OGH 2Ob194/13p

OGH2Ob194/13p22.1.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers R***** D*****, vertreten durch Mag. Friedrich Kühleitner und Mag. Franz Lochbichler, Rechtsanwälte in Schwarzach, gegen den Beklagten *****Dr. A***** W*****, vertreten durch Mag. Christian Posch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 5.000 EUR und Feststellung (Streitwert 2.000 EUR) sA, über die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 25. Juni 2013, GZ 22 R 189/13t‑30, womit das Urteil des Bezirksgerichts Hallein vom 27. März 2013, GZ 2 C 1262/11y‑25, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0020OB00194.13P.0122.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit 559,15 EUR (darin enthalten 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten seiner Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Das Berufungsgericht hat die Berufung nachträglich mit der Begründung zugelassen, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, inwieweit ein Arzt zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten im Zusammenhang mit einer Differenzialdiagnose zur unverzüglichen und umfassenden Aufklärung eines Patienten verpflichtet sei, wenn er in erster Linie von einem anderen Krankheitsbild ausgehe.

Die Vorinstanzen haben die Klage gegen den behandelnden Arzt abgewiesen, weil nach den vorgenommenen Untersuchungen des klagenden Patienten die Wahrscheinlichkeit einer bösartigen Erkrankung nur äußerst gering gewesen sei. Eine diesbezügliche Abklärung hätte deshalb erst in etwa zwei bis drei Monaten nach Behandlungsbeginn erfolgen müssen. Diese Möglichkeit habe der Kläger dem Beklagten genommen, weil er die Behandlung bei ihm eigenmächtig abgebrochen und einen vorgesehenen Kontrolltermin nicht mehr wahrgenommen habe. Dass es sich bei der Erkrankung des Klägers mit geringer Wahrscheinlichkeit um einen bösartigen Tumor handeln könne, habe der Beklagte dem Kläger ohnedies mitgeteilt. Eine Biopsie sei nach dem aktuell anerkannten Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und der Besonderheiten des Krankheitsbildes des Klägers im Behandlungszeitraum nicht erforderlich gewesen. Sie hätte erst erfolgen müssen, wenn trotz therapeutischer Maßnahmen bei persistierender Beschwerdesymptomatik in einem Zeitraum von zwei bis drei Monaten keine Änderung des klinischen Zustandsbildes oder der Beschwerden eingetreten wäre. Dem Beklagten sei es daher nicht als Aufklärungsmangel anzulasten, wenn er den Kläger während des Zeitraums der Behandlung durch ihn (noch) nicht über die Möglichkeit einer Biopsie ‑ ein operativer Eingriff, der zu einer Kontamination durch Tumorzellen in der Umgebung führen könne ‑ informiert habe. Aufzuklären sei nur über notwendige ärztliche Maßnahmen.

Der Kläger macht mit seiner Revision geltend, der beklagte Arzt hätte bei Vorliegen des MRI‑Befunds mit der Differenzialdiagnose „mögliche tumoröse Raumforderung (zB periossäres Sarkom)“ in jedem Fall die Verpflichtung gehabt, dem Kläger im Rahmen des Aufklärungsgesprächs eine Entscheidungsmöglichkeit zu geben, ob vorerst mit der Behandlung der Primärdiagnose fortgefahren werde oder ob parallel dazu weitere Behandlungs- bzw Aufklärungsschritte im Zusammenhang mit der Differenzialdiagnose gesetzt werden sollen. Hätte der Beklagte seiner diesbezüglichen Aufklärungsverpflichtung entsprochen, so hätte sich der Kläger in jedem Fall zu einer sofortigen Biopsie entscheiden können und wäre das letztendlich bestehende Sarkom eher diagnostiziert worden. Der Klage sei daher stattzugeben.

Der Beklagte beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:

Zunächst ist festzuhalten, dass der Kläger die Behauptung, er hätte sich im Fall der Aufklärung über die Möglichkeit einer Biopsie zur sofortigen Vornahme dieses Eingriffs entschieden, erstmals in der Revision aufgestellt hat. Sie ist daher als unzulässige Neuerung zu qualifizieren. Auch hat der Kläger keinerlei Nachweis dahingehend erbracht, welche nachteiligen Auswirkungen die behauptete Zeitverzögerung hatte.

Aber auch die in der Revision angesprochene Rechtsfrage hat das Berufungsgericht vertretbar gelöst:

Die Frage des konkreten Umfangs der ärztlichen Aufklärungspflicht ist eine nicht revisible Frage des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0026529 [T18, T20]). Der Arzt muss nicht stets von sich aus alle theoretisch in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten oder Operationsmöglichkeiten mit dem Patienten erörtern (RIS‑Justiz RS0026426). Mangels Indikation für eine alternative Behandlung ist dem Patienten nicht ungefragt zu erläutern, welche Behandlungsmethoden theoretisch in Betracht kommen und was für und gegen die eine oder andere dieser Methoden spricht, solange der Arzt eine Methode anwendet, die dem medizinischen Standard genügt (vgl 5 Ob 162/03i = RIS‑Justiz RS0026426 [T4]). Eine Aufklärung über Behandlungsalternativen ist erforderlich, wenn für den konkreten Behandlungsfall mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen, die gleichwertig sind, aber unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen haben (4 Ob 241/12p = RIS‑Justiz RS0026426 [T11]).

Im vorliegenden Fall waren nicht gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden gegeben. Vielmehr hatte die vom Beklagten veranlasste MR Diagnostik keine eindeutigen im Vordergrund stehenden Malignitätskriterien gezeigt und war die Wahrscheinlichkeit einer bösartigen Erkrankung nur äußerst gering. Eine Biopsie war daher während des Zeitraums der Behandlung des Klägers durch den Beklagten medizinisch nicht indiziert und hätte eine Abklärung erst zwei bis drei Monate nach Behandlungsbeginn erfolgen müssen. Wenn das Berufungsgericht aufgrund dieser Sachlage ‑ und aufgrund des Umstands, dass der Kläger die Behandlung beim Beklagten vorzeitig abgebrochen und die Möglichkeit einer weiteren Abklärung durch diesen vereitelt hat ‑ das Vorliegen einer Aufklärungspflichtverletzung durch den Beklagten verneinte, so hält sich dies im Rahmen der zitierten Rechtsprechung und ist somit vertretbar.

Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Seine Revisionsbeantwortung diente daher der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.

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