VwGH Ra 2014/01/0210

VwGHRa 2014/01/021023.6.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag.a Ortner, über die Revision des A M in U, vertreten durch Mag. Jochen Serenyi, Rechtsanwalt in 7400 Oberwart, Hauptplatz 11 Atrium Top 16A, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. November 2014, Zl. I408 1420889-1/18E, betreffend eine Angelegenheit nach dem Asylgesetz 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

32004L0083 IntSchutz Staatenlose Flüchtlinge RL Art10 Abs1;
32004L0083 IntSchutz Staatenlose Flüchtlinge RL Art9 Abs1;
32004L0083 IntSchutz Staatenlose Flüchtlinge RL;
62011CJ0071 Y und ZVORAB;
AsylG 1997 §7;
AsylG 2005 §3 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
32004L0083 IntSchutz Staatenlose Flüchtlinge RL Art10 Abs1;
32004L0083 IntSchutz Staatenlose Flüchtlinge RL Art9 Abs1;
32004L0083 IntSchutz Staatenlose Flüchtlinge RL;
62011CJ0071 Y und ZVORAB;
AsylG 1997 §7;
AsylG 2005 §3 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Marokko, stellte am 28. Juli 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 8. August 2011 den Antrag sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab und den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 nach Marokko aus.

Gegen diese Entscheidung erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Asylgerichtshof.

3. Zwischen November 2013 und März 2014 legte der Revisionswerber mehrere vom Pfarrer der evangelischen Pfarrgemeinde A.B. in W. verfasste Schreiben vor, wonach der Revisionswerber sich aktiv an Veranstaltungen der dortigen evangelischen Gemeinde beteiligt und den Wunsch geäußert habe, getauft zu werden. Er habe regelmäßig am Tauf- und Konfirmandenunterricht teilgenommen, die Taufe habe schließlich am 9. März 2014 stattgefunden.

Am 5. Juni 2014 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Schriftsatz ein, in dem der Revisionswerber vorbrachte, überzeugter Christ zu sein, seinen Glauben offiziell auszuleben und dies in Marokko auch weiterhin tun zu wollen. Die Konversion des Revisionswerbers sei öffentlich ersichtlich, weil über seine Taufe und sein Engagement in der Pfarre auf der öffentlich zugänglichen Facebook-Seite der evangelischen Gemeinde W. sowie in mehreren Lokalzeitungen berichtet worden sei. Diese Artikel seien über eine Suchmaschinenrecherche leicht zu finden, zumal der Revisionswerber darin namentlich genannt und auf Fotos gezeigt werde. Die Taufe sei daher für die marokkanischen Behörden ersichtlich. Bei einer Rückkehr nach Marokko befürchte er aufgrund seiner Konversion staatliche Verfolgung sowie Verfolgung durch Dritte. Weiters sei davon auszugehen, dass er gesellschaftlich geächtet und ausgegrenzt werde und dies zumindest einer Verletzung seiner gemäß Art. 3 EMRK geschützten Grundrechte gleichkäme. Dazu zitierte der Revisionswerber aus Berichten zur Situation von Konvertiten in Marokko, wonach diese mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen hätten und nicht offen ihre Religion ausüben und offiziell ihre religiöse Meinung kundtun dürften. Diesem Schriftsatz legte er ua. eine Kopie seines Taufscheines vom 9. März 2014 bei.

Nach der vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung übermittelte der Revisionswerber eine Stellungnahme vom 18. Juni 2014. Darin führte er aus, dass er den ihm übermittelten Länderfeststellungen im Wesentlichen zustimme, dass sich das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht intensiv mit der Situation von Konvertiten auseinandergesetzt habe. Es sei dem Revisionswerber in Marokko nicht möglich, seinen Glauben wie in Österreich auszuleben.

4. Das Bundesverwaltungsgericht wies mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gemäß § 3 und § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Beschwerde als unbegründet ab und verwies gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass der Revisionswerber getauft worden sei und die Konversion durch Vorlage des Taufscheines bescheinigt habe. Es habe jedoch nicht festgestellt werden können, dass dem Revisionswerber in Marokko begründete Furcht vor asylrelevanter Verfolgung drohe. Auch subjektive Nachfluchtgründe mit einer maßgeblichen Relevanz für die Gewährung von Asyl oder subsidiärem Schutz hätten nicht festgestellt werden können.

Zur Religionsfreiheit in Marokko traf das Bundesverwaltungsgericht folgende Feststellungen:

"Marokko bleibt auch nach der Verfassungsreform ein

islamischer Staat. ... Die Konversion eines Muslims zum

christlichen Glauben ist nach islamischen Geboten unzulässig

(Apostasie) und wird als große Schande betrachtet. Bei

Bekanntwerden der Konversion ist daher mit drastischen

gesellschaftlichen Nachteilen zu rechnen. ... Laut einem Bericht

der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) leben in Marokko schätzungsweise 30 000 Christen (0,1 % der Bewohner). (...)

Konversion vom Islam zum Christentum ist in Marokko verboten, auch Mission oder das Verteilen von Bibeln stehen unter Strafe. Die Zahl der zum Christentum konvertierten Marokkaner ist daher unbekannt. ..."

Das Bundesverwaltungsgericht leitete aus dieser Berichtslage ab, dass eine öffentlich bekannt gemachte Apostasie in Marokko zwar mit nicht unerheblichen Problemen behaftet sei, dass aber ein gewisses Maß an gesellschaftlicher Toleranz für Andersgläubige angesichts der rund 30.000 in Marokko lebenden Christen und rund 30 bestehenden Kirchen zu verzeichnen sei. Außerdem gebe es keinen Zwang zur Offenlegung und keine öffentliche Registrierung der Religionszugehörigkeit und bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die marokkanischen Behörden gezielte Maßnahmen zur Ausforschung von Konvertiten installiert hätten. Der Revisionswerber habe auf allgemeine Ausführungen in den Länderberichten und sonstige Berichtslagen verwiesen, ohne eine sich für ihn daraus ergebende, konkretisierte und individuelle Verfolgungsgefahr glaubhaft vorzubringen. Darüber hinaus sei der Revisionswerber nicht missionierend tätig gewesen und habe keine Intention vorgebracht, in Marokko außenwirksame religiöse Aktivitäten setzen zu wollen, die ihn in den Fokus staatlicher Behörden stellen könnten. Alleine die Vorlage eines Taufscheines verwirkliche den Tatbestand der Apostasie noch nicht.

Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhänge, der grundsätzliche Bedeutung zukomme.

5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

In den Zulässigkeitsgründen gemäß § 28 Abs. 3 VwGG wird zusammengefasst ausgeführt, dass das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche. So habe sich das Bundesverwaltungsgericht in der Beweiswürdigung entgegen - näher genannten - hg. Erkenntnissen weder mit seinen Länderfeststellungen, wonach bei Bekanntwerden einer Konversion mit drastischen gesellschaftlichen Nachteilen zu rechnen sei, noch mit anderen geeigneten Länderberichten auseinandergesetzt und das Fluchtvorbringen nicht anhand dieser Berichte gewürdigt. Das Erkenntnis weiche auch von der Rechtsprechung (des EuGH) zu Art. 2 Buchstabe c der RL 2004/83/EG ab, weil begründete Furcht vor Verfolgung vorliege, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Asylwerbers vernünftigerweise anzunehmen sei, dass nach Rückkehr in das Herkunftsland eine religiöse Betätigung zu erwarten sei, die tatsächlich die Gefahr einer Verfolgung nach sich ziehe und nicht zugemutet werden könne, dass auf diese Betätigung verzichtet werde. Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung notwendige Ermittlungen (etwa zur Missionierungsabsicht des Revisionswerbers) unterlassen.

6. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet:

6.1. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 5. September 2012, C- 71/11 und C-99/11 , BRD gg Y Z, ua. ausgeführt:

"62 Um konkret festzustellen, welche Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten können, ist es nicht angebracht, zwischen Handlungen, die in einen 'Kernbereich' ('forum internum') des Grundrechts auf Religionsfreiheit eingreifen sollen, der nicht die religiöse Betätigung in der Öffentlichkeit ('forum externum') erfassen soll, und solchen, die diesen 'Kernbereich' nicht berühren sollen, zu unterscheiden.

63 Diese Unterscheidung ist nicht vereinbar mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie, die alle Komponenten dieses Begriffs, ob öffentlich oder privat, kollektiv oder individuell, einbezieht. Zu den Handlungen, die eine 'schwerwiegende Verletzung' im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Kreis zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben.

(...)

65 Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der Repressionen, denen der Betroffene ausgesetzt ist, und deren Folgen, wie der Generalanwalt in Nr. 52 seiner Schlussanträge ausgeführt hat.

(...)

67 Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u. a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.

(...)

69 Da der in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie definierte Religionsbegriff auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, umfasst, kann das Verbot einer solchen Teilnahme eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen, wenn sie in dem betreffenden Herkunftsland für den Antragsteller u.a. die tatsächliche Gefahr heraufbeschwört, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.

(...)

79 Sobald feststeht, dass sich der Betroffene nach Rückkehr in sein Herkunftsland in einer Art und Weise religiös betätigen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen wird, müsste ihm daher nach Art. 13 der Richtlinie die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden. Dass er die Gefahr durch Verzicht auf bestimmte religiöse Betätigungen vermeiden könnte, ist grundsätzlich irrelevant."

6.2. Mit der Frage der asylrechtlichen Relevanz einer Konversion zum Christentum - in Bezug auf den Iran - hat sich der Verwaltungsgerichtshof wiederholt befasst. Entscheidend ist demnach, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden. Ob die Konversion bereits - durch die Taufe - erfolgte oder bloß beabsichtigt ist, ist nicht entscheidend (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 11. November 2009, Zl. 2008/23/0721, mwN).

Nach der oberwähnten Rechtsprechung des EuGH kommt es darauf an, ob der Asylbewerber aufgrund der Ausübung der Religionsfreiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.

6.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Feststellung getroffen, dass die Konversion eines Muslims zum christlichen Glauben in Marokko unter Strafe verboten sei und dass bei Bekanntwerden der Konversion mit "drastischen gesellschaftlichen Nachteilen" zu rechnen sei. Das Bundesverwaltungsgericht selbst folgerte aus dieser Berichtslage, dass der Revisionswerber bei öffentlichem Bekanntwerden seiner Konversion in eine mit nicht unerheblichen Problemen behaftete Lebenssituation geraten könne.

Auch aus den vom Revisionswerber dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Länderberichten geht hervor, dass Konvertiten in Marokko mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen hätten und nicht offen ihre Religion ausüben und offiziell ihre religiöse Meinung kundtun dürften.

Demnach hätte das Bundesverwaltungsgericht - auch unter Berücksichtigung des vom Revisionswerbers zitierten Berichtsmaterials - nähere Feststellungen zu den drohenden strafrechtlichen Sanktionen sowie über die angenommenen "drastischen gesellschaftlichen Nachteile" des Revisionswerbers in Marokko zu treffen und weiters darzulegen gehabt, mit welchen "nicht unerheblichen Problemen" er bei öffentlichem Bekanntwerden seiner Konversion zu rechnen hätte. Davon ausgehend wären weiters nähere Erwägungen zur Frage anzustellen gewesen, ob die genannten (strafrechtlichen bzw. gegebenenfalls: gesellschaftlichen) Repressionen asylrelevante Intensität erreichen.

Indem das Bundesverwaltungsgericht dies unterlassen hat, hat es Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung es zu einem für den Revisionswerber günstigerem Verfahrensergebnis hätte gelangen können.

6.4. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 23. Juni 2015

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