OGH 3Ob22/15d

OGH3Ob22/15d18.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

Hoch als Vorsitzenden und die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. A. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** H*****, vertreten durch Dr. Roman Schiessler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch die Kuhn Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 114.859,74 EUR sA, Zahlung einer monatlichen Rente (Streitwert 24.444,14 EUR) und Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Dezember 2014, GZ 3 R 68/14p‑72, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0030OB00022.15D.0318.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Die Vorinstanzen wiesen die auf die Behauptung ärztlicher Kunstfehler sowie mangelhafter ärztlicher Aufklärung gestützten Schadenersatzansprüche der Klägerin, die indem von der Beklagten betriebenen Spital (unter anderem) an beiden großen Zehen operiert worden war mit der Begründung ab, der Beklagten sei weder ein Behandlungsfehler noch eine ungenügende ärztliche Aufklärung vor der Operation anzulasten.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsfrage, in welchem Umfang der Arzt den Patienten aufzuklären hat, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beantworten und daher im Allgemeinen nicht revisibel (RIS‑Justiz RS0026529 [T18 und T20]; RS0026763 [T5]; RS0026328 [T2]), es sei denn, dem Berufungsgericht wäre eine Fehlbeurteilung unterlaufen, die aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste (RIS‑Justiz RS0021095, RS0042405 [T10, T13, T17, T23]).

Nach ständiger Rechtsprechung umfasst die Verpflichtung des Arztes aus dem Behandlungsvertrag auch die Pflicht, den Patienten über die Art und Schwere sowie die möglichen Gefahren und die schädlichen Folgen einer Behandlung zu unterrichten (RIS‑Justiz RS0038176, RS0026473). Für die nachteiligen Folgen einer ohne ausreichende Aufklärung vorgenommenen Behandlung des Patienten haftet der Arzt (oder der Krankenhausträger) selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung ‑ wie nach den getroffenen Feststellungen im vorliegenden Fall ‑ kein Kunstfehler unterlaufen ist (RIS‑Justiz RS0026783), es sei denn, er beweist, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (RIS‑Justiz RS0038485, RS0108185).

Die ärztliche Aufklärung soll den Patienten in Stand setzen, die Tragweite seiner Erklärung, in die Behandlung einzuwilligen, zu überschauen (RIS‑Justiz RS0026413). Der Patient kann nur dann wirksam seine Einwilligung geben, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde (RIS‑Justiz RS0026499). Die ärztliche Aufklärungspflicht reicht umso weiter, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder geboten ist (RIS‑Justiz RS0026375; vgl RS0026772). Dann ist die ärztliche Aufklärungspflicht im Einzelfall selbst dann zu bejahen, wenn erhebliche nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind (RIS‑Justiz RS0026313). Ist der Eingriff zwar medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist eine umfassende Aufklärung notwendig (RIS‑Justiz RS0026772). Grundsätzlich muss der Arzt aber nicht auf alle nur denkbaren Folgen einer Behandlung hinweisen (RIS‑Justiz RS0026529).

Der Arzt muss nicht stets von sich aus alle theoretischen in Betracht kommenden Behandlungs-möglichkeiten oder Operationsarten mit dem Patienten erörtern (RIS‑Justiz RS0026426). Mangels Indikation für eine alternative Behandlung ist dem Patienten nicht ungefragt zu erläutern, welche Behandlungsmethoden theoretisch in Betracht kommen und was für und gegen die eine oder andere dieser Methoden spricht, solange der Arzt eine Methode anwendet, die dem medizinischen Standard genügt. Eine Aufklärung über Behandlungsalternativen ist (nur) erforderlich, wenn für den konkreten Behandlungsfall mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen, die gleichwertig sind, aber unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen haben (2 Ob 194/13p; 4 Ob 241/12p, je mwN).

Da nicht feststeht, dass eine andere Methode der Stabilisierung nach der Operation mit einem geringeren Risiko für die Klägerin verbunden gewesen wäre, und ‑ entgegen dem von der Revisionswerberin ihren Ausführungen offenbar zugrundegelegten Sachverhalt ‑ auch nicht feststeht, dass der Inhalt des von der Klägerin unterfertigen Aufklärungsbogens mit der mündlichen Erläuterung der Operationsmethode durch den operierenden Arzt in Widerspruch stand, ist die berufungsgerichtliche Verneinung eines Aufklärungsmangels jedenfalls vertretbar. Dass die ärztliche Aufklärung in zeitlicher Nähe zur am selben Tag stattfindenden Operation erfolgte, also für die Klägerin eine relativ kurze Überlegungszeit zur Verfügung stand, lag unter anderem daran, dass die Klägerin kurzfristig den Wunsch äußerte, die medizinisch indizierte operative Korrektur an ihren beiden großen Zehen mit der schon länger geplanten Schulteroperation zu verbinden.

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