OGH 4Ob157/24b

OGH4Ob157/24b22.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei * GmbH, *, vertreten durch Mag. Bertram Schneeberger, Rechtsanwalt in Hartberg, gegen die beklagte Partei * GmbH, *, vertreten durch die Orsini und Rosenberg & Striessnig Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 29. Juli 2024, GZ 5 R 54/24h‑17, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00157.24B.1022.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Bestandrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die beklagte Gesellschaft hatte von der klagenden Eigentümerin Büroräumlichkeiten, eine Lagerhalle und eine Freilagerfläche angemietet.

[2] Mit dem angefochtenen – und vom Berufungsgericht bestätigten – Teilurteil verpflichtete das Erstgericht die Beklagte, die noch strittigen Büro- und Freiflächen binnen 14 Tagen geräumt zu übergeben. Die Anwendbarkeit des MRG könne dahinstehen, weil die Streitteile eine wirksame Auflösungsvereinbarung geschlossen hätten und die im Wege der Vertragsauslegung zu ermittelnde Räumungsfrist längst abgelaufen sei.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die außerordentliche Revision der Beklagten, mit der sie eine Klagsabweisung, hilfsweise eine Aufhebung zur neuerlichen Verhandlung erreichen will, ist mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig und daher zurückzuweisen.

[4] 1. Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde. Auch die Frage einer allfälligen Auflösung einer Vereinbarung kann nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (vgl RS0042936 [insb T10, T55]). Dasselbe gilt sinngemäß für die Frage, ob ein Bindungswille zu unterstellen ist (vgl RS0042555), und ob eine Einigung trotz offener Nebenpunkte oder eines (Form-)Vorbehalts zustande kam (vgl RS0013973 [T1], RS0017286 [T11], RS0038607).

[5] 2. Der Revisionswerberin ist beizupflichten, dass die Schlussfolgerung, ob ein Vertrag wirksam zustande kam oder einvernehmlich aufgelöst wurde, grundsätzlich keine Beweis-, sondern eine Rechtsfrage ist, und dafür das (Erklärungs-)Verhalten der Parteien (gegebenenfalls ein übereinstimmender Parteiwille) festzustellen und gemäß §§ 914 f ABGB auszulegen ist. Die Verwendung von Rechtsbegriffen in den Feststellungen schadet aber nicht, insbesondere wenn sie in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen sind (vgl RS0111996, RS0043593, RS0111277).

[6] Hier geht nicht nur aus der Gesamtheit der Feststellungen, sondern auch der ausführlichen Beweiswürdigung der Aussagen und Urkunden sowie der rechtlichen Beurteilung hervor, dass und warum das Erstgericht die festgestellte „Einigung“ bzw „Vereinbarung einer einvernehmlichen Auflösung“ im Sinne eines Einverständnisses des Geschäftsführers der Beklagten zum Auflösungswunsch des Geschäftsführers der Klägerin verstand und damit übereinstimmende Willenserklärungen der Parteien zur Beendigung der Bestandverhältnisse annahm.

[7] 3. Davon ausgehend bewegt sich die Wertung des Erstgerichts, dass die Parteien bereits im November 2022 einvernehmlich die Auflösung aller drei Mietverhältnisse zum 31. 12. 2022 bzw 31. 3. 2023 vereinbarten, auch wenn sie den Räumungstermin für das Büro und das Freilager in der Folge wieder offenließen („wird noch abgeklärt“), und dieser im Wege der Vertragsauslegung mit einem Spielraum von einigen Wochen um den 31. 3. 2023 anzusetzen sei, im Rahmen des ihm notwendiger Weise im Einzelfall zukommenden Beurteilungsspielraums. Ob es sich dabei um eine einfache Vertragsauslegung handelt, weil die Parteien zunächst über eine Räumung zum 31. 12. 2022 und dann zum 31. 3. 2023 verhandelten, oder eine ergänzende, weil der Vertrag für den Fall lückenhaft blieb, dass kein einvernehmlicher Räumungstermin gefunden werden kann, kann dahinstehen, weil die Revision für beide Fälle keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Ablaufs jedweder Räumungsfrist aufzeigt.

[8] Dies gilt sinngemäß ebenso hinsichtlich der Frage, ob überhaupt eine Auflösungsvereinbarung zustande kam, oder nur eine unverbindliche Absichtserklärung vorlag. Die Wertung der Vorinstanzen, dass sich die Parteien über die Beendigung der Mietverhältnisse bereits im November 2022 zum 31. 12. 2022 bzw 31. 3. 2023 einig waren und sodann nur mehr über einen Räumungsaufschub verhandelten, begegnet angesichts der Gesamtheit der Feststellungen und Vertragsverhandlungen keinen Bedenken. Auf die behauptete Druckausübung bei der Verschriftlichung der Vereinbarung im Dezember 2022 kommt es schon deswegen nicht an, weil nicht einmal die Beklagte behauptet, dass dabei nicht bloß der Räumungstermin, sondern auch die bereits erklärte Auflösung der Bestandverhältnisse einvernehmlich zurückgenommen worden wäre; die behaupteten sekundären Feststellungsmängel liegen daher nicht vor.

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