OGH 4Ob80/23b

OGH4Ob80/23b19.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, *, vertreten durch Mag. Matthias Strohmayer, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H* GmbH, *, vertreten durch Dr. Mathias Görg, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 30.500 EUR) und Urteilsveröffentlichung, gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 30. Jänner 2023, GZ 2 R 154/22i‑24, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 29. Juli 2022, GZ 29 Cg 19/21w‑18, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00080.23B.1219.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Gewerblicher Rechtsschutz, Konsumentenschutz und Produkthaftung

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung dahin abgeändert, dass das gänzlich klagsstattgebende Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 7.153,64 EUR (darin 937,94 EUR USt und 1.526 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren in zweiter und dritter Instanz zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger ist gemäß § 14 UWG klagslegitimiert.

[2] Die Beklagte bietet verschiedene Kommunikationsdienstleistungen an, unter anderem Internetzugang über Festnetz oder Mobilfunk oder ein Hybrid beider Technologien. Wie fast alle Internetserviceprovider verfügt sie über kein selbständiges Leitungsnetz bis zum Kunden, sondern bedient sich für den letzten Streckenabschnitt der Leitungen der ehemaligen Monopolistin, die in aller Regel aus Kupferkabeln bestehen. Die Beklagte selbst stellt lediglich den sogenannten „Backbone“, einen Glasfaserring zur Verfügung, der im Wesentlichen die Landeshauptstädte miteinander verbindet. Um die theoretisch verfügbare Bandbreite am Endkundenstandort in Erfahrung zu bringen, bietet die ehemalige Monopolistin alternativen Anbietern einen sogenannten „Feasibility Check“. Einfluss auf die tatsächlich zur Verfügung stehende Bandbreite haben unter anderem Leitungslänge, ‑überlagerungen und ‑abnützung, Temperaturunterschiede sowie die Anzahl der an demselben Kabelverzweiger angeschlossenen Kunden.

[3] Die Beklagte bewarb ihr Tarifmodell „PowerNet M“ auf ihrer Website wie folgt:

 

[4] Klickt man auf diese Produktinformation, wird man auf eine neue Seite mit einer etwas ausführlicheren Beschreibung samt Hinweisen zum Aktivierungsentgelt weitergeleitet. Die Angaben zu den Datentransfergeschwindigkeiten bleiben gleich. Scrollt man auf dieser Seite weiter hinunter, liest man über der Überschrift „Entgeltbestimmungen & Leistungsbeschreibung“ die Worte: „Bitte beachten Sie die Vertragsbedingungen / näheren Tarifdetails“. Diese Passage wird beim Anwählen mit der Maus als Link erkennbar, der ein Feld mit zusätzlichen Informationen öffnet.

[5] Scrollt man auch in diesem Feld nach unten, findet man in einem Unterabsatz folgende Information: „Angegebene Datentransfergeschwindigkeiten stellen Maximalwerte dar. Die tatsächlich erreichte Geschwindigkeit hängt von Faktoren wie Nutzungsdichte, sowie baulichen, geographischen Gegebenheiten bzw. vom verwendeten Endgerät ab.

[6] Klickt man bei der ausführlicheren Beschreibung dagegen auf die Worte „Entgeltbestimmungen PowerNet Festnetz“ unterhalb der Überschrift „Entgeltbestimmungen & Leistungsbeschreibung“, öffnet sich ein 13‑seitiges pdf‑Dokument mit dem Titel: „PowerNet Festnetz. Entgeltbestimmungen/Leistungsbeschreibung“. Auf den ersten der dreizehn Seiten gibt es eine Kurzbeschreibung des Tarifmodells, die unter „Bandbreite“ wiederum 40 Mbit/s bzw 10 Mbit/s nennt, aber auch folgenden Hinweis enthält: „Die Möglichkeit im Festnetz Netz zu surfen und die dabei erreichte Geschwindigkeit hängt von Faktoren wie Nutzungsdichte, baulichen, geographischen Gegebenheiten, netzseitiger Verfügbarkeit bzw. vom verwendeten Gerät ab.

[7] Erst auf den Seiten 5 ff findet man in einem Unterpunkt folgende Information:

„[…]

Die minimale Down- und Uploadgeschwindigkeit in Kbit/s steht außerhalb von Wartungsfenstern/Störungen mindestens zur Verfügung.

Die maximale Down- und Uploadgeschwindigkeit in Kbit/s entspricht der beworbenen und bestellbaren Bandbreite.

Die normalerweise zur Verfügung stehende Down- und Uploadgeschwindigkeit in Kbit/s entspricht jener Internetzugangsbandbreite, die normalerweise 95% des Tages zur Verfügung steht.

[8] Damit gibt die Beklagte für ihr Tarifmodell „PowerNet M“ als „normalerweise zur Verfügung stehende Geschwindigkeit“ 23.112 Kbit/s Download und 5.120 Kbit/s Upload an, was lediglich 57,78 % bzw 51,2 % der in der Werbung genannten Datenübertragungsgeschwindigkeit für Download bzw Upload entspricht.

[9] Der Klägerwill der Beklagten Werbung mit einer Datenübertragungsgeschwindigkeit verbieten lassen, wenn sie in den Entgeltbestimmungen oder Leistungsbeschreibungen eine normalerweise zur Verfügung stehende Geschwindigkeit angibt, die den ursprünglich behaupteten Wert unterschreitet, es sei denn, sie weist darauf (in zumindest gleicher Auffälligkeit wie die Geschwindigkeitsangabe, unmittelbar oder durch Verweis) ausreichend deutlich hin – wobei der bloße Hinweis „Angegebene Datentransfergeschwindigkeiten stellen Maximalwerte dar“ oder „bis zu“ oder sinngleich insbesondere für Produkte im Festnetz nicht ausreicht, wenn die in den Entgeltbestimmungen oder Leistungsbeschreibungen (oder in vergleichbaren oder sonstigen Formblättern) angegebene normalerweise zur Verfügung stehende Geschwindigkeit mehr als geringfügig, insbesondere mehr als 10 %, unter der behaupteten (Maximal-)Angabe liegt, insbesondere wenn die angegebene normalerweise zur Verfügung stehende Download-Geschwindigkeit nur 57,78 % oder weniger und/oder die Upload-Geschwindigkeit nur 51,2 % oder weniger von der behaupteten Geschwindigkeit beträgt. Außerdem begehrt der Kläger Urteilsveröffentlichung. Die meisten Verbraucher nähmen den Beisatz „Angegebene Datentransfergeschwindigkeiten stellen Maximalwerte dar“ nicht wahr. Selbst bei Kenntnis des Hinweises würden sie annehmen, dass ihnen die beworbene Geschwindigkeit meistens zur Verfügung stehen werde. Auch bei „bis zu“-Geschwindigkeitsangaben rechne der Kunde nur mit geringfügigen Unterschreitungen (10 %). Die Beklagte verstoße gegen § 1 Abs 1 Z 2 UWG iVm § 2 Abs 1 Z 2, 4 und § 7 UWG sowie gegen § 2 Abs 4 iVm Abs 6 Z 3 UWG.

[10] Die Beklagte wendete insbesondere ein, dass den Kunden bewusst sei, dass üblicherweise mit Maximalgeschwindigkeiten geworben werde. Außerdem definiere die Netzneutralitäts-Verordnung (EU) 2015/2120 über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet (TSM‑VO) die Begriffe „normalerweise zur Verfügung stehende Geschwindigkeit“, „Maximalgeschwindigkeit“ und „beworbene Geschwindigkeit“ und gestatte ausdrücklich, in der Werbung nur die Maximalgeschwindigkeit anzugeben, solange in den Vertragsbedingungen auch die Mindestgeschwindigkeit und die normalerweise zur Verfügung stehende Geschwindigkeit aufscheinen würden. Die TSM‑VO gehe als lex specialis dem UWG vor. Die Beklagte stellte einen Gegenantrag auf negative Urteilsveröffentlichung.

[11] Das Erstgericht gab der Klage statt. Die Website der Beklagten erwecke beim Durchschnittsverbraucher die unzutreffende Erwartung, ihm würde die ohne Einschränkung zugesagte Geschwindigkeit in aller Regel zur Verfügung stehen. Sie verschweige, dass dies schon nach den Vertragsbedingungen nicht zutreffe, obwohl ein entsprechender Hinweis leicht möglich wäre. Darin liege eine irreführende Geschäftspraktik iSd § 2 Abs 4 UWG. Die TSM‑VO stelle die gleichberechtigte und nicht diskriminierende Behandlung des Verkehrs bei der Bereitstellung von Internetzugangsdiensten und der damit verbundenen Rechte der Endnutzer sicher. Sie habe also einen anderen Anwendungsbereich als die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken (RL‑UGP) und sei daher nicht die lauterkeitsrechtliche lex specialis. Bei der hier vorliegenden nicht nur geringfügigen Abweichung wären auch bloße Hinweise wie etwa „bis zu“ oder „Angegebene Datentransfergeschwindigkeiten stellen Maximalwerte dar“ nicht ausreichend, um eine Irreführung hintanzuhalten.

[12] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge. Beim Veröffentlichungsbegehren wies es (rechtskräftig) die Vorgabe ab, dass die Urteilsveröffentlichung auf der dritten Seite des Printmediums erfolgen müsse. Es wies außerdem das Unterlassungsbegehren ab, soweit der Kläger die Werbung mit Maximalgeschwindigkeiten selbst mit einem aufklärenden Hinweis wie „bis zu“ untersagen lassen wollte. Es teilte zwar die Ansicht des Erstgerichts, dass keine Konstellation von General- und Spezialnorm vorliege. Jedoch sei ein Durchschnittsverbraucher bei einem deutlichen Hinweis darauf, dass mit Maximalgeschwindigkeiten geworben werde, in der Lage, eine solche Angabe entsprechend einzuordnen und bei näherem Interesse die Tarifbedingungen der Beklagten zu konsultieren. Ein Verbraucher rechne bei einer „bis zu“-Geschwindigkeitsangabe selbst bei Festnetz-Anschlüssen mit entsprechenden Schwankungen der normalerweise zur Verfügung stehenden Geschwindigkeit und erwarte, dass die angegebene Maximalgeschwindigkeit nur selten erreicht werde. Ein unzulässiger Anlockeffekt werde vermieden. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur verbreiteten Werbung mit Datentransfergeschwindigkeiten fehle.

[13] Die Revision des Klägers zielt auf ein Verbot der Werbung auch bei einschränkenden Hinweisen ab, jene der Beklagten auf gänzliche Klagsabweisung.

[14] Die Parteien beantragen in ihren Revisionsbeantwortungen jeweils, die Revision des Prozessgegners zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[15] Die Revision des Klägers ist wegen einer korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung zulässig und berechtigt, jene der Beklagten zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

I. Zur Revision des Klägers

[16] 1. Der Kläger zeigt richtig auf, dass die hier zu prüfende Werbung irreführend bleibt, auch wenn sie darauf hinweist, dass die beworbene Geschwindigkeit die Maximalgeschwindigkeit ist.

[17] 1.1. Beim Irreführungstatbestand ist zu prüfen,  wie ein durchschnittlich informierter und verständiger Interessent für das Produkt, der eine dem Erwerb solcher Produkte angemessene Aufmerksamkeit aufwendet, die strittige Ankündigung versteht, ob dieses Verständnis den Tatsachen entspricht, und ob eine nach diesem Kriterium unrichtige Angabe geeignet ist, den Kaufinteressenten zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte (vgl 4 Ob 29/13p mwN). Für die Irreführung durch Unterlassen kommt es – abgesehen von den allgemeinen Kriterien – darauf an, ob wesentliche Umstände verschwiegen werden, die der Durchschnittsverbraucher zu einer informierten geschäftlichen Entscheidung benötigt, und ob sich dies auf sein geschäftliches Verhalten auszuwirken vermag; dabei ist den allenfalls beschränkten Möglichkeiten zur Informationsvermittlung Rechnung zu tragen (RS0124472).

[18] 1.2. Im Rahmen der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung richtet sich der Bedeutungsinhalt einer Äußerung nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck, den ein aufmerksamer Durchschnittsadressat gewinnt (RS0078352 [T24]; RS0078470 [T39]). Der Gesamteindruck ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Gesamtinhalt der Ankündigung, weil der Gesamteindruck durch einzelne Teile der Ankündigung, die als Blickfang besonders herausgestellt sind, entscheidend geprägt werden kann (vgl RS0078535). Blickfangartig herausgestellte Angaben dürfen auch für sich allein genommen nicht zur Irreführung geeignet sein (RS0078535; RS0078542).

[19] 1.3. Bei einer blickfangartigen Aussage bedarf es zur Vermeidung eines irreführenden Gesamteindrucks daher eines deutlich wahrnehmbaren Hinweises, mit dem über die einschränkenden Voraussetzungen, unter denen die Aussage gilt, ausreichend aufgeklärt wird. Maßgebend ist dabei, ob ein aufmerksamer Durchschnittsadressat den aufklärenden Hinweis wahrnimmt, wenn er mit der Werbeaussage konfrontiert wird (RS0118488).

[20] § 2 Abs 4 UWG erfasst dabei auch Geschäftspraktiken, die bloß einen durch Irreführung verursachten Anlockeffekt entfalten und bei denen der beim Verbraucher zunächst veranlasste Irrtum durch eine nachträgliche Ergänzung und/oder Richtigstellung der Produktinformation noch vor dem Zeitpunkt seiner endgültigen geschäftlichen Entscheidung aufgeklärt wird. Das Fehlen solcher wesentlichen Informationen in blickfangartigen Ankündigungen ist dann nicht durch für das verwendete Kommunikationsmedium typische Beschränkungen bedingt, wenn die gebotene Information von Durchschnittsverbrauchern über die für sie wesentlichen Punkte eines Angebots im Fall einer Werbung mit Zeitungsinseraten, Plakaten und Foldern ohne einen ins Gewicht fallenden erhöhten Platzbedarf oder im Fall einer Werbung im Hörfunk oder Fernsehen ohne eine wesentlich höhere Sendezeit möglich ist (RS0124471).

[21] 1.4. Eine Information ist jedenfalls dann wesentlich, wenn der Durchschnittsverbraucher sie benötigt, um in der Folge eine informierte geschäftliche Entscheidung treffen zu können (vgl RS0124471). Je zentraler bestimmte Produkteigenschaften in der Werbung herausgestrichen werden, desto notwendiger ist der Hinweis auf damit zwangsläufig verbundene Nachteile (vgl RS0078579 [T36]) oder gar Einschränkungen.

[22] Konstant hohe Datenübertragungsraten sind vor dem Hintergrund einer wachsenden Anzahl von mit dem Internet verbundenen Geräten pro Haushalt und der damit einhergehenden, steigenden Tendenz zur Nutzung digitaler Angebote oftmals ein entscheidender Faktor für die Funktionalität von Internetanwendungen. Insofern ist zu erwarten, dass eine Vielzahl von Kunden diesem Leistungsmerkmal bei der Auswahl eines Access-Providers wesentliche Beachtung zuwendet, insbesondere da Access-Provider ihre Endpreise regelmäßig in Abhängigkeit von der Höhe der Übertragungsrate ausgestalten (Roos in Hoeren/Sieber/Holznagel, Handbuch Multimedia-Recht [59. EL Juni 2023] Teil 12 Rz 84).

[23] Auch im vorliegenden Fall stellt die Beklagte die Datentransfergeschwindigkeit als die definierende Eigenschaft ihrer Dienstleistung heraus; ihre Kurzcharakteristik des Tarifs enthält darüber hinaus nur Informationen zum unlimitierten Datenvolumen, zu den verfügbaren Übertragungsformen (Festnetz/Mobil/Hybrid) und dem Preis.

[24] Die Tarifinformation selbst lässt nicht erkennen, dass die angegebene Geschwindigkeit nur ein Maximalwert sei. Diese Information kann vielmehr erst nach eingehender Befassung mit dem Leistungsangebot der Beklagten entdeckt werden, konkret nach zwei Klicks auf nicht konkret auf die Datentransfergeschwindigkeit bezugnehmende Links und einmal Scrollen. Die Vorinstanzen gehen damit zurecht davon aus, dass der Kunde mangels gegenteiliger Hinweise damit rechnen wird, dass ihm diese Geschwindigkeit immer oder zumindest fast immer geboten werden wird.

[25] 1.5. Jedoch würde auch ein bloßer Hinweis, dass es sich um eine Maximalgeschwindigkeit handelt, im vorliegenden Fall nicht ausreichen, die Irreführungseignung zu beseitigen:

[26] Schon nach Punkt 2.8.1 der Leitlinien zur Auslegung und Anwendung der UGP-RL (2021/C 526/40) können „Bis-zu-Angaben“ als irreführend eingestuft werden, wenn Gewerbetreibende nicht nachweisen können, dass die Verbraucher die zugesicherten maximalen Ergebnisse unter normalen Umständen erzielen. Insbesondere ist dabei zu fragen, ob die Ergebnisse und Vorteile, die ein Durchschnittsverbraucher vernünftigerweise erwarten kann, einschließlich möglicher Gegebenheiten oder Beschränkungen klar benannt wurden.

[27] Hier verpflichtet sich die Beklagte ihren Kunden gegenüber für 95 % der Zeit eines jeden Tages nur in etwa die Hälfte der beworbenen Geschwindigkeit zu bieten. Sie sagt die beworbene Geschwindigkeit daher nur für ein Zwanzigstel der Zeit zu – noch dazu, ohne dass der Kunde weiß, wann dies der Fall sein wird. Dies gilt nach den AGB außerdem unterschiedslos für alle Kunden, selbst wenn an ihren konkreten Standorten technisch die Voraussetzungen für deutlich höhere Geschwindigkeiten vorlägen.

[28] Ein Spitzenwert, der nur selten erreicht wird und von der regelmäßig zur Verfügung zu stellenden Leistung deutlich abweicht, ist bei nicht punktuell, sondern typischerweise über längere Zeiträume hinweg genutzten Produkten und Dienstleistungen für den Durchschnittsverbraucher kein für die Kaufentscheidung relevanter Parameter. Er wird daher selbst bei Hinweisen wie „bis zu“ oder „Maximalgeschwindigkeit“ nicht damit rechnen, dass die bei typischer Nutzung maßgeblichen Leistungsparameter wesentlich von der beworbenen Kennzahl abweichen.

[29] 1.6. Die Beklagte betont in ihrer Revisionsbeantwortung, dass auch ihre Mitbewerber mit Maximalgeschwindigkeiten werben würden. Dies habe bereits die Erwartungshaltung der Kunden geprägt.

[30] Grundsätzlich besteht der Unterlassungsanspruch auch dann, wenn sich mehrere Marktteilnehmer unlauter verhalten. Er steht sogar dem Mitbewerber zu, der das beanstandete unlautere Mittel selbst anwendet (RS0077853, RS0014242, RS0077867).

[31] Darüber hinaus würde selbst eine marktübliche Bewerbung von Maximalgeschwindigkeiten bei den Adressaten der Werbung der Beklagten nicht notwendigerweise die Erwartung wecken, dass die tatsächlich zur Verfügung stehende Datentransfergeschwindigkeit bei der Beklagten davon wesentlich abweichen müsse.

[32] 1.7. Die im Haupt- und in den Eventualunterlassungsbegehren angeführten Schwellenwerte (mehr als geringfügiges Unterschreiten der Maximalwerte, insbesondere mehr als 10 %, in eventu: 15 %, in eventu: 25 %, in eventu: 35 %, in eventu: 45 %) sind im Revisionsverfahren kein Thema.

[33] 2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Revision des Klägers betraf nur noch den mit einem Viertel des Unterlassungsbegehrens zu bewertenden Aspekt des aufklärenden Hinweises und das zugehörige Veröffentlichungsbegehren, das ebenfalls somit auf ein Viertel zu reduzieren war. Außerdem war beim Veröffentlichungsbegehren zu beachten, dass der mit einem Achtel bewertete Aspekt zum begehrten Veröffentlichungsort bereits abgewiesen war. Als Bemessungsgrundlage sind daher nur 8.828,13 EUR heranzuziehen.

[34] Wegen der Abänderung des Berufungsurteils war auch dessen Kostenentscheidung anzupassen, wobei der Gesamtstreitwert inklusive des Gegenveröffentlichungsantrags der Beklagten in der zweiten Instanz noch insgesamt 41.500 EUR betragen hatte (vgl 10 Ob 13/17k [Pkt II.2]; Ciresa, Urteilsveröffentlichung4 Rz 2.7, 7.29, je mwN). Das nur geringfügige Obsiegen der Beklagten im Hinblick auf den konkreten Veröffentlichungsort führt zur Anwendung von §§ 43 Abs 2, 50 ZPO (vgl Obermaier, Kostenhandbuch3 [2018] Rz 1.177 mwN in Fn 603). Bei einer Bemessungsgrundlage von 40.812,50 EUR ergibt sich ein Kostenersatzanspruch von 3.067,92 EUR inkl USt.

II. Zur Revision der Beklagten

[35] 1. Die Beklagte bezweifelt die Aktivlegitimation des Klägers für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch, soweit sich die Werbung nicht nur an Verbraucher, sondern auch an Geschäftskunden richtet.

[36] 1.1. § 14 Abs 1 UWG erweitert für Unterlassungsansprüche nach dem UWG den Kreis der Aktivlegitimierten im öffentlichen Interesse über die unmittelbar Betroffenen – also Mitbewerber – hinaus auf diverse Verbände und Interessenvertretungen (vgl RS0079388; Kodek/Leupold in Wiebe/Kodek, UWG2 [2021] § 14 Rz 70).

[37] Der Kläger ist seit 1. 1. 2001 zur Erhebung von Unterlassungsklagen wegen irreführender Werbung nach den §§ 1 oder 2 Abs 1 befugt (FernabsatzG, BGBl I Nr 1999/185). Durch die UWG-Novelle 2007 wurde seine Klagebefugnis auf Fälle aggressiver oder irreführender Geschäftspraktiken nach § 1 Abs 1 Z 2, Abs 2 bis 4, §§ 1a oder 2 ausgedehnt (BGBl I Nr 2007/79).

[38] Wörtlich lautet der hier relevante Satz 3 in der aktuellen Fassung: „In den Fällen aggressiver oder irreführender Geschäftspraktiken nach § 1 Abs 1 Z 2, Abs 2 bis 4, §§ 1a oder 2 kann der Unterlassungsanspruch auch vom Verein für Konsumenteninformation geltend gemacht werden.

[39] Eine Einschränkung der Aktivlegitimation nur auf die Untersagung von Handlungen im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern ist dem Gesetzeswortlaut – anders als für Verbandsklagen nach § 28a KSchG – nicht zu entnehmen.

[40] 1.2. In den Gesetzesmaterialien heißt es zwar, dass der Kläger in Hinkunft den Anspruch auf Erhebung der Unterlassungsklage im Sinn des Art 2 der Unterlassungsklagen-Richtlinie haben soll, sofern dies zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher im Sinn des Art. 1 der Unterlassungsklagen-Richtlinie erfolgt“ (ErläutRV 1998 BlgNR 20. GP 38). Die Materialien führen jedoch sogleich auch aus, was damit gemeint ist, nämlich: in den Fällen irreführender Werbung nach den §§ 1 und 2 Abs 1 UWG 1984“.

[41] Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich daraus also kein zwingendes Argument für eine teleologische Reduktion ableiten, dass der Kläger nur soweit für Unterlassungsansprüche aktiv legitimiert wäre, als er damit (nur) Verbraucherinteressen wahrt, dh auf Verbote nur für den geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern.

[42] Dieses weite Verständnis der Klagebefugnis läuft auch nicht den unionsrechtlichen Vorgaben, zuletzt etwa in der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, zuwider, die keine Vollharmoniserung von Verbandsklagen vornehmen, sondern nur Mindeststandards für den Verbraucherschutz festlegen und den Mitgliedsstaaten einen Umsetzungsspielraum belassen.

[43] 1.3. Soweit überblickbar wirft nur ein Kommentar die Frage auf, ob der Gesetzgeber wirklich eine Klagebefugnis des VKI auch im b2b-Bereich schaffen wollte und verweist dazu auch darauf, dass dies den Statuen des Vereins widerspräche (Görg in Görg, UWG [2020] § 14 UWG Rz 376). Offen bleibt an dieser Stelle, ob der Autor nur davon ausgeht, dass der VKI nicht klagen kann, wenn gar kein Verbraucher betroffen ist – etwa bei Waren und Dienstleistungen, die nur von Unternehmen nachgefragt werden (Produktionsanlagen, Berufshaftpflichtversicherungen) oder in speziellen Vertriebskanälen oder zu bestimmten Konditionen nur an Unternehmen vertrieben werden. Es könnte damit aber auch der in der Revision vertretene Standpunkt gemeint sein, dass die Klagebefugnis des VKI eben nur soweit reicht, als die Interessen der Verbraucher betroffen sind und daher der Spruch entsprechend einzuschränken ist.

[44] 1.4. Die ständige Rechtsprechung steht (nur) mit der erstgenannten Ansicht in Einklang. Sie bejaht die Aktivlegitimation der in § 14 Abs 1 UWG genannten Vereinigungen nämlich schon dann, wenn die bloß abstrakte Möglichkeit einer Beeinträchtigung der von der Vereinigung vertretenen Interessen gegeben ist (RS0121489 [T2]). Die Klageberechtigung ist dabei auch nicht an ein anhand der jeweiligen Organisationsnormen zu prüfendes besonderes Interesse geknüpft (vgl 2 Ob 215/10x [Pkt 1.4] zu § 29 KSchG und § 14 Abs 1 Satz 2 UWG mwN).

[45] Die Unterlassungsgebote selbst nach Klagen (teils) anderer Verbände wurden bei grundsätzlicher Bejahung der Klagebefugnis auch ohne Einschränkung des Spruchs auf jene Bereiche erlassen, in denen die Interessen ihrer Mitglieder beeinträchtigt sind oder sein können: So wurde etwa aufgrund einer Klage der Notariatskammer einem Rechtsanwalt marktschreierische bzw irreführende Werbung von Rechtsanwaltsleistungen in Zusammenhang mit Verlassenschaftsverfahren schlechthin, also ohne Bezugnahme auf Notare oder deren Interessen, untersagt (4 Ob 94/14y, Spruchpunkte a. und b.i.). In einem vom Verein für Konsumentenorganisation erwirkten Urteil enthielt Spruchpunkt 1 zwar den Passus auf „im geschäftlichen Verkehr“, nicht aber „im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern“ (4 Ob 24/19m).

[46] 1.5. Insgesamt besteht daher kein Anlass, das Verbot der (auch für Verbraucher) irreführenden Werbung auf den b2c-Bereich zu beschränken, nur weil die Klage vom Verein für Konsumenteninformation erhoben wurde.

[47] 2. Die Beklagte argumentiert, dass ihre Werbung laut TSM-VO bzw der BEREC-Leitlinien zulässig sei. Diese seien leges speciales und leges posteriores gegenüber der UGP-RL und überdies nach dem Kohärenzgrundsatz ohne Wertungswidersprüche zu dieser auszulegen.

[48] 2.1. Art 4 Abs 1 lit d der Verordnung (EU) 2015/2120 über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet und zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und ‑diensten sowie der Verordnung (EU) Nr 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union (Netzneutralitäts-VO bzw TSM-VO) nennt folgenden Mindestinhalt für einen Vertrag, der Internetzugangsdienste umfasst: „eine klare und verständliche Erläuterung, wie hoch die minimale, die normalerweise zur Verfügung stehende, die maximale und die beworbene Download- und Upload-Geschwindigkeit von Internetzugangsdiensten bei Festnetzen oder die geschätzte maximale und die beworbene Download- und Upload-Geschwindigkeit von Internetzugangsdiensten bei Mobilfunknetzen ist und wie sich erhebliche Abweichungen von der jeweiligen beworbenen Download- und Upload-Geschwindigkeit auf die Ausübung der Rechte der Endnutzer gemäß Artikel 3 Absatz 1 auswirken könnten“.

[49] 2.2. Das „Gremium europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation“ (engl „Body of European Regulators for Electronic Communications – BEREC“, eingerichtet durch VO [EU] 2018/1971) hat Leitlinien für die Umsetzung der Verpflichtungen der nationalen Regulierungsbehörden nach Art 5 Abs 3 der TSM-VO herauszugeben (sog BEREC-Leitlinien). Diese sollen wiederum die nationalen Regulierungsbehörden ermächtigen, Anforderungen für die Festlegung der in der Regel zur Verfügung stehenden Geschwindigkeiten vorzuschreiben – beispielsweise, dass die normalerweise zur Verfügung stehende Geschwindigkeit in einem angemessenen Verhältnis zur Maximalgeschwindigkeit stehen sollte (Rz 148).

[50] 2.3. In den Erläuterungen zu § 47 TKG 2021 (1043 der Beilagen XXVII. GP, 20) heißt es: „Diese Bestimmung war teilweise bereits Bestandteil des TKG 2003 und legt die Zuständigkeit der Regulierungsbehörde für behördliche Tätigkeiten, die auf Grund der Verordnung (EU) 2015/2120 erforderlich sind, fest. Art 4 Abs 1 lit d der VO (EU) 2015/2120 legt bestimmte Mindestangaben für Verträge von Anbietern von Internetzugangsdiensten fest. Dazu zählen auch 'die normalerweise zur Verfügung stehende' sowie 'die beworbene Download- und Upload-Geschwindigkeit'. Dabei hat sich in der Praxis immer wieder gezeigt, dass das Verhältnis zwischen normalerweise zur Verfügung stehender und beworbener Geschwindigkeit auffallend hoch auseinanderklafft. Mit den neu aufgenommenen Ergänzungen in § 47 soll die Regulierungsbehörde nunmehr ermächtigt werden, mittels Verordnung auch Anforderungen an die Art der Bewerbung von Internetzugangsdiensten stellen zu können, indem eine Verhältniszahl zwischen normalerweise zur Verfügung stehender und beworbener Geschwindigkeit festgelegt wird. Damit könnte zB statuiert werden, dass die beworbene Geschwindigkeit nicht mehr als das Dreifache der normalerweise zur Verfügung stehenden Geschwindigkeit betragen darf.“

[51] 2.4. Aus der Differenzierung von beworbener und tatsächlich zur Verfügung stehender Geschwindigkeit in diesen drei Quellen will die Beklagte ableiten, dass die beworbene Geschwindigkeit sogar höher sein dürfe als die vertraglich festgelegte – und demnach für jeden einzelnen Kunden österreichweit verpflichtend zu gewährleistende – maximale Geschwindigkeit.

[52] Diese Argumentation überzeugt den Senat aus folgenden Gründen für keine der drei genannten Quellen:

[53] 2.5. Die TSM‑VO derogiert weder der UGP‑RL noch dem UWG.

[54] Der Grundsatz „lex specialis derogat legi generali“ gilt, wenn für einen weiteren Tatbestand eine bestimmte, für einen darin eingeschlossenen engeren Tatbestand aber eine damit unvereinbare andere Rechtsfolge angeordnet ist. Hier geht die speziellere Norm dem allgemeineren Gesetz vor (vgl 4 Ob 301/73; Kodek in Rummel/Lukas, ABGB4 [2015] § 6 Rz 170). Die lex-specialis-Regel ist also jedenfalls anzuwenden, wenn die Rechtsfolgen beider Normen miteinander unvereinbar sind.

[55] Schließen die Rechtsfolgen der betreffenden Normen einander nicht aus, sondern ist etwa eine kumulative Anwendung möglich, bedarf es allenfalls eines Rückgriffs auf weitere Interpretationsmethoden, um zu einem sinnvollen Auslegungsergebnis zu gelangen. So kann etwa die Wertung der spezielleren Norm der kumulativen Anwendung der allgemeinen Bestimmung entgegenstehen, wodurch diese innerhalb des Anwendungsbereichs der spezielleren Norm verdrängt wird (vgl 4 Ob 301/73; Kodek in Rummel/Lukas, ABGB4 [2015] § 6 Rz 171).

[56] Soweit die jeweiligen Rechtsfolgen einander nicht ausschließen und auch der Regelungszweck des Gesetzes keine andere Auslegung notwendig macht, sind dagegen beide Regelungen nebeneinander anwendbar (sog kumulative Normenkonkurrenz, RS0008959).

[57] Die Beklagte vermag im vorliegenden Fall nicht aufzuzeigen, wieso ihr Marktauftritt nicht zugleich dem § 2 UWG und dem Art 4 Abs 1 lit d TSM-VO entsprechen kann.

[58] Es ist einem Internetserviceprovider ohne weiteres möglich, gemäß Art 4 Abs 1 lit d TSM‑VO die beworbene Geschwindigkeit im Vertrag anzuführen, auch wenn er seine Werbung mit Datentransfergeschwindigkeiten in Entsprechung von § 2 UWG so formuliert, dass sie beim Durchschnittsverbraucher keine unzutreffenden Erwartungen weckt.

[59] Normzweck der TSM‑VO ist die gleichberechtigte und nichtdiskriminierende Behandlung des Datenverkehrs bei der Bereitstellung von Internetzugangsdiensten, der Schutz von und die Vertrauensbildung bei Endnutzern, der Erhalt des „Ökosystems“ Internet als Innovationsmotor sowie die Angleichung der Preise und anderen Bedingungen in der Union (ErwG 1). Diese Zwecke stehen in keinem Gegensatz zu den Zielen des UWG bzw der RL-UGP, sondern werden durch die Vermeidung irreführender Werbung sogar optimal gefördert.

[60] 2.6. Auch aus den BEREC‑Leitlinien ist für den Standpunkt der Beklagten nichts zu gewinnen. Diese richten sich nicht an die Internetserviceprovider, sondern an die nationalen Regulierungsbehörden. Wie schon das Berufungsgericht ausführlich dargelegt hat, haben die österreichischen Regulierungsbehörden bislang keine näheren Regeln über die zur Verfügung stehenden Geschwindigkeiten erlassen.

[61] Überdies spricht das in Rz 148 BEREC‑Leitlinie angeführte Beispiel, dass etwa vorgeschrieben werden könne, dass die normalerweise zur Verfügung stehende Geschwindigkeit in einem angemessenen Verhältnis zur Maximalgeschwindigkeit stehen sollte, gegen und nicht für eine Werbung mit einer Maximalgeschwindigkeit, die rund das Doppelte der normalerweise zur Verfügung stehenden Geschwindigkeit beträgt. Dies gilt umso mehr, als die Leitlinien ausdrücklich davon ausgehen, dass Internetserviceprovider neben den Regeln der Regulierungsbehörden auch die gesetzlichen Bestimmungen zum Marketing einzuhalten haben (vgl Rz 142).

[62] 2.7. Schließlich führt auch die Regierungsvorlage zu § 47 TKG 2021 nicht zum von der Beklagten gewünschten Auslegungsergebnis:

[63] Gesetzesmaterialien sind weder selbst Gesetz noch eine authentische Interpretation desselben (2 Ob 41/19x [Pkt 5.3]). Ein Rechtssatz, der im Gesetz nicht angedeutet ist und nur in den Materialien steht, kann deshalb auch durch Auslegung nicht Geltung erlangen (RS0008799). Die Materialien können zwar zur Auslegung einer Gesetzesbestimmung herangezogen werden, wenn die Ausdrucksweise des Gesetzes selbst zweifelhaft ist (RS0008800), es besteht jedoch generell keine strikte Bindung an die Gesetzesmaterialien bei Auslegung eines Gesetzes (RS0008799 [T4]).

[64] § 47 TKG 2021 enthält die bereits oben erwähnte Verordnungsermächtigung: „Insbesondere kann die Regulierungsbehörde mit Verordnung Anforderungen an die Bewerbung der Geschwindigkeit und anderer technischer Merkmale von Internetzugangsdiensten im Sinn von Art 2 Z 2 der VO (EU) 2015/2120 , die sich an Endnutzer richten, derart festlegen, dass bei leitungsgebundenen Internetzugangsdiensten die beworbene Geschwindigkeit ein zu bestimmendes Verhältnis gegenüber der vereinbarten normalerweise zur Verfügung stehenden Geschwindigkeit im Sinn von Art 4 Abs 1 lit d der VO (EU) 2015/2120 nicht überschreiten darf. Bei über Funksignal angebundenen stationären Internetzugangsdiensten ist das jeweilige Verhältnis zur beworbenen Geschwindigkeit anhand der vereinbarten geschätzten maximalen Geschwindigkeit im Sinn von Art 4 Abs 1 lit d der VO (EU) 2015/2120 im Außenbereich und bei entsprechender Signalverfügbarkeit zu bemessen. Bei der Festlegung dieser Verhältniszahl hat die Regulierungsbehörde auf die schutzwürdigen Interessen von Endnutzern, Transparenz der Angaben sowie leichte Erkennbarkeit der Qualitätsparameter für die Endnutzer Bedacht zu nehmen.

[65] Die Bestimmung zielt also gerade darauf ab, dass den Adressaten der Werbung die erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen, um die Güte der Dienstleistung bei typischem Nutzungsverhalten, dh bei Datenübertragung über gewisse Zeiträume hinweg, beurteilen zu können.

[66] Einen Freibrief zur Bewerbung von Geschwindigkeiten, die die normalerweise zur Verfügung stehende Geschwindigkeit um ein Vielfaches übersteigt, ist darin nicht zu sehen. Vielmehr würde eine solche Verordnung auch eine durch aufklärende Hinweise nicht irreführende Bewerbung von Maximalwerten untersagen, wenn die in der Verordnung genannte Verhältniszahl missachtet wird.

[67] 3. Die Beklagte meint, dass ihre Werbung keinesfalls irreführend sei, weil Interessenten über Links zur Information gelangten, dass es sich bei den angegebenen Datentransfergeschwindigkeiten um Maximalwerte handle.

[68] Der Beklagten ist zwar zuzugestehen, dass die situationsadäquate Aufmerksamkeit des Durchschnittsverbrauchers beim Abschluss von Verträgen mit Internetserviceprovidern typischerweise höher ist als etwa bei Impulskäufen geringwertiger Waren.

[69] Nach ständiger Rechtsprechung des Senats verstößt eine irreführende Angabe jedoch schon dann gegen § 2 UWG, wenn sie geeignet ist, den Entschluss eines nicht unerheblichen Teils der angesprochenen Verkehrskreise, sich mit dem Angebot näher zu befassen, irgendwie zugunsten dieses Angebots zu beeinflussen (vgl RS0078411; RS0078396;  4 Ob 49/23v).

[70] 4. Zuletzt kritisiert die Beklagte die zugesprochene Urteilsveröffentlichung als überschießend. Es sei nicht erforderlich, dass der gesamte Urteilstext auf der Homepage abgedruckt werde, ein Link sei ausreichend.

[71] 4.1. Zweck der Urteilsveröffentlichung ist es, über die Rechtsverletzung aufzuklären und den beteiligten Verkehrskreisen Gelegenheit zu geben, sich entsprechend zu informieren, um vor Nachteilen geschützt zu sein (RS0121963). In der Regel ist die Urteilsveröffentlichung in einem solchen Umfang zuzusprechen, dass die Verkehrskreise, denen gegenüber die Rechtsverletzung wirksam geworden ist, über den wahren Sachverhalt bzw den Gesetzesverstoß aufgeklärt werden (RS0121963 [T9]).

[72] In welchem Umfang eine Veröffentlichung des Urteils zur Aufklärung des Publikums geboten ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (RS0042967 [T1]; RS0079820 [T3]). Dies gilt insbesondere auch für die Frage, an welcher Stelle eines Internettauftritts (Start- oder Unterseite) die Veröffentlichung zu erfolgen hat (RS0042967 [T12]).

[73] Im vorliegenden Fall wird bei den Adressaten einer Blickfangwerbung ein falscher Eindruck von den Produkteigenschaften geweckt, der nur durch das Klicken von einigen Links, das geduldige Scrollen bis zum jeweiligen Textende und die aufmerksame Lektüre mehrseitiger Texte korrigiert wird. Gerade jene Personen, die sich dieser Mühe nicht unterzogen haben und in ihren Fehlvorstellungen verharren, werden durch das bloße Anbieten weiterer Links zu einer Urteilsveröffentlichung nicht erreicht werden.

[74] 4.2. Auch aus der von der Beklagten zitierten Judikatur ergibt sich keine Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen.

[75] Zwar wurde in den Fällen 10 Ob 21/22v und 4 Ob 33/21p jeweils nur die Urteilsveröffentlichung über einen Link auf der Startseite angeordnet. Die Urteilssprüche entsprachen jedoch den jeweiligen Klagebegehren, sodass für die Rechtsposition der Beklagten aus diesen Entscheidungen nichts zu gewinnen ist. Auch der Oberste Gerichtshof hat nämlich nach dem Dispositionsgrundsatz des Zivilprozesses nur über die von den Parteien gestellten Begehren zu entscheiden (§ 405 ZPO) und nicht potentiell darüber hinausgehende Ansprüche zu prüfen.

[76] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO, wobei das Revisionsinteresse der Beklagten aber nur 26.484,38 EUR betrug. Das Berufungsgericht hatte nämlich einen mit einem Viertel bewerteten Aspekt des Unterlassungs- und des zugehörigen Veröffentlichungsbegehrens des Klägers abgewiesen (einschränkender Hinweis bei der Werbung). Zusätzlich hatte es den mit einem Achtel bemessenen Aspekt des Veröffentlichungsbegehrens des Klägers (Veröffentlichungsort) abgewiesen. Die Beklagte hielt außerdem ihren Gegenantrag auf negative Urteilsveröffentlichung im Revisionsverfahren nicht aufrecht.

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