BVwG G304 2175314-1

BVwGG304 2175314-15.7.2019

BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §54
FPG §55 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:G304.2175314.1.00

 

Spruch:

G304 2175314-1/16E

 

Schriftliche Ausfertigung des am 21.03.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX (alias XXXX), geb. XXXX (alias XXXX), StA: Irak, vertreten durch RA Dr. Andreas WALDHOF, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.10.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 01.03.2018 und 21.03.2019 zu Recht erkannt:

 

A)

 

Der Beschwerde wird insofern stattgegeben, als eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Irak gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG idgF auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

 

Gleichzeitig wird dem Beschwerdeführer gemäß § 54 Abs. 1 Z. 1 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.

 

Die Beschwerde gegen die sonstigen Beschwerdepunkte wird abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde), wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 06.10.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat abgewiesen (Spruchpunkt II.), dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen, und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.), und gemäß § 55 Abs. 1. bis 3 FPG für die freiwillige Ausreise des BF eine 2-wöchige Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt IV.)

 

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Es wurde beantragt, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und der Beschwerde stattzugeben.

 

3. Am 03.11.2017 wurde die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) vorgelegt.

 

4. Am 01.03.2018 wurde vor dem BVwG, Außenstelle Graz, unter Teilnahme des BF und seines Rechtsvertreters im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache eine mündliche Verhandlung durchgeführt.

 

5. Am 21.03.2019 folgte erneut eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG, Außenstelle Graz, wobei der BF und sein Rechtsvertreter im Beisein einer Dolmetscherin für die arabische Sprache einvernommen wurden. Am Schluss der Verhandlung wurde das Erkenntnis mit oben angeführtem Spruch mündlich verkündet.

 

6. Am 28.03.2019 langte beim BVwG das schriftliche Ersuchen des BFA um schriftliche Ausfertigung des am 21.03.2019 mündlich verkündeten Erkennntnisses ein.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Der BF ist Staatsangehörige vom Irak. Er gehört der arabischen Volksgruppe und der muslimisch-sunnitischen Glaubensrichtung an.

 

1.2. Der BF, der nicht verheiratet ist und keine Kinder hat, hat im Bundesgebiet eine österreichische Staatsbürgerin zur Lebensgefährtin, die er im Februar 2017 kennen gelernt hat, ansonsten jedoch keine näheren Bezugspersonen mehr. Seine Familie lebt im Irak. Der BF hielt nach seiner Ausreise zunächst den Kontakt zu seiner Familie im Irak über Telefon und Facebook aufrecht, wie er glaubhaft vor dem BFA am 20.07.2017 angab. Nunmehr hat er, wie er in der mündlichen Verhandlung am 21.03.2019 hervorhob, nur mehr einmal monatlich Schriftkontakt zu seiner im Irak verbliebenen Mutter, ansonsten jedoch keinen aufrechten Kontakt zu Familienangehörigen oder anderen Personen im Irak mehr.

 

1.3. Der BF hat in Bagdad 12 Jahre lang die Schule besucht und war dann von 2010 bis 2014 beim Militär, durch welche Tätigkeit er seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte, bevor er im Jahr 2014 zu seinem Onkel in die Provinz Anbar gereist ist.

 

1.4. Nachdem der BF im ersten Halbjahr 2015 legal mit einem von den Behörden in Bagdad ausgestellten Reisepass mit dem Flugzeug vom Irak in die Türkei ausgereist und dann schlepperunterstützt nach Österreich gereist war, stellte er am 13.07.2015 im Bundesgebiet den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

1.5. Das Fluchtvorbringen des BF, er könne nicht in den Irak zurückkehren, weil er, nachdem er während seines Militärdienstes als Funker, in welcher Position er sensible militärische Informationen erlangt habe, einmal zusammen mit einem bei einem Kampf gegen Terroristen verletzten Soldaten aus seiner Gruppe und weiteren Kollegen zurückgelassen worden sei, desertiert sei, weswegen gegen den BF ein Haftbefehl ausgestellt worden sei und ihm bei einer Rückkehr eine Haftstrafe drohe, war wegen widersprüchlichen, gesteigerten Fluchtvorbringens und überwiegend nicht lesbaren Inhalts des von ihm vorgelegten Haftbefehls nicht glaubwürdig.

 

Der vom BF vorgelegte mit "16.12.2014" datierte Haftbefehl war großteils nicht lesbar.

 

Die Übersetzung aus dem Arabischen lautet wörtlich (mit Anmerkungen des Übersetzers):

 

"Datum: 16.12.2014

 

Abschrift eines Gerichtsbeschlusses

 

Haftbefehl

 

1. Militärgericht 1

 

2. Angeklagter: Vor- und Nachname: (...) (nicht lesbar - vom Übersetzer angefügt)

 

Militärrang

 

(vom Übersetzer angefügt:) Da die meisten Wörter nicht lesbar sind, kann das Schriftstück nicht sinngemäß übersetzt werden.

 

Das Urteil wird in Abwesenheit ausgestellt

 

Am 16.12.2014

 

Unterschrift des Vorstandes des 1.en Militärgerichtes

 

General, Militärjurist und Gerichtsvorstand

 

Am 16.12.2014"

 

1.5.1. Der BF wurde im Irak nie persönlich bedroht. Auch seine Familie kann ungehindert ihr Leben in Bagdad weiterführen, darunter einer seiner Brüder einer Erwerbstätigkeit in einem Kaffeehaus und ein anderer einer Ingenieurstätigkeit nachgehen.

 

1.5.2. Der BF hatte im Irak nur allgemeingehaltene Probleme in Zusammenhang mit seiner muslimisch-sunnitischen Glaubensrichtung.

 

1.6. Ein Nachweis für eine gesundheitliche Beeinträchtigung des BF wurde nicht vorgelegt, weshalb feststellbar war, dass der BF, der physisch und psychisch imstande war, sowohl vor dem BFA als auch während den beiden mündlichen Verhandlungen vor dem BvwG einvernommen zu werden, gesund ist.

 

1.7. Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

 

1.8. Der BF hat seit seiner Einreise in Österreich im Jahr 2015 bereits viele Integrationsschritte gesetzt.

 

Er konnte sich sehr gute Deutschkenntnisse aneignen und hat im Bundesgebiet eine Sprachprüfung B1 positiv absolvieren können.

 

In seiner aktuellen Unterkunft ist bekannt, dass der BF mit seinen guten Deutschkenntnissen bei Sprachschwierigkeiten aushelfen und dolmetschen kann. Er gibt Deutsch-Privatunterricht und geht mit den Leuten zum Arzt, ins Krankenhaus, zu Behörden oder übersetzt ihnen auch Schriftstücke.

 

1.9. Der BF bezieht in Österreich Leistungen aus der Grundversorgung und ist aktuell nicht selbsterhaltungsfähig.

 

1.9.1. Er ist auf jeden Fall arbeitswillig und brachte in seiner Beschwerde von Oktober 2017 vor:

 

"Ich habe keinen Arbeitsvertrag, da es mit nach der geltenden Rechtslage nicht gestattet ist, mich in den österreichischen Arbeitsmarkt zu integrieren, obwohl ich gerne arbeiten würde, um dem Bund etwas zurückzugeben."

 

1.9.2. Der BF konnte in Österreich von einer Firma einen "Dienstvertrag" vom 23.03.2018 mit zugesicherter 38,5 Stundenwoche und Entlohnung nach dem Kollektivvertrag für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung erlangen.

 

Der Rechtsvertreter des BF brachte in der mündlichen Verhandlung vom 21.03.2019 bezüglich des vorgelegten Arbeitsvertrages vor:

 

"Der BF kann als Metallhilfskraft in der Mitarbeitergruppe A1 beschäftigt werden. Der BF hat bereits in einem Betrieb ein paar Stunden zur Probe absolviert. Im Betrieb war man von seiner Arbeitsleistung begeistert und hat sofort zugesagt, ihn im Weg des Überlassers zu beschäftigen."

 

1.9.3. Der BF selbst unterstrich mit folgenden Angaben in der mündlichen Verhandlung am 21.03.2019 seine Arbeitswilligkeit:

 

"Es ist für mich sehr schwierig, nicht arbeiten zu dürfen und immer zu Hause sitzen zu müssen."

 

1.9.4. Der BF arbeitete auch freiwillig in der Gemeinde seiner früheren Unterkunft mit.

 

1.10. Seine als Moslem zusammen mit seiner Lebensgefährtin, die dem christlichen Glauben angehört, westlich orientierte Lebensführung hob der BF in der mündlichen Verhandlung am 21.03.2019 mit folgenden Worten glaubhaft hervor:

 

"(...) Ich mag die österreichische Küche sehr gerne, und habe auch kein Problem mit Schweinefleisch, (...). Seit ich hier bin, war ich in keiner Moschee. Ich bin zwar Muslime, aber das ist für mich nicht wirklich ein Thema. Meine Freundin ist z.B. Katholikin, und ich erwarte von ihr auch sicher nicht, dass sie ihre Glaubensrichtung für mich ändert. Wir haben sogar schon darüber gesprochen, dass auch unsere Kinder katholisch getauft werden können, wenn sie das möchte. Ich möchte meinen Kindern Werte vermitteln, aber nicht eine bestimmte Religion. (...) Meine Freizeit gestalte ich im Prinzip wie jeder Österreicher auch. Natürlich gehört die meiste Zeit meiner Freundin, aber ich treffe mich mit Freunden mindestens einmal in der Woche auf ein Bier. (...) ich habe auch bei der katholischen Kirche in (...) bei der Pflege der Kirche und der Außenanlagen geholfen, wie gesagt, ich habe kein Problem mit anderen Glaubensrichtungen. Es ist mir wichtig, anderen Menschen zu helfen. (...) In (...) bin ich auch schon recht bekannt als hilfsbereiter Mensch."

 

2. Zur Lage im Irak wird festgestellt:

 

2.1. Sicherheitslage

 

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv, die Sicherheitslage ist veränderlich (CRS 4.10.2018).

 

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht - staatlichen Akteuren (AA 12.2.2018).

 

2.1.1. Sicherheitslage Bagdad

 

Die Provinz Bagdad ist die kleinste und am dichtesten bevölkerte Provinz des Irak, mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit der Provinz wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

 

Im Jahr 2016 verzeichnete die Provinz Bagdad noch immer die höchste Zahl an Opfern im gesamten Land. Die Sicherheitslage verbesserte sich jedoch in Bagdad als die Schlacht um Mosul begann. Während Joel Wing im Januar 2016 in Bagdad noch durchschnittlich 11,6 Angriffe pro Tag verzeichnete, sank diese Zahl zwischen April und September 2017 auf durchschnittlich 3 Angriffe pro Tag (OFPRA 10.11.2017; vgl. Joel Wing 8.7.2017, Joel Wing 4.10.2017). Seit 2016 ist das Ausmaß der Gewalt in Bagdad allmählich zurückgegangen. Es gab einen Rückgang an IS-Aktivität, nach den Vorstößen der irakischen Truppen im Nordirak, obwohl der IS weiterhin regelmäßig Angriffe gegen militärische und zivile Ziele durchführt, insbesondere, aber nicht ausschließlich, in schiitischen Stadtvierteln. Darüber hinaus sind sunnitische Bewohner der Gefahr von Übergriffen durch schiitische Milizen ausgesetzt, einschließlich Entführungen und außergerichtlichen Hinrichtungen (OFPRA 10.11.2017).

 

Terroristische und politisch motivierte Gewalt setzte sich das ganze Jahr 2017 über fort. Bagdad war besonders betroffen. UNAMI berichtete, dass es von Januar bis Oktober 2017 in Bagdad fast täglich zu Angriffen mit improvisierten Sprengkörpern kam. Laut UNAMI zielten einige Angriffe auf Regierungsgebäude oder Checkpoints ab, die von Sicherheitskräften besetzt waren, während viele andere Angriffe auf Zivilisten gerichtet waren. Der IS führte Angriffe gegen die Zivilbevölkerung durch, einschließlich Autobomben- und Selbstmordattentate (USDOS 20.4.2018).

 

Laut Joel Wing kam es im Januar 2018 noch zu durchschnittlich 3,3 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Bagdad pro Tag, eine Zahl die bis Juni 2018 auf durchschnittlich 1,1 Vorfälle pro Tag sank (Joel Wing 3.7.2018). Seit Juni 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Bagdad langsam wieder auf 1,5 Vorfälle pro Tag im Juli, 1,8 Vorfälle pro Tag im August und 2,1 Vorfälle pro Tag im September gestiegen. Diese Angriffe bleiben Routine, wie Schießereien und improvisierte Sprengkörper und konzentrieren sich hauptsächlich auf die äußeren südlichen und nördlichen Gebiete der Provinz (Joel Wing 6.10.2018).

 

Insgesamt kam es im September 2018 in der Provinz Bagdad zu 65 sicherheitsrelevanten Vorfällen. Damit verzeichnete Bagdad die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im ganzen Land (Joel Wing 6.10.2018). Auch in der ersten und dritten Oktoberwoche 2018 führte Bagdad das Land in Bezug auf die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle an. Wenn man jedoch die Größe der Stadt bedenkt, sind Angriffe immer noch selten (Joel Wing 9.10.2018 und Joel Wing 30.10.2018).

 

In Bezug auf die Opferzahlen war Bagdad von Januar bis März 2018, im Mai 2018, sowie von Juli bis September 2018 die am schwersten betroffene Provinz im Land (UNAMI 1.2.2018; UNAMI 2.3.2018; UNAMI 4.4.2018; UNAMI 31.5.2018; UNAMI 1.8.2018; UNAMI 3.9.2018; UNAMI 1.10.2018). Im September 2018 verzeichnete UNAMI beispielsweise 101 zivile Opfer in Bagdad (31 Tote, 70 Verletzte) (UNAMI 1.10.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2.2. Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)

 

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, Sicherheitskräften, die vom Verteidigungsministerien verwaltet werden, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF, Popular Mobilization Forces), und dem Counter-Terrorism Service (CTS). Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig; es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur in diesem Bereich verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der Counter-Terrorism Service (CTS) ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 20.4.2018).

 

Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Sie sind noch nicht befähigt, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.2.2018).

 

Straffreiheit ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums. Nach Angaben internationaler Menschenrechtsorganisationen findet Missbrauch vor allem während der Verhöre inhaftierter Personen im Rahmen der Untersuchungshaft statt. Probleme innerhalb der Provinzpolizei des Landes, einschließlich Korruption, bleiben weiterhin bestehen. Armee und Bundespolizei rekrutieren und entsenden bundesweit Soldaten und Polizisten. Dies führt zu Beschwerden lokaler Gemeinden bezüglich Diskriminierung aufgrund ethno-konfessioneller Unterschiede durch Mitglieder von Armee und Polizei. Die Sicherheitskräfte unternehmen nur begrenzte Anstrengungen, um gesellschaftliche Gewalt zu verhindern oder darauf zu reagieren (USDOS 20.4.2018).

 

Quellen:

 

 

 

2.3.Minderheiten

 

In der irakischen Verfassung vom 15.10.2005 ist der Schutz von Minderheiten verankert (AA 12.2.2018). Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten unter weitreichender faktischer Diskriminierung und Existenzgefährdung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 12.2.2018).

 

Quellen:

 

 

2.3.1. Sunnitische Araber

 

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es den sunnitischen Arabern weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richteten sich 2017 vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 12.2.2018). Es gab zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, die PMF und die Peshmerga (USDOS 20.4.2018).

 

Quellen:

 

 

 

2.4. Wehrdienst, Rekrutierungen und Wehrdienstverweigerung

 

Im Irak besteht keine Wehrpflicht. Männer zwischen 18 und 40 Jahren können sich freiwillig zum Militärdienst melden (AA 12.2.2018; vgl. CIA 12.7.2018). Nach dem Sturz Saddam Husseins wurde die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft und ein Freiwilligen-Berufsheer eingeführt. Finanzielle Anreize machen die Arbeit beim Militär zu einer attraktiven Karriere (Niqash 24.3.2016; vgl. Rudaw 15.12.2015).

 

Laut Kapitel 5 des irakischen Militärstrafgesetzes von 2007 ist Desertion in Gefechtssituationen mit bis zu 7 Jahren Haft strafbar. Das Überlaufen zum Feind ist mit dem Tode strafbar (MoD 10.2007). Die Frage, inwieweit die irakischen Behörden in der Praxis im Falle von Desertion Strafverfolgung betreiben, kann nicht eindeutig beantwortet werden (MIGRI 6.2.2018).

 

Im Zuge des Zusammenbruchs der irakischen Streitkräfte im Jahr 2014 und des dreijährigen Kampfes gegen den IS schlossen sich viele Freiwillige den paramilitärischen Volksmobilisierungseinheiten (PMF) an, was zu einem Rekrutierungswettkampf zwischen dem irakischen Verteidigungsministerium und den Volksmobilisierungseinheiten führte (CEIP 22.7.2015; vgl. ACCORD 22.8.2016).

 

Auch in der Autonomen Region Kurdistan herrscht keine Wehrpflicht. Kurdische Männer und Frauen können sich freiwillig zu den Peshmerga melden (DIS 12.4.2016; vgl. NL 1.4.2018, Clingendael 3.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

DIS - Danish Immigration Service (12.4.2016): The Kurdistan Region of Iraq (KRI); Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation; Report from fact finding mission to Erbil, the Kurdistan Region of Iraq (KRI) and Beirut, Lebanon, 26 September to 6 October 2015,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1302021/1226_1460710389_factfindingreportkurdistanregionofiraq11042016.pdf , Zugriff 5.11.2018

 

 

 

 

 

 

2.5. IDPs und Flüchtlinge

 

Seit Jänner 2014 hat der Krieg gegen den IS im Irak die Vertreibung von ca. sechs Millionen Irakern verursacht, rund 15 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes (IOM 4.9.2018). Ende September 2018 betrug die Zahl der weiterhin intern Vertriebenen noch 1,89 Millionen (IOM 30.9.2018). Dabei handelt es sich um die niedrigste Zahl an IDPs seit Ende 2014 (IOM 4.9.2018). Die Zahl der Vertriebenen sinkt seit der zweiten Hälfte des Jahres 2017 sukzessive (UNHCR 31.8.2018; vgl. UNHCR 31.7.2018, IOM 30.9.2018); die Zahl der Rückkehrer ist mittlerweile auf 4 Millionen gestiegen (IOM 30.9.2018). Bis zu einer Million Menschen bleiben weiterhin aus dem konfessionellen Konflikt von 2006-08 vertrieben (USDOS 20.4.2018).

 

Die Provinzen mit den höchsten Zahlen an IDPs sind Ninewa, gefolgt von Dohuk, Erbil, Salah al-Din, Sulaymaniya, Kirkuk, Bagdad, Anbar und Diyala (IOM 30.9.2018; vgl. UNOCHA 31.8.2018, IOM 4.9.2018).

 

Ausländische Flüchtlinge

 

Das Gesetz sieht die Gewährung von Asyl vor, und die Regierung hat ein System zum Schutz von Flüchtlingen eingerichtet (USDOS 20.4.2018). Unter den etwa 335.000 ausländischen Flüchtlingen sind etwa 245.000 Syrer und ca. 40.000 Flüchtlinge aus anderen Gebieten. Ihren Status regelt das "Gesetz über politische Flüchtlinge", Nr. 51 (1971). Der Entwurf einer Novellierung des Gesetzes wurde bislang nicht verabschiedet. Die Flüchtlinge befinden sich überwiegend in und um Bagdad sowie unmittelbar im Grenzbereich zu Syrien und Jordanien (AA 12.2.2018). Die Regierung arbeitete im Allgemeinen mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen im Land Schutz und Unterstützung zu bieten (USDOS 20.4.2018).

 

UN-Organisationen, NGOs und die Presse berichten, dass konfessionelle Gruppen, Extremisten, Kriminelle und in einigen Fällen Regierungskräfte Flüchtlinge angegriffen und verhaftet haben, darunter Palästinenser, Ahwazis und syrische Araber. (USDOS 20.4.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

2.6. Bewegungsfreiheit

 

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an (USDOS 20.4.2018). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 1.2018).

 

Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von Vertriebenen und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen. Es gab zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) Bestimmungen, die Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken, selektiv umgesetzt haben (USDOS 20.4.2018).

 

Die kurdische Autonomieregierung schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten ein (USDOS 20.4.2018). Innerirakische Migration aus dem Zentralirak in die Autonome Region Kurdistan ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug jedoch kontrolliert. Wer dauerhaft bleiben möchte, muss sich bei der Asayish-Behörde des jeweiligen Bezirks anmelden. Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht (AA 12.2.2018). Die Behörden verlangen von Nicht-Ortsansässigen, Genehmigungen einzuholen, die einen befristeten Aufenthalt in der Autonomieregion erlauben. Diese Genehmigungen waren in der Regel erneuerbar. Bürger, die eine Aufenthaltserlaubnis für die Autonome Region Kurdistan bzw. die von ihr kontrollierten Gebiete einholen wollen, benötigen einen in der Region ansässigen Bürgen. Bürger, die aus dem Zentral- oder Südirak in die Autonome Region Kurdistan einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehörten, auch Kurden) müssen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen über sich ergehen lassen (USDOS 20.4.2018).

 

Die Behörden der Autonomen Region Kurdistan wenden Beschränkungen unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt. Beamte hindern Personen, die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, an der Einreise in die Region. Die Einreise ist für Männer oft schwieriger, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen (USDOS 20.4.2018).

 

Aufgrund militärischer Operationen gegen den IS erhöhten die irakischen Streitkräfte, PMF und Peshmerga die Zahl der Checkpoints und errichteten in vielen Teilen des Landes provisorische Straßensperren (USDOS 20.4.2018). Diese Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der IS richtet falsche Checkpoints ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (albawaba 12.3.2018; vgl. GardaWorld 29.3.2018, Kurdistan24 29.3.2018, Iraqi News 28.6.2018).

 

In Bagdad selbst sollen seit Dezember 2017 hingegen 305 Checkpoints und Straßensperren entfernt worden sein. Über tausend Straßen sind in Bagdad seit dem offiziellen Sieg über den IS wieder geöffnet worden (AAA 8.8.2018; vgl. AAA 29.1.2018, Iraqi News 29.1.2018).

 

Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht routinemäßig durchgesetzt (USDOS 20.4.2018). An den Grenzen zu den Nachbarstaaten haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen - auch kurzfristig - gerechnet werden (AA 12.2.2018).

 

Die Bewegungsfreiheit von Frauen wird im Allgemeinen durch Recht und Brauchtum nicht respektiert. So hindert das Gesetz Frauen beispielsweise daran, ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass zu beantragen. In den vom IS kontrollierten Gebieten war es Frauen angeblich verboten, ihr Zuhause ohne männlichen Verwandten zu verlassen (USDOS 20.4.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2.7. Rückkehr

 

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Autonome Region Kurdistan finden regelmäßig statt (AA 12.2.2018).

 

Studien zufolge ist die größte primäre Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

2.8. Grundversorgung und Wirtschaft

 

In vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wiederhergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.2.2018).

 

Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.2.2018). Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Jobangebote sind mit dem Schließen mehrerer Unternehmen zurückgegangen. Im öffentlichen Sektor sind ebenfalls viele Stellen gestrichen worden. (IOM 13.6.2018).

 

Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, zu unterstützen.

 

Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten (IOM 13.6.2018).

 

Quellen:

 

 

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

 

2.2. Die Feststellungen zur Identität und Staatsangehörigkeit des BF beruhen auf seinem am 03.01.2017 bei der belangten Behörde eingebrachten bis 2022 gültigen Reisepass.

 

Dass der BF der arabischen Volksgruppe und der muslimisch-sunnitischen Glaubensrichtung angehört, konnte er durch sein im Verfahren diesbezüglich einheitliches Vorbringen glaubhaft machen.

 

2.3. Die Feststellungen zu den familiären Verhältnissen des BF ergab sich aus der Aktenlage. Dass der BF nach seiner Ausreise den Kontakt zu seiner im Irak verbliebenen Familie über Telefon und Facebook aufrecht gehalten hat, hat er glaubhaft in seiner Einvernahme vor dem BFA am 20.07.2017 angegeben (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA, S. 7). Dass der BF nunmehr nur mehr zu seiner im Irak verbliebenen Mutter aufrechten Schriftkontakt hat, gab er glaubhaft in seiner mündlichen Verhandlung am 21.03.2019 an (Niederschrift über mündliche Verhandlung vom 21.03.2019, S. 6).

 

2.4. Dass der BF im Jahr 2015 legal mit einem von den Behörden in Bagdad ausgestellten Reisepass aus dem Irak ausreisen und zunächst mit dem Flugzeug vom Irak in die Türkei fliegen und von dort schlepperunterstützt nach Österreich gelangen konnte, war ebenso aufgrund seiner diesbezüglich glaubhaften Angaben in der Erstbefragung (Niederschrift über Erstbefragung, S. 3f) feststellbar.

 

Es ist davon auszugehen, dass der BF, wie er im Zuge seiner Erstbefragung am 14.07.2015 anführte, bereits im Jahr 2014 und nicht, wie er in seiner Einvernahme vor dem BFA anführte, Anfang April 2015 (Niederschrift über Einvernahme des BF vor dem BFA, S. 3) seinen Entschluss zur Ausreise gefasst hat.

 

2.5. Das Fluchtvorbringen des BF in seiner Einvernahme vor dem BFA am 20.07.2017, er sei beim Militär als Funker, in welcher Position er viele sensible militärische Informationen erlangt habe, tätig gewesen und, nachdem er einmal zusammen mit seinen Kollegen und einem im Zuge eines Kampfes gegen Terroristen verletzten Soldaten aus seiner Gruppe zurückgelassen worden sei, desertiert, weswegen gegen ihn ein Haftbefehl ausgestellt worden sei und dem BF bei einer Rückkehr eine Haftstrafe drohe, war wegen widersprüchlichen, gesteigerten Angaben dazu und im Wesentlichen unleserlichen Inhalts der vorgelegten Kopie eines Haftbefehls nicht glaubwürdig.

 

Indiz für die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens, der BF sei einmal mit seinen Kollegen vom Brigadegeneral und Oberstleutnant im Stich gelassen worden, ist, dass er vor dem BFA zunächst nur anführte, der Brigadegeneral sei für die gesamte Brigade, bestehend aus 4.000 Soldaten alleinverantwortlich gewesen, bevor er nach Vorhalt, dass dies nicht sein könne, ergänzte, dass noch andere Offiziere dabei gewesen seien (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA, S. 6).

 

Der BF brachte vor dem BFA vor, in seiner Funktion als Funker während seines Militärdienstes viele geheime Informationen erlangt zu haben, weswegen ihm eine normale Kündigung seines Militärdienstes nicht möglich gewesen sei und er diesem illegal fernbleiben habe müssen. (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA, S. 5). Davor sprach der BF davon, dass er, nachdem er gesehen habe, dass sie im Stich gelassen worden seien, seine Sachen abgegeben und mit dem Militär aufgehört habe. Erst, nachdem ihm dies vorgehalten und er gefragt worden war, ob dies heiße, dass er legal abgerüstet habe, gab der BF an: "Nein, ich habe nicht gekündigt, sondern nur meine Sachen abgegeben. Nachgefragt gebe ich an, dass ich den Militärdienst und die Kaserne illegal verlassen habe."

 

Dieses Aussageverhalten bzw. die anfängliche Angabe des BF, seine Sachen beim Militär abgegeben zu haben, spricht dafür, dass der BF legal den Militärdienst verlassen hat.

 

Im Bewusstsein, dass die Erstbefragung in erster Linie der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat, ist darauf hinzuweisen, dass aus den Angaben des BF in der Erstbefragung jedenfalls keine strafrechtliche Verfolgung des BF wegen Desertion vom Militärdienst in einer höherrangigen Stellung hervorgeht, gab er da doch befragt, warum er das Land verlassen habe, an: "Wegen des Krieges im Irak. Es gibt einen Haftbefehl gegen mich, weil ich den Militärdienst nicht mehr weitergemacht habe." (Niederschrift über die Erstbefragung, S. 5).

 

Der BF hat sich insofern widersprochen, als er in der Erstbefragung angab, bereits im Jahr 2014 den Ausreiseentschluss gefasst zu haben, vor dem BFA jedoch, befragt danach, wann er den Entschluss zur Ausreise aus dem Irak gefasst habe, vorbrachte: "Das war Anfang April 2015. Nachdem mein Offizier mir den Haftbefehl über Facebook gesendet hat." (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA, S. 3).

 

Es ist nicht nachvollziehbar, warum der vorgelegte von der arabischen in die deutsche Sprache übersetzte Haftbefehl laut Übersetzung am "16.12.2014" ausgestellt worden, dieser dem BF jedoch erst ungefähr dreieinhalb Monate später über Facebook zugeschickt worden sein soll, woraufhin der BF - im April 2015 - seinen Ausreiseentschluss gefasst haben will. (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA, S. 3)

 

Mit dem vor dem BFA an sein Fluchtvorbringen über einen im Jahr 2015 erhaltenen Haftbefehl angepasstes Vorbringen, erst nach dem Erhalt des Haftbefehls im April 2015 seinen Ausreiseentschluss gefasst zu haben, wollte der BF offensichtlich eine vor seiner Ausreise bestandene Bedrohungssituation darlegen.

 

Da der Inhalt des vorgelegten Haftbefehls - vom Übersetzer - in wesentlichen Teilen nicht lesbar war, konnte aus diesem jedenfalls keine Bedrohung für den BF abgeleitet werden.

 

Dass keine Bedrohungssituation bestand, ergibt sich bereits daraus, dass der BF ungehindert und problemlos die Sicherheitskontrollen am Flughafen in Bagdad passieren und legal mit einem von den Behörden in Bagdad ausgestelltem Reisepass mit dem Flugzeug vom Irak in die Türkei ausreisen konnte.

 

Der beim BFA am 03.01.2017 eingebrachte bis 2022 gültige Reisepass des BF wurde zudem am "13.07.2014" und damit vor dem angeblich im Dezember 2014 ausgestellten und danach im Jahr 2015 an den BF verschickten Haftbefehl ausgestellt, woraus ein vom BF bereits im Jahr 2014 gefasster Ausreiseentschluss hervorgeht.

 

Dass der BF im ersten Halbjahr 2015 problemlos mit einem in Bagdad ausgestellten Reisepass legal mit dem Flugzeug aus dem Irak ausreisen konnte, spricht jedenfalls dafür, dass der BF keine im Visier der irakischen Behörden stehende Person mit bedeutsamer Stellung beim Militär sein konnte, wäre doch in diesem Fall gleich nach seiner angeblichen Desertion im Jahr 2014 nachhaltig nach ihm gesucht worden.

 

Der BF antwortete anfangs befragt, ob er legal oder illegal aus seinem Herkunftsstaat ausgereist sei, nur kurz mit "legal", ohne irgendwelche Hinderungsgründe oder Besonderheiten bei der Ausreise angegeben zu haben.

 

Als der BF später in der Einvernahme befragt wurde, wie er legal aus seinem Herkunftsstaat ausreisen konnte, können doch noch im Dienst befindliche Soldaten nicht einfach ausreisen, auch wenn sie im Urlaub sind, brachte er erstmals vor:

 

"Ein Cousin meines Vaters war in Saddam Husseins Zeiten der Leiter der Erdölförderung im Irak. Sein Neffe hat selbst am Flughafen gearbeitet. Er hat nachprüfen können, dass mein Name noch nicht auf der gesuchten Liste am Flughafen war.

 

Darauf folgte der Vorhalt, dass es selbst als Angehöriger der irakischen Streitkräfte nicht möglich sei, ohne Genehmigung offiziell aus dem Irak auszureisen, und auf diesen Vorhalt das Vorbringen des BF:

 

"Als normaler Soldat im Irak hat man normal ausreisen können, ohne dass man eine Genehmigung braucht. Aber ich bin ein desertierter Soldat."

 

Das Fluchtvorbringen kann bereits deswegen nicht als glaubwürdig erachtet werden, weil der BF legal mit einem in Bagdad ausgestellten Reisepass mit dem Flugzeug aus dem Irak ausreisen konnte, dies nach Ausstellung eines auf den Namen des BF lautenden Haftbefehls laut Anfragebeantwortung vom 26.10.2016 auf die Frage, ob es üblich bzw. denkbar ist, dass es desertierten Soldaten gelingt, ca. einen Monat nach der Desertion dennoch legal aus dem Irak auszureisen, jedoch nicht möglich gewesen wäre, gab der Verbindungsbeamte des BMI doch folgende Antwort:

 

"Desertierte Soldaten können nur illegal ausreisen. Soldaten, die noch im Dienst sind, können nicht so einfach ausreisen, auch wenn sie im Urlaub sind. Dafür brauchen sie eine Reisegenehmigung von der Einheit." (VB des BMI für den Nahen Osten (12.10.2016): Auskunft des VB, per E-Mail).

 

Der BF versuchte im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 20.07.2017 nach Vorhalten und Nachfragen seine Antworten offenbar stets zu seinen Gunsten "zurecht zu biegen".

 

Der BF hat in der mündlichen Verhandlung am 01.03.2018 sein Fluchtvorbringen zudem insofern gesteigert, als er erstmals darauf hingewiesen hat, erfahren zu haben, dass sein General von einem Restaurantbesitzer illegal Geld erworben habe, wodurch der BF zur Überzeugung gelangt sei, dass der General derjenige gewesen sei, der die zwei Personen zur Beschaffung der Informationen über ihn zu seiner Nachbarin geschickt habe und er ihn töten wolle. Der General habe gewusst, dass der BF über viele seiner illegalen Machenschaften Bescheid wisse, weshalb er den BF liquidieren habe wollen und gegen ihn einen Haftbefehl erlassen habe (Niederschrift über mündliche Verhandlung am 01.03.2018, S. 7).

 

Diesem gesteigerten Vorbringen ist jedenfalls die Glaubwürdigkeit abzusprechen, gab der BF doch in der mündlichen Verhandlung am 01.03.2018 an, bei seiner Einvernahme vor dem BFA nicht alles gesagt zu haben und noch etwas angeben zu wollen, obwohl er bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 20.07.2017 aufgefordert wurde, die Gründe, warum er sein Heimatland verlassen habe und einen Asylantrag gestellt habe, detailliert, von sich aus, vollständig und wahrheitsgemäß zu schildern (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA, S. 4).

 

Aufgefallen ist ein weiteres vom BF im Laufe des Verfahrens gesteigertes Vorbringen.

 

Der BF verwies vor dem BFA zunächst auf eine über ihn im Irak verhängte siebenjährige Haftstrafe (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA, S. 3), und gab dann später in seiner Einvernahme vor dem BFA nach Vorhalt, dass nach Art. 35 Abs. 2 des irakischen Militärstrafgesetzes von 2007 ein Militärangehöriger, der flieht, allerdings nicht auf die Seite des Feindes, zu einer Freiheitsstrafe von zwei bis sieben Jahren verurteilt werde, an, im Falle einer Rückkehr "sicher für sieben Jahre eingesperrt" zu werden und zu wissen, "wie sie die Gefangenen behandeln" (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA, S. 7). Gesteigert dazu brachte der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 01.03.2018 vor: "Es gibt einen Haftbefehl der vom Gericht erlassen wurde, und ich wurde auch vom Gericht zu einer Haftstrafe von sieben Jahren, davon sechs Monate schweren Kerker verurteilt und auch Beschlagnahme von meinen beweglichen und unbeweglichen Sachen." (Niederschrift über mündliche Verhandlung vor BVwG, S. 7).

 

In Gesamtbetrachtung war dem Fluchtvorbringen des BF aufgrund seiner widersprüchlichen, gesteigerten, teilweise nicht nachvollziehbaren Angaben und des überwiegend nicht lesbaren Inhalts des von ihm vorgelegten Haftbefehls jedenfalls kein Glauben zu schenken.

 

Soweit der BF vor dem BFA eine ihm bei einer Rückkehr drohende Haftstrafe von sieben Jahren betont (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA, S. 3, 7), wird ergänzend darauf hingewiesen, dass aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Fernbleiben, Desertion, Kündigung von Polizei und Armee im Irak vom 24.10.2016 hervorgeht, dass bei Desertion ins Ausland eine Strafe von höchstens fünf Jahren Haft zu verhängen ist, und eine zwei- bis siebenjährige Haftstrafe laut Artikel 35 Absatz 2 des irakischen Militärstrafgesetzes Nr. 19 aus dem Jahr 2007 demjenigen, der während Auseinandersetzungen mit dem Feind oder aus einem belagerten Ort desertiert, droht.

 

Die Erstbefragung hat sich zwar nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen, dennoch ist darauf hinzuweisen, dass der BF in dieser, somit gleich nach seiner Einreise, zu seinem Fluchtgrund angab:

"Wegen des Krieges im Irak. Es gibt einen Haftbefehl gegen ihn, weil ich den Militärdienst nicht weitergemacht habe." Bei einer Rückkehr befürchte der BF, entweder getötet zu werden oder für immer eingesperrt zu werden.

 

Den Länderberichten kann jedenfalls kein Ausruf des "Kriegsrechts" mit Verhängung der Todesstrafe gegen Deserteure entnommen werden.

 

§ 35 Abs. 1 irakisches Militärstrafgesetz 19/2007 besagt, dass jeder, der zum Feind desertiert, mit der Todesstrafe bestraft wird.

 

Die laut Länderfeststellungen bei Überlaufen zum Feind erfolgende Verhängung der Todesstrafe kann im gegenständlichen Fall jedenfalls nicht zur Anwendung kommen, geht aus dem wesentlichen Vorbringen des BF im Verfahren, er sei desertiert, nachdem er einmal zusammen mit einem aus seiner Gruppe im Kampf gegen Terroristen verletzten Soldaten und weiteren Kollegen zurückgelassen worden sei, doch nicht hervor, dass der BF zum Feind übergelaufen ist und sich dem Islamischen Staat angeschlossen hat und nicht bereit war, das Militär im Kampf gegen den IS zu unterstützen, erwähnte der BF auch nicht eine strafrechtliche Verfolgung wegen Desertion zum Feind und ist eine solche im gegenständlichen Fall bei einer Rückkehr des BF nach dem militärischen Sieg über den IS im Dezember 2017 auch nicht zu erwarten.

 

Der BF gab vor dem BFA zudem an, im Irak nie persönlich bedroht worden zu sein. Er hatte laut seinen Angaben vor dem BFA im Irak nur allgemeingehaltene Probleme in Zusammenhang mit seiner muslimisch-sunnitischen Glaubensrichtung (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA, S. 4).

 

Seine Familie konnte nach Ausreise des BF außerdem ungehindert ihr Leben im Irak weiterführen, was etwa aus seinen glaubhaften Angaben vor dem BFA zur Erwerbstätigkeit von zwei Brüdern des BF, wovon einer in einem Kaffeehaus arbeitet (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA, S. 7), hervorgeht.

 

Aufgrund der Tatsache, dass die Familie des BF nach seiner Ausreise unbehelligt geblieben ist und normal ihr Leben weiterführen konnte, ist auszuschließen, dass der BF für das Militär von besonderer Bedeutung war, andernfalls doch nach vom BF behaupteter Desertion nicht nur intensiv nach dem BF gefahndet, sondern damit in Zusammenhang auch seine im Irak verbliebenen Familienangehörigen aufgesucht worden wären.

 

Eine höherrangige Stellung des BF beim Militär oder ein Interesse am BF wegen - ihm unterstellten - Überlaufens zum Feind - ist daher auszuschließen.

 

2.6. Zur Lage im Irak

 

Die dieser Entscheidung zugrunde gelegten aktuellen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuell gültigen am 20.11.2018 gesamtaktualisierten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit unbedenklichen Quellen staatlicher und nichtstaatlicher Natur.

 

2.7. Ein Nachweis für eine gesundheitliche Beeinträchtigung des BF wurde nicht vorgelegt, weshalb eine solche auch nicht festgestellt werden konnte.

 

2.8. Die in Österreich erfolgte Integration des BF ergab sich aus im Verfahren vorgelegten Integrationsnachweisen und den glaubhaften Angaben des BF und seines Rechtsvertreters in der mündlichen Verhandlung am 21.03.2019 dazu.

 

Der BF hat sich laut glaubhaften Angaben seines Rechtsvertreters in mündlicher Verhandlung am 21.03.2019 bereits gut in Österreich integriert, die Sprachprüfung B1 abgelegt und Empfehlungsschreiben von Freunden erhalten. Der BF verwies in der mündlichen Verhandlung zudem darauf, den Leuten in seiner Asylunterkunft beim Deutschlernen und bei Behördenwegen, Arztbesuchen und beim Übersetzen von Schriftstücken unterstützend zur Seite zu stehen.

 

Der BF konnte glaubhaft machen, dass er zusammen mit seiner Lebensgefährtin, einer österreichischen Staatsbürgerin, den westlichen Lebensstil übernommen hat und auch von sich aus bereit wäre, den mit seiner Lebensgemeinschaft geplanten Nachwuchs katholisch taufen zu lassen, und seine Kinder in Österreich frei westlich orientiert erziehen zu wollen.

 

Das Auftreten des BF in der mündlichen Verhandlung am 21.03.2019 war, wie die verhandelnde Richterin betonte, sehr authentisch und glaubhaft. Die Angaben wurden nicht zu sehr emotionalisiert, die Formulierungen bei wiederholten Inhalten variierten, womit davon auszugehen ist, dass sicherlich kein Text eingelernt wurde. Insgesamt wurde das gesamte Vorbringen aufgrund des allgemeinen Verhaltens des BF sicherlich sehr gestärkt.

 

Seine Arbeitswilligkeit konnte der BF mit einem vorgelegten von einer Firma in Österreich ausgestellten Arbeitsvorvertrag vom 23.03.2018 und seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung am 21.03.2019, es sei schwer für ihn nicht arbeiten zu dürfen und immer zuhause sitzen zu müssen, glaubhaft machen.

 

Dass der BF Leistungen aus der Grundversorgung bezieht und aktuell nicht selbsterhaltungsfähig ist, beruht auf seinen eigenen Angaben und einem Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem.

 

Die strafrechtliche Unbescholtenheit ergab sich aus einem Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu Spruchteil A):

 

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

 

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

 

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

 

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

 

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

 

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

 

3.1.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des BF, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist.

 

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

 

Der BF brachte in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 20.07.2017 als Fluchtgrund vor, nach Desertion sei gegen ihn ein Haftbefehl ausgestellt worden, weswegen ihm bei einer Rückkehr eine Haftstrafe drohe.

 

Dieses Fluchtvorbringen war, wie in der Beweiswürdigung näher angeführt, nicht glaubhaft.

 

Der BF konnte mit seinem Fluchtvorbringen jedenfalls keine ihm bei einer Rückkehr in den Irak drohende Verfolgung iSv Art. 1 Abschnitt A der GFK glaubhaft machen.

 

Es wäre auch bei Wahrunterstellung einer dem BF bei einer Rückkehr drohenden strafrechtlichen Verfolgung wegen Desertion von keiner asylrechtlich relevanten Verfolgung auszugehen.

 

Dies ergibt sich bereits daraus, dass grundsätzlich eine wegen Desertion drohende, auch strenge Bestrafung nicht als Verfolgung iSd FlKonv zu qualifizieren ist (VwGH 30.11.1992, 92/01/0718; VwGH 27.07.1995, 94/19/1369).

 

Der Verwaltungsgerichtshof erkennt ferner in ständiger Rechtsprechung, dass die Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen kann, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa bei Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Ist Letzteres der Fall, so kann dies aber auch auf der - generellen - Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung beruhen, womit unabhängig von einer der Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion im konkreten Fall wirklich zugrundeliegenden religiösen oder politischen Überzeugung der erforderliche Zusammenhang zu einem Konventionsgrund gegen ist (vgl. VwGH 14.12.2004, 2001/20/0692). Abgesehen davon kann unter dem Gesichtspunkt des Zwangs zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen auch eine bloße Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (VwGH 27.02.2017, Ra 2016/18/0203 mwN).

 

Hinweise darauf, dass der BF im Fall eines weiteren Verbleibens an seiner Dienststelle an völkerrechtswidrigen Militäraktionen teilnehmen hätte müssen, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Die getroffenen Feststellungen bieten ferner keine Anhaltspunkte dafür, dass der BF bei einer Rückkehr zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen gezwungen werden könnte oder er wegen seiner politischen oder religiösen Überzeugungen desertiert wäre.

 

Da aus dem Vorbringen des BF, er sei desertiert, nachdem er einmal zusammen mit einem aus seiner Gruppe im Kampf gegen Terroristen verletzten Soldaten und weiteren Kollegen zurückgelassen worden sei, nicht hervorgeht, dass der BF zum Feind übergelaufen ist und sich dem Islamischen Staat angeschlossen hat und nicht bereit war, das Militär im Kampf gegen den IS zu unterstützen, der BF auch nicht eine strafrechtliche Verfolgung wegen Desertion zum Feind bzw. Nichtbereitschaft, das irakische Militär im Kampf gegen den IS zu unterstützen erwähnt hat, und nach dem militärischen Sieg über den IS im Dezember 2017 den Länderberichten zufolge den der Desertion beschuldigten irakischen Rückkehrern aus dem Ausland nicht systematisch die Weitergabe von sensiblen militärischen Informationen und ein Überlaufen zum Feind bzw. damit in Zusammenhang eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt wird, würde dem BF bei einer Rückkehr in Haft mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine unverhältnismäßige Haftstrafe im Sinne oben angeführter VwGH-Judikatur drohen.

 

Der BF wäre demnach selbst bei Wahrunterstellung der von ihm behaupteten strafrechtlichen Verfolgung wegen Desertion im Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner im Sinn der vorstehenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs unverhältnismäßigen Bestrafung und war oder wäre auch nicht dem Zwang zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen ausgesetzt.

 

Im gegenständlichen Fall würde es sich daher selbst im Fall einer militärstrafrechtlichen Verfolgung des BF wegen Desertion um legitime Strafverfolgung und nicht um asylrelevante Verfolgung handeln.

 

Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dem BF eine über die allgemeinen Gefahren der im Irak gebietsweise herrschenden bürgerkriegsähnlichen Situation hinausgehende Gruppenverfolgung droht. Dass im Irak eine generelle und systematische Verfolgung von Muslimen sunnitischer Glaubensrichtung stattfindet, kann aus den länderkundlichen Feststellungen zur Lage im Irak nicht abgeleitet werden.

 

Dies ist auch aus dem Umstand ableitbar, dass es seinen im Irak verbliebenen Familienangehörigen und jedenfalls seiner Mutter, mit welcher der BF einmal monatlich in Schriftkontakt stehe, offenbar möglich ist, sich ohne größere Probleme in Bagdad, seiner Herkunftsstadt aufzuhalten. Der BF hat demnach nicht bereits aufgrund seiner sunnitischen Glaubensrichtung eine individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten (vgl. VwGH 09.05.2016, Ra 2016/01/0068; 17.12.2015, Ra 2015/20/0048 mwN). Eine persönliche Bedrohung des BF in seinem Herkunftsstaat - aus welchen Gründen auch immer - konnte der BF in niederschriftlicher Einvernahme vor dem BFA am 20.07.2017 zudem ausdrücklich ausschließen.

 

Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, ist davon auszugehen, dass dem BF keine Verfolgung aus in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht.

 

Bezüglich der Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder unruhebedingten Lebensbedingungen zurückzuführen sind, bleibt festzuhalten, dass diese keine Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes darstellen, da alle Bewohner gleichermaßen davon betroffen sind. Bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur sind hinzunehmen, weil das Asylrecht nicht die Aufgabe hat, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die etwa in Folge des Krieges, Bürgerkrieges, Revolution oder sonstigen Unruhen entstehen (VwGH vom 14.03.1995, 94/20/0798).

 

In Gesamtbetrachtung aller Umstände war somit kein Asylgrund ersichtlich, weshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß

 

§ 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen war.

 

3.2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

 

3.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Somit ist vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

 

Bei der Prüfung und Zuerkennung von subsidiärem Schutz im Rahmen einer gebotenen Einzelfallprüfung sind zunächst konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein "real risk" einer gegen Art. 3 MRK verstoßenden Behandlung droht (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0174). Die dabei anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0236; VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwN). Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet (VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwH).

 

Unter "real risk" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (grundlegend VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; RV 952 BlgNR XXII. GP 37). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Die Feststellung einer Gefahrenlage im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erfordert das Vorliegen einer konkreten, den Beschwerdeführer betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung.

 

Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung zu tragen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; 14.10.1998, Zl. 98/01/0122).

 

Nach der ständigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Verwaltungsgerichtshofs obliegt es dabei grundsätzlich dem Beschwerdeführer, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos glaubhaft zu machen, dass ihm im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (EGMR U 05.09.2013, I. gegen Schweden, Nr. 61204/09; VwGH 18.03.2015, Ra 2015/01/0255; VwGH 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Die Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich das erkennende Gericht nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (etwa die familiäre, gesundheitliche oder finanzielle Situation), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 18.12.2002, Zl. 2002/18/0279). Der Antragsteller muss die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben schlüssig darstellen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus, wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (EGMR U 17.10.1986, Kilic gegen Schweiz, Nr. 12364/86). So führt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller, Beweise zu beschaffen, dennoch ihm obliegt so weit als möglich Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (EGMR U 05.07.2005, Said gegen Niederlande, 5.7.2005).

 

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141).

 

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offenbliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).

 

Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

 

3.2.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nicht gegeben sind.

 

Wie oben in der Beweiswürdigung ausgeführt, ist das Vorbringen des BF, bei einer Rückkehr wegen Desertion eine langjährige Haftstrafe verbüßen zu haben, nicht glaubwürdig.

 

Selbst bei Wahrunterstellung seines Vorbringens handelt es sich bei der dem BF angeblich nach § 35 Abs. 2 irakisches Militärstrafgesetz drohenden Haftstrafe um eine gesetzlich festgelegte und keine willkürliche Haftstrafe und hat der BF bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit wegen Desertion keine Haftstrafe in Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK zu befürchten, geht doch aus den aktuellen Länderberichten nicht hervor, dass der Desertion beschuldigte irakische Rückkehrer während der Verbüßung ihrer Haftstrafe wegen ihnen unterstellter Weitergabe sensibler militärischer Informationen systematisch gefoltert werden würden oder ihnen ein "Überlaufen zum Feind", was nach Art. 35 Abs. 1 irakisches Militärstrafgesetz 19/2007 die Todesstrafe zur Folge hätte, unterstellt werden würde.

 

Dass der BF im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens somit nicht festgestellt werden.

 

Der BF war in seinem Herkunftsstaat nach zwölfjährigem Schulbesuch von 2010 bis 2014 beim Militär tätig und konnte mit dem Einkommenserwerb aus dieser Tätigkeit seinen Lebensunterhalt bestreiten. Er hielt nach seiner Ausreise von Österreich aus den Kontakt zu seiner im Irak verbliebenen Familie über Telefon und Facebook aufrecht und hat aktuell noch regelmäßigen Schriftkontakt mit seiner in Bagdad lebenden Mutter. Nach Ausreise des BF konnten zwei seiner Brüder ihrer Erwerbstätigkeit - als Ingenieur und in einem Kaffeehaus - nachgehen. Der BF findet bei einer Rückkehr jedenfalls Unterkunftsmöglichkeit bei seiner Mutter in Bagdad, wo seine Brüder nach Ausreise des BF verblieben sind, vor. Es kann zudem - zumindest vorübergehend - bis zur Wiedererlangung der Selbsterhaltungsfähigkeit auch von familiärer Unterstützung ausgegangen werden. Die Familie des BF wird ihm zudem bei einer Wiedereingliederung in die irakische Gesellschaft behilflich sein können.

 

Im gegenständlichen Fall geht vor dem Hintergrund der aktuellen allgemeinen Länderberichtslage bzw. der prekären allgemeinen Sicherheitslage im Irak angesichts der individuellen Rückkehrsituation des BF jedenfalls keine dem BF bei einer Rückkehr drohende Art. 2, 3 EMRK - Verletzung hervor.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides ist daher gemäß

 

§ 8 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

 

3.3. Zur Rückkehrentscheidung:

 

Der mit "Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme" betitelte § 10 Abs. 1 AsylG lautet wie folgt:

 

"§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder (...) zu verbinden, wenn

 

(...)

 

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

(...)."

 

Der mit "Rückkehrentscheidung" betitelte § 52 FPG lautet wie folgt:

 

"§ 52. (1) (...).

 

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

1. (...),

 

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des

 

Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. (...)

 

und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

(...)."

 

Der mit "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" betitelte § 57 AsylG 2005 BGBl. I 100/2005 idgF lautet wie folgt:

 

"§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

 

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

 

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können."

 

Im gegenständlichen Fall liegt keine der in § 57 AsylG für die Erteilung dieser Aufenthaltsberechtigung erforderliche Voraussetzung vor.

 

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG, BGBl. I 87/2012 idgF lautet wie folgt:

 

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei-

 

und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

(...)."

 

Der EGMR hat fallbezogen unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, die bei einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

 

Er hat etwa die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.1.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.9.2004, Fall Ghiban, Appl. 11.103/03, NVwZ 2005, 1046), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.5.1985, Fall Abdulaziz ua., Appl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567;

20.6.2002, Fall Al-Nashif, Appl. 50.963/99, ÖJZ 2003, 344;

22.4.1997, Fall X, Y und Z, Appl. 21.830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 2.8.2001, Fall Boultif, Appl. 54.273/00), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 4.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.6.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 5.7.2005, 2004/21/0124;

11.10.2005, 2002/21/0124), die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Fall Mitchell, Appl. 40.447/98; 11.4.2006, Fall Useinov, Appl. 61.292/00) für maßgeblich erachtet.

 

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung, ob im Fall der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt. Maßgeblich sind dabei etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, des Weiteren der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0265, mwN, sowie zuletzt den Beschluss vom 07.09.2016, Ra 2016/19/0168).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (s. etwa die Erkenntnisse vom 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058, vom 21.01.2016, Ra 2015/22/0119, und in diesem Sinn auch jenes vom 15.12.2015, Ra 2015/19/0247 mwN sowie den Beschluss vom 15.03.2016, Ra 2016/19/0031) und dass das persönliche Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren.

 

Im gegenständlichen Fall hat der BF seit Antragstellung am 13.07.2015 während der Dauer seines Asylverfahrens im Bundesgebiet nachhaltige Integrationsschritte gesetzt, über Deutschkurse sehr gute Deutschkenntnisse erworben und eine Deutschprüfung B1 absolviert, von einer Firma in Österreich einen Arbeitsvorvertrag mit zugesicherter Beschäftigung im Ausmaß von 38,5 Stunden pro Woche erhalten und zahlreiche Freundschaften geschlossen, von denen er Empfehlungsschreiben erhalten hat.

 

Der BF hat in der mündlichen Verhandlung vom 21.03.2019 aufgezeigt, dass er die deutsche Sprache bereits derart gut beherrscht, dass er der Gerichtsverhandlung bis auf einige wenige Sätze oder Rechtsbegriffe ohne Hilfe der Dolmetscherin folgen konnte.

 

Der BF beteiligt sich an mehreren gemeinnützigen Tätigkeiten, sofern es seine Möglichkeiten erlauben. Er hat zudem eine verbindliche Zusage für eine Vollzeitbeschäftigung, die er umgehend aufnehmen wird, sobald es ihm erlaubt ist.

 

Die BF konnte eine überdurchschnittlich gute soziale Integration glaubhaft machen. Er verfügt über einen großen Freundeskreis, in dem er stark integriert ist und sich in diesem auch regelmäßig bewegt und am sozialen Leben teilnimmt. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin mit seiner österreichischen Freundin und plant eine Familie zu gründen und entwickelt insofern ein schützenswertes Familienleben iSd Art. 8 EMRK.

 

Der BF vermittelte durch sein gesamtes Auftreten, seiner Art der Wortwahl und seine ausführlichen Schilderungen seiner Ansichten in der mündlichen Verhandlung vom 21.03.2019 glaubhaft, dass er sich in der westlichen Kultur integriert hat. So ist der BF zwar selbst Muslime, hat aber eine Lebensgefährtin, die christlich ist und befürwortet er die westliche Lebensweise und kann sich mit deren Werten identifizieren.

 

Eine berufliche Integration ist insofern bereits gegeben, als der BF bereits probegearbeitet hat und bereits einen nur die heutige Entscheidung bedingten Arbeitsvertrag hat.

 

Fest steht, dass der BF, seit er in Österreich ist, alles unternommen hat, um sich, soweit ihm dies rechtlich möglich war, in den 3 2/3 Jahren Aufenthalt in Österreich so gut wie möglich zu integrieren.

 

Insgesamt wiegen im Bewusstsein, dass der BF all seine Integrationsschritte während der Dauer seines Asylverfahrens und damit während einer nur vorläufigen Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet gesetzt hat, die außergewöhnlich starke soziale Integration des BF, seine trotz moslemischen Glaubens zusammen mit seiner dem christlichen Glauben angehörenden Lebensgefährtin westlich orientierte Lebensführung in Zusammenschau mit der dem BF bei einem Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt bevorstehenden beruflichen Eingliederung bei der Interessensabwägung stark zugunsten des BF.

 

Da im gegenständlichen Fall die privaten Interessen des BF die öffentlichen Interessen bei Weitem überwiegen, wurde im Zuge des in der mündlichen Verhandlung am 21.03.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses die Erlassung einer Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig erklärt.

 

In der mündlichen Verhandlung am 21.03.2019 betonte die verhandelnde Richterin:

 

"Festzuhalten ist, dass es sich bei dieser Entscheidung um eine absolute Einzelfallentscheidung auf Grund der vorliegenden ungewöhnlich starken Integration handelt. Deshalb ist in diesem Einzelfall in diesem Sinne zu entscheiden. Dieses Erkenntnis enthält über diesen konkreten Einzelfall hinaus keinerlei rechtliche Aussagekraft im Sinne einer Beispielwirkung."

 

3.3.1. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ("Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK") von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wird.

 

3.3.2. Mit "Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK" betitelter § 55 AsylG lautet wie folgt:

 

"§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

 

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

 

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

 

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

 

Da der BF ein Sprachzertifikat B1 erwerben konnte und damit die Voraussetzung nach § 11 Abs. 2 Integrationsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2017, und damit das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz nach § 55 Abs. 1 Z. 2 AsylG erfüllt, war dem BF gemäß § 55 Abs. 1 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen.

 

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

 

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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