AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W204.2209927.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER über die Beschwerde des XXXX R XXXX A XXXX , geb. am XXXX 1996, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.09.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsbürger, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 10.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Am darauffolgenden Tag wurde der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Wien niederschriftlich erstbefragt. Befragt nach seinen Fluchtgründen führte der BF aus, seine Mutter sei durch die Taliban bedroht worden.
I.3. Am 14.11.2017 wurde der BF von einem Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari unter anderem zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen, seine Heimat zu verlassen, gab er an, die Familie sei aufgrund der Tätigkeit seiner Mutter als Köchin in einer Schule, die mit Ausländern kooperiere, überfallen worden.
I.4. Nachdem ihm zuvor aktuelle Länderberichte zur Stellungnahme übermittelt wurden, nahm der BF dazu am 14.09.2018 Stellung und führte im Wesentlichen aus, bei Problemen in Kabul verspreche die Regierung neue Pläne für eine bessere Sicherheit. Es werde kurz etwas gemacht, aber nicht für lange Zeit.
I.5. Mit Bescheid vom 26.09.2018, dem BF am 02.10.2018 zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
Begründend führte die Behörde aus, es sei dem BF nicht gelungen, sein Vorbringen glaubhaft zu machen, weswegen ihm der Status eines Asylberechtigten nicht gewährt werden könne. Aus dem Vorbringen des BF und der allgemeinen Situation lasse sich bei einer Rückkehr in seine Herkunftsstadt auch keine unmenschliche Behandlung oder eine extreme Gefährdungslage erkennen. Der BF könnte in seine Herkunftsprovinz Kabul zurückkehren, wo seine Verwandten lebten. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, da die Voraussetzungen nicht vorlägen. Letztlich hätten auch keine Gründe festgestellt werden können, wonach bei einer Rückkehr des BF gegen Art. 8 Abs. 2 EMRK verstoßen werde, weswegen auch eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.
I.6. Mit Verfahrensanordnung vom 27.09.2018 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
I.7. Gegen den unter I.5. genannten Bescheid richtet sich die gemeinsam mit seinen Familienmitgliedern ausgeführte Beschwerde des BF vom 25.10.2018 wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger Sachverhaltsfeststellung, in der beantragt wurde, den Beschwerden Folge zu geben, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, den BF internationalen Schutz zu gewähren und jedenfalls eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären.
In der Begründung wird auf den BF nicht Bezug genommen, sondern werden lediglich Ausführungen zu seiner Mutter getätigt.
I.8. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 22.11.2018 vorgelegt, wobei beantragt wurde, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
I.9. Am 11.12.2018 legte das BFA eine Verständigung von der Einstellung eines gegen den BF geführten Strafverfahrens vor.
I.10. Nachdem der Vertreter am 18.03.2019 Integrationsunterlagen vorgelegt hatte, gab dieser am 10.12.2019 die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses bekannt.
I.11. Am 29.01.2020 legte sein neuer, damaliger Vertreter seine Bevollmächtigung sowie Integrationsunterlagen vor. Zudem wurde um Zusammenlegung des vorliegenden Verfahrens mit jenen der Familie des Beschwerdeführers ersucht.
I.12. Am 23.03.2020 übermittelte das BFA eine Beschäftigungsbewilligung für den BF.
I.13. Am 15.06.2020 wurde die Einvernahme der Mutter des BF als Zeugin beantragt.
I.14. Am 15.06.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF, seine Mutter und seine damalige Rechtsvertretung teilnahmen. Das BFA blieb der Verhandlung unentschuldigt fern. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari u.a. zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich ausführlich befragt. Seine Mutter wurde als Zeugin zu den Fluchtgründen und der familiären Situation einvernommen.
I.15. Am 26.01.2021 nahm der BF zu zuvor übermittelten aktuellen Länderberichten Stellung und legte weitere Integrationsunterlagen sowie die Bevollmächtigung seiner nunmehrigen Rechtsvertretung vor.
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
- Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den BF; insbesondere in die Befragungsprotokolle;
- Befragung des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 15.06.2020;
- Befragung der Mutter des BF als Zeugin im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 15.06.2020;
- Einsicht in die im Rahmen des Verfahrens vorgelegten Unterlagen und Stellungnahmen und beigezogenen Verfahrensbestandteile seiner Familienangehörigen;
- Einsicht in die in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat;
- Einsicht in das Strafregister, in das Grundversorgungssystem und in das Zentrale Melderegister.
II. Feststellungen:
II.1. Zur Person des BF:
Der BF führt den im Rubrum angeführten Namen sowie das dortige Geburtsdatum. Seine Identität steht nicht fest. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari. Außerdem beherrscht der BF Paschtu in Wort und Englisch in Wort und Schrift.
Der BF wurde in Afghanistan in Kabul Stadt geboren. Er ist dort gemeinsam bei seinen Eltern und Geschwistern im Stadtteil XXXX in einem Haus aufgewachsen. Er hat neun Jahre lang die Schule XXXX besucht. Er hat nicht gearbeitet. Seine Eltern sorgten mit ihrem Einkommen für den Lebensunterhalt der gesamten Familie. Sein Vater arbeitete als Fahrer, seine Mutter war Köchin und Putzfrau, zuletzt unter anderem in der International School Kabul und im Unternehmen SRS. Einer seiner älteren Brüder besaß eine Autowerkstatt, in der der BF mithalf, Autos zu reparieren. Der BF trainierte außerdem in Fitnessstudios in Kabul.
Der BF ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig.
II.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Der BF wurde nie individuell und konkret wegen seiner Person von den Taliban oder von anderen Personen aufgesucht oder von diesen bedroht.
Der BF hatte keinen Kontakt zu den Taliban, er wird von diesen auch nicht gesucht. Dem BF droht bei einer Neuansiedlung in Afghanistan keine konkret gegen ihn gerichtete, individuelle physische oder psychische Gewalt.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem BF individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen.
II.3. Zum (Privat-)Leben des BF in Österreich:
Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit dem 10.09.2015 durchgehend in Österreich auf. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 10.09.2015 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.
Der BF verfügt über Deutschkenntnisse auf Niveau B1. Er hat die Pflichtschulabschlussprüfung im Bundesgebiet bestanden.
Der BF war ab dem 24.03.2020 infolge einer für ihn für sechs Monate erteilten Beschäftigungsbewilligung Hilfsarbeiter in einem Landwirtschaftsbetrieb. Sein Bruttomonatsverdienst für 40 Wochenstunden betrug € 1.370,--. Die Beschäftigungsbewilligung wurde bis zum 24.12.2020 verlängert. Zuletzt verdiente der BF im Oktober 2020 € 1.333,41 im November 2020 € 2.774,02 und im Dezember 2020 € 1.506,08 netto. Für die Zeit ab 23.03.2021 ist beabsichtigt, die Tätigkeit wiederaufzunehmen. Ein diesbezüglicher Antrag auf eine Beschäftigungsbewilligung war beim AMS anhängig und es ist davon auszugehen, dass dieser bewilligt worden ist.
Vor und zwischen seinen jeweiligen Berufstätigkeiten bezog der BF Leistungen aus der Grundversorgung. Auch während seiner Arbeitstätigkeit bezieht der BF für die Unterbringung Leistungen aus der Grundversorgung.
Der BF hat in seiner Wohngemeinde ehrenamtlich gearbeitet und ist Mitglied des dortigen Volleyballvereins.
Der BF konnte in Österreich Freundschaften zu anderen Asylwerbern, seinen Vereinskollegen und Mitgliedern seiner Gemeinde knüpfen.
Der BF wohnt im Bundesgebiet mit seinen Eltern, seinen vier Brüdern und seiner Schwester – wie auch bereits in Afghanistan – im gemeinsamen Haushalt. Vier seiner fünf Geschwister sind bereits volljährig, der jüngste Bruder wurde im März 2015 geboren. Der älteste Bruder des BF leidet an einer strukturellen fokalen Epilepsie bei Zustand nach cerebraler Tuberkulose mit Begleitvaskulitis, einem gering dysmorphen und hypoplastischen ausgebildeten rechten Wirbelbogen von HWK 2, einer Cholezystolithiasis, einer bisher nicht näher eingeordneten Verhaltensstörung, einer Hyperopie, einem Astigmatismus und einer manifesten Hypothyreose. Er wird deshalb medikamentös behandelt und steht in krankenhäuslicher Verlaufskontrolle. Aufgrund der Medikation haben sich sowohl die Anzahl der Anfälle als auch die Dauer dieser seit seiner Einreise deutlich verringert.
Sein Bruder benötigt aufgrund seiner Krankheiten Unterstützung, insbesondere, wenn es zu Anfällen kommt oder beim Herrichten des Essens. Er ist ansonsten jedoch in der Lage, sich selbst anzuziehen, Körperhygiene zu betreiben und Dinge des alltäglichen Lebens zu erledigen. Der BF ist nicht verantwortlich für die Pflege seines kranken Bruders. Diese wird von seinem anderen älteren Bruder und den Eltern übernommen.
Der BF unterstützt, wenn nötig, die Familie. Seine Mutter war während seiner Berufstätigkeit bei ihm mitversichert. Die Mutter bezog wie auch die übrigen Familienmitglieder Leistungen der Grundversorgung. Weder ist der BF von der Familie finanziell oder in sonstiger Weise abhängig noch ist die Familie vom BF abhängig.
Seine Familienmitglieder haben in Österreich ebenfalls Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Diese wurden vom BFA allesamt vollinhaltlich abgewiesen, Rückkehrentscheidungen erlassen und eine Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt. Infolge Beschwerdeerhebung gelangten deren Verfahren an das Bundesverwaltungsgericht. Seinem ältesten Bruder XXXX Z XXXX A XXXX wurde mit rechtskräftigem Erkenntnis vom 28.10.2020 zu W261 XXXX aufgrund dessen gesundheitlicher Probleme der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Die Beschwerde der Eltern und den zum Zeitpunkt der Einreise minderjährigen Geschwistern wurde mit rechtskräftigem Erkenntnis vom 13.01.2021 zu XXXX hinsichtlich des Status der Asylberechtigten und der subsidiär Schutzberechtigten sowie einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz abgewiesen, während der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidungen stattgegeben wurde. Es wurde festgestellt, dass die Rückkehrentscheidungen auf Dauer unzulässig sind und ihnen wurden die Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ beziehungsweise „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt. Auch dem weiteren zum Zeitpunkt der Einreise bereits volljährigen Bruder wurde nach Zurückziehung der Beschwerde in Bezug auf den Antrag auf internationalen Schutz und einer auf Dauer unzulässig erklärten Rückkehrentscheidung der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt.
Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
II.4. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
In Kabul Stadt leben ein Onkel des BF sowie eine Tante und eine Cousine des Vaters des BF samt deren Familien. Der BF kennt diese von gegenseitigen Verwandtenbesuchen während seines Aufenthalts in Kabul. Sein Vater hat nach wie vor Kontakt zu diesen Familienangehörigen in Kabul.
Die Werkstätte des Bruders des BF in Kabul steht noch im Eigentum der Familie und steht derzeit leer. Die Familie besitzt außerdem ein Haus in Kabul im ehemaligen Wohnviertel des BF, das ebenfalls leer steht.
Der BF hat telefonischen Kontakt zu Freunden aus Kabul.
Ein Onkel mütterlicherseits der Mutter des BF wohnt in Mazar-e Sharif. Dieser ist drogenabhängig und hat weder Frau noch Kinder.
Eine Tante mütterlicherseits des BF lebt in Deutschland, zwei Onkel mütterlicherseits leben mit seiner Großmutter im Iran. Weitere Verwandte des Vaters des BF – neben jenen in Kabul – leben in Österreich, Deutschland, den Niederlanden und in den Vereinigten Staaten. Diesen geht es gut. Es besteht Kontakt zu diesen.
Dem BF wird mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in seine Herkunftsstadt Kabul kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Die Herkunftsstadt des BF ist über den Luftweg sicher erreichbar.
Dem BF sind städtische Strukturen bekannt. Er ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in Kabul kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und einer Arbeit nachgehen und sich selbst erhalten. Er kann auch die Werkstatt seines Bruders weiterführen oder diese durch Verpachtung oder den Verkauf verwerten. Er verfügt durch das leerstehende Haus der Familie über einen sofortigen Wohnraum, kann jedoch auch bei seinen Verwandten in Kabul zumindest vorübergehend wohnen.
Der BF kann darüber hinaus von seinen Familienangehörigen in Österreich, aber auch den weiteren Familienmitgliedern in Afghanistan, dem Iran, in Deutschland, den Niederlanden und in den Vereinigten Staaten finanzielle Unterstützung erhalten. Der BF kann auch Teile seines in Österreich verdienten Gehalts für seine Rückkehr nutzen. Er kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten. Der BF kann auch bei seinem Onkel in Mazar-e Sharif unterkommen bzw. kann ihn dieser aufgrund dessen Netzwerkes bei der Organisation und Eingewöhnung sowie der Suche einer Berufstätigkeit unterstützen.
Es ist dem BF möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten bei einer Ansiedlung in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.
II.5. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 16.12.2020 (LIB);
- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR);
- UNHCR: Afghanistan, Compilation of Country of Origin Information (COI) Relevant for Assessing the Availability of an Internal Flight, Relocation or Protection Alternative (IFA/IRA/IPA) to Kabul, December 2019;
- EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO 2019);
- EASO Country Guidance Afghanistan vom Dezember 2020 (EASO 2020);
- EASO Bericht Afghanistan Networks (EASO Netzwerke);
- EASO: Afghanistan - Key-socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City (August 2020) (EASO Indikatoren);
- EASO: Afghanistan - Security Situation (September 2020) (EASO Security);
- EASO: Afghanistan - State Structure and Security Forces (August 2020) (EASO State);
- EASO: Afghanistan - Afghanistan, Anti-Government Elements (AGEs) (August 2020) (EASO AGEs);
- ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Masar-e Sharif und Umgebung; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 30.04.2020 (ACCORD Masar-e Sharif);
- ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Herat; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 23.04.2020 (ACCORD Herat) und
- Ecoi.net-Themedossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Sharif (ecoi).
II.5.1. Allgemeine Sicherheitslage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 bis 39 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 4).
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen anderen gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktszentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten (LIB, Kapitel 5). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B). Zwischen 01.03.2019 und 30.06.2020 wurden 15.287 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, wovon 573 Vorfälle sich gegen Zivilisten richteten (EASO Security, 1.3.). Während des ersten Viertels 2020 blieb der Konflikt in Afghanistan einer der tödlichsten der Welt für Zivilisten. Zwischen 01.01.2020 und 30.06.2020 dokumentierte UNAMA 3.458 zivile Vorfälle, inkludierend 1.282 Tote und 2.176 Verletzten. Das stellt einen Rückgang von 13% zur Vorjahresperiode dar. Dieser allgemeine Rückgang ist auf einen Rückgang von Luftschlägen und einer Reduzierung der IS Aktivitäten zurückzuführen (EASO Security, 1.4.1.). Zwischen 01.01.2020 und 30.09.2020 wurden von UNAMA 5.939 zivile Opfer gezählt, das bedeutet im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang um 13% und den niedrigsten Wert seit 2012 (LIB, Kapitel 5).
Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (LIB, Kapitel 7).
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus. High-Profile Angriffe (HPAs) ereigneten sich insbesondere in der Hauptstadtregion (LIB, Kapitel 5). Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant (LIB, Kapitel 5).
Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (LIB Kapitel 4).
Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet, wobei die afghanische Regierung daran weder beteiligt war noch von ihr unterzeichnet wurde. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden. Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen ist von der Einhaltung der Taliban an ihren Teil der Abmachung abhängig. Die Taliban haben im Abkommen unter anderem zugesichert, terroristischen Gruppierungen keine Zuflucht zu gewähren und innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (LIB, Kapitel 4).
Die Taliban haben jedoch die politische Krise aufgrund der Präsidentschaftswahl als Vorwand genutzt, den Einstieg in die Verhandlungen hinauszuzögern. Außerdem werfen sie der Regierung vor, ihren Teil der Vereinbarung nicht einzuhalten und setzen ihre militärische Kampagne gegen die afghanischen Sicherheitskräfte mit hoher Intensität fort (LIB, Kapitel 4). Diese Angriffe der Taliban richten sich gegen die ANDSF und nicht gegen internationale Kräfte (EASO Security, 1.3.). Im September 2020 starteten die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Katar. Die Gewalt hat allerdings trotzdem nicht nachgelassen (LIB, Kapitel 4).
II.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die Covid-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten bleibt eklatant (LIB, Kapitel 22).
Einer Prognose der Weltbank vom Juli 2020 zufolge wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Afghanistans im Jahr 2020 als Folge der COVID-19-Maßnahmen zwischen 5,5 und 7,4 % schrumpfen, was die Armut verschlimmern und zu einem starken Rückgang der Staatseinnahmen führen werde. Schon 2019 ist das absolute BIP trotz Bevölkerungswachstums das zweite Jahr in Folge gesunken. Seit 2013 ist auch das Bruttonationaleinkommen (BNE) pro Kopf stark zurückgegangen, von rund 660 auf 540 US-Dollar im Jahr 2019 (EASO Indikatoren, Kapitel 2.1.1.). Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig (LIB, Kapitel 22).
Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor, der 80 bis 90% der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tägliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 22).
Die Lage am afghanischen Arbeitsmarkt, der vom Agrarsektor dominiert wird, bleibt angespannt und die Arbeitslosigkeit hoch. Es treten viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, der nicht in der Lage ist, ausreichende Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit, allerdings beratende Unterstützung, die auch Rückkehrende in Anspruch nehmen können (LIB, Kapitel 20).
Der durchschnittliche Lohn beträgt in etwa 300 Afghani (ca. USD 4,3) für Hilfsarbeiter, während gelernte Kräfte bis zu 1.000 Afghani (ca. USD 14,5) pro Tag verdienen können (EASO Netzwerke, Kapitel 4.1).
In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020 Kapitel Common analysis: Afghanistan, 5). In den ländlichen Gebieten leben bis zu 60% der Bevölkerung unter der nationalen Armutsgrenze, in den urbanen Gebieten rund 41,6% (LIB, Kapitel 22).
Afghanistan ist weit von einem Wohlfahrtsstaat entfernt. Afghanen rechnen auch nicht mit staatlicher Unterstützung. Die fehlende staatliche Unterstützung wird von verschiedenen Netzwerken ersetzt und kompensiert (LIB, Kapitel 22).
Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungssicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018. Im ersten Halbjahr 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben, wobei gemäß des WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis…) um zwischen 18-31% gestiegen sind. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt (LIB, Kapitel 3).
Ebenfalls infolge der COVID-19-Maßnahmen, insbesondere aufgrund von Grenzschließungen und Exporteinschränkungen, kam es ab März 2020 zu einem starken Anstieg der Nahrungsmittelpreise. So ist etwa der Preis für Weizenmehl in ganz Afghanistan gestiegen. Das Hunger-Frühwarnsystem (FEWS) geht davon aus, dass viele Haushalte aufgrund reduzierter Kaufkraft nicht in der Lage sein werden, ihren Ernährungs- und essentiellen Nicht-Ernährungs-Bedürfnissen nachzukommen. UNOCHA zufolge hat sich der Ernährungszustand von Kindern unter fünf Jahren in den meisten Teilen Afghanistans verschlechtert, wobei in 25 der 34 Provinzen Notfalllevels an akuter Unterernährung erreicht würden (EASO Indikatoren, Kapitel 2.4.1.).
Zur Beeinflussung des Arbeitsmarkts durch COVID-19 gibt es keine offiziellen Regierungsstatistiken, es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat. Die afghanische Regierung warnt vor einer Steigerung der Arbeitslosigkeit um 40%. Aufgrund der Lockdown-Maßnahmen habe in einer Befragung bis Juli 2020 84% angegeben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Fall einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten, bei einer vierwöchigen Quarantäne steigt diese Zahl auf 98%. Insgesamt ist die Situation für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen negativ betroffen sind (LIB, Kapitel 3).
Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war. 2019 waren 10,2 Millionen von Lebensmittelunsicherheit betroffen, während 11,3 Millionen humanitäre Hilfe benötigen (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis: Afghanistan, 5).
Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis: Afghanistan, 5).
In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Netzwerke, Kapital 4.2.).
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis: Afghanistan, 5).
Der Finanzsektor in Afghanistan entwickelt sich und es gibt mittlerweile mehrere Banken. Auch ist es relativ einfach, ein Bankkonto zu eröffnen. Außerdem kann über das sogenannte Hawala-System Geld einfach und kostengünstig weltweit transferiert werden (LIB, Kapitel 22).
II.5.3. Medizinische Versorgung
Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge gab es 2018 3.135 funktionierende Gesundheitseinrichtungen in Afghanistan, wobei rund 87 % der Bevölkerung eine solche innerhalb von zwei Stunden erreichen könnten. Laut WHO gab es 2018 134 Krankenhäuser, 26 davon in Kabul (EASO Indikatoren, Kapitel 2.6.1.; EASO 2020, Kapitel Common analysis: Afghanistan, 5).
Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Staatsbürger zur Verfügung zu stellen. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Voraussetzung dafür ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft mittels Personalausweis oder Tazkira. Eine medizinische Versorgung in rein staatlicher Verantwortung findet jedoch kaum bis gar nicht statt. Die medizinische Versorgung in großen Städten und auf Provinzlevel ist allerdings sichergestellt, weniger dagegen auf der Ebene von Distrikten und Dörfern. Zahlreiche Staatsbürger begeben sich für medizinische Behandlungen – auch bei kleineren Eingriffen – ins Ausland. Das ist beispielsweise in Pakistan vergleichsweise einfach und zumindest für die Mittelklasse erschwinglich (LIB, Kapitel 23).
90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 23).
Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände – die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden – sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sowie auch spezialisierte Kliniken sind grundsätzlich verfügbar. Außerdem werden sie als in der afghanischen Gesellschaft als schutzbedürftig betrachtet und werden als Teil der Familie gepflegt (LIB, Kapitel 23.1).
II.5.3.1. COVID-19
Der erste offizielle Fall in Afghanistan wurde Ende Februar 2020 festgestellt. Nach einer Umfrage des afghanischen Gesundheitsministeriums hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (LIB, Kapitel 3).
Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Bevölkerung unabhängig von etwaigen Ausgangsbeschränkungen dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden. Hotels, Teehäuser und andere Möglichkeiten der Unterkunftnahme sind aktuell geöffnet (LIB, Kapitel 3).
Durch die COVID-19-Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert. 53% der Bevölkerung haben nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten (LIB, Kapitel 3).
II.5.4. Ethnische Minderheiten
In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 18).
Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan und hat einen deutlich politischen Einfluss im Land. In Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation. Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB, Kapitel 18.2.)
II.5.5. Religionen
Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 17).
II.5.6. Allgemeine Menschenrechtslage
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 12).
Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).
Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).
II.5.7. Bewegungsfreiheit und Meldewesen
Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 20).
Nach Schließung einiger Grenzübergänge aufgrund der COVID-19 Pandemie sind nunmehr alle Grenzübergänge wieder geöffnet. Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandahar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen. Auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen wie jenem in Bamyan statt. Ebenso verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führ zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (LIB, Kapitel 3).
Die Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab. Die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielen eine zentrale Rolle für den Aufbau einer Existenz und die Sicherheit am neuen Aufenthaltsort. Für eine Unterstützung seitens der Familie kommt es auch darauf an, welche politische und religiöse Überzeugung den jeweiligen Heimatort dominiert. Für Frauen ist es kaum möglich, ohne familiäre Einbindung in andere Regionen auszuweichen. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten. In Kabul ist die Fluktuation aufgrund verschiedener Faktoren größer, was oftmals in der Beschwerde bemerkbar macht, dass man seine Nachbarn nicht mehr kenne (LIB, Kapitel 20).
Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 20.1).
II.5.8. Regierungsfeindliche Gruppierungen
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 5).
Taliban:
Die Taliban positionieren sich selbst als Schattenregierung Afghanistans, und ihre Kommissionen und Führungsgremien entsprechen den Verwaltungsämtern und –pflichten einer typischen Regierung. Die Taliban sind zu einer organisierten politischen Bewegung geworden, die in weiten Teilen Afghanistans eine Parallelverwaltung betreibt. Sie bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (LIB, Kapitel 5).
Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 5).
Die Gesamtstärke der Taliban betrug geschätzt etwa 40.000-85.000, wobei diese Zahl durch zusätzliche Vermittler und Nicht-Kämpfer auf 100.000 ansteigt. (LIB, Kapitel 5).
Die Taliban sind keine monolithische Organisation; nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind. Seit Mai 2020 ist eine neue Splittergruppe von hochrangigen Taliban Dissidenten entstanden, die als Hizb-e Vulayet Islami oder Hezb-e Walayat-e Islami bekannt ist. Diese Gruppe ist gegen den US-Taliban Vertrag und hat Verbindungen in den Iran (LIB, Kapitel 5).
Laut dem unabhängigen Afghanistan-Experten Borhan Osman rekrutieren die Taliban in der Regel junge Männer aus ländlichen Gemeinden, die arbeitslos, in Madrasas und ethnisch paschtunisch ausgebildet sind. Die Rekrutierung erfolgt normalerweise über die Militärkommission der Gruppe und den Einsatz in Moscheen sowie über persönliche Netzwerke und Familien von Kämpfern, von denen viele motiviert sind, "die westlichen Institutionen und Werte, die die afghanische Regierung ihren Verbündeten abgenommen hat, zutiefst zu verabscheuen". Anstatt Gehälter zu zahlen, übernehmen die Taliban die Kosten (EASO AGEs, 2.4.). Die Taliban Kämpfer werden von einem Bericht in zwei Kategorien eingeteilt. Einerseits professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind. Die Taliban rekrutieren in der Regel junge Männer aus ländlichen Gemeinden, die arbeitslos sind, eine Ausbildung in Koranschulen haben und ethnisch paschtunisch sind (LIB, Kapitel 5).
Haqani-Netzwerk:
Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida und verfügt über Kontakte zu IS. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB, Kapitel 5).
Islamischer Staat (IS/Daesh) – Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP):
Der IS bezeichnet sich in Afghanistan selbst als Khorosan Zweig des IS. Eine Verbindung mit dem IS im Irak und in Syrien ist aber nicht erwiesen Die Stärke des ISKP variiert zwischen 2.500 und 4.000, bzw. 4.500 und 5.000 Kämpfern (LIB, Kapitel 5).
Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. In letzter Zeit geriet der ISKP unter großem Druck und verlor auch seine Hochburg in Ostafghanistan. Er soll jedoch weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein. Die landesweite Mannstärke des ISKO hat sich seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf zwischen 200 und 300 Kämpfern reduziert (LIB, Kapitel 5).
Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner, als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen. Aufgrund des Verlust des Territoriums ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt (LIB, Kapitel 5).
Der ISKP ist mit den Taliban verfeindet und betrachtet diese als Abtrünnige. Während die Taliban ihre Angriffe auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken, zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (LIB, Kapitel 5).
Al-Qaida:
Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB, Kapitel 5).
II.5.9 Provinzen und Städte
II.5.9.1. Herkunftsprovinz Kabul:
Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat geschätzt 4.434.550 Einwohner. Andere Berichte schätzen die Einwohnerzahl zwischen 3.5 und 6.5 Millionen. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 5.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 5.1 und Kapitel 5.35).
In den von neu eingewanderten Bewohnern bewohnten Stadtvierteln entsteht eine dofgesellschaftsähnliche Gemeinschaft. Die Verbindung dieser zu ihren früheren Herkunftsorten ist meistens direkter als zum Zentrum Kabuls (LIB, Kapitel 5.5.).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul und alle Distrikte gelten las unter Regierungskontrolle. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen in den letzten Jahren insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Im Jahr 2019 gab es 1.563 zivile Opfer (261 Tote und 1.302 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einem Rückgang von 16% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordangriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 5.1). Anschläge der regierungsfeindlichen Gruppierungen in Kabul richten sich zumeist gegen Regierungsinstitutionen, militärische und zivile Einrichtungen der afghanischen Regierung und internationaler Organisationen sowie Justizbedienstete, Gesundheitsbedienstete, Entwicklungshelfer und Menschenrechtsaktivisten. Zusätzlich wird auch von Angriffen gegen Medien berichtet. Vom 01.03.2019 bis zum 30.06.2020 richteten sich demnach von insgesamt 142 Vorfällen 22 gegen Zivilisten. Die Zahl der Anschläge ging nach einem Anstieg im ersten Halbjahr 2018 zudem seitdem bis 2019 zurück, während sich im dritten Quartal 2019 – wie in gesamt Afghanistan – die Zahl der Anschläge wieder erhöhte. Seitdem ging die Zahl wieder zurück, während sie seit dem zweiten Quartal 2020 wieder stieg. Die Anschläge richten sich jedoch nicht mehr so häufig wie früher auf „high-profile“ Ziele, sondern es stieg vielmehr die Zahl gezielter Tötungen vor allem von Regierungsangehörigen. Die Anschläge richteten sich in der überwiegenden Zahl gegen Regierungseinrichtungen (EASO Security, 2.1.3.1.).
Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO 2019, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 3.3.).
Rund ein Drittel aller Rückkehrer nach Afghanistan lebt entweder in Kabul oder Nangarhar. Während 2018 landesweit 46 % der Binnenvertriebenen angaben, der Zugang ihres Haushalts zu wichtigen Lebensgrundlagen wäre eingeschränkt, war die Situation in Kabul mit einem Anteil von 33 % etwas besser (EASO Indikatoren, Kapitel 2.2.3.). Während aus Kabul keine gewaltbedingte Vertreibung feststellbar ist, nimmt Kabul nach wie vor gewaltbedingt Vertriebene und Rückkehrer auf (EASO Security, 2.1.3.2.).
Intern Vertriebene in Kabul siedeln sich oftmals in den Außenbezirken der Stadt wie Bagrami an, wo sie sich oftmals mit anderen vulnerablen Gruppen, wie Armen, Rückkehrern und Wirtschaftsmigranten vermischen. Der Mangel an adäquaten Land und leistbaren Häusern im städtischen Gebiet zwingt die meisten neuen und langwierig Binnenvertriebene in Zelten, Lehmhäusern oder unter Planen in einen der mehr als 55 informell und illegalen Siedlungen zu leben. Diese Informalen (Kabul) Siedlungen (ISET oder KIS) variieren in Größe von dutzenden bis hunderten Wohnungen und inkludieren einige der ärmsten und vulnerabelsten Haushalte in der Stadt. Aufgrund der limitierten Jobmöglichkeiten, der geringen oder keiner schützenden sozialen Netze, der schlechten Unterbringungs-/Lebensbedingungen, des behinderten Zugangs zu Bildung und Gesundheitsversorgung und der anhaltenden Angs vor Räumung sind die Vertriebenen an den KIS Standorten prekären Lebensbedingungen und erhöhten Schutzrisiken in ihrem täglichen Leben ausgesetzt. Sie werden häufig zu sekundären Vertreibungs- und negativen Bewältigungsstrategien wie Kinderarbeit, Drogenkonsum / Sucht, frühzeitiger Heirat und Verringerung der Quantität und Qualität von Lebensmitteln gezwungen (EASO Security, 2.1.3.2.).
Abgesehen von internen Vertreibungen aufgrund von Konflikten kommen in Kabul große Zuströme afghanischer Flüchtlinge aus den Nachbarländern (Pakistan und Iran) oder aus der Türkei (nach der Deportation aus Europa), was die Dienstleistungen der Stadt und ihre Wiedereingliederungskapazität weiter belastet. Viele Rückkehrer landen in der Hauptstadt wegen der relativ höheren Sicherheit als in ihren Herkunftsregionen und wegen der Erwartung von mehr Beschäftigungsmöglichkeiten, besseren Unterstützungsdiensten und Aussichten auf soziale Akzeptanz. Es werden nur wenige Spannungen gemeldet, aber ein erhöhter Druck auf die lokalen Ressourcen, Arbeitsplätze, Dienstleistungen und Einrichtungen, die sowohl bei Rückkehrern als auch bei Aufnahmegemeinschaften Angst hervorrufen, werden aus mehreren Quellen beschrieben. Die meisten Rückkehrer in Kabul Stadt sind auf Verwandte angewiesen, um Unterkunft und andere Sachleistungen zu erhalten. Die Bedeutung sozialer Netzwerke wird als entscheidend für Rückkehrer angegeben. Wenn Rückkehrer ursprünglich nicht aus Kabul stammen und kein Sicherheitsnetz oder keine Großfamilie in der Hauptstadt haben, haben sie Schwierigkeiten, sich selbst zu ernähren, Arbeit zu finden oder eine Unterkunft zu mieten. Hazara-Rückkehrer, die nach Kabul kommen, können im Allgemeinen auf eine bessere Unterstützung durch eine Reihe hoch entwickelter sozialer Netzwerke in ihrer gut organisierten und zusammenhängenden Gemeinschaft zählen (EASO Security 2.1.3.2.).
Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war in den letzten Jahren das Zentrum dieses Wachstums. Schätzungsweise 72% der Bevölkerung Kabuls lebt in informellen Siedlungen (Slums), welche den meisten Einwohnern der Stadt preiswerte Wohnmöglichkeiten bieten. (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 5).
II.5.9.2. Balkh
Balkh liegt im Norden Afghanistans. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. In der Provinz Balkh leben 1.509.183 Personen, davon geschätzte 484.492 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. (LIB, Kapitel 5.5).
Balkh zählte zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Afghanistans, jedoch hat sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren in einigen ihrer abgelegenen Distrikte verschlechtert. Mazar-e Sharif gilt als vergleichsweise sicher, auch wenn sich im Jahr 2019 beinahe monatlich kleinere Anschläge ereignet haben. Diese fanden meist in der Nähe der Blauen Moschee statt. Ziel der Anschläge sind Sicherheitskräfte, es fallen ihnen jedoch auch Zivilisten zum Opfer. Im Jahr 2019 gab es 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 22% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. (LIB, Kapitel 5.5). Balkh zählt zwar nach wie vor zu einer Provinz, in der die Taliban eine kleinere Präsenz als im übrigen Nordens Afghanistans haben, allerdings hat sich ihr Einfluss im Jahr 2019 vergrößert (EASO Security, 2.5.2.).
In der Provinz Balkh – mit Ausnahme der Stadt Mazar- e Sharif – kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO 2019, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 3.3.).
Im Jahr 2020 zählte die Provinz nach Angaben des UN Generalsekretärs zu den konfliktintensivsten Provinzen des Landes (LIB, Kapitel 5.5.). Das Konfliktmuster im Distrikt Mazar-e Sharif, zu dem auch die Provinzhauptstadt gehört, unterschied sich vom allgemeinen Muster in der Provinz Balkh und in den verschiedenen Distrikten. Auch Mazar-e Sharif war einer der Bezirke in der Provinz Balkh, in denen eine geringere Anzahl von Vorfällen gemeldet wurde (EASO Security, 2.5.3.1.).
Die Hauptstadt der Provinz Balkh ist Mazar-e Sharif. In dieser Stadt sowie im Distrikt Marmul findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden, da sie den Antragsteller in risikoreichere Situationen bringen könnten (EASO 2019, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 3.3.).
II.5.9.3. Herat
Herat liegt im Westen Afghanistans. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Die Provinz hat 2.140.662 Einwohner, davon geschätzt 574.276 in der Provinzhauptstadt Herat Stadt. Die Provinz ist über einen Flughafen in der Nähe von Herat-Stadt zu erreichen (LIB, Kapitel 5.13).
Die Sicherheitslage auf Stadt- und Distriktsebene unterscheidet sich voneinander. Während einige Distrikte als unsicher gelten, kam es in Herat Stadt in den letzten Jahren zwar zu kriminellen Handlungen und kleineren sicherheitsrelevanten Vorfällen, allerdings nicht zu groß angelegten Angriffen oder offenen Kämpfen, die einen Einfluss auf das tägliche Leben gehabt hätten. Je weiter man sich von der Stadt Herat (die als sehr sicher gilt) und ihren Nachbardistrikten in Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer ist der Einfluss der Taliban. Im Jahr 2019 gab es 400 zivile Opfer (144 Tote und 256 Verletzte) in der Provinz Herat. Dies entspricht einer Steigerung von 54% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 5.13, EASO Security 2.13.3.1.).
In der Provinz Herat - mit Ausnahme in der Stadt Herat - kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO 2019, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 3.3.).
Die Hauptstadt der Provinz ist Herat-Stadt. In dieser Stadt findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden (EASO 2019, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 3.3.).
II.5.9.4. Mazar-e Sharif, Herat Stadt und Kabul Stadt
Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 5.5).
Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 3.3.).
Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 5.35). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 5).
Mazar-e Sharif gilt als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten. Balkh ist landwirtschaftlich eine der produktivsten Regionen Afghanistans wobei Landwirtschaft und Viehzucht die Distrikte der Provinz dominieren. Die Arbeitsmarktsituation ist auch In Mazar-e Sharif eine der größten Herausforderungen. Auf Stellenausschreibungen melden sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele Bewerber und ohne Kontakte ist es schwer einen Arbeitsplatz zu finden. In den Distrikten ist die Anzahl der Arbeitslosen hoch. Die meisten Arbeitssuchenden begeben sich nach Mazar-e Sharif, um Arbeit zu finden. In Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohnungen zur Verfügung. Auch eine Person, die in Mazar-e Sharif keine Familie hat, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden. Des Weiteren gibt es in Mazar-e Sharif eine Anzahl von Hotels sowie Gast- oder Teehäusern, welche unter anderem von Tagelöhnern zur Übernachtung benutzt werden (LIB, Kapitel 22). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis: Afghanistan, 5).
In der Stadt Mazar-e Sharif gab bzw. gibt es aufgrund der Corona Pandemie Ausgangssperren. Durch diese Ausgangssperren sind insbesondere Taglöhner, welche auf ihre tägliche Arbeit und ihren täglichen Lohn angewiesen sind, und Familien, welche nicht auf landwirtschaftliche Einkünfte zugreifen können, besonders betroffen (ACCORD Masar-e Sharif).
Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. In Mazar-e Sharif sind die Häuser zu 66,5% im Eigentum der dort lebenden, während etwa 24,5% ihre Unterkunft mieten (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 5).
Die in der Stadt Mazar-e Scharif und Umgebung befindlichen Orte, an denen die Mehrheit der IDPs und Rückkehrerinnen letztlich unterkommen, teilt UNHCR in drei Kategorien ein: Die erste Kategorie ist das Stadtzentrum, wo die Lebenshaltungskosten vergleichsweise hoch sind. In der zweiten Kategorie befinden sich längerfristige und dauerhafte Siedlungen bzw. Stätten („sites“), welche sich in den Vororten oder am Stadtrand befinden. Dort gibt es ein gewisses Maß an Infrastruktur, und humanitäre Organisationen bieten dort ein gewisses Ausmaß an Unterstützung an. Es gibt dort einen gewissen Zugang zu soliden Unterkünften, Bildung und medizinischer Versorgung. Die beiden größten längerfristigen Siedlungen bzw. Stätten sind das Sakhi-Camp (20 km nordöstlich der Stadt), Qalen Bafan (im westlichen Teil von Mazar-e Scharif), sowie Zabihullah (etwa 20 km südöstlich der Stadt). Die dritte Kategorie von Gebieten sind jene Siedlungen oder Stätten, die erst vor kürzerer Zeit und aufgrund der anhaltenden und zunehmenden Vertreibung entstanden sind. Diese Siedlungen, die in der Regel von der Regierung nicht anerkannt werden, befinden sich häufig auf Landstrichen mit unklaren Eigentumsverhältnissen. In diesen neueren Siedlungen leben viele Menschen in Zelten, oft unter prekären Bedingungen und mit stark eingeschränktem Zugang zu humanitärer Hilfe. Es mangelt dort an Wasser, Strom und sozialen Einrichtungen. Im Prinzip ist die Situation hinsichtlich des Zugangs zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Wasser und anderen Dienstleistungen umso schlimmer, je weiter außerhalb der Stadt jemand lebt, wobei die Situation in den informellen Siedlungen bzw. Stätten am schlimmsten ist. Ob allerdings die Situation in der Innenstadt besser ist, hängt von den individuellen - insbesondere finanziellen - Umständen eines Binnenvertriebenen oder Rückkehrers ab (ACCORD Masar-e Sharif).
Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 5). Mazar-e Sharif befindet sich auf einer Karte zur Ernährungssicherheit auf Stufe 2, was „stressed“ bedeutet. Das heißt, dass Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage sind, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ecoi 3.1.).
Herat-Stadt ist die Provinzhauptstadt der Provinz Herat. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB, Kapitel 5.13).
Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen sicher und legal erreichbar (LIB, Kapitel 5.13). Der Flughafen Herat (HEA) liegt 13 km südlich der Stadt im Distrikt Gozara. Die Straße, welche die Stadt mit dem Flughafen verbindet wird laufend von Sicherheitskräften kontrolliert. Unabhängig davon gab es in den letzten Jahren Berichte von Aktivitäten von kriminellen Netzwerken, welche oft auch mit Aufständischen in Verbindung stehen (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 5).
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten auszuüben. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 3.3.).
Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB, Kapitel 22).
In der Stadt Herat gab bzw. gibt es aufgrund der Corona Pandemie Ausgangssperren. Durch diese Ausgangssperren sind insbesondere Taglöhner, welche auf ihre tägliche Arbeit und ihren täglichen Lohn angewiesen sind, und Familien, welche nicht auf landwirtschaftliche Einkünfte zugreifen können, besonders betroffen (ACCORD Herat).
Die Unterkunftssituation stellt sich in Herat, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Herat besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 5).
Die größten und bedeutendsten IDP- und Rückkehrerinnen-Siedlungen in Herat- Stadt und Umgebung sind: Shahrak-e-Sabz (im Distrikt Gusara), Kahddestan (im Distrikt Indschil), Shaidayee (5km östlich der Stadt Herat) und Urdo Bagh. Die Versorgung der dort lebenden Menschen ist schlecht, der Zugang zur Grundversorgung ist eingeschränkt (ACCORD Herat).
Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (90,7%), zu erschlossener Wasserversorgung (70%) und zu Abwasseranlagen (30%). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81% zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 5). Herat befindet sich auf einer Karte zur Ernährungssicherheit auf Stufe 2, was „stressed“ bedeutet. Das heißt, dass Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage sind, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ecoi 3.1.).
Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Zu den wichtigsten Arbeitsgebern in Kabul gehört der Dienstleistungssektor, darunter auch die öffentliche Verwaltung. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB, Kapitel 22).
Die Gehälter in Kabul sind in der Regel höher als in anderen Provinzen (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Das Hunger-Frühwarnsystem (FEWS) stufte Kabul im Dezember 2018 als „gestresst“ ein, was bedeutet, dass Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage seien sich wesentliche, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Schätzungen zufolge haben 32% der Bevölkerung Kabuls Zugang zu fließendem Wasser, und nur 10% der Einwohner erhalten Trinkwasser. Diejenigen, die es sich leisten können, bohren ihre eigenen Brunnen. Viele arme Einwohner von Kabul sind auf öffentliche Zapfstellen angewiesen, die oft weit von ihren Häusern entfernt sind. Der Großteil der gemeinsamen Wasserstellen und Brunnen in der Hauptstadt ist durch häusliches und industrielles Abwasser verseucht, das in den Kabul-Fluss eingeleitet wird, was ernste gesundheitliche Bedenken aufwirft. Fast die Hälfte der Bevölkerung in Kabul verfügt über sanitäre Grundversorgung (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 5).
In der Stadt Kabul besteht Zugang zu öffentlichen und privaten Gesundheitsdiensten. In Kabul gibt es zwei öffentliche psychiatrische Kliniken (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 5). Der Zugang zu Gesundheitsversorgung ist in Kabul einfacher als in anderen Städten. Die große Zahl an Neuankömmlingen hat den Zugang jedoch eingeschränkt, insbesondere für jene, die sich private Krankenhäuser nicht leisten können. 2019 gaben 33 % der Haushalte in Kabul an, keinen Zugang zu einem – öffentlichen oder privaten – Gesundheitszentrum in ihrer Nähe zu haben, was 72 % davon auf die sehr hohen Kosten der Leistungen zurückführten (EASO Indikatoren, Kapitel 2.6.2.).
II.5.10. Situation für Rückkehrer und Rückkehrerinnen
In den letzten zehn Jahren sind Millionen von Migranten und Flüchtlingen nach Afghanistan zurückgekehrt. Der Großteil der Rückkehrer kommt aus den Nachbarländern Iran und Pakistan. Aufgrund der sinkenden Anerkennungszahlen von Flüchtlingen in Europa steigt auch die Zahl der freiwilligen Rückkehrer aus dieser Region. Die schnelle Ausbreitung des COVID-19 Virus in Afghanistan hat starke Auswirkungen auf die Vulnerablen unter der afghanischen Bevölkerung, einschließlich der Rückkehrer, da sie nur begrenzten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, insbesondere zur Gesundheitsversorgung, haben und zudem aufgrund der landesweiten Abriegelung Einkommens- und Existenzverluste hinnehmen müssen (LIB, Kapitel 24). Als Vorsichtsmaßnahme in Zusammenhang mit COVID-19 hat UNHCR die freiwillige Rückführung registrierter afghanischen Flüchtlinge aus Pakistan, dem Iran und anderen Ländern mit 04.03.2020 eingestellt. Für den Iran wurde diese ab 30.04.2020 auf Wunsch iranischer Behörden wiederaufgenommen (EASO Indikatoren, Kapitel 1.2.2.). Die freiwillige Rückkehr nach Afghanistan war im September 2020 über den Luftweg möglich. Es gibt internationale Flüge nach Kabul, Mazar-e Sharif und Kandahar (LIB, Kapitel 24).
UNHCR zufolge haben die COVID-19-Pandemie und die Lockdown-Maßnahmen dazu geführt, dass viele afghanische Flüchtlinge im Iran und Pakistan ihre grundlegendsten Bedürfnisse nicht mehr befriedigen können, und deshalb aus beiden Ländern trotz weiterhin bestehender Risiken und Unsicherheit nach Afghanistan zurückkehren. Dies könne medizinische und soziale Leistungen in Afghanistan massiv unter Druck setzen (EASO Indikatoren, Kapitel 1.2.2.).
Die Wiedervereinigung mit der Familie wird meist zu Beginn von Rückkehrern als positiv empfunden und ist von großer Wichtigkeit im Hinblick auf eine erfolgreiche Reintegration. Ohne familiäre Netzwerke kann es sehr schwer sein sich selbst zu erhalten, da in Afghanistan vieles von sozialen Netzwerken abhängig ist. Eine Person ohne familiäres Netzwerk ist jedoch die Ausnahme und einige wenige Personen verfügen über keine Familienmitglieder in Afghanistan, da diese entweder nach Iran, Pakistan oder weiter nach Europa migrierten (LIB, Kapitel 24).
Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrer in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 24).
Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 24).
Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 24).
Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 24).
Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 24).
Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 24). Unter Rückkehrern aus den Jahren 2016-17 lebten 58 % nach ihrer Rückkehr in gemieteten Unterkünften, 22 % in „anderen Arrangements“ (bei der Familie, in einem leerstehenden/besetzten Haus, in informellen Siedlungen) und 20 % in einem eigenen Haus. Der Eigenheimanteil ist damit deutlich geringer als in der allgemeinen Bevölkerung (EASO Indikatoren, Kapitel 2.7.4.).
Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) (LIB, Kapitel 24).
Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer und IDPs sehen bei der Reintegration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der „whole of community“ vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen eine Grundstücksvergabe vor, jedoch gilt dieses System als anfällig für Korruption und Missmanagement. Es ist nicht bekannt, wie viele Rückkehrer aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben und zu welchen Bedingungen. Die Regierung Afghanistans bemüht sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrer zu vergeben. Gemäß dem 2005 verabschiedeten Land Allocation Scheme (LAS) sollten Rückkehrer und IDPs Baugrundstücke erhalten. Die bedürftigsten Fälle sollten prioritär behandelt werden. Die Umsetzung des Programms ist aufgrund der Korruption schwierig und nicht immer möglich (LIB, Kapitel 24).
Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit in Afghanistan Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 24).
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (LIB, Kapitel 24).
IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:
- Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)
- Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten)
Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (LIB, Kapitel 24).
IOM hat mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union das Projekt „RADA“ (Reintegration Assistance and Development in Afghanistan) entwickelt. Innerhalb dieses Projektes gibt es eine kleine Komponente (PARA - Post Arrival Reception Assistance), die sich speziell an zwangsweise rückgeführte Personen wendet. Der Leistungsumfang ist stark limitiert und nicht mit einer Reintegrationsunterstützung vergleichbar. Die Unterstützung umfasst einen kurzen medical check (unmittelbare medizinische Bedürfnisse) und die Auszahlung einer Bargeldunterstützung in der Höhe von 12.500 Afghani (rund 140 EUR) zur Deckung unmittelbarer, dringender Bedürfnisse (temporäre Unterkunft, Weiterreise, etc.). Diese ist jedoch nur für Rückkehrer zugänglich die über den internationalen Flughafen von Kabul reisen (LIB, Kapitel 24).
In Kabul und im Umland sowie in anderen Städten steht eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Private Immobilienhändler in den Städten bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser und Wohnungen an. Die Miete für eine Wohnung liegt zwischen 300 USD und 500 USD. Die Lebenshaltungskosten pro Monat belaufen sich auf bis zu 400 USD (Stand 2019), für jemanden mit gehobenem Lebensstandard. Diese Preise gelten für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul, wo Einrichtungen und Dienstleistungen wie Sicherheit, Wasserversorgung, Schulen, Kliniken und Elektrizität verfügbar sind. In ländlichen Gebieten können sowohl die Mietkosten, als auch die Lebenshaltungskosten um mehr als 50% sinken. Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosten in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat. Abhängig vom Verbrauch können die Kosten allerdings höher sein. Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose existieren in Afghanistan nicht (LIB, Kapitel 24).
Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 24.1.).
III. Beweiswürdigung:
III.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.
III.2. Zu den Feststellungen zur Person des BF:
Die Feststellungen zum BF ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem BFA und in der Beschwerdeverhandlung. Die Identität des BF kann mangels der Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des BF sowie zu seinen Sprachkenntnissen beruhen auf den gleichbleibenden, glaubhaften Angaben des BF (S. 4, 13, 16 VP).
Gleichfalls beruhen auch die Feststellungen zu seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seiner familiären Situation in Afghanistan, seiner Schulbildung und seiner Mithilfe in der Werkstatt seines Bruders auf den im Wesentlichen gleich gebliebenen Aussagen des BF vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht (S. 15f VP). Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des BF zu zweifeln, zumal sie von seiner Mutter im Beschwerdeverfahren auch bestätigt wurden.
Die Feststellung zur Sozialisierung des BF nach den afghanischen Gepflogenheiten ergibt sich daraus, dass er in Afghanistan bei seiner afghanischen Familie aufgewachsen ist, er dort die Schule besucht und bei seinem Bruder Hilfsarbeiten verrichtet hat.
Dass der BF gesund ist, konnte aufgrund der eigenen Aussage des BF festgestellt werden (S. 14 VP); insbesondere legte er auch keine Dokumente vor, aus denen Gegenteiliges zu schließen wäre. Daraus folgt auch die Feststellung zur Arbeitsfähigkeit des BF, die durch seine saisonale Berufstätigkeit in Österreich untermauert wird.
III.3. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des BF:
Der BF leitet seine Verfolgung im Wesentlichen aufgrund der Tätigkeit seiner Mutter ab. Deren Vorbringen wurde in deren eigenem Verfahren rechtskräftig durch das Bundesverwaltungsgericht als nicht glaubhaft beurteilt und ihr kein internationaler Schutz zugesprochen. Dies muss sich auch auf den BF, der sich ausschließlich auf die Fluchtgründe seiner Mutter stützt, durchschlagen. Bereits aus diesem Grund kann das Vorbringen des BF, auch er werde wegen der Berufstätigkeiten seiner Mutter verfolgt, nicht glaubhaft sein. Selbst bei einer Wahrunterstellung der Angaben seiner Mutter ergibt sich jedoch keine Verfolgungsgefahr für den BF.
Zur Veranschaulichung dieser Beurteilung wird daher das Vorbringen des BF beziehungsweise das seiner Mutter (auch wenn dieses in Teilen durchaus widersprüchlich ist und gerade deshalb auch weder vom BFA noch vom Bundesverwaltungsgericht geglaubt wurde) im Rahmen einer Wahrunterstellung der weiteren Beurteilung zugrunde gelegt. Es wird daher davon ausgegangen, dass die Mutter des BF unter anderem für die International School Kabul gearbeitet hat. Nachdem die Schule wegen einer Anschlagsdrohung gegen die Schule in den ersten Monaten des Jahres 2015 geschlossen werden musste, arbeitete die Mutter des BF von zu Hause aus, indem sie ihr zu Hause gekochtes Essen auslieferte. Dabei machte sie mit Flugblättern, die ihre Heimatadresse und Telefonnummer enthielten, darauf aufmerksam, dass sie kocht und Essen liefert. Etwa eine Woche vor der Ausreise wurde die Mutter des BF unter der von ihr zu ihrem Lieferservice angegebenen Nummer angerufen und von einem ihr unbekannten Anrufer aufgefordert, Gift in das Essen, das sie in verschiedene Büros in Kabul lieferte, zu mischen. Andernfalls würde der Anrufer die Mutter des BF und ihre gesamte Familie umbringen. Die Mutter des BF brach den Anruf sofort ab und schaltete das Telefon aus, ohne nähere Details zu erfahren. Nachdem sie dem Vater des BF davon erzählt hatte, vernichtete sie auf dessen Rat überdies die SIM-Karte. Ob es sich dabei – bei Wahrunterstellung – um einen ernstzunehmenden Anruf oder schlechten Scherz gehandelt hat, kann dahingestellt bleiben.
Etwa eine Woche nach diesem Anruf bemerkte die Mutter des BF nachts aufgrund des Bellens ihres Hundes, dass zwei unbekannte, bewaffnete Männer versuchten, in ihr Haus einzudringen. Sie weckte daraufhin ihren Mann auf, der durch lautes Schreien um Hilfe die Männer vertreiben konnte. Dies konnten die Nachbarn, die durch den Lärm auf die Sache aufmerksam wurden, aufgrund ihres Blickwinkels feststellen. Nach diesem Angriff flüchteten die BF – ohne die Polizei einzuschalten oder sonstige Schritte einzuleiten – über Herat in den Iran und weiter nach Österreich.
Bereits aus diesem Vorbringen ergibt sich, dass der BF selbst nie bedroht wurde. Vielmehr war auch nach seinen Angaben stets nur die Mutter die Adressatin der von dieser als Bedrohung aufgefassten Vorfälle, während sich die Bedrohung auf den BF, falls überhaupt, dann nur reflexartig ausgewirkt haben kann. Zudem ergibt sich auch aus der Schilderung der Mutter, dass nach einem einzigen Anruf keine weiteren Versuche unternommen wurden, mit ihr in Kontakt zu treten, um ihr weitere Instruktionen hinsichtlich des angeblich aufgetragenen Giftanschlags zu geben. Ebenso ergibt sich aus der Schilderung, dass diese gar nicht weiß, wer der Anrufer war bzw. die nächtlichen Angreifer waren. Es ist daher insbesondere nach der Schilderung der Mutter nicht klar, ob es sich beim nächtlichen Vorfall um den Versuch eines Raubüberfalls handelte oder ob der Anrufer seine Drohung in die Tat umsetzen wollte. Letzteres schiene jedoch bereits deshalb wenig wahrscheinlich, weil dieser ja nicht wissen konnte, ob nur das Handy der Mutter des BF defekt war, es eine Netzschwäche oder Ähnliches gab oder ob sie aus Eigenem den Anruf unterbrach. Folglich wäre davon auszugehen, dass die Angreifer bei Kenntnis der Adresse zumindest eine weitere Kontaktaufnahme versucht hätten, hätte es sich tatsächlich um eine erstgemeinte Aufforderung und entsprechende Drohungen gehandelt. So soll die Mutter des BF das Handy ja bereits zu einem Zeitpunkt ausgeschaltet haben, als sie noch keinerlei Details erfahren hatte.
Darüber hinaus konnten die Angreifer, obwohl sie bewaffnet gewesen sein sollen, während die Familie unbewaffnet war, durch einfaches Schreien um Hilfe von ihrem Vorhaben abgehalten werden, was zeigt, dass die Angreifer nicht tatsächlich bestrebt waren, ihr angebliches Vorhaben umzusetzen. Vielmehr spricht dies gegen eine nennenswerte Bedrohungslage. Andernfalls hätten die Angreifer ihre telefonische Drohung zumindest wiederholt bzw. die Familie stärker unter Druck gesetzt und erst dann ihre Warnung umgesetzt. Keinesfalls hätten sie sich aber nur durch die bloßen Rufe der Familie derart schnell vertreiben lassen. Auch dass die Familie dann so schnell ihre Heimat, ihr Haus und die weitere Familie verlässt, spricht gegen diese Bedrohungslage, wäre doch anzunehmen, dass die Familie vorerst bei anderen Familienmitgliedern Zuflucht nimmt und sich über ihre Situation Klarheit zu verschaffen.
Darüber hinaus war nach der Schilderung der Familie des BF das primäre Angriffsziel stets die Mutter des BF. Es ist daher nicht ersichtlich, dass die Täter (wobei weder die Mutter noch der BF angeben konnten, um welche Gruppierung es sich dabei handle; S. 22 VP) nach dem BF bei einer Rückkehr nach fünf Jahren suchen sollten, weil sich die Bedrohung gerade nicht gegen den BF richtet. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Angreifer den BF überhaupt persönlich kennen oder ein Interesse an ihm haben würden. Nach der Schilderung der Mutter handelte es sich nämlich nur um eine telefonische Bedrohung ihr gegenüber und einen gescheiterten Überfall auf das Haus der Familie, wobei die Angreifer den BF nach der Schilderung der Familie jedenfalls nicht sehen konnten. Die einzigen Informationen, die die Angreifer daher zur Familie des BF haben, sind die frühere Telefonnummer der Mutter des BF, die jedoch seit langem von ihr nicht mehr verwendet wird, und die Adresse des Hauses in Kabul. Der BF selbst ist den angeblichen Angreifern daher jedenfalls unbekannt, sodass sie auch keine Verbindung zur Mutter herstellen könnten. Selbst wenn sie ihn daher in Afghanistan zufällig sehen würden, wüssten sie nicht, um wen es sich beim BF handelt. Sie würden daher auch keine Verfolgungshandlungen gegen den BF setzen. Alleine dass der BF denselben Nachnamen wie seine Mutter trägt, reicht jedenfalls nicht aus, um eine Verfolgungsgefahr auch des BF anzunehmen, könnte es sich dabei doch auch um eine zufällige Namensgleichheit handeln.
Auch das in den UNHCR-Richtlinien genannte Risikoprofil „Familienangehörige von Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen“ kann daher an dieser Einschätzung nichts ändern, da die angeblich regierungsfeindlichen Gruppen, die die Mutter des BF bedroht haben sollen, den BF nicht kennen. Im Übrigen wäre auch das Ziel der Bedrohung, nämlich die Mutter zu Giftanschlägen zu bewegen, nun nicht mehr zu erreichen, weil die Mutter ihre Kunden nicht mehr hat und seit Jahren nicht mehr für diese kocht. Da die Familie die Bedroher selbst auch nicht kennt, könnte sie diesen auch nicht gefährlich werden. Zusammengefasst ergibt sich also auch selbst bei Wahrunterstellung für den BF aus der angeblichen Bedrohung gegen seine Mutter keine für ihn abgeleitete Bedrohung. Auch berichteten weder der BF noch dessen Mutter von Bedrohungen der weiteren, nach wie vor in Kabul bzw. Afghanistan aufhältigen Familienmitglieder.
Nur am Rande ist deshalb festzuhalten, dass den BF ihr Vorbringen auch aufgrund ihres Aussageverhaltens und der zahlreichen Widersprüche nicht geglaubt wird. So lassen sich bereits die zeitlichen Angaben des BF zu seinem Schulbesuch und der Bedrohungslage nicht in Einklang bringen und widerspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass er nicht weiß, wann er eine Klasse wiederholt haben soll, was nur als Schutzbehauptung gewertet werden kann. Auch die Angaben seiner Mutter gestalten sich zum sonstigen Vorbringen widersprüchlich. Auf entsprechenden Vorhalt passte sie dann ihre Aussage dahingehend an, dass der BF die Schule doch erst später besucht habe. Auch beantwortete die Mutter des BF die an sie als zentrale Figur dieser Verfolgungen gestellten Fragen nicht oder nur ausweichend und erzählte von sich aus die Fluchtgeschichte, ohne auf die ihr gestellten Fragen einzugehen. Zudem berichtete sie die Vorfälle des (Raub-)Überfalls widersprüchlich zu den früheren Angaben, wenn sie in der Beschwerdeverhandlung weder den Hund noch die Nachbarn, die halfen, erwähnte und es sich statt um einen laut bellenden Hund um einen Wolf gehandelt haben soll. Auf entsprechenden Vorhalt passte sie überdies jeweils ihr Vorbringen an, was dieses durchaus noch weniger glaubwürdig machte. Nicht zuletzt ergaben sich Unterschiede in den Erzählungen des BF und seiner Mutter zu jenem nächtlichen Vorfall, den der BF auch miterlebt haben soll und der das weitere Leben durch die anschließende Ausreise massiv veränderte. Hinzu kommt, dass der BF diesen Vorfall derart oberflächlich und nicht zusammenhängend schilderte, dass dies einzig den Schluss zulässt, dass er diesen nicht selbst erlebt haben kann.
Deshalb teilt die erkennende Richterin gänzlich die Einschätzung der über die Familie des BF erkennenden Richterin (s. W251 2209940-1/24Z), wonach die Mutter des BF in Afghanistan nicht persönlich oder telefonisch (von Mitgliedern der Taliban) bedroht wurde; ebenso wenig versuchten bewaffnete Männer über die Gartenmauer der BF zu klettern und in deren Haus einzudringen; die Mutter des BF ist für die Taliban nicht von Interesse; da der von den BF geschilderte Vorfall sich nicht ereignet hat, droht den BF aus diesem Grund auch keine Gefahr durch die Taliban bei einer Rückkehr nach Afghanistan. Gleichermaßen war für den jungen und gesunden, aus Kabul stammenden und der Mehrheitsreligion sowie zweitgrößten Volksgruppe angehörenden BF keinerlei asylrelevante Gefährdung festzustellen.
III.4. Zu den Feststellungen zum (Privat-)Leben des BF in Österreich:
Die Feststellungen zum Leben des BF in Österreich, insbesondere zur Aufenthaltsdauer, seinen Deutschkenntnissen, seiner Arbeit, seinen familiären Anknüpfungspunkten in Österreich und seiner Integration in Österreich stützen sich so wie die Feststellungen zur Krankheit seines Bruders, der notwendigen, jedoch im Wesentlichen nicht vom BF geleisteten Unterstützung seines kranken Bruders und der Stellung des BF in der Familie auf die Aktenlage, auf die Angaben des BF und seiner Mutter in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie auf die vom BF im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen. Dass der ältere Bruder des BF Hauptbezugspunkt für den behinderten Bruder ist und dieser die zentrale Rolle bei dessen Pflege einnimmt und gerade nicht der BF selbst, wurde ebenfalls glaubhaft dargelegt (vgl. auch das mündlich verkündete Erkenntnis zu W207 2209928-1/15Z). Aus den rechtskräftigen Erkenntnissen der Familienangehörigen des BF konnte der Ausgang deren Beschwerdeverfahren entnommen werden.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus einem aktuellen Strafregisterauszug, jene zur Grundversorgung aus einem GVS-Auszug.
III.5. Zu den Feststellungen zur Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zu den Aufenthaltsorten seiner Verwandten ergeben sich aus den Aussagen des BF und seiner Mutter in der Beschwerdeverhandlung. Seine Mutter bestätigte auch, dass der Vater des BF (wenn auch seltenen) Kontakt zu seinen Familienangehörigen in Kabul hat (S. 12 VP). Dass Kontakt zu den Verwandten auch in Afghanistan besteht, ist zudem daraus ersichtlich, dass sowohl die Mutter des BF als auch der BF selbst umfangreiche Angaben zum derzeitigen Aufenthalt der Familienmitglieder machen konnten, was ihnen nur möglich ist, wenn (zumindest mittelbarer) Kontakt zu den Verwandten besteht.
Ebenfalls auf den Aussagen des BF und seiner Mutter beruht die Feststellung, wonach der BF diese in Kabul wohnhaften Verwandten von früheren Besuchen kennt (S. 7, 15 VP). Gleichfalls konnten auch die Feststellungen zum bestehenden Eigentum an der Werkstätte seines Bruders und an einem Haus in Kabul aufgrund der Aussagen des BF und seiner Mutter festgestellt werden (S. 17 VP; S. 7 des Bescheids der Mutter, der zum Verfahren beigezogen wurde, S. 8 VP).
Die Feststellung, wonach der BF darüber hinaus auch noch Kontakt zu seinen Freunden aus Kabul hat, beruht darauf, dass der BF bereits im Alter von 17 oder 18 Jahren ein Handy erhalten hat (S. 16 VP). Seiner Erklärung, er habe dieses fürs Musikhören erhalten, kann jedoch nicht gefolgt werden, zumal dafür praktischere und kostengünstigere Möglichkeiten zur Verfügung gestanden wären. Es ist daher wenig nachvollziehbar, dass der BF das Handy nur fürs Musikhören erhalten haben sollte. Zudem gestalten sich die Aussagen des BF, ob er in Kabul Freunde gehabt habe, durchaus widersprüchlich. Dazu gab er zunächst an, er habe nicht so viele Freunde gehabt (S. 16 VP), während er später behauptete, er habe keine Freunde in Afghanistan (S. 19 VP). Daraus ist klar ersichtlich, dass es sich bei der Aussage, er habe überhaupt keine Freunde gehabt, nur um Schutzbehauptungen handeln kann, um dadurch möglicherweise vulnerabler zu wirken. Den Aussagen des BF zu seinen Freunden kann daher insgesamt nicht gefolgt werden. Vielmehr ist entsprechend der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen, dass der BF, der in Kabul die Schule und ein Fitnesscenter besucht hat und sich nicht nur im Haus aufhielt, zumindest einige Freunde hatte und mit diesen auch telefonisch in Kontakt stand. Auch ist davon auszugehen, dass er mit diesen nach wie vor in zumindest losem Kontakt steht oder einen solchen zumindest wieder aufnehmen könnte, sei es auch über soziale Netzwerke.
Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des BF in seine Herkunftsprovinz Kabul ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten.
Die Feststellung zur Anpassungsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit des BF ergibt sich daraus, dass er in Österreich einer ehrenamtlichen Tätigkeit nachgeht, er sich in Österreich an sich zurechtfindet und bei Erhalt der Bewilligung erwerbstätig wäre. Es sind im Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die gegen eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit oder gegen eine Arbeitsfähigkeit des BF sprechen. Daraus folgt auch, dass er bei einer Rückkehr in der Lage wäre, für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Dies insbesondere unter Berücksichtigung, dass die Familie über ein Eigentumshaus in Kabul und eine Autowerkstatt verfügt. Der BF hat seinem Bruder auch bereits in der Werkstatt geholfen, woraus folgt, dass er die Werkstatt auch selbst wiedereröffnen könnte. Sollte er nicht über die dafür notwendigen Fähigkeiten verfügen, wäre es ihm möglich, einen geeigneten Mitarbeiter zu suchen oder die Werkstatt zu verpachten und von den Pachteinnahmen zu leben. Gleichfalls wäre es ihm beziehungsweise seiner Familie möglich, ihr Eigentumshaus in Kabul zu vermieten. Auch aus diesen Mieteinnahmen wäre es ihm möglich, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und etwa eine kleinere Unterkunft für sich selbst anzumieten. Gegebenenfalls könnte er dieses auch verkaufen. All dies könnte in Vorbereitung einer Rückkehr, allenfalls auch mit Hilfe der in Kabul lebenden Verwandten, bereits von Österreich aus erfolgen.
Darüber hinaus ist aufgrund des traditionell engen Zusammenhalts in der Familie auch davon auszugehen, dass der BF von seiner in Europa und Amerika bzw. im Iran lebenden Familie zumindest anfangs finanziell und auch von den in Afghanistan lebenden Mitgliedern mit Naturalien unterstützt werden könnte. Bei einer Rückkehr nach Kabul wäre es ihm zumindest anfangs, wenn nicht überhaupt über einen längeren Zeitraum, jedenfalls möglich, bei seinen dort lebenden Verwandten unterzukommen. Insbesondere sollen diese über eigene Häuser verfügen. Wenn bei diesem Ergebnis auch nicht entscheidungsrelevant, so dient es dennoch der Vollständigkeit, dass auch aus dem mündlich verkündeten Erkenntnis der Eltern des BF nichts Anderes hervorgeht, wenn dort angeführt ist: „Die Verwandten des BF1 [des Vaters des BF] wohnen samt deren Familien in der Stadt Kabul. Der Bruder des BF1 hat ein Fahrradgeschäft und wohnt in einem Haus. Es geht ihm gut. Ein Onkel des BF1 väterlicherseits betreibt ein Lebensmittelgeschäft, ein anderer ist Verkäufer in einem anderen Geschäft.“
Da der BF aufgrund der hohen Mietpreise in Kabul durch die Mieteinnahmen, auch ohne selbst einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, seinen Lebensunterhalt bestreiten kann und überdies über eine gesicherte Unterkunft verfügt, stehen auch die aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus gesetzten Maßnahmen (insbesondere Ausgangsbeschränkungen beziehungsweise –sperren und Einschränkungen am Arbeitsmarkt vor allem für Tagelöhner) einer Rückkehr des BF im konkreten Fall nicht entgegen. Ergänzend ist festzuhalten, dass der BF im Bundesgebiet über ein Einkommen verfügte und auch Teile dieses für die ersten Monate einer Wiederansiedlung verwenden kann. Zudem konnte er dadurch auch Berufserfahrung sammeln, die ihm im Heimatland zugutekommen wird.
Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung des BF in der Stadt Mazar-e Sharif ergeben sich – unter Berücksichtigung der von UNHCR und EASO aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan – aus den oben angeführten Länderberichten und aus den Angaben des BF. Die Feststellung zur Prognose, dass sich der BF dort eine Existenz aufbauen kann, sollte er wider Erwarten nicht nach Kabul als seinen Herkunftsort zurückkehren wollen, ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Aus den Länderinformationen ergibt sich, dass die Städte Mazar-e Sharif und Herat als ausreichend sicher gelten und unter der Kontrolle der Regierung stehen. Diese sind – wie Kabul – über den Luftweg auch sicher erreichbar. Die Versorgung der Bevölkerung ist auch in diesen Regionen trotz der Ausbreitung des Coronavirus und der zur Eindämmung seitens der Regierung gesetzten Maßnahmen jedenfalls grundlegend gesichert.
Der BF ist mit der afghanischen Kultur und den afghanischen Gepflogenheiten sozialisiert. Er stammt aus Kabul und kann sich daher in den afghanischen Städten zurechtfinden. Der BF hat die Schule besucht und verfügt durch die Hilfstätigkeiten bei seinem Bruder zumindest über grundlegende Berufserfahrung in Afghanistan. Auch in Österreich war er berufstätig und konnte ergänzende Berufserfahrung sammeln. Darüber hinaus kommen ihm auch in Mazar-e Sharif und Herat die Einnahmen aus den vermietbaren Immobilien in Kabul zu Gute. Seine in Kabul aufhältigen Verwandten können ihm hier bei der Vermietung, Verpachtung oder auch dem Verkauf jedenfalls behilflich sein. Dadurch hat der BF, auch ohne selbst eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, genügend Mittel, um für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Der BF ist zudem im erwerbsfähigen Alter, gesund, volljährig, alleinstehend, anpassungsfähig und arbeitsfähig. Der BF kann auch im Fall einer Ansiedlung in Mazar-e Sharif oder Herat von seinen Familienangehörigen aus Europa und Amerika finanziell unterstützt werden. Er kann – wie aus den Länderberichten folgt – auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und Teile seines im Bundesgebiets verdienten Einkommens für eine Wiederansiedlung nutzen. Nicht zuletzt hat der BF auch einen Onkel in Mazar-e Sharif, der – selbst sollte dieser tatsächlich drogenabhängig sein und an psychischen Erkrankungen leiden – den BF als enges Familienmitglied nach seinen Möglichkeiten unterstützen können und den BF zumindest anfänglich bei sich aufnehmen wird, sollte der BF dies wünschen. Auch ist davon auszugehen, dass der Onkel des BF in Mazar-e Sharif über ein gewisses soziales Netzwerk verfügt, das dem BF bei der Organisation seiner Wiederansiedelung und der Wohnungs- und Arbeitssuche behilflich sein kann. Aufgrund der Immobilien in Kabul und des sonstigen Netzwerkes ist der BF auf diesen jedoch nicht angewiesen. Er könnte sich auch zu einem günstigen Preis ein Zimmer in einem der Teehäuser nehmen, bis er eine geeignete Unterkunft gefunden hätte. Dank moderner Medien könnte er eine solche auch noch vor einer Rückkehr bereits aus Österreich selbst bzw. mithilfe seiner Verwandten aus Kabul organisieren.
Das Bundesverwaltungsgericht geht daher auf Grund dieser Umstände davon aus, dass sich der BF mit nur geringen anfänglichen Schwierigkeiten in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif niederlassen und sich dort eine Existenz ohne unbillige Härte aufbauen kann.
III.6. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich durch Einsichtnahme in die jeweils verfügbaren Quellen (u.a. laufende Aktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation und den EASO-Berichten) davon versichert, dass zwischen dem Stichtag der herangezogenen Berichte und dem Entscheidungszeitpunkt keine wesentliche Veränderung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan eingetreten ist. Die Berichte wurden vom BF trotz der eingeräumten Möglichkeit hierzu nicht bestritten, sodass keine Zweifel an der Richtigkeit der verwendeten Länderinformationen bestehen.
IV. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.
Zum Ersuchen auf Zusammenlegung der Verfahren des BF mit dem seiner Eltern und Geschwister (das im Übrigen unzulässiger Weise per E-Mail eingebracht wurde und daher keine Rechtswirkungen zu entfalten vermag; siehe § 1 Abs. 1 letzter Satz BVwG-EVV, VwGH 26.03.2019, Ra 2019/19/0014) ist lediglich der Vollständigkeit halber auszuführen, dass eine derartige Zusammenlegung (§ 17 VwGVG iVm § 39 Abs. 2 AVG) nicht zulässig ist: Nach § 17 Abs. 1 BVwGG wird jede Rechtssache dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichter oder Senat zugewiesen. Diese einfachgesetzliche Anordnung ist Ausfluss des bereits verfassungsrechtlich vorgesehenen Grundsatzes der festen Geschäftsverteilung in Art. 135 Abs. 2, 3 B-VG, der Art. 87 Abs. 3 B-VG (der diesen Grundsatz für die ordentliche Gerichtsbarkeit vorschreibt) nachgebildet ist. Diese Einrichtung steht auch im engen Zusammenhang mit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter im Sinne des Art. 83 Abs. 2 B-VG. Im Geltungsbereich des verfassungsgesetzlich geregelten Prinzips der festen Geschäftsverteilung bedeutet diese Garantie auch das Recht auf eine Entscheidung durch den gemäß der Geschäftsverteilung zuständigen Richter (VwGH 26.02.2020, Ra 2019/09/0154). Der Grundsatz der festen Geschäftsverteilung bedeutet weiters, dass die Verteilung der Geschäfte auf die einzelnen Spruchkörper durch Regeln, nämlich durch den Beschluss über die Geschäftsverteilung, von vornherein feststehen muss, dass in der Folge niemand Einfluss auf die Verteilung der Geschäfte nehmen kann und dass ferner die Einhaltung dieser Regeln nachprüfbar sein muss (VwGH 05.12.2019, Ra 2019/18/0321).
Für die Zuteilung der Rechtssachen ist die zum Zeitpunkt des Einlangens maßgebliche Geschäftsverteilung maßgeblich (VwGH 03.03.2020, Ra 2019/01/0446). Im gegenständlichen Fall ist das die Geschäftsverteilung 2018 idF vom 16.10.2018. Nach dessen § 24 Abs. 3 Z 2 ist eine Rechtssache dann annex, wenn sich eine Rechtssache nach dem AsylG auf ein Familienmitglied einer Person im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG oder eine bestehende Lebensgemeinschaft bezieht, auf die sich ein anderes anhängiges Verfahren nach dem AsylG bezieht. Nach § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist Familienangehöriger, der Elternteil eines minderjährigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten (lit a), der Ehegatte oder eingetragene Partner eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten, sofern die Ehe oder eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat (lit b), ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten (lit c) und der gesetzliche Vertreter eines minderjährigen ledigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten sowie ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind, für das einem Asylwerber, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten die gesetzliche Vertretung zukommt, sofern die gesetzliche Vertretung jeweils bereits vor der Einreise bestanden hat (lit d).
Da der BF zum Zeitpunkt seiner Einreise und Antragstellung bereits volljährig war, war er – wie im Übrigen auch das BFA im angefochtenen Bescheid festhielt und was der BF im Beschwerdeverfahren auch nicht bestritt – weder zu seinen Eltern noch zu seinen Geschwistern Familienangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG. Die Rechtssachen sind daher nach der GV 2018 nicht annex zueinander, sodass die Akten seiner Familienangehörigen zu Recht anderen Gerichtsabteilungen zugewiesen wurden und keine Grundlage für eine gemeinsame Verfahrensführung bestand (mag eine solche auch durchaus sinnvoll sein). Vielmehr stellte eine Verbindung der Verfahren einen Verstoß gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dar. Dem Ersuchen konnte daher nicht nachgekommen werden.
IV.1. Zum Spruchpunkt A)
IV.1.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge dieser Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472; 29.01.2020, Ra 2019/18/0228).
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Mitbeteiligte bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Fremde im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass er im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (Aktualität der Verfolgung; vgl. VwGH 06.04.2020, Ra 2019/01/0443; 25.09.2018, Ra 2017/01/0203).
Im gegenständlichen Fall sind diese Voraussetzungen, nämlich eine „begründete Furcht vor Verfolgung“ im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wie oben beweiswürdigend ausführlich dargelegt, nicht gegeben. Der Verwaltungsgerichtshof judiziert in seiner ständigen Rechtsprechung, dass eine Verfolgung aufgrund der Familienangehörigkeit insofern GFK-Anknüpfungspunkte aufweisen kann, wenn ihr Grund in der bloßen Angehörigeneigenschaft des Asylwerbers, somit in seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, etwa jener der Familie, liegt (VwGH 01.03.2016, Ra 2015/18/0130; 14.01.2003, 2001/01/0508). Wie in der Beweiswürdigung näher dargelegt, besteht aber selbst bei Wahrunterstellung (dazu, sowie zur Verpflichtung offenzulegen von welchen als hypothetisch richtig angenommenen Sachverhaltsannahmen bei der rechtlichen Beurteilung konkret ausgegangen wurde, um sowohl den Verfahrensparteien als auch dem Verwaltungsgerichtshof die Überprüfung zu ermöglichen, siehe etwa VwGH 25.06.2019, Ra 2019/19/0032; 20.09.2018, Ra 2018/20/0173; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069) keine aktuelle konkret gegen den BF gerichtete Gefahr einer Verfolgung. Überdies wurde auch dem Fluchtvorbringen der Mutter des BF, auf das er sich zur Gänze stützt, die Glaubwürdigkeit abgesprochen und dieser kein Asyl gewährt.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I war daher als unbegründet abzuweisen.
IV.1.2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids:
IV.1.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Diese Entscheidung ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG zu verbinden.
Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.
Zur erforderlichen Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erkennt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass dabei eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 18.02.2020, Ra 2020/18/0032).
Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174).
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0309).
Grundsätzlich hat der Fremde das Bestehen einer realen Gefahr im Sinne des § 8 AsylG glaubhaft zu machen. Dabei sind aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert ist, in Betracht zu ziehen und bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von jener anderer Personen im Herkunftsstaat unterscheidet, im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden. Soweit es um die allgemeine Lage im Herkunftsstaat geht, liegt es dagegen an den Behörden die allgemeine Lage festzustellen und nachzuweisen. Das Vorbringen des Asylwerbers muss demnach, um in diesem Sinn eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen (VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314 mwN).
Für die zur Prüfung der Notwendigkeit von subsidiärem Schutz erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des BF bei seiner Rückkehr abzustellen. Dies ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (EuGH 17.02.2009, C-465/07 , Elgafaji; VfGH 13.09.2013, U370/2012; VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0029).
Im gegenständlichen Fall ist der BF in Kabul Stadt geboren und aufgewachsen. Aus den Feststellungen geht für die Stadt Kabul hervor, dass dort „high-profile“ Angriffe regierungsfeindlicher, bewaffneter Gruppierungen nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Dennoch hat der Grad an Gewalt in Kabul nicht ein derart hohes Ausmaß erreicht, dass es geradezu wahrscheinlich erscheint, dass jeder der dorthin zurückkehrt, tatsächlich Opfer eines Gewaltakts wird. Davon kann nämlich nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016). Der Einschätzung steht insbesondere auch nicht die Tatsache entgegen, dass in der Stadt Kabul die höchste Zahl ziviler Opfer verzeichnet wird. Diese bezieht sich auf die absolute Opferzahl, die jedoch nicht isoliert zu sehen ist, sondern in Relation zur ungefähren Einwohnerzahl der Stadt Kabul von ungefähr fünf Millionen (manche Quellen sprechen von bis zu sechs Millionen) gesetzt werden muss. Insofern ergibt die Opferzahl keine überdurchschnittliche Bedrohungslage für in der Stadt Kabul lebenden Zivilisten. Insbesondere ist dabei auch in Betracht zu ziehen, dass die gesamte Provinz und damit auch die Stadt Kabul von der Regierung kontrolliert wird.
Diese Einschätzung wird auch von EASO geteilt, das in seiner Country Guidance vom Juni 2019 wie auch in der vom Dezember 2020 zwar ebenfalls festhält, dass in Kabul willkürliche Gewalt herrscht, jedoch nicht auf einem hohen Niveau, sodass spezifische gefahrenerhöhende Umstände vorliegen müssten, um einen Schutzbedarf zu begründen (EASO Country Guidance Juni 2019, S. 102). Derartige gefahrenerhöhende Umstände wurden vom BF jedoch nicht glaubhaft gemacht. Im Gegenteil, er ist dort aufgewachsen, hat dort gelebt, seine Schulausbildung gemacht, im familiären Betrieb mitgeholfen und auch ein Fitnessstudio besucht, sodass er über eigene Ortskenntnisse verfügt. Auch leben noch zahlreiche Familienangehörige, insbesondere der Bruder bzw. die Onkel seines Vaters mitsamt deren Familien, in Kabul. Hinzu kommt, dass die Familie auch die beiden in ihrem Eigentum stehenden Immobilien, das Haus und die Werkstatt, bisher weder verkauft noch vermietet / verpachtet haben, weshalb er an den ihm bekannten Wohnort zurückkehren kann. Zudem ist der BF sunnitischer Tadschike, was gefahrenmindernd wirken muss, weil er damit der Mehrheitsreligion angehört und sich die in Kabul stattfindenden Anschläge der Taliban und des IS, so sie Zivilisten zum Ziel haben, im Wesentlichen gegen schiitische Hazara richten. Zudem verfügt der BF über eine mehrjährige Schul- und zumindest Erfahrung als Hilfsarbeiter in Kabul. Er hat dort sein ganzes Leben bis zur Ausreise nach Europa gelebt und ist daher mit den örtlichen Gegebenheiten genauso vertraut wie mit den sozialen, kulturellen und religiösen Gepflogenheiten.
EASO hält beispielsweise im Bericht von September 2020 fest, dass sich die Anschläge der regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen Regierungsinstitutionen, militärische und zivile Einrichtungen der afghanischen Regierung und internationaler Organisationen sowie Justizbedienstete, Gesundheitsbedienstete, Entwicklungshelfer und Menschenrechtsaktivisten richten. Zusätzlich wird auch von Angriffen gegen Medien berichtet. Vom 01.03.2019 bis zum 30.06.2020 richteten sich demnach von insgesamt 142 Vorfällen „nur“ 22 gegen Zivilisten. Die Zahl der Anschläge ging nach einem Anstieg im ersten Halbjahr 2018 zudem bis 2019 zurück, während sich im dritten Quartal 2019 – wie in gesamt Afghanistan – die Zahl der Anschläge wieder erhöhte. Seitdem ging die Zahl wieder zurück, während sie ab dem zweiten Quartal 2020 wieder stieg. Die Anschläge richten sich jedoch nicht mehr so häufig wie früher auf „high-profile“ Ziele, sondern es stieg vielmehr die Zahl gezielter Tötungen vor allem von Regierungsangehörigen. Die Anschläge richteten sich in der überwiegenden Zahl gegen Regierungseinrichtungen (S. 60ff EASO Country of Origin Information Report: Afghanistan – Security Situation vom September 2020). Insgesamt kann daher nicht von einer derartigen Gewalt ausgegangen werden, dass jeder, der zurückkehrt, einer realen Gefahr nach Art. 2 EMRK ausgesetzt wäre. Das zeigt sich auch daran, wie EASO ebenso aufzeigt, dass von 01.03.2019 bis 30.06.2020 keine gewaltbedingte Vertreibung aus Kabul stattfand, sondern im Gegenteil Kabul nach wie vor als Zufluchtsort für innerstaatlich Vertriebene darstellt (S. 64 des genannten EASO Berichts). Dabei wird nicht verkannt, dass es jüngst gerade auch zu mehreren Angriffen des IS gegen die Zivilbevölkerung kam.
Es wird auch nicht verkannt, dass der UNHCR in seinen Richtlinien vom 30.08.2018 zur Beurteilung kommt, dass Zivilisten, die in Kabul tagtäglich ihren wirtschaftlichen oder sozialen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer der allgegenwärtigen in der Stadt bestehenden Gefahr zu werden. Der UNHCR stützt seine Ansicht neben dem Verweis auf UNAMA-Statistiken des ersten Halbjahres 2018 (die daher mittlerweile bereits veraltet sind) vorrangig auf den Bericht des EASO vom Juni 2018, wonach dieses festgestellt habe, dass in der Provinz Kabul, einschließlich der Hauptstadt, willkürliche Gewalt herrsche (FN 688). EASO führte dazu jedoch weiter aus, dass eine reale Gefahr nach den unionsrechtlichen Vorgaben nur dann begründet sein könnte, wenn der Betroffene spezifisch aufgrund bestimmter Faktoren betroffen sei, während der Grad der willkürlichen Gewalt nicht derart hoch sei, dass allein dieser eine Rückkehr ausschließe (S. 83 des EASO Berichts aus Juni 2018). Wie gerade gezeigt, zeigen insbesondere auch die aktuellsten Berichte des EASO, dass diese Situation nicht mehr in dieser Intensität vorliegt.
Ebenso wenig wird verkannt, dass der UNHCR in seinen Richtlinien vom August 2018 zum Schluss kommt, dass „angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist.“ (S. 129). Abgesehen davon, dass EASO zur Stadt Kabul nicht nur in seinem Bericht vom Juni 2018, sondern auch im aktuelleren Bericht vom Juni 2019 zu einer davon abweichenden Beurteilung hinsichtlich Kabul kam, ist diese Einschätzung des UNHCR im gegenständlichen Fall nicht einschlägig, weil es sich hier bei der Rückkehrmöglichkeit in die Stadt Kabul nicht um eine innerstaatliche Fluchtalternative handelt. Der Prüfungsumfang ist daher ein anderer, ist doch bei einer innerstaatlichen Fluchtalternative zusätzlich zur Prüfung, ob eine Gefahr der in § 8 AsylG genannten Rechte vorliegt, eine Prüfung der Zumutbarkeit vorzunehmen, die jedoch bei einer Rückkehr in den Heimatort nicht vorzunehmen ist (VwGH 23.01.2020, Ra 2019/01/0140).
Davon geht nicht zuletzt auch UNCHR aus (UNHCR, Kapitel III. C), der diese Prüfung einerseits als „Analyse der Relevanz“ und andererseits als „Analyse der Zumutbarkeit“ vornimmt. Eine derartige Prüfung nimmt der UNHCR auch hinsichtlich Kabul vor und verneint eine Rückkehrmöglichkeit erst auf der Stufe der „Analyse der Zumutbarkeit“, da er ansonsten eine derartige Prüfung gar nicht mehr hätte durchführen müssen, sondern die Rückkehrmöglichkeit bereits auf der Stufe der Relevanz ausgeschlossen hätte.
Die Sicherheitslage steht daher einer Rückkehr des BF in seinen Heimatort Kabul Stadt nicht entgegen. Kabul ist durch seinen internationalen Flughafen über den Luftweg auch sicher erreichbar. Auch die Versorgungslage in Kabul begründet keine Verletzung von Art. 3 EMRK.
Dabei verkennt das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass die wirtschaftliche Situation in Afghanistan schwierig ist und Rückkehrer im Allgemeinen arm sind. Dennoch ist festzuhalten, dass, auch wenn die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist, die Versorgung der afghanischen Bevölkerung in den Städten nach den Länderberichten zumindest grundlegend gesichert ist. So hat die Wirtschaft der Provinz Kabul einen weitgehend städtischen Charakter, wobei die wirtschaftlich aktive Bevölkerung in Beschäftigungsfeldern wie dem Handel, Dienstleistungen oder einfachen Berufen tätig ist. Kabul-Stadt hat einen hohen Anteil an Lohnarbeitern, während Selbstständigkeit im Vergleich zu den ländlichen Gebieten Afghanistans weniger verbreitet ist. Zu den wichtigsten Arbeitgebern in Kabul gehört der Dienstleistungssektor, darunter auch die öffentliche Verwaltung. Die Gehälter sind in Kabul im Allgemeinen höher als in anderen Provinzen, insbesondere für diejenigen, welche für ausländische Organisationen arbeiten. Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Ergebnisse einer Studie ergaben, dass Kabul unter den untersuchten Provinzen den geringsten Anteil an Arbeitsplätzen im Agrarsektor hat, dafür eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Die besten (Arbeits-) Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul.
Der gesunde und arbeitsfähige BF hat mehrere Jahre die Schule besuch und bereits in Kabul seinem Bruder in dessen Werkstatt geholfen. Er hat in Österreich Berufserfahrung in einem Landwirtschaftsbetrieb gesammelt. Darüber hinaus leben und arbeiten Verwandte von ihm in Kabul in verschiedenen Betätigungsbereichen. Auch sein Vater und seine Mutter haben jahrelang am Kabuler Arbeitsmarkt teilgenommen. Von diesen vielfältigen Kontakten zum Arbeitsmarkt kann und wird auch der BF profitieren. Darüber hinaus stehen ein Haus mit mehreren Zimmern, das er früher mit seiner großen Familie bewohnen konnte, und eine Werkstätte in Kabul im Eigentum der Familie des BF. Diese stehen aktuell leer und wurden von der Familie weder verpachtet noch vermietet. Diese könnte der BF – so er sie nicht selbst zum Wohnen und Arbeiten benötigt – vermieten. Selbst wenn er keine Arbeit finden sollte, würde er damit über genügend Einnahmen verfügen, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der BF anfangs auch bei Verwandten in Kabul unterkommen kann. Es ist daher kein Grund erkennbar, warum der BF keinen Beruf in Kabul aufnehmen können sollte. Es ist daher nicht zu sehen, dass der BF in Kabul keine Lebensgrundlage vorfinden würde, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden könnten, zumal er auch Teile seines Gehalts in Österreich für eine Rückkehr verwenden kann und er von seinen Familienangehörigen unterstützt wird. Dem BF ist daher eine Rückkehr in seinen Heimatort Kabul Stadt möglich.
Auch wenn man der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofs seit seiner Entscheidung vom 26.06.2019, E 472/2019 ua, wonach die Einschätzung des UNHCR zu Kabul auch hinsichtlich Kabul als Heimatort vollumfänglich heranzuziehen und daher auch eine Zumutbarkeitsprüfung durchzuführen ist, folgt, ändert das nichts am Ergebnis. Eine Rückkehr in seine Heimatstadt Kabul ist dem BF nämlich nicht nur möglich, sondern auch zumutbar. Der BF ist gesund und verfügt durch seine Familie beziehungsweise die dadurch möglichen Mieteinnahmen über die nötigen finanziellen Mittel für eine Wiederansiedlung. Er hat bereits jahrelang in Kabul Stadt gelebt, die Schule besucht und als Hilfsarbeiter bei seinem Bruder gearbeitet. Seine Familie und auch er selbst ist daher mit dem dortigen Arbeitsmarkt vertraut. Ebenso verfügt er über Ortskenntnisse in Kabul Stadt. Aufgrund des langen Aufenthalts in Kabul Stadt kann auch davon ausgegangen werden, dass er dort neben einem familiären auch über ein soziales Netzwerk verfügt. Der BF stammt aus einem Kulturkreis, in dem auf den familiären Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Familienkreis großer Wert gelegt wird. Es ist deshalb auch nicht zu befürchten, dass er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende wirtschaftlich ausweglose Lage geraten würde. Vielmehr gestalten sich die Vermögenssituation des BF und die ihm zustehenden Möglichkeiten weit aussichtsreicher als jene seiner Landsleute, weshalb ihm zumindest ein Leben, wie es seine Landsleute in Kabul Stadt führen, möglich sein wird.
Dem BF ist es daher aufgrund der dargelegten Umstände möglich und zumutbar, sich dort – etwa auch durch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten, wobei ihm seine Ausbildung, Berufserfahrung und die Kontakte seiner Familienmitglieder zu Gute kommen – eine Existenz aufzubauen und diese zu sichern. Er hat sogleich mit Rückkehr eine Unterkunft im Haus oder in der Werkstatt der Familie, kann aber auch zu seinen Verwandten ziehen oder sich mit Hilfe seines eigenen Netzwerkes ein Zimmer oder eine Wohnung anmieten. Dafür, dass der BF in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse, wie Nahrung und Unterkunft, einer unzumutbaren Situation ausgesetzt wäre, gibt es selbst nach seinem eigenen Vorbringen keine hinreichenden Anhaltspunkte.
Ergänzend ist noch festzuhalten, dass der UNCHR für seine Beurteilung, wonach Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Betracht komme, neben den Statistiken der zivilen Opfer darauf verweist, dass besonders darauf Bedacht zu nehmen ist, dass Armut in Kabul auch und besonders unter Rückkehrern weit verbreitet ist. Das trifft jedoch, wie gezeigt, auf den BF nicht zu, sodass auch deswegen der Einschätzung des UNHCR im konkreten Fall – abgesehen davon, dass es sich vorliegend um eine Rückkehr an den Heimatort und nicht um eine innerstaatliche Fluchtalternative handelt – nicht gefolgt werden kann.
Daran hat auch die Ausbreitung des Coronavirus und die zur Verhinderung der Verbreitung gesetzten Maßnahmen nichts geändert, auch wenn sich dadurch die Lebensmittelpreise erhöht haben und sich die Versorgungslage allgemein verschärft hat. Gerade der BF hat nämlich nicht nur Familie vor Ort, die ihn finanziell und aufgrund der Tätigkeit im Lebensmittelhandel auch mit Naturalien unterstützen kann, sondern er kann von seiner Familie in Österreich und den weiteren Angehörigen außerhalb Afghanistans jedenfalls nachhaltig finanziell unterstützt werden. Auch verfügt er in Österreich zumindest durch seine wiederholten Berufstätigkeiten über ein Gehalt, das er ebenfalls für die Wiederansiedlung nutzen kann. Es ist ihm auch möglich, die Immobilien in Kabul zu verkaufen oder zu vermieten, was ein nicht unbeträchtliches Vermögen darstellt und ihn insbesondere von vielen anderen Rückkehrern wesentlich abhebt. Es ist beim BF daher nicht zu sehen, dass die sich verschlechternde Wirtschaftslage einer Rückkehr entgegensteht. Selbst wenn er nämlich aufgrund der in Afghanistan gesetzten Maßnahmen, die insbesondere die Tagelöhner betreffen, da diese oft keine Arbeit mehr finden, anfangs arbeitslos sein sollte, ist es ihm durch seine finanziellen Reserven jedenfalls möglich, seinen Lebensunterhalt auch in der Zeit der Einschränkungen zu bestreiten. Dem BF ist eine Rückkehr nach Kabul daher möglich und zumutbar.
IV.1.2.2. Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.
Für die Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative sind zwei getrennte und selbständige Voraussetzungen zu prüfen (UNHCR, Kapitel III. C). Zum einen ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und Schutz vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Das als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefasste Gebiet muss zudem sicher und legal zu erreichen sein (Analyse der Relevanz). Von dieser Frage ist getrennt zu beurteilen, ob dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann beziehungsweise ob von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, sich in dem betreffenden Gebiet niederzulassen (Analyse der Zumutbarkeit; siehe auch VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001; 08.08.2017, Ra 2017/19/0118). Der Prüfmaßstab der Zumutbarkeit spiegelt den Umstand wieder, dass ein Asylwerber, der nicht in seine Herkunftsprovinz zurückkehren kann, in der Regel in einem Gebiet einer vorgeschlagenen innerstaatlichen Fluchtalternative nicht über jene finanziellen und infrastrukturellen Ressourcen sowie lokalen Kenntnisse und sozialen Netzwerke verfügen wird wie an seinem Herkunftsort und somit eine zusätzliche Prüfung stattzufinden hat, ob die Ansiedelung in dem vorgeschlagenen Gebiet auch zumutbar ist (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0221).
Ob dem Asylwerber ein Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet des Herkunftsstaates zugemutet werden kann, hängt von mehreren Faktoren ab, insbesondere von persönlichen Umständen des Betroffenen, der Sicherheit, der Achtung der Menschenrechte und der Aussichten auf wirtschaftliches Überleben. Es muss möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute des Asylwerbers führen können. Ein voraussichtlich niedrigerer Lebensstandard oder eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation sind keine ausreichenden Gründe, um ein vorgeschlagenes Gebiet als unzumutbar abzulehnen. Die Verhältnisse in dem Gebiet müssen aber ein für das betreffende Land relativ normales Leben ermöglichen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001). Eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Antragsteller bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (VwGH 13.02.2020, Ra 2019/01/0005).
Der Verwaltungsgerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung – auch zur Berichtslage aufgrund der UNHCR-Richtlinien von August 2018 und dem EASO Country Guidance von Juni 2019 –, dass es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans, insbesondere in Herat und Mazar-e Sharif, zugemutet werden kann, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist. Auch allein die Tatsache, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfügt, schließt die Zumutbarkeit nicht per se aus (VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0017; 13.02.2020, Ra 2018/19/0628; 12.12.2019, Ra 2019/01/0243 mit zahlreichen Hinweisen aus der Rechtsprechung). Auch gehen weder EASO noch der UNHCR in ihren aktuellen Berichten zu Afghanistan für einen alleinstehenden, gesunden, erwachsenen Mann ohne besondere Vulnerabilität für die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative von der Notwendigkeit der Existenz eines sozialen Netzwerkes in Herat oder Mazar-e Sharif aus (VwGH 13.02.2020, Ra 2019/19/0278).
Zu Mazar-e Sharif und Herat ist den Feststellungen zu entnehmen, dass das Niveau an willkürlicher Gewalt dort so gering ist, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein. Es hat sich zwar in einigen Distrikten die Sicherheitslage etwas verschlechtert, die Städte gelten allerdings nach wie vor als stabil und sicher. Die Anschläge in Mazar-e Sharif ereignen sich im Wesentlichen in der Nähe der Blauen Moschee und richten sich gegen Sicherheitskräfte. Zivilisten sind davon jedoch nicht überdurchschnittlich betroffen. Beide Städte sind zudem über den Luftweg sicher und legal erreichbar.
Auch wenn die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist, so ist die Versorgung der afghanischen Bevölkerung in den Städten dennoch zumindest grundlegend gesichert. Auch in Bezug auf Herat und Mazar-e Sharif fällt hier besonders ins Gewicht, dass der BF gesund und arbeitsfähig ist sowie als sunnitischer Tadschike keiner Minderheit angehört. Auch in Mazar-e Sharif lebt ein Verwandter des BF, der ihn mit der aktuellen Lage vertraut machen kann. Gleichfalls ist es dem BF auch in Herat und Mazar-e Sharif möglich, von den Mieteinnahmen der Immobilien in Kabul seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, selbst wenn er – wovon aber nicht auszugehen ist – keine Arbeit finden sollte.
Der BF ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut und anpassungsfähig, er kann sich daher in Afghanistan zurechtfinden, da ihm durch sein Aufwachsen in Kabul Stadt städtische Verhältnisse durchaus vertraut sind. Er hat zwar noch nicht in den anderen Städten Afghanistans gelebt, er kann sich jedoch innerhalb kurzer Zeit Ortskenntnisse aneignen. So konnte er sich ja auch in Österreich, einem gänzlich anderen Kulturkreis, zurechtfinden. Auch in den genannten Städten kann der BF auf finanzielle Unterstützung seiner großen Familie aus dem In- und Ausland vertrauen. Er kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und Teile seines im Bundesgebiet verdienten Einkommens nutzen sowie seine Rückkehr bereits von Österreich aus vorbereiten. Es ist deshalb nicht zu befürchten, dass er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende beziehungsweise wirtschaftlich ausweglose Lage geraten würde.
Der BF gehört auch keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Sollte der BF nicht bei seinem angeblich drogensüchtigen Onkel leben wollen oder können, kann er bei einer Ansiedlung in Mazar-e Sharif zumindest zu Beginn auch Unterkunft in einem „Teehaus“ zu günstigen Bedingungen finden. Auch in Herat kann er eine derartige Unterkunft beziehen. Darüber hinaus ist wiederum darauf zu verweisen, dass die Immobilien in Kabul vermietet oder auch verkauft werden können, wodurch der BF jedenfalls über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, um auch in den anderen afghanischen Städten eine Unterkunft zu finden.
Dem BF ist es daher aufgrund der dargelegten Umstände möglich, sich in Afghanistan– etwa auch durch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten – eine Existenz aufzubauen und diese zu sichern sowie eine Unterkunft zu finden. Dafür, dass der BF in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse, wie z.B. Nahrung und Unterkunft, einer unzumutbaren Situation ausgesetzt wäre, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte.
Damit liegt die zweite Voraussetzung für die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative vor. Unter Berücksichtigung der Länderberichte, der UNHCR-Richtlinie, der EASO-Guidelines und der persönlichen Situation des BF ist diesem eine Ansiedlung in Herat und Mazar-e Sharif möglich und auch zumutbar.
IV.1.2.3. Zur aktuellen und zeitlich begrenzten Situation der Ausbreitung des Coronavirus ist noch festzuhalten, dass auch diese einer Rückkehr nicht entgegensteht. So ist der BF jung und gesund, insbesondere leidet oder litt er an keinen Atemwegserkrankungen oder anderen chronischen Krankheiten. Er gehört somit nicht zur Risikogruppe der alten oder chronisch kranken Personen. Auch die notorisch bekannten Zahlen der an COVID-19 Erkrankten in Afghanistan (s. insbes. WHO, Daily Brief Afghanistan, COVID-19, mit Verweis auf die aktuellen Daten der Johns Hopkins University) zeigen aktuell kein für eine Schutzgewährung hinreichend signifikantes Risiko für den BF auf, wobei nicht verkannt wird, dass derzeit zahlreiche Landsleute aus dem stark betroffenen Iran über Herat in ihre Heimatorte zurückkehren und dass die Dunkelziffern weit höher liegen, weshalb auch in Afghanistan so wie in Österreich teils bereits (vorübergehende) Ausgangssperren verfügt werden mussten.
Es ergibt sich aus den Länderfeststellungen zwar, dass die Städte Afghanistans durchaus von Einschränkungen betroffen sind und insbesondere der Arbeitsmarkt für Tagelöhner betroffen ist. Nichtsdestotrotz ist die grundlegende Versorgung in den Städten gesichert. Insbesondere spricht besonders die konkrete Situation des BF nicht für eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 EMRK oder für die Verneinung der Zumutbarkeit einer Rückkehr.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang zwar bereits festgehalten, dass die Zumutbarkeitsprüfung unter Beachtung der Auswirkung der Covid-19-Pandemie zu erfolgen hat (VwGH 15.09.2020, Ra 2020/18/0152.), er hat allerdings zur Möglichkeit und Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Zusammenhang mit Afghanistan und den Auswirkungen und Folgen der Covid-19-Pandemie zudem bereits klargestellt, dass für sich nicht entscheidungswesentlich ist, wenn sich für einen Asylwerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus und von Erkrankungen an Covid-19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellte, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Das gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (VwGH 09.11.2020, Ra 2020/20/0373).
Beim BF ist in diesem Zusammenhang neben dessen guter gesundheitlicher Situation und seinem Alter insbesondere hervorzuheben, dass davon ausgegangen werden kann, dass der BF durch die Vermietung oder den Verkauf der Immobilien in Kabul über nachhaltige finanzielle Mittel verfügt und er zudem durch seine Familie in Europa und in Amerika finanziell ausreichend unterstützt werden kann. Anfangs kann er auch bei seinen Verwandten in Kabul unterkommen. Dadurch ist die anfängliche Versorgung des BF jedenfalls sichergestellt, weswegen es ihm auch möglich ist, die Ausgangsbeschränkungen beziehungsweise –sperren zu beachten, Menschenansammlungen zu meiden und damit das Infektionsrisiko zu minimieren. Dies auch unter Berücksichtigung seiner Einkünfte aus der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet, da es ihm durchaus zuzumuten ist, einen Teil seines Einkommens für eine Wiederansiedlung in Afghanistan zu sparen, zumal ihm bewusst sein musste, dass sein Aufenthalt ein unsicherer ist und er möglicherweise wird zurückkehren müssen.
Die sich zwar in gewissen Bereichen verschlechternde Versorgungslage steht daher im konkreten Fall einer Rückkehr nicht entgegen, zumal beim vermögenden BF nicht die reale Gefahr einer Verletzung seiner von Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu erwarten ist. Aufgrund seiner finanziellen Situation ist er insbesondere anfangs auch nicht auf den Arbeitsmarkt angewiesen, sondern kann seinen Lebensunterhalt durch seine Ersparnisse begleichen. Insofern ist der BF daher zumindest anfangs nicht auf den Arbeitsmarkt der Tagelöhner, der besonders betroffen ist, angewiesen. Dem BF ist daher eine Rückkehr trotz der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage auch zumutbar (VwGH 03.09.2020, Ra 2020/19/0221).
Selbst bei einer Infektion ist aufgrund der derzeit bekannten Statistiken darüber hinaus mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der junge, gesunde BF diese relativ komplikationslos und insbesondere ohne bleibende gesundheitliche Beeinträchtigungen überstehen wird. Die notorisch bekannten Statistiken zeigen, dass eine Infektion bei jungen, gesunden Personen in den weitaus meisten Fällen ohne schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen überstanden wird beziehungsweise diese Gruppe selbst bei einer Infektion überhaupt keine Symptome zeigt. Auch wenn einzelne dieser Personengruppe zwar auch schwer erkranken oder versterben können, besteht nach den derzeit verfügbaren Informationen jedoch jedenfalls keine „reale“ Gefahr. Im Hinblick auf die finanzielle Situation des BF und seiner Familie ist ihm daher eine Rückkehr trotz der Ausbreitung des Coronavirus, der dagegen gesetzten Maßnahmen der afghanischen Regierung und der damit zusammenhängenden, sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage möglich und auch zumutbar. Auch für die übrigen in Österreich aufhältigen und gesunden Familienmitglieder erging im Übrigen eine derartige Entscheidung.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. war daher ebenfalls als unbegründet abzuweisen.
IV.1.3. Zu den Spruchpunkten III. bis VI. des angefochtenen Bescheids:
IV.1.3.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.
Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen, wenn der Aufenthalt seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen (Z 1), zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel (Z 2) oder für Opfer von Gewalt, wenn eine einstweilige Verfügung nach § 382b oder § 382e EO erlassen wurde oder erlassen werden hätte können und die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Z 3).
Der Aufenthalt des BF ist nicht geduldet, er ist nicht Zeuge oder Opfer strafbarer Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen daher nicht vor, wobei dies auch weder im Verfahren noch in der Beschwerde behauptet worden ist.
IV.1.3.2. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Der BF ist als Staatsangehöriger von Afghanistan kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Es ist daher grundsätzlich eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.
Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben eingegriffen, ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dabei ist unter Bedachtnahme auf die in § 9 Abs. 2 BFA-VG aufgezählten Kriterien begründet abzusprechen, ob diese zulässig ist. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist somit eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien, vorzunehmen. Dabei sind die Umstände des Einzelfalles unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.
Die Frage, ob außerhalb des Bereiches des insbesondere zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK ein Familienleben vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte jeweils von den konkreten Umständen ab, wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung gegebenenfalls auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung sind. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (VwGH 10.01.2020, Ra 2019/20/0579).
Wie festgestellt, lebt der bereits zum Zeitpunkt der Einreise erwachsene BF mit seinen Eltern und Geschwistern auch in Österreich im gemeinsamen Haushalt. Es liegen allerdings keine zusätzlichen Merkmale der Abhängigkeit vor, sodass diese Beziehung unter das von Art. 8 EMRK geschützte Familienleben fallen würde. So verdient der BF selbstständig bzw. erhält Leistungen aus der Grundversorgung und auch seine Familienmitglieder beziehen Grundversorgung bzw. Sozialleistungen, weswegen keine finanzielle Abhängigkeit besteht. Daran kann auch die vorübergehende Auflage, seine Mutter bei sich mitzuversichern, nichts ändern. Auch besteht zum ältesten, erkrankten Bruder keine derartige über die üblichen Bindungen hinausgehende Beziehung oder Abhängigkeit, die bereits in das Familienleben fallen würde, zumal der BF in der Betreuung des kranken Bruders entgegen seinem anderen älteren Bruder, dem deshalb eine Aufenthaltsbewilligung gewährt wurde, gerade keine tragende Rolle einnimmt. Die Bindungen des BF zu seinen Verwandten im Bundesgebiet fallen daher nicht unter das geschützte Familienleben, sondern sind unter dem Blickwinkel des ebenfalls von Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens zu prüfen. Auch unter diesem Aspekt stellt die Rückkehrentscheidung jedoch keinen unverhältnismäßigen Eingriff dar.
Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479).
Die Dauer des Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet seit September 2015 wird dadurch relativiert, dass der Aufenthalt bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig war. Dies musste dem BF bewusst gewesen sein, weswegen eingegangene Bindungen im Bundesgebiet nicht schwer wiegen können. Zudem war sein Aufenthalt ab der erstinstanzlichen Ablehnung seines Antrags auf internationalen Schutz durch das zuständige BFA gemäß der Judikatur des EuGH illegal im Sinne der Richtlinie 2008/115 , dies unabhängig vom Vorliegen einer Bleibeberechtigung bis zur Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde (EuGH 19.06.2018, Gnandi, C-181/16 , Rn 59).
Bei Aufenthalten von unter fünf Jahren muss nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs eine außergewöhnliche Konstellation vorliegen, um die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu rechtfertigen. Eine solche liegt etwa auch dann nicht vor, wenn der BF besondere Bemühungen bei der Erlangung von Deutschkenntnissen und eines Lehrverhältnisses gezeigt hat, er keine Leistungen aus der Grundversorgung bezieht und auch Anstrengungen zur sozialen Integration in seiner Heimatgemeinde unternommen hat. Alleine dadurch besteht noch keine derartige Verdichtung der persönlichen Interessen, dass bereits von außergewöhnlichen Umständen gesprochen werden kann, sodass ihm schon unter diesem Gesichtspunkt ein Aufenthaltstitel aus den Gründen des Art. 8 EMRK zu erteilen wäre, zumal diesem das öffentliche Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenübersteht (VwGH 02.09.2019, Ra 2019/01/0088; 22.08.2019, Ra 2019/21/0149; 10.04.2019, Ra 2019/18/0058 mH auf VwGH 28.02.2019, Ro 2019/01/0003, wonach eine Lehre in einem Mangelberuf nicht bereits ihrerseits als besonderes öffentliches Interesse zu berücksichtigen ist).
Mit der Dauer des Aufenthalts nimmt zwar grundsätzlich das persönliche Interesse des Fremden zu, allerdings ist die bloße Aufenthaltsdauer alleine nicht maßgeblich, sondern es ist vor allem anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit die in Österreich verbrachte Zeit genützt worden ist, sich beruflich und sozial zu integrieren. Das gilt auch bei einem etwas mehr als fünfjährigen Aufenthalt (VwGH 07.10.2020, Ra 2020/14/0414; 05.10.2020, Ra 2020/19/0330; 28.09.2020, Ra 2020/20/0348). Auch wenn der über fünfjährige Aufenthalt des BF und die Verfahrensdauer daher zwar zu seinen Gunsten zu werten sind, ergibt eine Abwägung der Umstände des Einzelfalls, dass die Rückkehrentscheidung nicht in unzulässiger Weise in das von Art. 8 EMRK geschützte Privatleben eingreift.
Dabei wird auch nicht verkannt, dass der BF mehrere Deutschkurse besuchte und er auch bereits gut Deutsch spricht, die Pflichtschule abgeschlossen hat, er ehrenamtlich tätig war, Mitglied eines Sportvereins ist und wiederholt über eine befristete Arbeit als Hilfsarbeiter verfügte. Diesen Schritten des BF steht jedoch gemäß § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend gegenüber, dass er sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein musste (VwGH 31.03.2020, Ra 2019/14/0417). Diesem Umstand kommt insbesondere auch in Bezug auf seine Tätigkeit als Hilfsarbeiter Bedeutung zu.
Darüber hinaus hat der BF sein gesamtes Leben bis zur Ausreise nach Europa in Kabul verbracht. Er ist dort aufgewachsen, hat die Schule besucht und wurde dort sozialisiert. Auch derzeit leben noch Verwandte des BF in Afghanistan, besteht Kontakt zu diesen und verfügt die Familie nach wie vor über Immobilien in Kabul. Auch im Bundesgebiet pflegt der BF neben seinen Freundschaften zu Österreichern jene zu einer aus Kabul stammenden Familie. Der BF ist nach wie vor mit seinem Heimatland verwurzelt. Die Bindungen des BF zu seinem Heimatstaat Afghanistan überwiegen daher – obwohl seine Eltern und seine Geschwister im Bundesgebiet leben – die Bindungen zu Österreich, was ebenfalls für die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung spricht.
In Bezug auf seine Familienangehörigen ist festzuhalten, dass es sich beim BF um einen bereits vierundzwanzigjährigen jungen Mann handelt, der gesund und arbeitsfähig ist. Er kann daher – wie es die meisten jungen Männer in seinem Alter machen und wie er es im Wesentlichen auch im Bundesgebiet tut – für sich selbst sorgen und ein eigenständiges Leben führen. Auch für das Bundesgebiet ist anzunehmen, dass der erwachsene BF sich altersgemäß nach nunmehrigem Abschluss seines Beschwerdeverfahrens eine eigene Unterkunft suchen und von zuhause ausziehen sowie eine eigene Familie gründen würde, auch wenn er aktuell noch keine Beziehung hat. Eine finanzielle Abhängigkeit vom BF zu seiner Familie ist nicht ersichtlich und wurde im Verfahren auch nicht behauptet (vgl. AsylGH 22.7.2008, S5 400561-1/2008). Ebenso ist die Familie nicht auf die Einkünfte des BF angewiesen. So bezieht die Familie des BF nach wie vor Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bzw. sonstige Sozialleistungen.
Weiter leidet der BF auch an keiner Behinderung, mit der er ohne seine Familie nicht in der Lage wäre, sich emotional und praktisch in seinem Herkunftsland zurecht zu finden (vgl. EGMR 13.07.1995, 18/1994/465/564, Nasri v. Frankreich). Auch die Krankheit seines Bruders kann im gegenständlichen Fall nicht zur Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung führen, zumal der BF nicht für die Pflege und Betreuung seines Bruders zuständig ist. Diese Rolle übernehmen vielmehr seine Eltern und sein anderer älterer Bruder. Der BF bringt sich dagegen in das Familienleben nur dahingehend ein, dass er gelegentlich kocht, während er ansonsten im Wesentlichen sein eigenes Leben lebt.
Angesichts all dieser Umstände kann nicht gesagt werden, dass die Beziehung zwischen dem BF und seiner Familie in Österreich eine derart gravierende Intensität aufweist, die eine Trennung des BF von seiner Familie als unbillige Härte erschienen ließe. Vielmehr stellt sich die Beziehungsintensität und das Naheverhältnis zwischen dem BF und seiner Familie so dar, dass sich das Abhängigkeitsverhältnis – wie in Familien im Regelfall üblich – von einer engen Bindung als Kind auch im Sinne einer Abhängigkeit zu einer alterstypischen Unabhängigkeit eines jungen Mannes im Alter von vierundzwanzig Jahren gewandelt hat, der ein eigenständiges Leben führt. So stellt sich das derzeitige Zusammenleben mit seiner Familie in der Art, wie es der BF durch die Beschreibung seines Alltags ausgeführt hat, eher als alterstypische „Wohngemeinschaft“ denn als aktive Teilnahme am Familienleben, die von besonderer Abhängigkeit gekennzeichnet ist, dar.
Der BF ist nicht auf eine Betreuung oder Unterstützung seiner Angehörigen angewiesen. Dieser kann sein Fortkommen in Afghanistan unabhängig von seiner Verwandtschaft in Österreich sichern, wobei anzumerken ist, dass der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht komplett auf sich alleine gestellt wäre, da er auf andere familiäre Bande zurückgreifen könnte. Er verfügt über Onkel und Tanten in Afghanistan.
Ergänzend ist auch festzuhalten, dass der BF nach einer Ausreise aus dem Bundesgebiet nicht gezwungen ist, seine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich gänzlich aufzugeben. Die Möglichkeit der Aufrechterhaltung von Kontakten zu in Österreich befindlichen Verwandten besteht auch von Afghanistan aus, beispielsweise auf telefonischer Basis, durch Brief- oder E-Mail-Verkehr oder Messenger, wie dies von den Familienmitgliedern auch mit den weiteren Verwandten im Ausland gehandhabt wird. Ebenso stünde es dem BF frei, sich von Afghanistan aus – wie jeder andere Fremde auch – unter Einhaltung fremden- und niederlassungsrechtlicher Bestimmungen um einen legalen Aufenthalt oder ein Besuchsvisum zu bemühen. Es ist nämlich nicht Zweck des Asylrechts, Fremden die Einreise und den Aufenthalt unter Umgehung dieser Bestimmungen auf Dauer zu ermöglichen, sondern vor Verfolgung aus in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Gründen zu schützen. Da den in Österreich aufhältigen Familienmitgliedern auch nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen war, steht es diesen auch frei, den BF im Heimatland zu besuchen oder allenfalls mit diesem zurückzukehren.
Dass der BF strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass für einen weiteren Verbleib des BF im Bundesgebiet seine lange Aufenthalts- und Verfahrensdauer, die teils auch auf ein Verschulden der Behörden zurückzuführen ist, seine sprachliche, schulische und wirtschaftliche Integration sowie der Aufenthalt seiner Familienmitglieder sprechen. Dagegen steht die illegale Einreise als Erwachsener, die Unsicherheit des Aufenthaltsstatus und das Bewusstsein darüber, der Aufenthalt des BF in Afghanistan während seiner prägenden Jugendjahre (EGMR 01.06.2017, 30441/09, Külecki v Austria; 02.04.2015, 27945/10, Sarközi and Mahran v Austria), die Möglichkeit die privaten Bindungen zu den Familienmitgliedern im Bundesgebiet auch via soziale Medien aufrecht zu erhalten, die Verbindungen zum Herkunftsstaat durch die dortigen familiären Immobilien, die dortigen Verwandten und seine Vertrautheit mit den dortigen Gepflogenheiten sowie dass der BF trotz seiner zumindest teilweise gelungenen wirtschaftlichen Integration selbst während seiner Erwerbstätigkeit Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung (für die Unterbringung) bezog. Im Hinblick auf seine im Bundesgebiet lebenden Familienmitglieder ist erneut hervorzuheben, dass der BF zwar im gemeinsamen Haushalt mit diesen lebt, sich ansonsten aber, wie sowohl der BF als auch seine Mutter in der Beschwerdeverhandlung schilderten, wenig ins Familienleben einbringt und insbesondere auch nicht nennenswert bei der Pflege seines kranken Bruders mitwirkt. Die Intensität der Beziehung zu seinen Familienangehörigen ist daher geringer als etwa jene seines älteren Bruders, dem gerade deswegen und wegen der Übernahme der Pflege des kranken Bruders ein Aufenthaltstitel erteilt wurde. Gerade die mit der Selbstständigkeit als Erwachsenem gekoppelte geringere Einbringung ins gemeinsame Familienleben zeigt die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung, auch wenn seinen Familienmitgliedern mittlerweile Aufenthaltstitel zuerkannt wurden.
Insgesamt überwiegen daher die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, denen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung durch das BFA war daher im vorliegenden Fall nicht unverhältnismäßig.
IV.1.3.3. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Dazu kann – zumal dazu auch nichts gesondert vorgebracht wurde und auch (iSd § 50 Abs. 3 FPG) keine Empfehlung des EGMR vorliegt – auf die Ausführungen im Zusammenhang mit der Beurteilung des Antrags auf internationalen Schutz verwiesen werden, zumal die Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 FPG denen des § 8 AsylG und die des § 50 Abs. 2 FPG denen des § 3 AsylG entsprechen und ein inhaltliches „Auseinanderfallen“ der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG und der Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG ausgeschlossen ist (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006, Rn 40 mwN).
Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Da vom BF keine Gründe geltend gemacht wurden, die eine längere als die gesetzlich vorgesehene Frist rechtfertigen würden, war die Beschwerde insgesamt als unbegründet abzuweisen.
IV.2. Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Vielmehr handelt es sich bei der Frage, ob dem BF der Status des Asylberechtigten zu gewähren ist, im Wesentlichen um die Lösung von Tatfragen, zu deren Lösung der Verwaltungsgerichtshof nicht berufen ist. Bei Gefahrenprognosen im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG und bei Interessenabwägungen nach Art. 8 EMRK handelt es sich letztlich um einzelfallbezogene Beurteilungen, die im Allgemeinen nicht revisibel sind (z.B. VwGH 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; 12.10.2016, Ra 2016/18/0039).
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