BVwG W176 2198709-1

BVwGW176 2198709-13.6.2019

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W176.2198709.1.00

 

Spruch:

W176 2198709-1/11E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. NEWALD als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA.:

Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.05.2018, Zl. 1093944901 - 151717135/BMI-BFA_KNT_AST_01, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

 

A)

 

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG), iVm §§ 3, 8, 10, 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), und §§ 52, 55 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930, nicht zulässig.

 

.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer brachte am 06.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

 

Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 07.11.2015 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes vor: Er stamme aus Afghanistan, habe jedoch die letzten zehn Jahre im Iran gelebt. Auf der Flucht sei er von seinen Eltern und seinem Bruder getrennt worden. Er sei Muslim und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. Er sei Analphabet und könne Dari sprechen, jedoch nicht schreiben. Zuletzt habe er als Hilfsarbeiter gearbeitet. Als Fluchtgrund gab er an, er habe illegal im Iran gelebt, keine Schule besucht und keine Arbeit gehabt. Er habe befürchtet, dass die iranischen Behörden ihn nach Afghanistan bringen würden. Dort herrsche jedoch noch immer Krieg, er habe Angst vor Taliban und Islamisten.

 

2. Am 20.03.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) erstmalig niederschriftlich einvernommen, führte der Beschwerdeführer - zusammengefasst - Folgendes an: Sein Fluchtgrund sei gleichgeblieben. Er sei in Afghanistan in der Provinz Samangan geboren und habe mit etwa vier Jahren Afghanistan verlassen. Er sei Hazara und schiitischer Muslim.

 

Einmal sei er im Iran geschlagen worden, weil er eine christliche Tätowierung am Rücken habe. Befragt, wie er in Österreich seinen Glauben auslebe, gab er an, es sei hier - im Gegensatz zum Iran - nicht verbindlich. Die Frage, ob er am christlichen Glauben interessiert sei, verneinte der Beschwerdeführer und gab an, er habe nur am Rücken ein Kreuz tätowiert.

 

Er sei nie in die Schule gegangen, spreche Dari, Farsi und Deutsch, könne aber nur Deutsch lesen und schreiben, jedoch nicht Dari oder Farsi. Vor seiner Ausreise habe er manchmal gearbeitet, etwa Obst geerntet bzw. seinem Vater bei der Arbeit geholfen. Er wisse nicht, wo sich seine Familie befinde, da er sie zwischen dem Iran und der Türkei unterwegs verloren habe. In Afghanistan habe er noch einen Onkel und eine Tante väterlicherseits, aber keinen Kontakt zu ihnen. Er wisse nicht, wieso seine Eltern Afghanistan verlassen hätten, außer dass er gehört habe, dass sie Angst vor den Taliban hätten. Seit seiner Ausreise mit etwa vier Jahren sei er nicht mehr in Afghanistan gewesen.

 

Er habe den Iran verlassen, da er und seine Eltern sich dort illegal aufgehalten hätten. Er habe nicht in die Schule gehen können und habe ständig Angst gehabt, nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Auslöser für seine Ausreise aus dem Iran sei gewesen, dass er wegen seiner Tätowierung geschlagen worden sei. Ein Unbekannter habe ihn mit einem Ziegel auf dem Hinterkopf geschlagen. Ein bis zwei Monate später sei er dann mit seiner Familie aus Iran geflüchtet. Er habe sich nichts dabei gedacht, als er sich ein Kreuz tätowieren habe lassen. Es habe ihm nur gefallen.

 

Zu Kontakten in Österreich befragt, gab der Beschwerdeführer an, er habe zweimal in der Woche Kontakt mit seiner Patin und stehe auch mit seinen Mitschülern in Kontakt. In Afghanistan würde er aufgrund seiner Tätowierung als ungläubig bezeichnet und umgebracht. Befragt, ob er schon Probleme mit der Polizei gehabt habe, gab er an, er werde nie wieder so viel trinken.

 

3. Mit Schriftsatz vom 24.03.2018 verwies der Beschwerdeführer bezüglich seiner Tätowierung ua. auf eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom Juni 2014, wonach Afghanen aus unterschiedlichen Gründen Tätowierung hätten und etwa ein Kreuz kein Zeichen des Christentums darstelle. Dies sei normalerweise eine persönliche Entscheidung und nur die betreffende Person kenne gewöhnlich die Bedeutung des Motivs. Es könne aber zu einem Problem werden, sollten ihn konservativ eingestellte Personen nach der Bedeutung des Tattoos fragen. Weiters wird auf einen Artikel der Nachrichtenagentur Agence France Press vom Dezember 2014 hingewiesen, wonach Tätowierungen seit dem Fall des Taliban-Regimes in Afghanistan Beliebtheit erlangt hätten. Viele Muslime würden allerdings Tätowierungen als etwas nach islamischem Recht Verbotenes ansehen. Menschen mit Tätowierungen auf dem Arm würden diese verbergen. Ein Befragter mit Tattoo habe gemeint, er würde draußen stets langärmeliges Gewand tragen und habe Angst, dass die Aufständischen seinen Arm wegen der Tätowierungen abhacken würden.

 

4. Mit Bescheid vom 09.05.2018 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) ab, erteilte gemäß § 57 AsylG keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG gegen den Beschwerdeführer (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) sowie die Frist für seine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

 

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan keiner gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei und dies auch bei einer Rückkehr nicht wäre. Darüber hinaus bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative, da er sich in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat niederlassen könne.

 

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass er asylrelevante religiöse und politische Verfolgung aufgrund unterstellter politischer und religiöser Gesinnung, Verfolgung aufgrund Zugehörigkeit zur ethno-religiösen Gruppe der schiitischen Hazara sowie aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Minderjährigen befürchte. Die belangte Behörde habe es gänzlich unterlassen, sich ausreichend mit der sozialen Gruppe von alleinstehenden Minderjährigen und mit der Lage von schiitischen Hazara auseinanderzusetzen. Es würden sich auch keine Berichte zur tatsächlichen Lage von Personen, die nach einem lebenslangen Aufenthalt im Iran und im westlichen Ausland nach Afghanistan zurückkehren, finden, obwohl der Beschwerdeführer im Iran aufgewachsen sei.

 

6. Mit Schreiben vom 15.06.2018, eingelangt am 20.06.2018, legte die belangte Behörde die Beschwerde samt den Bezug habenden Verfahrensunterlagen - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

 

7. Mit einem am 13.03.2019 eingelangten Schriftsatz ergänzte der Beschwerdeführer seine Beschwerde dahingehend, dass er am 27.01.2019 getauft worden sei, und legte den Taufschein, mehrere Fotos, ein Zertifikat über Deutschkenntnisse auf A2-Niveau vom 06.09.2018 sowie eine Bestätigung darüber vor, dass er die "Übergangsstufe an BMHS für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch" an der HAK/HAS XXXX abgeschlossen habe. Vorgebracht wurde, dem Beschwerdeführer drohe aufgrund seiner Konversion und Apostasie im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zusätzlich zu den bereits in der Beschwerde erläuterten Gründen auch Verfolgung aufgrund seiner Religion sowie aufgrund einer ihm zumindest unterstellten "verwestlichten" und oppositionellen Gesinnung und aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Personen, die gegen die vorherrschenden sozialen und religiösen Normen in Afghanistan verstoßen. Die Einvernahme zweier Zeuginnen wurde beantragt. Weiters wurde darauf hingewiesen, dass sich die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan in den letzten Monaten abermals massiv verschlechtert habe.

 

8. Am 02.05.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche Beschwerdeverhandlung statt, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm.

 

Bei seiner Vernehmung gab der Beschwerdeführer - zusammengefasst - Folgendes an: Er sei Christ und Hazara und stamme aus Samangan, er würde sich dort nicht genau auskennen. Er wisse nicht, wovon seine Familie vor dem Verlassen Afghanistans gelebt habe, er sei damals vier Jahre alt gewesen. Er wisse nicht, aus welchem Grund seine Eltern Afghanistan verlassen hätten. Er selbst sei 13 oder 14 Jahre alt gewesen, als er den Iran verlassen habe. Im Iran habe sein Vater jeden Job gemacht, den er angeboten bekommen habe, wie Steine verladen. Der Beschwerdeführer selbst habe etwa neun bis zehn Jahre im Iran gelebt. Die Schule habe er nicht besucht, nur etwa ein Jahr lang einen Art Kurs, wo man Farsi Schreiben gelernt habe. Parallel habe er auch gearbeitet, etwa Obst gepflückt oder seinem Vater bei seinen Tätigkeiten geholfen. Er könne nicht so richtig, jedoch halbwegs Farsi schreiben, Farsi lesen könne er.

 

Seine Eltern würden sich wieder im Iran aufhalten, in der Türkei hätten der Beschwerdeführer und seine Familie einander verloren, nach einer Zeit habe er sie angerufen und erreicht. Das letzte Mal habe er sie an der Grenze gesehen, im Jahr 2015. Derzeit würden seine Eltern und er einmal die Woche oder dreimal im Monat telefonieren. Er habe einen Onkel und eine Tante väterlicherseits, die sich auch im Iran aufhielten. Onkel oder Tanten mütterlicherseits habe er nicht.

 

Der Beschwerdeführer habe den Iran verlassen, da er wegen eines Tattoos in Form eines Kreuzes am Rücken als Ungläubiger beschimpft und am Hinterkopf geschlagen worden sei. Als Grund, sich ein Kreuz tätowieren zu lassen, gab der Beschwerdeführer an, er habe es auf einem Foto gesehen und es habe ihm gefallen, deshalb habe er das auch gewollt. Ein Freund hätte ihn tätowiert. Seine Eltern hätten danach gesagt, dass er das nicht mehr machen solle.

 

In der Verhandlung wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer auch auf seiner linken Hand ein Kreuz tätowiert habe, näher dazu befragt gab der Beschwerdeführer an, er habe sich das letztes Jahr (2018) vor Weihnachten tätowieren lassen, weil es ihm gefallen habe.

 

Der Beschwerdeführer befürchte, im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan als Ungläubiger gesteinigt zu werden.

 

Näher zu seinem Glauben befragt, gab der Beschwerdeführer an, im Iran habe er ein Muslim sein müssen. Als er nach Österreich gekommen sej, habe er weder gefastet noch gebetet. Er habe zuerst keine Religion gehabt, danach sei er Christ geworden. Es habe keine Zeit gegeben, wo er den Islam aus Überzeugung praktiziert habe. Nun als Christ sei ihm Religion wichtig. Als Muslim sei ihm Religion nicht wichtig gewesen, er sei dazu gezwungen worden. Nachdem er nach Österreich gekommen sei, habe ihn seine Patin in eine Kirche mitgenommen, wo er den Gottesdienst besucht habe. Er habe gesehen, wie friedlich die Menschen dort seien und sei begeistert davon gewesen. Ab glaublich September 2018 habe er einen Bibelkurs besucht und danach beschlossen, selbst Christ zu werden. Er habe sehr oft den Bibelkurs besucht, genauer dreizehn Mal. Etwa drei bis vier Mal im Monat würde er in die Kirche gehen. Glaublich zu Anfang des Frühlings 2018 sei er das erste Mal in die Kirche gegangen. Auf Vorhalt, wieso er bei der Einvernahme vor der belangten Behörde verneint habe, am christlichen Glauben interessiert zu sein, gab der Beschwerdeführer an, am Anfang keine Informationen darüber gehabt zu haben.

 

Letztes Jahr sei er einmal mit ein paar Freunden zusammengesessen und sie hätten über Religion gesprochen und ihn eingeladen, einmal den Bibelkurs zu besuchen, um zu schauen, ob es ihm gefalle.

 

Im Islam habe ihm das Fasten und das Beten missfallen, er habe keine Lust gehabt, sechs oder sieben Mal am Tag zu beten. Er sei Schiit gewesen und habe auch den Jihad nicht gemocht.

 

Der Beschwerdeführer gab an, er habe sich auf Farsi mit dem Christentum befasst, es habe eine spezielle Gruppe für Farsi-Sprechende gegeben. Der Bibelkurs sei in einer anderen Kirche gewesen als der, wo er getauft worden sei. Im Bibelkurs seien Unterlagen mit Fragen ausgeteilt worden, die Antworten darauf seien im Unterricht besprochen worden. Er besitze auch eine Bibel auf Farsi.

 

Zur religiösen Bedeutung der Taufe und der dabei vorgenommenen Handlungen befragt, gab der Beschwerdeführer an, wenn man an Jesus Christus glaube, dann komme man Gott und dem Heiligen Geist näher, man habe eine enge Beziehung zu Gott. Der Pfarrer habe Wasser in die Hand genommen und dreimal auf ihn geschüttet. Man werde neu geboren und alle Sünden vergeben. Seiner Familie habe er nicht in die Entscheidung, Christ zu werden, miteinbezogen.

 

Der Beschwerdeführer gehöre der Evangelischen Kirche an, weil seine Patin auch dort gewesen sei und er deswegen auch dorthin gegangen sei. Nachgefragt, ob er der Ausrichtung der Evangelischen Kirche angehöre, in der Martin Luther eine besondere Rolle spiele oder in der Ausrichtung, in der Calvin eine besondere Rolle spiele, gab der Beschwerdeführer an, er glaube, Martin Luther sei Katholik. Nachgefragt, weshalb er sich gerade dafür entschieden habe, in der Evangelischen Kirche Christ zu werden, gab der Beschwerdeführer an, Kirche sei Kirche, das mache für ihn keinen Unterschied. Hinsichtlich der Unterschiede in den Glaubenshinhalten zwischen evangelischen und katholischen Christen befragt wisse er nur, dass bei den Katholiken der Pastor nicht heiraten dürfe und bei den Evangelischen schon.

 

Der Hauptunterschied in den Glaubensinhalten zwischen dem Christentum und dem Islam sei, dass im Islam alles ein Muss und ein Zwang sei, aber im Christentum sei das nicht so. Da sei eine Vater-Sohn-Beziehung, und es sei vergebend. Der Unterschied in der Stellung, die Jesus im Christentum zukomme, im Vergleich zu der, die Mohammed im Islam zukomme, sei, dass Jesus Christus sich wegen unserer Sünden geopfert habe. Er sei gekreuzigt worden und nach dem dritten Tag wieder auferstanden, von Mohammed wisse er es nicht. Die Frage, ob es zutreffe, dass sowohl Mohammed nach islamischer Auffassung als auch Jesus nach christlicher Auffassung Propheten seien, bejahte der Beschwerdeführer. Wichtige Ereignisse in der Bibel seien Ostern und die Geburt von Jesus, die zu Weihnachten gefeiert werde. In der Kirche seien wichtig Jesus Christus, der Glaube, das Wort Gottes, viele Sachen; auch das Abendmahl und die Taufe. Weiters sprach der Beschwerdeführer das Vaterunser auf Farsi,.

 

Nachgefragt, welche Auswirkungen der Umstand, dass er nun Christ sei, für das tägliche Leben des Beschwerdeführers habe, gab dieser an, er habe ein neues Leben begonnen und alles habe sich zum Besseren gewendet. Das zeige sich darin, dass er davor nicht so ein Mensch gewesen sei, wie er es jetzt sei. Er sei davor sehr selbstsüchtig gewesen und habe nicht auf andere geachtet. Jetzt nehme er an allen Aktivitäten seiner Kirchengemeinde teil, etwa an den Gottesdiensten am Sonntag. Nach dem Gottesdienst gebe es ein Abendmahl und zu den Festen. Auf Vorhalt, in der Evangelischen Kirche das Abendmahl Teil des Gottesdienstes sei, gab der Beschwerdeführer an, ja, es sei Teil davon, es sei in der Mitte des Gottesdienstes und es werde Brot und Wein verteilt. Die Gottesdienste, an denen er teilnehme, würden auf Deutsch abgehalten. Nach seiner Funktion oder besonderen Aufgabe in der Kirchengemeinde befragt, gab der Beschwerdeführer an, bei den Veranstaltungen helfe er mit den Stühlen. Einmal habe er Tee ausgeschenkt. Nach Namen von Pastoren oder sonst in der Kirchengemeinde tätigen Personen befragt, nannte der Beschwerdeführerin die als Zeugin geladene Presbyterin, den aktuellen Pfarrer, einen mittlerweile verstorbenen Pfarrer und ein weiteres Kirchenmitglied.

 

Sein Tagesablauf habe sich insofern geändert, seit er Christ sei, dass es besser geworden sei. Er sei zufrieden und habe keine Sorgen mehr. Er besuche die Schule.

 

Auf Nachfrage seiner Rechtsvertretung gab der Beschwerdeführer an, er habe einmal einen Freund missioniert, indem er ihm vorgeschlagen habe, die Bibel zu lesen und in die Kirche zu gehen.

 

Sodann wurde die genannte Presbyterin der Evangelischen Pfarrgemeinde XXXX als Zeugin (in der Niederschrift als Z2 bezeichnet) einvernommen, wobei sei im Wesentlichen Folgendes angab:

Sie habe den Beschwerdeführer bei verschiedensten Veranstaltungen in der Kirche kennen gelernt, glaublich beim Erntedankfest 2018. Etwa im März/April 2018 habe der Beschwerdeführer begonnen, sich mit anderen Personen gemeinsam um ein Gartenbeet im von der Pfarrgemeinde betriebenen Gemeinschaftsgarten (" XXXX ") zu kümmern. Über diesen Garten habe er Interesse für die Kirche entwickelt. Der Bibelkurs habe nichts mit der Pfarrgemeinde oder der Taufvorbereitung zu tun. Der Bibelkurs vermittle Wissen über die Bibel und aus diesem Wissen heraus könne der Wunsch nach der Taufe und die Entscheidung für eine bestimmte Kirche entstehen. Die Taufvorbereitung habe der Pfarrer gemacht, der sei jedoch leider mittlerweile verstorben. An kirchlichen Aktivitäten nehme der Beschwerdeführer teil, indem er sie einmal beim Kirchen-Café vertreten habe, mitgeholfen habe, Sessel zu tragen und Tische abzuwaschen, er setzte sich auch im Pfarrgarten ein und habe einer anderen Gärtnerin dabei geholfen, Pferdemist einzuschaufeln. Er sei öfter im Gemeindegottesdienst als sie selbst, nämlich sicher zweimal im Monat.

 

Auf Vorhalt, dass der Theologische Ausschuss der Generalsynode für den Taufunterricht eine Dauer von einem Jahr empfehle, und diese Dauer betreffend den Beschwerdeführer mit Bibelkurs im September 2018 und der Taufe im Jänner 2019 erheblich unterschritten worden sei, gab die Z2 an, der Bibelkurs und all das zähle natürlich dazu, und der Beschwerdeführer habe zusätzlich Unterricht erhalten, wo es um Kirchenjahr, Feste und die evangelischen Spezifika wie etwa Martin Luther gegangen sei.

 

Auf Nachfrage der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers gab die Z2 an, sie sei davon überzeugt, dass der Beschwerdeführer auch weiterhin den christlichen Glauben ausüben werde, und werde ihn dabei begleiten.

 

In der Verhandlung zu seinen Deutschkenntnissen befragt, gab der Beschwerdeführer an, in Österreich Deutschprüfungen auf A1- und A2-Niveau absolviert zu haben.

 

Nach seinem Tagesablauf befragt, gab der Beschwerdeführer an, wenn er keine Schule habe, mache er mit seiner Patin Ausflüge oder sie würden ins Kino gehen. Ansonsten lerne er, sie hätte auch ein Grundstück gemietet und würden dort etwas einpflanzen. Er machen aktuell den Pflichtschulabschluss und gehe in die Abendschule an der Volkshochschule. Derzeit lebe er von der Grundversorgung. Einmal habe er ein dreitägiges Praktikum als Maler bei der Diakonie gemacht. Nach seinem Freundeskreis in Österreich befragt, gab der Beschwerdeführer an, er kenne von der Kirche die bereits genannten (den aktuellen Pastor, die Z2, ein näher genanntes Kirchenmitglied) und es gebe noch ein weiteres näher genanntes Kirchenmitglied. Seine Freunde, die er von der Schule kenne, seien alle Afghanen und Araber, es gebe dort keine Österreicher. Er kenne auch noch ein paar Afghanen aus Wien, die er in Traiskirchen kennen gelernt habe. Näher zu seinen afghanischen Freunden aus der Schule befragt, gab er an, dass drei von fünf namentlich genannten nichts von seiner Konversion wissen würden, er habe es ihnen nicht erzählt, weil er ihnen nicht vertraue.

 

Zu einem bestimmten aktenkundigen Raufhandel befragt, gab der Beschwerdeführer an, die anderen seien schuld gewesen. Er habe sich nur verteidigt; auch sei er betrunken gewesen. Jetzt würde er das auf keinen Fall mehr machen.

 

In ihrer zeugenschaftlichen Einvernahme gab die zuvor als Patin des Beschwerdeführers bezeichnete Frau (in der Verhandlungsschrift als Z1 angeführt) zusammengefasst Folgendes an: Sie kenne den Beschwerdeführer seit September 2017; damals habe sie für ihn die Patenschaft übernommen. Dabei gehe es darum, junge Menschen bei der Integration und nach Bedarf zu unterstützen. Sie hätten sehr viel gemeinsam gelernt, sie habe ihn aus seinem Alltag heraus und in ihre Familie hineingenommen und gemeinsame Ausflüge gemacht oder auch zum Arzt begleitet. Sie selbst sei seit 2013/14 im Gemeinschaftsgarten der Kirche tätig und habe seit 2018 gemeinsam mit dem Beschwerdeführer dort ein Beet bewirtschaftet. Zu Beginn der Saison 2018, etwa im März/April, habe sie begonnen, den Beschwerdeführer in Gottesdienste mitzunehmen. Etwa zum Pflanzgottesdienst mit Pflanzenmarkt oder zu einer Singveranstaltung. Vor der Taufe habe es immer wieder Gespräche zwischen dem Beschwerdeführer und dem mittlerweile verstorbenen Pfarrer gegeben sowie zwei ganz offizielle Vorgespräche für die Taufe, da sei sie immer mit dabei gewesen. Die Z1 legte auch eine Liste mit Terminen vor. Sie sei ja quasi auch das Taxi, der Fahrdienst gewesen, weil die Einrichtungen sehr weit weg seien und schlecht öffentlich angebunden.

 

Konkret zur Taufvorbereitung in der Pfarrgemeinde selbst befragt und wann diese angefangen habe, gab die Z1 an, es habe zwei intensivere Gespräche mit dem Pfarrer gegeben, glaublich im November 2018 und im Januar 2019, in denen der Pfarrer den Wechsel vom Islam zur christlichen Kirche intensiv hinterfragt habe. Der Beschwerdeführer habe angegeben, der islamische Glaube sei in Iran sehr strikt gelebt worden, er habe keine freie Wahl gehabt, es sei sehr unterdrückend gewesen. Hinsichtlich der Gefahr, in Afghanistan als Christ zu leben, habe der Beschwerdeführer gesagt, es sei ihm bewusst, was dort passieren könne, aber das werde seine Entscheidung, sich taufen zu lassen, nicht ändern. Beim Taufgespräch selbst sei ein Dolmetscher dabei gewesen.

 

Von der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers befragt, gab die Z1 an, sie gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer nach wie vor seinen christlichen Glauben praktizieren werde.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Der zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährige, nunmehr volljährige Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der ethnischen Gruppe der Hazara an. Er stammt ursprünglich aus der Provinz Samangan und wurde am XXXX geboren. Der Beschwerdeführer hat im Alter von vier Jahren aus ihm unbekannten Gründen mit seinen Eltern Afghanistan verlassen und seitdem, bis zu seiner Flucht, in Iran gelebt. Der Beschwerdeführer spricht Dari, Farsi, kann auf Farsi einigermaßen schreiben und besser lesen.

 

Der Beschwerdeführer hat keine Angehörigen in Afghanistan, seine Familie (Eltern, Bruder, Onkel und Tante väterlicherseits) lebt im Iran. Zu seinen Eltern hat er regelmäßigen telefonischen Kontakt.

 

Der Beschwerdeführer ist jung, arbeitsfähig und grundsätzlich gesund. Er ist ledig und hat keine Kinder. Er hat in Afghanistan oder im Iran keine Schule, jedoch einen Alphabetisierungskurs auf Farsi besucht und nebenbei als Hilfsarbeiter (für Tätigkeiten in der Landwirtschaft und am Bau wie Obst pflücken und Ziegel verladen) gearbeitet.

 

Der Beschwerdeführer ist mit den kulturellen Gegebenheiten in Afghanistan vertraut und der Landessprache Dari mächtig.

 

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan nicht vorbestraft, war dort nie inhaftiert, war kein Mitglied einer politischen Partei oder sonstigen Gruppierung, hat sich nicht politisch betätigt und hatte keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Heimatland.

 

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

 

Am 27.01.2019 wurde er in der Evangelischen Pfarrgemeinde XXXX getauft und gibt an, zum Christentum konvertiert zu sein. Zuvor hatte er auch einen Bibelkurs besucht. Seiner Familie hat der Beschwerdeführer nicht von seiner Taufe erzählt. Der Beschwerdeführer zeigt zwar Interesse am Christentum, besucht etwa zwei bis vier Mal im Monat die Kirche für Gottesdienste oder andere Veranstaltungen und hat in der örtlichen Pfarrgemeinde einige soziale Kontakte geknüpft. Insbesondere betätigt er sich im Gemeinschaftsgarten der Pfarrgemeinde. Es ist jedoch nicht glaubhaft, dass der christliche Glaube ein wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden ist. Es wird daher festgestellt, dass der Beschwerdeführer keinen inneren Entschluss gefasst hat, auch im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan nach dem christlichen Glauben zu leben.

 

Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan und Iran als Schiit gelebt, ist gegenwärtig jedoch nicht religiös am Islam interessiert. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer sich aus tiefer innerer Überzeugung vom Islam abgewendet hat.

 

Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus Gründen der Religion Verfolgung zu befürchten hätte.

 

Der Beschwerdeführer ist nach einer Ansiedlung in einer größeren Stadt, die nicht von den Taliban kontrolliert wird, zB in Mazar-e Sharif, nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit gefährdet, in Hinblick auf seine Tattoos Übergriffen von hier interessierender Intensität zu werden.

 

Dem Beschwerdeführer droht auf Grund seiner Zugehörigkeit zur ethnischen Gruppe der Hazara in Afghanistan keine konkret gegen ihn gerichtete psychische oder physische Gewalt. Auch ist nicht jeder Angehörige der Hazara in Afghanistan physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt.

 

Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus Gründen der ethnischen Zugehörigkeit Verfolgung zu befürchten hätte.

 

Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan auch aus anderen Gründen nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätte, so war er vor seiner Flucht auch keiner konkreten individuellen Verfolgung durch Taliban, den IS oder sonstige kriminelle Personen ausgesetzt und haben sich keine Anhaltspunkte für eine Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung ergeben.

 

1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan:

 

Im Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers, der Provinz Samangan, gab es einerseits regierungsinterne politische Konflikte und versuchten andererseits Aufständische in den letzten Jahren ihre Aktivitäten destabilisierend auszuweiten, wodurch sich die Sicherheitslage in der Provinz verschlechterte und die Gewalt anstieg. In Samangan sind Mitglieder der Taliban, des IS und der Islamischen Bewegung Usbekistan aktiv.

 

Im Falle seiner Rückkehr in Städte außerhalb seiner Heimatprovinz, etwa nach Mazar-e Sharif, würde dem Beschwerdeführer nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen oder er der Gefahr ausgesetzt sein, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten. Als leistungsfähiger junger, grundsätzlich gesunder Mann im erwerbsfähigen Alter ohne besonderen Schutzbedarf und mit Berufserfahrung in der Landwirtschaft und am Bau wäre er auch im Stande, für ein ausreichendes Auskommen im Sinne der Sicherung seiner Grundbedürfnisse zu sorgen. Er könnte seine Existenz zumindest mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern und eine einfache Unterkunft finden. Es ist dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar, sich in Mazar-e Sharif anzusiedeln und dort ein Leben ohne unbillige Härten führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Von Österreich aus mit dem Flugzeug ist Mazar-e Sharif sicher über Kabul oder auch über Istanbul zu erreichen.

 

1.4. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

 

Der Beschwerdeführer ist rechtswidrig nach Österreich eingereist und stellte am 06.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Er hat - von seinem asylrechtlichen Status abgesehen - kein Aufenthaltsrecht in Österreich.

 

Der Beschwerdeführer verfügt über geringe Deutschkenntnisse auf A2-Niveau. Er besucht derzeit die Abendschule, um den Pflichtschulabschluss nachzuholen. Er hat seit 2018 ehrenamtliche Tätigkeiten in der Evangelischen Pfarrgemeinde XXXX verrichtet, insbesondere bei Veranstaltungen Sessel aufzustellen, Tische abzuwaschen sowie im Gemeinschaftsgarten ein Beet zu pflegen. Er hat vor allem mit seiner Patin sozialen Kontakt, die ihn auch zu Kirchenveranstaltungen führt, sowie mit einigen wenigen anderen Kirchenmitgliedern. Aus der Schule hat er einige afghanische und arabische Bekannte. Er ist mit zumindest drei afghanischen Männern befreundet. Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Familienangehörigen und lebt von der Grundversorgung.

 

1.5. Zur hier relevanten Situation in Afghanistan:

 

1.5.1. Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Stand 29.06.2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 26.03.2019):

 

Den zuletzt eingefügten Kurzinformationen vom 01.03.2019 und 26.03.2019 ist zu entnehmen, dass die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor labil bleibt und sich insbesondere auch in Kabul-Stadt verschlechtert. Die meisten regierungsfeindlichen Angriffe fanden in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandarhar, Uruzgan und Herat statt. Zivile Opfer durch Kämpfe und Anschläge gab es auch in den Provinzen Kunar, Nangarhar, Kunduz und Kabul sowie entlang verschiedener Hauptstraßen in diesen Provinzen. Alle Provinzzentren sind jedoch unter Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung.

 

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. 84.000 Personen nach Herat-Stadt und

94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

 

Ergänzend wird zur Sicherheitslage im Kapitel 3 im Wesentlichen ausgeführt: Die Sicherheitslage in Afghanistan ist sehr instabil. Es ist mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Die afghanische Regierung bzw. deren Sicherheitskräfte behalten auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen. Die Aufständischen üben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren aus. Sie greifen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige an; es gibt Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS. Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt. Es haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden. Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen. Die Taliban kontrollieren zwischen 10% und 14 % der afghanischen Distrikte Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017). Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.1.2018; vgl. AJ 30.4.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).

 

Zur Heimatprovinz des Beschwerdeführers wird im LIB ausgeführt (Abschnitt 3.29. Samangan): Samangan verlor im Jahr 2017 ihren Opium-freien Status (UNODC 11.2017). Anfang 2018 musste Abdulkarim Khaddam wegen eines regierungsinternen politischen Konflikts seinen Posten als Provinzgouverneur Samangans aufgeben (TG 18.2.2018; vgl. TC 1.1.2018, Reuters 20.2.2018). Im Rahmen einer Destabilisierung des Nordens, versuchen Aufständische in den letzten Jahren in mehreren Distrikten der Provinz ihre Aktivitäten auszuweiten - dazu zählen sowohl die Taliban als auch Mitglieder anderer Gruppierungen (Khaama Press 14.5.2017; vgl. Khaama Press 6.4.2017). Im September 2017 begann sich die Sicherheitslage in der Provinz zu verschlechtern; Grund dafür war die steigende Gewalt in den nördlichen Provinzen des Landes (Khaama Press 21.9.2017). Hauptursache für zivile Opfer waren Blindgänger/Landminen, gefolgt von Bodenoffensiven und IEDs. In Samangan werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden der Provinz von Aufständischen zu befreien. In der Provinz sind Talibankämpfer sowie Mitglieder des IS und der Islamischen Bewegung Usbekistan (IBU) in einigen Distrikten aktiv (Khaama Press 21.9.2017). Der Distrikt Chardarah in Kunduz ist für die Taliban von Bedeutung, weil sie durch diesen u.a. Zugang zur Provinz Samangan haben; Quellen zufolge würde die Bekämpfung der Taliban in Kunduz somit u.a. auch Auswirkungen auf die Provinz Samangan haben (Xinhua 5.9.2017).

 

Zur als innerstaatliche Fluchtalternative herangezogenen Stadt Mazar-e Sharif in der Provinz Balkh führt das LIB aus (3.5. Balkh):

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen. Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017). Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Reuters 22.3.2018). Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (Tolonews 24.3.2018). Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017). Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.2.2018).

 

Im Rechts- und Justizwesen (detailliert ausgeführt in Punkt Kapitel 4) gibt es zwar Gesetze, es gilt allerdings der Vorrang der Scharia (islamisches Recht) und daneben existieren lokale Gepflogenheiten. Das Justizwesen wird von Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquater Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert. Letzteres gilt auch für die Sicherheitskräfte (Kapitel 5 des LIB). Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex für 2017 von Transparency International, belegt Afghanistan von 180 Ländern den 177. Platz (TI 21.2.2018). Einer Umfrage zufolge betrachten 83,7% der Afghanen die Korruption als ein Hauptproblem des Landes. Die Provinzen mit der höchsten Korruptionswahrnehmung sind Kabul mit 89,6%, Uruzgan mit 87,9%, Nangarhar mit 87,8% und Helmand mit 86,9% (Kapitel 7).

 

Es kommt auch zu bedeutenden Menschenrechtsverletzungen, obwohl die Menschenrechte eine klare rechtliche Grundlage haben. Dazu zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, willkürliche Verhaftungen, Festnahmen (u. a. von Frauen wegen "moralischer Straftaten") und sexueller Missbrauch von Kindern durch Mitglieder der Sicherheitskräfte. Weitere Probleme sind Gewalt gegenüber Journalisten, Verleumdungsklagen, durchdringende Korruption und fehlende Verantwortlichkeit und Untersuchung bei Fällen von Gewalt gegen Frauen. Diskriminierung von Behinderten, ethnischen Minderheiten sowie aufgrund von Rasse, Religion, Geschlecht und sexueller Orientierung, besteht weiterhin mit geringem Zuschreiben von Verantwortlichkeit. Die weit verbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und die Straffreiheit derjenigen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, sind ernsthafte Probleme. Missbrauchsfälle durch Beamte, einschließlich der Sicherheitskräfte, werden von der Regierung nicht konsequent bzw. wirksam verfolgt. Bewaffnete aufständische Gruppierungen greifen mitunter Zivilisten, Ausländer und Angestellte von medizinischen und nicht-staatlichen Organisationen an und begehen gezielte Tötungen regierungsnaher Personen. Regierungsfreundlichen Kräfte verursachen eine geringere - dennoch erhebliche - Zahl an zivilen Opfern (vgl. zur Menschenrechtslage Kapitel 10).

 

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen sind gesetzlich verboten; trotzdem werden beide Praktiken weiterhin betrieben. Diese stellen in den meisten Provinzen ein Problem dar. Beobachtern zufolge werden Personen gelegentlich von Polizei und Staatsanwälten auf Basis von Handlungen, die nach afghanischem Recht nicht strafbar sind, ohne Anklage inhaftiert. Teilweise auch deshalb, weil das Justizsystem nicht in der Lage ist, in angemessener Zeit einen Strafprozess abzuwickeln. Die UNAMA berichtete von Verhaftungen wegen Verstößen gegen die Moral, Vertragsbruch, Familiendisputen und zum Zwecke des Erhalts von Geständnissen.

 

Gem. Kapitel 14 droht die Todesstrafe nicht nur bei Delikten wie Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Angriff gegen den Staat, Mord und Zündung von Sprengladungen, Entführungen bzw. Straßenraub mit tödlicher Folge, Gruppenvergewaltigung von Frauen usw., sondern auch unter dem Einfluss der Scharia bei anderen Delikten (z.B. Blasphemie, Apostasie, Ehebruch).

 

Kapitel 15 hält zur Religionsfreiheit in Afghanistan das Folgende fest:

 

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018). Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechungnter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017). Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018). Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5 .2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5 .2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017). Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017). Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017). Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

 

Zu Christentum und Konversionen zum Christentum wird unter Abschnitt

15.2. näher ausgeführt: Öffentlich zugängliche Kirchen existieren in Afghanistan nicht (USDOS 15.8.2017). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen gibt (abgesehen von einer katholischen Kapelle auf dem Gelände der italienischen Botschaft). Zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NGOs abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen (AA 5 .2018). Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 5 .2018). Christen berichteten von einer feindseligen Haltung gegenüber christlichen Konvertiten und der vermeintlichen christlichen Proselytenmacherei (USDOS 15.8.2017). Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel nur deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen. In städtischen Gebieten sind Repressionen gegen Konvertiten aufgrund der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften (AA 9 .2016). Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (AA 5 .2018). Quellen zufolge müssen Christen ihren Glauben unbedingt geheim halten. Konvertiten werden oft als geisteskrank bezeichnet, da man davon ausgeht, dass sich niemand bei klarem Verstand vom Islam abwenden würde; im Falle einer Verweigerung, zu ihrem alten Glauben zurückzukehren, können Christen in psychiatrische Kliniken zwangseingewiesen, von Nachbarn oder Fremden angegriffen und ihr Eigentum oder Betrieb zerstört werden; es kann auch zu Tötungen innerhalb der Familie kommen. Andererseits wird auch von Fällen berichtet, wo die gesamte Familie den christlichen Glauben annahm; dies muss jedoch absolut geheim gehalten werden (OD 2018). Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die oft während ihres Aufenthalts im Ausland konvertierten, üben aus Angst vor Diskriminierung und Verfolgung ihre Religion alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern aus (USDOS 15.8.2017). Zwischen 2014 und 2016 gab es keine Berichte zu staatlicher Verfolgung wegen Apostasie oder Blasphemie (USDOS 15.8.2017). Der Druck durch die Nachbarschaft oder der Einfluss des IS und der Taliban stellen Gefahren für Christen dar (OD 2018).

 

Zur ethnischen Gruppe der Hazara wird unter Abschnitt 16.2. angeführt: Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016). Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban- Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5 .2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017). So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016). Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9 .2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018). Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

 

Laut Kapitel 19 (Bewegungsfreiheit) garantiert das Gesetz interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger/innen gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. Gesellschaftliche Sitten schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ein. Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig "gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen. Dennoch gibt es Mittel und Wege, um Familienmitglieder ausfindig zu machen. Das Dorf, aus dem jemand stammt, ist der naheliegende Ort, um eine Suche zu starten. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (BFA/EASO 1.2018; vgl. EASO 2.2018).

 

Zur Versorgungslage wird in Kapitel 21 und 22 ausgeführt:

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188 (UNDP 2016). Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist (IWF 8.12.2017; vgl. WB 10.4.2018). Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden (SCA 22.5.2018). Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (WB 10.4.2018).

 

Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert (IWF 8.12.2017). Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (UN GASC 27.2.2018).

 

Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit:

 

Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vgl. AF 14.11.2017).

 

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. SCA 22.5.2018). Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018).

 

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).

 

Projekte der afghanischen Regierung

 

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern (UN GASC 27.2.2018). Darunter fällt u.a. der fünfjährige (2017 - 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind u. a. der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. (WP 10.4.2018.; vgl. GEC 29.1.2017). Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien (UN GASC 27.2.2018).

 

Das "Citizens' Charter National Priority Program" z. B. hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen. Die erste Phase des Projektes sollte ein Drittel der 34 Provinzen erfassen und konzentrierte sich auf Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar. Ziel des Projekts ist es, 3,4 Mio. Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu verschaffen, die Gesundheitsdienstleistungen, das Bildungswesen, das Straßennetz und die Stromversorgung zu verbessern, sowie die Zufriedenheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu steigern. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Behinderte, Arme und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

 

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Medizinische Versorgung

 

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen (MPI 27.1.2004; Casolino 2011). Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (AA 5 .2018).

 

In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen (WHO o.D.). Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht (TWBG 10.2016; vgl. USAID 25.5.2018). Gründe dafür waren u. a. eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. (TWBG 10.2016). Einer Umfrage der Asia Foundation (AF) zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert (AF 11.2017).

 

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011-2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012-2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren (WHO o.D.).

 

Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel (TWBG 10.2016). In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 - 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt (AA 5 .2018). Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen wie Kunduz, Faryab und Baghlan wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Krankenkassen und Gesundheitsversicherung

 

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden (MoPH 7.2005; vgl. MedCOI 4.1.2018). Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken (MedCOI 24.2.2017). Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden (IOM 5.2.2018).

 

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen (MoPH 7.2005; vgl. AP&C 9.2016). 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (AA 5 .2018).

 

Beispiele für Behandlung psychischer erkrankter Personen in Afghanistan

 

In der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat geistige Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt. Jedoch ist der Fortschritt schleppend und die Leistungen außerhalb von Kabul sind dürftig. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden genauso wie Kranke und Alte gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gemeinschaftliche Unterstützung sicherstellen (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 2017).

 

Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam. So existieren z. B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Personen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und bei anderen Nichtregierungsorganisationen behandelt werden. Einige dieser NGOs sind die International Psychological Organisation (IPSO) in Kabul, die Medica Afghanistan und die PARSA (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt" oder es wird ihnen durch eine "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer der "böse Geist ausgetrieben". Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung sowohl über das Internet als auch in Form von Comics (für Analphabeten) zu betreiben (AA 9 .2016; vgl. AP 18.8.2016). Beispielweise wurde in der Provinz Badakhshan durch internationale Zusammenarbeit ein Projekt durchgeführt, bei dem konventionelle und kostengünstige e-Gesundheitslösungen angewendet werden, um die vier häufigsten psychischen Erkrankungen zu behandeln: Depressionen, Psychosen, posttraumatische Belastungsstörungen und Suchterkrankungen. Erste Evaluierungen deuten darauf hin, dass in abgelegenen Regionen die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessert werden konnte. Auch die gesellschaftliche Stigmatisierung psychisch Erkrankter konnte reduziert werden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. NCBI 12.2016).

 

Trotzdem findet die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt (AA 5 .2018).

 

Krankenhäuser in Afghanistan

 

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw. schnellere medizinische Versorgung zu bekommen (IOM 5.2.2018). Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw. der Tazkira erforderlich (RFG 2017). In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw. fachlicher Expertise nicht behandelt werden können (IOM 5.2.2018). Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen (RFG 2017). Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung (IOM 5.2.2018). Es folgt eine Liste einiger staatlicher Krankenhäuser

(...).

 

Es gibt zahlreiche private Kliniken, die auf verschiedene medizinische Fachbereiche spezialisiert sind. Es folgt eine Liste einiger privater Gesundheitseinrichtungen (...).

 

Beispiele für Nichtregierungsinstitutionen vor Ort:

 

Ärzte ohne Grenzen (MSF): Médecins sans Frontières (MSF) ist in verschiedenen medizinischen Einrichtungen in Afghanistan tätig: im Ahmad Shah Baba Krankenhaus und im Dasht-e Barchi Krankenhaus in Kabul, in der Entbindungsklinik in Khost, im Boost Krankenhaus in Lashkar Gah (Helmand) sowie im Mirwais Krankenhaus und anderen Einrichtungen in Kandahar (MSF o. D.).

 

Das Komitee des internationalen Roten Kreuz (ICRC): Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung. Für den Zeitraum von Dezember 2017 bis März 2018 wurden Berichten zufolge insgesamt 48 Zwischenfälle in 13 Provinzen registriert. Nach mehreren Angriffen mit Todesfolge auf Mitarbeiter des ICRC, hat das Internationale Komitee des Roten Kreuzes 2017 einen erheblichen Teil seines Personals im Land abgezogen (AA 5 .2018). Trotzdem blieb im Laufe des Jahres 2017 das ICRC landesweit aktiv. Tätigkeiten des Komitees zur Förderung der Gesundheitsfürsorge waren z.B. der Transport von Kriegsverwundeten in nahe liegende Krankenhäuser für weitere medizinische Versorgung, die Bereitstellung von Medikamenten und medizinischer Ausstattung zur Unterstützung einiger staatlicher Krankenhäuser, die Bereitstellung von medizinischer Unterstützung für das Mirwais Krankenhauses in Kandahar, die Unterstützung von Gesundheitsdienstleistungen in zwei Gefängnissen (Kandahar und Herat) usw. (ICRC 28.1.2018).

 

International Psychosocial Organization (IPSO) in Kabul: IPSO bietet landesweit psychosoziale Betreuung durch Online-Beratung und Projektfeldarbeit mit insgesamt 280 psychosozialen Therapeuten, wovon die Hälfte Frauen sind. Die Online-Beratung steht von 8-19 Uhr kostenfrei zur Verfügung; angeboten werden ebenso persönliche Sitzungen in Beratungszentren der Krankenhäuser. Einige der Dienste dieser Organisation sind auch an Universitäten und technischen Institutionen verfügbar. Unter anderem ist IPSO in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Herat, Bamyan, Badakhshan, Balkh, Jawzjan und Laghman tätig (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IPSO Cultural Containers o.D.).

 

Medica Afghanistan in Kabul: Medica Afghanistan bietet kostenfreie psychosoziale Einzel- und Gruppentherapien an. Die Leistungen sind nur für Frauen zugänglich und werden in Kabul in unterschiedlichen Frauenhäusern und -gefängnissen sowie Jugendzentren angeboten. Auch werden die Leistungen der Organisation in drei Hauptkrankenhäusern, im "Women's Garden, im Ministeirum für Frauenangelegenheiten (MoWA) und an weiteren Standorten in Kabul angeboten (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

PARSA Afghanistan: Parsa ist seit 1996 als registrierte NGO in Afghanistan tätig. Die Organisation spezialisiert sich u.a. auf psychologische Leistungen und Ausbildung von afghanischem Fachpersonal, das in sozialen Schutzprogrammen tätig ist und mit vulnerablen Personen arbeitet. Zu diesen Fachkräften zählen Mitarbeiter in Zentren für Binnenvertriebene, Frauenhäusern und Waisenhäusern sowie Fachkräfte, die in lokalen Schulen am Projekt "Healthy Afghan Girl" mitarbeiten und andere Unterstützungsgruppen (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. PARSA o.D.).

 

Weitere Projekte: Das Telemedizinprojekt des Mobilfunkanbieters Roshan, verbindet Ärzte in ländlichen Gegenden mit Spezialisten im französischen Kindermedizininstitut in Kabul und dem Aga Khan Universitätskrankenhaus in Pakistan. Durch eine Hochgeschwindigkeits-Videoverbindung werden mittellose Patienten auf dem Land von Fachärzten diagnostiziert. Unter anderem bietet die von Roshan zur Verfügung gestellte Technologie afghanischen Ärzten die Möglichkeit, ihre medizinischen Kenntnisse zu erweitern und auf den neuesten Stand zu bringen (GI 17.12.2016; vgl. NCBI 23.3.2017).

 

Zur Rückkehr nach Afghanistan wird in Kapitel 23 ausgeführt: Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017).

 

Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiwillige Rückkehr von 58.817 Personen (98% aus Pakistan sowie 2% aus Iran und anderen Ländern) (UNHCR 3.2018).

 

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 20.4.2018). Nichtsdestotrotz versucht die afghanische Regierung die gebildete Jugend, die aus Pakistan zurückkehrt, aufzunehmen (BTI 2018). Von den 2.1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer/innen. In den informellen Siedlungen von Nangarhar lebt eine Million Menschen, wovon 69% Rückkehrer/innen sind. Die Zustände in diesen Siedlungen sind unterdurchschnittlich und sind besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen sind Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% haben keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% leben in überfüllten Haushalten (UN OCHA 12.2017).

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Im Jangalak Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer, mit jeweils 2-3 Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

 

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor. IOM setzt im Zuge von Restart II unterschiedliche Maßnahmen um, darunter Rückkehr - und Reintegrationsunterstützung. In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

NRC (Norwegian Refugee Council) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch hilft NRC Rückkehrer/innen bei Grundstücksstreitigkeiten. Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrer/innen aus Pakistan sollen auch die Möglichkeit haben die Schule zu besuchen. NRC arbeitet mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern. IDPs werden im Rahmen von Notfallprogrammen von NRC mit Sachleistungen, Nahrungsmitteln und Unterkunft versorgt; nach etwa zwei Monaten soll eine permanente Lösung für IDPs gefunden sein. Auch wird IDPs finanzielle Unterstützung geboten: pro Familie werden zwischen 5.000 und 14.000 Afghani Förderung ausbezahlt. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

 

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Ausführliche Informationen zu den Programmen und Maßnahmen der erwähnten Organisationen sowie weitere Unterstützungsmaßnahmen können dem FFM-Bericht Afghanistan 4.2018 entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

 

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen

 

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

1.5.2. Gefährdung in Hinblick auf Tätowierungen:

 

Nach islamischem Recht sind Tätowierungen, die von einigen Mullahs als Verstümmlungen des menschlichen Körpers angesehen werden, verboten. Tattoo-Shops sind illegal. Ein Tätowierer wird zitiert, der darüber berichtet, dass andere Tätowierer verhaftet und ihre Läden geschlossen wurden. 2001 wurden in Kabul mehrere Tattoo-Salons gegründet, die offen für ihr Geschäft warben, nach Beschwerden religiöser Führer jedoch durch die Regierung geschlossen wurden. Personen, die Tätowierungen haben, verstecken diese, aus Angst vor Repressalien durch Aufständische, unter den Ärmeln. Trotzdem werden Tätowierungen immer beliebter. Mullah Abdul Latif, der Leiter einer Moschee in Westkabul erklärt, dass das Tätowieren unislamisch ist, die meisten Menschen es hassen und sich über jene, die es tun, lustig machen würden.

 

(Daily Mail, 21.12.2014: Tattoos embody Afghan social revolution, but critics push back,

http://www.dailymail.co.uk/wires/afp/article-2882305/Tattoos-embody-Afghan-social-revolution-critics-push-back.html?ito=email share article-top)

 

Es gibt eine lange Geschichte traditioneller Tätowierungen in der afghanischen Bevölkerung, obwohl permanente Tätowierungen allgemein als unislamisch angesehen werden. Dadurch, dass die Bevölkerung westlichem Einfluss ausgesetzt wird, wächst unter der städtischen Jugend ein westlicher Tattoo-Trend. Einige dieser tätowierten Personen erklären, dass sie ihre Tätowierungen in der Öffentlichkeit, aus Angst vor Reaktionen von Aufständischen oder aufgrund gesellschaftlicher Einstellungen, abdecken.

 

Permanente Tätowierungen sind nach islamischem Recht verboten sind. Es wurden jedoch keine Informationen über Strafverfolgungen oder Gerichtsverfahren, die wegen Tätowierungen gegen Einzelpersonen eingeleitet wurden, gefunden.

 

Allein aufgrund des Vorhandenseins eines Tattoos mit christlichem Motiv wird nicht darauf geschlossen, dass eine Person konvertiert ist.

 

(Migrationsverket - Schwedische Einwanderungsbehörde (13.9.2017):

Tatueringar i Afghanistan,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1411179/1226 1507623831 170913202.pdf)

 

Afghanen können aus verschiedenen Gründen Tätowierungen haben. Männer hätten solche, weil es modisch ist oder um ein Ereignis in ihrem Leben festzuhalten. So stellt ein Kreuz kein Zeichen des Christentums oder Ähnliches dar. Dies ist normalerweise eine persönliche Entscheidung und (nur) die Person, die das Tattoo trägt, kennt für gewöhnlich die Bedeutung des Motivs. Die anonymen Quelle erklärt, sie glaube nicht, dass eine Tätowierung einen Grund für Verfolgung darstellen würde. Dennoch könne derlei zu einem Problem für die betreffende Person werden; konservativ eingestellte Personen könnten den Betreffenden zur Rede stellen und nach einer Erklärung verlangen bzw. nach dem Grund für die Tätowierung fragen.

 

(Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 24.06.2014 unter Hinweis auf eine anonyme afghanische Quelle)

 

1.5.3. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018:

 

Afghanistan ist weiterhin von einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt betroffen. Menschenrechtsverletzungen und andere Formen der Gewalt können einzeln oder kumulativ eine Verfolgung im Sinne von Artikel 1 A (2) der GFK darstellen. Im Kontext des Konflikts in Afghanistan gehören zu den relevanten Faktoren für die Prüfung von Menschenrechtsverletzungen oder anderen ernsthaften Schäden, die mit hinreichend begründeter Wahrscheinlichkeit einer Person drohen können, (i) die Kontrolle über die Zivilbevölkerung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) einschließlich der Etablierung paralleler Justizstrukturen und der Verhängung illegaler Strafen sowie der Bedrohung und Einschüchterung der Zivilbevölkerung, der Einschränkung der Bewegungsfreiheit und des Einsatzes von Erpressung und illegaler Besteuerung; (ii) Zwangsrekrutierung; (iii) die Auswirkung von Gewalt und Unsicherheit auf die humanitäre Situation in Form von Ernährungsunsicherheit, Armut und Vernichtung von Lebensgrundlagen (iv) das hohe Maß an organisierter Kriminalität und die Möglichkeit lokaler Machthaber ("Strongmen"), Kriegsfürsten ("Warlords") und korrupter Beamter, straflos zu agieren; (v) die systematische Beschränkung des Zugangs zu Bildung und zu grundlegender Gesundheitsversorgung infolge der unsicheren Situation; und (vi) die systematische Beschränkung der Teilnahme am öffentlichen Leben, insbesondere für Frauen. Damit eine Person, die im Kontext des bewaffneten Konflikts in Afghanistan vor Schaden oder drohendem Schaden flieht, die Kriterien der Flüchtlingseigenschaft gemäß Artikel 1 A (2) der GFK erfüllt, muss die drohende Verfolgung ebenfalls an einen Konventionsgrund anknüpfen. (S. 8)

 

Interne Flucht-, Neuansiedelungs- oder Schutzperspektive:

 

Analyse der Zumutbarkeit

 

a) Die persönlichen Umstände des Antragstellers

 

Ob eine Flucht- oder Neuansiedlungsalternative "zumutbar" ist, muss im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände der Antragstellenden beurteilt werden; maßgebliche Faktoren sind dabei Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, die familiäre Situation und Verwandtschaftsverhältnisse sowie der jeweilige Bildungs- und Berufshintergrund. (S. 122)

 

Vor diesem Hintergrund ist UNHCR der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn die Person Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung und (iii) Lebensgrundlagen hat oder über erwiesene und nachhaltige Unterstützung verfügt, die einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht. UNHCR ist ferner der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann als zumutbar angesehen werden kann, wenn die Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft hat und man sich vergewissert hat, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen. Die einzige Ausnahme von diesem Erfordernis der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne die oben beschriebenen besonderen Gefährdungsfaktoren dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen. (S. 124f.)

 

Im Lichte der vorliegenden Beweise von schwerwiegenden und weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) in Gebieten unter deren wirksamer Kontrolle und der Unfähigkeit des Staates, für Schutz vor derartigen Verletzungen in diesen Gebieten zu sorgen, ist nach Ansicht von UNHCR eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, nicht gegeben. Hinsichtlich Personen, die über zuvor hergestellte Verbindungen zur Führung der regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfügen, kann eventuell im Ausnahmefall anderes gelten. UNHCR ist der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative auch in den von aktiven Kampfhandlungen zwischen regierungsnahen und regierungsfeindlichen Kräften oder zwischen verschiedenen regierungsfeindlichen Kräften betroffenen Gebieten nicht gegeben ist. (S. 11)

 

UNHCR stellt fest, dass Zivilisten, die in Kabul tagtäglich ihren wirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer der allgegenwärtigen in der Stadt bestehenden Gefahr zu werden. Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen. (S. 12)

 

Im Hinblick auf die Überlegungen betreffend die Analyse der Relevanz und Zumutbarkeit Kabuls als vorgeschlagener interner Schutzalternative, sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen, von Konflikt und Menschenrechtsverletzungen geprägten Lage und deren negativen Auswirkungen auf den größeren sozioökonomischen Kontext, steht UNHCR auf dem Standpunkt, dass eine interne Schutzalternative in Kabul grundsätzlich nicht gegeben ist. (S. 13f.)

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers basieren auf den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht. Diesbezüglich sind seine Angaben im Wesentlichen gleichgeblieben, sofern er vor der belangten Behörde angegeben hat, Analphabet zu sein, vor dem Bundesverwaltungsgericht, jedoch halbwegs auf Farsi schreiben und besser lesen zu können, so hat er diesen Widerspruch in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nachvollziehbar dadurch aufgeklärt, indem er angab, der Schlepper habe ihm auf dem Weg gesagt, er solle sagen, er sei ungebildet. Er sei damals noch ein Kind (Anm.: im Alter von 14 Jahren) gewesen und habe nicht gewusst, was er sagen solle. Es erscheint nachvollziehbar, dass ein unbegleitetes, geflüchtetes Kind dem Schlepper als Bezugsperson zunächst glauben würde, dies in weiterer Folge jedoch aufklärt.

 

Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer mit den kulturellen Gegebenheiten in Afghanistan vertraut und der Landessprache Dari mächtig ist, ergeben sich daraus, dass der Beschwerdeführer (wenn auch nur ein paar Jahre) bereits in Afghanistan gelebt hat und - wenn auch in Iran - in seinem Familienverband aufgewachsen ist, wo ihm die afghanische Kultur und Sprache (Dari) vermittelt wurde. Auch in Österreich hat der Beschwerdeführer - nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht - einige afghanische Freunde und Bekannte und hält auch zu in anderen Bundesländern aufhältigen Afghanen Kontakt. Dass der Beschwerdeführer Dari spricht, ergibt sich aus seinen eigenen Angaben im Verfahren.

 

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan nicht vorbestraft ist, dort nie inhaftiert war, sich nicht politisch betätigt hat und bislang keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Heimatland hatte ergibt sich daraus, dass der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren diesbezüglich nichts vorgebracht hat und im Ermittlungsverfahren nichts in dieser Hinsicht hervorgekommen ist.

 

2.2. Das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen bzw. zu den Gründen, warum dieser nicht nach Afghanistan zurückkehren könne, ergibt sich aus der Aktenlage, insbesondere aus seinem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung.

 

Die Feststellung zur Taufe stützt sich auf den vorgelegten Taufschein. Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer seiner Familie nicht von seiner Taufe erzählt hat, dass er Interesse am Christentum gezeigt hat, dass er regelmäßig Gottesdienste oder kirchliche Veranstaltungen besucht, in der örtlichen Pfarrgemeinde einige soziale Kontakte geknüpft hat und sich insbesondere im Gemeinschaftsgarten der Pfarrgemeinde betätigt ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers und der Zeuginnen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie der von der Z1 geführten Liste über Aktivitäten des Beschwerdeführers in der Gemeinde XXXX und dem Gemeinschaftsgarten XXXX . Die Feststellung zur Taufe des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem vorgelegten Taufschein (Auszug aus dem Taufbuch des evangelischen Pfarramtes A.B. XXXX ).

 

Die Feststellung, dass - trotz der Taufe und den festgestellten Aktivitäten des Beschwerdeführers im christlichen Umfeld - nicht glaubhaft ist, dass der christliche Glaube ein wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden ist, ergibt sich aus den Ausführungen des Beschwerdeführers in der Einvernahme vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (in Zusammenschau mit den Angaben der Zeuginnen in derselben Verhandlung), die zeigen, dass der christliche Glaube nicht tief im Beschwerdeführer verwurzelt oder wesentlich identitätsstiftend ist:

 

Die Z1 kennt nach ihren glaubwürdigen Angaben den Beschwerdeführer, seit sie im September 2017 eine Patenschaft für ihn übernommen hat. Sie ist nach eigenen Angaben auch im erweiterten Vorstand des Gemeinschaftsgartenprojekts der Pfarrgemeinde und hat ab Beginn der Saison, etwa März/April 2018, den Beschwerdeführer dorthin mitgenommen. Bereits da hätte der Beschwerdeführer an einer Singveranstaltung namens "Healing Songs" teilgenommen, die ihm sehr gut gefallen habe. Bei der Einvernahme vor der belangten Behörde am 20.03.2018 verneinte der Beschwerdeführer explizit ein Interesse am christlichen Glauben, und gab seine Religionszugehörigkeit selbst ausdrücklich als schiitischer Muslim an. Der angefochtene Bescheid wurde im Mai 2018 erlassen.

 

Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers und der Zeuginnen in der mündlichen Verhandlung ist davon auszugehen, dass die Kirchenbesuche und Teilnahme an Aktivitäten der örtlichen Pfarrgemeinde des Beschwerdeführers maßgeblich im Zusammenhang mit der Betreuung durch seine Patin stehen. Die Z2 gab an, "ja quasi auch das Taxi" zu sein, weil die Einrichtungen sehr weit weg und schlecht öffentlich angebunden seien. Im Sommer 2018 hat sich der Beschwerdeführer nach Angaben in der Verhandlung vor allem im Gemeinschaftsgarten betätigt und dabei auch anderen geholfen. Die Z1, hat nach ihren Angaben den Beschwerdeführer erstmals bewusst (namentlich) beim Erntedankfest 2018 wahrgenommen. Im September 2018 besuchte der Beschwerdeführer den Bibelkurs in einer anderen Kirche, da dieser dort auf Farsi stattfand und in seiner aktuellen Pfarrgemeinde die Gottesdienste auf Deutsch stattfinden. Der Beschwerdeführer selbst spricht jedoch nur auf A2-Niveau Deutsch. Die Taufvorbereitung in dieser Kirche selbst äußerte sich in zwei Taufgesprächen (im November 2018 und im Jänner 2019) mit dem mittlerweile verstorbenen Pfarrer, das Taufgespräch selbst wurde mithilfe eines Dolmetschers durchgeführt. Maßgeblich für die Feststellung, dass der christliche Glauben nicht zu einem wesentlichen Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers wurde, ist, dass der Beschwerdeführer eine innere Konversion nicht glaubhaft machen konnte. Nach Angaben der Zeuginnen hat der Beschwerdeführer über den Garten Interesse für die Kirche entwickelt und auch Gottesdienste besucht. Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht nicht verkennt, dass die Teilnahme an gemeinschaftlichen Aktivitäten und der Kontakt zu anderen Kirchenmitgliedern für den damals noch minderjährigen Beschwerdeführer von sozialer Bedeutung und auch seiner emotionalen Entwicklung zuträglich war - die Z1 hat angegeben, der Beschwerdeführer sei ihr für eine Patenschaft wohl zugeteilt worden, weil er sehr zurückgezogen und traurig in der Stimmung gewesen sei; der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung an, sein Leben habe sich zum Besseren gewendet und er achte mehr auf andere - so wiegen doch die Umstände der besonders kurzen Beschäftigung mit dem Christentum, mangelnder grundlegender Kenntnisse über wesentliche Glaubensinhalte und auch die mangelnden Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers, um den auf Deutsch gehaltenen Gottesdiensten überhaupt folgen zu können, schwerer. So empfiehlt der Theologische Ausschuss der Generalsynode in einer Information der Evangelischen Kirche an Behörden und Gerichte betreffend Taufen von Asylwerbern vom Februar 2019 (in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführt) für den Taufunterricht eine Dauer von einem Jahr. Jedoch hat der Bibelkurs des Beschwerdeführers (der nach Aussage der Z2 auch dazuzählt) erst im September 2018 begonnen (nach eigenen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung hat er nach dem Bibelkurs den Entschluss getroffen, Christ zu werden), und die Taufe rasch nach den Gesprächen des Beschwerdeführers im November 2018 und Jänner 2019, nämlich Ende Jänner 2019, stattgefunden. Demnach hat nur während einiger weniger Monate überhaupt eine Beschäftigung mit dem Glauben stattgefunden. Nach den Angaben der Z2 in der mündlichen Verhandlung hat der Beschwerdeführer zusätzlich Unterricht von einer pensionierten Religionslehrerin erhalten, wo es um Kirchenjahr, Feste und die evangelischen Spezifika wie Martin Luther ging. Jedoch konnte Beschwerdeführer in der Verhandlung nicht angeben, dass Martin Luther für seine Kirche eine besondere Bedeutung hat. Konkret zu seiner Konfession befragt, gab der Beschwerdeführer an, der Evangelischen Kirche anzugehören, aber nicht näher die Ausrichtung nennen zu können (die sich u.a. aus dem Taufschein ergibt). Er sei in der Evangelischen Kirche in XXXX , weil seine Patin auch dort sei und er deswegen auch dorthin gegangen sei. Er habe sich nicht gerade dafür entschieden, in der Evangelischen Kirche Christ zu werden, Kirche sei Kirche, das mache führ ihn keinen Unterschied. Als einzigen Unterschied zwischen evangelischen und kirchlichen Glaubensinhalten nannte er, dass bei den Katholiken der Pastor nicht heiraten dürfe und bei den Evangelischen schon. Aus diesen Angaben des Beschwerdeführers ist jedoch nicht zu schließen, dass er sich mit den wesentlichen Glaubensinhalten beschäftigt hat - zumal vorgebracht worden war, dass er sogar aus mehreren Quellen unterrichtet worden sei - und die Konversion aus einer inneren religiösen Überzeugung stattfand, sondern vielmehr, dass er über gesellschaftliche Kontakte und die (relative) räumliche Nähe dort sozialen Anschluss fand. Obwohl der Beschwerdeführer sich seit dreieinhalb Jahren in Österreich aufhält, verfügt er nur über geringe Deutschkenntnisse auf A2-Niveau. Es ist daher auch nicht davon auszugehen, dass er einem auf Deutsch gehaltenen Gottesdienst wirklich folgen kann. Demnach kann aber auch eine zwei- bis viermalige Teilnahme am Gottesdienst im Monat den Anschein mangelnder religiöser Ernsthaftigkeit nicht entkräften.

 

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gegenwärtig nicht religiös am Islam interessiert ist, ergibt sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ebenso wie dass nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer sich aus tiefer innerer Überzeugung vom Islam abgewendet hat. Einerseits habe er den Islam auch nie aus Überzeugung praktiziert, er habe in Iran als Muslim leben müssen, Religion sei ihm auch nicht wichtig gewesen. Diesbezüglich wird darauf hingewiesen, dass er sich noch bei der Einvernahme vor der belangten Behörde im März 2019 selbst als schiitischen Moslem bezeichnet hat. Er habe jedoch nach seiner Ankunft in Österreich weder gefastet noch gebetet. Nachgefragt, was ihm speziell am Islam nicht gefallen habe, gab der Beschwerdeführer an, er habe das Fasten nicht gemocht und keine Lust gehabt zu beten. Daraus ist jedoch keine Abwendung aus tiefer innerer Überzeugung ersichtlich, sondern nur der Unwille, "lästigen" religiösen Pflichten zu folgen - was er angesichts des in Österreich im Gegensatz zu Iran nicht vorhandenen staatlich sanktionierten religiösen Zwangs nach seiner Flucht nach Österreich auch nicht musste. Dies ergibt sich auch daraus, dass der Beschwerdeführer nach dem Unterschied zwischen christlichen und islamischen Glaubensinhalten befragt angibt, im Islam sei alles ein Muss, im Christentum sei das nicht so. Damit zeigt er jedoch keine religiös-dogmatischen Unterschiede auf, sondern etwa kulturelle, je nachdem, wie Religionsausübung und -freiheit in einem bestimmten Land praktiziert wird. Es ist nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer sich von einer streng konservativen Religionsausübung abwandte, jedoch hatte dies nichts mit einer inhaltlichen religiöser Überzeugung zu tun.

 

Die Feststellung zur nicht hinreichenden Gefährdung in Hinblick auf die Tätowierungen basiert auf folgenden Erwägungen:

 

Wie sich den Feststellungen unter Punkt 1.5.2. ergibt, wird in Afghanistan ein tätowiertes Kreuz nicht zwingend als christliches Symbol wahrgenommen und gibt es keine Hinweise dafür, dass gegen Personen, die sich tätowieren lassen, Strafverfahren eingeleitet würden. Außerdem legen die Berichte nahe, dass Personen mit Tattoos Probleme von hier interessierender Intensität nur von Seiten der Aufständischen drohen, in den von der Regierung kontrollierten größeren Städte die Ablehnung von Tätowierungen nur in Form von nicht gewaltsamer Kritik geäußert wird (vgl. etwa die Aussage, wonach das Tätowieren unislamisch sei, die meisten Menschen es hassen und sich über jene, die es tun, lustig machen würden).

 

Auch hat der Beschwerdeführer im gesamten Ermittlungsverfahren, vor der belangten Behörde und auch vor dem Bundesverwaltungsgericht, gleichbleibend - somit auch nach seiner Taufe - einen religiösen Hintergrund für die Tätowierung eines vor allem christlichen Symbols, nämlich des Kreuzes, verneint, sondern vielmehr wiederholt angegeben, es habe ihm bloß gefallen. Es ist dem Beschwerdeführer daher (vor dem Hintergrund, dass in seinem Fall keine tiefere innere Zuwendung zum Christentum angenommen werden kann) zumutbar, sowohl die Tätowierung am Rücken als auch die kleine Tätowierung am Handgelenk durch das Tragen von (langärmliger) Bekleidung zu verdecken. Sie sind jedenfalls nicht Ausdruck einer Lebensweise, die zu einem solch wesentlichen Bestandteil seiner Identität geworden ist, dass von ihm nicht erwartet werden könnte, dies zu verbergen, um einer (potentiell) drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung von konservativen religiösen Normen zu entgehen. Einerseits hat er sich nach seinem Vorbringen seine erste Tätowierung, das Kreuz am Rücken, im Alter von 14 Jahren oder jünger von einem Freund in Iran stechen lassen, nachdem er es auf einem Foto gesehen hat und es ihm gefallen hat. Dieser Entschluss gründete somit auf keiner ideologischen, politisch-oppositionellen oder religiösen Motivation, sondern auf dem damaligen Geschmack oder Sinn für Körperschmuck des Beschwerdeführers. Andererseits hat der Beschwerdeführer sich nach eigenen Angaben im Jahr 2018 vor Weihnachten - somit nachdem er bereits seit September 2018 einen Bibelkurs besuchte und sich auch schon seit drei Jahren in Österreich aufgehalten hatte - ein kleines Kreuz auf die Hand tätowieren lassen, und zwar wiederum aus dem gleichen Grund, es habe ihm gefallen. Somit hat der Beschwerdeführer auch nach Beschäftigung mit dem christlichen Glauben - es ist anzunehmen, dass der Beschwerdeführer im Bibelkurs oder beim Besuch von Gottesdiensten der Bedeutung des Kreuzes im christlichen Glauben oder zumindest der Eigenschaft des Kreuzes als christliches Symbol gewärtig werden musste - keinen religiösen Hintergrund als Motiv für die Tätowierung angegeben. Dass der Beschwerdeführer sich während des Beschwerdeverfahrens, nach Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz, Erlass einer Rückkehrentscheidung und Feststellung der Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Afghanistan eine weitere Tätowierung hat stechen lassen, kann zumindest als Indiz dafür gewertet werden, dass er aufgrund dessen keine Verfolgung im Herkunftsstaat befürchtet.

 

Der Beschwerdeführer ist daher nach einer Ansiedlung in einer größeren Stadt, die nicht von den Taliban kontrolliert wird, zB in Mazar-e Sharif, nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit gefährdet, in Hinblick auf seine Tattoos Übergriffen von hier interessierender Intensität zu werden.

 

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer weder individuell noch im Sinne einer Gruppenverfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur ethnischen Gruppe der Hazara im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan drohen würde, ergibt sich einerseits daraus, dass keine Anhaltspunkte für eine direkt gegen ihn gerichtete Verfolgung vorliegen, vorgebracht wurden oder hervorgekommen sind und andererseits daraus, dass derzeit nach den Länderberichten und der höchstgerichtlichen Rechtsprechung keine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung" von Hazara in Afghanistan angenommen wird.

 

Aus den vorliegenden Länderberichten ist zu entnehmen, dass die Situation für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara in der Zwischenzeit deutlich verbessert hat, wenngleich die gesellschaftlichen Spannungen fortbestehen und in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wiederaufleben. So sind Hazara noch immer von Diskriminierungen in Form von illegaler Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt und Inhaftierung betroffen. Festzuhalten ist im Lichte der derzeitigen Sicherheitslage in Afghanistan auch, dass vereinzelte Angriffe, Entführungen oder Tötungen von Zivilpersonen sowie Terroranschläge in Afghanistan grundsätzlich jederzeit und überall möglich sind. Die Gründe für diese Gewalthandlungen sind dabei ebenso vielfältig wie die beteiligten Konfliktgruppen und die jeweiligen Opfer der Taten. Die Hazara sind sowohl in den politischen Gremien als auch bei der Polizei und beim Militär vertreten.

 

Die in Afghanistan immer wieder bestehende Diskriminierung der Hazara und die beobachtete Zunahme von Übergriffen gegen Hazara erreichen gegenwärtig nicht ein Ausmaß, das die Annahme rechtfertigen würde, dass in Afghanistan lebende Hazara wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten, zumal die Gefährdung dieser Minderheit angesichts der in den Länderberichten dokumentierten allgemeinen Gefährdungslage in Afghanistan, die in vielen Regionen für alle Bevölkerungsgruppen ein erhebliches Gefahrenpotential mit sich bringt, (derzeit) nicht jenes zusätzliche Ausmaß erreicht, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Hazara anzunehmen. Eine Gruppenverfolgung ist auch nicht daraus ableitbar, dass Hazara allenfalls Opfer krimineller Aktivitäten werden oder schwierigen Lebensbedingungen ausgesetzt sind.

 

Sofern in der Beschwerdeergänzung vorgebracht wurde, dem Beschwerdeführer drohe aufgrund einer ihm zumindest unterstellten "verwestlichten" und oppositionellen Gesinnung und aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Personen, die gegen die vorherrschenden sozialen und religiösen Normen in Afghanistan verstoßen, ist darauf zu verweisen, dass im gesamten Verfahren - und auch in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht - auf diesen vorgebrachten Flucht- bzw. Beschwerdegrund nicht weiter eingegangen wurde. Es sind auch sonst im gesamten Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die darauf schließen ließen, dass der Beschwerdeführer in Österreich bereits in einem solchen Maße eine ("westliche") Lebensweise führt, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt.

 

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan auch aus anderen Gründen nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätte, ergibt sich aus obigen Erwägungen sowie daraus, dass für den Beschwerdeführer im gesamten Verfahren keine weiteren asylrelevanten Fluchtgründe vorgebracht wurden oder hervorgekommen sind.

 

2.3. Die Feststellungen zur Situation im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan, zu seinem Herkunftsgebiet und der Situation in Mazar-e Sharif ergeben sich aus den Feststellungen zu Samangan und Mazar-e Sharif aus dem LIB sowie aus den Feststellungen zu den UNHCR-Richtlinien unter 1.5. (relevante Situation in Afghanistan). Aus diesen ergibt sich, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der Sicherheitslage in der Provinz Samangan eine Rückkehr dorthin nicht zumutbar ist, etwa nach Mazar-e Sharif hingegen schon. Die Feststellung, dass Mazar-e Sharif über Kabul oder Istanbul mit dem Flugzeug sicher zu erreichen ist ergibt sich aus dem EASO-Bericht "Afghanistan - Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City" vom April 2019 (S. 19).

 

Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer jung, leistungsfähig, grundsätzlich gesund, im erwerbsfähigen Alter, ohne besonderen Schutzbedarf ist und Berufserfahrung in der Landwirtschaft hat ergibt sich aus dem Akt bzw. den Angaben des Beschwerdeführers. Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer 18 Jahre alt und somit volljährig sowie im erwerbsfähigen Alter ist. Der Beschwerdeführer hat nach seinen Angaben sowohl in Iran Berufserfahrung als Gelegenheits- bzw. Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft (z.B. Obst pflücken) und am Bau (z.B. Ziegelsteine verladen) sowie in Österreich weitere Praxis in der Landwirtschaft (Betreuung eines Beets im Gemeinschaftsgarten der Pfarrgemeinde, Pferdemist einarbeiten) gesammelt, die er durchaus auch in Afghanistan verwerten könnte. Da der Beschwerdeführer somit er in Afghanistan auch selbst für ein eigenes Einkommen auf einem Niveau sorgen, wie es auch andere Landsleute führen könnte, und Mazar-e Sharif von Österreich aus sicher für ihn erreichbar wäre, ist dem Beschwerdeführer die Ansiedlung in Mazar-e Sharif zumutbar.

 

Die aktuellen UNHCR-Richtlinien (vgl. 1.5) führen zwar aus, dass eine interne Schutzalternative nur dann als zumutbar angesehen werden kann, wenn die Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft hat und man sich vergewissert hat, dass diese willens und in der Lage sind, den Beschwerdeführer tatsächlich zu unterstützen. Allerdings führen sie auch als Ausnahme von diesem Erfordernis der externen Unterstützung alleinstehende, leistungsfähige Männer ohne besondere Gefährdungsfaktoren an, die unter bestimmten (nicht weiter spezifizierten) Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen. Dies ist gegenständlich - Mazar-e Sharif sowie den Beschwerdeführer betreffend - der Fall.

 

2.4. Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus der Aktenlage bzw. dem Vorbringen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

 

2.5.1. Die zu Punkt 1.5.1. getroffenen Feststellungen zur Situation in Afghanistan stützen sich auf das aktuelle Länderinformationsblatt der BFA-Staatendokumentation vom 29.06.2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 26.03.2019). Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Die der Entscheidung zu Grunde gelegten Länderberichte wurden den Verfahrensparteien zur Kenntnis gebracht, welche die Richtigkeit der Berichte nicht in Abrede stellten.

 

2.5.2. Die unter Punkt 1.5.2. getroffenen Feststellungen zu einer Gefährdung in Afghanistan in Hinblick auf Tätowierungen basieren auf den dort angegebenen Quellen. Diese wurden im Wesentlichen bereits im angefochtenen Bescheid der Entscheidung zugrunde gelegt, wobei sie in der Beschwerde nicht substantiiert gerügt, oder ergeben sich aus Herkunftsländerinformation, die der Beschwerdeführer ins Treffen geführt hat (vgl. Punkt I.3.)

 

2.5.3. Die Feststellungen zu Punkt 1.5.3. ergeben sich aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 herangezogen.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

3.1. Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels einfachgesetzlicher materienspezifischer Sonderregelung liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Gemäß § 7 Abs. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. 51/1991 (AVG) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung BGBl. Nr. 194/1961 (BAO), des Agrarverfahrensgesetzes BGBl. Nr. 173/1950 (AgrVG), und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 BGBl. Nr. 29/1984 (DVG), und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

3.2. Zu Spruchpunkt A):

 

3.2.1. Zur Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

 

Flüchtling i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

 

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG z.B. VwGH 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert, deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG unberührt bleiben - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/-20/0539).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 27.6.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.9.2000, 99/20/0373; 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 12.9.2002, 99/20/0505; 17.9.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 mwN.).

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 20.9.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.2.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191).

 

Im Umstand, dass im Heimatland des Beschwerdeführers Bürgerkrieg herrscht, liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (siehe VwGH 26.11.1998, 98/20/0309, 0310 und VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Um asylrelevante Verfolgung vor dem Hintergrund einer Bürgerkriegssituation erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten eines Bürgerkrieges hinausgeht. Eine Furcht kann vielmehr nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Zu fragen ist daher nicht danach, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in derselben Situation auch fürchten würde. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0132).

 

3.2.2. Es ist dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine drohende Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK glaubhaft zu machen:

 

Mit der Frage der asylrechtlichen Relevanz einer Konversion zum Christentum hat sich der Verwaltungsgerichtshof wiederholt befasst (VwGH 24.10.2001, 99/20/0550; VwGH 17.09.2008, 2008/23/0675; VwGH 23.06.2015, Ra 2014/01/0210). Entscheidend ist demnach, ob der Fremde bei weiterer Ausführung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (VwGH 23.06.2015, Ra 2014/01/0117). Ob die Religionswechsel bereits - durch die Taufe - erfolgte oder bloß beabsichtigt ist, ist nicht entscheidend (VwGH 23.06.2015, Ra 2014/01/0210). (vgl. VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0453)

 

Wie oben festgestellt, hat der Beschwerdeführer einen inneren Entschluss, auch im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nach dem christlichen Glauben zu leben, nicht glaubhaft gemacht.

 

Weiters kann nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer - jedenfalls bei einer ihm zumutbaren Ansiedlung in Mazar-e Sharif (vgl. die diesbezüglichen Feststellungen sowie die Ausführungen zu Punkt 3.2.3) - in Hinblick auf seine Tattoos einer hier relevanten Gefährdung ausgesetzt ist.

 

Hinsichtlich der vorgebrachten potentiellen Verfolgung des Beschwerdeführers aufgrund seiner Zugehörigkeit der ethnischen Gruppe der Hazara ist auszuführen, dass keinerlei Anhaltspunkte für eine persönliche Verfolgung oder Gefährdung des Beschwerdeführers vorgebracht wurden. Auch liegt aktuell aus folgenden Gründen in Afghanistan keine Gruppenverfolgung der Hazara vor: Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Dass ein Angehöriger der Minderheit der Hazara im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht finden. Die Höchstgerichte nahmen in den letzten Jahren keine Gruppenverfolgung der Hazara irgendwo in Afghanistan an (vgl VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0590; VfGH 26.02.2019, E 4917 2018).

 

Da eine Gruppenverfolgung - in Hinblick auf die Volksgruppenzugehörigkeit - von Hazara in Afghanistan nicht gegeben ist und der Beschwerdeführer diesbezüglich auch keine individuelle Bedrohung dargetan hat, lässt sich aus diesem Vorbringen eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers nicht ableiten.

 

Wie oben festgestellt kann nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevanten Verfolgungshandlungen von hinreichender Intensität ausgesetzt wäre. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan asylrelevante Bedrohung oder Verfolgung aus Gründen der Religion oder ethnischen Zugehörigkeit droht; andere asylrelevante Gründe hat der Beschwerdeführer nicht substantiiert vorgebracht und sind im Verfahren auch nicht hervorgekommen.

 

Dem Beschwerdeführer ist daher angesichts der angeführten Judikatur der Status eines Asylberechtigten nicht zuzuerkennen und die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

 

3.2.3. Zur Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:

 

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, (1.) der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

(2.) dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 Europäische Menschenrechtskonvention, BGBl. Nr. 210/1958 (EMRK), Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht, gemäß § 8 Abs. 3a hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt. Gemäß § 8 Abs. 6 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten darüber hinaus abzuweisen, wenn der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann. Diesfalls ist eine Rückkehrentscheidung zu verfügen, wenn diese gemäß § 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) nicht unzulässig ist.

 

Nach § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz von Asylwerbern, denen in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann und denen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann, abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat § 8 Abs. 1 AsylG in einer jüngst ergangenen Entscheidung vor dem Hintergrund der für den Status des subsidiär Schutzberechtigten maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (in der Folge: Status-Richtlinie) in unionsrechtskonformer Weise wie folgt ausgelegt: Nach der gefestigten Judikatur des Europäischen Gerichtshofes sind gemäß der Status-Richtlinie vom subsidiären Schutz nur Fälle realer Gefahr, einen auf ein Verhalten eines Akteurs iSd Art. 6 leg. cit. zurückzuführenden ernsthaften Schaden iSd Art. 15 leg. cit. zu erleiden (Art. 15 lit. a und b leg. cit.) sowie auf ein Verhalten eines Akteurs iSd Art. 6 leg. cit. zurückzuführende Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt (Art. 15 lit. c) umfasst. Nicht umfasst ist dagegen die reale Gefahr jeglicher etwa auf allgemeine Unzulänglichkeiten im Herkunftsstaat zurückzuführender Verletzung von Art. 3 EMRK. Vor dem Hintergrund des Art. 3 Status-Richtlinie ist es dem nationalen Gesetzgeber auch verboten, Bestimmungen zu erlassen oder beizubehalten, die bei einem Fremden zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat führen (vgl. VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106, mit Hinweisen auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes).

 

Daher ist in der Folge in einem ersten Schritt zu prüfen, ob eine reale Gefahr der Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers nach Art. 2 oder 3 EMRK im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat gegeben ist. Bejahendenfalls wäre in weiterer Folge zu prüfen, ob sich eine solche Verletzung als ernsthafter Schaden unter einen der Tatbestände des Art. 15 Status-Richtlinie subsumieren ließe und somit zu einer Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten iSd § 8 Abs. 1 AsylG führte.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in einer Entscheidung mit der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung zum realen Risiko einer drohenden Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK und zur ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im innerstaatlichen Konflikt auseinandergesetzt und diese wie folgt zusammengefasst (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137):

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0053 mwN).

 

Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des VwGH nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. etwa VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479 und 23.09.2009, 2007/01/0515 mwN).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass ein "real risk" (reales Risiko) vorliegt, wenn stichhaltige Gründe ("substantial grounds") dafürsprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in die Heimat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings betont der EGMR in seiner Rechtsprechung auch, dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Risiko iSd Art. 3 EMRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") diese Voraussetzung erfüllt (vgl. etwa EGMR 28.11.2011, Appl. 8319/07 und 11.449/07, Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Rz 218, mit Hinweis auf EGMR 17.07.2008, Appl. 25.904/07, NA gegen Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), auf Grund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (vgl. etwa EGMR 28.11.2011, Appl. 8319/07 und 11.449/07, Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Rz 217).

 

Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG orientiert sich an Art. 15 lit c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EG ) und umfasst - wie der EGMR erkannt hat - eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des EGMR, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er auf Grund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07 , Elgafaji, und vom 30.01.2014, C-285/12 , Diakité).

 

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der Judikatur des VwGH ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

 

Darüber obliegt es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl VwGH 05.10.2016, Ra 2016/19/0158 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Appl. 61.204/09 mwH).

 

Betreffend die Frage einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Afghanistan ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Darstellung der Sicherheitslage hinsichtlich des Zielortes, dessen sichere Erreichbarkeit (VfGH 30.11.2018, E 3870/2018) und die Auseinandersetzung mit der konkreten Lebenssituation des Betroffenen, vor allem im Hinblick auf eine besondere Vulnerabilität (VfGH 12.12.2018, E 475-478/2018) erforderlich, wobei der Umstand, dass dieser dort nie gelebt hat und dort auch über keine Angehörigen verfügt alleine nicht ausschlagegebend ist (vgl z.B. zu einem im iran geborenen Hazara, VfGH 12.12.2017, E 2068/2017).

 

Auch der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Judikatur eine konkrete Auseinandersetzung mit den den Beschwerdeführer konkret und individuell betreffenden Umständen, die er bei Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu gewärtigen hätte (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233). Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative erfordert nämlich im Hinblick auf das ihr u.a. innewohnende Zumutbarkeitskalkül insbesondere nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet (VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151; 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

 

Vor diesem Hintergrund führte der Verwaltungsgerichtshof mehrfach aus, dass - auf Basis der in den zugrundeliegenden Erkenntnissen getroffenen Feststellungen - nicht von vornherein erkennbar sei, weshalb ein Fremder durch mangelnde tragfähige Beziehungen und mangelnde Ortskenntnisse in afghanischen Großstädten trotz Vertrautheit mit den kulturellen Gegebenheiten und der Sprache in eine Situation ernsthafter individueller Bedrohung seines Lebens kommen sollte (vgl VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095 - der dortige Beschwerdeführer hatte noch nie in der Stadt Kabul gelebt, hatte keine Familienangehörigen in der Stadt Kabul und verfügte darüber hinaus auch über keine finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten durch Familienangehörige von außen; s. weiters u.a. VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001; 20.09.2017, Ra 2016/19/0209; 08.08.2017, Ra 2017/19/0118, u.v.a.).

 

Vor diesem Hintergrund ist für den vorliegenden Fall Folgendes festzuhalten:

 

Zur Herkunftsprovinz:

 

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass ein den Beschwerdeführer durch Handlungen oder Unterlassungen konkret bedrohender Akteur zu Art. 6 lit. a und b der Status-Richtlinie nicht festgestellt werden konnte.

 

Allerdings ergibt sich aus dem LIB dass es in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers regierungsinterne politische Konflikte gibt, Aufständische versuchen ihre Aktivitäten auszuweiten und den Norden zu destabilisieren, sich die Sicherheitslage seit 2017 kontinuierlich verschlechtert hat und die Gewalt anstieg. Hauptursache für zivile Opfer waren Blindgänger, Landminen, Bodenoffensiven und IEDs. Es werden auch militärische Operationen durchgeführt. In der Provinz sind Kämpfer der Taliban, des IS und der Islamischen Bewegung Usbekistan aktiv.

 

In und auf dem Weg in die Heimatprovinz besteht die reelle Gefahr willkürlicher Gewalt bloß aufgrund der Anwesenheit ausgesetzt zu sein. Es bestehen daher stichhaltige Gründe für die Annahme, der Beschwerdeführer liefe allein durch seine dortige Anwesenheit tatsächlich Gefahr, einer Verletzung des Art. 3 EMRK bzw. Art. 6 lit. c der Status-Richtlinie ausgesetzt zu sein.

 

Interne Fluchtalternative:

 

Der Beschwerdeführer kann jedoch - vor dem Hintergrund der oa höchstgerichtlichen Judikatur sowie unter Berücksichtigung der von UNHCR in seinen Richtlinien vom 30.08.2018 aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer "internen Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative" für Afghanistan - nach den oben angeführten Länderberichten unter Berücksichtigung des übrigen in das Verfahren eingeführten Länderberichtsmaterials zur Situation in Afghanistan in Zusammenschau mit den glaubhaft dargelegten persönlichen Umständen aus folgenden Gründen in zumutbarer Weise auf die Übersiedlung in andere Landesteile Afghanistans, konkret nach Mazar-e Sharif, verwiesen werden:

 

Aus dem in das Verfahren eingeführten Länderberichtsmaterial ergibt sich zunächst, dass die aktuelle Sicherheitslage in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil ist, wobei diese regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt variiert.

 

Weiters geht aus den Länderberichten hervor, dass zwar auch in der im Norden von Afghanistan gelegenen Provinz Balkh mit ihrer Hauptstadt Mazar-e Sharif Zusammenstöße zwischen Aufständischen und afghanischen Sicherheitskräften stattfinden, jedoch zählt die Provinz Balkh nach wie vor zu den stabileren und relativ ruhigen Provinzen Afghanistans; die Provinz Balkh verzeichnete im Vergleich zu anderen Provinzen weniger Aktivitäten von Aufständischen und verhältnismäßig wenig sicherheitsrelevante Vorfälle, zudem hatte sie von 2016 auf 2017 einen starken Rückgang von zivilen Opfern zu verzeichnen.

 

Schließlich ist festzuhalten, dass Mazar-e Sharif über einen, mehrere Kilometer außerhalb der Stadt gelegenen internationalen Flughafen verfügt, der unter Tags sicher erreichbar ist (vgl. auch die dahingehenden Ausführungen der EASO-Country Guidance von Juni 2018).

 

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts steht die aktuelle Sicherheitslage einer Ansiedlung des Beschwerdeführers in Mazar-e Sharif allgemein nicht entgegen. Individuelle, also in der Person des Beschwerdeführers gelegene, gefahrenerhöhende Elemente, aus denen sich eine spezifische Gefährdung ableiten ließe, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Es ist daher bei einer Ansiedlung des Beschwerdeführers in Mazar-e Sharif allein auf Grund der dargestellten Sicherheitslage nicht von einer realen Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK auszugehen.

 

Hinsichtlich der in Mazar-e Sharif bestehenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wasser, Wohnraum und Gesundheitsversorgung (auch) dort häufig nur sehr eingeschränkt möglich und Personen, die sich ohne jegliche familiäre oder sonstige soziale Anknüpfungspunkte, Fachausbildung oder finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten durch Dritte in den beiden genannten Städten ansiedeln sind mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert. Aus den Länderfeststellungen ist jedoch auch ersichtlich, dass, wenn auch die Infrastruktur noch unzureichend ist, sich die Region um Mazar-e Sharif grundsätzlich gut entwickelt, indem neue Arbeitsplätze entstehen, sich Firmen ansiedeln und der Dienstleistungsbereich wächst; zudem wurde im Jahr 2017 ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren.

 

Nach Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrens-Richtlinie) haben die Mitgliedstaaten bei der Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz u.a. sicherzustellen, dass hierfür genaue und aktuelle Informationen aus verschiedenen Quellen, wie etwa von UNHCR und EASO, eingeholt werden. Die besondere Bedeutung von Berichten von UNHCR und EASO ergibt sich daher schon aus dem Unionsrecht. UNHCR-Richtlinien kommt zudem nach ständiger Judikatur des VwGH "Indizwirkung" zu (s. u.a. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103; vgl. auch VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118). Nach der Rechtsprechung des VfGH ist "Einschätzungen von UNHCR [...] maßgebliches Gewicht beizumessen" (VfGH 24.09.2018, E 761/2018).

 

Laut den Richtlinien des UNHCR vom 30.08.2018 ist eine interne Schutzalternative u.a. nur dann zumutbar, wenn die betroffene Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft hat und man sich vergewissert hat, dass diese willens und in der Lage sind, die betroffene Person tatsächlich zu unterstützen. Die einzige Ausnahme von diesem Erfordernis der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne besondere Gefährdungsfaktoren dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen.

 

EASO prüft in seiner Country Guidance von Juni 2018 die hauptsächlich anzutreffenden Personenprofile im Hinblick auf die Frage der Zumutbarkeit einer internen Schutzalternative in den afghanischen Städten Mazar-e Sharif, Herat und Kabul. Dabei kommt EASO für das Personenprofil der "alleinstehenden, gesunden und erwerbsfähigen Männer", die früher schon einmal in Afghanistan gelebt haben, zum Ergebnis, dass diesen - verbunden mit bestimmten Härten - eine interne Schutzalternative in diesen Städten zumutbar sein könnte, selbst wenn diese über kein familiäres oder sonstiges Unterstützungsnetzwerk innerhalb des als interne Schutzalternative geltenden Gebiets verfügen würden. Hierbei ist allerdings stets zu prüfen, ob die persönlichen Umstände des Betroffenen, wie etwa sein Alter, Gesundheitszustand, Familienstand (etwaige Sorgepflichten) sowie schulischer und beruflicher Hintergrund, allenfalls zusätzliche Aspekte aufzeigen, die eine besondere Schutzwürdigkeit auslösen könnten. Im Hinblick auf diese Ausführungen betonen sowohl UNHCR als auch EASO, dass diese immer vor dem Hintergrund einer Einzelfallprüfung zu verstehen sind.

 

Diese Prüfung führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer über keine besonderen individuellen Gefährdungsfaktoren verfügt und in der Lage sein wird, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten in Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein relativ normales Leben ohne unangemessene Härten zu führen (vgl. dazu VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001). Eine Ansiedelung in Mazar-e Sharif wäre dem Beschwerdeführer somit zumutbar.

 

Dem Beschwerdeführer ist daher angesichts der angeführten Judikatur der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen und die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

 

3.2.4. Zur Abweisung der Beschwerde gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG:

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen, (1.) wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG, seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

(2.) zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder (3.) wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Für die Anwendbarkeit der Z 2 und 3 finden sich keinerlei Hinweise, die Z 1 ist schon aus dem Grund nicht anwendbar, dass der Beschwerdeführer bis dato in Österreich nicht geduldet war, sondern ihm ein asylrechtliches Aufenthaltsrecht zukam.

 

Daher ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

 

3.2.5. Zur Abweisung der Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, § 52 Abs. 2 Z 3 FPG ist eine Entscheidung nach dem AsylG mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG vorliegt.

 

Da der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde und ihr auch nach anderen Bundesgesetzen als dem AsylG kein Aufenthaltsrecht zukam, war mit dem angefochtenen Bescheid unter einem eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-VG nicht gegen Art. 8 EMRK verstößt. Gemäß § 9 Abs. 1 und 2 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, sofern durch diese Entscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dabei sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen (1.) die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, (2.) das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, (3.) die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, (4.) der Grad der Integration,

(5.) die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, (6.) die strafgerichtliche Unbescholtenheit, (7.) Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, (8.) die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren und (9.) die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist. Darüber hinaus ist noch zu berücksichtigen, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen Art. 3 EMRK verstößt, soweit die diesfalls drohende Verletzung nicht zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erfolgt, insbesondere, weil kein entsprechender Akteur zu erkennen ist.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198; VwGH vom 25.01.2018, Ra 2017/21/0218, 04.10.2018, Ro 2018/22/0011).

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, Nr. 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, Nr. 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1).

 

Art. 8 EMRK schützt unter anderem sowohl die individuelle Selbstbestimmung und persönliche Identität, als auch die freie Gestaltung der Lebensführung. Zum geschützten Privatleben gehört das Netzwerk der gewachsenen persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bindungen (EGMR vom 09.10.2003, Nr. 48321/99, Slivenko/Lettland). So können persönliche Beziehungen, die nicht unter das Familienleben fallen, sehr wohl als "Privatleben" relevant sein. In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen stellen regelmäßig einen Eingriff in das Privatleben dar, weil sie die betroffene Person aus ihrem sozialen Umfeld herausreißen. Die Prüfung am Maßstab des Privatlebens ist jedoch weniger streng als jene am Maßstab des Familienlebens, weshalb letztere in der Praxis im Vordergrund steht (Wiederin, Schutz der Privatsphäre, in:

Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer [Hg.], Handbuch der Grundrechte VII/1, 2. Aufl., § 10, Rn. 52).

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügen, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist. Der VwGH geht bei einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer aus (vgl. Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354; 27.03.2007, 2005/21/0378), und stellt im Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, fest, "dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte".

 

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der VfGH und der VwGH haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfGH 17.03.2005, G78/04 ua; VwGH vom 26.06.2007; 2007/01/0479). Nach der bisherigen Rechtsprechung ist auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

Es sind - unter der Schwelle des Art. 2 und 3 EMRK - auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme auch in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen (vgl. dazu VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119).

 

Da der Beschwerdeführer über keine Familienangehörigen oder sonstige enge Nahebeziehungen in Österreich verfügt, ist ein Eingriff in sein Recht auf Familienleben iSd Art. 8 EMRK auszuschließen. Seine Patin sieht der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben etwa zweimal die Woche und ist nicht von einer familienähnlichen Beziehung auszugehen, es liegt auch kein gemeinsamer Haushalt oder Wohnsitz vor. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls lediglich in das Privatleben des Beschwerdeführers eingreifen.

 

Im gegenständlichen Fall reiste der Beschwerdeführer illegal in das österreichische Bundesgebiet ein (vgl. dazu VwGH 22.01.2009, 2008/21/0654). Er hält sich bislang rund drei Jahre und sechs Monate lang in Österreich auf, somit nicht so lange, als dass man nach vorhin angeführter Rechtsprechung des VwGH von einem schützenswerten Privatleben in Österreich ausgehen könnte.

 

Auch wenn der Beschwerdeführer Unterstützungserklärungen von Mitgliedern der Kirchengemeinde und Nachweise über seine sprachlichen Fähigkeiten (auf A2-Niveau) vorgelegt hat, liegen - insbesondere auch im Hinblick auf seine Aufenthaltsdauer - keine Hinweise vor, dass sie in Österreich einen maßgeblichen Grad an Integration erlangt hätte, der ihren persönlichen Interessen ein entscheidendes Gewicht verleihen würde. Selbst die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht (wovon beim Beschwerdeführer nicht die Rede sein kann) sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, stellen keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale dar (VwGH 26.01.2009, 2008/18/0720).

 

Selbst wenn man vom Vorliegen schützenswerten Privatlebens ausginge, wäre der Eingriff in dieses Recht durch Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht unverhältnismäßig:

 

Dass der Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (zB VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112; 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).

 

Die Dauer des Verfahrens überstieg nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthalts im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 4.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09, Z 85 f.).

 

Der Beschwerdeführer lebt in Österreich von der Grundversorgung. Er ist in Österreich nie einer über die Geringfügigkeit hinausgehenden Beschäftigung bzw. Erwerbstätigkeit nachgegangen und somit nicht selbsterhaltungsfähig.

 

Die festgestellten sozialen Kontakte, insbesondere innerhalb der Kirchengemeinde, das gemeinnütziges Engagement im Gemeinschaftsgarten und der Schulbesuch sprechen zwar für Integrationsbemühungen. Diese genügen insbesondere vor dem Hintergrund seiner erst kurzzeitigen Aufenthaltsdauer in Österreich aber nicht, um eine nachhaltige Integration in Österreich annehmen zu können.

 

In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass der Beschwerdeführer für die Dauer seines Asylverfahrens in Österreich stets nur vorläufig aufenthaltsberechtigt war. Er musste von vornherein damit rechnen, dass es im Falle einer negativen Entscheidung über den Asylantrag zu einer Beendigung des Aufenthalts kommt. Eine Ausweisung - im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung - in derartigen Fällen, in denen sich die betroffenen Personen der Unsicherheit des Aufenthaltsstatus bewusst sein mussten, könne nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen (vgl. hierzu zB: EGMR 11. 04. 2006, Useinov v. The Netherlands, Appl. 61.292/00 bzw. EGMR 08. 04. 2008, Nnyanzi v. The United Kingdom, Appl. 21.878/06).

 

Den (vergleichsweise) schwach ausgeprägten privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des VwGH kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

 

Der Beschwerdeführer hat sein gesamtes Leben bis zur Ausreise in Afghanistan und Iran verbracht und dort seine Sozialisation erfahren. In Iran wuchs er in seinem afghanischen Familienverband auf. Er beherrscht Dari und sammelte Arbeitserfahrung in Iran und Österreich (wenn auch gemeinnützig). Es ist daher davon auszugehen, dass er sich in die afghanische Gesellschaft wieder eingliedern können wird zumal er mit den gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten vertraut ist.

 

Der Beschwerdeführer benötigt in Österreich keine medizinische Behandlung, welche er im Herkunftsland nicht bekommen würde (siehe dazu VwGH 28.04.2015, Ra 2014/180146 bis 0152; VwGH 29.02.2012, 20110/21/0310 bis 0314 und 210/21/0366; VfGH 21.09.2015, E332/2015).

 

In einer Gesamtbetrachtung iS des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet das persönliche Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

Daher ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

 

3.2.6. Zur Abweisung der Beschwerde gegen die Feststellung, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist:

 

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).

 

§ 50 FPG lautet:

 

"(1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht."

 

Der Verwaltungsgerichtshof hatte in ständiger Rechtsprechung festgehalten, dass ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ausgeschlossen ist, was es verunmöglicht, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. dazu etwa VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Diese Judikatur kann aber wohl nur in Zusammenhang mit der bisherigen (am Wortlaut des Gesetzes orientierten) Auslegung des § 8 Abs. 1 AsylG aufrechterhalten werden, wonach der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würde (wodurch derselbe Prüfumfang wie bei der Prüfung der Zulässigkeit der Abschiebung nach § 50 FPG festgelegt war). Wie oben dargelegt wurde, wurde aber vom EuGH klargestellt, dass der Umstand, dass ein Drittstaatsangehöriger aufgrund des Art. 3 EMRK nicht abgeschoben werden kann, eben nicht automatisch bedeutet, dass ihm subsidiärer Schutz zu gewähren ist. Folglich ist daher eine unterschiedliche Beurteilung der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG und der Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz entgegen der früheren Rechtsprechung des VwGH notwendig geworden.

 

Umstände, die im Abschiebungsfall zu einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK führen würden, aber für eine Zuerkennung von subsidiären Schutz nicht in Betracht kommen (zu dieser Unterscheidung siehe VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106) sind demnach im Ausspruch nach § 52 Abs. 9 FPG zu berücksichtigen.

 

Gegenständlich war daher zu klären, ob ein Fall des § 50 Abs. 1 FPG gegeben ist - ob also im Falle der Rückführung des Beschwerdeführers nach Afghanistan Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würden bzw. eine reale Gefahr einer solchen Verletzung besteht oder die Rückführung für den Beschwerdeführer als Zivilperson mit einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Wie bereits ausgeführt wurde, ist der Beschwerdeführer weder durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts noch durch die Todesstrafe bedroht. Es stellt sich aber die Frage, ob durch die Abschiebung Art. 3 EMRK verletzt würde.

 

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg Vereinigtes Königreich, Zl 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl 44599/98). Der EGMR geht allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische oder sonstige unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann diesbezüglich die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 02.05.1997, EGMR 146/1996/767/964 ["St. Kitts-Fall], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99)

 

So hat der EGMR im Fall Paposhvili v. Belgium (no. 41738/10) vom 20.04.2015 weitere grundsätzliche Ausführungen zu diesem Thema getätigt:

 

"(183) Die ‚anderen sehr außergewöhnlichen Fälle' im Sinne des Urteils N./GB, die eine Angelegenheit unter Art. 3 EMRK aufwerfen können, sollten nach Ansicht des GH so verstanden werden, dass sie sich auf die Ausweisung einer schwer kranken Person betreffende Situationen beziehen, in denen stichhaltige Gründe für die Annahme aufgezeigt wurden, dass sie, obwohl sie nicht in unmittelbarer Lebensgefahr ist, mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Empfangsstaat oder des fehlenden Zugangs zu solcher Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu werden, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt. Der GH betont, dass diese Situationen einer hohen Schwelle für die Anwendung von Art. 3 EMRK in Fällen entsprechen, welche die Ausweisung von an einer schweren Erkrankung leidenden Fremden betreffen. Gemäß Art. 1 EMRK liegt die primäre Verantwortung für die Umsetzung der garantierten Rechte und Freiheiten bei den nationalen Behörden, die daher vom Standpunkt des Art. 3 EMRK die Ängste der Bf. beurteilen und die Risiken einschätzen müssen, denen diese im Fall der Abschiebung in den Empfangsstaat ausgesetzt wären."

 

Ergänzend wurde vom EuGH im Urteil vom 24. 04. 2018, in der Rs C-353/16 , MP festgehalten, dass Art. 4 und Art. 19 Abs. 2 GRC der Ausweisung entgegenstehen würden, wenn diese Ausweisung dazu führen würde, dass sich die psychischen Störungen, an denen der Drittstaatsangehörige im damaligen Ausgangsfall litt, erheblich und unumkehrbar verschlimmern. Dies gelte in besonderem Maße, wenn die Verschlimmerung sogar sein Überleben gefährden würde, so der EuGH. In solchen Ausnahmefällen würde die Ausweisung eines an einer schweren Krankheit leidenden Drittstaatsangehörigen in ein Land, in dem keine angemessenen Behandlungsmöglichkeiten vorhanden sind, gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen. Art. 3 EMRK könnte daher einer Rückkehr entgegenstehen.

 

Insgesamt ist aufgrund der jüngsten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu beachten, dass eine schwierige Lebenssituation für den Asylwerber im Fall seiner Rückführung in den Herkunftsstaat, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht, primär gestützt auf mangelnde tragfähige Beziehungen und/oder fehlende Ortskenntnisse in Großstädten, oder eine schwierige Situation bei der Wohnraum- oder Arbeitsplatzsuche, nicht ausreicht, um eine reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu begründen. Auch eine fehlende Schul- und Berufsausbildung bzw. -erfahrung stellen im Fall einer Rückkehr stellen keine exzeptionellen Umstände dar (VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063; 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; 23.03.2017, Ra 2016/20/0188; 10.03.2017, Ra 2017/18/0064; 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; 25.05.2016, Ra 2016/19/0036; 20.06.2017 Ra 2017/01/0023; 08.08.2017, Ra 2017/19/0118-5; 10.08.2017, Ra 2016/20/369-11; 20.09.2017, Ra 2017/19/0190; vgl. dazu auch - unter Berücksichtigung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes - VfGH 12.12.2017, E 2068/2017-7).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar festgestellt, dass die Außerlandesbringung eines Fremden in den Herkunftsstaat auch dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK bedeutet, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Auch eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063). Die zu erwartenden Verhältnisse im Herkunftsstaat sind in die Interessensabwägung miteinzubeziehen, weil ihnen auch unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens Bedeutung zukommt (VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0033).

 

Dazu ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass es der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines drohenden realen Risikos für die Annahme einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung dazulegen (VwGH 05.10.2016, Ra 2016/19/0158 mit Verweis auf EGMR vom 05.09.2013, I gg Schweden, Appl 61.204/09 mwH).

 

Im gegenständlich Fall liegen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend vor, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer ein derartiges Risiko nach Art. 2 und Art. 3 EMRK darstellen würde.

 

Die Grundversorgung (einfache Unterkunft, Nahrungsmittel und Trinkwasser) sowie Arbeitsmöglichkeiten ist in Mazar-e Sharif - auch aufgrund der Tätigkeit von Hilfsorganisationen und der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe für eine Übergangszeit - vorhanden. Der Beschwerdeführer spricht die Landessprache, ist alleinstehend, im erwerbsfähigem Alter, gesund und arbeitsfähig. Er wird sich auch bei der hohen Arbeitslosigkeit zumindest zeitweise gegen Mitbewerber durchsetzen, sodass er seine Existenz sichern kann. Zu Gute wird ihm kommen, dass er über Berufserfahrung verfügt. Er würde nicht in eine aussichtlose Lage geraten, sodass eine Rückführung nicht nur keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellt, sondern ihm auch zumutbar ist.

 

Daher ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

 

3.2.7. Zur Abweisung der Beschwerde gegen die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise:

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Gemäß § 55 Abs. 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Gemäß § 55 Abs. 3 FPG kann bei Überwiegen besonderer Umstände die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

 

Da gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung verhängt wurde und weder besondere Umstände, die dieser bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, hervorgekommen sind, noch der Beschwerdeführer solche behauptet hat sowie auch keinen Termin für seine Ausreise bekannt gegeben hat, ist die Beschwerde gegen die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzuweisen.

 

Die Beschwerde ist daher auch gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

 

3.2.8. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war.

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