VwGH 98/20/0309

VwGH98/20/030926.11.1998

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, in der Beschwerdesache des A C in Graz, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II,

1. über den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Beschwerdeerhebung gegen den unter Punkt 2 genannten Bescheid (98/20/0310) sowie

2. über die Beschwerde gegen den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 30. März 1988, Zl. 200.074/0-V/15/98, betreffend Asylgewährung,

Normen

AsylG 1997 §7;
AVG §71 Abs1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §46 Abs1;
ZustG §17 Abs1;
ZustG §17 Abs3;

 

Spruch:

I. den Beschluß gefaßt:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 VwGG wird zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesministerium für Inneres) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Zum Wiedereinsetzungsantrag:

Der Beschwerdeführer begründete den Wiedereinsetzungsantrag damit, er sei vom 14. Mai 1997 bis 8. Juli 1998 unter der Zustelladresse des angefochtenen Bescheides "8020 Graz Vinzenz Muchitschstraße 20-22/2" polizeilich gemeldet gewesen. Am 2. April 1998 sei der angefochtene Bescheid vom 30. März 1998 bei dem für diese Adresse zuständigen Postamt hinterlegt worden. Noch vor Zustellung dieses Bescheides habe der Beschwerdeführer allerdings seinen Wohnsitz auf Anraten seines Vermieters wegen Renovierungsarbeiten im besagten Haus verlassen müssen. Der Beschwerdeführer sei daher seit Anfang April 1998 in 8043 Graz, Mariatrosterstraße 10, wohnhaft. Der Beschwerdeführer habe deshalb keine Kenntnis von der am 2. April 1998 erfolgten Hinterlegung des angefochtenen Bescheides erhalten. Da er an der Zustelladresse über keinen Postkasten verfügt habe, sei im übrigen davon auszugehen, daß eine allfällige Hinterlegungsanzeige lediglich an der Eingangstür zu seinem dortigen Zimmer angebracht und deshalb ihm auch nicht zur Kenntnis gebracht worden sei. Dieses Vorbringen bescheinigte der Beschwerdeführer mit einer von ihm eigenhändig geschriebenen Bestätigung.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei, die durch ein unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Das Wiedereinsetzungsbegehren des Beschwerdeführers stützt sich im Ergebnis ausschließlich auf die Behauptung, es liege in Ansehung des angefochtenen Bescheides ein Zustellmangel vor, weil der Bescheid in einem Zeitpunkt an der vormaligen Wohnadresse des Beschwerdeführers durch Hinterlegung zugestellt worden sei, als er sich dort nicht mehr aufgehalten habe. Davon ausgehend hat der Beschwerdeführer allerdings die Beschwerdefrist nicht versäumt. Die Zustellung ist in diesem Fall erst in dem Zeitpunkt als vollzogen anzusehen, in dem das Schriftstück seinem Rechtsvertreter über Anforderung bei der belangten Behörde in Vollziehung einer von der Behörde angeordneten Neuzustellung tatsächlich zugekommen ist (laut Vorbringen des Beschwerdeführers per Telefax am 8. Juli 1998). Die Beschwerdefrist hat diesfalls erst ab diesem Zeitpunkt zu laufen begonnen und eine Versäumung der Beschwerdefrist ist daher nicht gegeben, somit eine Bewilligung der Wiedereinsetzung von vornherein nicht in Betracht kommt (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998) 1549 f referierte hg. Judikatur).

Unter Zugrundelegung des vom Beschwerdeführer ausdrücklich bestätigten und ausschließlich vorgebrachten Umstandes, daß er sich im Zeitpunkt der Zustellung und danach an der Zustelladresse nicht mehr aufgehalten habe, ist daher eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand schon aus den eben dargestellten Gründen ausgeschlossen. Der Wiedereinsetzungsantrag war somit (in dem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat) zurückzuweisen und die Beschwerde als rechtzeitig zu behandeln.

2. Zur Beschwerde:

Der am 29. Oktober 1996 eingereiste Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Liberias, wurde am 14. November1996 vom Bundesasylamt zu seinen Fluchtgründen befragt. Diese legte er im wesentlichen wie folgt dar:

"Die jungen Leute in Liberia wurden und werden getötet. Man hat Jugendliche massakriert, man hat sie aufgeschnitten und es gab Kämpfe mit den Rebellen. Die Rebellen sind ständig auf der Suche nach jungen Leuten.

Welcher Zusammenhang besteht mit Ihrer Person, wurden Sie persönlich verfolgt?

Ich habe Freunde, die dadurch ihr Leben verloren haben. Ich wollte nicht kämpfen.

Wollen Sie weitere Fluchtgründe geltend machen?

Mein Vater ist auch keines natürlichen Todes gestorben. Er wurde im Gefängnis erhängt, ich mußte ihn identifizieren.

Von wem und weshalb wurde er gehängt?

Die Gruppe um Charles Taylor, da er gegen den Krieg predigte.

Wo war Ihr Vater im Gefängnis?

In Nimba, in Saniqelle."

Der Beschwerdeführer gab an, Liberia aus den dargelegten Gründen im Jahr 1993 verlassen und sich im Jahr 1996 in Benin aufgehalten zu haben. Sein Vater sei im Jahr 1992 ums Leben gekommen.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 14. November 1996 den Asylantrag mit der zusammengefaßten Begründung ab, der Beschwerdeführer habe lediglich die allgemeine Kriegssituation in seinem Heimatland geschildert, in welchem Zusammenhang auch die Ermordung seines Vater gesehen werden müsse. Die Tatsache allein, daß es im Heimatland des Asylwerbers zu kriegerischen Handlungen komme, sei noch kein Grund, darin eine gegen den Asylwerber selbst konkret gerichtete Verfolgungshandlung zu erblicken. Da gegen ihn selbst keine konkreten Maßnahmen gesetzt worden seien, könne gegen ihn eine Verfolgungsabsicht nicht bestanden haben.

In seiner dagegen gerichteten Berufung führte der Beschwerdeführer im wesentlichen aus:

"Nachdem mein Vater getötet wurde und ich auch viele meiner Freunde sterben sah, sie einfach, nachdem sie sich geweigert hatten mit den Rebellen zu kämpfen von diesen niedergemetzelt wurden, war es für mich höchste Zeit, mein Heimatland zu verlassen. Da ich selber - auch aufgrund meines christlichen Glaubens - nicht gewillt war und es auch freilich noch immer nicht bin, mit den Rebellen gemeinsame Sache zu machen, aber andererseits diese Einstellung in meinem Heimatland einem Todesurteil gleichkommt, wird es wohl für jeden vernunftbegabten Menschen nachvollziehbar sein, daß es der richtige Entschluß war, aus meiner Heimat zu fliehen. Ich bin mir sicher, daß ich heute nicht mehr leben würde, hätte ich Liberia nicht verlassen."

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30. März 1998 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Die belangte Behörde legte ihrem Bescheid das Vorbringen des Beschwerdeführers zugrunde und vertrat dazu den Standpunkt, daß aus diesen Angaben in rechtlicher Hinsicht keine asylrelevante Verfolgung hervorgehe. Die Aussagen des Beschwerdeführers bezögen sich auf die allgemeine Kriegssituation in seinem Heimatland und in concreto auf das persönliche Schicksal seines Vaters, das dieser im Zuge des Kriegsgeschehens erlitten hätte. Gemäß ständiger Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts begründeten kriegerische Auseinandersetzungen für sich allein jedoch nicht die Flüchtlingseigenschaft für die aus den betroffenen Staaten ausgereisten Fremden. Das Asylrecht habe nicht die Aufgabe, vor den allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die aus Krieg, Bürgerkrieg, Revolution oder sonstigen Unruhen hervorgingen. Auch die Tötung von Familienangehörigen im Zuge allgemein herrschender Bürgerkriegsverhältnisse indizierten - ohnehin Hinzutreten weiterer Umstände - keine den Betroffenen bedrohende Verfolgungssituation im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Zentraler Aspekt der dem § 7 Asylgesetz 1997 zugrundeliegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z 2

Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus den in der Konvention angeführten Gründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. hg. Erkenntnis vom 23. September 1998, Zl. 98/01/0224). Zurechnungsobjekt der Verfolgungsgefahr ist der Heimatstaat des Asylwerbers. Die belangte Behörde ist im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen, daß sich die Verhältnisse im Heimatland des Beschwerdeführers seit seiner Ausreise im Sinne des Art. 1 Abschnitt C der FlKonv geändert hätten, sondern sie ist unter Zugrundelegung der damaligen Verhältnisse zum Ergebnis gelangt, daß der Beschwerdeführer sein Heimatland nicht aus wohlbegründeter Furcht im Sinne des Abschnittes A Z 2 der FlKonv verlassen habe. Sie hat im Ergebnis richtig ausgeführt, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Furcht, in seinem Heimatland verfolgt zu werden, lediglich eine Auswirkung der dort bestehenden Bürgerkriegssituation darstellt. In dem Umstand, daß im Heimatland des Beschwerdeführers Bürgerkrieg herrscht, liegt aber für sich allein nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Verfolgungsgefahr im Sinne der FlKonv (vgl. dazu das zum Asylgesetz 1991 ergangene, insoweit aber weiterhin relevante Erkenntnis vom 19. März 1997, Zl. 95/01/0466, und die dort zitierte hg. Vorjudikatur).

Insoweit der Beschwerdeführer ausführt, daß die Bürgerkriegssituation im Herkunftsstaat eine drohende Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention nicht generell ausschließe, sondern es einer näheren Betrachtung der Umstände bedürfe, warum die betreffende Person vor einer Konfliktsituation die Flucht ergriffen habe und ob sie deshalb allenfalls doch als Flüchtling im Sinne der FlKonv anzusehen sei, so ist ihm zwar zuzustimmen. Die eingangs wiedergegebenen niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers wie auch sein Berufungsvorbringen im Verwaltungsverfahren lassen aber selbst in Verbindung mit der Bürgerkriegssituation keine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung erkennen. Die Angaben des Beschwerdeführers ergeben keinen Hinweis darauf, daß etwa eine der Bürgerkriegsparteien den Beschwerdeführer gezielt zu verfolgen suchte. Der Beschwerdeführer hat auch keinen Zusammenhang zwischen dem Tod seines Vaters und der von ihm angegebenen Gefahr, in seinem Heimatland umzukommen, hergestellt, der im Lichte der in der Flüchtlingskonvention aufgezählten Gründe relevant sein könnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. September 1996, Zl. 95/19/0071). Daß im Heimatstaat des Beschwerdeführers zufolge des Bürgerkriegs allenfalls eine funktionierende Staatsgewalt fehlen und ein Machtvakuum eingetreten sein sollte, in dem er, ohne Schutz von staatlichen Stellen erhalten zu können, Zwangsrekrutierungsmaßnahmen der Rebellen ausgesetzt wäre, besagt noch nicht, daß dem Beschwerdeführer deshalb wohlbegründete Furcht, in seiner Heimat aus Gründen der FlKonv verfolgt zu werden, zuzubilligen wäre (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 1994, Zl. 92/01/1083, und vom 21. April 1993, Zl. 93/01/0299). Ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren, aus dem sich eine Verfolgung aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention nicht ersehen ließ, bedurfte es daher auch keiner weiteren Feststellungen durch die belangte Behörde zu den ohnehin von ihr angenommenen Bürgerkriegszuständen in Liberia und auch keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob bei einer nicht mehr vorhandenen Staatsgewalt - wie in der Beschwerde behauptet - eine Zurechnung der behaupteten Verfolgungsgefahr einem bestimmten Staat gemäß der FlKonv überhaupt noch möglich wäre.

Es kommt für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zwar nicht bloß auf die tatsächliche politische Gesinnung an, auch die seitens der Verfolger dem Asylwerber unterstellte politische Gesinnung kann asylrechtlich relevant sein. Der Beschwerdeführer hat aber nur allgemein die Gefahr für "junge Männer" (unter beispielsweiser Anführung einiger seiner Freunde) in Liberia angesprochen, die für die "Rebellen" hätten kämpfen müssen. Der Beschwerdeführer hat nicht behauptet, daß ihm von einer bestimmten kämpfenden Gruppe in Liberia deshalb, weil er nicht kämpfen wolle, eine bestimmte politische Gesinnung unterstellt worden wäre, oder daß in bezug auf seine Person ein Rekrutierungsversuch stattgefunden hätte oder bevorgestanden sei.

Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren ist nicht ersichtlich, zu welchem anderen Ergebnis die belangte Behörde bei den vom Beschwerdeführer vermißten weiteren Feststellungen zu den allgemeinen Bürgerkriegsverhältnissen in Liberia hätte kommen können. Insbesondere ist auch nicht nachvollziehbar, warum sich die mangelnden Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers im Rahmen des Ermittlungsverfahrens als für ihn nachteilig herausgestellt haben sollten, zumal der Einvernahme ein Dolmetscher beigezogen worden war und der Beschwerdeführer mehrmals aufgefordert worden war, seine Fluchtgründe näher darzulegen. Eine unrichtige Protokollierung seiner Angaben wurde nicht behauptet.

Soweit die Beschwerde auf die Entscheidung des verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14.089/A, Bezug nimmt, ist aus dessen Begründung schon wegen der mangelnden Konkretheit der Behauptungen über die Gefahr einer Rekrutierung des Beschwerdeführers oder einen schon erfolgten Rekrutierungsversuch für den vorliegenden Fall nichts zu gewinnen.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, sie war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 26. November 1998

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