden?
P: Diejenigen die das machen, nehmen sie nicht fest.
RI: Schildern Sie was während dieser Festnahme passiert ist, wie lange sind Sie festgenommen worden?
P: Ich wurde nur fünf Minuten befragt. Nachgefragt, gebe ich an, dass ich zur Polizeidienststelle verbracht wurde und dann dem Gericht vorgeführt wurde. Manchmal wurde ich auch nur 3 Minuten festgehalten.
RI: Ist das richtig, dass Sie anlässlich Ihrer letzten Festnahme 5 Minuten von der Polizei befragt und anschließend dem Gericht vorgeführt wurden?
P: Im Jahr 2015 wurde ich zwei Mal festgenommen. Das erste Mal war als mein Bruder verstorben ist und das war nicht einmal 40 Tage her. Ich war unter Stress. Bei einer Einvernahme wurde ich gegen Ende des Meetings verhaftet und beim anderen Mal nach dem Meeting als ich nachhause ging.
RI: Wann konkret war das?
P: Eine war glaube ich am 30 Mai, an das andere Mal kann ich mich nicht erinnern.
RI: Wurden Sie jemals tätlich angegriffen anlässlich Ihrer Festnahme?
P: Natürlich, bei jedem Mal.
RI: Wie hat das am 30. Mai z.B. ausgeschaut?
P: Ich wurde zum Auto gebracht und währenddessen geschlagen.
RI: Wie?
P: Mit dem Gummiknüppel und Fußtritten. Die Knüppel wurden mir auch gegen den Kopf geschlagen.
RI: Welche Verletzungen hatten Sie und wurden Sie deshalb medizinisch behandelt? Wo?
P: Ich habe einen Zahn verloren. Das ist aber bei einem vorhergehenden Vorfall passiert. Bei jedem Mal wurde mir in das Gesicht geschlagen und gegen den Bauch oder Rücken, damit die Verletzungen nicht ersichtlich waren. Sie haben einfach wild darauf eingeschlagen. So wie es ihnen beliebt.
RI: Ihnen wurden die Anfragebeantwortungen betreffend der Recherchen vor Ort übermittelt. Es konnte festgestellt werden, dass das Gerichtsurteil gefälscht ist. Nehmen Sie dazu Stellung.
P grinst: Wie stellen Sie sich das vor? Natürlich wird nichts ausgehändigt, wenn die Polizei die Verletzungen verursacht, da müsste man zum EGMR gehen. Natürlich werden gefälschte Bestätigungen ausgehändigt, denn keine Behörde gibt zu, dass Sie Gewalt ausgeübt haben, 10 bis 15 Tage Festgenommene angehalten wurden. Es gibt jemand namens Serdal CEVALOULU, der bis zu EGMR ging und vor Gericht gewonnen hat. Sie wollen damit erreichen, dass wir keine weiteren Instanzen gehen. Alle Polizisten sind Männer vom Staat und nicht unsere Männer.
RI: Haben Sie sich jemals an die StA, das Gericht, eine NGO oder den Ombudsmann gewandt?
P: Alle Staatsanwälte sind gekauft. Nachgefragt, alle die Geld haben und für den Staat arbeiten sind Männer des Staates. Bei einer NGO bzw. den Ombudsmann wurde ich nicht vorstellig. Es hat schon einen Ombudsmann gegeben, aber da handelte es sich um eine 80-jährige Frau. Unsere Ombudsmänner haben gar keine Funktion, jetzt arbeitet die Frau von einem Freund des aserbaidschanischen Präsidenten als Ombudsfrau. Der Mann der Frau heißt Siyaxiusch Nouruzon. Sie wurde erst vor kurzem in dieser Stelle gewählt.
RV: Gab es irgendeinen konkreten Auslöser, warum Sie beschlossen haben zu flüchten?
P: Nach so viel Gewalt gegen mich und meine Kinder wurden im Kindergarten nicht aufgenommen. Im Gefängnis sind auch viele mit dem Alibi eines Unfalles getötet worden und ich will nicht einer von denen werden.
RV: Es gab also keinen konkreten Auslöser, aber es gab viele Einzelvorfälle die das Fass zum Überlaufen brachten?
P: Ja, genau, das stimmt.
RI: Welche politische Gesinnung haben Ihre Familienmitglieder?
P: Mein Bruder der Lehrer ist und auch die anderen Brüder müssen Freunde der derzeit regierenden Partei sein. Nachgefragt, gebe ich an, dass meine Geschwister nicht bei diesen Meetings dabei waren, darum habe ich auch keinen Kontakt zu ihnen. Mit meinem älteren Bruder habe ich nur wegen meiner Mutter Kontakt, weil sie selbstständig kein Handy bedienen kann. Mein älterer Bruder will auch keinen Kontakt mit mir, weil ich als Verräter dastehe.
RV: Wurden Sie auch einmal zuhause aufgesucht von den Behörden?
P: Ja, mehrmals.
RV: Können Sie bitte konkret den letzten Vorfall beschreiben.
P: Ich war beim letzten Vorfall nicht zuhause. Sie haben nach mir gefragt, aber beim vorletzten Mal als ich zuhause war nahmen sie mich mit, erniedrigten mich, und schlugen mich und dann schickten sie mich wieder nachhause.
RI: Wann war das und wie viele sind gekommen?
P: Sie waren zu zweit in den Morgenstunden kamen sie. Meine Frau öffnete die Tür. Ich kann mich nicht erinnern wann.
RV: Welches Jahr?
P: 2015.
RV: Ihre Frau machte auf, wie ging es weiter?
P: Sie sind in die Wohnung eingedrungen als meine Frau, dass verhindern wollte, stürzte sie zu Boden. Sie war schwanger. Ich befand mich im Schlafzimmer, sie holten mich da raus und nahmen mich zur Dienststelle mit. Sie hatten keine Uniformen.
RV: Wie lange wurden Sie da festgehalten?
P: Bis ca. drei Uhr in der Früh.
RI: Wann sind Sie gekommen?
P: Es war sieben oder acht Uhr als sie kamen und um drei Uhr am folgenden Tag wurde ich freigelassen.
RV: Hat sich Ihre Frau bei dem Sturz verletzt oder ist irgendetwas passiert?
P: Ja, sie hat Blutungen bekommen und hat das Kind verloren.
RI: Wissen Sie ungefähr das Monat?
P: Es war auf keinen Fall Winter, ich weiß nicht ob Mai.
RV: Es handelt sich beim Jahr 2015 um das Jahr Ihrer Flucht, Sie werden sich doch erinnern können?
P: Ich glaube das war im Jahr 2012.
RV: Was würde geschehen, wenn Sie in Ihr Heimatland zurückkehren müssen, was befürchten Sie?
P: Das wäre eine Katastrophe. Ich weiß nicht was mit mir passieren würde. Ich würde im Gefängnis sterben.
Aufruf der P2 um 10:40 Uhr
Kurze Unterbrechung von 10:40 Uhr bis 10:45 Uhr
RI beginnt mit der Befragung der P2.
RI: Wann sind Sie wie aus dem Heimatland ausgereist und in Österreich eingereist? (legal/illegal)
P: Ich kann mich an die Daten nicht gut erinnern. Mit dem Auto von Baku nach Georgien. Dort hat mein Mann auf mich gewartet. Dann sind wir von Georgien in die Türkei. Von der Türkei hat uns eine Person bis nach Bulgarien gebracht. Zuerst wollten sie uns nach Rumänien bringen uns wurde ein Taxi organisiert und wir wurden zum Flughafen gebracht.
RI: Warum haben Sie bei der Erstbefragung noch angegeben, nach Derbent Russland gefahren zu sein, wo Sie Ihren Ehemann trafen?
P: Die Person die uns hierher gebracht hat uns eingeredet in dieser Form auszusagen.
RI: Besitzen oder besaßen Sie jemals einen Reisepass? Wann wurde dieser von welcher Behörde ausgestellt?
P: Ja. Ich war im Besitz des Reisepasses und eines Visums.
RI: Hatten Sie bei der Ausreise eine Grenzkontrolle aus Aserbaidschan?
P: Ja bis Georgien hatten wir eine Grenzkontrolle.
RI: Wo haben Sie gelebt? Wo sind Sie geboren und aufgewachsen?
P: Ich bin in XXXX geboren und bis zum 16 Lebensjahr aufgewachsen.
RI: Haben Sie oder Ihre Familie Eigentum im Heimatland?
P: Ja, meine Mutter und meine jüngere Schwester mit deren Familie. Meine Schwester wohnt in Baku.
RI: Welche Integration haben Sie, arbeiten Sie, waren Sie gemeinnützig tätig?
P: Bis zum B2 Kurs habe ich die Sprache selbst erlernet, dann besuchte ich einen C1 Kurs. Die B2 Prüfung habe ich positiv abgeschlossen. Ich habe auch eine Nostrifizierung machen müssen, für das Studium Rechtswissenschaften.
RI: Sie haben einen Bescheid von der Uni XXXX bekommen, der Sie 10 Prüfungen verweisen mussten, welche Prüfungen haben Sie schon vorgewiesen?
P: Ich habe meine Diplome vorgelegt und die wurden angenommen. Ich habe den Bachelor gemacht.
RI: Was fehlt Ihnen zum Magister?
P: Die 10 Prüfungen muss ich machen.
RI: Wie viele Prüfungen haben Sie von den 10 schon?
P: Ich habe mich vor einem Jahr angemeldet und ich hoffe das ich es dieses Jahr schaffe. Es war genau in der Corona Zeit als ich mich angemeldet habe. Unsere Wohnung war sehr klein. Die Kinder hatten Distanc Learning und die Wohnung war sehr klein nur 30 qm groß. Ich konnte mich aufgrund dessen nicht konzentrieren. Es gibt eine Familie deren Frau krank ist und ich sie unterstütze, z.B. Hausarbeit. Ich arbeite im Rahmen des Dienstleistungschecks um meine Studiengebühren zu finanzieren. Es gibt eine weitere Frau die ich unterstütze, sie ist Deutschlehrerin. Ich bin ihr bei der Hausarbeit behilflich und sie unterstützt mich beim Erlernen der deutschen Sprache. Ich habe noch Freunde, XXXX . Es gibt ein Kaffeehaus für Ausländer, wo wir uns versammeln, dort habe ich sie kennengelernt. Ein, bis zwei Monate haben wir XXXX gelebt, wo ich auch Freunde kennenlernte. Dort gab es eine Veranstaltung, die Frau kam dorthin und so habe ich sie kennengelernt. Wir sind vier Jahre befreundet. Ich bin in alle Integrationskursen gegangen, von denen ich gehört habe.
RI: Wie schaut es mit einer Arbeit aus, gehen Sie einer Arbeit nach?
P: Dazu habe ich keine Erlaubnis, ich hätte in einer Kanzlei als juristische Assistentin arbeiten können, ich habe aber keine Arbeitserlaubnis. In den sechs Jahren habe ich mir im Selbststudium die deutsche Sprache beigebracht. Die Kinder sind in der Schule auch sehr erfolgreich.
RI: Haben Sie zu diesen Familienangehörigen im Heimatland Kontakt?
P: Manchmal mit meiner Schwester. Nachgefragt, gebe ich an, in der Woche ein oder zwei Mal.
RI: Wovon lebt Ihre Familie im Heimatland?
P: Meine Schwester ist Hausfrau, ihr Mann arbeitet, er ist Ingenieur. Meine Eltern besitzen eine Landwirtschaft und sind Bauern. Nachgefragt, gebe ich an, dass ich viele Onkel, Cousinen, und Cousins habe.
RI: Haben Sie vor Ihrer Ausreise gearbeitet?
P: Nein, ich wurde nicht aufgenommen aufgrund der Probleme meines Mannes. Ich habe mich um die Kinder gekümmert.
RI: Welche Integration haben Ihre Kinder?
P: Ihr Hobby ist Volleyball spielen. Sie besuchten einen Verein, aber wegen Corona ist das nicht möglich. Für mich ist es wichtig, dass sie in der Schule erfolgreich sind. Sie haben binnen drei Jahren die deutsche Sprache erlernt. Sie haben nur Einser und Zweier.
RV: In welche Schule gehen Ihre Kinder?
P: Mein älterer Sohn geht ins Gymnasium. Der Jüngere geht in die Mittelschule, aber auf AHS Leistungsniveau. Nachgefragt, gebe ich an, dass mein älterer Sohn in der 4. Klasse Unterstufe ist, und mein Jüngerer zweite Klasse Mittelschule.
RV: Haben Sie ehrenamtlich gearbeitet?
P: Bei der Caritas und Diakonie. Für die Caritas habe ich gebügelt. Ich habe Kinder so viel Zeit habe ich nicht. Ich habe bei der Diakonie gedolmetscht.
RV: Für den Fall, dass Sie eine Arbeitserlaubnis hätten, hätten Sie schon eine konkrete Arbeit?
P: Ich möchte zuerst die Prüfungen absolvieren, bevor ich zu arbeiten beginne. Ich möchte 5 Prüfungen schaffen bevor ich arbeiten gehe.
RI: Warum haben Sie dann eine Einstellungsvereinbarung getroffen mit der Firma XXXX ?
P: Ich wollte bisschen Geld dazu verdienen, aber trotzdem einen Teil der Prüfungen absolvieren, bevor ich dann juristisch zu arbeiten beginne. Aber ich kann trotzdem zu arbeiten beginnen.
RV: Würden Sie jetzt neben dem Studium arbeiten oder nicht, Sie wiedersprechen sich.
P: Mein Wunsch wäre es schon die Prüfungen zu absolvieren und dann erst zu arbeiten. Aber während dessen kann ich zumindest Reinigungsarbeiten machen. Es gibt Kurse die ich nämlich finanzieren muss. Denn das juristische Deutsch, ist ein komplett anders Deutsch. Erst wenn ich die Prüfungen geschafft habe.
RV: Würden Sie neben dem Studium auch arbeiten?
P: Ja.
RI: Was war der Grund warum Sie ihr Heimatland verlassen haben? Bitte schildern Sie konkret und detailliert den Sachverhalt, der Sie zum Verlassen des Heimatlandes bewogen hat.
P: Da sich mein Mann in dieser Position befand haben sich seine Probleme auch auf mich ausgewirkt.
RI: Wurden Sie bzw. Ihr Mann jemals tätlich angegriffen?
P: Ja. Das war zwei Mal der Fall, bei einem Mal wurde mir die Nase gebrochen, und beim zweiten Mal habe ich mein Kind verloren.
RI: Schildern Sie bitte konkret den Vorfall im Zuge dessen Sie Ihr Kind verloren haben.
P: Sie haben nach meinem Mann gesucht. Das mit dem Kind war im Jahr 2012, ich habe vergessen in welchem Monat das war. Ich glaube im Herbst. Sie haben mich gestoßen.
RI fordert auf den Vorfall konkret und detailliert zu schildern.
P: Sie haben uns beobachtet und drangen in unser Haus ein. Ich habe den Müll weggeworfen. Sie sind mit mir gemeinsam die Wohnung eingedrungen, durchsuchten die Räumlichkeiten. Ich sagte ihnen, wenn sie die Wohnung nicht verlassen, werde ich Anzeige erstatten. Mein Mann war bei dem Vorfall nicht zuhause, aber der Vorfall im Jahr 2008, da war er schon zuhause. Sie haben mich zu Boden gestoßen und sagten das sie mich finden werden. Ich hatte vorerst nichts gespürt und erst später hatte ich Bauchschmerzen und blutete. Es war aber nicht so stark, aber die Blutung wurde von Tag zu Tag immer mehr. Ich musste mich niederlegen. Mein Mann kam spät Nacht nachhause. Am nächsten Tag in der Früh als ich viel Blut verlor, suchte ich in der Nähe unseres Hauses eine Klinik auf, dort musste eine Kürettage gemacht werden.
RI: Der erste Vorfall?
P: Da war mein Kind sehr klein, das war im Jahr 2008. Da muss ich an meine Kleidung denken, um sagen zu können in welchem Monat. Aber in diesem Fall weiß ich es nicht. Mein Mann war zuhause und zu diesem Zeitpunkt erfuhr ich worin er involviert war, davor wusste ich nichts. Sie haben mit dem Ellbogen gegen mein Gesicht geschlagen und mir dabei die Nase gebrochen. Ich war stark angeschwollen. Ich konnte nicht einmal ordentlich ein- und ausatmen. Ich wurde gefragt, wie die Verletzung zustande kam, der Arzt rief die Polizei an, aber es wurde zwar ein Protokoll aufgenommen, aber nicht dagegen ermittelt.
RI: Zwischen diesen Vorfällen 2008 und 2015 war da auch irgendetwas?
P: Ich habe Drohanrufe erhalten. Mein Kind wurde nicht in den Kindergarten aufgenommen. Im Jahr 2014 oder 2015 häuften sich die Probleme, aber ich weiß nicht warum. Nachgefragt, gebe ich an, dass mein Mann oft festgenommen wurde.
RI: Wie oft wurde Ihr Mann im Jahr 2015 festgenommen?
P: Er wurde im Jahr 2015, 20 Tage lang festgenommen und festgehalten. Nachgefragt, gebe ich an, dass es im März oder April war. Ich habe meine Kinder alleine großgezogen. Nachgefragt, gebe ich an, dass er mir nicht alles erzählt. Ich habe mich immer nur um meine Kinder und mich gekümmert. Ich beschäftigte mich nicht damit. Er sagte mir, dass ich bei meiner Schwester bleiben soll. Ich war im Juni oder Juli 2015 bei meiner Mutter in XXXX . Anschließend kamen wir dann hierher.
RI: Wo war Ihr Mann?
P: Er war bei seiner Mutter.
RV: Als Ihr Mann im März oder April festgenommen wurde, wie lange wurde er angehalten?
P: Er war 20 Tage inhaftiert.
RV: Wie würden sich denn Ihre Kinder in Aserbaidschan zurechtfinden?
P: Das wäre schlimm, ich weiß nicht was uns dort erwartet.
RV: Inwiefern wäre es schlimm?
P: Meine bisherigen Erlebnisse im Heimatland würden sich fortsetzen.
RV: Wie hat sich das denn bei Ihnen geäußert, dass Sie aufgrund der politischen Tätigkeit Ihres Mannes keine Arbeit gefunden haben, wie würden Sie das beschreiben?
P: Ich trage den Familiennamen meines Mannes und könnte in keinen staatlichen Behörden arbeiten und im privaten Sektor nehmen sie mich auch nicht auf, weil sie Angst haben. Ich habe eine Bewerbung an die XXXX Holding geschickt und habe gar keine Antwort erhalten.
RI: Welche Schul- und Berufsausbildung haben Sie gemacht?
P: 11 Jahre Grundschule und dann benötigt man eine Maturaprüfung. Man benötigt eine bestimmte Punkteanzahl um einen Studium Platz zu bekommen.
RI: Von wann bis wann haben Sie studiert?
P: Von 2005 bis 2009. Das Masterstudium konnte ich nicht machen.
RV: Was sagen Sie als Juristin dazu, dass die vorgelegten Gerichtsurteile gefälscht sein sollen?
P: Das ist bei uns normal, das Wort des Präsidenten ist das Gesetz. Sie machen was sie wollen. Sie behandeln die Leute sehr schlecht. Wir werden als Untertanen bezeichnet.
RV: Keine Fragen.
Vorgelegt in der Verhandlung wurde von den bP:
Zwei Schreiben in Englisch gehalten
Integrationsunterlagen
Drei Einstellungszusagen
Drei Empfehlungsschreiben
Bestätigung, dass der P1 bei Essen auf Rädern sowie auch beim „Haus der Frau“ unentgeltlich gearbeitet hat.
Folgende Erkenntnisquellen wurden den beschwerdeführenden Partei genannt und deren Inhalt erörtert:
- LIB der Staatendokumentation Aserbaidschan vom 10.12.2020
- Bericht des AA über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan vom 17.11.2020
- Anfragebeantwortung Demokratische Partei
- Anfragebeantwortung Depressionen und psychische Erkrankungen
- Anfragebeantwortung Gerichtsurteile und Ladungen
- Anfragebeantwortung Parteimitgliedschaft.
Lediglich die bP 2 erstattete eine Stellungnahme dazu und führte an, dass es zwar Vieles zu berichten gäbe, dies aber kein Ende nehmen würde.
I.14. Mit Stellungnahme vom 08.10.2021 wurde das übersetzte medizinische Schreiben betreffend des Schädel Hirn Traumas der bP 1 im Jahr 1993 vorgelegt. Demnach wurde die bP mit der Diagnose posttraumatischer Zustand nach geschlossenen Schädel Hirn Trauma für 30 Tage vom Militärdienst beurlaubt. Das Aussageverhalten der bP 1 wurde darauf zurückgeführt und leide die bP 1 an Gedächtnisproblemen, weshalb sie in der Verhandlung Ereignisse von 2008 und 2012 durcheinandergebracht und vermischt habe. So sei es zu falschen Angaben gekommen. Die in der Verhanldung vorgelegten Schreiben, das der Aserbaidschanischen demokratischen Partei vom 30.09.2021 als auch das Schreiben einer Nichtregierungsorganisation „Demokratiya Monitoru“ vom 29.09.2021 würden zum Beweis der Echtheit der vorgelegten Gerichtsurteile dienen. Sie seien eingeholt worden, um dem Rechercheergebnis der Staatendokumentation entgegenzutreten. Der Verfasser des ersten Schreibens sei Rechtsanwalt, stellvertretender Vorsitzender der Demokratischen Partei und als Parteifunktionär innerhalb der Partei für rechtliche Angelegenheiten zuständig. Er vertrete zahlreiche Oper von politischer Verfolgung und sei als Oppositioneller bereits Opfer von willkürlichen Inhaftierungen geworden. Das zweite Schreiben sei von einer NGO, die sich mit der Demokratisierung in Aserbaidschan auseinandersetzte und dabei eng mit westlichen Institutionen kooperiere. Beide Juristen würden in ihren Stellungnahmen einhellig erklären, dass falsche Bezeichnungen in Gerichtsurteilen bei politischen Fällen bewusst gewählt werden würden, um den Betroffenen die Rechtsschutzmöglichkeit zu nehmen und insbesondere den Gang zum EGMR zu verhindern. Es könne bei den Verfassern der Schreiben rückgefragt werden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
II.1.1. Die beschwerdeführenden Parteien
Bei den bP handelt es sich um aserbaidschanische Staatsangehörige, welche der Mehrheits- und Titularethnie angehören, aus XXXX stammen und sich zum Mehrheitsglauben des Islam bekennen. Die Muttersprache der bP ist Aseri, die bP 1 spricht zudem noch sehr gut Türkisch und mittelmäßig Russisch.
Die bP 1 hat für 10 Jahre die Schule besucht und im Anschluss eine Ausbildung zum Mechaniker gemacht. Sie hat danach als Automechaniker in einer eigenen Werkstatt gearbeitet sowie auch Autohandel betrieben. Sie ist seit 2013 Mitglied der demokratischen Partei in Aserbaidschan.
Die bP 2 hat nach der Schule in Baku Völkerrecht studiert und 2009 mit Diplom abgeschlossen.
Die bP reisten mit deutschen Visa legal aus Aserbaidschan aus und über diverse Länder letztlich illegal in Österreich ein, da sie hier einen Asylantrag stellen wollten und die Grundversorgung bezogen.
Die bP 1 und 2 sind junge, gesunde, arbeitsfähige Menschen mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer –wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich- gesicherten Existenzgrundlage.
Die Pflege und Obsorge der minderjährigen, gesunden bP ist durch deren Eltern gesichert.
Familienangehörige leben nach wie vor in Aserbaidschan. Die Mutter, 3 Brüder und 2 Schwestern der bP 1 leben in Aserbaidschan. Die bP 1 besitzt gemeinsam mit dem Bruder ein Haus und viele Grundstücke. In diesem Haus, in welchen auch die bP lebten, leben nach wie vor Mutter und Bruder. Der Bruder ist Lehrer, die Mutter bezieht eine Pension. Die Eltern und eine Schwester der bP 2 leben im Geburtsdorf. Die Eltern der bP 2 betreiben eine Landwirtschaft. Die bP stehen mit den Verwandten in regelmäßigen Kontakt. Zudem leben diverse weitere Verwandte wie Onkel und Tanten in Aserbaidschan.
Die bP erlitt im März 2016 einen Bandscheibenvorfall an der Lendenwirbelsäule. Als Therapie wurden Novalgin und Physiotherapie angesetzt sowie Heilgymnastik empfohlen. Aktuell befindet sie sich in Physiotherapie wegen Rückenschmerzen und nimmt bei Bedarf Schmerzmittel. Sie kann in ihrer Freizeit mit ihren Kindern Volleyball spielen.
Die Erkrankung ist in Aserbaidschan behandelbar und hat die bP auch Zugang zum aserbaidschanischen Gesundheitssystem.
Die volljährigen bP haben Zugang zum aserbaidschanischen Arbeitsmarkt und es steht ihnen frei, eine Beschäftigung bzw. zumindest Gelegenheitsarbeiten anzunehmen.
Ebenso haben die bP Zugang zum –wenn auch minder leistungsfähige als das österreichische- Sozialsystem des Herkunftsstaates und könnten dieses in Anspruch zu nehmen.
Für Leistungen aus dem Sozialwesen müssen Rückkehrende sich an den staatlichen Sozialhilfefond der Republik Aserbaidschan wenden: http://sosial.gov.az/ . Weitere Informationen zur konkreten Unterstützung für Rückkehrende und Binnenvertriebene sind auf folgender Webseite verfügbar: http://idp.gov.az/en/content/7/parent/21 (IOM 2019).
Darüber hinaus ist es den bP unbenommen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und sich im Falle der Bedürftigkeit an eine im Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden.
II.1.2.
Die bP haben in Österreich keine Verwandten und leben auch sonst mit keiner nahe stehenden Person zusammen, welche nicht zur Kernfamilie zu zählen ist. Sie möchten offensichtlich ihr künftiges Leben in Österreich gestalten und halten sich seit 6 Jahren im Bundesgebiet auf. Sie reisten legal mit deutschen Visa aus Aserbaidschan aus. Sie reisten rechtswidrig und mit Hilfe einer Schlepperorganisation in das Bundesgebiet ein und konnten ihren Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz vorübergehend legalisieren. Hätten sie diesen unbegründeten Asylantrag nicht gestellt, wären sie rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig und ist im Lichte dieses Umstandes davon auszugehen, dass der rechtswidrige Aufenthalt bereits durch entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen in der Vergangenheit beendet worden wäre und sie sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten würden.
Sie leben von der Grundversorgung.
Die bP 1 und 2 sind nicht selbsterhaltungsfähig bzw. haben keine legalen, ernsthaften und tauglichen Bemühungen zur Herstellung der Selbsterhaltungsfähigkeit in jenen Gebieten des österreichischen Arbeitsmarktes unternommen, die auch Asylwerbern zugänglich sind, etwa im Bereich der saisonalen Tätigkeit in der Landwirtschaft oder im Gastgewerbe, bzw. selbstständiger Tätigkeit (vgl. hierzu etwa http://www.ams.at ).
Die bP 1 hat lediglich im Jahr 2019 für 10 Tage gemäß Auszug aus der Versicherungsdatenbank mittels Dienstleistungsscheck gearbeitet. Auch die bP 2 verrichtet lediglich gelegentlich Reinigungstätigkeiten im Rahmen von Dienstleistungsschecks. Für die bP 1 und 2 liegen Einstellungszusagen vor.
Die bP 1 und 2 haben diverse Deutschkurse und 2016 sowie 2017 Integrationskurse besucht. Die bP 2 hat einige Deutschzertifikate absolviert, zuletzt C1. Die bP 1 hat zuletzt die Integrationsprüfung B1 abgelegt. Mit Bescheid der Universität Wien vom XXXX .2020 zur Nostrifizierung des Studiums in Aserbaidschan wurde der bP 2 die Ablegung von 10 Prüfungen in Österreich vorgeschrieben, wovon sie noch keine absolviert hat.
Die bP 3 besucht ein Bundesgymnasium, die bP 4 eine Mittelschule. bP 3 und 4 spielten in ihrer Freizeit in einen Verein Volleyball, was aktuell wegen Corona nicht möglich ist.
Die bP 1 und 2 haben für die Diakonie 2018 und 2019 ehrenamtlich als Dolmetscher gearbeitet. Die bP 1 hilft seit Juli 2021 bei Essen auf Rädern ehrenamtlich mit und hat in einem Frauenhaus Fahrräder repariert.
Sie sind strafrechtlich unbescholten.
Die Identität der bP steht fest.
Bei den volljährigen bP handelt es sich um mobile, junge, gesunde, arbeitsfähige Menschen. Einerseits stammen die bP aus einem Staat, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist und andererseits gehören die bP keinem Personenkreis an, von welchem anzunehmen ist, dass sie sich in Bezug auf ihre individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellen als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. So war es den bP auch vor dem Verlassen ihres Herkunftsstaates möglich, dort ihr Leben zu meistern.
Familienangehörige leben nach wie vor in Aserbaidschan und sich sichtlich in der Lage, dort ihr Leben zu meistern.
Die bP verfügen im Rahmen einer Gesamtschau über eine wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich gesicherten Existenzgrundlage.
Es ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat ihre dringendsten Bedürfnisse befriedigen können und nicht in eine, allfällige Anfangsschwierigkeiten überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage geraten.
II.1.3. Die Lage im Herkunftsstaat Aserbaidschan
II.1.3.1. Das ho. Gericht geht in Übereinstimmung mit der bB davon aus, dass in Aserbaidschan von einer unbedenklichen Sicherheitslage auszugehen und der aserbaidschanische Staat grundsätzlich gewillt und befähigt ist, auf seinem Territorium befindliche Menschen vor Repressalien Dritter wirksam zu schützen. In Bezug auf die Lage der Menschenrechte ist davon auszugehen, dass sich diese in manchen Bereichen als problematisch darstellt, die bP hiervon jedoch im Wesentlichen nicht betroffen sind. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass in der Republik Aserbaidschan die Grundversorgung der Bevölkerung gesichert ist, eine soziale Absicherung auf niedrigem Niveau besteht, die medizinische Grundversorgung flächendeckend gewährleistet ist, Rückkehrer mit keinen Repressalien zu rechnen haben und in die Gesellschaft integriert werden.
In Bezug auf aktuell weltweit herrschende Pandemie basierend auf die Präsenz des Virus COVID 19 setzte die Republik Armenien taugliche Mittel um die unkontrollierte Ausbreitung des Virus zu verhindern und finden Infizierte bei Bedarf Zugang zum armenischen Gesundheitssystem.
II.1.3.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat werden folgende Feststellungen getroffen:
1. Politische Lage
Aserbaidschan ist eine Präsidialrepublik. Staatspräsident Ilham Aliyev, der 2003 seinem Vater Heydar Aliyev nachgefolgt ist, dominiert das politische Leben. Die Nationalversammlung (Milli Mejlis) wirkt an der Gesetzgebung mit, spielt aber eine deutlich nachgeordnete Rolle (AA 17.11.2020). Die Verfassung räumt dem Präsidenten weitreichende Vollmachten ein. Er ernennt und entlässt mit Zustimmung der Nationalversammlung den Ministerpräsidenten; ohne Beteiligung der Nationalversammlung ernennt und entlässt er die Minister sowie die Gouverneure und Vize-Gouverneure der regionalen Verwaltungsbezirke (AA 17.11.2020). Das Parlament und die kommunalen Vertreter, obgleich vom Volk nominell gewählt, bleiben machtlose Teilnehmer im politischen Entscheidungsprozess. Dennoch schränken die Eigeninteressen der staatlichen Elite, der Oligarchen, der Regierungsminister und anderer hochrangiger Amtsträger die Entscheidungsfindung des Präsidenten bis zu einem gewissen Grad ein. Parlamentarier sind oft Schützlinge und Verwandte von Oligarchen (BTI 2020).
Die Präsidentschaftswahlen am 11.04.2018 sowie die vorgezogenen Parlamentswahlen am 09.02.2020 entsprachen nach Ansicht der internationalen Wahlbeobachter der ODIHR-Mission und des Auswärtigen Amts nicht den international anerkannten Standards. Während die Regierung regelmäßig auf administrative Ressourcen und die überwiegend staatlich kontrollierten traditionellen und zunehmend auch elektronischen Medien zurückgreift, werden die Versuche der Opposition, sich öffentlich zu versammeln oder sonst öffentlich wahrnehmbar zu äußern, deutlich und systematisch erschwert. Die Verfassung enthält den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 7 Abs. 3), wonach die Nationalversammlung („Milli Mejlis“) die gesetzgebende, der Staatspräsident die vollziehende und die Gerichte die rechtsprechende Gewalt ausüben. Das Einkammerparlament besteht aus 125 nach absolutem Mehrheitswahlrecht gewählten Abgeordneten. Das legislative Vorschlagsrecht haben der Präsident, das Oberste Gericht, das Parlament der autonomen Republik Nachitschewan und der Generalstaatsanwalt. In der Praxis gehen die von der Nationalversammlung verabschiedeten Gesetze oft auf Initiativen des Präsidialamtes zurück. Parteien sind in Aserbaidschan nur rudimentär ausgeprägt. Die Rechtsprechung wird durch den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, Berufungsgerichte, erstinstanzliche Bezirksgerichte und Gerichte mit Sonderzuständigkeiten ausgeübt (AA 17.11.2020).
Bei der Parlamentswahl im Februar 2020 hat die bisherige Regierungspartei nach offiziellen Angaben die absolute Mehrheit geholt. Die Partei des seit 2003 mit harter Hand regierenden Präsidenten Ilham Alijew hat sich bei der vorgezogenen Wahl 65 der 125 Sitze im Parlament gesichert (DW 10.2.2020).
Internationale Wahlbeobachtungsmissionen stellten ernsthafte Unregelmäßigkeiten in allen Phasen des Wahlprozesses fest (vgl. DW 10.2.2020) und kritisierten den Mangel an echtem demokratischen Wettbewerb. Aserbaidschan ist Mitglied des Europarats und Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention. Jedoch unterliegen Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit erheblichen Einschränkungen. Die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen ist deutlich erschwert (AA 26.2.2020a).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020a): Aserbaidschan: Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aserbaidschan-node/aserbaidschan-portrait/202964 , Zugriff 9.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 4.12.2020
- DW – Deutsche Welle (10.2.2020): Absolute Mehrheit für Alijews „Neues Aserbaidschan“, https://www.dw.com/de/absolute-mehrheit-f%C3%Bcr-alijews-neues-aserbaidschan/a-52320887 , Zugriff 4.12.2020
2. Sicherheitslage
Die Kriminalitätsrate in Aserbaidschan ist niedrig. Der bewaffnete Konflikt um die Region Bergkarabach sowie die im Südwesten und Westen Aserbaidschans gelegenen, bisher von armenischen Streitkräften besetzten Bezirke Agdam, Füsuli, Dschabrayil, Sangilan, Kubadli, Ladschin und Kalbadschar ist durch den Waffenstillstand aufgrund der Dreiseitigen Erklärung zwischen Aserbaidschan, Armenien und Russland vom 9. November 2020 zunächst beendet. Es wird sich zeigen müssen, inwieweit sich das Abkommen auf die Sicherheitslage auswirkt (EDA 9.12.2020). Es besteht Minengefahr und teilweise auch Gefahr durch Blindgänger. Dies gilt in gleichem Maße für die aserbaidschanisch-armenische Landesgrenze, einschließlich der Grenze zwischen der aserbaidschanischen Autonomen Republik Nachitschewan und Armenien. Die Einreise in die nach wie vor von Aserbaidschan nicht kontrollierten Teile Berg-Karabachs (Gebiete nördlich und westlich von Schuscha, Latschin-Korridor) ohne eine entsprechende aserbaidschanische Erlaubnis stellte nach aserbaidschanischem Recht bisher einen Straftatbestand dar und führte zur Einreiseverweigerung für Aserbaidschan. Diese Gebiete werden derzeit von russischen Truppen kontrolliert. Die sieben Bezirke südlich und westlich von Bergkarabach stehen zwar wieder unter aserbaidschanischer Hoheit, sind aber aus Sicherheitsgründen nicht zu bereisen. Es gibt weder eine gesicherte Verwaltung noch Regelungen für das Betreten dieser Gebiete. Da weiterhin Kriegsrecht gilt, ist bei Zuwiderhandlungen wahrscheinlich mit Anwendung des Militärstrafrechts zu rechnen (AA 3.12.2020). Das Kriegsrecht berechtigt die Regierung im Prinzip, verschiedene Einschränkungen gegen Grundrechte wie Versammlungsfreiheit und Bewegungsfreiheit zu verfügen. Im übrigen ist das Land politisch stabil (EDA 9.12.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (3.12.2020): Aserbaidschan: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aserbaidschan-node/aserbaidschansicherheit/201888#content_0 , Zugriff 9.12.2020
- EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (9.12.2020): Reisehinweise für Aserbaidschan, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/aserbaidschan/reisehinweise-fueraserbaidschan.html , Zugriff 9.12.2020
2.1. Regionale Problemzone Berg-Karabach
Die armenische Regierung veröffentlichte am 23.11.2020 eine Liste mit insgesamt 121 Städten und Dörfern, die in die aserbaidschanische Kontrolle übergehen. Die überwiegende Mehrheit der Orte liegt dabei in den sieben aserbaidschanischen Provinzen, die Berg-Karabach umgeben und bislang als Sicherheitspuffer für Berg-Karabach fungierten. Aber auch einzelne Orte in Berg-Karabach, wie z.B. die von aserbaidschanischen Truppen eroberte Stadt Schuscha (armenisch: Schuschi; azer. Şuşa), gehen an Aserbaidschan über. Teils hatte Armenien die Kontrolle über die Orte zuletzt bei Kämpfen verloren, teils kommt es zu einer kampflosen Übergabe. Teile der nun übergebenen Gebiete gelten als vermint. Unterdessen mehren sich Berichte über die Zerstörung historischer und religiöser Kulturgüter durch aserbaidschanische Soldaten in den verlorenen armenischen Gebieten (BAMF 30.11.2020).
Bei den nach dem Waffenstillstand im Bergkarabach-Krieg von 1994 außerhalb der armenisch besetzten Gebiete in Aserbaidschan verbliebenen Armeniern handelt es sich meist um Ehepartner ethnischer Aserbaidschaner bzw. deren Nachkommen. Viele Armenier haben einen aserbaidschanischen Namen angenommen, um ihre Herkunft zu verschleiern (AA 17.11.2020).
Nachdem es in Baku bereits im Juli 2020 in der Folge eines mehrere Tage andauernden Zwischenfalls mit schweren Waffen an der internationalen Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan (außerhalb der „Line of Contact“ in Bergkarabach) zu vehementen Protesten (angeführt von Sympathisanten der nationalistischen oppositionellen Volksfront-Partei) für die militärische Wiedergewinnung des von Armenien besetzten aserbaidschanischen Gebiets Bergkarabach und der sieben umliegenden Bezirke gekommen war, herrschte seit dem 27. September 2020 offener Krieg. Unmittelbar nach den Protesten im Juli verstärkte die Regierung ihr hartes Durchgreifen gegen die Opposition und begann eine regelrechte Verhaftungswelle. Der militärischen Auseinandersetzung seit September 2020 wird auch seitens der Opposition nichts entgegengesetzt, vielmehr bestärkt auch die Opposition die Regierung in ihrem Vorgehen. Der Kurs der Regierung erfährt gesamtgesellschaftlich starke Unterstützung. Abweichende Meinungen zum Krieg in Bergkarabach sind kaum zu identifizieren und setzen sich möglichen (gesellschaftlichen) Repressionen aus. Diese Situation wurde noch durch den aserbaidschanischerseits als „Sieg“ verstandenen Waffenstillstand auf russische Vermittlung verstärkt: Die Vereinbarung sieht die phasenweise Rückgabe der besetzten Gebiete, die Rückkehr der Binnenvertriebenen und den Einsatz einer russischen Überwachungstruppe vor. Die de facto Republik Berg-Karabach wird von keinem Staat anerkannt und ist in jeder Hinsicht von der Republik Armenien abhängig (AA 17.11.2020).
Im Ende September 2020 aufgeflammten Konflikt um die von Armenien kontrollierte Region Bergkarabach gelang es unter Vermittlung Russlands einen Waffenstillstand zu erreichen. Armenien, das als Schutzmacht für Bergkarabach agiert, stimmte unter massivem Druck der Neun-Punkte-Erklärung zu. In der Erklärung verpflichteten sich die Parteien zu einem vollständigen Einstellen aller Kampfhandlungen auf den zuletzt gehaltenen Positionen. Darüber hinaus werden die von Armenien im ersten Karabach-Krieg Anfang der 1990er Jahre eroberten sieben aserbaidschanische Bezirke rund um Bergkarabach schrittweise bis 1. Dezember an Baku zurückgegeben. Vier davon gingen bereits im Zuge der Kampfhandlungen seit September weitgehend an Aserbaidschan verloren. Mit der Erklärung wurde ebenso eine russische Peacekeeping-Mission etabliert welche 1.960 Mann umfasst und die den Waffenstillstand entlang der Kontaktlinie auf Seiten Bergkarabachs sichern soll. Neben den Peacekeepern soll auch ein außerhalb Karabachs befindliches Zentrum zur Überwachung der Waffenruhe entstehen. Ebenso vereinbart wurde ein Austausch der Kriegsgefangenen und gefallenen Soldaten. Der letzte Punkt der Vereinbarung weist auf die Öffnung aller Wirtschafts- und Transportwege in die Region hin. Dem zufolge muss Armenien Verkehrsverbindungen zwischen den westlichen Regionen der Republik Aserbaidschan und der südwestlich von Armenien gelegenen und an die Türkei grenzenden aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan sicherstellen. Der Status von Bergkarabach wurde in der Erklärung offen gelassen (IFK 11.2020).
Informationen zu Berg-Karabach finden sich auch im Länderinformationsblatt ARMENIEN
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (30.11.2020): Briefing Notes, Armenien/Aserbaidschan, Zugriff 3.12.2020
- IFK – Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (11.2020): Bergkarabach: Neuordnung der regionalen Machtverhältnisse, https://www.bundesheer.at/php_docs/download_file.php?adresse=/pdf_pool/publikationen/ifk_monitor_65_lampalzer_bergkarabach_nov_20_web.pdf , Zugriff 10.12.2020
3. Rechtsschutz / Justizwesen
In politisch relevanten Fällen wird der Grundsatz der Unschuldsvermutung, den die Verfassung in Art. 63 garantiert, regelmäßig nicht beachtet; Erklärungen der Staatsanwaltschaft und des Innenministeriums enthalten oft Vorverurteilungen. Ungeachtet zahlreicher Gesetze, die sich an westlichen Standards orientieren, bleibt die Rechtsanwendung hinter den Standards des Europarats zurück. Die Rechtsprechung ist zwar formell unabhängig, steht aber faktisch unter dem Einfluss der Regierungsgewalt. Insbesondere in den Verfahren, die von politischer Bedeutung sind (wie z.B. Strafverfahren gegen kritische Journalisten und oppositionelle Menschenrechtsaktivisten), scheinen die Urteile politischen Vorgaben zu folgen. Bei Urteilen zulasten der Regierung sind Umsetzung bzw. Vollstreckung problematisch. In politisch relevanten Fällen wird der Grundsatz der Unschuldsvermutung, den die Verfassung in Art. 63 garantiert, regelmäßig nicht beachtet; Erklärungen der Staatsanwaltschaft und des Innenministeriums enthalten oft Vorverurteilungen. Die Medien, insbesondere staatlich kontrollierte Druckpresse und Fernsehen, werden gelegentlich für Hetzkampagnen gegen regierungskritische Organisationen oder Individuen missbraucht. Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe diskriminiert, lässt sich grundsätzlich nicht feststellen. Personen, die des Umsturzversuches oder des Terrorismus bezichtigt werden, müssen aber in besonderem Maße mit langjährigen Haftstrafen rechnen. Auf Jugendliche über 16 Jahre wird Erwachsenenstrafrecht angewendet. Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren sind nur bei bestimmten Verbrechen, wie z.B. Mord, Vergewaltigung und schwerer Sachbeschädigung, strafmündig. Kinder unter 14 sind strafunmündig. Für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren bestehen im Falle der Verhängung einer Freiheitsstrafe Erziehungsanstalten, in die sie eingewiesen werden können. Jeder Bürger des Landes, der sich durch einen Akt staatlicher Gewalt in diesen Grundrechten verletzt sieht, kann im Wege einer Individualbeschwerde den Rechtsweg zum Verfassungsgericht beschreiten (AA 17.11.2020).
Es gibt keine unabhängige Justiz. Die Gerichte sind korrupt und funktionieren als Strafmechanismus in den Händen der Exekutive. Die Situation hat sich durch eine Welle von Berufsverboten unabhängiger Verteidiger weiter verschlechtert. Die Regierung mischt sich massiv ein und hat das letzte Wort bei Gerichtsentscheidungen in politischen, wirtschaftlichen und anderen sensiblen Fällen. Verteidiger spielen in hohem Maße nur eine formale Rolle und haben nur geringen Einfluss auf Gerichtsentscheidungen. Die Anwaltskammer wird ebenfalls von der Exekutive kontrolliert und häufig als Instrument zur Bestrafung unabhängiger Verteidiger eingesetzt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (ECHR) bleibt weitgehend die letzte vertrauenswürdige Chance für Rechtssuchende in Aserbaidschan. In den letzten Jahren hat die Regierung jedoch die Entscheidungen des ECHR verzögert (BTI 2020).
Obwohl die Verfassung eine unabhängige Justiz vorsieht, agieren die Richter nicht unabhängig von der Exekutive. Die Justiz bleibt weitgehend korrupt und ineffizient. Viele Urteile sind rechtlich nicht haltbar und stehen weitgehend in keinem Zusammenhang mit den während des Prozesses vorgelegten Beweisen. Die Ergebnisse erschieinen häufig vorgegeben. Die Gerichte verabsäumen es oft, Vorwürfe der Folter und der unmenschlichen Behandlung von Häftlingen in Polizeigewahrsam zu untersuchen. Das Justizministerium kontrolliert den Justizverwaltungsrat. Der Rat ernennt einen Auswahlausschuss (sechs Richter, einen Staatsanwalt, einen Rechtsanwalt, einen Ratsvertreter, einen Vertreter des Justizministeriums und einen Rechtswissenschaftler), der das gerichtliche Auswahlverfahren und die Prüfung administriert und die langfristige juristischen Ausbildung überwacht. Glaubwürdige Berichte zeigen, dass Richter und Staatsanwälte Anweisungen von der Präsidialverwaltung und dem Justizministerium erhalten, insbesondere in politisch sensiblen Fällen. Es gibt glaubwürdige Anschuldigungen, dass Richter routinemäßig Bestechungsgelder annahmen. Am 3.4.2019 unterzeichnete der Präsident ein Dekret über begrenzte Reformen im Justizsektor. Das Dekret forderte eine Erhöhung der Richtergehälter, eine Erhöhung der Zahl der Richterposten (von 600 auf 800), Tonaufnahmen aller Gerichtsverfahren und die Einrichtung spezialisierter Handelsgerichte für Streitigkeiten im Zusammenhang mit Unternehmertum. Das Dekret ordnete auch eine Erhöhung der Mittel für die kostenlose Prozesskostenhilfe an.
Das Gesetz schreibt die Unschuldsvermutung in Strafsachen vor. Es schreibt auch das Recht der Angeklagten vor, unverzüglich über die Anklagepunkte informiert zu werden, ein faires, zeitgerechtes und öffentliches Verfahren zu erhalten, bei der Verhandlung anwesend zu sein, mit einem Anwalt ihrer Wahl zu kommunizieren (oder einen Anwalt auf öffentliche Kosten stellen zu lassen, wenn sie nicht in der Lage sind, die Kosten zu tragen), angemessene Zeit und Einrichtungen zur Vorbereitung der Verteidigung bereitzustellen, vom Zeitpunkt der Anklageerhebung an in allen Berufungsverfahren unentgeltlich Dolmetscher zu stellen, Zeugen bei der Verhandlung entgegenzutreten und Zeugenaussagen in der Verhandlung zu präsentieren und nicht gezwungen zu werden, auszusagen oder sich schuldig zu bekennen. Sowohl Angeklagte als auch Staatsanwälte haben das Recht, Berufung einzulegen. Die Behörden haben diese Bestimmungen in vielen Fällen, die weithin als politisch motiviert galten, nicht eingehalten. Obwohl die Verfassung die Gleichberechtigung von Staatsanwälten und Verteidigern vorschreibt, bevorzugen die Richter bei der Beurteilung von Anträgen, mündlichen Erklärungen und Beweisen, die von Verteidigern vorgelegt werden, oft Staatsanwälte, ohne Rücksicht auf die Begründetheit ihrer jeweiligen Argumente. Die Verfassung verbietet die Verwendung von illegal erlangten Beweisen. Trotz der Behauptungen einiger Angeklagter, dass die Polizei und andere Behörden durch Folter oder Missbrauch eine Zeugenaussage erhielten, berichteten Menschenrechtsbeobachter, dass die Gerichte den Missbrauchsvorwürfen nicht nachgingen, und es gab keinen unabhängigen forensischen Ermittler, der die Behauptungen des Missbrauchs untermauern konnte. Es gab keine wörtlichen Abschriften von Gerichtsverfahren.
Das Gesetz sieht vor, dass Personen, die inhaftiert, verhaftet oder einer Straftat beschuldigt werden, ein ordnungsgemäßes Verfahren erhalten, einschließlich der sofortigen Unterrichtung über ihre Rechte und den Grund ihrer Verhaftung. In Fällen, die als politisch motiviert galten, wurde das ordentliche Verfahren nicht eingehalten, und die Angeklagten wurden unter einer Vielzahl von falschen Anklagen verurteilt. Dem Gesetz nach sind Häftlinge innerhalb von 48 Stunden nach der Verhaftung einem Richter vorzuführen. Der Richter kann dann entweder einen Haftbefehl erlassen, der den Häftling in Untersuchungshaft nimmt oder diesen unter Hausarrest stellt, oder die Freilassung des Häftlings anordnen. In der Praxis haben die Behörden jedoch manchmal Personen für länger als 48 Stunden festgehalten. Die anfängliche Haftzeit von 48 Stunden kann unter bestimmten Umständen auf 96 Stunden verlängert werden. Während der Untersuchungshaft oder des Hausarrests muss die Generalstaatsanwaltschaft ihre Ermittlungen abschließen. Die Untersuchungshaft ist auf drei Monate begrenzt, kann aber von einem Richter auf bis zu 18 Monate verlängert werden, je nach mutmaßlicher Straftat und den Erfordernissen der Untersuchung. Es gab Berichte darüber, dass Häftlinge nicht umgehend über die gegen sie erhobenen Anschuldigungen informiert wurden. Es gibt ein formales Kautionssystem, aber die Richter nützten es nicht. Das Gesetz sieht den Zugang zu einem Anwalt ab dem Zeitpunkt der Inhaftierung vor, aber es gab Berichte, dass die Behörden den Zugang von Anwälten zu Mandanten sowohl in politisch motivierten als auch in Routinefällen häufig verweigerten. Aserbaidschan verfügt über ein Militärgerichtssystem mit zivilen Richtern. Das Militärgericht behält die ursprüngliche Zuständigkeit für alle Fälle im Zusammenhang mit Krieg oder Militärdienst (USDOS 11.3.2020).
Die Justiz ist korrupt und der Exekutive untergeordnet. Die Richter werden vom Parlament auf Vorschlag des Präsidenten ernannt. Die mangelnde politische Unabhängigkeit der Gerichte zeigt sich besonders deutlich in den vielen erfundenen oder anderweitig fehlerhaften Fällen, die gegen Oppositionelle, Aktivisten und kritische Journalisten vorgebracht werden. Die verfassungsmäßigen Garantien für ein ordnungsgemäßes Verfahren werden nicht eingehalten. Willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen sind üblich und die Gefangenen werden oft lange Zeit vor dem Prozess festgehalten. Politische Gefangene haben über einen eingeschränkten Zugang zu Rechtsbeistand, das Fälschen und Vorenthalten von Beweisen und über körperliche Misshandlungen zur Erzwingung von Geständnissen berichtet. Obwohl nominell unabhängig, handelt die aserbaidschanische Anwaltskammer auf Anordnung des Justizministeriums und macht sich an der Schikane von Menschenrechtsanwälten mitschuldig. Die 2018 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen sahen vor, dass nur Mitglieder der Anwaltskammer Mandanten vor Gericht vertreten dürfen. Seither hat die Vereinigung die meisten der aktiven Menschenrechtsanwälte des Landes ausgeschlossen, suspendiert oder bedroht, weil sie vor den Medien über Verletzungen der Rechte ihrer Mandanten gesprochen haben. In fast allen Disziplinarfällen haben die Gerichte die Entscheidungen der Anwaltskammer ohne eine gründliche Bewertung oder öffentliche Rechtfertigung bestätigt. Die Strafverfolgungsbehörden überwachten private Telefon- und Online-Kommunikation, insbesondere von Aktivisten, politischen Persönlichkeiten und ausländischen Staatsangehörigen, ohne gerichtliche Aufsicht. Die Verfolgung von Kritikern und ihren Familien durch die Regierung hat die Privatsphäre der gewöhnlichen Einwohner untergraben, genauso wie die Offenheit privater Diskussionen. Sogar Staatsbeamte wurden für ihre Aktivitäten in den sozialen Medien und die ihrer Familienmitglieder bestraft und Aktivisten wurden, aufgrund von nicht damit zusammenhängenden fabrizierten Anklagen, für kritische Facebook-Posts inhaftiert (FH 4.3.2020).
Der Menschenrechtskommissar des Europarates stellte fest, dass Aserbaidschan unter einem erheblichen Mangel an Anwälten leidet. Laut dem Bericht der Europäischen Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ) aus dem Jahr 2018 hatte Aserbaidschan zwischen 2010 und 2016 die geringste Anzahl von Anwälten pro 100.000 Einwohner im Gebiet des Europarates: Im Jahr 2016 kamen neun Anwälte auf 100.000 Einwohner, bei einem Durchschnitt von 162 Anwälten pro 100.000 Einwohner in den Mitgliedstaaten des Europarates. Darüber hinaus besteht die Notwendigkeit, die Unabhängigkeit der Anwaltskammer und ihre Rolle bei der Vertretung und Verteidigung der Interessen ihrer Mitglieder zu stärken. Der Kommissar ist besorgt über die Anwendung von Disziplinarmaßnahmen aus unzulässigen Gründen, wie z.B. wegen der Äußerung kritischer Standpunkte, sowie über das Fehlen klarer Kriterien für die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen, insbesondere die Verhängung von Berufsverboten, und betont, dass Anwälte ethische Standards einhalten und in der Lage sein sollten, ohne Angst vor Vergeltungsmaßnahmen beruflich tätig zu werden (CoE – CommDH 11.12.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 4.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 4.12.2020
- CoE-CommDH – Council of Europe – Commissioner for Human Richts (3.12.2020): Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Dunja Mijatović: Report following her visit to Azerbaijan from 8 to 12 July 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021164/CommDH%282019%2927+-+Report+on+Azerbaijan_EN.docx.pdf , Zugriff 4.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 3.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
4. Sicherheitsbehörden
Die Polizei untersteht dem Innenministerium, der innenpolitische Staatliche Sicherheitsdienst dem Präsidenten (AA 17.11.2020).
Das Innenministerium und der Staatssicherheitsdienst sind für die Sicherheit im Land verantwortlich und unterstehen direkt dem Präsidenten. Das Innenministerium unterhält die lokalen Polizeikräfte und interne Zivilschutztruppen. Der Staatssicherheitsdienst ist für innere Angelegenheiten zuständig, und der Auslandsnachrichtendienst konzentriert sich auf Fragen des Auslandsnachrichtendienstes und der Spionageabwehr. NGOs berichten, dass beide Dienste Personen festgenommen haben, die ihr Recht auf Grundfreiheiten ausgeübt haben. Zivile Behörden üben eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte aus. Die meisten Beamten, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, werden nicht strafrechtlich verfolgt oder bestraft. Straffreiheit bleibt ein Problem. Es gibt mehrere Berichte, dass die Regierung oder ihre Beamten willkürliche oder ungesetzliche Tötungen begingen. Es gibt keine Berichte über Verschwindenlassen durch oder im Namen von Regierungsbehörden (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
5. Folter und unmenschliche Behandlung
Die Behörden weisen in der Regel Beschwerden über Folter und andere Misshandlungen in der Haft ab und die Praxis wird ungestraft fortgesetzt (HRW 14.1.2020).
Die Anwendung von Folter ist verboten und steht unter Strafe; ein durch Folter erlangter Beweis darf vor Gericht nicht verwendet werden. Es gibt glaubwürdige Berichte über Misshandlung verhafteter Personen im Polizeigewahrsam. Die überwiegende Zahl der berichteten Vorfälle soll sich auf Polizeistationen bzw. in Untersuchungshaft ereignet haben. Es gibt Hinweise, dass religiös-politische Häftlinge in Gefängnissen einem höheren Risiko von Misshandlungen und Folter im Vergleich zu den „weltlichen“ politischen Gefangenen ausgesetzt sind. Beweise für extralegale Tötungen oder Fälle von „Verschwinden lassen“ liegen nicht vor. Unmenschliche oder erniedrigende Strafen werden nicht praktiziert (AA 17.11.2020).
Während die Verfassung und das Strafgesetzbuch solche Praktiken verbieten, und bei Verurteilung Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren vorsehen sind, gibt es glaubwürdige Vorwürfe wegen Folter und anderen Misshandlungen. Die meisten Misshandlungen finden in Polizeigewahrsam statt (USDOS 11.3.2020), wo die Behörden Berichten zufolge missbräuchliche Methoden zum Erwirken von Geständnissen einsetzen (USDOS 13.3.2019, vgl. FH 4.3.2020). Die Gerichte untersuchen Vorwürfe der Folter und der unmenschlichen Behandlung von Häftlingen in Polizeigewahrsam oft nicht. Es gibt auch Berichte über Misshandlungen im Gefängnis (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 3.12.2020
- HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022698.html , Zugriff 4.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
6. Korruption
Laut Corruption Perceptions Index von Transparency International belegte Aserbaidschan 2019 den 126. Platz von 180 gelisteten Staaten (TI 1.2020).
Das Gesetz sieht strafrechtliche Konsequenzen für Korruption durch Beamte vor, aber die Regierung setzt das Gesetz nicht effektiv um und Beamte, die an korrupten Praktiken beteiligt waren, bleiben oft ungestraft. Während die Regierung bei der Bekämpfung der Korruption auf niedriger Ebene einige Fortschritte machte, gibt es weiterhin Berichte über die Korruption von Regierungsbeamten, einschließlich derjenigen auf höchster Ebene. Die Behörden bestrafen weiterhin Personen, die die Korruption der Regierung aufgedeckt hatten. Transparency International und andere Beobachter beschreiben Korruption als weit verbreitet. Es gibt Berichte über Korruption in den Bereichen Exekutive, Legislative und Judikative der Regierung (USDOS 11.3.2020).
Korruption und Bestechung sowie Monopolbildung sind nach wie vor die größten Probleme und betreffen jeden Aspekt des Lebens der aserbaidschanischen Bürger auf allen Ebenen. Auch bei der Bekämpfung der weit verbreiteten Korruption vor den Gerichten wurden keine wesentlichen Verbesserungen erzielt. In den Urteilen der Zivil- und Strafsachen ist Korruption nach wie vor ein erheblicher Mangel, der die Entscheidungsfindung stark beeinträchtigt. In den letzten Jahren hat die Regierung jedoch einige Anstrengungen unternommen, um die Korruption auf der mittleren und unteren Ebene einzudämmen. Oligarchen auf hoher Ebene sind faktisch immun gegen gerichtliche Verfolgung. Die Staatliche Kommission zur Korruptionsbekämpfung und die Abteilung für Korruptionsbekämpfung der Generalstaatsanwaltschaft sind die wichtigsten Regierungsbehörden für die Korruptionsbekämpfung (BTI 2020).
Korruption ist allgegenwärtig. In Ermangelung einer freien Presse und einer unabhängigen Justiz werden Beamte nur dann für korruptes Verhalten zur Rechenschaft gezogen, wenn es den Bedürfnissen einer mächtigeren oder gut vernetzten Person entspricht (FH 4.3.2020)
Aserbaidschan weist das höchste Ausmaß an Korruption auf. Seine »Beamtenoligarchie« bildete bislang eine machtvolle Verbindung zwischen Staat und Wirtschaft. 2019 sagte Präsident Ilham Alijew Schattenwirtschaft und Korruption den Kampf an und ersetzte einige langjährige Regierungsmitglieder. Experten bezweifeln allerdings, dass damit ein politischer Systemwandel in die Wege geleitet wurde (SWP 5.2020).
Quellen:
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 4.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 4.12.2020
- SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik: Korruption und Korruptionsbekämpfung im Südkaukasus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2020S08_suedkaukasus.pdf , Zugriff 9.12.2020
- TI – Transparency International (1.2020): Corruption Perceptions Index 2019, https://www.transparency.org/cpi2019?/news/feature/cpi-2019 , Zugriff 9.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
7. NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ist deutlich erschwert (AA 26.2.2020a).
NGOs müssen, um finanzielle Zuwendungen oder Spenden erhalten zu können, als solche registriert sein, und auch jede einzelne Zuwendung in einem umständlichen Verfahren registrieren. Kritische NGOs, die im Bereich Menschenrechte/Demokratie agieren, erhalten regelmäßig keine Registrierung als NGO und sind somit vom Rechtsverkehr – insbesondere hinsichtlich des Abschlusses von Zuwendungsverträgen – ausgeschlossen. Zuwendungen von westlichen Geldgebern an unabhängige NGOs werden mit schwer erfüllbaren Registrierungsauflagen belegt; der Zuwendungsgeber muss seit Ende 2015 ebenfalls registriert werden. Zudem lehnen einige Geschäftsbanken es ab, Girokonten für NGOs zu führen. Zahlreiche herausgehobene Vertreter regierungskritischer NGOs haben seit August 2014 ihre Tätigkeiten eingestellt oder das Land verlassen. Von Druck auf die Vermieter von Büroflächen wird berichtet, welche Mietverträge mit NGOs, die kritischen Veranstaltungen Raum geben, vorzeitig zu beenden. In Einzelfällen werden Vermieter, die diesem Druck nicht nachgeben, mit faktischem Eigentumsentzug konfrontiert (AA 17.11.2020).
Die Regierung schränkt die Tätigkeit nationaler und internationaler Menschenrechtsgruppen weiterhin stark ein. Die Anwendung restriktiver Gesetze zur Einschränkung von NGO-Aktivitäten und andere Belastungen hält auf dem hohen Niveau der letzten Jahre an. Führende Menschenrechts-NGOs sehen sich einem feindlichen Umfeld für die Untersuchung und Veröffentlichung ihrer Ergebnisse zu Menschenrechtsfällen gegenüber. Aktivisten berichten auch, dass sich die Behörden weigern, ihre Organisationen oder Zuschüsse zu registrieren. Infolgedessen sind einige Menschenrechtsverteidiger aufgrund verschiedener staatlicher Hindernisse, wie dem Reiseverbot und eingefrorener Bankkonten, außerstande, ihrer beruflichen Verantwortung nachzukommen. Während die Regierung mit einigen internationalen Menschenrechts-NGOs kommuniziert und auf ihre Anfragen reagiert, kritisiert und schüchtert sie bei zahlreichen Gelegenheiten andere Menschenrechts-NGOs und Aktivisten ein. Das Justizministerium verweigert weiterhin aus willkürlichen Gründen die Registrierung oder erlegt Menschenrechts-NGOs beschwerliche administrative Beschränkungen auf (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020a): Aserbaidschan: Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aserbaidschan-node/aserbaidschan-portrait/202964 , Zugriff 9.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
8. Ombudsperson
Bürger können sich bei Verstößen, die vom Staat oder von Einzelpersonen begangen werden, an den Ombudsmann für Menschenrechte für Aserbaidschan oder den Ombudsmann für Menschenrechte der Autonomen Republik Nakhichevan wenden. Der Bürgerbeauftragte kann die Annahme von Missbrauchsfällen ablehnen, die älter als ein Jahr sind, anonym oder bereits von der Justiz bearbeitet werden. Menschenrechts-NGOs kritisierten das Büro des Ombudsmannes als mangelnd unabhängig und ineffektiv in Fällen, die als politisch motiviert gelten. Menschenrechtsbüros in der Nationalversammlung und im Justizministerium hören auch Beschwerden an, führen Untersuchungen durch und geben Empfehlungen an die zuständigen Regierungsbehörden, werden aber ebenfalls beschuldigt, Verletzungen in politisch sensiblen Fällen zu ignorieren. Während das Büro des Ombudsmannes berichtet, systematische Besuche von Gefängnissen und Untersuchungen von Beschwerden von Häftlingen durchzuführen, sagen Aktivisten, dass das Büro regelmäßig Beschwerden von Häftlingen in politisch heiklen Fällen abweist (USDOS 11.3.2020).
Strafgefangene haben die Möglichkeit, sich an die Ombudsfrau des Parlaments zu wenden (AA 17.11.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, Zugriff 3.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
9. Wehrdienst und Rekrutierungen
Die Verfassung sieht in Art. 76 Abs. 1 die allgemeine Wehrpflicht vor. Artikel 76 Abs. 2 ergänzt, dass ein Wehrersatzdienst denen offen steht, deren Überzeugungen der Leistung eines aktiven Wehrdienstes entgegenstehen. Trotz wiederholter Mahnungen des Europarates wurde bis heute kein entsprechendes Gesetz verabschiedet, mit dem Hinweis auf den fortbestehenden Kriegszustand mit Armenien (AA 17.11.2020). Es gibt glaubwürdige Berichte darüber, dass ein Freikauf vom Militärdienst bzw. Erwirkung einer Versetzung auf „angenehmere“ Verwendungsposten durch Zahlung von Schmiergeldern weit verbreitet ist (AA 17.11.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Männer zwischen 18 und 35 Jahren sind zum Militärdienst verpflichtet. Für den freiwilligen Militärdienst beträgt das Mindestalter 17 Jahre. Die Dauer des Militärdienstes beträgt 18 Monate, für Hochschulabsolventen 12 Monate (CIA 24.11.2020). Männer, die bei medizinischen Einberufungsuntersuchungen als schwul erkannt oder verdächtigt werden, schwul zu sein, werden rektal untersucht und oft als untauglich für den Militärdienst befunden, weil sie demzufolge als psychisch krank eingestuft wurden (USDOS 11.3.2020).
Zeugen Jehovas sehen sich Schikanen sowie einer strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt, weil sie sich dem Militärdienst entzogen haben (FH 4.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- CIA - Central Intelligence Agency (24.11.2020): The World Factbook, Azerbaijan, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/aj.html , Zugriff 4.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 3.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
10. Allgemeine Menschenrechtslage
Nach Ansicht unabhängiger Beobachter und Menschenrechtsverteidiger hat sich die Menschenrechtslage speziell im Bereich der politischen Rechte (Meinungs- und Versammlungsfreiheit) nach deutlicher Verschlechterung 2013–2015 nicht wieder verbessert. In den Bereichen wie Frauenrechte und Inklusion von Menschen mit Behinderung zeigt Aserbaidschan allerdings Interesse (AA 17.11.2020).
Zu den Menschenrechtsproblemen gehören unrechtmäßige oder willkürliche Tötung; Folter; willkürliche Inhaftierung; harte und manchmal lebensbedrohliche Haftbedingungen; politische Gefangene; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; allgegenwärtige Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; starke Einschränkungen der Meinungs-, Presse- und Internetfreiheit, einschließlich Gewalt gegen Journalisten, Kriminalisierung von Verleumdung, Belästigung und Inhaftierung von Journalisten aufgrund fragwürdiger Anschuldigungen und Sperrung von Websites; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit; Einschränkungen der Bewegungsfreiheit; Zurückschicken von Flüchtlingen in ein Land, in dem sie einer Bedrohung für ihr Leben oder ihrer Freiheit ausgesetzt würden; strenge Einschränkungen der politischen Partizipation; systematische Korruption der Regierung; Festnahme und Folter von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen durch die Polizei; und die schlimmsten Formen der Kinderarbeit, zu deren Beseitigung die Regierung nur minimale Anstrengungen unternahm. Die Regierung verfolgt oder bestraft die meisten Beamten, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, nicht (USDOS 11.3.2020).
Die aserbaidschanischen Behörden führen weiterhin rigide Kontrollen durch und schränken die Vereinigungs-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit stark ein. Die Regierung ließ 2019 über 50 Menschenrechtsverteidiger, Journalisten, Oppositionsaktivisten, religiöse Gläubige und andere vermeintliche Kritiker, die unter politisch motivierten Vorwürfen inhaftiert waren, frei. Mindestens 30 weitere blieben jedoch zu Unrecht inhaftiert, während die Behörden regelmäßig ihre Kritiker und andere abweichende Stimmen ins Visier nehmen. Andere Menschenrechtsprobleme blieben bestehen, darunter Folter und Misshandlung in der Haft, Verletzungen der Versammlungsfreiheit, unangemessene Einmischung in die Arbeit von Anwälten und Einschränkungen der Medienfreiheit. Die Behörden versuchen, Exil-Aktivisten zum Schweigen zu bringen, indem sie ihre Angehörigen in Aserbaidschan einschüchtern. Sicherheitsbeamte verhören wiederholt Angehörige von Aktivisten mit Sitz im Ausland, um sie unter Druck zu setzen, ihre Verwandten zu denunzieren, und drohen ihnen mit Gefängnis, wenn ihre Verwandten ihren Aktivismus fortsetzen (HRW 14.1.2020).
Das Wiedererwachen des zivilen Aktivismus, insbesondere bei der jüngeren Generation, inspiriert durch den arabischen Frühling und die Popularisierung der sozialen Netzwerke, hat in Aserbaidschan zu einer weiteren Unterdrückung der Bürgerrechte und Freiheiten geführt. Die Regierung hat ein umfassendes Vorgehen gegen politische Dissidenten, die Zivilgesellschaft, Menschenrechtsaktivisten, die Medien, internationale NGOs und Jugendorganisationen eingeleitet (BTI 2020).
In Aserbaidschan herrscht ein im regionalen Vergleich bemerkenswertes Maß an Religionsfreiheit und religiöser Toleranz. Aserbaidschan ist Mitglied des Europarats und Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention. Jedoch unterliegen Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit erheblichen Einschränkungen. Die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen ist deutlich erschwert (AA 26.2.2020a).
In der autoritären Regierung Aserbaidschans bleibt die Macht stark in den Händen von Ilham Aliyev konzentriert, der seit 2003 Präsident ist. Die Korruption ist weit verbreitet und nach Jahren der Verfolgung ist die formelle politische Opposition geschwächt. Die Behörden haben in den letzten Jahren die bürgerlichen Freiheiten umfassend unterdrückt, sodass nur wenig Raum für unabhängige Meinungsäußerung oder Aktivismus bleibt. Das autoritäre System in Aserbaidschan schließt die Öffentlichkeit von jeder echten und autonomen politischen Beteiligung aus. Das politische System erlaubt es Frauen oder Minderheitengruppen nicht, sich unabhängig zu organisieren oder für ihre jeweiligen Interessen einzutreten. Es gibt keine sinnvollen Mechanismen zur Förderung einer stärkeren Repräsentation von Frauen und ethnischen oder religiösen Minderheiten. Eine Reihe von Moscheen wurden in den letzten Jahren geschlossen, angeblich wegen Registrierungs- oder Sicherheitsverletzungen. Die Zeugen Jehovas sehen sich Schikanen sowie einer strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt, weil sie sich dem Militärdienst entzogen haben. Die Eigentumsrechte werden durch von der Regierung unterstützte Entwicklungsprojekte beeinträchtigt, die oft Zwangsräumungen, unrechtmäßige Enteignungen und Abrisse mit kurzzeitiger oder gar keiner Ankündigung nach sich ziehen (FH 4.3.2020).
Seit dem letzten Menschenrechtsdialog zwischen der EU und Aserbaidschan im Februar 2019 hat sich die Menschenrechtssituation in Aserbaidschan insgesamt nicht verbessert. Ernste Besorgnis besteht nach wie vor über allgegenwärtige Verletzungen der grundlegenden Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, und die staatliche Verfolgung von Regierungskritikern und vermeintlichen Kritikern hält an. Auch das harte Vorgehen gegen die unabhängige Anwaltschaft geht weiter, und Menschenrechtsanwälte unterliegen Disziplinarmaßnahmen, einschließlich des Ausschlusses aus der Anwaltskammer, wenn sie sich in den Fällen ihrer Mandanten zu Verletzungen äußern. Sowohl bei der Gesetzgebung als auch bei der Umsetzung bestehen nach wie vor Probleme, die Einhaltung nationaler und internationaler Menschenrechtsstandards und -verpflichtungen zu gewährleisten (IPHR 2.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020a): Aserbaidschan: Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aserbaidschan-node/aserbaidschan-portrait/202964 , Zugriff 9.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 4.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 4.12.2020
- HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022698.html , Zugriff 3.12.2020
- IPHR – International Partnership for Human Rights (2.2020): Key concerns and recommendations on the protection of fundamental rights in Azerbaijan, https://www.iphronline.org/wp-content/uploads/2020/02/final-Key-Human-Rights-Concenrs-in-Azerbaijan.pdf , Zugriff 4.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
11. Meinungs- und Pressefreiheit
Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2020 der Organisation Reporter ohne Grenzen befindet sich Aserbaidschan auf Rang 168 von 180 Ländern (RSF o. D.).
Die Meinungs- und Pressefreiheit sind zahlreichen Beschränkungen unterworfen. Die Medien, insbesondere staatlich kontrollierte Druckpresse und Fernsehen, werden gelegentlich für Hetzkampagnen gegen regierungskritische Organisationen oder Individuen missbraucht. Nicht nur die offiziellen, sondern auch die meisten privaten Medien berichten tendenziell positiv über die Regierung und den Präsidenten und üben sich in Selbstzensur. Eine unmittelbare Zensur findet nicht statt. Journalisten und Herausgeber setzen sich jedoch im Falle kritischer Berichterstattung der Gefahr aus, aufgrund ihrer Tätigkeit Nachteile bis zu Gefängnishaft zu erleiden. Im Zuge der Covid-19-Krise beschloss das Parlament am 18. März 2020 eine Ergänzung des „Gesetzes über Information, Informierung und Informationssicherheit“. Wegen seiner zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe und seiner nicht auf das Ende der Covid-19-Krise beschränkten Gültigkeit ist es geeignet, Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung im Land weiter zu beschränken. Seit Herbst 2016 gibt es in Aserbaidschan keine offiziell zugelassenen offen regierungskritischen Presse-, Fernseh- oder Funkmedien mehr. Der ansonsten freie Zugang zum Internet wurde durch die Sperrung von fünf prominenten regierungskritischen Websites im Februar 2017 eingeschränkt, über Umwege sind die Seiten aber weiter erreichbar. Darüber hinaus ist der Zugang zu Internetseiten im Wesentlichen frei und auch zu kritischen oder armenischen Websites problemlos möglich (AA 17.11.2020).
Während das Gesetz die Meinungsfreiheit, auch für die Presse, vorsieht und insbesondere die Pressezensur verbietet, verletzt die Regierung diese Rechte. Die Regierung beschränkt die Meinungsfreiheit und die Unabhängigkeit der Medien. Journalisten werden eingeschüchtert und manchmal geschlagen und inhaftiert. Im Laufe des Jahres 2019 setzten die Behörden die Medien, Journalisten im Land und im Exil sowie deren Angehörige weiterhin unter Druck. Ausländische Medien, darunter Voice of America, Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) und BBC, bleiben von der Ausstrahlung auf UKW-Frequenzen ausgeschlossen, obwohl der russische Dienst Sputnik Nachrichten über ein lokales Rundfunknetz ausstrahlt. Journalisten von unabhängigen Medien sind Schikanen und Cyberangriffen ausgesetzt. Die Angriffe richteten sich hauptsächlich gegen Journalisten von Radio Liberty, Azadliq und anderen Zeitungen, Meydan TV und Obyektiv Television. Aktivisten behaupten, dass die Straffreiheit bei Übergriffen auf Journalisten nach wie vor ein Problem sei. Die Behörden untersuchen die meisten Angriffe auf Journalisten nicht effektiv, und solche Fälle bleiben oft ungelöst. Die meisten Medien praktizieren Selbstzensur und vermeiden aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen der Regierung politisch sensible Themen. Die Behörden blockieren weiterhin unabhängige Medien-Webseiten, deren Ansichten sich von der Regierungsauffassung unterscheiden. Menschenrechtsverteidiger berichteten, dass Personen regelmäßig auf Polizeistationen im ganzen Land vorgeladen und gezwungen werden, regierungskritische Beiträge in sozialen Medien zu löschen. Einige Aktivisten und Journalisten vermuten, dass die Regierung hinter dem Hacking mehrerer Social Media Accounts steckt. Die Regierung verlangt von Internet-Dienstleistern eine Lizenz und formelle Vereinbarungen mit dem Ministerium für Verkehr, Kommunikation und Hochtechnologien. Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für die Verurteilung bei Verleumdungen (vgl. HRW 14.1.2020) und Beleidigungen im Internet vor. Es gibt starke Hinweise darauf, dass die Regierung die Internet-Kommunikation von Aktivisten der Zivilgesellschaft überwacht (USDOS 11.3.2020).
Die Fernsehsender des Landes werden vollständig von der Regierung kontrolliert. Unabhängige Stimmen haben keinen Zugang zum Fernsehen (BTI 2020).
Verfassungsrechtliche Garantien für die Pressefreiheit werden routinemäßig und systematisch verletzt, da die Regierung daran arbeitet, die Informationslandschaft fest im Griff zu behalten. Verleumdung bleibt eine Straftat. Journalisten und ihre Angehörigen werden von Behörden mit Belästigungen, Drohungen, Gewalt und Einschüchterungen konfrontiert. Viele werden aufgrund gefälschter Anklagen festgenommen oder inhaftiert, während andere mit Reiseverboten konfrontiert sind. Durch die 2017 verabschiedeten Gesetzesänderungen wurde die Kontrolle der Regierung über die Online-Medien ausgeweitet, so dass Websites ohne Gerichtsbeschluss blockiert werden können, wenn sie Inhalte enthalten, die eine Gefahr für den Staat oder die Gesellschaft darstellen. Unabhängige Nachrichtenseiten werden regelmäßig blockiert oder im Rahmen von Cyberangriffen attackiert (FH 4.3.2020).
Der Menschenrechtskommissar des Europarates stellte fest, dass Journalisten und Aktivisten von sozialen Medien, die eine abweichende Meinung oder Kritik an den Behörden geäußert hatten, wegen verschiedener Vorwürfe wie Ungehorsam gegenüber der Polizei, Rowdytum, Erpressung, Steuerhinterziehung, Aufstachelung zu ethnischem und religiösem Hass oder Verrat sowie wegen Drogenbesitzes oder illegalen Waffenbesitzes inhaftiert sind. Der Kommissar ist besorgt darüber, dass es keine offiziellen Informationen über die Gesamtzahl der gesperrten Websites gibt. Den Gesprächspartnern des Kommissars zufolge sind derzeit mehr als 60 Internetseiten blockiert, vor allem unabhängige Online-Nachrichten-Dienste, welche die Regierung kritisieren oder Internetseiten, die Korruption aufdecken (CoE – CommDH 11.12.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 4.12.2020
- CoE-CommDH – Council of Europe – Commissioner for Human Richts (11.12.2019): Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Dunja Mijatović: Report following her visit to Azerbaijan from 8 to 12 July 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021164/CommDH%282019%2927+-+Report+on+Azerbaijan_EN.docx.pdf , Zugriff 4.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 3.12.2020
- HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022698.html , Zugriff 3.12.2020
- RSF – Reporter ohne Grenzen (ohne Datum): Rangliste der Pressefreiheit 2020, https://www.rog.at/wp-content/uploads/2020/04/Rangliste-der-Pressefreiheit-2020-RSF.pdf , Zugriff 3.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
12. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
12.1. Versammlungsfreiheit
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit sind zahlreichen Beschränkungen unterworfen. Dies gilt besonders für die Versammlungsfreiheit, obwohl Art. 49 der Verfassung dieses Grundrecht garantiert und vorsieht, dass jeder sich nach rechtzeitiger Anmeldung friedlich und ohne Waffen versammeln kann. In der Praxis werden Versammlungen in der Innenstadt von Baku nicht gestattet. Sofern regierungskritische Kundgebungen unangemeldet oder trotz behördlichen Verbots durchgeführt werden, löst die Polizei Menschenansammlungen notfalls unter Anwendung unmittelbaren Zwangs auf. Regelmäßig werden die Teilnehmer an solchen Aktionen festgenommen, aber meistens nach wenigen Stunden (oder zuweilen Tagen) wieder auf freien Fuß gesetzt. Es kann auch mit „vorbeugenden“ administrativen Arresten vor angekündigten Demonstrationen gerechnet werden. Für Versammlungen in geschlossenen/privaten Räumen sieht das Gesetz keine Beschränkungen vor. Die Anmietung von Konferenzräumen ist jedoch für kritische Zivilgesellschaftsvertreter oder Oppositionelle insbesondere in den Gebieten außerhalb der Hauptstadt so gut wie unmöglich (AA 17.11.2020).
Die Regierung schränkt die Versammlungsfreiheit stark ein. Die Behörden reagierten manchmal auf friedliche Proteste und Versammlungen, indem sie Gewalt anwenden und Demonstranten festnehmen. Während die Verfassung vorsieht, dass sich Gruppen nach vorheriger Verständigung der zuständigen Regierungsstelle friedlich versammeln können, interpretiert die Regierung diese Bestimmung weiterhin als Voraussetzung für eine vorherige Genehmigung. Die lokalen Behörden verlangen, dass alle Kundgebungen vorab genehmigt und an den vorgesehenen Orten durchgeführt werden müssen. Die meisten politischen Parteien und NGOs kritisieren die Anforderungen als inakzeptabel und bezeichnen sie als verfassungswidrig (USDOS 11.3.2020).
Das Gesetz schränkt die Versammlungsfreiheit, die vom Schutz der "öffentlichen Ordnung und Moral" abhängig ist, stark ein. Aktivisten haben sich darüber beschwert, dass die Hindernisse für öffentliche Versammlungen in der Praxis zusätzliche, außergesetzliche Maßnahmen umfassen. Ungenehmigte Versammlungen können eine harte Reaktion der Polizei und Geldstrafen für die Teilnehmer nach sich ziehen. Die Regierung hat die Erteilung von Genehmigungen für Kundgebungen in Baku im Frühjahr 2019 weitgehend eingestellt. Selbst wenn die Genehmigungen erteilt werden, beschränkt die Regierung Demonstrationen in der Regel auf relativ isolierte Orte, wo sie die Teilnehmer mithilfe von Gesichtserkennungstechnologie und Handydaten verfolgen kann (FH 4.3.2020).
Aserbaidschan verhängt ein pauschales Verbot von Protesten in den zentralen Gebieten Bakus und bietet stattdessen den Demonstranten einen abgelegenen Ort am Stadtrand für Kundgebungen an. Im Jahr 2019 war die Zahl der Personen, die wegen angeblicher Verstöße gegen die restriktiven Vorschriften des Landes über öffentliche Versammlungen mit Bußgeldern oder kurzen Gefängnisstrafen belegt wurden, um ein Vielfaches höher als im gesamten Jahr 2018. Die Polizei machte auch Hausbesuche, um Menschen zu warnen, die in sozialen Medien angegeben hatten, dass sie an Kundgebungen teilnehmen würden. Tage vor einem der Proteste nahm die Polizei die meisten der Protestveranstalter fest (HRW 14.1.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 3.12.2020
- HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022698.html , Zugriff 4.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
12.2. Vereinigungsfreiheit
Die Verfassung sieht die Vereinigungsfreiheit vor, aber das Gesetz schränkt dieses Recht teilweise ein. Unter Berufung auf diese geänderten Gesetze führen die Behörden zahlreiche strafrechtliche Ermittlungen gegen die Aktivitäten unabhängiger Organisationen durch, sperren Bankkonten und schikanieren lokale Mitarbeiter, einschließlich Inhaftierung und Verhängung von Reiseverboten für einige Führungskräfte von NGOs. Infolgedessen ist eine Reihe von NGOs nicht in der Lage zu arbeiten. Eine Reihe von Rechtsvorschriften ermöglicht es der Regierung, die Aktivitäten von politischen Parteien, religiösen Gruppen, Unternehmen und NGOs zu regeln, einschließlich der Verpflichtung, dass NGOs sich beim Justizministerium registrieren müssen, wenn sie den Status einer "Rechtspersönlichkeit" anstreben. Obwohl das Gesetz die Regierung verpflichtet, innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt (oder innerhalb von weiteren 30 Tagen, wenn weitere Untersuchungen erforderlich sind) von Anträgen auf Registrierung von NGOs zu reagieren, führen vage, umständliche und undurchsichtige Registrierungsverfahren weiterhin zu langen Verzögerungen. Andere Gesetze schränken die Vereinigungsfreiheit ein, z.B. indem sie von stellvertretenden Leitern von NGO-Niederlassungen verlangen, dass sie aserbaidschanische Bürger sind, wenn der Leiter der Niederlassung ein Ausländer ist. Gesetze, die sich auf Zuschüsse und Spenden auswirken, untersagten NGOs de facto die Entgegennahme von Geldspenden und machten es ihnen nahezu unmöglich, anonyme Spenden zu erhalten oder um Beiträge von Öffentlichkeit zu werben (USDOS 11.3.2020).
Obwohl das Gesetz die Gründung von Gewerkschaften und das Streikrecht erlaubt, bleibt die Mehrheit der Gewerkschaften eng mit der Regierung verbunden, und die meisten Großindustrien werden von staatlichen Unternehmen dominiert (FH 4.3.2020).
Quellen:
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 4.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
12.3. Opposition
Die Betätigungsmöglichkeiten der politischen Opposition sind eingeschränkt. Mitglieder und Sympathisanten regierungskritischer Oppositionsparteien und -bewegungen (insbesondere Volksfront, „Musavat“, REAL, Jugendbewegung NIDA) können im Alltag Benachteiligungen ausgesetzt werden. Diese richten sich insbesondere gegen Funktionäre bzw. politisch aktive Parteimitglieder. Während die Regierung regelmäßig auf administrative Ressourcen und die überwiegend staatlich kontrollierten traditionellen und zunehmend auch elektronischen Medien zurückgreift, werden die Versuche der Opposition, sich öffentlich zu versammeln oder sonst öffentlich wahrnehmbar zu äußern, deutlich und systematisch erschwert. Oppositionelle Aktivisten setzen sich einem Risiko aus, aufgrund ihres politischen Engagements Nachteile einschließlich gewaltsamer Übergriffe, willkürlicher Verhaftungen und deutlicher Beeinträchtigungen ihrer wirtschaftlichen Existenz zu erleiden. Die Anmietung von Konferenzräumen ist für kritische Zivilgesellschaftsvertreter oder Oppositionelle insbesondere in den Gebieten außerhalb der Hauptstadt so gut wie unmöglich (AA 17.11.2020).
Während es viele politische Parteien gibt, dominierte die regierende Yeni Azerbaijan Party das politische System. Inländische Beobachter berichten, dass die Mitgliedschaft in der regierenden Partei Vorteile mit sich brächte, wie z.B. die Bevorzugung bei öffentlichen Ämtern. Seit 2010 gehören der Nationalversammlung keine Vertreter der wichtigsten Oppositionsparteien des Landes mehr an. Oppositionsmitglieder sind wahrscheinlicher als andere Bürger offiziellen Schikanen, willkürlichen Verhaftungen und Inhaftierungen ausgesetzt. Mitglieder oppositioneller politischer Parteien werden weiterhin verhaftet und zu Verwaltungshaft verurteilt, nachdem sie in den sozialen Medien die Regierung kritisiert oder an friedlichen Kundgebungen teilgenommen haben. Die Oppositionsparteien haben nach wie vor Schwierigkeiten bei der Anmietung von Büroräumen, angeblich, weil Immobilienbesitzer offizielle Vergeltungsmaßnahmen befürchten. Regionale Mitglieder der Oppositionspartei müssen oft den Zweck ihrer Versammlungen verbergen und sie in Teehäusern und anderen abgelegenen Orten abhalten. Die Oppositionsparteien sehen sich auch mit Finanzierungshindernissen konfrontiert. So haben die Behörden beispielsweise ihre finanziellen Ressourcen weiter begrenzt, indem sie diejenigen bestrafen, die materielle Unterstützung leisten, die Entlassung von Oppositionsmitgliedern erwirken und wirtschaftlichen Druck auf ihre Familienmitglieder ausüben (USDOS 11.3.2020).
Es gibt zwei große registrierte Oppositionsparteien, nämlich Musavat und die Volksfront. Beide haben sich zu liberal-demokratischen Prinzipien bekannt, aber nie eine klar definierte systematische Förderung dieser Werte verfolgt. Ähnlich wie die herrschende Partei sind sie anfällig für personenbezogene Politik. Der Eintritt westlich gebildeter Jugendlicher in das öffentliche Leben in den letzten Jahren und das Aufkommen einer jungen gesellschaftlichen Mittelschicht und starker mittelständischer Berufstätiger, die am aktiven öffentlichen Leben interessiert sind, haben jedoch den Weg für die Entstehung neuer pro-westlicher politischer Gruppen wie der Republikanischen Alternative (REAL) und der Bürgerbewegung NIDA geebnet. Der Opposition wird der Zugang zu Fernseh- und Rundfunknetzen in Aserbaidschan verweigert. Die Regierung übt Druck auf Hotels und andere Veranstaltungsorte im Land aus, den Oppositionsparteien und unabhängigen NGOs keinen Raum für ihre Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen (BTI 2020).
Das politische Umfeld in Aserbaidschan ist weder pluralistisch noch wettbewerbsfähig. Die Fähigkeit der Oppositionsparteien zu operieren und mit der Öffentlichkeit in Kontakt zu treten, ist durch die Dominanz der YAP-Partei begrenzt. Eine Reihe von Gesetzen schränken die Bemühungen der Kandidaten ein, Kundgebungen zu organisieren und durchzuführen. Die politische Opposition hat praktisch keinen Zugang zur Berichterstattung im Fernsehen, das nach wie vor die beliebteste Nachrichtenquelle ist. Eine repressive Medienpolitik und die politischen Rahmenbedingungen machen es den Oppositionsparteien praktisch unmöglich, durch Wahlen an die Macht zu kommen. Oppositionspolitiker und Parteifunktionäre sind willkürlichen Verhaftungen unter zweifelhaften Vorwürfen sowie physischer Gewalt und anderen Formen der Einschüchterung ausgesetzt (FH 4.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 4.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 4.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 4.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
13. Haftbedingungen
Die Haftbedingungen in den Gefängnissen des Landes werden durch Europarat und OSZE beobachtet. Die Bedingungen haben sich in zahlreichen Gefängnissen durch Renovierungen und Neubauten, wie etwa in Sheki, weiter verbessert. Es gibt jedoch beträchtliche Niveauunterschiede. Mindestens drei Haftanstalten sind EMRK-konform. Zurzeit werden weitere neue Haftanstalten gebaut, die ebenfalls EMRK-Standards erfüllen sollen. Tuberkulose ist ein Problem, weshalb Häftlinge zu Haftbeginn entsprechend untersucht werden, um eine Ausbreitung in der Anstalt zu unterbinden. Strafgefangene haben die Möglichkeit, sich an die Ombudsfrau des Parlaments zu wenden. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Haftbedingungen für politische Straftäter härter sind als die für andere Straftäter. (AA 17.11.2020).
Nach Angaben einer angesehenen Gefängnisüberwachungsorganisation sind die Haftbedingungen mitunter hart und potenziell lebensbedrohlich aufgrund von Überbelegung, unzureichender Ernährung, mangelhafter Heizung, Belüftung und sanitärer Versorgung sowie schlechter medizinischer Versorgung. Weibliche Häftlinge leben in der Regel unter besseren Bedingungen als männliche Häftlinge, werden häufiger überwacht und haben besseren Zugang zu Ausbildung und anderen Aktivitäten, aber Frauengefängnisse leiden unter vielen gleichen Problemen wie Männergefängnisse. Verurteilte jugendliche Straftäter können in speziellen Hafteinrichtungen für Jugendliche bis zum Alter von 20 Jahren festgehalten werden. Während die Regierung weiterhin neue Anlagen baut, entsprechen einige der noch genutzten Anlagen aus der Sowjetzeit nicht den internationalen Standards. Menschenrechtsverteidiger berichten, dass Wachen manchmal Gefangene mit Schlägen oder durch Isolationshaft bestrafen. Ehemalige Häftlinge und Familienmitglieder von inhaftierten Aktivisten berichten, dass Häftlinge oft Bestechungsgelder zahlen müssen, um Familienmitglieder treffen zu können, fernzusehen, Toiletten oder Duschräume zu benutzen oder Lebensmittel von außerhalb der Haftanstalt zu erhalten. Während die meisten Häftlinge berichten, dass sie ohne Zensur Beschwerden an die Justizbehörden und das Büro der Ombudsperson richten können, lesen die Gefängnisbehörden regelmäßig die Korrespondenz der Häftlinge, überwachen die Treffen zwischen Anwälten und Mandanten und hindern einige Anwälte daran, Dokumente in und aus den Haftanstalten zu nehmen. Die Behörden schränken die Besuche von Anwälten und Familienangehörigen ein, insbesondere von Gefangenen, die aus politischen Gründen inhaftiert sind. Es gibt auch Berichte über Misshandlungen im Gefängnis (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.202014. Todesstrafe
Die Todesstrafe wurde mit Gesetz vom 28.10.1998 abgeschafft (AA 17.11.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 4.12.202015. Religionsfreiheit
Die Verfassung garantiert die Religions- und Bekenntnisfreiheit (Art. 48 Abs. 2) und knüpft damit an eine historisch gewachsene Tradition der Toleranz in Religionsfragen an. So leben im heutigen Aserbaidschan zahlreiche Religionen in Eintracht miteinander. Laut Religionsgesetz ist für alle die Religionsgemeinschaften betreffenden Fragen ein Staatskomitee zuständig, das weitreichende Vollmachten hat: So muss jede Religionsgemeinschaft sich beim Staatskomitee registrieren lassen. Muslimische Gemeinden müssen zudem dem staatlich kontrollierten Muftiyat beitreten. Das Staatskomitee kontrolliert auch Einfuhr, Druck und Verbreitung religiöser Literatur. Tätigkeit einer Religionsgemeinschaft ohne Registrierung ist illegal. Religionswechsel, auch vom Islam zum Christentum oder von einer islamischen Konfession zu einer anderen, wird akzeptiert und führt zu keinerlei Benachteiligungen. Offene Missionstätigkeit wird allerdings nicht geduldet. Nicht registrierte islamische, in der Praxis vor allem islamistische Gruppierungen, werden besonders streng observiert und in ihren Betätigungsmöglichkeiten eingeschränkt (AA 17.11.2020).
Aserbaidschan ist ein säkularer Staat, der in seiner Verfassung die Trennung von Staat und Religion festschreibt. Obwohl die Verfassung die Gewissensfreiheit schützt und das Recht vorsieht, "sich einzeln oder zusammen mit anderen zu einer Religion zu bekennen oder sich zu keiner Religion zu bekennen und Überzeugungen bezüglich der Religion auszudrücken und zu verbreiten", hat die Regierung diese Rechte in der Praxis durch das Gesetz über Religionsfreiheit von 2009, das Verwaltungsgesetzbuch und das Strafgesetzbuch eingeschränkt. Während der Staat die Diskriminierung aufgrund der Religion formell verbietet, haben muslimische Frauen, die den Hijab tragen, über Diskriminierung bei der Arbeitssuche berichtet und behauptet, dass die Regierung ein inoffizielles Verbot des Hijab in der Regierung und in Schulen aufrechterhält.
Die Religionsgemeinschaften beschrieben für 2019 weitgehend verbesserte Bedingungen für Religionsfreiheit und bessere Beziehungen zur Regierung. Ungeachtet des Rückgangs der staatlichen Schikanen bleiben die Religionsgemeinschaften jedoch sowohl unter den Beschränkungen der bestehenden Gesetze, die die religiöse Betätigung regeln, als auch unter der Drohung, dass Regierungsbeamte und Strafverfolgungsbehörden zu früheren missbräuchlichen Praktiken zurückkehren könnten. Einige Gruppen von Baptisten, Zeugen Jehovas und Lutheranern könnten sich weiterhin nicht registrieren lassen, und sie bezeichnen das Registrierungsverfahren als beschwerlich und willkürlich; insbesondere die Forderung, dass jede Religionsgemeinschaft mindestens 50 Gründungsmitglieder haben müsse, erweist sich für kleine Gemeinden außerhalb der Hauptstadt als außerordentlich schwierig zu erfüllen. Ausländern ist es nach wie vor untersagt, sich ohne Sondergenehmigung an "religiöser Propaganda" zu beteiligen - was als Proselytisierung oder missionarische Tätigkeit verstanden wurde. Eine Bestimmung des Religionsgesetzes, die die religiösen Aktivitäten einer Gemeinschaft auf ihren legalen, registrierten Wohnsitz beschränkt, setzt einige Gemeinschaften weiterhin Bedrohungen durch die Polizei aus. Die Regierung verlangt weiterhin, dass alle religiöse Literatur und verwandte Materialien die Genehmigung der SCWRA (State Committee for Work with Religious Associations) erhalten und mit einem holografischen Aufkleber versehen werden müssen, und sie beschränkt den Verkauf religiöser Literatur auf bestimmte vorab genehmigte Verkaufsstellen (USCIRF 4.2020).
Religiöse Organisationen und Mitglieder des Klerus sind von der Teilnahme an Wahlen ausgeschlossen. Aserbaidschaner mit unterschiedlichem religiösem Hintergrund genießen Gleichberechtigung und Toleranz, obwohl einige von der Regierung als nicht-traditionell bezeichnete religiöse Gruppen, wie Evangelikale und einige muslimische Gruppen, oft mit staatlichen Einschränkungen konfrontiert sind (BTI 2020).
Die Verfassung schreibt die Trennung von Staat und Religion und die Gleichstellung aller Religionen vor. Sie schützt auch das Recht des Einzelnen, seine religiösen Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen und religiöse Rituale zu praktizieren, sofern diese nicht gegen die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Moral verstoßen. Das Gesetz verbietet der Regierung, sich in religiöse Aktivitäten einzumischen, aber es besagt auch, dass die Regierung und die Bürger die Verantwortung haben, "religiösen Extremismus" und "Radikalismus" zu bekämpfen. Das Gesetz bestimmt, dass die Regierung religiöse Organisationen auflösen kann, wenn sie rassische, nationale, religiöse oder soziale Feindseligkeiten verursachen, in einer Weise missionieren, die die Menschenwürde "beeinträchtigt" oder die weltliche Erziehung behindern.
Die Gerichte verhängen Geldstrafen für den unerlaubten Verkauf oder die unerlaubte Verteilung von religiösem Material. Ein hochrangiger Regierungsbeamter erklärte im Mai 2019, dass, obwohl das Gesetz das Problem des Hijab am Arbeitsplatz nicht explizit anspreche, es ein inoffizielles Verbot gebe, den Hijab am Arbeitsplatz zu tragen. Die Regierung sponsert im ganzen Land Veranstaltungen zur Förderung der religiösen Toleranz und zur Bekämpfung dessen, was sie als religiösen Extremismus betrachtet, darunter das Gipfeltreffen der Weltreligionsführer im November 2019 in Baku.
Vertreter der Zivilgesellschaft erklären, dass die Bürger weiterhin "traditionelle" religiöse Minderheitengruppen (d.h. diejenigen, die historisch im Land präsent sind), darunter Juden, russisch-orthodoxe und Katholiken, tolerieren; als "nicht-traditionell" angesehene Gruppen werden jedoch oft mit Misstrauen und Argwohn betrachtet. Lokale Menschenrechtsgruppen und andere geben an, dass die Regierung weiterhin religiöse Aktivisten physisch misshandelt, verhaftet und inhaftiert. Die Behörden halten zahlreiche Personen wegen der Durchführung unbefugter religiöser Versammlungen kurzzeitig fest, verhängen Geldstrafen oder mahnen die Betroffenen ab. Nicht registrierte muslimische und nichtmuslimische religiöse Gruppen, die von der Regierung als "nicht-traditionell" betrachtet werden, werden zeitweise wegen der Ausübung religiöser Aktivitäten schikaniert und mit Geldstrafen belegt. Regionale Zweige der Baptisten und Zeugen Jehowas berichten, dass sie nicht in der Lage seien, eine legale Registrierung zu erlangen. Einige protestantische und einheimische Kirchenführer berichten, dass ihre Unfähigkeit, eine legale Registrierung zu erhalten, sie zwinge, ihre Aktivitäten diskret auszuüben. Die SCWRA (State Committee for Work with Religious Associations) verwaltet den Registrierungsprozess und kann bei den Gerichten Berufung einlegen, um die Aktivitäten einer religiösen Gruppe auszusetzen. Die Registrierung einer Religionsgemeinschaft ist an den physischen Ort gebunden, an dem sich die Gemeinschaft befindet, wie in ihrem Antrag angegeben. Ein späterer Umzug oder eine Ausweitung auf andere Standorte erfordert eine erneute Registrierung. Die Registrierung ermöglicht es einer religiösen Organisation, Versammlungen abzuhalten, ein Bankkonto zu unterhalten, Eigentum zu mieten, als juristische Person zu handeln und Gelder von der Regierung zu erhalten. Laut Gesetz muss die Regierung innerhalb von 30 Tagen über einen Registrierungsantrag entscheiden, aber es gibt keine festgelegten Konsequenzen, wenn die Regierung nicht innerhalb der Frist handelt. Die Behörden können die Registrierung einer religiösen Organisation ablehnen, wenn deren Handlungen, Ziele oder religiöse Doktrin der Verfassung oder anderen Gesetzen widersprechen. Die Behörden können die Registrierung auch ablehnen, wenn die Satzung und andere Gründungsdokumente einer Organisation dem Gesetz widersprechen oder wenn die vorgelegten Informationen falsch sind. Religiöse Gruppen können gegen die Verweigerung der Registrierung bei den Gerichten Berufung einlegen. Die Regierung kontrollierte weiterhin die Einfuhr, den Vertrieb und den Verkauf von religiösem Material. Die Gerichte verhängten Geldstrafen für den unerlaubten Verkauf oder die unerlaubte Verteilung von religiösem Material (USDOS 10.6.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 4.12.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2020): United States Commission on International Religious Freedom 2020 Annual Report; USCIRF - Recommended for Special Watch List: Azerbaijan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028953/Azerbaijan.pdf , Zugriff 9.12.2020
- USDOS – US Department of State (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031205.html , Zugriff 9.12.202016. Ethnische Minderheiten
In Aserbaidschan leben neben der Titularnation der Aserbaidschaner schätzungsweise 1,3% Russen, 2,0% Lesginer, 1,3% Armenier, 1,3% Talyschen sowie Kurden, Georgier, Awaren usw. (AA 17.11.2020; vgl. CIA 24.11.2020). Die Lebensbedingungen dieser Minderheiten unterscheiden sich grundsätzlich nicht von denen der Aserbaidschaner. Die Sprachen Lesginisch, Georgisch, Awarisch und Talysch werden in den Schulen im traditionellen Siedlungsgebiet dieser Volksgruppen unterrichtet. Die russische Sprache gilt gerade in Baku weiterhin als die Sprache der Bildungs- und Verwaltungselite (AA 17.11.2020).
Es gibt keine Gesetze, die die Beteiligung von Angehörigen von Minderheiten am politischen Prozess einschränken. Einige Gruppen, darunter Talysh im Süden und Lesginen im Norden, berichten, dass die Regierung keine offiziellen Lehrbücher in ihrer lokalen Muttersprache zur Verfügung stellt (USDOS 11.3.2020).
Ethnische Diskriminierung scheint in Aserbaidschan kein großes Problem zu sein. Ebenso scheint die ethnische Herkunft kein beschäftigungshemmender Faktor zu sein. Regionale Herkunft spielt in Aserbaidschan eine wichtigere Rolle: Aserbaidschaner aus Armenien und der Exklave Nakhichevan haben generell einen privilegierten Zugang zu öffentlichen Ämtern und Arbeitsplätzen (BTI 2020). Angehörige ethnischer Minderheiten beschwerten sich jedoch über Diskriminierung in Bereichen wie Bildung, Beschäftigung und Wohnen (FH 4.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 4.12.2020
- CIA - Central Intelligence Agency (24.11.2020): The World Factbook, Azerbaijan, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/aj.html , Zugriff 4.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 3.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.202017. Relevante Bevölkerungsgruppen
17.1. Frauen
Artikel 25 Abs. 2 der Verfassung garantiert die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Im Großraum Baku entspricht dieser Grundsatz weitestgehend der Praxis, während auf dem Land traditionelle Vorstellungen der Geschlechterverhältnisse noch verbreitet sind. Insgesamt betrachtet nimmt die Repräsentanz von Frauen in Regierung und Parlament leicht zu (23 von 125 Parlamentariern sind weiblich); und sie sind im Bildungs- und Gesundheitssektor stark vertreten. Nach offiziellen Angaben machen Frauen 15% der Unternehmerschaft aus, Tendenz unter Nachwuchskräften steigend (AA 17.11.2020).
Vergewaltigung ist illegal und wird mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft (USDOS 11.3.2020). Eheliche Vergewaltigung ist ebenfalls illegal, aber Frauen können im Fall von Vergewaltigungen innerhalb der Ehe nicht darauf vertrauen, dass Sicherheitsorgane sie schützen und Ermittlungen aufnehmen (AA 17.11.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Das Gesetz schafft einen Rahmen für die Untersuchung von Beschwerden über häusliche Gewalt, definiert ein Verfahren zur Erlassung von einstweiligen Verfügungen und fordert die Einrichtung eines Schutz- und Rehabilitationszentrums für Opfer. Aktivisten berichteten, dass die Polizei häusliche Gewalt weiterhin als familiäres Problem ansieht und nicht effektiv zum Schutz der Opfer eingreift. Der Staatliche Ausschuss für Familie, Frauen und Kinder (SCFWCA) setzt seine Aktivitäten gegen häusliche Gewalt fort, indem er Aufklärungskampagnen durchführt und sich für die Verbesserung der sozioökonomischen Situation von Opfern häuslicher Gewalt einsetzt. Die Regierung bietet Frauen, die Opfer von Körperverletzungen wurden, begrenzten Schutz. Die Regierung und eine unabhängige NGO betreiben jeweils eine Unterkunft, die Opfern von Menschenhandel und häuslicher Gewalt Hilfe und Beratung bietet. Die Regierung setzt das Verbot der sexuellen Belästigung nur selten durch oder setzt selten rechtliche Schritte gegen Personen, die dieser beschuldigt werden. Obwohl Frauen nominell dieselben gesetzlichen Rechte wie Männer genießen, stellt die gesellschaftliche und geschlechtsspezifische Diskriminierung ein Problem dar (USDOS 11.3.2020; vgl. BTI 2020). Aus kulturellen Gründen sind Frauen von Führungspositionen ausgeschlossen. Frauenberufe sind traditionell unterbezahlt, und geschlechtsspezifische Ausgrenzung ist offensichtlich (BTI 2020). Nach Angaben des Statistischen Staatsausschusses gibt es eine Diskriminierung von Frauen in der Beschäftigung, einschließlich großer Lohnunterschiede und höherer Arbeitslosenquoten. Das Gesetz schließt Frauen von bestimmten Berufen aus, wie z.B. der Arbeit unter Tage in Bergwerken. Frauen waren in hochrangigen Berufen, einschließlich Spitzenpositionen in Unternehmen, unterrepräsentiert. Traditionelle Praktiken schränkten den Zugang von Frauen zu wirtschaftlichen Möglichkeiten in ländlichen Gebieten ein (USDOS 11.3.2020).
Es gibt Hinweise auf geschlechtsspezifische Abtreibungen, besonders in ländlichen Regionen. Auf 100 neugeborene Mädchen kommen 114 neugeborene Buben (USDOS 11.3.2020).
Es gibt keine Gesetze, die die Beteiligung von Frauen und Angehörigen von Minderheiten am politischen Prozess einschränken. Frauen in politischen Oppositionsparteien sehen sich oft zusätzlichem Druck und Schikanen ausgesetzt (USDOS 11.3.2020).
Frauen werden bei der Beschäftigung diskriminiert, was sowohl eine faktische Voreingenommenheit als auch den formellen Ausschluss von bestimmten Arten von Arbeit im Rahmen des Arbeitsgesetzes einschließt. Das Gesetz gewährt Frauen und Männern im Allgemeinen die gleichen Rechte in Fragen des persönlichen Status, wie z.B. bei Heirat, Scheidung und Sorgerecht für Kinder. Häusliche Gewalt ist ein bemerkenswertes Problem und der damit verbundene Rechtsschutz ist unzureichend. Konservative gesellschaftliche Normen tragen zu der weit verbreiteten Ansicht bei, dass häusliche Gewalt eine Privatangelegenheit ist. Seit 2011 ist der Hijab in aserbaidschanischen Schulen formell verboten und Frauen, die sich dafür entscheiden, ihn zu tragen, haben sich zunehmend über die Diskriminierung durch private und öffentliche Arbeitgeber beschwert (FH 4.3.2020).
Die Regierung von Aserbaidschan erfüllt die Mindeststandards für die Bekämpfung des Menschenhandels nicht vollständig, unternimmt aber erhebliche Anstrengungen, um dies zu erreichen. Zu diesen Bemühungen gehören die Verurteilung von mehr Menschenhändlern und Richtlinien für Richter, um strengere Strafen für Menschenhändler zu verhängen.
Die Regierung richtete Zuschüsse für die Zivilgesellschaft ein, erhöhte die Gesamtfinanzierung für den Opferschutz beträchtlich und erkannte NGO-Führer für ihre Bemühungen zur Bekämpfung des Menschenhandels an (USDOS 25.6.2020).
Die Gesetze Aserbaidschans enthalten diskriminierende Normen trotz des Grundsatzes der Beschäftigungsgleichheit unabhängig vom Geschlecht. Der Staat ist nach wie vor der Ansicht, dass Frauen nicht in "männlichen" Bereichen arbeiten können. Frauen arbeiten hauptsächlich in Niedriglohnsektoren. Es besteht auch ein geschlechtsspezifisches Lohngefälle im Zusammenhang mit gering bezahlten Arbeitsplätzen und der Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen (CESCR 8.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 3.12.2020
- CESCR - UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights (8.2019): Alternative information for review by UN CESCR on the implementation by Azerbaijan of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CESCR/Shared%20Documents/AZE/INT_CESCR_ICO_AZE_36987_E.docx , Zugriff 3.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 3.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
- USDOS – US Department of State (25.6.2020): 2020 Trafficking in Persons Report: Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2036215.html , Zugriff 9.12.2020
17.2. Kinder
Es gibt keine Kenntnis über spezifische Menschenrechtsverletzungen an Kindern in Aserbaidschan. Hinweise auf systematisch begangenen Kinderhandel oder sexuelle Ausbeutung von Kindern bzw. Kinderarbeit liegen dem deutschen Auswärtigen Amt nicht vor. Es gibt keine Kindersoldaten. In ländlichen Gebieten können illegale Zwangsverheiratungen von jungen Mädchen (13–15 Jahre) nicht ausgeschlossen werden. Das Ehegesetz setzt das Mindestalter für Eheschließungen auf 18 Jahre fest, gestattet aber Ausnahmen für 17-Jährige mit Sondergenehmigung lokaler Behörden (USDOS 11.3.2020) und schreibt eine medizinische Voruntersuchung vor (AA 17.11.2020).
Kinder erhalten die Staatsbürgerschaft durch Geburt im Land oder von ihren Eltern. Die Registrierung der Geburt bei Geburten in Krankenhäusern oder Kliniken ist Routine. Einige zu Hause geborene Kinder werden nicht registriert. Während die Bildung bis zum Alter von 17 Jahren obligatorisch, kostenlos und universell ist, legen große Familien in verarmten ländlichen Gebieten manchmal eine höhere Priorität auf die Ausbildung von Jungen und lassen Mädchen zu Hause arbeiten. Es gibt Strafen für sexuelle Gewalt gegen Kinder und Kinderarbeit, und das Gesetz sieht Strafen für häusliche und andere Gewalt speziell gegen Kinder vor. Das Gesetz sieht vor, dass ein Mädchen im Alter von 17 oder 18 Jahren mit Erlaubnis der örtlichen Behörden heiraten darf. Das Gesetz besagt weiterhin, dass ein Junge im Alter von 18 Jahren heiraten darf (vgl. AA 17.11.2020). Die Zwangsheirat mit einem minderjährigen Kind ist ebenso strafbar wie die Rekrutierung von Minderjährigen für die Prostitution. Pornografie ist gesetzlich verboten. Das Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr beträgt 16 Jahre. Staatliche Investitionen lindern weitgehend das Problem vieler intern vertriebener Kinder, die unter schlechten Bedingungen leben und keine Schule besuchen können. Die Strafverfolgungsbehörden verfolgen Fälle von sexueller Gewalt gegen Kinder (USDOS 11.3.2020).
In den meisten Fällen erlaubt das Gesetz Kindern ab 15 Jahren mit einem schriftlichen Arbeitsvertrag zu arbeiten; Kinder ab 14 Jahren können in Familienbetrieben oder mit elterlicher Zustimmung in Tagesarbeitsplätzen nach der Schule arbeiten, die keine Gefahr für ihre Gesundheit darstellen. Kinder unter 16 Jahren dürfen nicht mehr als 24 Stunden pro Woche arbeiten; Kinder von 16 oder 17 Jahren dürfen nicht mehr als 36 Stunden pro Woche arbeiten. Das Gesetz verbietet die Beschäftigung von Kindern unter 18 Jahren unter schwierigen und gefährlichen Bedingungen und benennt bestimmte Arbeiten und Branchen, in denen Kinderarbeit verboten ist, einschließlich der Arbeit mit giftigen Stoffen und unter Tage, in der Nacht, in Bergwerken und in Nachtclubs, Bars, Casinos oder anderen Unternehmen, die Alkohol verkaufen. Die Regierung setzt die Gesetze, die Kinderarbeit verbieten und ein Mindestalter für die Beschäftigung festlegen, nicht wirksam durch (USDOS 11.3.2020).
Die Regierung setzt einige Schritte zur Bekämpfung von Zwangsarbeit und Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, u.a. durch die Verfolgung von Menschenhändlern und die Bereitstellung von Dienstleistungen für die Opfer, aber das Problem besteht weiterhin, insbesondere bei Roma-Kindern und ausländischen Hausangestellten (FH 4.3.2020).
Im Jahr 2019 machte Aserbaidschan nur minimale Fortschritte bei den Bemühungen um die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Die Regierung führte eine Reihe von Maßnahmen ein, um den Zugang behinderter Schüler zur Bildung zu verbessern, darunter die Modernisierung der Schulinfrastruktur, die Sensibilisierung der Eltern für integrative Dienstleistungen und die Schulung von Schulleitern und Lehrern in integrativen Methoden. Darüber hinaus führte die Regierung in drei Städten und fünf Distrikten Untersuchungen zur Kinderarbeit durch. Trotz neuer Initiativen zur Bekämpfung der Kinderarbeit erhält Aserbaidschan jedoch eine Einschätzung der minimalen Fortschritte, da es weiterhin einen Rückschritt in der Gesetzgebung vollzog, der die Fortschritte bei der Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit verzögerte. Im Jahr 2017 verlängerte die Regierung ein Moratorium für Arbeitsinspektionen, einschließlich Baustelleninspektionen, bis 2021. Zwar können die Inspektoren auf Beschwerden reagieren, doch kann das Fehlen proaktiver oder vor-Ort-Inspektionsmechanismen dazu führen, dass potenzielle Verstöße gegen Kinderarbeitsgesetze an den Arbeitsplätzen unentdeckt bleiben. Der Rechtsschutz gilt nur für Arbeitnehmer mit schriftlichen Arbeitsverträgen, so dass selbstständig erwerbstätige Kinder und Kinder, die außerhalb eines formellen Arbeitsverhältnisses arbeiten, anfällig für Ausbeutung sind. Darüber hinaus fehlt es den Koordinierungsstellen, einschließlich des Staatlichen Ausschusses für Familie, Frauen und Kinderangelegenheiten, an der Kapazität und klaren rechtlichen Befugnissen, um ihre Mandate wirksam auszuführen (USDOL 30.9.2020).
Es gibt kein Verbot der körperlichen Züchtigung in alternativen Betreuungseinrichtungen. Es gelten die Schutzbestimmungen des Gesetzes über die Rechte des Kindes von 1998, aber weder diese noch das Gesetz über sozialen Schutz von Kindern ohne Eltern 1999 verbieten ausdrücklich jede körperliche Bestrafung. Es gibt kein Verbot der körperlichen Züchtigung in frühkindlichen Betreuungseinrichtungen und in der Tagesbetreuung für ältere Kinder. Es gelten zwar die erwähnten Schutzbestimmungen des Gesetzes über die Rechte des Kindes von 1998 und Artikel 27 legt zusätzlich fest, dass "internen Vorschriften von Schulen, vorschulischen und außerschulischen Bildungseinrichtungen auf den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des gegenseitigen Respekts beruhen sollten", diese aber verbieten nicht ausdrücklich körperliche Züchtigung. Im Gesetz über die Rechte des Kindes von 1998 heißt es im Artikel 12 dass "die grausame Behandlung von Kindern durch Eltern und andere Personen, die Anwendung von geistiger oder körperlicher Misshandlung von Kindern und die Verletzung von Kinderrechten" eine Ursache für den Entzug der elterlichen Rechte ist, und dass die Verletzung der Rechte der Kinder auch das Versäumnis der Eltern einschließt den "Verpflichtungen zur Ausbildung und Erziehung des Kindes" nachzukommen. Keine dieser Bestimmungen wird jedoch interpretiert als Verbot jeglicher körperlicher Züchtigung bei der Kindererziehung. Bestimmungen gegen Gewalt und Missbrauch im Strafgesetzbuch 1999, im Gesetz zur Verhütung häuslicher Gewalt 2010 und in der Verfassung 2002 werden nicht dahingehend interpretiert, dass jede körperliche Bestrafung verboten ist (GIEACPC 7.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 3.12.2020
- GIEACPC - Global Initiative to End All Corporal Punishment of Children (7.2020): Corporal punishment of children in Azerbaijan, http://www.endcorporalpunishment.org/wp-content/uploads/country-reports/Azerbaijan.pdf , Zugriff 4.12.2020
- USDOL – US Department of Labor (30.9.2020): 2019 Findings on the Worst Forms of Child Labor: Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2040501.html , Zugriff 4.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
18. Bewegungsfreiheit
Aserbaidschanische Staatsangehörige sind bei der Ausreise strengen Kontrollen unterworfen. Wenn sie nach Ansicht der Grenzpolizei nicht über das erforderliche Visum zur Einreise in den Zielstaat verfügen, wird die Ausreise verweigert. Eine Ausreisesperre wird häufig in Untersuchungsverfahren verhängt, insbesondere bei Steuervergehen (AA 17.11.2020).
Das Gesetz sieht Inlandsreisen, Auslandsreisen, Auswanderung und die Rückkehr vor. Die Regierung respektiert im Allgemeinen viele dieser Rechte (USDOS 11.3.2020) Sie setzt aber ihre Praxis fort, die Freizügigkeit insbesondere bei Auslandsreisen für Oppositionelle, Aktivisten und Journalisten zu beschränken (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Die Regierung arbeitet mit dem Büro des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen, Asylsuchenden, Staatenlosen und anderen Betroffenen Schutz und Unterstützung zu gewähren. Das Gesetz verpflichtet Männer im wehrdienstfähigen Alter, sich vor einer Auslandsreise bei den Militärbehörden zu registrieren. Die Behörden legen für Militärpersonal mit Zugang zu nationalen Sicherheitsinformationen einige Reisebeschränkungen auf. Bürger, die wegen Straftaten angeklagt oder verurteilt wurden, aber Bewährungsstrafen erhielten, dürfen nicht ins Ausland reisen, bis die Bedingungen ihrer Bewährungsstrafen erfüllt sind. Personen mit armenisch klingenden Namen werden an den Grenzübergängen oft zusätzlichen Kontrollen unterzogen und gelegentlich wird ihnen die Einreise ins Land verweigert (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
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- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
19. Grundversorgung und Wirtschaft
Die Armut ist in den letzten Jahren durch die stark angestiegenen Einkommen der Bevölkerung erheblich zurückgegangen. Nach Angaben der Weltbank lebten 2016 5,6% der Bevölkerung unter dem Existenzminimum, 2003 waren es noch 44,7%. Die langfristigen ökonomischen Folgen der Covid-19-Pandemie sind noch nicht absehbar. Das offizielle Existenzminimum liegt nach offiziellen Berechnungen derzeit bei 238 AZN (ca. 120 EUR) pro Kopf und Monat. Für Angestellte betrug das monatliche Durchschnittseinkommen 2019 724 AZN (ca. 360 EUR). Die Durchschnittsrente liegt 2020 nach offiziellen Angaben nach einer 2019 erfolgten Erhöhung der Mindestrente bei 290 AZN (ca. 145 EUR). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet. Einkommensschwache Familien erhalten Sozialleistungen (AA 17.11.2020).
Die Inflation für 2019 wird mit 2,61% beziffert. Die Arbeitslosenquote beträgt 5,5% (länderdaten.info o.D.).
Offizielle Statistiken für 2017 und 2018 weisen eine Arbeitslosenquote von rund 5 % aus. Unabhängige Quellen schätzen jedoch, dass etwa 25 % der Bevölkerung arbeitslos sind. Dem Staat mangelt es an einer aktiven Beschäftigungspolitik und einem funktionierenden System von Arbeitsämtern. Es gibt auch keine staatliche Unterstützung für die große Mehrheit der Arbeitslosen. Im Juni 2017 unterzeichnete Präsident Alijew das Gesetz über die Arbeitslosenversicherung, das am 1. Januar 2018 in Kraft trat. Demnach wird Arbeitnehmern Arbeitslosengeld angeboten, wenn sie ihren Arbeitsplatz aufgrund von Personalabbau oder der Auflösung ihres Arbeitsplatzes verlieren. Außerdem werden 0,5% des Monatslohns eines Arbeitnehmers als Versicherungsprämie an eine Arbeitslosenversicherungskasse überwiesen. Es gibt einen Unterschied in der Erwerbsquote zwischen ländlichen und städtischen Gebieten. Im Allgemeinen ist die Arbeitslosigkeit in den Städten höher. Darüber hinaus gibt es ein Lohngefälle zwischen städtischen und ländlichen Gebieten (BTI 2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 3.12.2020
- CIA - Central Intelligence Agency (24.11.2020): The World Factbook, Azerbaijan, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/aj.html , Zugriff 4.12.2020
- laenderdaten.info (ohne Datum): Aserbaidschan, https://www.laenderdaten.info/Asien/Aserbaidschan/index.php , Zugriff 4.12.2020
19.1. Sozialbeihilfen
Einkommensschwache Familien erhalten Sozialleistungen. Staatliche Unterstützungsleistungen erhalten zudem die über 600.000 (Binnen-)Vertriebenen, die im Zuge des Bergkarabach-Konflikts aus ihren bisherigen Wohnorten in den besetzten Gebieten vertrieben wurden oder geflohen sind (AA 17.11.2020).
In der nationalen Gesetzgebung gibt es Bestimmungen für Pensionen, Krankengeld, Invalidität, Arbeitslosigkeit und Mutterschaftsurlaub; das Wohlfahrtssystem in Aserbaidschan leidet jedoch an einer erheblichen Unterfinanzierung. Löhne, Renten und Krankengeld sind niedrig und decken die Lebenshaltungskosten nicht ab. Die Gesundheitsversorgung ist vor allem für die ärmeren Bevölkerungsschichten unzureichend. Der Mindestlohn ist in den letzten Jahren gestiegen (BTI 2020).
In folgenden Bereichen können unter anderem Sozialhilfen bzw. Renten gewährt werden: Alters- und Arbeitsunfähigkeit, Hinterbliebenenrenten, Krankheit und Mutterschaft; weiters Zuschüsse für Arbeiter für medizinische Leistungen, bei Verletzungen während der Arbeit und zeitlich begrenzte oder dauerhafte Invaliditätsleistungen, Arbeitslosigkeits- und Familienzuschüsse (SSA 3.2019).
Die Höhe der Sozialleistungen wird, in Abhängigkeit vom Status und der Situation der AntragsstellerIn, von der zuständigen staatlichen Behörde bestimmt, und unterliegt mindestens einmal pro Jahr einer Indexierung. Leistungen werden, je nach Situation, monatlich oder einmalig gezahlt. Der/Die Rückkehrende muss sich an den staatlichen Sozialhilfefond der Republik Aserbaidschan (http://sosial.gov.az/ ) wenden (IOM 2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 4.12.2020
- IOM – Internationale Organisation für Migration (2019): Länderinformationsblatt Aserbaidschan 2019, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS%202019%20Aserbaidschan%20DE.pdf , Zugriff 10.12.2020
- SSA – Social Security Administration (US) (3.2019): SSPTW: Asia and the Pacific 2018 –
Azerbaijan, https://www.ssa.gov/policy/docs/progdesc/ssptw/2018-2019/asia/azerbaijan.pdf , Zugriff 4.12.2020
20. Medizinische Versorgung
Die medizinische Versorgung in Aserbaidschan ist prekär und insbesondere außerhalb der Hauptstadt nicht gewährleistet (EDA 10.11.2020) bzw. unzureichend (AA 3.12.2020b). Private Krankenhäuser sind in der Regel besser ausgerüstet als die staatlichen. Sie verlangen jedoch einen Kostenvorschuss oder eine finanzielle Garantie, bevor sie Patienten behandeln (EDA 10.11.2020).
Die medizinische Versorgung entspricht nicht überall westeuropäischem Standard. Die rasche und zuverlässige Versorgung von Verletzten oder schwer Erkrankten (Transport, Erste-Hilfe) ist nicht immer garantiert (AA 3.12.2020b).
Laut offiziellen Angaben beträgt die Zahl der neu errichteten und renovierten medizinischen Einrichtungen Ende 2016 etwa 500. Nach wie vor befinden sich aber die größten staatlichen Krankenhäuser und Spezialkliniken wie Kinderkrankenhäuser, Herzkliniken und psychiatrische Einrichtungen in Baku. Problematisch ist nach wie vor der relativ geringe Ausbildungsstand der lokalen Ärzte. Anfang 2020 wurde eine allgemeine Krankenversicherung eingeführt, die auf eine Verbesserung der medizinischen Versorgung insgesamt abzielt. Ihre (schrittweise) verbindliche Einführung wurde wegen der Covid-19-Pandemie auf 2021 verschoben.
Theoretisch gibt es eine alle notwendigen Behandlungen umfassende kostenlose medizinische Versorgung. Dringende medizinische Hilfe wird in Notfällen gewährt (was den Krankentransport und die Aufnahme in ein staatliches Krankenhaus einschließt); mittellose Patienten werden minimal versorgt, dann aber nach einigen Tagen „auf eigenen Wunsch“ entlassen, wenn sie die Behandlungskosten und „Zuzahlungen“ an die Ärzte und das Pflegepersonal nicht aufbringen können. In diesem Fall erfolgt dann die weitere Behandlung ambulant oder nach Kostenübernahme durch Dritte. Neben der staatlichen Gesundheitsversorgung bildete sich in den vergangenen Jahren ein florierender privater medizinischer Sektor heraus, der gegen Barzahlung medizinische Leistungen auf annähernd europäischem Standard bietet und mit privaten Krankenversicherungen kooperiert. Die einschlägigen auf dem europäischen Markt registrierten Medikamente sind i.d.R. erhältlich. Seit der Einführung der administrativen Preisobergrenzen wird regelmäßig von Engpässen bei einigen Medikamenten berichtet. Kostengünstigere Ersatzmedikation wird aus Russland, der Türkei oder Pakistan eingeführt, soll aber teilweise von minderwertiger Qualität sein (AA 17.11.2020).
Die staatliche Pflicht-Krankenversicherung (MHI) wurde als Pilotprojekt in Mingachevir, Yevlakh und Aghash eingeführt und bietet 1829 medizinische Dienstleistungen im Rahmen des vorhandenen Leistungspakets an. Gemäß Gesetz sind medizinischen Dienstleistungen in staatlichen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen kostenfrei. Die meisten medizinischen Einrichtungen, zu denen öffentliche Krankenhäuser sowie Polikliniken gehören, werden staatlich geführt. Die Polikliniken bieten ausschließlich ambulante Behandlungen an, während Krankenhäuser und Fachkliniken sowohl ambulante als auch stationäre Dienste anbieten. Private medizinische Einrichtungen werden vom Gesundheitsministerium zugelassen, sind ansonsten aber unabhängig. Medikamente für die stationäre Behandlung ist kostenfrei, Patienten/-innen, die ambulant behandelt werden, müssen die Medikamente selbst bezahlen. Dies gilt nicht für Personen mit mit Krebserkrankungen, sowie psychischen Erkrankungen. Medikamente sind in Aserbaidschan verhältnismäßig teuer, da Apotheken generell unter privater Leitung stehen. Die Erhältlichkeit von Medikamenten ist jedoch meist gewährleistet (IOM 2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- AA – Auswärtiges Amt (3.12.2020b): Aserbaidschan: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aserbaidschan-node/aserbaidschansicherheit/201888#content_4 , Zugriff 9.12.2020
- EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (10.11.2020): Reisehinweise für Aserbaidschan, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/aserbaidschan/reisehinweise-fueraserbaidschan.html , Zugriff 9.12.2020
- IOM – Internationale Organisation für Migration (2019): Länderinformationsblatt Aserbaidschan 2019, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS%202019%20Aserbaidschan%20DE.pdf , Zugriff 10.12.2020
21. Rückkehr
Es gibt keine staatlichen oder sonstigen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer. Nach Kenntnis des deutschen Auswärtigen Amts müssen rückgeführte und freiwillig zurückreisende aserbaidschanische Staatsangehörige wegen ihrer Asylanträge im Ausland bei ihrer Rückkehr nicht mit staatlichen Zwangsmaßnahmen rechnen (AA 17.11.2020).
Auf der nationalen Ebene gibt es keine Unterstützung bei der Wohnungssuche für Rückkehrende. Dienstleister sind bei der Wohnungssuche und der Suche nach einem Job behilflich. Für Leistungen aus dem Sozialwesen müssen Rückkehrende sich an den staatlichen Sozialhilfefond der Republik Aserbaidschan wenden: http://sosial.gov.az/ . Weitere Informationen zur konkreten Unterstützung für Rückkehrende und Binnenvertriebene sind auf folgender Webseite verfügbar: http://idp.gov.az/en/content/7/parent/21 (IOM 2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- IOM – Internationale Organisation für Migration (2019): Länderinformationsblatt Aserbaidschan 2019, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS%202019%20Aserbaidschan%20DE.pdf , Zugriff 10.12.2020
22. Dokumente
Das Urkundenwesen hat sich in den vergangenen Jahren erheblich verbessert. Die Ausstellung von unechten Pässen, Personalausweisen oder Personenstandsurkunden kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, ist jedoch durch die zentrale Registrierung der Daten über die ASAN-Bürgerzentren deutlich erschwert. Auch falsche Parteiausweise sind im Umlauf. Funktionäre der Oppositionsparteien sollen in Einzelfällen gegen Entgelt bereit sein, über das politische Engagement von Personen Gefälligkeitsbescheinigungen auszustellen (AA 17.11.2020).
In der Vergangenheit haben die aserbaidschanischen Behörden sich geweigert, in Deutschland lebenden Personen mit armenischen Namen die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit zuzuerkennen, selbst wenn dies durch alte (sowjetische) Dokumente belegt werden konnte. Auch jetzt ist es für Personen mit armenischer Volkszugehörigkeit schwierig, aserbaidschanische Dokumente zu erhalten. Oftmals werden Anfragen seitens der Behörden ignoriert oder an andere Stellen verwiesen (AA 17.11.2020)
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
II.1.3.3. Anfragebeantwortung vom 03.08.2021 – Authentizität von Gerichtsurteilen und Ladungen
Sind die vorgelegten Gerichtsurteile und Ladungen authentisch?
…
Einzelquellen:
Der Vertrauensanwalt (VA) in Aserbaidschan gibt dazu an, dass das beigefügte Gerichtsurteil vom XXXX 2015 ein gefälschtes Dokument ist.
Anm.: Nähere Erläuterungen dazu können der Originalantwort des VA entnommen werden.
Bezüglich der beigefügten polizeilichen Vorladungen ist anzumerken, dass es schwierig ist, die Echtheit von polizeilichen Vorladungen vollständig zu überprüfen. Form und Wortlaut der polizeilichen Vorladungen sind in Artikel 226 der Strafprozessordnung der Republik Aserbaidschan festgelegt. Im Allgemeinen sollte in der Vorladung die verfahrensrechtliche Stellung der vorgeladenen Person angegeben werden (ob sie als Zeuge, Beschuldigter oder Verdächtiger vorgeladen wird). Diese gibt jedoch nicht den Status der vorgeladenen Person an, sondern weist allgemein darauf hin, dass gegen sie ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren läuft.
The attached court judgment dated on XXXX 2015 is fake document because of the following reasons:
- The judgment’s number is indicated as “ XXXX " is wrong. Because the judgments of the Azerbaijani courts are given specific numbers with the Law. The respective rules are determined by the No. 3-N Instruction of the Ministry of Justice of the Republic of Azerbaijan dated on 29 November 2011 "About improvement of the Instruction on conducting clerical work in the courts of the Republic of Azerbaijan". In pursuant to article 147 of the Instruction, judicial codes are used to ensure a single registration and reporting form for the judicial system of the Republic of Azerbaijan, as well as to differentiate the types of proceedings (materials) in the courts of first, appellate and cassation, as well as the Supreme Court. The following indices are established for registration in the Plenum of the Court:
▪ 1 - criminal case;
▪ 2 - civil proceedings;
▪ 2-1. proceedings on administrative disputes;
▪ 2-2. proceedings on commercial disputes;
▪ 3 - proceedings on cases on administrative offenses;
▪ ....
▪ 13 - civil proceedings in the Plenum of the Supreme Court of the Republic of Azerbaijan.
- As it seems from the Instruction, the number “13" is judicial code used for civil proceedings in the Plenum of Supreme Court of the Republic of Azerbaijan. Considering that the attached court judgment is about administrative offence case, its number should be “3" according to the Instruction.
Furthermore, the following number “(024)" is used for indicating the code of the respective court. According to the administrative rules, XXXX " but not “024" as it written in the attached court judgment.
The attached court judgment allegedly issued on XXXX is not authentic document for the following reasons:
o The attached court judgment registration number is indicated as “ XXXX " is wrong because as mentioned above, according to the Instruction of the Ministry of Justice (mentioned above), the administrative offences cases shall be registered under the number “3" but not “2". The number two is given to the civil cases (disputes) in all Azerbaijani courts.
o Furthermore, in both attached court judgments are consist of one page which is not usual practice of the Azerbaijani Courts in case of ruling the administrative arrest cases. The relevant judgments are usually consisting of at least three – four pages depending on the circumstances of the cases. Because Courts are required to describe the circumstances of each case detailed to justify their conclusion. However, it seems that both attached court judgments are simply and poorly adopted and could hardly be seen in the practice. Courts issue decision in one page only when they issue a decision on procedural but not on the merits.
Regarding attached police summons, it is worth to noting that it is difficult to fully check the authenticity of such police summons. The police summons’ form and text are determined by article 226 of the Criminal Procedure Code of the Republic of Azerbaijan. In general, summons should state the procedural capacity of the summoned person (whether he/she is summoned as a witness, accused or suspect). However, it does not indicate the status of the summoned person but generally indicates that there is a criminal investigation about you.
VB des BM.I für Georgien und Aserbaidschan (2.8.2021): Auskunft des VA Aserbaidschan per email
II.1.3.4. Anfragebeantwortung vom 03.08.2021 – Aserbaidschanische Demokratische Partei
An welcher Adresse liegt das Parteilokal der demokratischen Partei in Baku bzw. wo war die Parteizentrale im Jahr 2015 angesiedelt?
…
Einzelquellen:
Der Vertrauensanwalt (VA) in Aserbaidschan gibt dazu an, dass die aktuelle Adresse: Aliashar Alizade Street 31, Baku city. Postal code: AZ1008, lautet.
Laut dem Interview des Parteivorsitzenden im Jahr 2013 hat die Demokratische Partei ihren Sitz in der Alashraf-Alizadeh-Straße 13 seit 1992 für 25 Jahre vom Staat gemietet. Doch das Gebäude gehört nicht der Partei, sondern der Zeitung Hürriyet. Mit anderen Worten: Die Zeitung hat einen Teil des Gebäudes an die Partei vermietet. Im Gegenzug zahlt die Partei zusammen mit der Zeitung Hürriyet eine monatliche Miete von 600 Manat. Der ADP-Vorsitzende Sardar Jalaloglu sagte, dass sie alle Bedingungen für die Parteizentrale selbst geschaffen hätten.
The current address of the Democratic Party in Baku is: Aliashar Alizade Street 31, Baku city. Postal code: AZ1008.
Telephone: (+99412) 496-07-22; (+99412) 496-96-20; (+99412) 496-97-01; (+99412) 496-96-19; Fax: (+99412) 496-96-19
According to the interview of the head of the Party in 2013, the Democratic Party has leased its headquarters at 13 Alashraf Alizadeh Street from the state for 25 years since 1992. But the building is not on the balance of the party, but on the balance of the Hürriyet newspaper. In other words, the newspaper leased part of the building to the party. In return, the party, together with the Hürriyet newspaper, pays a monthly rent of 600 manat. Speaking about the state of the party's headquarters, ADP chairman Sardar Jalaloglu said that they created all the conditions themselves.
VB des BM.I für Georgien und Aserbaischan (2.8.2021): Auskunft des VA Aserbaidschan per email
Wie stellt sich die Lage für Anhänger der demokratischen Partei in Aserbaidschan dar? Inwieweit ist die demokratische Partei derzeit aktiv?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
wie oben.
Zusammenfassung:
Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass einige Parteimitglieder in der Vergangenheit Repressionen ausgesetzt waren. Die Aktivität der Partei beschränkt sich auf Interviews des Parteivorsitzenden im Internet.
Einzelquellen:
Der Vertrauensanwalt (VA) in Aserbaidschan gibt dazu an, dass aufgrund der häufigen Beteiligung der Partei an Koalitionen und Blöcken mit echten Oppositionsparteien von Anfang der 2000er Jahre bis Anfang 2010 einige ihrer Mitglieder Berichten zufolge in der Vergangenheit verschiedenen polizeilichen Schikanen und Verhaftungen ausgesetzt waren. Es ist jedoch schwierig, dieser Partei jetzt systematische und massenhafte Verhaftungen und politischen Druck zuzuschreiben. Vor allem seit Anfang 2010, insbesondere nach 2013, hat sich die Aktivität der Partei abgeschwächt, und ihre Aktivitäten beschränken sich auf die Interviews des Parteivorsitzenden Sardar Jalaloglu im Internet. Es sind keine weiteren substanziellen Aktivitäten zu verzeichnen, die darauf schließen lassen, dass die Partei möglicherweise staatlich orchestrierten Schikanen ausgesetzt ist.
Due to the party's frequent participation in coalitions and blocs with genuine opposition parties from the early 2000s to early 2010, some of its members have reportedly been subjected to various police harassment and arrests in the past. However, it is difficult to attribute systematic and mass/numerous arrests and political pressure to this party now. Especially since the beginning of 2010, especially after 2013, the party's activity has weakened, and its activities are limited to the interviews of the party chairman Sardar Jalaloglu on the Internet. No further substantive activities are recorded to conclude that the Party might be subject to government orchestrated harassment.
VB des BM.I für Georgien und Aserbaischan (2.8.2021): Auskunft des VA Aserbaidschan per email
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gibt in seinem Länderbericht zum Parteiensystem in Aserbaidschan zur ADP an:
Azerbaijan Democratic Party ADP (Azərbaycan Demokrat Partiyası – Demokratische Partei Aserbaidschans)
Die Azerbaijan Democratic Party wurde 1992 in Nachitschewan gegründet. Es handelt sich um eine liberale Oppositionspartei, die sich im Jahr 2000 mit der Partei “Demokratischer Weg" zusammengeschlossen hat. Parteivorsitzender ist Rasul Bayram Gulijev. Bei der ADP handelt es sich nicht um eine echte Oppositionspartei, da sie sich im Wesentlichen loyal zur Regierung verhält. Bei der Parlamentswahl 2020 erhielt sie keinen Sitz.
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (4.2020): Länderreport 23; Aserbaidschan; Das Parteiensystem, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Laenderreporte/2020/laenderreport-23-aserbaidschan.pdf?__blob=publicationFile&v=2 , Zugriff 29.6.2021
Gibt es Berichte über Verfolgung (Diskriminierung) einfacher Mitglieder oder Mitglieder in gehobener Parteiposition der demokratischen Partei?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
Es konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Internetrecherche in deutscher und englischer Sprache mit den zur Verfügung stehenden öffentlichen Internetquellen keine Informationen zu dieser Frage gefunden werden, weshalb diese an den Verbindungsbeamten (VB) des BM.I weitergeleitet wurde.
Eine Beschreibung der verwendeten Quelle kann, sofern diese nicht schon vor der Information angeführt ist, unter www.staatendokumentation.at sowie auch in der dort archivierten Methodologie der Staatendokumentation eingesehen werden.
Zusammenfassung:
siehe Einzelquellen.
Einzelquellen:
Der Vertrauensanwalt (VA) in Aserbaidschan gibt zu dieser Fragestellung zusammengefasst an, dass die Mitgliedschaft in einer echten Oppositionspartei ein entscheidender Faktor für polizeilichen Druck, Strafverfolgung und Schikanen in Aserbaidschan sein kann.
In vielen Fällen kann die Tatsache der Mitgliedschaft allein nicht ausschlaggebend dafür sein, dass eine Person im aserbaidschanischen Kontext Angst vor Strafverfolgung hat, wenn es um die Gewährung von Asyl geht. Nichtsdestotrotz geht Aserbaidschan systematisch gegen Oppositionsparteien und ihre Mitglieder vor, aber diese systematische Repression richtet sich nicht pauschal gegen gewöhnliche Mitglieder oder Mitglieder politischer Parteien, die nicht als echte Oppositionsparteien angesehen werden können und gegen die die Regierung vorgeht.
Aus meinen bisherigen Ausführungen in der Beantwortung der Anfrage lässt sich schließen, dass die Demokratische Partei Aserbaidschans keine echte Oppositionspartei ist, die von der Regierung systematisch unterdrückt wird, und ihre Mitglieder werden nicht aufgrund ihrer alleinigen Mitgliedschaft von der Regierung ins Visier genommen.
Die Partei arbeitet in ihrem Büro ohne Einmischung der Regierung. Und es gibt keine Berichte über die Verfolgung und Belästigung von Mitgliedern der Partei. In seltenen Fällen kann es jedoch vorkommen, dass einige wenige Parteimitglieder, die sich den Protestkundgebungen der echten Oppositionsparteien anschließen, von den Behörden verhaftet werden.
In dem beigefügten Empfehlungsschreiben gibt die Partei an, dass der Antragsteller seit 2003 Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt ist. Dies könnte in gewisser Weise zutreffen, da die Demokratische Partei im Jahr 2003 zu den politischen Blöcken der echten Oppositionspartei gehörte und ihre Mitglieder möglicherweise wirklich unter Druck der Polizei standen.
Es muss jedoch festgestellt werden, dass die Partei derzeit keine echte Oppositionspartei ist.
In Anbetracht der bestehenden politischen Verhältnisse in Aserbaidschan kann gesagt werden, dass die alleinige Mitgliedschaft sogar in einer echten politischen Oppositionspartei kein ausschlaggebender Faktor/Grund für die Befürchtung einer strafrechtlichen Verfolgung oder eines anderen Drucks auf eine bestimmte Person sein kann.
In Aserbaidschan werden aktive und bekannte Mitglieder echter Oppositionsparteien in der Regel wegen ihrer regelmäßigen und systematischen Arbeit in Parteien, Medienorganisationen oder sozialen Netzwerken bedroht oder unter Druck gesetzt. Dieser Druck wird immer häufiger ausgeübt, wenn sie aktiv an der Organisation von Protestkundgebungen teilnehmen, Einladungen zu Protestkundgebungen verbreiten oder eine aktive Rolle in den Medien und sozialen Netzwerken spielen, indem sie einen scharfen Ton gegen die Regierung anschlagen. Aktive Mitglieder werden in der Regel auf dem Verwaltungsweg festgenommen. Sehr aktive Mitglieder können aber auch mit erfundenen Strafanzeigen verfolgt werden, wie es die Regierung regelmäßig tut. In solchen Fällen wird über diese Art von Druck und Strafverfolgung gegen Mitglieder politischer Parteien in den Medien und sozialen Medien ausführlich berichtet, insbesondere in den Reden der Parteiführer und auf den Social-Media-Konten der aktiven Mitglieder. In dieser Hinsicht bedarf das Fehlen des öffentlichen Auftritts und der Sichtbarkeit bestimmter Personen einer äußerst überzeugenden Rechtfertigung.
Darüber hinaus kann auch ein enger Kontakt zu den Parteiführern oder den Leitern von Parteiorganen ein Grund für Druck oder andere Arten der Einschüchterung sein. Alleinige Behauptungen über diese Art von Druck sind jedoch meist nicht authentisch. In Wirklichkeit erfordern solche Behauptungen eine große Medienpräsenz und eine authentische Dokumentation. Folglich ist die alleinige Mitgliedschaft in einer echten oder nicht echten Oppositionspartei in Aserbaidschan kein ausschlaggebender Faktor für die Strafverfolgung.
In generally, the membership of a genuine opposition party may have a decisive factor for police pressures, prosecution, and harassment in Azerbaijan.
However, it needs to be established several facts in this situation. In many cases, a sole membership fact cannot be a decisive factor for establishing fear of prosecution in terms of standard of granting asylum to the person in Azerbaijani context. Nevertheless, Azerbaijan is really carrying out systematic repression against opposition parties and its members, but such systematic repression is not a blanked / widespread against ordinary members or members of political parties that could not be considered as genuine opposition party which is targeted by the government.
In the view above, it can be concluded Azerbaijan Democratic Party is not a fully and genuine opposition party that is under systematic repression of the government. And its members are not targeted due to their sole membership by the government unless there is not a specific circumstance of the individual to believe that may put him/her at risk.
Because the Party operates in its office without interferences by the government. And there are no reports of prosecution and harassment of the Party’s members. However, there are a rare situation where the Party’s a few members who can join the genuine oppositional parties’ protests rallies and can be subject to administrative arrests.
It must be noted that Austrian authorities may expose the role of the person in the
opposition party through the requesting of articles or other interview given by him/her or politically active and well-known persons’ references. In the attached recommendation letter, the Party states that the applicant is subjected to arrests, harassments since 2003. It might be somehow true because in 2003, the Democratic Party was among the political blocs of the genuine opposition party and its members might be really under pressure of police.
However, it needs to be noted that the Party currently is not a genuine opposition party.
Having regard existing political circumstances in Azerbaijan, it can be said that sole membership even to a genuine oppositional political party cannot be a decisive factor/reason for establishing fear of prosecution or other kind of pressures against specific person.
In fact, in Azerbaijan, active and well-known members of genuine oppositional political parties usually become target of threats or pressures for their regular and systematic work within parties, media organizations or social networks. Such pressures are become more frequent while they are taking active part to organize protests rallies, disseminate invitation letters to invite people to protest rallies, or playing active role in media and social networks by using harsh tone against government. Active members usually face administrative arrests. But very active members can be prosecuted with fabricated criminal charges as always government regularly do. In such cases, these kind of pressures and prosecutions- against members of the political parties are well covered in the media and social media, especially in the speeches of the political party leaders and active members’ social media accounts. In this regard, lack of public appearance and visibility of specific persons shall require exceedingly persuasive justification.
Furthermore, to be in close contact with the party leaders or leaders of party bodies may also be reason for pressure or other kind of intimidation. But sole statement of such kind of pressures are mostly not authentic. In reality, such allegations require serious media visibility and authentic documentation. Consequently, sole membership to genuine or not a genuine opposition parties are not decisive factor of prosecution in Azerbaijan unless there is not concrete circumstance or reasons to believe that. In the case of this applicant, the Party’s reference letter notes that the applicant is subject to harassment since 2003 until 2012. This might be checked whether this harassment and persecution is actual now for the applicant.
VB des BM.I für Georgien und Aserbaidschan (2.8.2021): Auskunft des VA Aserbaidschan per email
II.1.3.5. Anfragebeantwortung vom 03.08.2021 – Parteimitgliedschaft der bP 1
Ist die bP tatsächlich Mitglied der demokratischen Partei?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
Aufgrund der personenspezifischen Art der Frage wurde die Anfrage nach ergebnisloser zeitlich begrenzter Eigenrecherche an den Verbindungsbeamten (VB) des BM.I mit dem Ersuchen um Recherche weitergeleitet.
…
Einzelquellen:
Der Vertrauensanwalt (VA) in Aserbaidschan gibt dazu an, dass nach den von den Parteifunktionären erhaltenen Informationen der beigefügte Mitgliedsausweis und das von der Partei ausgestellte Empfehlungsschreiben authentisch sind. Die Bestätigung kam von XXXX dem ersten Stellvertreter der Partei.
According to the information obtained from the Party officials (through the contact person who was worked in the Party in the past), the attached membership card and recommendation letter issued by the Party is authentic. The confirmation came from the XXXX (who signed the letter on behalf of the Party), the first deputy of the Party.
VB des BM.I für Georgien und Aserbaidschan (2.8.2021): Auskunft des VA Aserbaidschan per email
II.1.4. Behauptete Ausreisegründe aus dem Herkunftsstaat
Es kann nicht festgestellt werden, dass die bP den von ihnen behaupteten Gefährdungen ausgesetzt waren bzw. im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit solchen Gefährdungen ausgesetzt wären.
Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass die bP im Falle einer Rückkehr in die Republik Aserbaidschan über keine Existenzgrundlage verfügen würden.
Die bP 1 leidet an keiner Krankheit (Rückenbeschwerden), die in Aserbaidschan nicht behandelbar wäre und steht der bP 1 im Falle einer Rückkehr nach Aserbaidschan das dortige Gesundheitssystem offen.
2. Beweiswürdigung
II.2.1. Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren sowie eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.
II.2.2. Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich der bP ergeben sich –aus ihren in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben sowie ihren Sprach- und Ortskenntnissen und den seitens der bP vorgelegten Bescheinigungsmittel sowie insbesondere den von der bB eingeholten CVIS-Auskünften.
II.2.3 Zu der getroffenen Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen -sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges- handelt, welche es ermöglichen, sich ein umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Die getroffenen Feststellungen ergeben sich durch eine ausgewogene Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen ausreichende Aktualität zu.
Die bP traten auch den Quellen und deren Kernaussagen nicht konkret und substantiiert entgegen.
II.2.4. In Bezug auf den weiteren festgestellten Sachverhalt ist anzuführen, dass die von der belangten Behörde vorgenommene freie Beweiswürdigung (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76; Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305) im hier dargestellten Rahmen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze im Wesentlichen von ihrem objektiven Aussagekern her in sich schlüssig und stimmig ist.
II.2.4.1. Im Rahmen der oa. Ausführungen ist durch das erkennende Gericht anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten -–z. B. gehäufte und eklatante Widersprüche ( z. B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z. B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461)- zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.
Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [nunmehr dem erkennenden Gericht] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden. (VwGH v. 29.6.2000, 2000/01/0093).
II.2.4.2. Nachvollziehbar hielt bereits die belangte Behörde fest, dass die von den bP angegebenen Gründe für das Verlassen Aserbaidschans nicht glaubhaft sind und damit nicht festgestellt werden kann, dass sie in Aserbaidschan Verfolgungshandlungen seitens der Polizei oder sonstiger staatlicher Behörden ausgesetzt waren oder solche für die Zukunft zu befürchten sind. Vorweg ist festzuhalten, dass sich die bP Visa bei der Deutschen Botschaft in Baku ausstellen haben lassen und mit ihren Reisepässen legal ausgereist sind, was bei einer staatlichen Verfolgung wie geschildert, insbesondere für die bP 1 nicht möglich gewesen wäre, welche auch im Rahmen ihres Autohandels bereits zwischen 2004 und 2013 oder 2014 mehrmals nach Deutschland gereist ist. Dass der bP 1 bei tatsächlich staatlicher Verfolgung noch im März 2015 unmittelbar vor der Ausreise ein Reisepass ausgestellt wird, ist ebenfalls nicht glaubwürdig und zeigt bereits dies vielmehr, dass die bP nicht plötzlich aus gegründeter Furcht vor Verfolgung, sondern im Rahmen einer länger vorbereiteten Ausreise ausgereist sind. Darüber hinaus erhellte sich, dass die bP gerade nicht in Deutschland besuchen wollten, sondern vielmehr die Visa beantragten, um in Österreich einen Asylantrag zu stellen. Zudem ging ein Dublin- Verfahren ins Leere und wurde von den bP über die Identitäten der Kinder und der bP 2 getäuscht. Ihre Identitäten erhellten sich erst bei genauerer Recherche durch die bB, was bereits ein wesentliches Indiz dafür darstellt, dass es den bP an Glaubwürdigkeit mangelt und sie nicht davor zurückschrecken, die Behörden – selbst über ihre Identität – zu täuschen.
Die bP 2 hat letztlich keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht und sich auf die Fluchtgründe ihres Ehegatten bezogen. Sie vermochte mit ihren eigenen Angaben jedoch dessen Fluchtgründe nicht zu bestätigen, vielmehr traten zwischen den Angaben der bP 1 und 2 diverse Widersprüche auf und haben sie insbesondere das Vorbringen im Verfahren mehrfach gesteigert, was ein weiteres Indiz für die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens neben den Widersprüchen darstellt. Vor allem haben die Anfragebeantwortungen jedoch ergeben, dass es sich bei dem von der bP 1 vorgelegten Gerichtsurteilen um Fälschungen handelt und generell nicht von einer systematischen Verfolgung von Mitgliedern einer Oppositionspartei und gerade im Fall der bP 1, welche kein Mitglied in einer wirklichen Oppositionspartei ist bzw. kein höherrangiges Mitglied in der demokratischen Partei ist, ausgegangen werden kann.
II.2.4.3. Zum gesteigerten Vorbringen ist festzuhalten, dass wenn die bB den Angaben der bP und hier insbesondere der bP1 vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine entsprechende Gewichtung zuspricht, dem nicht entgegengetreten werden kann. Im Hinblick auf das Erkenntnis des VfGH vom 27.6.2012, U 98/12 ist auszuführen, dass das ho. Gericht die vom genannten Höchstgericht aufgezeigten Spezifika der Befragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht verkennt, es ist jedoch auch festzuhalten, dass dem genannten Erkenntnis ein völlig anders gelagerter Sachverhalt zu Grunde liegt, zudem es sich beim dortigen Asylwerber um einen psychisch angeschlagenen und von den Strapazen der Schleppung gezeichneten jugendlichen Afghanen handelte, der über traumatische Ereignisse aus seiner Kindheit berichtete und dem ho. Gericht vorgeworfen wurde, diese Umstände zu wenig berücksichtigt zu haben ("Der AsylGH ist bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers zur umfassenden Auseinandersetzung mit allen relevanten Gesichtspunkten verpflichtet. Dazu gehört beispielsweise auch seine psychische Gesundheit, bei deren Beeinträchtigung ein großzügigerer Maßstab an die Detailliertheit seines Vorbringens zu legen ist (VfSlg. 18.701/2009). Auch das Alter und der Entwicklungsstand des Beschwerdeführers sind zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführer war im Zeitpunkt der behaupteten Ermordung seines Vaters ungefähr acht Jahre alt. Der AsylGH qualifiziert die Schilderung der Ermordung des Vaters als detailarm, unpräzise und unkonkret, erwähnt das kindliche Alter des Beschwerdeführers zu dem Zeitpunkt aber mit keinem Wort. Bei der gebotenen Würdigung des durchschnittlichen Entwicklungsstandes eines achtjährigen Kindes hätte sich der AsylGH mit dem Alter des Asylwerbers auseinander zu setzen gehabt und einen dementsprechenden Maßstab an die Detailliertheit der Eindrücke des Beschwerdeführers anlegen müssen. Das gilt umso mehr für die Schilderung der politisch motivierten Feindschaft zwischen dem Vater des Beschwerdeführers, der mit den Taliban zusammengearbeitet habe, und seinem Mörder, einem Angehörigen der Hezb-e Wahdat Partei, weil der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des zu ermittelnden Sachverhaltes höchstens sechs Jahre alt war. Auch bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens wird das kindliche Alter des Beschwerdeführers mit keinem Wort erwähnt."). Dem AsylGH wurde nicht vorgeworfen, dass er die Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes berücksichtigte und kann dem genannten Erkenntnis nicht entnommen werden, dass den Angaben der bP vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Ausreisegrund generell kein Beweiswert zukommt, sondern führt das Höchstgericht aus, dass im Rahmen der Beweiswürdigung die Spezifika dieser Befragung besonders zu berücksichtigen sind. Hier ist auch auf die Regierungsvorlage zu § 19 AsylG (RV 952 XXII. GP ) hinzuweisen, der ua. Folgendes zu entnehmen ist: " ... Die Befragung hat den Zweck die Identität und die Reiserouten des Fremden festzustellen, nicht jedoch im Detail befragend, welche Gründe ihn bewogen haben, seinen Herkunftsstaat zu verlassen. Eine generelle Aufnahme der antragsbegründenden Fluchtgründe, ohne kontradiktorische Befragung, ist auch im Rahmen der Befragung … möglich. [Anm.: Unterstreichung nicht im Original]..."
Im gegenständlichen Fall handelte es sich bei den volljährigen bP bereits bei der Antragstellung um volljährige, nicht ungebildete Menschen, welche nicht schwerpunktmäßig über lange zurückliegende Ereignisse aus ihrer Kindheit berichteten. Ebenso kann davon ausgegangen werden, dass die bP durch die Befragung durch die ho. Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht überfordert waren. Auch ergaben sich keine Hinweise, dass sie vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes in relevanter Weise verängstigt gewesen wären und wählten sie den Zeitpunkt der Antragstellung sichtlich von sich aus, indem sie diese zur Stellung eines solchen Antrages aufsuchen. Sie wussten, dass sie sich in Österreich befinden. Weiters wurden die befragten bP am Beginn der Befragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes belehrt, dass ihre Angaben eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung des Bundesasylamtes darstellen und ist auch anzunehmen, dass sich im gegenständlichen Fall die Reisebewegung von Aserbaidschan im Lichte des bereits festgestellten Sachverhalts als weitaus weniger anstrengend darstellte, als eine solche von Afghanistan nach Österreich. Auch finden sich im von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgenommenen Befragungsprotokoll keine Hinweise, dass sich der Gesundheitszustand bzw. der sonstige allgemeine Zustand der bP so schlecht darstellte, dass sie nicht in der Lage gewesen wären, der Befragung zu folgen und vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu machen. So zeigt auch der Inhalt des Protokolls, dass sie in der Lage waren, an sie gerichtete Fragen vollständig zu beantworten und bestehen keine Hinweise, dass die Postulationsfähigkeit bei der Schilderung der Ausreisegründe bzw. Rückkehrhindernisse eine herabgesetzte gewesen wäre.
Vor dem Hintergrund der oa. Ausführungen, insbesondere unter Beachtung des Erk. d. VfGH vom 27.6.2012, U 98/12, sowie dem Zweck der Befragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (ua. eine generelle Aufnahme der antragsbegründenden Fluchtgründe, ohne kontradiktorische Befragung) ist im gegenständlichen Fall davon auszugehen, dass das ho. Gericht und die bB nicht angehalten sind, die Angaben der bP vor dem öffentlichen Sicherheitsdienst zum Ausreisegrund zu ignorieren, sondern konnten diese im hier durchgeführten Umfang berücksichtigt und in die Beweiswürdigung aufgenommen werden.
Tatsächlich stützt sich die bP 1 im Rahmen der Erstbefragung im Wesentlichen darauf, dass sie Anhänger der Müsavat-Partei gewesen sei und ihr Bruder, welcher diese Partei finanziell unterstützt habe, vermutlich vom Staat vergiftet worden und später in der Türkei verstorben sei. Die bP 1 selbst wäre mit dem Umbringen der Kinder bedroht worden. Zudem habe man ihnen ein Grundstück weggenommen und dem Bruder eines Politikers zugeschrieben. Dafür wäre das Haus der Familie gestürmt, das Grundbuch weggenommen und die bP 1 gefoltert worden, um sie zu einer Unterschrift über die Schenkung des Grundstücks zu bringen.
In der Einvernahme vor der bB erwähnte die bP 1 die Probleme mit dem Grundstück, im Rahmen derer sie gefoltert worden wäre, gar nicht mehr. Es kann auch entgegen den Angaben in der Beschwerde nicht davon ausgegangen werden, dass die Einvernahme der bP 1 tatsächlich aus gesundheitlichen Problemen nicht möglich gewesen wäre. Sie traf teilweise langwierige, protokollierte Angaben zu Fragen und erweckten ihre Angaben keinesfalls den Anschein, dass sie an einer Konzentrationsstörung leiden würde. Ein Schädel-Hirn Trauma in den 90er Jahren vermag diese auch nicht zu stützen und wurden keinerlei aktuellen Befunde vorgelegt, die generelle Konzentrationsstörungen der bP 1 oder explizit gesundheitliche Probleme der bP 1 im Rahmen der Einvernahme vor der bB belegen würden. Vielmehr war diese Behauptung lediglich als Schutzbehauptung zu werden, um einen Grund zu finden, die teilweise vagen Antworten zu erklären und gab die bP auch vor dem BVwG an, einvernamefähig zu sein und lediglich an Rückenbeschwerden zu leiden. An dieser Einschätzung vermag auch der mit Stellungnahme vom 08.10.2021 übersetzte, vorgelegte medizinische Befund aus dem Jahr 1993 nichts zu änder und können die noch dazustellenden gravierenden falschen Angaben der bP 1 damit nicht erklärt werden. Zu den Rückenbeschwerden ist festzuhalten, dass sich diese wohl nicht als besonders gravierend darstellen können, da die bP offensichtlich in ihrer Freizeit mit den Kindern Volleyball spielen kann. Die bP 2 behauptete vor der bB noch psychische Probleme, diese führte sie jedoch nunmehr in der Verhandlung nicht mehr an.
Soweit die bP 1 Widersprüche dadurch erklärt, es habe Probleme mit der Dolmetscherin gegeben, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die behauptete Mangelhaftigkeit der Niederschrift nicht greifen kann, wenn die Niederschrift Wort für Wort rückübersetzt wurde und die bP mit der Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Niederschrift bestätigte (vgl. dazu auch VwGH 14.10.1992, 92/01/0399; 10.03.1993, 92/01/0879). Die bP 1 stellte auch nur in den Raum, dass keine armenischstämmige Dolmetscherin herangezogen hätte werden dürfen, inwiefern die Dolmetscherin aber aufgrund der Abstammung nicht befähigt gewesen wäre, in der Einvernahme zu dolmetschen, wurde gar nicht erörtert und wurde auch nicht konkret ausgeführt, in welchem Zusammanhang sie aufgrund ihrer Abstammung bzw. wegen des Aserbaidschan-Armenien Konflikts falsch übersetzt hätte.
Zudem erhellt sich auch nicht, warum die bP erstbefragt lediglich von der Müsavat-Partei sprach, und in der Einvernahme vor der bB plötzlich erstmalig behauptet, sie hätte 93-94 die Oppositionelle Volksfront unterstützt, wäre von 2000 – 2003 nur Sympathisant der Müsavat Partei gewesen und sei seit 2013 registriertes Mitglied der Aserbaidschanischen Demokratischen Partei (ADP). Erstmalig in der Einvernahme vor der bB erwähnte die bP 1 dann auch Demonstrationsteilnahmen, Anhaltungen, Festnahmen und Folterungen im Zuge dessen, wobei davon auszgehen wäre, dass die bP 1 derart gravierende Umstände jedenfalls gleich zu Beginn im Rahmen der ersten Befragung zum Asylantrag schildert. Die bP 2 zeigte im Zusammenhang mit der Steigerung des Vorbringens genau das gleiche Verhalten wie die bP 1.
Waren diese gesteigerten Angaben an sich schon nicht glaubwürdig, da auch der Verwaltungsgerichtshof davon ausgeht, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann, zumal ein Asylwerber keine sich bietende Gelegenheit ungenützt vorübergehen lassen würde, ein zentrales entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten (vgl. VwGH, 07.06.2000, 2000/01/0250), standen der Annahme von Problemen bzw. Übergriffen auf die bP 1 im Zusammenhang mit ihrer Parteizugehörigkeit und Festnahmen im Zusammenhang mit Demonstrationen auch die widersprüchlichen Angaben hierzu entgegen. So gab die bP 1 vor der bB an, dass der bP 2 im Jahr 2008 zu Hause von Männern in zivil die Nase gebrochen worden sei und sie damals auch ein Kind verloren habe. Sie selbst sei da nicht zu Hause gewesen. Die bP 2 gab vor der bB hierzu jedoch an, dass die bP 1 zu Hause gewesen sei und ihr beim Versuch, der bP 1 zu Helfen 2008 die Nase gebrochen worden sei. Das Kind habe sie erst bei einem weiteren Vorfall im Jahr 2012 verloren. Die bP 1 und 2 sprachen daher unterschiedlich bereits von einem bzw. zwei Vorfällen, konnten den an sich bei Vorliegen des Umstandes einschneidenden Erlebnisses des Verlustes eines Kindes nicht übereinstimmend angeben und konnten die bP 1 und 2 auch in der Verhandlung vor dem BVwG diese behaupteten Übergriffe nicht stimmig schildern. Hingewiesen wird darauf, dass entgegen den Angaben der bP laut dem vorgelegten Befund aus Österreich der bP 2 ein Nasenbruch im Jahr 2008 nicht verifiziert werden konnte. Weiters können derartige Verletzungen auf vielerlei Ursachen rückführbar sein und vermögen diese das – aufgrund der dargestellten gravierenden Widersprüchlichkeiten im hohen Maße unglaubwürdige – Vorbringen nicht zu untermauern.
In der Verhandlung gab die bP 1 befragt zu den Fluchtgründen auch schlicht an, dass sie Mitglied der ADP gewesen sei. Nachgefragt zu den Aufgaben für die Partei führte sie aus, dass sie Wähler gewinnen hätte sollen und vor den Wahlen Broschüren verteilt habe. Vor der bB führte sie zu ihrer Aufgabe als Mitglied der Oppositionspartei ADP an, sie hätte vor Schulen an Eltern Flugblätter verteilt, vor der Präsidentenwahl Plakate aufgehängt und bei den (erlaubten) Demonstrationen die Parolen weitergegeben sowie die Leute dazu ermutigt bei den Demonstrationen zu bleiben. Auch in der Verhandlung konnte die bP 1 keinen plausiblen Grund dafür nennen, warum gerade sie von der Polizei gesucht werden sollte und beispielsweise nicht etwa auch ihre Parteikollegen, bei denen gemäß Angaben vor der bB angeblich nach der Ausreise immer wieder nach der bP 1 gefragt worden sei. Dass die bP tatsächlich in einer herausragenden Weise für die Aserbaidschanische Demokratische Partei tätig gewesen wäre oder eine hohe Position inne gehabt hätte, erhellte sich in der Verhandlung genauso wenig, wie dass sie tatsächlich Übergriffen ausgesetzt gewesen wäre.
In der Verhandlung gab sie befragt zu den genauen Fakten zu den angeblichen Übergriffen lediglich an, dass sie keine Anzahl nennen könne, aber es sei mehrmals bei Meetings gewesen, 6-7 Mal. Es war ihr absolut nicht möglich, auch nur einen Vorfall zeitlich einzuordnen, genauer zu beschreiben und ordnete sie sogar den angeblich letzten Übergriff zeitlich lediglich dahingehend ein, dass sie „glaube“, dies wäre im Jahr 2015 gewesen. Es wären ca. 2000 – 3000 Personen bei diesen Veranstaltungen dabei gewesen, wobei sie auch nicht wisse, wie viele Personen festgenommen wurden, sie sei hinten in der Menschenmenge gestanden und habe keine Ansprachen gehalten. Gerade die Personen, die Ansprachen gemacht hätten, hätte man nicht festgenommen. Sie erstattete ein absolut undetailliertes, vages Vorbringen, wobei sie nunmehr keinerlei Details zu den angeblichen Folterungen mehr vorbrachte und zudem am Ende der Befragung in der Verhandlung durch die rechtsfreundliche Vertretung nicht nur vage in den Angaben blieb, sondern sogar letztlich vermeinte, vielleicht wäre der Vorfall, den sie gerade zu schildern versuchte, doch nicht 2015 sondern 2012 gewesen und erwähnte sie in diesem Zusammenhang auch vorerst den Verlust des Kindes mit 2015, hinsichtlich dessen die bP 1 nummehr insgesamt 3 verschiedene Jahreszahlen angab.
Nach den Anfragebeantwortungen ist es zudem nicht nachvollziehbar, dass eine Person allein aufgrund ihrer („normalen“) Aktivitäten für eine legale Oppositionspartei wie die ADP (ganz hinten in der Menschenmenge gestanden) respektive bei legalen Demonstrationen in Aserbaidschan Repressalien seitens der Behörden oder Sicherheitskräfte zu erwarten hätte und wären entgegen der diesbezüglichen Angaben der bP 1 gerade höherrangige Parteimitglieder oder Personen, die sich öffentlich äußern, eher von Problemen betroffen. Dass es in den vage von der bP 1 angegebenen Zeiträumen in Aserbaidschan zu Problemen gekommen ist, wie dies auch aus den in der Stellungnahme vom 27.10.2017 zitierten Berichten ersichtlich ist, wird vom BVwG nicht verkannt. Nur weil sich ein Vorbringen mit den Länderfeststellungen in Einklang bringen lässt, ist aber letztlich das Vorbringen an sich noch nicht bewiesen. Dies kann lediglich ein Indiz sein, wobei aber eine Vielzahl von Fakten gegen die Glaubwürdigkeit der bP spricht.
Insbesondere ließen sich schon die Angaben der bP 1 vor der bB zu den Gründen für ihre angeblichen Festnahmen und Verhaftungen nicht mit den Inhalten der vorgelegten Gerichtsurteile in Einklang bringen und stand die durch das BVwG eingeholte Anfragebeantwortung betreffend die vorgelegten Urteile den Angaben der bP 1 diametral gegenüber. Über Vorhalt, dass sich aus den Anfragebeantwortungen ergibt, dass die Gerichtsurteile gefälscht sind, grinste die bP 1 in der Verhandlung lediglich und verwies vage darauf, dass eigentlich von der Polizei nichts ausgehändigt werde, wenn sie selbst die Verletzungen verursacht und es Fälle gäbe, wo man zum EGMR gehen müsse, wobei dort Personen schon gewonnen hätten. Einerseits vermeinte sie damit, dass natürlich gefälschte Bestätigungen ausgehändigt werden würden, da keine Behörde zugebe, dass sie selbst Gewalt ausübe. Andererseits gestand sie ein, dass für geschädigte Personen in Aserbaidschan der Rechtsweg bis zum EGMR offensteht und dort auch Leute gewinnen würden. Widersprüchlich zum Umstand, dass vor dem EGMR Personen letztlich ihr Recht durchsetzen könnten, gab sie dann dazu befragt, ob sie sich selbst an Institutionen gewandt habe an, dass alle Staatsanwälte gekauft und der Ombudsmann eine 80-jährige Frau sei. Entgegengetreten ist die bP mit diesen Angaben der Anfragebeantwortung damit nicht. Die bP 2 gab von der rechtsfreundlichen Vertretung als „Juristin“ in der Verhandlung dazu befragt, was sie davon halte, dass die Gerichtsurteile gefälscht sein sollen ausweichend an, dass dies bei ihnen normal sei und man die Leute schlecht behandeln würde. Einen Erklärungsversuch, wie denn die Familie überhaupt zu dem gefälschten Dokument gekommen sein kann, setzten die bP nicht einmal.
Auch die beiden englischsprachigen Schreiben des stellvertretenden Vorsitzenden der demokratischen Partei sowie des Vorsitzenden einer NGO konnten letztlich nicht bestätigen, dass die bP 1 den geschilderten Übergriffen ausgesetzt gewesen wäre oder die Anfragebeantwortung betreffend die gefälschten Gerichtsurteile falsch wäre. In den beiden Schreiben wird vorwiegend von Übergriffen auf andere Personen, insbesondere in den Jahren 2000-2003 gesprochen, was für gegenständlichen Fall keinerlei Relevanz hat. Auch zeigt sich an den Erstellungsdaten von 29 bzw.- 30 September, dass diese vom Parteikollegen der bP bzw. dem Vorsitzenden einer NGO wohl als Gefälligkeit zur Vorbereitung der Verhandlung ausgestellt wurden und kann auch die Kritik an der Anfrage betreffend die gefälschten Urteile letztlich die Einschätzung des Verbindungsanwalts nicht entkräften. Soweit letztlich in einem der in englischer Sprache vorgelegten Schreiben Zweifel an dem Erhebungsergebnis über den Vertrauensanwalt im Heimatland geäußert wurden, ist festzuhalten, dass das BVwG generell davon ausgeht, dass derartige Erhebungen eine hohe Beweiskraft haben und sprechen diverse Gründe dafür, dass dieses auch richtig ist. Obgleich es sich bei den entsprechenden Ausführungen des Vertrauensanwaltes um ein "sonstiges Beweismittel" handelt, welches der freien Beweiswürdigung unterliegt, wird ihm dennoch gewichtige Beweiskraft zugemessen. Einerseits ergibt sich aus dem Qualifikationsprofil der ermittelnden Anwälte, dass es sich hierbei um Personen mir hoher fachlicher Reputation handelt, welche in einem Aufgabenfeld tätig sind, das eine hohe Fähigkeit zu analytischem Denken und Handeln, sowie die Fähigkeit verschiedene, auch sich widersprechende Informationen auszuwerten und hieraus Schlüsse zu ziehen, sowie verlässliche Personen und Quellen zur Informationsbeschaffung heranzuziehen, verlangt. Ebenso steht ein Anwalt weder in einer qualifiziert engen Verbindung, noch in einer Gegnerschaft zum Staat, sondern steht er diesem neutral gegenüber. Ein Anwalt hat kein Interesse am Ausgang eines Asylverfahrens, ganz egal in welche Richtung auch immer. Gegenteiliges ist von Asylwerbern zu behaupten, welche ein vitales Interesse am Verfahrensausgang in ihrem Sinne haben. Auch dem stellvertretendem Vorsitzenden der Demokratischen Partei sowie dem Juristen einer NGO zur Aufzeigung von Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan kann keine Objektivität zugesprochen werden, sondern muss vielmehr schon aus in der Position selbst liegenden Gründe von einer gewissen Gegnerschaft zum Staat bzw. zu den regierenden Parteien ausgegangen werden.
Die bP sind den Angaben in der Anfragebeantwortung auch in der Verhandlung nicht entsprechend entgegengetreten und haben vielmehr selbst ganz andere Ausführungen zu den gefälschten Urteilen gemacht, als aus den beiden vorgelegten Schreiben hervorgeht. Die bP haben gerade nicht wie in den Schreiben angeführt erwähnt, dass falsche Bezeichnungen von Gerichtsurteilen in politischen Fällen bewusst gewählt werden würden, um den Betroffenen die Rechtsschutzmöglichkeiten zu nehmen und insbesondere einen Gang zum EGMR zu verhindern. Vielmehr gab die bP 1 an, dass man sein Recht erst beim EGMR bekomme und erhellt sich für das Gericht letztlich nicht, dass tatsächlich um den Weg zum EGMR zu verhindern Urteile mit falschen Daten ausgestellt werden würden. Nochmals wird darauf hingewiesen, dass es sich bei der bP 1 auch um keine Person mit einem High Profile handelt, weshalb auch die Anführung von Beispielen für Justizfehler in anderen Fällen betreffend hochrangiger Oppositonspolitiker ins Leere gehen.
Tatsächlich konnten die bP auch nicht plausibel erklären, wer nunmehr die Aktivitäten über den Account der bP1 gesetzt haben sollte, während sie angeblich schwer in einem Raum voll Wasser gefoltert worden sein soll, wobei es letztlich nicht auf dieses weitere Indiz für die Unglaubwürdigkeit der bP ankommt.
II.2.4.4. Zur lediglich in der Erstbefragung vorgebrachten Abnahme des Grundstückes sei angemerkt, dass die bP 1 und bP 2 dies in der Einvernahme vor der bB nicht mehr erwähnten, obwohl sie ausdrücklich dazu aufgefordert wurden, alle Gründe für das Verlassen des Heimatlandes zu schildern und nach der Einvernahme noch einmal danach gefragt wurden, ob es noch etwas Asylrelevantes oder sonst Bedeutendes gibt (wo die bP 1 dann die Misshandlung der Gattin anführte) und damit auch dies nicht glaubhaft machten. Zudem bestünde jetzt, da den bP das Grundstück nicht mehr gehört, auch keinerlei Gefahr einer weiteren Nötigung wegen dieses Grundes. Die Probleme im Zusammenhang mit dem Grundstück sowie auch die Behauptungen hinsichtlich des Bruders, welcher ermordet sein soll, führten die bP auch in der Verhandlung nicht mehr ins Treffen. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung waren diese Vorbringen wie letztlich auch das unbelegte Vorbringen der bP 2, dass sie aufgrund der Probleme ihres Mannes keine Arbeit gefunden habe und die Kinder nicht in den Kindergarten bzw. die Schule gehen hätten können, als unglaubwürdig zu bewerten. Am Rande sei erwähnt, dass auch zum angeblich verwehrten Schulbesuch widersprüchliche Angaben vorliegen und hat die bP 2 vor der bB selbst angegeben, dass der älteste Sohn zwar einige Monate in die Schule gehen hätte können, dann hätte er aber wegen ihres Untertauchens die Schule abbrechen müssen. Im Übrigen können darüber hinaus allgemeine Diskriminierungen, etwa soziale Ächtung, für sich genommen nicht die hinreichende Intensität für eine Asylgewährung aufweisen. Bestimmte Benachteiligungen (wie etwa allgemeine Geringschätzung durch die Bevölkerung, Schikanen, gewisse Behinderungen in der Öffentlichkeit wie etwa erschwerter Kindergarten- oder Schulbesuch) bis zur Erreichung einer Intensität, dass deshalb ein Aufenthalt des Beschwerdeführers im Heimatland als unerträglich anzusehen wäre (vgl VwGH 07.10.1995, 95/20/0080; 23.05.1995, 94/20/0808), sind hinzunehmen.
II.2.4.5. Abschließend wird festgehalten, dass auch die Angaben der bP zum Fluchtweg gegen ihr Vorbringen, Schutz vor Verfolgung finden zu wollen, sprechen. So liegen schon hinsichltich der Reisebewegungen bzw. durchreisten Ländern widersprüchliche Angaben vor, welche die bP 2 in der Verhandlung damit zu erklären versuchte, sie hätte nur die Anweisung des Schleppers befolgt. Hätten die bP tatsächlich ihr Heimatland lediglich wegen der Suche nach Schutz verlassen, wäre dieses Ziel bereits in anderen Ländern (Russland, Länder an den Außengrenzen der EU, beispielsweise Bulgarien) erreicht gewesen, wohin sie als aserbaidschanische Staatsangehörige – teilweise legal- auch leicht reisen hätten können.
Das BVwG geht daher zusammenfassend davon aus, dass die bP lediglich aus persönlichen Motiven heraus bzw. aus wirtschaftlichen Gründen ihr Heimatland verlassen haben. Zusammenfassend ist zum Vorbringen auszuführen, dass das erkennende Gericht zur Überzeugung gelangte, dass in den Angaben der bP glaubwürdige Anknüpfungspunkte oder Hinweise für eine individuelle Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention nicht erkennbar waren.
Unter Heranziehung dieses Sachverhaltes und der offensichtlich missbräuchlichen Asylantragstellung im Zusammenhang mit der allgemein gehaltenen, widersprüchlichen und durch die Anfragebeantwortungen widerlegten Begründung des Antrages auf internationalen Schutz ist daher davon auszugehen, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht und lediglich zur Begründung des Asylantrages und unter Umgehung der fremdenrechtlichen sowie niederlassungsrechtlichen Bestimmungen zur Erreichung – wenn nicht sogar zur absichtlichen Erschleichung – eines Aufenthaltstitels für Österreich nach dem Asylgesetz frei konstruiert wurde.
Dazu ist grundsätzlich in diesem Zusammenhang auszuführen, dass etwaige wirtschaftliche oder private Schwierigkeiten objektiv nicht dazu geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zu begründen. Der bloße Wunsch in Österreich ein besseres Leben aufgrund eines erhofften leichteren Zugangs zum Arbeitsmarkt zu haben, vermag die Gewährung von Asyl jedenfalls nicht zu rechtfertigen.
II.2.4.6. In der Verhandlung erhellte sich zudem, dass letztlich weder die bP 1 noch die bP 2 tatsächlich relevante Versuche machten, sich in den österreichischen Arbeitsmarkt zu integrieren.
Dass die bP 1 tatsächlich beim AMS vorstellig geworden wäre, um eine Arbeit zu erhalten, wurde von ihr ohne Bescheinigungsmittel wie etwa einem ablehnenden Bescheid in den Raum gestellt. Befragt zu einer der Einstellungszusagen gab sie in der Verhandlung selbst an, dass die Firma letztlich für sie noch nicht beim AMS vorgesprochen habe, andere Firmen hätten sich wegen ihr an das AMS gewandt. Da der Manager der einen Firma ein Freund von ihr sei, habe sie von dieser Firma eine Einstellungszusage erhalten. Die andere Firma, die für sie eine Einstellungszusage ausgestellt hätte, habe glaube sie zwei Mitarbeiter und kann schon aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen bei einer derart kleinen Firma nicht von einer relevanten Aufnahmewahrscheinlichkeit ausgegangen werden. Später dann befragt dazu, wie sie tatsächlich für den Lebensunterhalt im Falle der Erteilung eines Aufenthaltstitels aufkommen wolle erwähnte sie dann keine der Firmen, welche Einstellungszusagen ausstellten, sondern einen Herrn, der ihr in der Werkstatt für Elektrohaushaltsgeräte viel lerne, bei dem sie zu Arbeiten anfangen könne. Wie sich dies bei dieser Person, die die Werkstätte nur als Nebenerwerb führt, genau darstellen sollte, wurde nicht ersichtlich. Auch über Befragung der rechtsfreundlichen Vertertung in der Verhandlung, ob die Einstellungszusage aus 2019 noch aufrecht sei, konnte die bP keine konkreten Fakten zum Arbeitgeber oder der zu verrichtenden Arbeit angeben, sondern vermeinte lediglich, dass ein Freund ihr diese Arbeit vorgeschlagen hätte und sie denke, auch diese Einstellungszusage sei noch aufrecht.
Dass die bP 2 als in Aserbaidschan studierte Juristin sich in Österreich darauf stützt, sie hätte keine Arbeitserlaubnis und wäre deshalb noch keiner Beschäftigung nachgegangen, erscheint vor dem Hintergrund, dass sowohl auf der Internetseite des AMS als auch auf diversen anderen Seiten von den Beschäftigungsmöglichkeiten für Asylwerber gesprochen wird, nicht nachvollziehbar.
Die bP 2 geht zwar freiwillig zeitweise Reinigungsarbeiten nach, in der Verhandlung erhellte sich aber vielmehr, dass dies letztlich lediglich zweitweise zur Finanzierung ihres Studiums stattfindet und sie ihr Studium bzw zumindest 5 Prüfungen abschließen will, bevor sie einer Arbeit nachkommen will. Ein besonderer Wille, eine Arbeit aufzunehmen zeigte sich bei ihr nicht und wird auf das widergegebene Verhandlungsprotokoll hierzu verwiesen. Trotz des Vorliegens eines Nostrifizierungsbescheides, in welchem ihr aufgetragen wurde, bis 2024 insgesamt 10 Prüfungen im Rahmen des Studiums nachzuholen, hat sie bislang aber noch keine Prüfung abgelegt. Eine besondere berufliche Integration liegt damit nicht vor.
3. Rechtliche Beurteilung
II.3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht
II.3.1.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF) entscheidet das Bundesverwaltungs-gericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
II.3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesver-waltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 idgF entscheidet im gegenständlichen Fall der Einzelrichter.
II.3.1.3. Gem. § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013 hat das ho. Gericht das AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.
II.3.1.4. Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Zu A) (Spruchpunkt I)
II.3.2. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 3 AsylG lauten:
„§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) …
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. | dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder |
2. | der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat. |
...“
Gegenständlicher Antrag war nicht wegen Drittstaatsicherheit (§ 4 AsylG), des Schutzes in einem EWR-Staat oder der Schweiz (§ 4a AsylG) oder Zuständigkeit eines anderen Staates (§ 5 AsylG) zurückzuweisen. Ebenso liegen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Asylausschlussgründe vor, weshalb der Antrag der bP inhaltlich zu prüfen ist.
Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.
Wie im gegenständlichen Fall bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert wurde, war dem Vorbringen der bP zum behaupteten Ausreisegrund insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung [nunmehr „Status eines Asylberechtigten“] einnimmt (vgl. VwGH v. 20.6.1990, Zl. 90/01/0041).
Im gegenständlichen Fall erachtet das erkennende Gericht in dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang die Angaben als unwahr, sodass die von der bP behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden können.
Auch konnte im Rahmen einer Prognoseentscheidung (vgl. Putzer, Asylrecht Rz 51) nicht festgestellt werden, dass die bP nach einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer weiteren aktuellen Gefahr einer Verfolgung zu rechnen hätte (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194). Hier wird auf die bereits getroffenen Feststellungen verwiesen.
Die nahe liegenden und bereits beschriebenen wirtschaftlichen Erwägungen, welche die bP zum Verlassen des Herkunftsstaaten veranlassten, können nicht zu Gewährung von Asyl führen, zumal keinerlei Hinweise bestehen, dass die bP aufgrund eines in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Grundes von der angespannten wirtschaftlichen Lage in Aserbaidschan nachteiliger betroffen wären, als die sonstige aserbaidschanische Bevölkerung (zur fehlenden asylrechtlichen Relevanz wirtschaftlich motivierter Ausreisegründe siehe auch Erk. d. VwGH vom 6.3.1996, Zi. 95/20/0110 oder vom 20.6. 1995, Zl. 95/19/0040).
Da sich auch im Rahmen des sonstigen Ermittlungsergebnisses bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen der Gefahr einer Verfolgung aus einem in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Grund ergaben, scheidet die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten somit aus.
II.3.3. Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat
II.3.3.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 8 AsylG lauten:
„§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. | der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder |
2. | … |
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 … zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.
…“
Der Prüfungsrahmen ist auf den Herkunftsstaat des Asylwerbers beschränkt.
Art. 2 EMRK lautet:
„(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. (2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt:
…
Art. 3 EMRK lautet:„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“
Folter bezeichnet jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind (Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984).
Unter unmenschlicher Behandlung ist die vorsätzliche Verursachung intensiven Leides unterhalb der Stufe der Folter zu verstehen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10. Aufl. (2007), RZ 1394).
Unter einer erniedrigenden Behandlung ist die Zufügung einer Demütigung oder Entwürdigung von besonderem Grad zu verstehen (Näher Tomasovsky, FS Funk (2003) 579; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention 134f).
Art. 3 EMRK enthält keinen Gesetzesvorbehalt und umfasst jede physische Person (auch Fremde), welche sich im Bundesgebiet aufhält.
Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffene Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).
Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele: VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314).
Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat der bP zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein „ausreichend reales Risiko“ für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes („high threshold“) dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl in Migralex „Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in „Dublin-Verfahren““, derselbe in Migralex: „Abschiebeschutz von Traumatisieren“; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Scheden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova &Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06.
Der EGMR geht weiters allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).
Gem. der Judikatur des EGMR muss die bP die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 – Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller „Beweise“ zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt -so weit als möglich- Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht ( z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005)
Auch nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, VwGH 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre (VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua), gesundheitliche (VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601) oder finanzielle (vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099) Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).
Voraussetzung für das Vorliegen einer relevanten Bedrohung ist auch in diesem Fall, dass eine von staatlichen Stellen zumindest gebilligte oder nicht effektiv verhinderbare Bedrohung der relevanten Rechtsgüter vorliegt oder dass im Heimatstaat des Asylwerbers keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht (mehr) vorhanden ist und damit zu rechnen wäre, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in [nunmehr] § 8 Abs. 1 AsylG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 26.6.1997, 95/21/0294).
Der VwGH geht davon aus, dass der Beschwerdeführer vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in dessen Herkunftsstaat (Abschiebestaat) mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr betroffen zu sein. Wird dieses Wahrscheinlichkeitskalkül nicht erreicht, scheidet die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten somit aus.
II.3.3.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall werden im Lichte der dargestellten nationalen und internationalen Rechtsprechung folgende Überlegungen angestellt:
Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen in Bezug auf die Republik Aserbaidschan nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 bzw. 3 EMRK abgeleitet werden kann.
Aufgrund der Ausgestaltung des Strafrechts des Herkunftsstaates der bP (die Todesstrafe wurde abgeschafft) scheidet das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des Art. 2 EMRK, oder des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe aus.
Da sich der Herkunftsstaat der bP nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet (dies kann auch in Bezug auf jene Region angenommen werden, welche unmittelbar an Berg Karabach angrenzt), kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für die bP als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.
Es kann weiters nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechtsverletzungen (iSd VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vgl. auch Art. 3 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch, jeder der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt betroffen ist.
Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt abgeleitet werden.
Weitere, in der Person der bP begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden.
Zur individuellen Versorgungssituation der bP wurde bereits festgestellt, dass diese in Aserbaidschan über eine hinreichende Existenzgrundlage verfügen. Bei den volljährigen bP handelt es sich um mobile, junge, weitgehend gesunde, arbeitsfähige Menschen. Einerseits stammen die bP aus einem Staat, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist und andererseits gehören die bP keinem Personenkreis an, von welchem anzunehmen ist, dass sie sich in Bezug auf ihre individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellen als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. So war es den bP auch vor dem Verlassen ihres Herkunftsstaates möglich, dort ihr Leben zu meistern.
Auch steht es den bP frei, eine Beschäftigung bzw. zumindest Gelegenheitsarbeiten anzunehmen oder das –wenn auch nicht sonderlich leistungsfähige- Sozialsystem des Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen.
Ebenso kam hervor, dass die bP im Herkunftsstaat nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen. Sie stammen aus einem Kulturkreis, in dem auf den familiären Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Familienkreis großer Wert gelegt wird und können die bP daher Unterstützung durch ihre Familie erwarten.
Darüber hinaus ist es den bP unbenommen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und sich im Falle der Bedürftigkeit an eine im Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden.
Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat ihre dringendsten Bedürfnisse befriedigen können und nicht in eine, allfällige Anfangsschwierigkeiten überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage geraten.
Die Zumutbarkeit der Annahme einer –ggf. auch unattraktiven- Erwerbsmöglichkeit wurde bereits in einer Vielzahl ho. Erkenntnisse bejaht.
II.3.3.3. Soweit die beschwerdeführende Partei bP1 ihren Gesundheitszustand thematisiert, wird festgehalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. die Beschlüsse des VwGH vom 21. Februar 2017, Ro 2016/18/0005 und Ra 2017/18/0008 bis 0009, unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien; auch Beschluss des VwGH vom 23.3.2017, Ra 2017/20/0038; siehe auch Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“]; Erk. d. VfGH 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9). Bloß spekulative Überlegungen über einen fehlenden Zugang zu medizinischer Versorgung sind ebenso unbeachtlich wie eine bloße Minderung der Lebensqualität (Urteil des EGMR (Große Kammer) vom 27. Mai 2008, N. v. The United Kingdom, Nr. 26.565/05).
Dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen, bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. In der Beschwerdesache OVDIENKO gg. Finland vom 31.05.2005 (Appl. 1383/04), wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers, der sich seit 2002 in psychiatrischer Behandlung befunden hat und der selbstmordgefährdet war, für zulässig erklärt; mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Ukraine ist kein ausreichendes „real risk“.
II.3.3.4. Im vorliegenden Fall konnten seitens der bP keine akut existenzbedrohenden Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Aserbaidschan belegt werden, respektive die Notwendigkeit weitere Erhebungen seitens des Bundesverwaltungsgerichts. Aus der Aktenlage sind keine Hinweise auf das Vorliegen (schwerer) Erkrankungen ersichtlich.
Im gegenständlichen Fall besteht im Lichte der Berichtslage kein Hinweis, dass die bP vom Zugang zu medizinsicher Versorgung in Aserbaidschan ausgeschlossen wäre und bestehen auch keine Hinweise, dass die seitens der bP beschriebenen Krankheiten nicht behandelbar wären. Sie schätzt sich zudem aktuell auch arbeitsfähig ein, weshalb die aktuellen Rückenbeschwerden, welche nach dem Bandscheibenvorfall 2016 auftragen, als nicht besonders schwer eingestuft werden können. Auch faktisch Hindernisse, welche das Fehlen eines Zugangs zur medizinischen Versorgung aus in der Person der bP gelegenen Umständen belegen würden, kamen nicht hervor.
Ebenso ist davon auszugehen, dass Österreich in der Lage ist, im Rahmen aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausreichende medizinische Begleitmaßnahmen zu setzen (VwGH 25.4.2008, 2007/20/0720 bis 0723, VfGH v. 12.6.2010, Gz. U 613/10-10 und die bereits zitierte Judikatur; ebenso Erk. des AsylGH vom 12.3.2010, B7 232.141-3/2009/3E mwN).
II.3.3.5. Eine besondere Vulnerabilität - etwa aufgrund von Minderjährigkeit - ist bei der Beurteilung, ob den revisionswerbenden Parteien bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 MRK geschützten Rechte droht, im Speziellen zu berücksichtigen. Dies erfordert insbesondere eine konkrete Auseinandersetzung mit der Situation, die eine solche Person bei ihrer Rückkehr vorfindet (VwGH vom 28.11.2019, Zl. Ra 2019/19/0085; vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0336, mwN).
Diesbezüglich wird auf Punkt II.3.4.6. und die dortigen Ausführungen zum Kindeswohl verwiesen und kann auch in Zusammenschau aller eine etwaige Vulnerabilität der bP begründenden Umstände kein Szenario erkannt werden, wonach im gegenständlichen Fall Subsidiärer Schutz zu gewähren wäre.
II.3.3.6. Aufgrund der getroffenen Ausführungen ist davon auszugehen, dass die beschwerdeführenden Parteien nicht vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen müssen, in ihrem Herkunftsstaat mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr im Sinne des § 8 AsylG ausgesetzt zu sein, weshalb die Gewährung von subsidiären Schutz ausscheidet.
II.3.4. Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung
II.3.4.1. Gesetzliche Grundlagen (auszugsweise):
§ 10 AsylG 2005, Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme:
„§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. …
2. …
3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
4. – 5. …
(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
(3) ...“
§ 57 AsylG 2005, Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz:
§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) –(4) …
§ 9 BFA-VG, Schutz des Privat- und Familienlebens:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) – (6) …“
§ 52 FPG, Rückkehrentscheidung:
„§ 52. (1) …(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. …
2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. – 4. …
und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
(3)- (11)...“
§ 55 FPG, Frist für die freiwillige Ausreise
§ 55. (1)...
(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.
(4) – (5).
Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“
II.3.4.2. Der gegenständliche, nach nicht rechtmäßiger Einreise in Österreich gestellte Antrag auf internationalen Schutz war abzuweisen. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt (ein sonstiger Aufenthaltstitel der drittstaatsangehörigen Fremden ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht behauptet) im Bundesgebiet mehr vor und fallen die bP nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.
Es liegen im Lichte des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise vor, dass den bP allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts dargetan. Die bB erteilte den bP zurecht kein Aufenthaltsrecht gem. § 57 AsylG, zumal der Aufenthalt der bP nicht gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, dies nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel erforderlich ist und die bP auch nicht Opfer von Gewalt wurden, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896 erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und die bP auch nicht glaubhaft machten, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
II.3.4.3. Die Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann einen ungerechtfertigten Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.
Bei dem Begriff „Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK“ handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention.
Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen (EGMR, Cruz Varas and others vs Sweden, 46/1990/237/307, 21.3.1991).
II.3.4.4. Basierend auf den getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass die Rückkehrentscheidung keinen Eingriff in das Recht auf Familienleben darstellt, jedoch einen solchen in das Recht auf Privatleben, wenngleich dieser schon alleine durch den erst –bezogen auf das Lebensalter der bP – kurzen Aufenthalt und den niedrigen Integrationsgrad in Österreich, welcher darüber hinaus nur durch die unbegründete Stellung eines Asylantrages erreicht werden konnte, relativiert wird.
II.3.4.5. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Zweifellos handelt es sich sowohl bei der belangten Behörde als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff in § 10 AsylG gesetzlich vorgesehen.
Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung der durch Art. 8 (1) EMRK geschützten Rechte des Beschwerdeführers im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 (2) EMRK, in verhältnismäßiger Wiese verfolgt.
II.3.4.6. Im Einzelnen ergibt sich aus einer Zusammenschau der gesetzlichen Determinanten im Lichte der Judikatur Folgendes:
- Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war:
Die bP sind 6 Jahre in Österreich aufhältig. Sie reisten zwar mit Visumsfreiheit legal in in den Schengen Raum ein, da sie aber von der Grundversorgung lebten, wurde die Einreise rechtswidrig und konnten die bP ihren Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz vorübergehend legalisieren. Hätten sie diesen unbegründeten Asylantrag nicht gestellt, wären sie rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig bzw. wäre davon auszugehen, dass der rechtswidrige Aufenthalt bereits durch entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen in der Vergangenheit beendet worden wäre und sie sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten würden.
Die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG ist allerdings nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist. Liegt eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (vgl. VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0212, mwN).
Mit negativem Abschluss des Asylverfahrens lebt auch die Rechtswidrigkeit des Aufenthalts, sowie die Strafbarkeit der rechtswidrigen Einreise zumindest in Bezug auf die bP 1 und 2 wieder auf (vgl. § 120 Abs. 1 iVm Abs. 7 FPG), bzw. kommt die Strafbarkeit gem. § 120 Abs. 1a leg. cit. im Falle der unterlassenen Ausreise innerhalb der festgesetzten Frist hinzu. Dieser Umstand stellt einen Sachverhalt mit hohem sozialen Unwert dar, was sich insbesondere auch in den vergleichsweise hohen Strafdrohungen zeigt, woraus abzuleiten ist, dass der Gesetzgeber bereits durch diese generalpräventiv wirkende Strafdrohung die Einhaltung der Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes als einen äußerst erstrebenswerten Umstand im Rahmen der öffentlichen Ordnung betrachtet.
Auch wenn im Rahmen dieses Faktums entsprechend der aktuellen Judikatur zu berücksichtigen ist, dass eine Antragstellung vom Ausland aus nicht möglich und daher -de facto in den überwiegenden Fällen- eine solche erst nach illegaler Einreise möglich ist, muss auch darauf hingewiesen werden, dass die handlungsfähigen bP die rechtswidrige Einreise sichtlich in Umgehungsabsicht von fremden- und niederlassungsrechtlichen Vorschriften zur Stellung eines sichtlich unbegründeten Antrages auf internationalen Schutzes vornahmen und die Behörden wiederholt täuschten, was wiederum sehr wohl fremdenrechtlichen Interessen, im Sinne eines Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung berührt.
- das tatsächliche Bestehen eines Privat- und Familienlebens
Die bP verfügen über die bereits beschriebenen privaten und keine familiären Anknüpfungspunkte
- die Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens
Die bP begründeten ihr Privat- bzw. Familienleben an einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisiert wurde. Auch war der Aufenthalt der bP zum Zeitpunkt der Begründung der Anknüpfungspunkte im Rahmen des Privat- und Familienlebens ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt. Es ist auch festzuhalten, dass die bP nicht gezwungen sind, nach einer Ausreise die bestehenden Bindungen zur Gänze abbrechen zu müssen. So stünde es ihnen frei, diese durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder durch gegenseitige Besuche aufrecht zu erhalten (vgl. Peter Chvosta: „Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK“, ÖJZ 2007/74 mwN). Ebenso stünde es der bP frei – so wie jedem anderen Fremden auch - sich um eine legale Wiedereinreise und einen legalen Aufenthalt zu bemühen.
Das Vorbringen der bP lässt auch erkennen, dass diese sichtlich hier auch die Sach- und Rechtslage, wonach ein Aufenthalt in Österreich primär und regelmäßig unter Einhaltung der fremden- und niederlassungsrechtlichen Bestimmungen zu begründen und fortzusetzen ist, verkennen. Auch ergibt sich hieraus, dass beim Fehlen eines gültigen Aufenthaltstitel den Fremden die Obliegenheit zukommt, das Bundesgebiet zu verlassen.
Nur beim Vorliegen von außergewöhnlichen, besonders zu berücksichtigenden Sachverhalten kann sich ergeben, dass den Fremden, welche rechtswidrig in das Bundesgebiet einreisten oder sich rechtswidrig in diesem aufhalten, ihre Obliegenheit zum Verlassen des Bundesgebietes nachgesehen und ein Aufenthaltsrecht erteilt wird. Derartige Umstände liegen im gegenständlichen Fall nicht vor. Sollte bei den bP die gegenteilige Erwartungshaltung geweckt worden sein, hat das ho. Gericht dennoch im Rahmen der Gesetze (Art. 18 B-VG) entgegen dieser Erwartungshaltung zu entscheiden.
Keinesfalls entspricht es der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Systematik, dass das Knüpfen von privaten bzw. familiären Anknüpfungspunkten nach rechtswidriger Einreise oder während eines auf einen unbegründeten Antrag fußenden Asylverfahrens im Rahmen eines Automatismus zur Erteilung eines Aufenthaltstitels führt. Dies kann nur ausnahmsweise in Einzelfällten, beim Vorliegen eines besonders qualifizierten Sachverhalts der Fall sein, welcher hier bei weitem nicht vorliegt (vgl. hier etwa Erk. d. VfGH U 485/2012-15 vom 12.06.2013).
- Grad der Integration
Die volljährigen beschwerdeführenden Parteien sind –in Bezug auf ihr Lebensalter- erst einen relativ kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig, haben hier keine qualifizierten Anknüpfungspunkte und waren im Asylverfahren nicht in der Lage, ihren Antrag ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen, wenngleich im Verfahren hervorkam, dass sie nunmehr gut Deutsch sprechen.
Ebenso geht aus dem Akteninhalt nicht hervor, dass die volljährigen bP selbsterhaltungsfähig wären bzw. ernsthafte Bemühungen zur Herstellung der Selbsterhaltungsfähigkeit und taugliche Versuche, in Asylwerbern zugänglichen Gebieten des Arbeitsmarktes unterzukommen, unternommen hätten. Auch kann nicht festgestellt werden, dass die Eltern der minderjährigen bP aus eigener Finanzkraft für den Unterhalt der minderjährige bP aufkommen können.
In diesem Zusammenhang sei auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die –hier bei weitem nicht vorhandenen- Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).
Zur den vorgelegten Einstellungszusagen der bP 1 und 2 ist festzuhalten, dass diese lediglich eine einseitige, sichtlich nicht einklagbare Willenserklärung darstellt. Selbst wenn man davon ausginge, dass eine rechtsverbindliche Zusage bestünde, die bP im Falle es Erhalt eines Bleiberechts auf Dauer einzustellen, ist festzuhalten, dass entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes einer bloßen Arbeitsplatzzusage für den hypothetischen Fall eines legalen Aufenthalts in der Zukunft keine entscheidende Bedeutung zukommen kann (vgl. VwGH 21.1.2010, 2009/18/0523; 29.6.2010, 2010/18/0195; 17.12.2010, 2010/18/0385; 22.02.2011, 2010/18/0323).
Zum Schulbesuch von bP 3 und 4 ist festzuhalten, dass dies die Erfüllung einer durchsetzbaren gesetzlichen Verpflichtung darstellt, welcher im Rahmen der Interessensabwägung nur sehr untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH v. 26.9.2007 2006/21/0288 mwN).
Die vorgelegten Empfehlungsschreiben dokumentieren dass sich die bP im Rahmen ihres Aufenthaltes eine gewisse soziale Vernetzung im Bundesgebiet aufbauten, eine außergewöhnliche Integration ist hieraus jedoch nicht entnehmbar.
Der einzige Verein, in dem die bP aber Mitglieder sein wollen, konnte von der bP 1 nicht konkret genannt werden und würde dieser lediglich Veranstaltungen für Asylwerber wie bei Vatertag etc. organisieren. Auch wird nicht verkannt, dass die bP in einer Kirchengemeinschaft teilweise aktiv sind und dort ua. bei Flohmärkten und Deutschkusen teilnahmen. Vor allem aber Verkehren die bP in einem Integrationscafe und sind die meisten Kontakte über derartige Projekte enstanden. Auch ist bei den bP 3 und bP 4 durch ihre altersadäquate Freizeitgestaltung (Volleyball) und den Schulbesuch eine gewisse Integration vorhanden. Die soziale Vernetzung hat aber bei den erst relativ kurz in Österreich aufhältigen bP noch zu keiner außergewöhnlichen Integration im Sinne der Judikatur geführt und ist darauf hinzuweisen, dass die Aufenthaltsdauer darauf zurückzuführen ist, dass die bP falsche Angaben gemacht haben und gefälschte Dokumente vorgelegt haben, welche einer Überprüfung zugeführt werden mussten.
Rechtsverbindliche Erklärungen, für Kosten, welche sich aus dem Aufenthalt der bP im Bundesgebiet ergeben könnten, bzw. für den Unterhalt der bP aufzukommen, liegen seitens der Unterstützer der bP nicht vor.
Für eine nachhaltige Integration in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und sozialer Hinsicht sind die nicht verkannten privaten Anknüpfungspunkte auf jeden Fall zu wenig. Werte wie Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft etc. sind nicht als Zeichen besonderer Integration anzusehen und werden gerade für Personen, die sich in Österreich auf Dauer niederlassen wollen, vom erkennenden Gericht als selbstverständlich vorausgesetzt.
In Bezug auf die minderjährigen bP wird auf die noch zu treffenden Ausführungen zur Zurechenbarkeit des Verhaltens ihrer Eltern verwiesen.
Im Besonderen ist in diesem Zusammenhang auf die folgenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen, in denen selbst nach langjährigem Aufenthalt und erfolgten Integrationsschritten seitens des Höchstgerichts die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeenden Maßnahme bejaht wurde: VwGH 25.03.2010, 2009/21/0216 ua. (Familie; siebenjähriger Aufenthalt; selbständige Berufstätigkeit bzw. Schulbesuch; Aufbau eines Freundes- und Bekanntenkreises; Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; keine staatliche Unterstützung), VwGH 18.03.2010, 2010/22/0023 (sechsjähriger Aufenthalt; enge Beziehung zu Geschwistern in Österreich; gute Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; Einstellungszusage; großer Freundes- und Bekanntenkreis), VwGH 25.02.2010, 2008/18/0411 (siebeneinhalbjähriger Aufenthalt; Berufstätigkeit; ein Jahr lang Ehe mit österreichischer Staatsbürgerin; Unbescholtenheit; enge Freundschaften zu Arbeitskollegen und ehemaligen Wohnungskollegen; andere in Österreich lebende Familienangehörige), VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070 (rund achtjähriger Aufenthalt; 3 Jahre Berufstätigkeit; gute Deutschkenntnisse; engen Kontakt zu Freundes- und Bekanntenkreis sowie Bruder in Österreich; Unbescholtenheit; kaum Kontakt zu seinen im Libanon verbliebenen Angehörigen), VwGH 23.03.2010, 2010/18/0038 (siebenjähriger Aufenthalt; gute Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; beruflich integriert als Zeitungsausträger, Sportverein), VwGH 25.02.2010, 2010/18/0031 (achtjähriger Aufenthalt; familiäre Bindung zu Onkel, der BF unterstützt; Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; Grundversorgung), VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029 (knapp achtjähriger Aufenthalt; beabsichtigte Eheschließung mit öst. Staatsbürgerin; Sohn in Ö geboren; gute Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; nahezu durchgehende Beschäftigung; sozial vielfältig vernetzt und integriert), VwGH 25.02.2010, 2010/18/0026 (siebenjähriger Aufenthalt; Mangel an familiären Bindungen; Unbescholtenheit; Deutschkenntnisse; fehlende Bindungen zum Heimatstaat; arbeitsrechtlicher Vorvertrag), VwGH 25.02.2010, 2009/21/0187 (mehr als siebenjähriger Aufenthalt; Sohn besitzt österreichische Staatsbürgerschaft; Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; keine berufliche Integration), VwGH 13.04.2010, 2010/18/0078 (siebenjähriger Aufenthalt; jahrelange Erwerbstätigkeit; unbescholten; Freundes- und Bekanntenkreis; gute Deutschkenntnisse; Vereinsmitglied).
- Bindungen zum Herkunftsstaat
Die bP 1 und 2 verbrachten den überwiegenden Teil ihres Lebens in Aserbaidschan, wurden dort sozialisiert, gehören der dortigen Mehrheits- und Titularethnie an, bekennen sich zum dortigen Mehrheitsglauben und sprechen die dortige Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. Ebenso ist davon auszugehen, dass in Aserbaidschan Bezugspersonen etwa im Sinne eines gewissen Freundes- bzw. Bekanntenkreises der bP existieren, da nichts darauf hindeutet, dass die bP vor ihrer Ausreise in ihrem Herkunftsstaat in völliger sozialer Isolation gelebt hätten. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es den bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.
Zu den minderjährigen bP ist festzustellen, dass schon aufgrund ihres geringeren Alters und der Aufenthaltsdauer in Österreich die Abwägung zwischen den Bindungen zum Herkunftsstaat und den nunmehrigen Bindungen zu Österreich anders zu bewerten sein wird, als im Hinblick auf die Eltern. Hier wird von geringeren Bindungen zum Herkunftsstaat und stärkeren Bindungen zu Österreich auszugehen sein. In die Überlegungen hat jedoch einzufließen, dass die minderjährigen bP dennoch im Herkunftsstaat geboren wurden, sich dort eine zeitlang aufhielten und über ihr Umfeld bzw. ihre Eltern die Kultur und Sprache ihres Herkunftsstaates auch über den Zeitpunkt der Ausreise hinaus vermittelt bekamen. Auch kann aufgrund der Sprachkenntnisse der Eltern davon ausgegangen werden, dass im Familienverband zumindest noch teilweise mit den Eltern in der Sprache des Herkunftsstaates kommuniziert wird und somit dieser „Vermittlungseffekt“ bis in die Gegenwart nachwirkt. Die bP 3 und 4 telefonieren gemäß den Angaben des Vaters in der Verhandlung auch regelmäßig mit Verwandten in Aserbaidschan, wobei sie sich der aserischen Sprache bedienen.
Ebenso befinden sich die minderjährigen bP in einem Alter erhöhter Anpassungsfähigkeit (vgl. Dr. Peter Chvosta: „Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK“, ÖJZ 2007/74 mwN) und haben diese auch ihre Anpassungs- und Integrationsfähigkeit durch die vorgelegten Bescheinigungsmittel zur ihrer Integration in Österreich bzw. das hier nicht widerlegte Vorbringen bewiesen. Es kann daher angenommen werden, dass es ihnen unter Nutzung dieser Fähigkeiten gelingt, sich spiegelbildlich betrachtet, ebenso wie in die österreichische auch wieder in die Gesellschaft ihres Herkunftsstaats vollständig zu integrieren.
Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist gerade Kindern, welche noch im jungen Alter sind und die mit ihren Eltern gemeinsam ausreisen, die (Re-)Integration im Herkunftsstaat der Eltern zumutbar. So nahm der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 30.08.2011, Zl. 2009/21/0015 an, dass bei einem 6 Jahre und 3 Monate dauernden Aufenthalt in Österreich erwartet werden kann, die Kinder werden sich im Rahmen des gewohnten familiären Umfeldes an die neuen Begebenheiten im Herkunftsstaat der Eltern anpassen können (vgl. auch VwGH vom 19. Mai 2011, Zlen. 2009/21/0115, 116, mwN). Selbst Schwierigkeiten bei der (Re )Integration sind in derartigen Fällen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen in Kauf zu nehmen (vgl. VwGH vom 5. Juli 2011, Zl. 2008/21/0282).
In seinem Urteil vom 26.01.1999, 43279/98, Sarumi/Vereinigtes Königreich, attestierte der EGMR Kindern im Alter von sieben und elf Jahren eine Anpassungsfähigkeit, die eine Rückkehr mit ihren Eltern aus England, wo sie geboren wurden, nach Nigeria als keine unbillige Härte erscheinen ließ.
Das erkennende Gericht übersieht nicht, dass die minderjährigen bP in Österreich soziale Kontakte mit Schulkollegen geknüpft haben und Deutsch sprechen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass aufgrund des noch sehr jungen, mit einer hohen Anpassungsfähigkeit verbundenen Alters (vgl etwa VfGH 7.10.2014. U 2459/2012 u.a.) der minderjährigen bP davon ausgegangen werden kann, dass diese im Herkunftsstaat nicht mit unüberwindbaren Schwierigkeiten konfrontiert wäre (vgl. etwa EGMR 26.01.1999, 43.279/98, Sarumi gegen Vereinigtes Königreich; vgl. auch VwGH 25.03.2010, Zl. 2009/21/0216; 31.03.2008, Zl. 2008/21/0081). Eine Gefährdung des Kindeswohls ist demnach nicht zu erkennen. Überdies würden die minderjährigen bP in Begleitung der Eltern in den Herkunftsstaat zurückkehren, wodurch die soziale Eingliederung in den Herkunftsstaat erleichtert würde und steht selbst der Umstand, dass das gesamte bisherige Leben seit der Geburt in Österreich verbracht wurde, einer Eingliederung im Herkunftsstaat nicht entgegen.
Es wird im gegenständlichen Fall auch darauf hingewiesen, dass es nunmehr an den Eltern der minderjährigen bP liegen wird, ihrer Verpflichtung zum Verlassen des Bundesgebietes nachzukommen und nicht in weiterer Folge rechtswidrig in diesem zu verharren, zumal sie durch ein solches Verhalten die Eingliederung ihrer Kinder verzögern bzw. erschweren und ihnen somit schaden würden.
- strafrechtliche Unbescholtenheit
Die bP sind strafrechtlich unbescholten.
Die Feststellung, wonach die bP strafrechtlich unbescholten sind, relativiert sich in Bezug auf die strafunmündigen bP sowie durch den erst verhältnismäßig kurzen Aufenthalt der bP und stellt darüber hinaus laut Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420). Der VwGH geht wohl davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält. Zu Lasten der bP ins Gewicht fallen jedoch sehr wohl rechtskräftige Verurteilungen durch ein inländisches Gericht (vgl. Erk. d. VwGH vom 27.2.2007, 2006/21/0164, mwN, wo dieser zum wiederholten Male klarstellt, dass das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung den öffentlichen Interessen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK eine besondere Gewichtung zukommen lässt).
- Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts
Die bP reisten schlepperunterstützt in das Gebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und verletzten die bP hierdurch das hoch einzuschätzende Öffentliche Interesse an einem geordneten Vollzug des Fremden- und Niederlassungsrecht.
Soweit die minderjährigen bP hierbei keinen Einfluss auf das Verhalten ihrer Eltern hatten, wird auf die noch zu treffenden Ausführungen hinsichtlich der objektiven Zurechenbarkeit des Verhaltens der Eltern hingewiesen, welche hier sinngemäß gelten.
Auf das Wiederaufleben der Strafbarkeit der seinerzeitigen Einreise und die hierzu bereits angestellten Überlegungen wird an dieser Stelle nochmals verweisen.
- die Frage, ob das Privat- und Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren
Den volljährigen bP musste bei der Antragstellung klar sein, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Asylantrages nur ein vorübergehender ist. Ebenso indiziert die rechtswidrige und schlepperunterstützte Einreise den Umstand, dass den bP die Unmöglichkeit der legalen Einreise und dauerhaften Niederlassung bewusst war, da davon auszugehen ist, dass sie in diesem Fall diese weitaus weniger beschwerliche und kostenintensive Art der legalen Einreise und Niederlassung gewählt hätten.
In Bezug auf die minderjährigen bP wird auf die noch zu treffenden Ausführungen zur Zurechenbarkeit des Verhaltens ihrer Eltern verwiesen.
- mögliches Organisationsverschulden durch die handelnden Behörden in Bezug auf die Verfahrensdauer
Es ist im Rahmen einer Gesamtschau zwar festzuhalten, dass eine raschere Erledigung des Asylverfahrens beim Vorhandensein entsprechender Ressourcen denkbar ist, dennoch ist im gegenständlichen Fall aufgrund des Vorbringens der bP, sowie ihrem Verhalten im Verfahren davon auszugehen, dass kein Sachverhalt vorliegt, welcher die zeitliche Komponente im Lichte der Erkenntnisse des VfGH B 950-954/10-08 bzw. B1565/10, in den Vordergrund treten ließe, dass aufgrund der Verfahrensdauer im Rahmen der Interessensabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK von einem Überwiegen der privaten Interessen der bP auszugehen wäre (in Bezug auf ein gewisses Behördenverschulden in Bezug auf die Verfahrensdauer vgl. auch bei Vorliegen weitaus engeren Bindungen im Sinne des Art. 8 EMRK und einem ca. zehnjährigen Aufenthalt im Staat der Antragstellung das Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06). Auch sei an dieser Stelle auch darauf hingewiesen, dass die zeitliche Komponente nicht das allein ausschlaggebende Faktum darstellt.
-Auswirkung der allgemeinen Lage in Aserbaidschan auf die bP
Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass dem Art. 8 EMRK innewohnenden Recht auf das Privat- und Familienleben auch ein Recht auf körperliche Unversehrtheit abzuleiten ist (vgl. etwa Erk. d. VwGH vom 28.6.2016, Ra 2015/21/0199-8). Vor diesem Hintergrund ist die Zulässigkeit von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Lichte des Art. 8 EMRK auch vor dem Hintergrund der Lage im Herkunftsstaat, welche die bP im Falle einer Rückkehr vorfinden, zu prüfen, wobei bereits an dieser Stelle Art. 8 EMRK –anders als Art. 3 leg. cit.- einen Eingriffsvorbehalt kennt.
Im Rahmen der Beurteilung der allgemeinen Lage in der der Republik Aserbaidschan ergaben sich im gegenständlichen Fall keine Hinweise auf einen aus diesem Blickwinkel relevanten Sachverhalt.
- Kindeswohl
Allfällige ungünstigere Entwicklungsbedingungen im Ausland begründen für sich allein noch keine Gefährdung des Kindeswohls, vor allem dann, wenn die Familie von dort stammt (OGH 08.07.2003, Zl. 4Ob146/03d unter Verweis auf Coester in Staudinger, BGB13 § 1666 Rz 82 mwN). Zudem gehören die Eltern und deren soziookönomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes (ebd.).
Bei der Beurteilung, ob im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Verletzung von durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechten droht, ist nach der Judikatur des VwGH eine eventuelle besondere Vulnerabilität der Betroffenen im Speziellen zu berücksichtigen, wobei der VwGH auch auf die Definition schutzbedürftiger Personen in Art. 21. Der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) verweist (vgl. zuletzt VwGH vom 13.12.2018, Zl. Ra 2018/18/0336 sowie vom 30.08.2017, Zl. Ra 2017/18/0089 zum Irak sowie VwGH vom 06.09.2018, Ra 2018/18/0315 und diverse andere zu Afghanistan). Art. 21 der Aufnahmerichtlinie zählt als besonders schutzbedürftige Personen unter anderem Minderjährige auf.
Der Verfassungsgerichtshof hat - aufgrund der vom BVwG selbst herangezogenen UNHCR-Richtlinien- in seiner Entscheidung vom 12.12.2018, Zl E 667/2018 hinsichtlich einer Familie aus Kabul festgehalten, dass Familien mit besonderem Schutzbedarf - nach Ansicht des UNHCR - nur dann eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offensteht, wenn sie Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, die Zurückkehrenden tatsächlich zu unterstützen. Die zugrundeliegende Entscheidung des BVwG wurde behoben, da vom BVwG nicht näher begründet wurde, warum es davon ausging, dass der Bruder der Erstbeschwerdeführerin eine sechsköpfige Familie ausreichend unterstützen könne bzw wolle. Es sei verabsäumt worden, die Erstbeschwerdeführerin zur konkreten Lebenssituation ihres Bruders und ihrer Schwester zu befragen.
Demnach wird von der Judikatur – zuletzt auch in einer Einzelentscheidung hinsichtlich des sicheren Herkunftsstaates Georgien (VwGH vom 07.03.2019, Ra 2018/21/0216 bis 0217-13) - eine konkrete Auseinandersetzung damit gefordert, welche Rückkehrsituation eine Familie mit minderjährigen Kindern im Herkunftsstaat tatsächlich vorfindet, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit (VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479) sowie der Unterkunftsmöglichkeit (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315).
Im vorliegenden Fall ist daher insbesondere zu berücksichtigen, dass unter den bP minderjährige Kinder – somit Angehörige einer besonders vulnerablen und besonders schutzbedürftigen Personengruppe - sind. Daher ist eine konkrete Auseinandersetzung mit der Rückkehrsituation, die die minderjährigen bP bzw. die Familie mit minderjährigen Kindern im Heimatstaat tatsächlich vorfinden würden, erforderlich.
Im gegenständlichen Fall sind die Eltern und die Kinder aserbaidschanische Staatsbürger und sind alle im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen und teilen die Kinder somit das sozioökonomische Schicksal der Eltern. Den bP stehen nach der Rückkehr sowohl private, karitative als auch bei Bedarf staatliche Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung. Es kann davon ausgegangen werden, dass sie bei Verwandten Unterkunft nehmen können.
Es gibt keine Kenntnis über spezifische Menschenrechtsverletzungen an Kindern in Aserbaidschan. Hinweise auf systematisch begangenen Kinderhandel oder sexuelle Ausbeutung von Kindern bzw. Kinderarbeit liegen dem deutschen Auswärtigen Amt nicht vor. Es gibt keine Kindersoldaten.
Der Schulbesuch der bP 3 und 4 in Österreich bildet das vergleichsweise stärkste Interesse an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet. Bei den Kindern ist aufgrund der Kenntnisse der Muttersprache eine Fortsetzung des Schulbesuches im Herkunftsstaat jedoch nicht unzumutbar. Die gebotene Berücksichtigung des Kindeswohles führt daher nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit der Rückkehrentscheidung, zumal sich die bP in einem anpassungsfähigen Alter befinden, ihnen ihre wichtigsten Bezugspersonen erhalten bleiben und sie auch durch die Eltern sowie weitere Verwandte entsprechende Unterstützungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat vorfinden.
- Zurechenbarkeit des Verhaltens der Eltern
Das ho. Gericht verkennt zwar nicht, dass sich die Kinder das Verhalten der Eltern im Rahmen der Interessensabwägung gemäß Art. 8 EMRK nicht im vollen Umfang subjektiv verwerfen lassen müssen, doch ist dieses Verhalten dennoch nicht unbeachtlich.
Der Verfassungsgerichtshof hielt in seiner Entscheidung vom 10.03.2011, Zl. B1565/10 (betreffend einem im Alter von 8 Jahren mit seinen Eltern eingereisten, im Entscheidungszeitpunkt 17jährigen, welcher beinahe die gesamte Schullaufbahn in Österreich absolvierte und herausragende sportliche Leistungen für einen österreichischen Sportklub erbrachte) fest, dass es in der Verantwortung des Staates gelegen ist, Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung - ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass dem 17jährigen die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre, - neun Jahre verstreichen. Es sei die Aufenthaltsverfestigung des 17jährigen zwar überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgt, keine über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung sei vorgelegen; jedoch sei ihm als Minderjährigem, der seine Eltern nach Österreich begleitete, dies nicht in jenem Maße zuzurechnen wie seinen Obsorgeberechtigten. In diesem Fall wurde festgehalten, dass keine Anpassungsfähigkeit des 17jährigen mehr vorliege, der wesentliche Teile seiner Kindheit und Jugend in Österreich verbrachte (im Gegensatz zu Kindern, die sich im Zeitpunkt ihrer Ausweisung noch in anpassungsfähigem Alter befinden; vgl EMRK 26.01.99, Fall Sarumi, Appl 43279/98) und wurden grundsätzliche Ausführungen zur herabgesetzten Verantwortlichkeit von Minderjährigen getroffen.
Auch in der Entscheidung des VfGH vom 07.10.2010, Zl. B 950-954/10-08 wurde unter Bezugnahme auf das mangelnde Verschulden der Beschwerdeführer an der 7jährigen Verfahrensdauer festgehalten, dass die belangte Behörde bei ihrer Interessenabwägung zusätzlich stärker gewichten hätte müssen, dass die minderjährigen Beschwerdeführer den Großteil ihres Lebens ins Österreich verbracht haben, sich mitten in ihrer Schulausbildung befanden und sich hier sowohl schulisch als auch gesellschaftlich sehr gut integriert haben.
Insbesondere hätte die belangte Behörde nicht berücksichtigt, dass - anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte (vgl. zB VfGH 12.6.2010, U614/10) – in diesem Fall die Integration der Beschwerdeführer während ihrer einzigen Asylverfahren, welche für die Bf. 1, 2, 3 und 4 sieben Jahre (in denen keine einzige rechtskräftige Entscheidung ergangen ist) dauerten, erfolgte. Dass dies auf eine schuldhafte Verzögerung durch die Beschwerdeführer zurückzuführen wäre, wurde von der belangten Behörde weder dargestellt, noch war es aus den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Akten ersichtlich.
Obwohl der Verfassungsgerichtshof in diesen beiden Entscheidungen die den Beschwerdeführern nicht zurechenbarer Dauer der Asylverfahren als wesentliches Argument für eine Interessensabwägung zu Gunsten der Beschwerdeführer herangezogen hat, ist dennoch aus dem Beschluss des VfGH vom 12.6.2010, U614/10 ableitbar, dass in gewissen Fällen trotz fehlender subjektiver Vorwerfbarkeit des Verhaltens der Minderjährigen im Hinblick auf die Verfahrensdauer dennoch das Verhalten der Eltern im Rahmen der Interessensabwägung in Bezug auf die minderjährigen Kinder eine Rolle spielt.
Es wird in diesem Zusammenhang auf die Erkenntnisse des VfGH vom 12.6.2010, erstens Zl. U 614/10 (Beschwerdeführerin wurde 1992 geboren, war zum Zeitpunkt der Einreise nach Österreich minderjährig, hatte zumindest am Anfang ihres Aufenthaltes in Österreich keinen Einfluss auf das bzw. die Asylverfahren, entzog sich aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Alter der mündigen Minderjährigkeit und prolongierte ihren Aufenthalt durch die Stellung verschiedener Anträge), zweitens Zl. U613/10 (Beschwerdeführerin wurde 1962 geboren, war während des gesamten Verfahrens handlungsfähig und prolongierte ihren Aufenthalt durch die Stellung verschiedener Anträge) und den Beschluss des selben Tages Zl. U615/10 ua (minderjährige Asylwerber während des gesamten Asylverfahrens, welche auf den Verlauf des Verfahrens bzw. der Verfahren keinen Einfluss hatten) hingewiesen. In diesen Verfahren stellte der VfGH in Bezug auf die 1962 geborene Beschwerdeführerin im vollen Umfang und in Bezug auf die 1992 geborene Beschwerdeführerin (Tochter der 1962 geborenen Beschwerdeführerin) in einem gewissen eingeschränkten Umfang fest, dass sich diese das Verhalten, welches zum langen Aufenthalt in Österreich führte, zurechnen lassen müssen und es daher nicht zu ihren Gunsten im Rahmen der Interessensabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK geltend machen können. Obwohl die minderjährigen Beschwerdeführer auf das Verhalten ihrer 1962 geborenen Mutter und 1992 geborenen Schwester keinerlei Einfluss hatten und ihnen deren Verhalten, insbesondere jenes der Mutter, nicht subjektiv vorgeworfen werden konnte, wurde die Behandlung derer Beschwerden dennoch mit Beschluss U615/10 ua. abgewiesen.
- weitere Erwägungen
Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, uva).
Der VwGH hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).
Ebenso wird durch die wirtschaftlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung und das nur für die Dauer des Asylverfahrens erteilte Aufenthaltsrecht, das fremdenpolizeiliche Maßnahmen nach (negativer) Beendigung des Asylverfahrens vorhersehbar erscheinen lässt, die Interessensabwägung anders als in jenen Fällen, in welchen der Fremde aufgrund eines nach den Bestimmungen des NAG erteilten Aufenthaltstitels aufenthaltsberechtigt war, zu Lasten des (abgelehnten) Asylsuchenden beeinflusst (vgl. Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, Seite 348).
Es ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Notwendigkeit einer [damals] Ausweisung von Relevanz, ob der Fremde seinen Aufenthalt vom Inland her legalisieren kann. Ist das nicht der Fall, könnte sich der Fremde bei der Abstandnahme von der [damals] Ausweisung [nunmehr Rückkehrentscheidung] so wie im gegenständlichen Fall unter Umgehung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen den tatsächlichen (illegalen) Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer verschaffen, was dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenrechts zuwiderlaufen würde.
Gem. Art 8 Abs 2 EMRK ist ein Eingriff in das Grundrecht auf Privat- und/oder Familienleben zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Abs 2 leg cit genannten Ziele notwendig ist. Die zitierte Vorschrift nennt als solches Ziel u.a. die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, worunter nach der Judikatur des VwGH auch die geschriebene Rechtsordnung zu subsumieren ist. Die für den Aufenthalt von Fremden maßgeblichen Vorschriften finden sich –abgesehen von den spezifischen Regelungen des AsylG- seit 1.1.2006 nunmehr im NAG bzw. FPG.
Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist für die Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung und diese Wertung des Gesetzgebers geht auch aus dem Inhalt des Fremdenrechtspakets 2005 und den danach folgenden Novellierungen klar hervor. Demnach ist es gemäß den nun geltenden fremdenrechtlichen Bestimmungen für den Beschwerdeführer grundsätzlich nicht mehr möglich, seinen Aufenthalt vom Inland her auf Antrag zu legalisieren, da eine Erstantragsstellung für solche Fremde nur vom Ausland aus möglich ist.
Im gegenständlichen Fall ist bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Sachverhalt ersichtlich, welcher die Annahme rechtfertigen würde, dass dem Beschwerdeführer gem. § 21 (2) und (3) NAG die Legalisierung seines Aufenthaltes vom Inland aus offen steht, sodass ihn mit rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens eine unbedingte Ausreiseverpflichtung trifft, zu deren Durchsetzung es einer Rückkehrentscheidung bedarf.
Bei rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens sind die Beschwerdeführer somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.
Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen sei ergänzend das Erkenntnis des VfGH 17. 3. 2005, G 78/04 ua erwähnt, in dem dieser erkennt, dass auch das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den Interessen des Fremden bei der Ausweisung [bzw. nunmehr Rückehrentscheidung] von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen sind.
Wie bereits erwähnt, garantiert die EMRK gemäß der Rechtsprechung des EGMR (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z. B. eine Ausweisungsentscheidung) aber auch in das nach Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben eines Fremden eingreifen (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland oder BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).
Im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zur Ausweisungs- und Abschiebungspraxis der Vertragsstaaten dürfte es für den Schutzbereich des Anspruches auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 EMRK hingegen nicht ausschlaggebend sein, ob der Aufenthalt des Ausländers - im Sinne einer Art „Handreichung des Staates“ - zumindest vorübergehend rechtmäßig war (vgl. Ghiban gg. Deutschland, 16.09.2004, 11103/03; Dragan gg. Deutschland, 07.10.2004, Bsw. Nr. 33743/03; SISOJEVA (aaO.)) bzw. inwieweit die Behörden durch ihr Verhalten dazu beigetragen haben, dass der Aufenthalt des Betreffenden bislang nicht beendet wurde.
II.3.4.7. Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrag unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip [„no one can profit from his own wrongdoing“], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).
Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige Integration der bP in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Sicht sind nicht erkennbar. Die bP wurden allesamt in Aserbaidschan geboren und hielten sich dort auch bis zur Ausreise auf, sind hier auf die Grundversorgung angewiesen und eine gesellschaftliche Integration im beachtlichen Ausmaß ist nicht erkennbar. Für die bP spricht damit lediglich, dass sie sehr gute Deutschkenntnisse aufweisen.
Verwandte der bP leben noch im Herkunftsstaat, wo die bP den Großteil des Lebens verbracht haben und sozialisiert wurden, und ist daher davon auszugehen, dass auf Grund dieser engen familiären und privaten Beziehungen im Herkunftsstaat im Vergleich mit dem bisherigen Leben in Österreich die Beziehungen zu Aserbaidschan eine – wenn überhaupt vorhanden – Integration in Österreich bei weitem überwiegen.
Insbesondere aufgrund der relativ kurzen Aufenthaltsdauer der bP in Österreich sind zum Entscheidungszeitpunkt keine Aspekte einer außergewöhnlichen schützenswerten, dauernden Integration hervorgekommen, dass allein aus diesem Grunde die Rückkehrentscheidungen auf Dauer unzulässig zu erklären wären.
Es wird seitens des BVwG nicht verkannt, dass auch Aspekte einer allenfalls vorliegenden besonderen Vulnerabilität der Beschwerdeführer, sofern diese die Schwelle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes nicht erreichen, im Zuge der Beurteilung der Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens entsprechend zu berücksichtigen sind. Insofern kann etwa auch das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Erkrankung privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich höheres Gewicht verleihen (in diesem Sinne vgl bereits VwGH 22.7.2011, 2010/22/0171); in diesem Sinn können auch hier Aspekte des Art 3 EMRK relevant sein; siehe zuletzt VwGH 15.10.2015, Ra 2015/20/0218-0221).
Es obliegt dem Fremden, substanziiert darzulegen, auf Grund welcher konkreter Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig ist und dass diese nur in Österreich erfolgen kann. Denn nur dann ist ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse iSd Art. 8 MRK an einem Verbleib in Österreich -auch in seinem Gewicht - beurteilbar (VwGH vom 05.07.2011, Zl. 2008/21/0282 ; vgl auch VwGH vom 15. Mai 2007, 2006/18/0107).
Auch diese Voraussetzungen sind fallgegenständlich nicht gegeben. Wie bereits zuvor festgehalten, befindet sich der Erstbeschwerdeführer im Bundesgebiet in Therapie wegen Rückenschmerzen, schätzt sich aber selber als arbeitsfähig ein und ist eine Behandlung auch in Aserbaidschan möglich. Auch unter Einbeziehung dieses Aspekts überwiegen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen sowie am wirtschaftlichen Wohl des Landes und wiegen diese schwerer als die Auswirkungen der Rückkehrentscheidung auf die Lebenssituation des Erstbeschwerdeführers.
II.3.4.8. Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der bP im Bundesgebiet das persönliche Interesse der bP am Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in den Beschwerden nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.
Im Rahmen der Umsetzung der Rückkehrentscheidung ist darauf zu achten, dass die Obsorge der minderjährigen bP nicht verunmöglicht wird, es sei denn, diese entziehen sich der Abschiebung.
II.3.5. Abschiebung
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).
Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 EMRK oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).
Im gegenständlichen Fall sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung nach Aserbaidschan unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in gegenständlichen Beschwerden nicht schlüssig dargelegt und wurden bzw. werden hierzu bereits an entsprechend passenden Stellen des gegenständlichen Erkenntnisses Ausführungen getätigt, welche die in § 50 Abs. 1 und 2 FPG erforderlichen Subsumtionen bereits vorwegnehmen.
Es kamen keine Umstände hervor, die im Abschiebungsfall zu einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK führen würden und wird auf die Ausführungen im Rahmen des subsidiären Schutzes verwiesen. Es kamen auch keine Umstände hervor, welche insbesondere beim Ausspruch betreffend die Abschiebung zu berücksichtigen gewesen wären.
Eine im § 50 Abs. 3 FPG genannte Empfehlung des EGMR liegt ebenfalls nicht vor.
Aufgrund der oa. Ausführungen ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung davon auszugehen, dass die Abschiebung der bP in ihren Herkunftsstaat zulässig ist.
Wie bereits erwähnt, erteilte die bB den bP zurecht kein Aufenthaltsrecht gem. § 57 AsylG.
II.3.6. Die Verhältnismäßigkeit der seitens der belangten Behörde getroffenen fremdenpolizeilichen Maßnahme ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich hierbei um das gelindeste fremdenpolizeiliche Mittel handelt, welches zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet erschien.
II.3.7. Eine Frist zu freiwilligen Ausreise besteht gem. § 55 FPG.
II.3.8. Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Rückkehrentscheidung vorliegen, keine Umstände gegen die Zulässigkeit der Abschiebung sprechen und keine Frist für eine freiwillige Ausreise besteht, ist die Beschwerde gegen diese Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.
II.3.9. Beschluss über den Antrag auf Aberkennung der aufschiebenden Wirkung
Gem. § 18 Abs. 1 BFA-VG kann die belangte Behörde einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkennen. Dies hat sie in gegenständlich bekämpften Bescheiden jedoch nicht getan, weshalb schon aus diesem Grund eine Zuerkennung nicht nötig und der Antrag als unulässig zurückzuweisen war.
II.5. Familienverfahren
Da in Bezug auf alle bP eine spruchgemäß identische Entscheidung erging, können auch aus dem Titel des Familienverfahrens im Inland keine anderslautenden Erkenntnisse erlassen werden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zur Auslegung des Begriffs des internationalen Schutzes, sowie des durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienlebens abgeht.
Aus dem Umstand, dass das ho. Gericht und die belangte Behörde mit 1.1.2014 ins Leben gerufen wurden, bzw. sich die asyl- und fremdenrechtliche Diktion, sowie Zuständigkeiten zum Teil änderte, und das Asyl- und Fremdenrecht eine verfahrensrechtliche Neuordnung erfuhr kann ebenfalls kein unter Art. 133 Abs. 4 zu subsumierender Sachverhalt hergeleitet werden, zumal sich am substantiellen Inhalt der anzuwendenden Normen keine relevante Änderung ergab. Im Falle verfahrensrechtlicher Neuordnungen wird auf die einheitliche Judikatur zu den Vorgängerbestimmungen verwiesen (z. B. in Bezug auf § 18 BFA-VG auf § 38 AsylG aF).
Aufgrund der oa. Ausführungen war die Revision nicht zuzulassen.
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