European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00119.24I.0827.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 751,92 EUR (darin 125,32 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger veranlagte im Juni 2019 den Betrag von 5.577,50 EUR im Wege eines qualifizierten Nachrangdarlehens bei einer GmbH, dies auch mit Blick auf sein entsprechendes früheres Investment bei dieser Gesellschaft. Die emittierende Gesellschaft hatte im Dezember 2018 den Kapitalmarktprospekt über das öffentliche Angebot von qualifizierten Nachrangdarlehen erstellen lassen. Die beklagte Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hatte im gleichen Monat den Kontrollvermerk als Prospektkontrollor nach § 8 Abs 2 KMG BGBl 1991/625 in der damals geltenden Fassung (im Folgenden: KMG 1991) erteilt. Über das Vermögen der emittierenden Gesellschaft wurde 2022 das Insolvenzverfahren eröffnet.
[2] Der Anlageberater des Klägers zeigte dem Kläger den Kapitalmarktprospekt zwar am Computerbildschirm, der Prospekt wurde aber nicht im Detail durchbesprochen. Der Berater wies den Kläger lediglich auf das im Prospekt erwähnte Totalverlustrisiko hin. Der Kläger las den Kapitalmarktprospekt weder durch noch legte er dessen Informationen seiner Anlageentscheidung zugrunde. Im Gespräch mit seinem Anlageberater wurde auch nicht darüber gesprochen, dass der Kapitalmarktprospekt geprüft worden war. Der Kläger hätte die Veranlagung auch ohne den Prospekt durchgeführt. Der Kläger entschied sich – unabhängig vom Prospekt – für die neuerliche Veranlagung, weil bereits die erste Veranlagung gut funktioniert hatte und das Geschäftsmodell für ihn plausibel war.
[3] Der Kläger begehrt 5.577,50 EUR und hilfsweise die Feststellung der Haftung der Beklagten für seinen Schaden. Im Kapitalmarktprospekt bestünden zahlreiche Ungereimtheiten, die der Beklagten als Prospektkontrollorin hätten auffallen müssen. Die Beklagte hätte keinen Kontrollvermerk erteilen dürfen und hafte daher nach § 11 KMG 1991 für die unvollständige Kontrolle. Der Kläger habe das Investment im Vertrauen auf die Prospektangaben getätigt und sich auf die Angaben im Prospekt bzw auf die Angaben seines Beraters verlassen. Ein Kapitalanleger müsse sich grundsätzlich auf die sachliche Richtigkeit und Vollständigkeit der im Prospekt enthaltenen Angaben verlassen dürfen.
[4] Die Beklagte wandte ein, dass sie die Kontrolle des Kapitalmarktprospekts gesetzeskonform und sorgfältig durchgeführt habe. Sie hafte nicht für die Spekulationsverluste des Klägers, der voll risikobewusst gewesen sei. Im Kapitalmarktprospekt werde mehrfach auf die Möglichkeit eines Totalverlustes hingewiesen. Der Kläger habe die Zeichnung des Nachrangdarlehens auch nicht aufgrund der Prospektangaben durchgeführt, sodass kein Kausalzusammenhang zwischen den Angaben im Kapitalmarktprospekt und dem Anlageentschluss vorliege.
[5] Die Vorinstanzen wiesen die Klage mangels Kausalität des der Beklagten vorgeworfenen Verhaltens ab, weil allfällig unrichtige, unvollständige oder irreführende Prospektangaben nicht Grundlage der Disposition des Klägers gewesen seien. Der vom Geschädigten zu beweisende Kausalzusammenhang liege daher nicht vor.
[6] Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich zur Beweislastverteilung bei der Haftung des Prospektkontrollors bzw zur Frage zu, ob die Judikatur zu Beweiserleichterungen beim unrichtigen Bestätigungsvermerk eines Abschlussprüfers analog auf die Haftung des Prospektkontrollors anzuwenden sei.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist ungeachtet des Ausspruchs des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508 Abs 1 ZPO), nicht zulässig.
[8] Der Kläger stützt die Zulässigkeit des Rechtsmittels (ausschließlich) auf Beweisfragen zum Kausalzusammenhang zwischen den Prospektangaben und dem Anlageentschluss.
[9] 1. In dritter Instanz ist unstrittig, dass sich eine allfällige Haftung der Beklagten wegen des im Dezember 2018 erstellten Kontrollvermerks bzw des im Juni 2019 erfolgten Investments des Klägers noch nach dem KMG 1991 richtet (RS0008715 [T5]; vgl auch § 30 KMG 2019).
[10] 2.1 § 11 KMG 1991 enthält eine besondere Prospekthaftungsregelung, die eine gesetzgeberische besondere Ausprägung der allgemeinen Grundsätze über die schadenersatzrechtliche Haftung für Vertrauensschäden wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung bildet (6 Ob 190/12b). Alle Personen haben für eine sachlich richtige und vollständige Information einzustehen, die durch ihr nach außen in Erscheinung tretendes Mitwirken einen besonderen Vertrauenstatbestand schaffen (RS0107352).
[11] 2.2 Das gilt auch für einen Prospektkontrollor (RS0107352 [T5, T15, T23]). Ein Prospektkontrollor haftet dabei nicht für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts, sondern nur für dessen unrichtige oder unvollständige Kontrolle (§ 11 Abs 1 Z 2 und Z 2a KMG 2019; 10 Ob 23/23i mwN; RS0107352 [T5, T15]).
[12] 3.1 Die für eine solche Haftung erforderliche Ursächlichkeit ist gegeben, wenn sich der Anleger im Vertrauen auf den ihm bekannten Prospekt samt Kontrollvermerk zum Kauf entschlossen hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für diesen Ursachenzusammenhang ist der des Vertragsabschlusses in Ansehung der konkreten Anlageentscheidung (RS0108626; 3 Ob 108/13y [Prospektkontrollor]). Diesen Kausalzusammenhang hat nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätzen der Geschädigte zu beweisen (RS0108626 [T4]).
[13] 3.2 Die Prüfung der Kausalität ist dem Tatsachenbereich zuzuordnen (6 Ob 177/15w = JBl 2017, 662 [Geroldinger];1 Ob 35/18f) und unterliegt damit nicht der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof, der ausschließlich Rechtsinstanz ist (RS0123663). Ausgehend von den auch den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen, wonach der Kläger vom Inhalt des Prospekts keine Kenntnis hatte, diesen seiner Entscheidung nicht zugrundelegte und seine Veranlagung auch ohne Prospekt (samt Kontrollvermerk) durchgeführt hätte, ist eine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts, das deshalb die Kausalität verneint hat, nicht zu erkennen (vgl auch 1 Ob 35/18f).
[14] 3.3.1 Es bedarf nicht des Rückgriffs auf Beweislastregeln, wenn die zu beweisende Tatsache (oder das Gegenteil dieser Tatsache) ohnehin feststeht, weil es dann keine Rolle mehr spielt, wen die Beweislast trifft (RS0039939 [T23]; RS0039875 [T1 bis T4]; RS0039872 [T1 und T2]). Die Vorinstanzen haben die relevanten Feststellungen zum Zusammenhang zwischen dem geprüften Prospekt und dem Anlageentschluss aufgrund der aufgenommenen Beweisergebnisse mit der für den Zivilprozess erforderlichen Sicherheit (hohe Wahrscheinlichkeit, vgl RS0110701) getroffen (und einen Zusammenhang verneint). Es liegen zu den strittigen Fragen damit entsprechende (positive) Sachverhaltsfeststellungen vor.
[15] 3.3.2 Aufgrund dieser positiven Feststellungen kann auch dahinstehen, ob im Anlassfall die strittigen Umständen auch bei Anwendung eines reduzierten Beweismaßes festgestellt hätten werden können.
[16] 3.4 Der Vorwurf im Rechtsmittel, die Vorinstanzen hätten hier verkannt, dass aufgrund des Vorliegens eines Anscheinsbeweises die non-liquet-Situation zulasten der Beklagten ginge, geht schon deshalb ins Leere, weil die (positiven) Feststellungen eine solche non-liquet-Situation gerade ausschließen.
[17] 3.5 Damit stellt sich auch nicht die Frage, ob die vom Kläger herangezogenen Bestimmungen des KMG 1991 als Schutzgesetz zu qualifizieren sind und sich darauf Beweiserleichterungen stützen könnten.
[18] 3.6 Davon abgesehen hat der Oberste Gerichtshof zum KMG 1991 bereits die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises für Fragen des Kausalitätszusammenhangs zwischen mangelhaften Prospektangaben und dem Anlageentschluss des Anlegers verneint (RS0108627) und in diesem Zusammenhang auch Beweiserleichterungen für geschädigte Anleger abgelehnt (RS0022862 [T9]), was umso mehr für die unrichtige oder unvollständige Kontrolle des Prospekts gelten muss.
[19] 3.7 Die Entscheidung der Vorinstanzen hält sich im Rahmen der aufgezeigten Rechtsprechung und wirft daher keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung auf.
[20] 4. Auch die Hinweise des Klägers auf die zur Haftung des Abschlussprüfers einer Gesellschaft entwickelten Beweiserleichterungen können die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen.
[21] 4.1 Wie der Prospektkontrollor kann auch der sorgfaltswidrige Abschlussprüfer einem Dritten gegenüber haften. Das ist dann der Fall, wenn dieser im Vertrauen auf die Verlässlichkeit des Bestätigungsvermerks des Abschlussprüfers disponiert und dadurch einen Schaden erleidet (RS0116077).
[22] 4.2 Auch in diesem Bereich hat der geschädigte Anleger grundsätzlich zu behaupten und zu beweisen, dass er seine Anlageentscheidung im Vertrauen auf den erteilten Bestätigungsvermerk getroffen und diesen zur Grundlage seiner schadensauslösenden Disposition gemacht hat (RS0129123).
[23] 4.3 Der Oberste Gerichtshof hat aber wiederholt die Möglichkeit einer Haftung eines Abschlussprüfers gegenüber Anlegern für den Fall von Sorgfaltspflichtverletzungen auch dann bejaht, wenn mit den Anlegern in den Beratungsgesprächen über Bestätigungsvermerke des Abschlussprüfers überhaupt nicht gesprochen worden war, dies vorausgesetzt, dass die Information über eine pflichtgemäße, aber tatsächlich nicht erfolgte Einschränkung des Bestätigungsvermerks durch den Abschlussprüfer den Anlegern (etwa über eine hypothetische „Anlagestimmung“) zugekommen wäre und die Anleger aufgrund dieser Information das Investment unterlassen oder sofort verkauft hätten (RS0108627 [T2]).
[24] 4.4 Ob diese Rechtsprechung zum Bestätigungsvermerk auch im Anlassfall – ungeachtet der zum Prospektkontrollor bereits ergangenen Rechtsprechung (siehe oben Punkt 3.6) – überhaupt nutzbar gemacht werden könnte, kann schon wegen der getroffenen Feststellungen dahinstehen, zumal weder behauptet (vgl zB 10 Ob 69/11m; 2 Ob 41/14i; 9 Ob 26/14k) noch festgestellt wurde, dass von einer hypothetischen „Anlagestimmung“ auszugehen sei. Entsprechendes trifft auf den Umstand zu, ob der Kläger bei seiner Anlageentscheidung überhaupt darauf Wert legte, dass hinsichtlich seiner Veranlagung ein gesetzeskonform geprüfter Prospekt vorlag (was nach den Beweisergebnissen zu verneinen ist). Der Kläger hat zwar vorgebracht, dass er im Vertrauen auf die Prospektangaben investiert hätte; das Erstgericht hat dazu freilich das Gegenteil festgestellt. Insoweit der Kläger im Rechtsmittel ua auch damit argumentiert, das Kausalitätserfordernis sei erfüllt, wenn die Erteilung des Prüfvermerks als Verkaufsargument verwendet wird, entfernt er sich von den getroffenen Feststellungen.
[25] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)